Gezielter Einsatz von Cannabis hilft gegen die Spastik · 4 Medical Tribune · Neurologie n...

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Neurologie · Psychiatrie www.medical-tribune.ch In dieser Ausgabe Anzeige Beim Cluster-Kopfschmerz auf Neuromodulation setzen? 5 Immer häufiger versuchen For- scher vom Cluster-Kopfschmerz Geplagte mit Hilfe von invasiven Therapieverfahren von ihren Schmerzattacken zu befreien. Hierbei können neben dem Tie- fenhirn auch der N. occipitalis, das hochzervikale Rückenmark und das parasympathische Gan- glion sphenoidale stimuliert werden. Ist die Depression ein Frühsymptom der Demenz? 6 Bereits seit längerem ist be- kannt, dass es einen Zusammen- hang zwischen Depression und Demenz gibt. Amerikanische Forscher sind jetzt der Frage nachgegangen, ob Depressio- nen generell das Demenzrisiko erhöhen, oder ob es sich dabei um ein frühes Symptom der De- menz handelt. Neue Option für Patienten mit SEGA 12 Für Patienten mit tuberöser Sklerose und subependyma- lem Riesenzellastrozytom steht jetzt mit Everolimus eine neue Therapieoption zur Verfügung. Der mTor-Inhibitor vermochte in Studien das Tumorvolumen deutlich zu reduzieren. PTSD am besten mit Verhaltenstherapie angehen 14 Wie sieht die adäquate Behand- lung für Patienten mit posttrau- matischer Belastungsstörung aus? Ein Forschungsteam aus Israel hat verschiedene Optio- nen miteinander verglichen. Am besten schnitten die rasch ein- setzende prolongierte Expositi- onstherapie und die kognitive Verhaltenstherapie ab. Lässt sich Pädophilie mit der Bildgebung diagnostizieren? 15 Mit Hilfe der funktionellen Kernspintomographie haben Sexualmediziner und Neurowis- senschaftler versucht, Pädophile zu diagnostizieren. In einer klei- nen Pilotstudie lag die Genauig- keit bei 95 %. Falsch positive Re- sultate gab es nicht. Jetzt muss die Reproduzierbarkeit des Tests weiter überprüft werden. In dieser Ausgabe 3. Jahrgang · Nr. 4 · 19. Dezember 2011 JETZT kassenzulässig L830, 07/11 Patienten mit Querschnittlähmung profitieren von alternativer Therapie Gezielter Einsatz von Cannabis hilft gegen die Spastik Fortschritte in der Neurobiologie Gene beeinflussen Gefühl und Verhalten Die neurobiologische Forschung konnte in den letzten Jahren enorme Fortschritte verzeichnen. Mit dazu beigetragen hat die Entwicklung in der Bildgebung, vor allem im Bereich der funktionellen MRT. So findet man immer mehr genetische Korrelate für soziale Verhaltensmuster oder psychi- sche Erkrankungen. Eine bestimmte Variante des 5HT-Transportergens ist z.B. mit einem erhöhten Depressions- risiko vergesellschaftet, wie Profes- sor Dr. Andreas Meyer-Linden- berg, Zentralinstitut für seelische Gesundheit, Mannheim, am Sym- posium «Neurobiologische Korrelate zwischenmenschlicher Beziehung» in Freiburg i.Br. erläuterte. Auf der anderen Seite konnte eine Mutation des MAO A-Gens mit Aggression und Gewaltbereitschaft in Verbindung gebracht werden. Dass dem Hormon Oxytocin beim Geburtsvorgang und beim Stillen ein wichtiger Stellenwert zukommt, ist bekannt. Professor Dr. Markus