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BE Gesellschaft tür Reaktorsicherheit (GRS) mbH GRS-Bericht STAND DER RISIKOUNTERSUCHUNGEN BEI KERNKRAFTVVERKEN 6. GRS-Fachgespräch Köln, 3.-4. November 1982 GRS-52

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BEGesellschaft türReaktorsicherheit (GRS) mbH

GRS-Bericht

STAND DERRISIKOUNTERSUCHUNGENBEI KERNKRAFTVVERKEN

6. GRS-FachgesprächKöln, 3.-4. November 1982

GRS-52

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Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) mbH

GRS-Bericht

STAND DERRISIKOUNTERSUCHUNGENBEI KERNKRAFTVVERKEN

6. GRS-FachgesprächKöln, 3.-4. November 1982

GRS-52 (Februar 1983)

Schwertnergasse 1 .5000 Köln 1 . TeL. (0221) 2068-0. Telex 8881807 grs d

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Herausgeber: Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) mbH, KölnRedaktion: B. Laue, GRS, Köln

Diese Beiträge wurden gleichzeitig in der Zeitschrift "Technische Mitteilungen" Heft 1 . 1983im Vulkan-Verlag Dr. W. classen Nachf. GmbH & Co. KG, Postfach 103962,4300 Essen 1, veröffentlicht.

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Inhaltsverzeichnis

Begrüßung (A. Birkhofer) Seite. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Vom Urknall bis zu schwarzen LöchernVortrag W. Priester . . . , , . , , , , . , , , . , . . . , . . . . . . 2

Einführung in das Fachgespräch (0. Kellermann) .,.....,..,... 8

überblick über Vorgehensweise und Ergebnisse der SNR-StudieVortrag K. Köberlein, H, Schäfer und H, Spindler , , , . . . . . , , , , , . . . . , " 10

Diskussion zum Vortrag K, Köberlein, H. Schäfer und H. Spindler . . . , , . , " 19

Spezielle Aspekte bei der Störfall- und Unfallanalyse des SNRVortrag A. Scharfe, P, Bogorinski und H. Schulz . , . , , , . , , . , , . , . , . . , " 21

Diskussion zum Vortrag A. Scharfe, P. Bogorinski und H. Schulz . , , , . , . , .. 28

Aktivitätsfreisetzung bei schweren Unfällen des SN RVortrag R, Martens, W, Müller und S. Jordan . . . . . , . , . . , , . , . , . . . , . .. 29

Diskussion zum Vortrag R, Martens, W. Müller und S. Jordan . , , , . , . , , , " 36

Die Expertenbefragung in der SNR-Studie und ihre probabilistischeAuswertungVortrag E, Hofer, H. Löffler, V, Javeri und D. Struwe , . . . , . , . . . . . . , , " 38

Diskussion zum Vortrag E, Hofer, H, Löffer, V. Javeri und D. Struwe ".." 56

Die Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der StrahlenexpositionVortrag E. Oberhausen ...,."..".,."..,.......,..,.,..... 57

Diskussi.on zum Vortrag E, Oberhausen. . . , , , . , . . , , , . . . . . . , , , , . , .. 60

Schwerpunkte und Arbeitsergebnisse der Deutschen Risikostudie, Phase BVortrag D, Hippe und F, W. Heuser .. , . . . . . . . , , , . , . . , . . . . . . , . , .. 61

Diskussion zum Vortrag D, Hippe und F, W. Heuser ...,......."",., 66

überlegungen zu Risikogrenzwerten (Safety Goals) von KernkraftwerkenVortrag P, A. Gottschalk und A. Jahns ., . . , , , , . , , . . , . , , , . . , . . , , .. 66

Diskussion zum Vortrag P. A. Gottschalk und A, Jahns , . . . , . , . , . . , . . ., 72

Zusammenfassung der Ergebnisse (L. F. Franzen) . . . , . . . , , , . . . . . . . . .. 73

Teilnehmerverzeichnis . , , . . , , , . . . . . . , , . . , . , . . . , . , . . . . . , . . , .. 77

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Stand derRisikountersuchungenbei Kernkraft""erken

BegrüßungVon A, Birkhofer 1)

Es ist erfreulich, daß das Fachgespräch auch in diesem Jahrauf großes I nteresse stößt, nicht nur in der Fachwelt, sondernvor allem auch bei Vertretern der Pol itik und der Presse, wiedie Teilnehme ri iste zeigt, Sicherl ich i iegt das auch daran,daß das Thema "Risikostudien", mit dem sich die Fachvor-träge befassen, die Öffentl ichkeit stärker berührt als vieleandere Fachthemen, Das ist eine gute Gelegenheit, einigeWorte über die Mögl ichkeiten und Grenzen solcher Studienzu sagen,

Risikostudien haben sich in der Reaktorsicherheitstechnik

zu einem wichtigen Handwerkszeug entwickelt. Sie geben dieMögl ichkeit - und darin i iegt ihr größter Nutzen -, die Aas-gewogenheit des Sicherheitskonzepts zu überprüfen und zuverbessern. Dabei zeigen sie häufig auch Wege, die materiel-len Mittel gezielter zu verwnden, Dies ist gerade in einerZeit knapper Finanzen von sehr großer Bedeutung,

An dieser Stelle sei ein Beispiel aus der SN R-R isikostudie

genannt, über die in diesem Heft berichtet wird. Aus dieserStudie läßt sich zum Beispiel der Schluß ziehen, daß das

Störfallrisiko durch die aktive Funktion der Bodenkühlein-richtung, den sogenannten "Core Catchet", nicht entschei-dend beeinflußt wird. Eine solche Feststellung könnte im

Konzeptstadium einer Anlage durchaus dazu veranlassen,auf kostspiel ige, aber für die Risikobegrenzung nicht wesent-liche Einrichtungen zu verzichten.

Daß Risikostudien kl are Grenzen haben, ist unbestritten.Diese Grenzen werden sich mit zunehmender Erfahrungweiter ziehen lassen. Es wird sich aber stets um technischeAnalysen handeln, die nicht ohne "ingenieurmäßige Be-urteilung" auskommen und die keinen Sicherheitsbeweisim strikt mathematischen Sinn i iefern können. Insofernuntersheiden sie sich nich t von anderen tech nischen Ana-

lysen,

"I ngenieurmä ßige Beurteilung" setzt Erfahrung und Fach-

kompetenz voraus, Es ist wohl kaum denkbar, daß jemandauf einem Gebiet berufl ich tätig ist, sich dort Fachkompe-

1) Professor Dr. phi!. Adolf Birkhofer ist Geschäftsführer der Ge-

sellschaft für Reaktorsicherheit (G RS) mbH,

tenz erwirbt, obwohl er es grundsätzlich ablehnt. Anderer-

seits sind die Fachgebiete heute viel zu sehr spezialisiert, alsdaß jeder Naturwissenschaftler und i ngenieur nach kurzerEinarbeitung auf fachfremdem Gebiet ein kompetentesUrteil abgeben könnte. Er wird sich zwar leichter tun, Zu-sammenhänge zu verstehen, als jemand ohne naturwissen-schafti ich-technische Vorbildung, Jeder selbstkritische Wis-senschaftler wird aber sehr vorsichtig sein mit Urteilen außer-halb seines eigenen Fachgebietes,

Auch wenn technisch-wissenschaftl iche Aussagen als Grund-lage für pol itische Entscheidungen heranzuziehen sind, kanndie - im Prinzip natürl ich notwendige - Kontrolle des Ex-

perten nicht nach pol itischen Maßstäben erfolgen. Sei bst-verständl ich müssen auch Wissenschaft und Technik der Ge-sellschaft Rede und Antwort stehen, Die Überprüfung derFachkompetenz, die auch die wesentl iche Voraussetzungfür Glaubwürdigkeit des Experten in den Augen der Öffent-lichkeit darstellt, kann aber nur durch die wissenschaftlicheGemeinschaft erfolgen. Hier sei auf die bewährte Traditionder Universitäten verwiesen.

Es ist wohl aussichtslos, die notwendige und grundsätzlich

auch akzeptierte Kontrolle zum Beispiel durch Parallelfor-schung anzustreben, bei der fachlich qualifizierten GruppenNaturwissenschaftler gegenübergestellt werden, die sichnicht auf dem betroffenen Gebiet qual ifiziert haben, sondernprimär wegen ihrer skeptischen Einstellung zu der zu beur-teilenden Technik beauftragt werden, Die an sich vernünfti-ge Absicht, durch eine breitere Abstützung technischer

Analysen deren Belastbarkeit für pol itische Bewertungenauch nach außen stärker zu demonstrieren, läßt sich auf dieseWeise kaum verwirkl ichen.

In diesem Zusammenhang sei Reimar Lüst, der Präsident derMax-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften,

zitiert. Bei einem Vortrag im Mai dieses Jahres hat sich Lüstdagegen gewandt, die wirkl ich kompetenten Wissenschaft-ler allzu leicht als Lobbyisten ihrer Sache abzuqual ifizieren

und ihnen sogenannte "kritische" Wissenschaftler gegenüber-

zustellen, sei es zur Unterstützung der eigenen pol itischenZiele oder als bloßes Alibi. Er fährt dann fort: "Daß über-

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haupt bei Anhörungen im pol itischen Raum Pol itiker undRegierungsbeamte da und dort fast offiziell die zwei Kate-gorien vom "Wissenschaftler" und vom "kritischen Wissen-schaftier" benutzen, geht über eine Stilfrage hinaus, Nichtnur, daß man damit der einen Gruppe eine kritische Hal~ngabspricht - in der Öffentl ichkeit mu.ß der Eindruck ent-

stehen, als könne man von Wissenschaftlern von vorne-herein nichts anderes als einseitige und interessengebundeneAussagen erwarten."

