Gewalt an kleinen Kindern − medizinische Aspekte und ... Berufsgruppen im Spital •Statistik...
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Marie Meierhofer Institut für das KindFachtagung Gewalt an kleinen Kindern – erkennen − einschätzen − handeln
Gewalt an kleinen Kindern − medizinische Aspekte und Arbeit einer klinischen Kinderschutzgruppe
KD Dr. med. Ulrich Lipsehemaliger Leiter Kinderschutzgruppe und Opferberatungsstelle des Kinderspitals Zürich
Zürich, 15. Mai 2014
Inhaltsverzeichnis
• Fragen
• Häufigkeit
• Misshandlungsformen
• Risikofaktoren
• Die klinische Kinderschutzgruppe
Fragen
• Was sind «medizinische Aspekte»?
• Was sind «kleine Kinder»?
„Medizinische“ Formen von Kindsmisshandlung
• Körperliche Misshandlung
• Vernachlässigung
• Sexuelle Ausbeutung
• Münchhausen Stellvertreter-Syndrom
Formen von Misshandlung: Überschneidungen
Körperli-che Miss-handlung
Vernachlässigung
PsychischeMisshandlung
Münchhausen Stellvertreter-Syndrom
SexuelleAusbeu-tung
Fragen
• Was sind «medizinische Aspekte»?
• Was sind «kleine Kinder»?
Besonderheiten «kleiner» Kinder• Erhöhte Verletzbarkeit
• Physikalische Kraft• Temperatur• Flüssigkeit/Nahrung
• Absolute Abhängigkeit vom sozialen Umfeld
• Eingeschränktes Verständnis für Handlungen / Manipulationen
• Erinnerungsvermögen?
• Verbale Äusserungen nicht (immer) sicher zu deuten und/oder iuristisch nicht verwertbar/zugelassen
• Nicht unbedingt Fachpersonen im Umfeld
Kind + Ereignis + Tod=SchädigerIn
Grösse
Alter
körperl./seel. Gesundheit
Entwicklungsstand
einmalig
wiederholt
Gegenstand
Krafteinwirkung
Heilung
Anpassung
Narbe
Beziehung
Grösse/Kraft
Empathie
Handicap
körperlich
seelisch
oder
oder
Inhaltsverzeichnis
• Fragen
• Häufigkeit
• Misshandlungsformen
• Risikofaktoren
• Die klinische Kinderschutzgruppe
Häufigkeit der Misshandlung kleiner Kinder
• Unbekannt
• «noch unbekannter» als Kindsmisshandlung allgemein
Nationale Statistik Kindsmisshandlung 201218 Kinderkliniken, n= 1136
• 0 – 1 Jahr: 240 Kinder (21%)
• 0 – 6 Jahre: 522 Kinder (46%)
11
Altersverteilung der gemeldeten Kinder, Kinderschutzgruppe Kinderspital Zürich, 2003-2013
12
0
50
100
150
200
250
300
350
400
450
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013
0-12 Mte 1-3 Jahre 3-7 Jahre7-12 Jahre 12-16 Jahre > 16 Jahre
Verteilung der gemeldeten MisshandlungsformenKinderspital Zürich, 2013
4%
28.7%19.8%
12.9%
34.2%
körperliche Misshandlung sexueller Missbrauch
Vernachlässigung psychische Misshandlung
Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom Risiko
n=450
Inhaltsverzeichnis
• Fragen
• Häufigkeit
• Misshandlungsformen
• Risikofaktoren
• Die klinische Kinderschutzgruppe
Formen von Kindsmisshandlung
• Körperliche Misshandlung
• Vernachlässigung, nur körperlich?
• Sexuelle Ausbeutung
• Münchhausen Stellvertreter-Syndrom
• Psychische Misshandlung?
Körperliche Misshandlung
Breites Spektrum von Verletzungen/Symptomen
• Typisch: - Verschieden alte Verletzungen
- Ungewöhnliche Lokalisationen
- Hämatome bevor Fortbewegung möglich
- Knochenbrüche vor dem Stehen / Gehen
- Socken- und handschuhförmige
- Verbrühungen
→ Verletzungen und Krankheitssymptome, die durch den angegebenen Unfallmechanismus oder bekannte, nachweisbare Krankheiten nicht erklärbar sind.
Eskalation
• Schweregrad der (körperlichen) Misshandlung nimmt bei Säuglingen und Kleinkindern (ohne Intervention) zu
• Beispiel:
• Bluterguss
• Knochenbruch
• Schädelhirntrauma
Grundregeln Blutergüsse
• Ein Kind, das sich noch nicht fortbewegen kann (~ 5 Monate), zieht
sich ohne Fremdeinwirkung keine Hämatome zu.
• Unabhängig vom Alter sind Hämatome an anderen als den typischen
Anschlagestellen erklärungsbedürftig.