Heinrichs vom Institut für Psychologie der Universität Freiburg i.Br. machte deutlich, dass Oxytocin auch für die Entwicklung von Bezie- hungsfähigkeit, Vertrauen und Mit- gefühl unerlässlich ist. Es vermindert zudem Angst und Stress im Rahmen von sozialen Interaktionen. Der Effekt ist umso grösser, je höher die Dichte an Oxytocinrezeptoren ist. Zudem gibt es unterschiedliche Varianten des Oxytocinrezeptorgens, die ebenfalls einen Einfluss auf das Empathie- und Stressresistenzvermögen des Einzel- nen zu haben scheinen. Seite 4 Erster epileptischer Anfall mit 70 Jahren Was ist jetzt zu tun? Patienten, die mit einem ersten epi- leptischen Anfall in die Notfallambu- lanz kommen, haben nicht selten das 70. Lebensjahr bereits überschritten. Welche Diagnostik soll nun gestartet werden? Wann soll mit einer medika- mentösen Therapie begonnen wer- den? Am 84. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie nahm sich ein Experte der komplexen Proble- matik an. Seite 3 Für eine erfolgreiche antipsychotische Therapie Optimierte Galenik von Anfang an einsetzen Für den langfristigen Therapieerfolg bei Patienten mit Schizophrenie oder bipolarer Erkrankung ist eine gute Compliance unerlässlich. Nur mit einer adäquaten, konsequent durch- geführten Therapie ist eine langfris- tige Krankheitskontrolle möglich. Wirkstoffe mit täglicher Einmalgabe, rasch eintretendem und anhaltendem Effekt, die zudem noch gut verträg- lich sind, können die Therapietreue wesentlich erhöhen. Quetiapin in retardierter Form hat sich in der Akuttherapie und in der Rückfallpro- phylaxe bei Patienten mit Schizophre- nie als überzeugend erwiesen. Zudem kann das Atypikum als First-line- Therapie der manischen und depres- siven Episode bei bipolarer Störung eingesetzt werden. Seite 7 Viele Patienten mit einer Quer- schnittlähmung haben heute bei guter Nachsorge nahezu die gleiche Lebenserwartung wie die gesunde Bevölkerung. Insbesondere die Spas- tik stellt aber häufig eine therapeuti- sche Herausforderung dar, da klassi- sche Therapieansätze unzureichend wirksam sind oder unerwünschte Effekte auftreten. Hier hat sich Tetra- hydrocannabinol (THC, Dronabinol) als wirksame Option erwiesen, wie eine am REHAB Basel durchgeführte Studie zeigen konnte. Es handelt sich jedoch um eine Last-line-Therapie, die erst zum Zug kommt, nachdem alle anderen Optionen ausgeschöpft sind, wie Dr. Holger Lochmann, Oberarzt und Leiter des REHAB Ambulatoriums, an der 26. Schweize- rischen Jahrestagung für Phytotherapie berichtete. Für einen therapeutischen Effekt ist eine orale Tagesdosis von mindestens 15 bis 20 mg notwendig. Pflanzliche Sedativa spielen im Pra- xisalltag eine wesentliche Rolle. Ein weiterer Punkt am Kongress waren pflanzliche Sedativa. Viele Patienten mit Angststörungen, Depression oder Schlafproblemen bevorzugen kom- plementäre Behandlungsformen. Professor Dr. Jürgen Drewe, Basel, erläuterte, welche Präparate als evi- denzbasierte Alternative zu syntheti- schen Substanzen zum Einsatz kom- men können. Seite 9 MTCH_Neuro_2011_04_S01.indd 1 12.12.2011 12:28:39