Es wäre eine fatale Entwicklung, wenn noch mehr, als diesheute schon geschieht, Fachkompetenz mit Befangenheitgleichgesetzt und mangelnde Erfahrung als Ausweis für Un-abhängigkeit betrachtet würde,

Die Rechtsprechung scheint besser als die Politik in der Lagezu sein, sich auch in tech nisch-naturwissenschaftl ichen

Fragen eine fundierte Meinung zu bilden, Gerichte setztensich besonders konzentriert mi t den Sachfragen und mitkontroversen Meinungen auseinander und erkennen dabeiauch, welche Aussagen auf Kompetenz beruhen, Daß diesin anderen Bereichen nicht imme r so ist, hat Herr M aier-Leibnitz erst kürzlich in einem sehr bemerkenswerten Artikelin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beklagt,

Es ist sehr ermutigend, daß der 10, Senat des Verwaltungs-

gerichtshofs Baden-Württemberg in seinem Wyhl-Urteil vomMärz dieses Jahres die Ergebnisse der "Deutschen Risiko-studie Kernkraftwerke" ausführl ich und positiv gewürdigthat und sie in seiner Urteilsbildung einbezieht, Bemerkens-

wert ist, daß nach Auffassung des Senats nicht SQ sehr die

Zahlen der Einzeluntersuchungen, sondern die Größen-ordnung der störfallbedingten Risiken und der Vergleich mitanderen Risiken von Bedeutung sind,

Es sei noch ein Wort gesagt zum mögl ichen Einfluß von Risi-kostudien auf die öffentliche Meinung, Es spricht vieles da-für, daß durch Risikostudien die Einstellung der Öffentl ich-keit zur Kernenergie nicht entscheidend beeinflußt wird.

Dies hat einmal damit zu tun, daß für Ablehnung oder Be-fürwortung der Kernenergie überwiegend nicht die Frage

der Sicherheit ausschlaggebend ist. Zudem rufen die Studienins Bewu ßtsein, daß Katastrophen nicht völl ig auszuschl ießen

sind, Die Studien zeigen zwar, daß die Wahrscheinlichkeit für

Schäden äußerst gering ist. Die Bedeutung geringer Wahr-&:heinlichkeiten läßt sich jedoch nur sehr schwer vermitteln,

Gerade wenn man sich - wie bei diesem Fachgespräch - sehrausgiebig mit Risiken der Kerntechnik beschäftigt, ist auchdarauf hinzuweisen, daß sich eine umfassendere Technolo-

giebewertung nicht darauf beschränken darf, die potentiellnegativen Folgen der Technik zu untersuchen, Über den

Risiken darf der Nutzen nicht vergessen werden, DieserAspekt kommt heute oft zu kurz, Man könnte manchmalfast meinen, Technik würde als Selbstzweck veranstaltet undtechnische Risiken seien daher grundsätzl ich unakzeptabel.In Wirklichkeit muß es darum gehen, die durch die Naturge-gebenen und die durch die Zivil isation geschaffenen Risikeninsgesamt so gering wie möglich zu halten. Niemand wirdernsthaft bestreiten können, daß Wissenschaft und Technikganz entscheidend dazu beigetragen haben, Gefahren und

Risiken für Mensch und Umwelt zu verringern,

Was die öffentl iche Meinung zur Kernenergie angeht, so istein zuverlässiger Betrieb der laufenden Kernkraftwerke maß-gebl icher als der rech nerische Nachweis einer noch so hohenS icherh eit,

Auch aus diesem Grund zeigt sich eine wichtige Aufgabeder Sicherheitsforschung darin, Betriebserfahrungen im H in-bl ick auf eine Verbesserung der betriebl ichen Zuverlässig-keit auszuwerten, Das bedeutet auch, daß man sich nochstärker um die Vermeidung und Beherrschung betrieblicherStörungen bemüht. Eine Erhöhung der betriebl ichen Zuver-lässigkeit in der heutigen Situation hat mehr Gewicht als dieUntersuchung von Unfällen mit extrem geringer Wahrschein-lichkeit,

Es folgt ein Beitrag über ein - vor allem auch zeitl ich - sehrweitgespanntes Thema: "Vom Urknall bis zu schwarzenLöchern - Entwicklung im Weltall", Vielleicht hilft uns dieBeschäftigung mit der Geschichte des Kosmos auch, unsere

tägl ichen Probleme und Sorgen etwas entspannter zu sehen.

Für diesen Beitrag konnte erfreul icherweise Professor Dr.Priester vom Institut für Astrophysik und ExtraterrestrischeForschung der Universität Bonn gewonnen werden.

Vom Urknall bis zu schwarzen LöchernVon W. Priester1)

Einleitung

Das Thema "Entwicklung im Weltall - Vom Urknall bis zuSchwarzen Löchern" ist für eine systematische Darstellungan dieser Stelle zu umfangreich, Deshalb muß sich dieserBeitrag auf Teilaspekte beschränken, Aus aktuellem Anlaßliegt das Schwergewicht dieses Vortrages auf einem Gebiet,bei dem es in allerjüngster Zeit wesentliche Fortschrittegegeben hat: Die Frage nach dem Verbleib der Antimaterieinden ersten 100 s nach dem Schöpfungsakt,

Die dramatische Entwicklung der Hochenergie-Physik inden letzten Jahren hat in der Kosmologie zu entscheidenden

1) Prof, Dr. Wolfgang Priester, Institut für Astrophysik und Extra-'terrestrische Forschung der Universität Bonn

2

Fortschritten geführt. Das gilt besonders für die Frühphaseunseres Weltalls, den Urknall, den gigantischen Feuerball,

in dem eine extrem heiße Strahlung über die sich bildendeMaterie dominierte,

Wir haben signifikante astronomische Beobachtungen dafür,daß sich unser Kosmos vor etwa 10 bis 20 Milliarden Jahrenaus einem extrem dichten und extrem heißen Zustand miteiner gewaltigen Explosion entwickelt hat.

In diesem Urblitz hat sich in geradezu unbegreiflich schneller

Folge die heutige Materie des Weltalls gebildet, die Materie,aus der die Sterne und die Galaxien bestehen, aber auch die

Materie, aus der letztlich die Planeten entstanden sind undunsere Erde mit ihren Pflanzen, Tieren und Menschen. Die

Elementarteilchen, aus denen die Atome in unserem Körper

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bestehen, sind nach unseren heutigen Vorstellungen in derUrknall phase des Weltalls entstanden. An dieser Erkenntniskommen wir heute nicht mehr vorbei.

Die Elementarteilchen sind in diesem Zusammenhang dieBaryonen, also im wesentlichen die Protonen und die Neu-

tronen, die wir zusammenfassend als Nukleonen bezeichnen,und die Leptonen, also die Elektronen und Neutrinos, Sie

sind aus dem Feuerball des Urknalls ausgefroren, als dieTemperatur innerhalb der ersten 100 s von vielen BillionenGrad auf unter eine Milliarde Grad absackte.Das ganze Weltall hatte zu diesem Zeitpunkt einen Radius

von nur etwa 10 Lichtjahren2),

Die Frage nach dem Anfang unserer Welt hat die Menschenschon beschäftigt, als sie anfingen, über den Sinn dieser Weltnachzudenken.

In allen großen Religionen taucht der SchÖpfungsgedanke

auf, Die Welt wird erschaffen aus dem Nichts oder aus einemchaotischen Urzustand, einem Tohuwabohu (wüšt und wirr),Auch in den großen Mythen, wie etwa in der jüngeren Edda,beginnt die Welt aus dem Nichts "Da war nicht Erde unten,noch Himmel oben".Ein genaueres Eingehen auf den Schöpfungsgedanken findenwir im Evangelium des Johannes (1,1-3), wo es im griechi-schen Urtext heißt:~ ),... (. iE\! apxri Tl\! 0 Àoyoç "lmAnfangwarderLogos".

Die bei uns übliche Übersetzung des Begriffes Logos mit

"Wort": "Im Anfang war das Wort", muß man als unzu-reichend empfinden, Sie wird der offensichtlich viel tieferliegenden Bedeutung des Logos nicht gerecht. Auch Goethehat schon im Faust sein Unbefriedigtsein mit der üblichenÜbersetzung zum Ausdruck gebracht:

"Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muß esanders übersetzen". Er versucht dann als Übersetzungen:

"Sinn", "Kraft" und "Tat",

Es scheint, daß alle diese Ausdrücke im "Logos" des Evan-gelisten enthalten sind. In unserer heutigen Sprache müßteman den Logos gleichermaßen mit "Schöpfungsgedanke","Schöpfungsplan" und "Schöpfungsakt" übersetzen.