Blutergüsse in verschiedenen Lebensaltern
• 0 – ca. 5 Monate keine
• ca. 5 Monate bis ca. 3 Jahre Anschlagestellen
• Ab ca. 3 Jahren Anschlagestellen +
• Achtung: je aktiver, desto mehr Blutergüsse, motorische Fähigkeiten des Kindes beachten!
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Schütteltrauma
Schütteltrauma
• Voraussetzung: Individuum kann den Kopf nicht durch eigene Muskelkraft stabilisieren
• Deshalb: v.a. Säuglinge und kleine Kinder betroffen
• Fast immer durch überforderte/hilflose Betreuungspersonen verursacht
• Hauptauslöser: Schreien
Schreien
Schütteltrauma: Wie entsteht die Schädigung?
• Durch die Rotationsbewegung des Kopfes entstehen Scherkräfte
• Gehirn bewegt sich im Schädel hin und her
→ Bluterguss zwischen Gehirn und Schädel
• Gewebeschichten innerhalb des Gehirns verschieben sich
→ Blutungen innerhalb des Gehirns
• dasselbe im Auge
→ Blutung im Auge
Schütteltrauma: Folgen
• 25% der Kinder sterben unmittelbar nach dem Schütteltrauma (innert Tagen)
• Die überlebenden 75% der Kinder zeigen fast durchwegs leichtere oder schwerere Langzeit-folgen:• Neurologische Schädigungen wie Halbseitenlähmung
etc.
• Blindheit / Sehbehinderung
• Epilepsie
• Kognitive Einschränkungen
• Etc.
An Misshandlung verstorbene Kinder Kinderspital Zürich, 1996 – 2013 (=18 Jahre)
0
1
2
3
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
Anzahl Fälle
n=15
Alter der an Kindsmisshandlung verstorbenen Kinder, Kinderspital Zürich, 1996 – 2013 (=18 Jahre)
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
0 - 9 Mte > 9 Mte - 3 J > 3 - 7 J > 7 - 11 J
n=15
Anzahl Fälle
n=15Anzahl Fälle
> >
0123456789
10
0 - 9 Mte 9 Mte - 3 J 3 - 7 J 7 - 11 J
Schütteltrauma Schädelhirntrauma
körperliche Misshandlung Non Compliance
>
Alter und Diagnosen der an Kindsmiss-handlung verstorbenen Kinder, Kinder-spital Zürich, 1996 – 2013 (=18 Jahre)
Formen von Kindsmisshandlung
• Körperliche Misshandlung
• Vernachlässigung, nur körperlich?
• Sexuelle Ausbeutung
• Münchhausen Stellvertreter-Syndrom
• Psychische Misshandlung?
Vernachlässigung, nur körperlich
• Hygiene
• Medizinische Versorgung
• Ernährung• quantitativ
• qualitativ
Formen von Kindsmisshandlung
• Körperliche Misshandlung
• Vernachlässigung, nur körperlich?
• Sexuelle Ausbeutung
• Münchhausen Stellvertreter-Syndrom
• Psychische Misshandlung?
Sexuelle Ausbeutung - Definition
Der Begriff der sexuellen Ausbeutung bezeichnet den Einbezug von Kindern oder abhängigen Jugendlichen in sexuelle Handlungen
• zu denen sie kein wissentliches Einverständnis geben können, oder die sie aufgrund ihres Entwicklungsstandes nicht verstehen
• oder in sexuelle Handlungen, die soziale Tabus der Rollendefinitionen in der Familie verletzen.
Sexuelle Ausbeutung - Formen
Sexuelle Ausbeutung umfasst:
• Übergriffe im Internet
• Exhibitionismus, Voyeurismus
• Berührungen im Intimbereich
• das Verlangen, masturbiert oder gestreichelt zu werden
• anale, orale und vaginale Penetration
• Konfrontation mit Pornographie
• Einführung in die Prostitution
Sexuelle Ausbeutung - Formen
Sexuelle Ausbeutung umfasst:
• Übergriffe im Internet
• Exhibitionismus, Voyeurismus
• Berührungen im Intimbereich?
• das Verlangen, masturbiert oder gestreichelt zu werden
• anale, orale und vaginale Penetration
• Konfrontation mit Pornographie
• Einführung in die Prostitution
Hinweise auf sexuelle Ausbeutung allgemein
• Verhaltensveränderungen
• Aussagen
• Körperliche Befunde
• Nachweis von Fremd-DNA
Hinweise auf sexuelle Ausbeutung bei Säuglingen und Kleinkindern
• Verhaltensveränderungen?
• Aussagen?
• Körperliche Befunde?
• Nachweis von Fremd-DNA?
Sexuelle Ausbeutung: TäterInnen
Fremde 10 %
Sozialer Nahraum: 90 %
Bekannte, Verwandte
Sexuelle Ausbeutung: iuristische Beweisführung
• Somatische Beweise sind selten: 5-10 %
• Ohne Aussagen (Opfer, Zeugen) ist eine iuristischeBeweisführung schwierig.