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Beim Cluster-Kopfschmerz aufNeuromodulation setzen? 5Immer häufiger versuchen For-scher vom Cluster-KopfschmerzGeplagte mit Hilfe von invasivenTherapieverfahren von ihrenSchmerzattacken zu befreien.Hierbei können neben dem Tie-fenhirn auch der N. occipitalis,das hochzervikale Rückenmarkund das parasympathische Gan-glion sphenoidale stimuliertwerden.

Ist die Depression einFrühsymptom der Demenz? 6Bereits seit längerem ist be-kannt, dass es einen Zusammen-hang zwischen Depression undDemenz gibt. AmerikanischeForscher sind jetzt der Fragenachgegangen, ob Depressio-nen generell das Demenzrisikoerhöhen, oder ob es sich dabeium ein frühes Symptom der De-menz handelt.

Neue Option für Patientenmit SEGA 12Für Patienten mit tuberöserSklerose und subependyma-lem Riesenzellastrozytom stehtjetzt mit Everolimus eine neueTherapieoption zur Verfügung.Der mTor-Inhibitor vermochtein Studien das Tumorvolumendeutlich zu reduzieren.

PTSD am besten mitVerhaltenstherapie angehen 14Wie sieht die adäquate Behand-lung für Patienten mit posttrau-matischer Belastungsstörungaus? Ein Forschungsteam ausIsrael hat verschiedene Optio-nen miteinander verglichen. Ambesten schnitten die rasch ein-setzende prolongierte Expositi-onstherapie und die kognitiveVerhaltenstherapie ab.

Lässt sich Pädophilie mit derBildgebung diagnostizieren? 15Mit Hilfe der funktionellenKernspintomographie habenSexualmediziner und Neurowis-senschaftler versucht, Pädophilezu diagnostizieren. In einer klei-nen Pilotstudie lag die Genauig-keit bei 95 %. Falsch positive Re-sultate gab es nicht. Jetzt mussdie Reproduzierbarkeit des Testsweiter überprüft werden.

In dieser Ausgabe

3. Jahrgang · Nr. 4 · 19. Dezember 2011

JETZTkassen

zulässig

L830

,07/

11

Patienten mit Querschnittlähmung profitieren von alternativer Therapie

Gezielter Einsatz von Cannabishilft gegen die Spastik

Fortschritte in der Neurobiologie

Gene beeinflussenGefühl und VerhaltenDie neurobiologische Forschungkonnte in den letzten Jahren enormeFortschritte verzeichnen. Mit dazubeigetragen hat die Entwicklung inder Bildgebung, vor allem im Bereichder funktionellen MRT. So findet manimmer mehr genetische Korrelate fürsoziale Verhaltensmuster oder psychi-sche Erkrankungen. Eine bestimmteVariante des 5HT-Transportergens istz.B. mit einem erhöhten Depressions-risiko vergesellschaftet, wie Profes-sor Dr. Andreas Meyer-Linden-berg, Zentralinstitut für seelischeGesundheit, Mannheim, am Sym-posium «Neurobiologische Korrelatezwischenmenschlicher Beziehung»in Freiburg i.Br. erläuterte. Auf deranderen Seite konnte eine Mutationdes MAO A-Gens mit Aggression undGewaltbereitschaft in Verbindunggebracht werden. Dass dem HormonOxytocin beim Geburtsvorgang undbeim Stillen ein wichtiger Stellenwertzukommt, ist bekannt. Professor Dr.Markus Heinrichs vom Institut fürPsychologie der Universität Freiburgi.Br. machte deutlich, dass Oxytocin

auch für die Entwicklung von Bezie-hungsfähigkeit, Vertrauen und Mit-gefühl unerlässlich ist. Es vermindertzudem Angst und Stress im Rahmenvon sozialen Interaktionen. Der Effektist umso grösser, je höher die Dichtean Oxytocinrezeptoren ist. Zudemgibt es unterschiedliche Varianten desOxytocinrezeptorgens, die ebenfallseinen Einfluss auf das Empathie- undStressresistenzvermögen des Einzel-nen zu haben scheinen. Seite 4

Erster epileptischer Anfall mit 70 Jahren

Was ist jetzt zu tun?Patienten, die mit einem ersten epi-leptischen Anfall in die Notfallambu-lanz kommen, haben nicht selten das70. Lebensjahr bereits überschritten.Welche Diagnostik soll nun gestartetwerden? Wann soll mit einer medika-mentösen Therapie begonnen wer-den? Am 84. Kongress der DeutschenGesellschaft für Neurologie nahm sichein Experte der komplexen Proble-matik an. Seite 3

Für eine erfolgreiche antipsychotische Therapie

Optimierte Galenik vonAnfang an einsetzenFür den langfristigen Therapieerfolgbei Patienten mit Schizophrenie oderbipolarer Erkrankung ist eine guteCompliance unerlässlich. Nur miteiner adäquaten, konsequent durch-geführten Therapie ist eine langfris-tige Krankheitskontrolle möglich.Wirkstoffe mit täglicher Einmalgabe,rasch eintretendem und anhaltendemEffekt, die zudem noch gut verträg-

lich sind, können die Therapietreuewesentlich erhöhen. Quetiapin inretardierter Form hat sich in derAkuttherapie und in der Rückfallpro-phylaxe bei Patienten mit Schizophre-nie als überzeugend erwiesen. Zudemkann das Atypikum als First-line-Therapie der manischen und depres-siven Episode bei bipolarer Störungeingesetzt werden. Seite 7