Die wichtigsten Beobachtungsbefunde

Bevor auf das kosmologische Problem des Urknalls nähereingegangen wird, sollen die drei wichtigsten Beobachtungs-befunde näher erläutert werden:

Die Expansion des Kosmos, Die generelle "Flucht der Spiral-nebel" wurde schon vor über 50 Jahren entedeckt durch dieRotverschiebung in den Spektren der Galaxien.

Die 3-K-Hintergrundstrahlung vom Firmament. Wir verstehensie als die Reststrahlung des Feuerballs im UrknalL. Sie wurde1965 von Arno Penzias und Robert Wilson bei einer Wellen-länge von 7,5 cm entdeckt. 1978 gab es für diese fundamen-tale Entdeckung den Nobelpreis.

Die heutige mittlere Materiedichte im Kosmos. Man erhältsie, wenn man die Materie der Sterne und des interstellarenGases, also die Materie aller Galaxien gleichmäßig über dasheutige Volumen des Kosmos "verschmiert". Wie groß istder Beitrag der unsichtbaren Materie zur mittleren Dichte?

Dazu gehören Moleküle oder die außerordentlich zahlreichenNeutrinos sofern sie eine von Null verschiedene Ruhemassebesitzen sollten, Das kann aber auch Materie sein in solitärenSchwarzen Löchern oder in solitären Neutronensternen, dieman nicht beobachten kann.Der weit überwiegende Anteil der sichtbaren Materie befin-det sich heutzutage in den Sternen. Nur einige Prozent der

2) 1 Lichtjahr'" 9,46 . 1012 km

Materie befindet sich in Gaswolken oder Gas-Staub-Wolken,aus denen sich auch heute noch neue Sterne bilden können.

Ein typisches Beispiel ist der bekannte Große Orion-Nebel.Er besitzt einen Radius von 10 Lichtjahren, Dieses Beispiel

wurde gewählt, weil es zugleich die ungefähre Ausdehnungdes ganzen Kosmos ist, als im Urknall die Elementarteilchen"ausfroren". Wir kommen nachher darauf zurück.

Obwohl es im Orion-Nebel Gebiete mit hoher Gasdichtegibt, ist die mittlere Dichte nur etwa sechs Wasserstoffatomepro Kubikzentimeter bzw. 10-23 g/cm3 (vgl. hierzu lockeresirdisches Gestein mit 1,6 g/cm3 bzw, 1024 Nukleonen procm3).

Wenn man die gesamte Materie, die in den Galaxien inSternen und im interstellaren Raum vorhanden ist, gleich-mäßig über den Kosmos verteilt, erhält man eine heutigemittlere Dichte von nur etwa 10-30 g/cm3 bzw. 6 ' 10-7Nukleonen pro cm3, Diese Dichte ist jedoch die entscheidén-de Größe, die das Gravitationspotential des Weltalls bestimmtund damit zugleich den weiteren Verlauf der Expanision desKosmos in die Zukunft hinein.Schauen wir zurück in die Vergangenheit, so führt uns dieserheutige Wert der mittleren Materiedichte auf eine extrem

hohe Dichte vor etwa 10 bis 20 Milliarden Jahren, auf dieUrknallphase.

Um auf diesen Wert für den Zeitpunkt des Urknalls zukommen, brauchen wir allerdings noch die Messungen überdie Expansionsgeschwindigkeit des Kosmos,

Die Expansion des Kosmos macht sich in der Flucht derGalaxien und der Quasare bemerkbar. Man kann sie messendurch die Rotverschiebung der Spektrallinien in der Licht-strahlung dieser Objekte, Der amerikanische AstronomEdwin Hubble hat die systematische Rotverschiebung imJahre 1929 entdeckt. Der mit den heutigen Teleskopenbeobachtbare Bereich des Weltalls enthält viele MilliardenGalaxien, Jede dieser Galaxien wiederum besteht aus bis zu100 Milliarden Fixsternen.

Alle Galaxien treiben fluchtartig von einer fort mit Ge-

schwindigkeiten, die um so größer sind je weiter sie von-einander entfernt sind, Die größte vor kurzem gemessene

Fluchtgeschwindigkeit beträgt 275 000 km/so

Die größten Rotverschiebungen findet man bei Quasaren,die man noch aus Entfernungen von 10 Milliarden Licht-jahren beobachten kann, weil sie so extrem hell sind. Wirvermuten heute, daß Quasare im Schwerkraftstrudel in denZentren von großen Galaxien entstehen können, Quasarekönnen die Helligkeit einer großen Galaxie um das bis zutausendfache übertreffen.Nachdem der Rekord der Rotversch iebungen seit demJahre 1973 von dem Quasar OQ 172 gehalten wurde miteiner Rotverschiebung von 3,53 entsprechend einerFluchtgeschwindigkeit von 91 % der Lichtgeschwindigkeit(272 000 km/s, bezogen auf einen Raum mit euklidischer Me-trik), gelang es 1982 (Astrophysical Journal vom 15. Septem-ber 1982) einer Astronomengruppe in Australien am Randedes Sternbildes Sagittarius einen Quasar zu finden mit einerRotverschiebung von 3,78 entsprechend 0,92 c (275000 km/s).Er trägt die Bezeichnung PKS 2000-330. Seine gegenwärtigeEntfernung können wir zu rund 10 Milliarden Lichtjahrenangeben (Bild 1).

Genau wie die Materie sich im expandierenden Weltall aus-gebreitet und damit verdünnt hat, muß sich auch die Strah-lung des Feuerballs mit der Expansion des Raumes ausge-

breitet haben. Die mögliche Existenz einer heute noch zu

beobachtenden Reststrahlung des Urblitzes hatte bereits1948 der aus Rußland stammende amerikanische PhysikerGeorge Gamov postuliert. Er hatte abgeschätzt, daß die

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LoL

I PKS 2000 - 330

t~~.£

4000À --

Bild 1: Spektrum des Quasars PKS 2000-330 mit der größten ge-messenen Rotverschiebung. Die Laborwellenlänge der Wasser-stofflinie Lyman alpha ist 121,6 iim (1216 A), die der Koh-lenstofflinie CLV ist 154,9 (1549 A)

heutige Temperatur des Strahlungskosmos im Bereich von3 bis 10 K liegen sollte. Leider hatte damals diese Voraussagekeine Beachtung durch die Radioastronomen gefunden.Allerdings gab es in den fünfziger Jahren auch noch nichtdie empfangstechnischen Voraussetzunqen für ihren Nach-

weis, Erforderlich waren hochempfindliche Empfänger im

cm-Wellenbereich mit möglichst geringem Eigenrauschen.

So kam es erst 1965 zur Zufallsentdeckung der Rest- oderHintergrundstrahlung, als Arno Penzias und Robert Wilson(Bell Telephone Laboratories) bei der Untersuchung desRauschuntergrunds ihrer großen Hornantenne für Kommu-nikations-Satelliten vom Echo-Typ auf einen isotropenkosmischen Strahlunganteil stießen, der einer Temperaturdes Kosmos von 3 K entsprach,

In den folgenden Jahren ergab sich auch im mm-Wellen-bereich der entsprechende Befund, Das Spektrum entsprichteiner Planckschen Strahlungskurve für 3 K. Darüber hinaus

war die hohe Isotropie der Strahlung ein weiterer wesent-licher Punkt in der Beweiskette, daß es sich um die Rest-strahlung des Urknalls handeln muß (Bild 2).

V-10 100 GHz 1000

10-16

i 10'

W

m2ster Hz

10-2

.iïiici..-...

10 1-Ì\ 0,1 cm 0,01100

Bild 2: Spektrum der 3-K-Strahlung

4

Die Reststrahlung dominiert das Spektrum im Bereich derZentimeter- und Millimeter-Wellenlängen, während die Syn-chrotronstrahlung aus unserer Galaxis im Meterwellenbe-

reich überwiegt. Die Intensität der Strahlung wird in W/m2Antennenfläche, pro Hz Bandbreite und pro Raumwinkel 1

gemessen (rechte Ordinate). Die linke Ordinate gibt die In-tensität in relativen Einheiten, bezogen auf das Maximumder Planckkurve = 100.

Die heutige Energiedichte der Strahlung ergibt sich zu0,4 eV /cm3, Das entspricht einem Masse-Äquivalent von10-33 g/cm3, Dieser heutige Wert ist also tausendmal kleinerals die mittlere Materiedichte, die wir vorn zu 10-30 g/cm3gefunden hatten.Dies war aber nicht immer so, weil sich das Verhältnis derDichte mit der Expansion des Kosmos verändert. Der Grund

liegt darin, daß sich die Materiedichte volumenproportionalverändert, also mit R-3 variiert.Für die Strahlung kommt noch hinzu, daß die Energie derPhotonen durch die Rotverschiebung mit dem 'Weltradius'abnimmt. Daher variiert die Energiedichte der Strahlung mitR-4. Die mittlere Energie der Photonen der Reststrahlung

ist heute nur noch etwa 10-3 eV. Jeder Kubikzentimeter

enthält heute noch etwa 400 Photonen aus dem Urblitz.Betrachtet man das Schicksal der Photonen in der Hinter-grundstrahlung und das Schicksal der Baryonen (Nukleonen)näher, so ergibt sich, daß ihr Zahlenverhältnis

6.10-7 1~- 8400 7. 1q

praktisch seit dem Ausfrieren der Baryonen konstant ge-blieben sein muß. Eine vollständige Kosmologie des Urknalls

muß auch eine Erklärung für dieses Zahlenverhältnis vonetwa 1 : 109 liefern.

t

Weltmodelle

Wenn man das zeitliche Verhalten der Zustandsgrößen desKosmos anhand der Einsteinschen Feldgleichungen und mitden Randbedingungen der vorstehenden Beobachtungsfundeuntersucht (für eine homogene, isotrope Massenverteilung

und ohne "künstliche" Zulassung einer von Null verschie-denen kosmologischen Konstante), erhält man für den Skalen-faktor R(t (Weltradius) und für die Dichte p(t) charakteristi-sche Zeitabhängigkeiten, die wir als Weltmodelle bezeichnen,

Als Skalenfaktor R(t) wollen wir die Entfernung zum Quasar"PKS 2000" als "anschauliche" Größe nehmen. Ihrenheutigen Wert wollen wir als Ro bezeichnen, e'nt~prechend

etwa 10 Milliarden Lichtjahren (Bild 3).