Formen von Kindsmisshandlung
• Körperliche Misshandlung
• Vernachlässigung, nur körperlich?
• Sexuelle Ausbeutung
• Münchhausen Stellvertreter-Syndrom
• Psychische Misshandlung?
Münchhausen Stellvertreter-Syndrom
Eltern (meist Mütter), die sehr kooperativ und
bemüht wirken,
• erfinden Symptome, die ihr Kind haben soll
(Fieber, Krämpfe, Blutungen etc.)
• erzeugen Krankheiten (durch Intoxikation,
Kontamination von Infusionen, Strangulation etc.)
unnötige Untersuchungen, Behandlungen, Operationen des Kindes
Inhaltsverzeichnis
• Fragen
• Häufigkeit
• Misshandlungsformen
• Risikofaktoren
• Die klinische Kinderschutzgruppe
Risikofaktoren für Kindsmisshandlung
• Wirtschaftliche Belastungen
• Soziale Isolation / Minoritätenstatus
• Paarkonflikte
• Psychische Störungen / Drogenabhängigkeit
• Kranke und behinderte Kinder, Mehrlinge
• Schreibabys
Inhaltsverzeichnis
• Fragen
• Häufigkeit
• Misshandlungsformen
• Risikofaktoren
• Die klinische Kinderschutzgruppe
Die klinische Kinderschutzgruppe - Geschichte
• Modell 1962 in Denver CO entwickelt
• Erste Gruppe in der Schweiz 1969, Kispi Zürich
• Heute: die meisten Schweizer Kinderkliniken und –abteilungen haben eine KSG
• Zusammensetzung und Funktionsweise unterschiedlich
• Gruppen sind schweizweit vernetzt: «Fachgruppe Kinderschutz der schweizerischen Kinderkliniken»
Zusammensetzung einer klinischen Kinderschutzgruppe
• Kinderarzt und/oder Kinderchirurg
• SozialarbeiterIn
• Kinder- und Jugendpsychiater oder –psychologIn
• Kindergynäkologin
• PflegendeR
Aufgaben einer klinischen Kinderschutzgruppe
• Handling der Fälle
• Auskunft an Bezugs- und Fachpersonen
• Aus- und Weiterbildung der betroffenen Berufsgruppen im Spital
• Statistik
• Öffentlichkeitsarbeit
• Forschung
Verschiedene Arten der Fallarbeit
1. Stationäre Fälle
• Kinder sind im Spital
• entweder wegen einer misshandlungsbedingten Verletzung oder Krankheit
• oder wegen etwas Anderem und dem Betreuungsteam fällt eine Misshandlungssituation auf
• 2013: 73 Fälle
Verschiedene Arten der Fallarbeit
2. Ambulante Fälle
• Kinder kommen auf die Notfallstation oder die Poliklinik und gehen wieder nachhause (oder in eine Institution)
• zur Abklärung eines Misshandlungsverdachts
• oder wegen etwas Anderem und dem Betreuungsteam fällt eine Misshandlungs-situation auf
• 2013: 183 Fälle
Verschiedene Arten der Fallarbeit
3. Fremdberatungen
• Eine Bezugs- oder Fachperson ruft an (oder kommt vorbei) und fragt um Rat. Wir sehen das Kind nicht.
• 2013: 194 Fälle
Meldungen von Kindsmisshandlung1963-2013 (Kispi Zürich)
0
50
100
150
200
250
300
350
400
450
500
1963
-68
1969
-73
1974
-78
1979
-83
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
Nicht kategorisiert Sicher Verdacht Nicht bestätigt
12
34 31 34
10 15 ? ? 17
2640 55
78104
143
187
265
335 365 364 352
388
411
412
458
396
432
402
Anzahl Fälle
Bildung von regionalen
Kinderschutzgruppen
Beratungsstelle Opfer-
hilfegesetz ab 1.5.1994
Kinderschutzgruppe
neu konstituiert
1. Kinderschutz-
gruppe
455
419
487 484
4411
444450
Möglichkeiten einer klinischen KSG zum Schutz des Kindes
• Je jünger, desto dringlicher!
• „Einvernehmlich“
• Familiäre oder andere niederschwellige Ressourcen
• Gefährdenden Elternteil „entfernen“
• Hospitalisation des Kindes
• KESB: Gefährdungsmeldung
• Strafanzeige
Ziele des Kinderschutzes
• Schutz des Kindes
• Wiederherstellen eines sozialen Umfeldes, das dem Kindeswohl wieder förderlich ist (resp. es nicht mehr gefährdet)
Dilemma des Kinderschutzes
zu früh zu viel < > zu spät zu wenig
Freud A./Goldstein J./Solnit A.J.: Das Wohl des Kindes. Grenzenprofessionellen Handelns, Frankfurt 1988