Viele Patienten mit einer Quer-schnittlähmung haben heute beiguter Nachsorge nahezu die gleicheLebenserwartung wie die gesundeBevölkerung. Insbesondere die Spas-tik stellt aber häufig eine therapeuti-sche Herausforderung dar, da klassi-sche Therapieansätze unzureichendwirksam sind oder unerwünschteEffekte auftreten. Hier hat sich Tetra-hydrocannabinol (THC, Dronabinol)als wirksame Option erwiesen, wieeine am REHAB Basel durchgeführteStudie zeigen konnte. Es handelt sichjedoch um eine Last-line-Therapie,die erst zum Zug kommt, nachdemalle anderen Optionen ausgeschöpftsind, wie Dr. Holger Lochmann,

Oberarzt und Leiter des REHABAmbulatoriums, an der 26. Schweize-rischen Jahrestagung für Phytotherapieberichtete. Für einen therapeutischenEffekt ist eine orale Tagesdosis vonmindestens 15 bis 20 mg notwendig.Pflanzliche Sedativa spielen im Pra-xisalltag eine wesentliche Rolle. Einweiterer Punkt am Kongress warenpflanzliche Sedativa. Viele Patientenmit Angststörungen, Depression oderSchlafproblemen bevorzugen kom-plementäre Behandlungsformen.Professor Dr. Jürgen Drewe, Basel,erläuterte, welche Präparate als evi-denzbasierte Alternative zu syntheti-schen Substanzen zum Einsatz kom-men können. Seite 9

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Medical Tribune · Neurologie n Psychiatrie 3. Jahrgang · Nr. 4 · 19. Dezember 20114

Wenn die Gene für Monoaminoxidase A und Serotonin Defekte aufweisen

Werden Depression und Aggression vererbt?FREIBURG – Beflügelt durch die enormen Fortschritte in der Bildgebung, allenvoran das funktionelle MRI, wurden in der Neurobiologie rasante Fortschrittegemacht. Am Symposium «Neurobiologische Korrelate zwischenmenschli-cher Beziehung» berichtete Professor Dr. Andreas Meyer-L indenberg,Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim, über neue Erkenntnissezu den Wechselwirkungen zwischen Genen des Gehirns und der Umwelt.

Serotonin, auch als 5-HTbezeichnet (5-Hydroxytryptamin),fungiert als Neurotransmitter, derbisher eher positiv in Erscheinunggetreten ist: als «Glückshormon».Serotonin-Mangel wird mit depres-siver Verstimmung assoziiert, demman mit Serotonin-Wiederaufnah-mehemmern (SSRI) entgegentretenkann, indem man die 5-HT-Kon-zentration im synaptischen Spalterhöht. Dass zu viel Serotonin zurfalschen Zeit und auch am falschenOrt durchaus kein Glücksfall ist,erklärte Prof. Meyer-Lindenberg amBeispiel des 5-HT-Transporter-Gen(5HTT-Gen)-Polymorphismus.

Macht zu viel5-HT depressiv?

Der 5-HT-Transporter sorgtunter physiologischen Bedingungen

dafür, dass der Serotonin-Haushaltgut ausbalanciert ist. Vom 5-HTT-Gen existieren allerdings zwei Vari-anten, eine Kurz- und eine Lang-form. Träger des Kurzallels habeneine verminderte 5-HT-Abbau-kapazität, weil der entsprechendeTransporter nicht in ausreichenderMenge produziert werden kann.Die Folgen: Sie haben mehr Sero-tonin in den Synapsen als für ihrGehirn gut ist, und sie reagieren aufUmweltstressoren eher mit Angstund tendieren eher zu neurotischenReaktionen als Menschen mit derLangform des Allels.

Bekanntlich gehört die Ängst-lichkeit zu den Risikofaktoren füreine Depression. Die Vermutung,dass Kurzallel-Träger ein erhöhtesDepressionsrisiko aufweisen, liesssich inzwischen bestätigen. Jedoch

wird der genetische Defekt inte-ressanterweise nur auf der Basisnegativer Umwelterfahrungen kli-nisch manifest. Missbrauch in derKindheit, schwere Traumata sowiebelastende Life-Events ganz allge-mein begünstigen bei den Kurzal-lel-Trägern die Entstehung einerDepression.