Der Verlauf der Expansion kann in der Zukunft unter stetsweiterer Verdünnung der mittleren Materiedichte fortschrei-ten. Allerdings ist auch der Fall möglich, daß die Expansionin ferner Zukunft zum Stillstand kommt und in Kontrak-tion umschlägt. Welcher Fall in der Natur realisiert ist, hängtvon der rücktreibenden Kraft der Gravitation der Materieab, also von der mittleren Materiedichte, Ihr Wert ist - vor

allem auch v!egen der unsichtbaren Materie - nicht genau

genug bekannt, um eine Entscheidung zwischen den verschie-denen Verlaufsformen der Expansion treffen zu können (Pa-rameter ao), Die vorliegenden Messungen favorisieren den

Bereich 0 ~ ao ~ 0,5 mit ständig fortdauernder Expansion

des Kosmos, Für Parameterwerte ao ? 0,5 kehrt die Expan-sion später in Kontraktion um.Verfolgen wir die Expansion rückwärts in der Zeit, nähertsich der Skalenfaktor R dem Wert 0 zu einem Zeitpunkt, deretwa 10 bis 20 Milliarden Jahre zurückliegt, Zugleich ergibtsich daraus, daß sich damals der Kosmos in einem überdich-ten Zustand befunden haben muß.

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Der Verlauf der Materiedichte und der Energiedichte der

Strahlung (ausgedrückt in "Äquivalentmasse") ist in Bild 4dargestellt als Funktion des Skalenfaktors R. Er ist hier inEinheiten des heutigen Wertes Ra gegeben, den wir derAnschaulichkeit halber mit dem jetzigen Abstand des Quasars"PKS 2000" identifiziert haben,Die zugehörige Strahlungstemperatur Ts des Kosmos istgleichfalls in der Abszisse angegeben. Die ungefähre Zeit-skala (in Sekunden) findet ma n in der oberen Abszisse.

Die Paar-Vernichtung der Protonen und Antiprotonen setztein, wenn die Temperatur unter 1013 K abgesunken ist, diePaar-Vernichtung der Elektronen und Positronen bei Tempe-raturen um 1010 K,Ausgehend von den heutigen Werten für die Materiedichte(PMO = 10-30 g/cm3) und die Strahlungsenergiedichte(Psa = 10-33 g/cm3) rechts unten in der Abbildung, könnenwir den Materiedichte-Verlauf (fette Kurve) und den Verlauf

der Strahlungsenergie-Dichte (dünne Linie) in die Vergangen-heit zurückverfolgen. Das führt auf den ganz fr.ühen Zústand,

bei dem die mittlere Energie der Photonen weit oberhalb des

GeV-Bereiches lag. Dadurch waren sie in der Lage Elementar-teilchen zu erzeugen (zum Beispiel Protonen-Anti protonen-Paare). In diesem Zustand waren die Energiedichten der Strah-lung und der Materie im thermischen Gleichgewicht.

In dieser Frühphase müssen alle Sorten von Elementarteilchenentstanden sein, die wir aus unseren Hochenergielaboratorienkennen und möglicherweise noch weitere, die wir bis heutenoch nicht künstlich erzeugen können. Die allermeisten dieserElementarpartikel zerfallen ungeheuer schnell wieder. Des-

halb brauchen wir uns hiElr nur um die zu kümmern, die zumSchluß als stabile Teilchen übriggeblieben sind. Das sind inerster Linie die Nukleonen, die Protonen und die Neutronenin den Atomkernen, Aus Protonen und Neutronen besteht99,95 % der Masse der Atome im gesamten WeltalL.

Neutronen sind allerdings nur im Verband eines AtomkernsstabiL. Ein freies Neutron zerfällt spontan nach 10 Minuten.Es wandelt sich um in ein Proton, ein Elektron und ein Anti-Neutrino auf Grund der sogenannten schwachen Wechsel-wirkung. Befindet sich ein Neutron im Verband eines Atom-kerns, kann es nicht leichthin zerfallen, Die atomaren Kern-kräfte - die Bindungskräfte der starken Wechselwirkung -

verhindern den ZerfalL.

In der Frühphase des Urknalls, im Feuerball des Urblitzes,gab es noch keine Atomkerne. Wir müssen daher die Ent-wicklung der Elementarteilchen studieren,Das Proton ist das einzige stabile Teilchen aus der Klasse derBaryonen. Die Lebensdauer des Protons ist unendlich groß.So haben wir es aus unseren Physik-Lehrbüchern gelernt,Aber wie sicher ist diese Aussage?Im Jahre 1967 hat der russische Physiker (und Friedens-Nobelpreisträger (1975)) Andrei Sacharow erstmals ernsthaftdie Möglichkeit einer nicht-unendlich großen Lebensdauer

für das Proton prognostiziert. Diese Prognose hat in aller-letzter Zeit im Rahmen der neuen "Einheitlichen Feld-theorien" eine besonders aktuelle Bedeutung gewonnen,Natürlich ist die Lebensdauer des Protons in jedem Falleungeheuer groß.

Die ersten, noch ganz provisorischen Messungen finden eine

Proton lebensdauer von über 1030 Jahren, eine riesig großeZeit, in Übereinstimmung mit den Vorhersagen der neuenTheorien.

Wie auch immer die kommenden Experimente der Hoch-energie-Physiker ausgehen werden, ob sich die nicht-unend-liche Lebensdauer des Protons bestätigt oder nicht, injedem Falle stehen uns aufregende Fortschritte in unsererNatur-Erkenntnis bevor. Auch für die Kosmologie des Ur-blitzes sind die neuen Entwicklungen der Elementarteilchen-Physik von entscheidender Bedeutung.

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Bild 3: Verlauf des Skalenfaktors R (t) in Vergangenheit und Zukunft

Der Urblitz: Wo blieb die Antimaterie?

Die Frühphase des Urknalls wurde als Urblitz bezeichnet,Er soli den Zeitraum bezeichnen, bei dem die Energie der

Photonen noch groß genug war, um Protonen-Antiprotonen-Paare zu erzeugen (bei Temperaturen oberhalb 1013 Kundeinem 'Weltradius' von weniger als 1/100 Lichtjahr) und umElektronen-Positronen-Paare zu erzeugen (bei Temperaturenoberhalb von etwa 1010 K und einem 'Weltradius' von etwa10 Lichtjahren (s, Bild 4)).

Bei allen physikalischen Elementarprozessen, bei denen

Energie in Materie umgewandelt wird, entsteht stets Materieund Antimaterie zu genau gleichen Teilen. Wenn zum Bei-spiel in unseren großen physikalischen Laboratorien, in dengroßen Teilchenbeschleunigern ein sehr schnelles Protonauf ein anderes Proton trifft, kann ein Teil seiner kinetischenEnergie umgewandelt werden in Materie. Es entstehen zu-sätzlich zwei neue Teilchen, nämlich zum Beispiel ein Pro-ton und ein Antiproton.

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Bild 4: Verlauf der Dichte der Materie und der Strahlung vom Ur-knall bis heute als Funktion des Skalenfaktors R(t)

5

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Ein Proton, der Kern eines Wasserstoffatoms, kann nur dann

neu entstehen, wenn gleichzeitig ein Antiproton erzeugt wird.

Ein Antiproton besitzt eine negative elektrische Ladung imGegensatz zum Proton, das eine positive elektrische Ladunghat, Ansonsten sind Protonen und Antiprotonen völliggleich, Sie haben die gleiche Masse und den gleichen Radius.

Warum aber gibt es im beobachtbaren Weltall keine Anti-protonen, keine Antimaterie überhaupt? Diese Feststellunggilt mit Sicherheit zumindest für den uns durch astronomi-sche Beobachtung näher zugänglichen Bereich unseres Stern-systems und für den Raum der großen Nachbargalaxien.

Von den wenigen Antiprotonen, die heutzutage noch sekun-där im Weltall entstehen, können wir hier absehen. Sie ent-stehen gelegentlich, wenn energiereiche Teilchen der kos-mischen Strahlung auf die gleiche Weise wie in unseren

Laboratorien mit dem interstellaren Gas kollidieren, Diesesekundären Antiprotonen zerstrahlen sowieso nach relativkurzer Zeit durch Stöße mit anderen Protonen.Wo aber ist die gesamte Antimaterie geblieben, die nachunserer heutigen Kenntnis in der ganz frühen Anfangsphase

des Universums entstanden sein muß? Es sollte ja genausoviel Antimaterie wie Materie entstanden sein!Wenn andererseits ein Proton und ein Antiproton einandernahekommen, zerstrahlen sie in Gamma-Blitze. Übrig bleibtletztlich dann nur Strahlung in einem materielosen Kosmos.Offensichtlich ist uns diese letzte Konsequenz erspart ge-

blieben. Sonst gäbe es keine Sonne, Mond und Sterne unduns selbst erst recht nicht,

Die Frage nach dem Verbleib der Antimaterie ist von fun-damentaler Bedeutung für die heutige Kosmologie, Seiteiniger Zeit zeichnet sich die Möglichkeit ab, daß wir diese

Frage - vielleicht bald endgültig - beantworten können.Im Prinzip könnte man zwei Möglichkeiten diskutieren:

Erste Möglichkeit: Wir gehen davon aus, daß genau so vieleAntiprotonen entstanden sind wie Protonen, Durch einenrätselhaften, noch zu postulierenden Mechanismus kam eszur großräumigen Trennung der Protonen und Antiprotonen.Danach wären zwei weit voneinander getrennte Weltenentstanden, In der einen besteht die Materie aus Protonen

und Elektronen, in der anderen Welt aus Antiprotonen und

Positronen, In bei den Welten wären Sterne und Galaxienentstanden, Aus ihren Spektren könnte man nicht ent-scheiden, ob sie aus Materie oder Antimaterie bestehen.

Obwohl diese Möglichkeit noch gelegentlich diskutiert wird,ist sie doch weitgehend aufgegeben worden. Man sieht keineMöglichkeit, den rätselhaften Trennungsmechanismus zuverstehen, der Materie von Antimaterie großräumig trennenkann. Alle Versuche, einen solchen Mechanismus zu finden,sind letztlich fehlgeschlagen,

Zweite Möglichkeit: Wiederum gehen wir davon aus, daßMaterie und Antimaterie im Urblitz in großen Mengen mitgleicher Häufigkeit entstanden sind. Immer, wenn ein Materie-teilchen einem Antimaterieteilchen nahe kam, haben siesich durch Zerstrahlung vernichtet.

Die Phase des Urblitzes war eine Orgie des paarweisen Selbst-mordes der Teilchen und Antiteilchen. Solange die Tempe-ratur im Urblitz noch oberhalb von 1013 K lag, war das nichtweiter schlimm, weil sich aus der energiereichen Strahlung

sofort wieder ein neues Paar von Proton und Antiprotonbildete, wenn immer eines durch Zerstrahlung endete. Selbst-mord und Neuentstehung waren im thermodynamischenGleichgewicht.

Als aber mit der Expansion des Raumes die Temperatur un-ter die kritische Grenze von 1013 K sank, hörte die Neuent-stehung auf, aber die Selbstmordorgie der Zerstrahlung blieb,Was aber hat die materielle Welt vor dem völligen Zerstrah-

6

lungstod bewahrt? Offensichtlich ist die normale Materieübriggeblieben, aus der die Sterne und Galaxien und wir selbstbestehen.

Albert Einstein hatte schon vor dreißig Jahren eine mehrscherzhafte Antwort parat, die aber in die richtige Richtungzielte. (Diese Intuition ist es ja, die den genialen Wissen-

schaftler ausmacht.) Einstein pflegte auf die Frage nach demVerbleib der Antimaterie zu antworten: "Das Elektron unddas Proton haben gewonnen". Das heißt, das Antiproton unddas zugehörige Positron haben verloren.

Natürlich ist diese Antwort unbefriedigend, solange nicht

beantwortet ist, warum und wie das Proton gewonnen hat.Der Schlüssel zu der Frage, wo die Antimaterie geblieben istund warum das Proton überlebt hat, warum unsere heutigeMateriewelt existiert, liegt in den Fortschritten der Elemen-tarteilchen-Physik, in den neuen "Einheitlichen Feldtheo-rien".Diese neuen Theorien versuchen, die innersten Strukturender Elementarteilchen aufzuklären und die verschiedenen

Arten der Wechselwirkungskräfte in einer gemeinsameneinheitlichen Theorie zu vereinigen. Sie versuchen eine

Brücke zu schlagen von der elektromagnetischen Wechsel-

wirkung zwischen den Atomen, die zur Aussendung von"Licht" also von Photonen führt, bis hin zur starken Wech-selwirkung im Atomkern bzw, bis zu der extrem starkenWechselwirkung zwischen den Quarks, aus denen die Pro-tonen und die Neutronen aufgebaut sind.

Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, daß Protonen

und Neutronen gar keine Elementarteilchen sind im engerenSinne des Wortes. Sie sind aus noch kleineren Teilchen zu-sammengesetzt, die den Namen Quarks erhalten haben.Jedes Proton und jedes Neutron besteht aus drei Quarks,zwischen denen eine sehr feste Bindung besteht.

Die starken Kräfte, die die Atomkerne zusammenhalten,sind nach neuesten Erkenntnissen sozusagen nur ein Neben-

produkt der extrem starken Bindungskräfte zwischen den

Quarks,

Die neuen, heute heftig diskutierten Theorien versuchen

alle, die "große Vereinigung" zwischen den verschiedenenWechselwirkungskräften herzustellen, Sie werden unter-schieden nach bestimmten Symmetrieeigenschaften derNatur. Eine der einfachsten ist die SU(5) Theorie von HowardGeorgi und Sheldon G lashow (Nobel preis 1979),

Die SU(5) Theorie erfordert die Existenz eines neuen, ganzexotischen Teilchens, Es wurde X-Boson genannt. Es mußeine für (Binde-) Elementarteilchen unerhört große Energie

von 1024 eV besitzen. Seine wichtigste Eigenschaft ist, daßes die Umwandlung von Quarks in Elektronen und vonQuarks in Antiquarks vermitteln kann.

Werner Heisenberg (gestorben 1976) war bis zu seinem Todedavon überzeugt, daß es keine freien Quarks geben könnte.Hier könnte er recht behalten, wenn es den Quarks verwehrtbleibt aus der sogenannten "Confinement"-Hülle des Protonsals freie Partikel austreten zu können.

Das Austreten von Partikeln aus der Protonen hülle kann abervorkommen beim Zerfall des Protons, wenn im Innern d~sProtons zwei u-Quarks zusammenstoßen und sich in ein X-Boson verwandeln. Dieses zerfällt normalerweise sofortwieder in 2 u-Quarks, und alles bleibt beim alten innerhalb derProtonenhülle (Bild 5),

Aber in ganz seltenen Fällen kann das X-Boson in ein Posi-tron und ein Anti-d-Quark zerfallen, Dann zerfällt auch dasProton. Das Positron wird frei. Das Anti-d-Quark vereinigt

sich mit dem d-Quark des Protons und bildet ein 7To-Meson,

das seinerseits sehr schnell in zwei y-Strahlen zerfällt,

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Bei diesem Prozeß hatten sich über die Zwischenstufe desX-Bosons zwei schwere u-Quarks in ein Positron (also einleichtes Teilchen) und ein Anti-d-Quark verwandelt. Analogkann ein Antiproton zerfallen. Es enthält zwei Anti-u-Quarks und ein Anti-d-Quark. Hier können sich die beidenschweren Anti-u-Quarks über ein X-Boson in ein Elektron(also wiederum ein leichtes Teilchen) und in ein d-Quark ver-wandeln. Zerfallsprodukte des Anti-Proton sind ein Elektronund zwei r-Strahlen, Letztere entstehen genau wie beimZerfall des "normalen" Protons aus der Zerstrahlung der

Kombination von d-Quark und Anti-d-Quark,

Es ist das X-Boson und sein zugehöriges Anti-X-Boson, das

die Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie störenkann. Ein Effekt, dem wir die Existenz unserer Welt und

unsere eigene Existenz verdanken. Die Zukunft wird zeigen

müssen, ob sich die neuen Theorien beweisen lassen.

Leider besteht überhaupt keine Hoffnung, ein X-Teilchen

mit seiner Energie von 1024 eV in physikalischen Beschleu-

nigern hier auf der Erde künstlich zu erzeugen und dann zuuntersuchen.

Aber es gibt eine Möglichkeit, die Existenz des hypotheti-

schen X-Bosons mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nach-zuweisen. Sie liegt in ihrer von der Theorie zwingend ge-

forderten Eigenschaft, Quarks in Elektronen oder in Anti-quarks umwandeln zu können. Eine wichtige Folge dieserEigenschaft wäre nämlich, daß die Lebensdauer des Protonsnicht unendlich groß sein darf. Daher wird die Messung der

Lebensdauer des Protons zum entscheidenden Experimentfür die großen Theorien,

Lebensdauer des Protons

Wir haben gesehen, wie wichtig die Bestimmung der Lebens-dauer des Protons für die Theorie ist. Wie aber steht es mitden Messungen der Lebensdauer des Protons?

Natürlich kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Lebens-

dauer der Protonen ungeheuer groß ist. Aber eben die Fragenach diesem "ungeheuer groß" ist entscheidend für die neuenTheorien der Elementarteilchen und damit auch für die Kos-mologie des Urknalls,

Allein schon aus der Tatsache, daß wir Menschen existierenund hundert Jahre alt werden können, folgt, daß die Zerfalls-zeit der Protonen größer sein muß als 1016 a.