Negative Assoziationenals «Altlast»

Bei den Trägern des Risikogensliess sich zeigen, dass ein wichtigerRückkopplungs-Kreislauf zwischenCingulum und Amygdala, der dieAmygdala-Aktivität dämpfen kann,nicht richtig funktioniert. Zu die-sen Aktivitäten gehört auch dasAuslöschen negativer Assoziati-

onen. Und genau das ist bei denKurzallel-Trägern gestört. NegativeEmotionen werden gespeichert und«als Altlast» mit durch das Lebengeschleppt. Langallel-Träger hinge-gen sind zur Extinktion negativerUmwelterfahrungen in der Lage,erläuterte der Experte.

Der Link zum Serotonin istinzwischen auch entschlüsselt: Wirdin einer bestimmten Phase der Ent-wicklung das Gehirn mit zu hohenSerotoninkonzentrationen kon-frontiert, was für Kurzallel-Trägerzutrifft, kann sich die basale Archi-tektur des Cortex verändern.

Aggressiv durchMAO A-Defizit?

Vor rund 20 Jahren sorgte derBericht über eine niederländi-sche Familie für Aufsehen, derenmännliche Mitglieder durch einungeheures Mass an Impulsivität,Brutalität und Aggressivität auffie-len. Über mehrere Generationenzeigten diese Männer eine extremhohe Gewaltbereitschaft, so Prof.Meyer-Lindenberg.

Man fand bei den Männern eineMutation des MAO A-Gens, dasunter anderem für den Serotonin-Abbau zuständig ist. Diese Muta-tion ist auf dem X-Chromosomlokalisiert. Für die Betroffenenbedeutete dies einen funktionellenMAO A-Knockout. Bei den weib-lichen Familienmitgliedern sorgtedas intakte Gen auf dem zweitenX-Chromosom dafür, dass sie keineAusfälle hatten.

Tierexperimentelle Befundeunterstützen dieses Konzept: Männ-liche MAO A-Knockout-Mäuse sindextrem aggressiv und weisen starkerhöhte 5-HT-Spiegel auf. Mit einemAntagonisten lässt sich das Verhaltennormalisieren.

Solche Mutationen sind glück-licherweise eine Rarität. Hingegenhat jeder von uns in diesem Geneine sogenannte High- oder Low-Variante: Individuen mit weni-ger MAO A, gleichbedeutend miteinem Serotonin-Überschuss, sindzwar gewaltbereiter – aber nur imZusammenhang mit negativenUmwelterfahrungen. RW

Hormon für Empathie, Stressresistenz, Vertrauen

Wie Oxytocin die Gefühlswelt bestimmtFREIBURG I. BR. – Das ursprüngliche Interesse an Oxytocin beruhte aufseinem fraglos bedeutenden Stellenwert beim Geburtsvorgang und auchbeim Stillen. Am Symposium Neurobiologische Korrelate zwischenmensch-licher Beziehung referierte Professor Dr. Markus Heinr ichs, Institut fürPsychologie, Universität Freiburg i. Br., über die Rolle von Oxytocin bei derEntwicklung prosozialer Verhaltensmuster.

Es existieren zahllose Definiti-onen der Liebe, von denen wohlkaum eine umfassend genug ist.Man kann es sich aber auch ein-facher machen und postulie-ren: «Liebe ist, wenn die Chemiestimmt». Mit seinen Ausführungenmachte Prof. Heinrichs deutlich,dass Oxytocin in der Gefühls-Che-mie zu den entscheidenden Kom-ponenten zählt und für Beziehungs-fähigkeit, Vertrauen und Mitgefühlunerlässlich ist.

Neurohormon vermindertAngst und Stress

Einleitend betonte der Referent,dass positive soziale Interaktioneneinen protektiven Faktor darstel-len. In Studien entfaltete ein aus-gedehntes soziales Beziehungsnetzmit verlässlichem sozialem Sup-port signifikante günstige Effekteauf gesundheitliche Outcomesebenso wie auf die Langlebig-keit. Das Neurohormon Oxytocinbesitzt einen zentralen Stellen-wert für das soziale Bindungsver-halten, und es vermindert Angstund Stress im Rahmen von sozi-alen Interaktionen. Die Intensitätdes Oxytocin-Effekts hängt voneiner ausreichenden Ausstattungmit funktionsfähigen Oxytocin-

Rezeptoren (OXTR) ab, an welcheOXT bindet, um seine umfassen-den prosozialen Effekte entfaltenzu können.