Im Körper eines erwachsenen Menschen sind etwa 2.1028Protonen. Wäre nun die Zerfallszeit der Protonen wesentlichkleiner als 1016a, würde eine Strahlenbelastung im Innern

unseres Körpers aus diesen zerfallenden Protonen entstehen,die für Lebewesen tödlich ist. Das ist aber offensichtlichnicht der FalL.

Aus physikalischen Experimenten wissen wir heute schon,daß die Lebensdauer ¿er Protonen größer sein muß als1029a. Der Zerfall eines einzelnen Protons ist sicherlich dasbei weitem seltenste Ereignis in der Natur, Doch warum istdieses "so seltene" Ereignis so wichtig? Es ist so wichtig, weiles so viele Protonen im Weltall gibt und weil ihr möglicher

Zerfall uns einen tiefen Einblick erlaubt in die Natur der

Materie,

Die entscheidenden Theorien aber, die uns eine logischeAntwort geben können nach dem Verschwinden der Anti-materie aus den Urknall materien, sagen eine Lebensdauerfür das Proton von etwa 1031 a voraus. Nach diesen The-

orien sollte die Zahl irgendwo zwischen 1030 und 1032 aliegen. Wenn es gelingt, die Lebensdauer der Protonen

experimentell in diesem von der Theorie geforderten Zeit-raum nachzuweisen, würde das nicht nur für die Physiksondern auch für die Kosmologie einen revolutionärenFortschritt bedeuten.

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Proton

Bild 5: Hypothese des Protonenzerfalls:Links: Proton bestehend aus zwei Up-Quarks (u) mit einerLadung von je (+2/3) Elementarladungen und einem Down-Quark (d) mit der Ladung (-1/3).Rechts: Möglicher Zerfall des Protons über ein X-Boson,das in ein Positron und ein Anti-Down-Quark zerfallen kann.Letzteres kombiniert mit dem Down-Quark und bildet ein.,0 -Me~on. das in zwei Gamma-8trahlen zerfällt

An zehn verschiedenen Laboratorien in der ganzen Weltsind zur Zeit große Experimente in Vorbereitung, die dieLebensdauer der Protonen messen sollen,So haben beispielsweise indische und japanische Physikerin einer alten Goldmine bei Bangalore in Indien in 2300 mTiefe einen "Detektor" aufgebaut, der aus 140 t Eisenbesteht und 1032 Nukleonen enthält. Bis zum Mai 1981hatte das Wissenschaftlerteam in Indien 230 elementare

Ereignisse registriert, von denen möglicherweise drei nurdurch Protonenzerfall erklärt werden können. Die Ankündi-gung der ersten Messungen kam im Mai 1981 rechtzeitigzum 60, Geburtstag von Andrei Sacharow, Wenn sich dieserBefund bestätigt, würde eine Protonen-Lebensdauer von1030 bis 1031 Jahren resultieren. Das würde eine großartigeStütze für die neuen Großen Theorien der Elementarteil-chen sein, Inzwischen (Herbst 1982) glaubt man sechs

Protonenzerfälle nachgewiesen zu haben. Hier bahnt sichein interessanter Wettauf zwischen den verschiedenenGruppen an, Bei dem europäischen Experiment im Mont-blanc-Tunnel hat man seit Juni 1982 ein Ereignis beobach-

tet, das als Protonenzerfall gedeutet werden kann,

Die Bedeutung des X-Bosons für die Kosmologie

Die merkwürdigen Eigenschaften der X-Bosonen wurdenzunächst als ein unschöner Mangel der Theorie angesehen,

der die ganze Theorie infrage gestellt hat. Aber aus demMangel würde ein Triumph werden, wenn die Messungender Lebensdauer des Protons den geforderten Wert von1030 bis 1032 a ergeben sollten,

Für die Kosmologie erweist sich ei,ne andere symmetrie-brechende Eigenschaft des X-Bosons als ein Geschenk des

Himmels - im wahrsten Sinne des Wortes. Nach der Theoriezerfallen das X-Boson und sein Anti-Teilchen nach extremkurzer Lebensdauer in Quarks bzw. Antiquarks, aber auchganz selten in Quark-Elektron-Kombinationen. Letzterewären für den Zerfall des Protons verantwortlich. Für dieZerfallsraten der X- und Anti-X-Bosonen ergibt sich eine

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~4/3.. U + U

+2/3 +2/3

a + e++ 113 + 1

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"X 4/3U + U-2/3 -2/3

d + e--1/3 -1

.

..Bild 6: Zerfallsmoden des hypothetischen X-Bosons (Ladung -4/3)

und des Anti-X-Bosons (+4/3) in zwei Up-Quarks (bzw.Anti-Up-Quarks) oder in ein Positron und ein Anti-Down-Quark bzw, in ein Elektron und ein Down-Quark

'winzige Differenz, die die normalen Quarks bevorzugt. Die-sem winzigen Unterschied verdanken wir möglicherweiseunsere Existenz (Bild 6),

X-Bosonen kann man zwar im Laboratorium nicht künstlicherzeugen, aber in der allerersten Phase des Urblitzes, 10-35 snach dem Schöpfungsakt, waren die Temperaturen nachunseren derzeitigen Vorstellungen so hoch (oberhalb von1028 K). daß X- und Anti-X-Bosonen in großer Zahl ent-standen sein müßten, Nach dem Absinken der Temperaturunter 1028 K hatte das Anti-X-Boson dann die um einwinziges bessere Chance normale Materie zu erzeugen, Zudieser frühen Zeit im Urknall wurde vermutlich bereits dieWeiche gestellt, warum letztlich das Proton gewonnen hat,Aber was war der Preis, den das Proton für seinen Siegzahlen mußte? Die winzige Unsymmetrie beim Zerfall der

Einführung in das FachgesprächVon 0, Kellermann 1)

Seit nunmehr 25 Jahren bemühen sich die GRS, ihre Gesell-schafterorganisationen und Mitarbeiter um die Sicherheitder kerntechnischen Anlagen in unserem Lande, I n dieserZeit hat es Höhen und Tiefen in unserer Arbeit gegeben,

fachliche Anerkennung im In- und Ausland, aber auch heftigeDiskussionen mit Gegnern unserer Arbeit, I n Einzelfällenist es sogar bis zur persönlichen Gefährdung unserer Mitar-beiter gekommen.

Es ist zu hoffen, daß diese Phase der emotional geladenen

Auseinandersetzung vorüber ist und daß wir wieder zu sach-bezogener Arbeit zurückfinden,

') Dipl,-I ng, Dtto Kellermann ist Geschäftsführer der Gesellschaftfür Reaktorsicherheit (GRS) mbH.

8

X-Teilchen bewirkte, daß zur Zeit der paarweisen Zerstrah-

lungsorgie der Protonen und Antiprotonen ein winzigerÜberschuß von Protonen vorhanden war. Auf jede MilliardeAntiprotonen kam eine Milliarde und ein Proton,Es ist dieses eine Proton pro Milliarde Teilchen, das diepaarweise Vernichtung überlebt hat, Das bringt uns zu derbedrückenden Erkenntnis, daß die heutige Materie im Welt-all nur ein winziger Rest ist von dem, was im Urknall zurVerfügung stand. Das heutige Weltall ist nur noch ein Dreck-effekt des Urknalls. Welch eine gigantische Verschwendung,möchte man denken.

Das Zahlenverhältnis des Überschusses von 1: 1 09 bei derZerstrahlungsorgie kann man aus astronomischen Messungenerhalten, Es ist nämlich das heutige Zahlenverhältnis zwi-

schen den Teilchenzahlen der Materie und der Reststrahlung

aus dem UrknalL. Es ist das Verhältnis der Zahl der Nukle-onen im Kosmos zur Zahl der Photonen in der Reststrahlung.Letztere kann man sehr gut messen. Wie wir eingangs gesehen

haben, enthält die Reststrahlung etwa 400 Photonen injedem Kubikzentimeter. Die Zahl der Nukleonen hatten wiraus der mittleren Materiedichte abgeleitet zu 6. 10-7Nukleonen/cm3.

Das Verhältnis dieser beiden Zahlen lieferte uns dann etwa1: 1 09. Das Nukleonen-Photonen-Verhältnis bleibt im Kosmosnach der Urknall phase praktisch erhalten. Daher kann man esauch aus heutigen astronomischen Messungen erhalten.

Aber nur durch die gigantische "Verschwendung" im Urknallkonnte die Welt so werden, wie sie heute ist. Ohne dieseEnergieverschwendung würde es uns nicht geben, Wir stehenbetroffen vor diesem großartigen Geschehen des Schöpfungs-aktes, den wir in der Sprache der Physik Urknall nennen. Es

zeigt uns gleichzeitig unsere eigene Winzigkeit und die Zer-brechlichkeit der gesamten Existenz der Menschheit. Zu-gleich aber sollte es uns mit einer dankbaren Bewunderungerfüllen, daß unser Geist in der Lage ist, so weit in das kos-mische Geschehen hineinzusehen.

Zwei Anzeichen ermutigen zu dieser Hoffnung:

das positive Votum der Enquete-Kommission "ZukünftigeKernenergiepolitik" des Deutschen Bundestages zumSN R-300, welches mit erfreulicher Mehrheit abgegebenwurde;

das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim in

Sachen Wyhl, insbesondere die umfassende, gründlicheund erstaunlich sachkundige Analyse der Richter in derUrteilsbegründung, Die Urteilsfindung anderer Verwal-

tungsgerichte wird dadurch sicher erleichtert werden.Es folgt nun eine kurze Erläuterung des diesjährigen Fachge-

sprächs.

Den Sinn von Risikountersuchungen sehen wir im wesent-lichen in vier Zielen:

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Informationen vermitteln über Wahrscheinlichkeiten und

Auswirkungen von Störfällen jenseits des Auslegungs-störfalles;

die Schutzwirkung von Sicherheitseinrichtungen außer-halb der Auslegungsgrenzen analysieren;

Unterstützung und Ergänzung der deterministischen Be-trachtungsweise, die den Genehmigungsverfahren zugrun-de liegt; ein Ersatz dieser Betrachtungsweise ist derzeit

nicht notwendig und nicht möglich;

langfristig Sicherheitsziele quantifizieren (Safety Goals);sie können uns nach einigen Jahren zu einer quantitativenBeurteilung der Risiken großtechnischer Anlagen bei allenbetrieblichen, Störfall- und Unfalleinwirkungen auf dieUmgebung führen.

Wir wollen zunächst über unsere Arbeiten an der risikoorien-tierten Analyse des SN R-300 berichten, Sie war wichtige

Grundlage für die Beratungen der Enquete-Kommission"Zukünftige Kernenergiepolitik" des Deutschen Bundes-tages,

Die wesentliche Zielsetzung der risikoorientierten Analysefür den SNR-300 bestand darin, eine vergleichende Sicher-heitsbetrachtung zwischen SN R -300 und dem Druckwasser-reaktor (Typ Biblis B) zu ermöglichen, Auch unter Berück-

sichtigung der geringeren Aussagesicherheit der SN R-300-

Analyse kann festgestellt werden, daß beim SN R-300 sowohldie Häufigkeit schwerer Unfälle als auch das Schadensausmaßbei solchen Unfällen geringer sein wird als sie in der Deut-schen Risikostudie Kernkraftwerke Phase A für Druckwasser-

reaktoren angegeben sind,

Das günstige Abschneiden des SN R-300 bei diesem Risikover-gleich läßt sich durch folgende Umstände erklären:

Aufgrund des niedrigen Betriebsdrucks im Kühlsystem,des großen Abstands zwischen Betriebstemperatur undSiedetemperatur des Kühlmittels und des "Cavity-Kon-zepts" ist nur ein begrenzter Kühlmittelverlust denkbar.

Das hohe Wärmespeichervermögen und die guten Wärme-übertragungseigenschaften des Kühlmittels ermöglichen

eine Nachwärmeabfuhr ohne aktive Komponenten,

Die Tankeinbauten sind so gestaltet, daß auch der ge-schmolzene Kern gekühlt werden kann und ein Durch-schmelzen des Reaktortanks verhindert wird.Ein Doppelcontainment, mit Lèckagerückführung undContainmentkühlung gewährleistet, daß auch nach Ver-sagen des Reaktortanks das Radionuklidinventar zurück-

gehalten werden kann,

I m zweiten Teil sprechen wir über Sicherheitsziele und überneuere Arbeiten im Zusammenhang mit der Phase B derRisikostudie Kernkraftwerke, Die Phase B stellt eine Weiter-entwicklung der Studien zum Druckwasserreaktor dar,

Die seit der Fertigstellung des Reports WASH 1400, der"Rassmussen-Studie", weltweit durchgeführten Experi mente

und die gewonnenen Betriebserfahrungen ermöglichen es,konservative Annahmen zu revidieren. Hier sind auch dieErfahrungen von Harrisburg eingeschlossen. Es hat sich be-stätigt, daß wir unsere Annahmen immer dann konservativabgeschätzt haben, wenn der Wissensstand für den betrach-teten Aspekt zu gering war.

Dies trifft für eine Vielzahl von Aspekten in der Phase AderDeutschen Risikostudie Kernkraftwerke zu. Diese Annahmenkönnen in der Phase B durch Daten ersetzt werden, die aufzwischenzeitlich gewonnenen Versuchs- und Betriebsergeb-nissen bzw. verbesserten Rechenmodellen beruhen,

Aufgrund dieser Daten lassen sich zur Zeit folgende Fest-stellungen treffen:Eine realistischere Störfallanalyse des Anlagenverhaltens

(Best-Esti mate- Rechnu ngen) und systemtechn ische Verbesse-rungen führen dazu, daß die Eintrittshäufigkeit für Kern-schmelzen deutlich niedriger liegt, als in Phase A der Deut-schen Risikostudie Kernkraftwerke angegeben.

Bei Kernschmelzunfällen wird der Sicherheitsbehälter frühe-stens nach drei bis vier Tagen versagen; in der Phase A wurdedieser Zeitraum mit einem Tag abgeschätzt. Durch das späte-

re Versagen des Sicherheitsbehälters werden verschiedene

Ablagerungs- und Rückhalteprozesse für die aus der Schmelzefreigesetzten Spaltprodukte wirksam, wodurch sich eine er-hebliche Reduzierung der Spaltproduktfreisetzung in die Um-gebung ergibt und somit auch eine Reduzierung der Scha-

densfolgen,

Auch in der Beurteilung sehr schwerer Unfälle sind wichtigeFortschritte erzielt worden. So ist zum Beispiel die Möglich-keit einer frühen Aktivitätsfreisetzung infolge einer Dampf-explosion erheblich niedriger einzuschätzen als in der Deut-schen Risikostudie Kernkraftwerke angesetzt,

Schon heute kann man den Schluß ziehen, daß die Ergebnisseder Phase B die tatsächlichen Verhältnisse in der Tendenzweitaus realistischer beschreiben werden als dieses in derPhase A der Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke möglichwar.

Die bisher bei den Risikoermittlungen gewonnenen Erkennt-nisse bestätigen das in Deutschland eingeführte Sicherheits-konzept und zeigen, daß der fortschreitende Kenntnisstandzur Reduzierung der ermittelten Risikowerte führt,

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Oberblick über Vorgehensweise und Ergebnisseder SNR-Studie

Von K. Köberlein, H. Schäfer und H. Spindler1)

Kurzfassung

Die Enquete-Kommission "Zukünftige Kernenergie-Politik"des 8, Deutschen Bundestages hat im Juni 1980 empfohlen,eine "Risikoorientierte Analyse zum SNR-300" durchzufüh-ren, um einen pragmatischen Sicherheitsvergleich zwischen

dem SNR-300 und einem modernen Druckwasserreaktor zuermöglichen und so eine Grundlage für die anstehende politi-sche Entscheidung über die Inbetriebnahme des SNR-300 zuliefern. Der Vortrag schildert Vorgehensweise und wesentlicheErgebnisse der Studie.

Im ersten Schritt der Analyse wurden sechs Gruppen von Er-eignissen identifiziert, die eine Zerstörung des Reaktorkernseinleiten können ("Einleitungsereignisse"). Diese Gruppenumfassen alle denkbaren Abläufe, die zur Zerstörung des

Kerns führen könnten. Die zu erwartenden Eintrittshäufig-keiten der Einleitungsereignisse wurden durch Zuverlässig-

keitsanalysen ermittelt.

In der Unfallanalyse wurden mögliche Versagensarten desReaktortanks untersucht. Dabei ist von Bedeutung, daß dieZerstörung des Kerns mit einer Freisetzung mechanischer

Energie verbunden sein kann. Andererseits ist die Anlagegegen mechanische Energiefreisetzungen bis zu 370 MJ aus-gelegt, auch ein geschmolzener Kern kann innerhalb desReaktortanks gekühlt werden.

Für die Risikoanalyse war es erforderlich, die Eintrittswahr-scheinlichkeit einer Energiefreisetzung oberhalb des Ausle-

gungswertes zu quantifizieren, Um diese Quantifizierung aufeine möglichst breite Grundlage zu stellen, wurde eine inter-nationale Expertenbefragung zu Phänomenen durchgeführt,die das Ausmaß der Freisetzung mechanischer Energie be-einflussen. Ausgehend von den Ergebnissen der Befragungwurden subjektive komplementäre Wahrscheinlichkeitsver-teilungen für die Freisetzung mechanischer Energie ermittelt,Im nächsten Schritt wurden bedingte Versagenswahrschein-

lichkeiten für verschiedene Versagensarten des Reaktortanksermittelt. Tankversagen nach einer Kernzerstörung führt zurFreisetzung von Energie und radioaktiven Stoffen in dasContainment, Solche Störfallabläufe wurden weiter verfolgt.

Für verschiedene Einleitungsereignisse, Tankversagensartenund Containmentzustände wurden detaillierte Berechnungenzum Radionuklidverhalten durchgeführt, Aufgrund dieserRechnungen wurden fünf Freisetzungskategorien definiert.Neben anlagenintern ausgelösten Unfallabläufen wurden mög-liche Einwirkungen von außen untersucht, Die Auswirkungenvon Flugzeugabsturz und Erdbeben wurden quantitativ ana-lysiert, Unfallabläufe, die durch Erdbeben ausgelöst werdenkönnten, tragen etwa 50 % zur Häufigkeit der Freisetzungs-kategorie 1 bei, die zu den schwersten Freisetzungen führt.