Rezeptordichte istausschlaggebend

Prof. Heinrichs verwies auf inte-ressante Erkenntnisse, die man beizwei unterschiedlichen Wühlmaus-Spezies gewonnen hat. Prärie-Wühlmäuse leben monogam, sindviel mit dem Partner zusammenund kümmern sich gemeinsamum die Aufzucht des Nachwuch-ses. Diese Tiere weisen eine hoheDichte an OXTR in der Hirnregionauf, die für das Belohnungsverhal-ten zuständig ist. Die Mountain-Wühlmaus hingegen verfügt nurüber eine sehr geringe OXTR-Dichte, es findet keine Paarbin-dung statt und die Väter sind auchnicht in die Aufzucht eingebunden.Blockiert man den OXTR, sodass

der OXT-Effekt ausbleibt, gehendie Prärie-Wühlmäuse plötzlichfremd.

Oxytocin wird im Hypothalamusproduziert und ist für Weheneinlei-tung, Geburt und Stillfähigkeit vonBedeutung. Trotzdem ist es kein«Frauenhormon», da auch Männerdieses Neurohormon bilden und mitentsprechenden OXTR ausgestattetsind.

In verschiedenen Testsituationenwurde placebokontrolliert unter-sucht, wie sich prosoziales Verhal-ten unter der intranasalen Gabe vonOXT entwickelt bzw. verändert.n Oxytocin erhöht die soziale Risi-

kobereitschaft (Vertrauen),n Oxytocin verbessert das Einfüh-

lungsvermögen,n Oxytocin mindert den Stress bei

sozialen Herausforderungen.

Varianten mit G-Allelsorgen für Empathie

Inzwischen ist bekannt, dassVarianten des Oxytocin-Rezeptor-gens (OXTR-Gen) existieren, die mitunterschiedlicher sozialer Interak-tions- und Bindungsfähigkeit inVerbindung gebracht werden. Manfand Single Nucleotide Polymor-phismen (SNPs), mit Austausch vonGuanin gegen Adenin. Individuenkönnen demnach mit der GG-, derGA- oder der AA-Variante ausgestat-tet sein. Bei Testpersonen erwiesensich jene als besonders empathischund gleichzeitig auch stressresistent,die über mindestens eine Kopie desG-Allels verfügten. Sie profitieren,

indem sie stressresistenter, empa-thischer und einfühlsamer sind alsMenschen mit der AA-Variante.

Ob und wie diese Polymorphis-men mit schweren sozialen Defizitenzusammenhängen (soziale Phobie,Autismus, Borderline-Persönlich-keitsstörung), ist Gegenstand aktu-eller Untersuchungen.

Trierer Stresstestbringts an den Tag

Der Trierer Stresstest gehört zuden bewährten und gut evaluiertenInstrumenten, die in der Human-forschung eingesetzt werden, umdie Stressbelastung in verschiedenenTestsituationen zu erfassen.

Probanden haben zehn Minu-ten Zeit, um sich auf ein Bewer-bungsgespräch vorzubereiten, undin dieser Phase darf sie der Partner

oder die Partnerin unterstützen –oder sie sind auf sich allein gestellt.Dann kommt der Test, der bewusststressig gehalten wird, indem dieExperimentatoren den Proban-den unterbrechen, ihn mit Blicken«mustern», und mit abschliessendenKopfrechenoperationen vollendsverunsichern.

Männer, die von der Partnerin vordem Test unterstützt wurden, wieseneinen deutlich niedrigeren Stressle-vel auf als Männer, die unvorbereitetin den Test gingen. Frauen hingegenhatten etwa 50 % mehr Stress nachdem Partner-Coaching.

Wollen Männer soziale Unterstüt-zung anbieten, sollten sie handeln:Körperkontakt oder eine gefühlvolleSchulter-Nackenmassage senken dasStressniveau deutlich besser als klugeReden. RW

Prof. Dr.MarkusHeinrichsInstitut für Psycho-logie,UniversitätFreiburg i.Br.

Foto: RW

Prof. Dr.AndreasMeyer-Linden-bergZentralinstitut für See-lische Gesundheit,Mannheim

Foto: zVg

Unterstützung bei der Stressbewältigung: Körperkontakt bringt mehr als kluge Worte.

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