Außer Unfallabläufen, die den Reaktorkern betreffen, wur-den auch Aktivitätsfreisetzungen aus den Lagern für ver-brauchte Brennelemente untersucht, Um die Aussagesicher-

heit der berechneten Einsatzhäufigkeiten zu quantifizieren,wurden für die Häufigkeiten der FreisetzungskategorienStreubreiten abgeschätzt.

1) Dr.-Ing. Klaus Köberlein, Dipl.-Ing. Hermann Schäfer und Dipl.-Ing. Heinz Spindler sind technisch-wissenschaftliche Mitarbeiterder GRS,

10

Ausgehend von den Freisetzungskategorien wurden Unfall-folgenrechnungen für den Standort Kalkar durchgeführt,

Obwohl die Streubreite der Unfall häufigkeit, wie sie in derSNR-300 Studie abgeschätzt wurden, deutlich größer ist alsin der DWR-Risikostudie, erlauben die Untersuchungen die

Aussage, daß Häufigkeit und Konsequenzen schwerer Un-fälle beim SNR-300 geringer sind als sie für den DWR er-mittelt wurden.

Abstract

A featfinding committee of the German Federal Parliament

in July 1980 recommended to perform a "risk-orientedstudy" of the SNR-300, the German 300 MW fast breederprototype reactor being under construction in Kalkar. The

main aim of this study was to allow a comparative safety

evaluation between the SNR-300 and a modern PWR, thus toprepare a basis for a political decision: on the SNR-300.Methods and main results of the study are presented in thispaper.

In the first step of the risk analysis six groups of accidents

have been identified which may initiate core destruction,These groups comprise all conceivable courses, potentiallyleading to core destruction. By reliability analyses, expectedfrequency of each group has been calculated.

In the accident analysis potential failure modes of the

reactor tank have been investigated, Co re destruction may beaccompanied by the release of significant amounts of me-chanical energy, The primary coolant system of the SN R-300is designed to withstand mechanical energy releases up to

370 MJ, Design features make it possible to cool the moltencore inside the reactor tank.

For the probabilistic risk assessment it was necessary to arriveat a quantification of probabil ities of energy release exceedingcertain values. In order to get a basis for this quantification

as broad as possible, an international expert questionning

was conducted on phenomena influencing the release ofmechanical energy after a co re destruction. Incorporating

the results of this action, subjective complementary pro-

bability distributions for release of mechanical energy havebeen obtained,In the next step conditional probabilities for conceivable

reactor tank failure modes have been analysed,

Tank failure after core destruction leads to release of energyand radioactive material into the containment system, Suchaccident sequences have been pursued further.

Based on a number of core destruction initiators and tankfailure modes and various combinations of success and failurestates of the containment systems, detailed calculations ofdifferent containment scenarios were carried out, F rom theresults of the plant systems analysis, five release categories

have been defined.

Besides accidents caused by internal initiating events, possibleeffects of external eÌlents have been investigated,

Effects of airplane crashes and earthquakes have been analysedquantitatively. Earthquakes contribute 50 percent to theexpected frequency of the most severe release category 1.

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Besides accident sequences in the reactor core, releases ofradioactivity from the spent fuel storage pool have also been

analysed.

In order to quantify the degree of uncertainty of the calcu-

lated frequencies, subjective probability distributions of

fixed, but inaccurately known quantities have been propa-gated through the calculations.

Using the release categories as input, accident consequenceswere calculated for the site Kalkar,

Though the uncertainty bandwidths for the accident fre-quencies estimated in the SNR-300 analysis are much widerthan for the PWR; the ana lysis indicates that frequencies ofsevere accidents, and consequences, are smaller for theSNR-300. Safety relevant design features of the SNR-300explain this favourable outcome,

Auftrag

Die Enquete-Kommission "Zukünftige Kernenergie-Politik"des 8. Deutschen Bundestages hat in ihrem Bericht vomJuni 1980 - unter anderem - empfohlen, eine "risiko-orientierte Analyse" zum SNR-300 durchführen zu lassen.Aufgrund dieser Analyse sollte ein pragmatischer Sicher-heitsvergleich zwischen dem SNR-300 und einem Leichtwas-serreaktor moderner Bauart ermöglicht werden, Die Studiewar kein Bestandteil des Genehmigungsverfahrens, sondern

sollte die Grundlage für eine politische Entscheidung liefern.Der Bundesminister für Forschung und Technologie (BMFT)hat der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (G RS) den Auftragzur Durchführung dieser Studie erteilt, Wesentliche Teile derStudie wurden gemeinsam mit Kollegen vom Kernforschungs-zentrum Karlsruhe erstellt, vor allem die Analysen von Kern-zerstörungsunfällen und die Unfallfolgenrechnungen,

Im Unterauftrag der GRS oder in Zusammenarbeit mit derGRS war außerdem eine Reihe weiterer Institutionen undPersonen an der Durchführung der Studie beteiligt, Zu nen-nen sind vor allem das Ingenieurbüro König & Heunisch,

Frankfurt (Main), Professor Dr. Ahorner von der Erdbeben-warte der Universität Köln, das Ingenieurbüro Brenk, Aachen,der Rheinisch-Westfälische TÜV, Essen, das IngenieurbüroZerna, Schultz und Partner, Bochum sowie Science Applica-tions Inc, (SAI), Palo Alto, USA, Im Zusammenhang mit derAnalyse kernzerstörender Unfälle haben 18 Fachleute in-und ausländischer Institutionen anhand eines Fragebogens

Expertenschätzungen zu wesentlic~en Phänomenen desUnfallablaufs abgegeben,

An dieser Stelle sei allen gedankt, die an der Studie mitgear-beitet und ihre Durchführung unterstützt haben.

Der Bericht der Enquete-Kommission vom Juni 1980 enthältdie Empfehlung, "Wissenschaftler mit unterschiedlichen Mei-nungen zum Schnellen Brüter" an der Studie zu beteiligen.Um dieser Empfehlung zu entsprechen, wurde ProfessorBenecke vom Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysikals Leiter einer Gruppe von Wissenschaftlern, die dem Brüterablehnend gegenüberstehen, mit Zusatzuntersuchungen zuausgewählten Fragestellungen - parallel zur "G RS-Studie" -beauftragt,

Es war nicht möglich, wie vom Auftraggeber gewünscht,einen gemeinsamen Bericht beider Gruppen zu erstellen,nicht zuletzt deshalb, weil die Beiträge der Parallelgruppe

nicht wie vereinbart Ende März, sondern Mitte Mai 1982 -und dann als "Zwischenbericht" - vorgelegt wurden. Die

GRS hat ihre Studie termingerecht am 30. April 1982 beimBMFT abgegeben. Der Bericht der Parallelgruppe wurdeAnfang September fertiggestellt,

Der folgende Beitrag bezieht sich ausschließlich auf denfachlichen Inhalt der GRS-Studie, Die vollständige Studie

wird in (1) veröffentlicht,

Vorgehensweise und Ergebnisse

Zunächst werden die wesentlichen Merkmale der sicherheits-technischen Auslegung des SNR-300 geschildert. Eine ausführ-liche Beschreibung der Anlage enthält (2). Anschließend wer-den Vorgehensweise und wesentliche Ergebnisse der risiko-orientierten Analyse dargestellt,

Sicherheitstechnische Merkmale desSNR-300Der SNR-300 ist ein Schneller Natriumgekühlter Reaktor inLoop-Bauweise. Die im Reaktorkern erzeugte Wärme wirdvon Primär-Natriumkreisläufen über Zwischenwärmeaustau-

scher an Sekundär-Natriumk reisläufe übertragen, ÜberDampferzeuger und Überhitzer wird die Wärme dann an Ter-tiär-Wasser-Dampf-Kreisläufe abgegeben. Die Wärmeübertra-gungssysteme sind konsequent dreisträngig aufgebaut.

Der größte Teil der Primärkreisläufe verläuft oberhalb des

Niveaus der Kernoberkante. Tiefer liegende Teile sind vonAuffangwannen, den "Cavities", eingefaßt, Der Reaktortankist von einer zweiten Schale, dem Doppeltank, umgeben,Durch dieses Konzept wird erreicht, daß auch bei Lecks imPrimä rsystem der Natriumspiegel nicht unter den "Notspie-

gel" sinken kann, bei dem noch eine Nachwärmeabfuhr mög-lich ist, Das Kühlmittel würde bei einem Leck nicht aus-dampfen, da die Betriebstemperatur mehrere hundert Grad

unter der Siedetemperatur des Natriums liegt,

Die Nachwärme wird normalerweise über die Hauptkühlkreis-läufe abgeführt. Einer der drei Kreisläufe reicht zur Nachwär-meabfuhr aus, Darüber hinaus ist der SNR-300 mit einem2x100-%-Notkühlsystem ausgerüstet. Dieses Notkühlsystemnimmt die Wärme über Tauchkühler im Reaktortank auf undgibt sie über Natrium-Luft-Wärmeaustauscher an die Umge-bung ab, Nicht zuletzt wegen der guten Wärmeübertragungs-

eigenschaften und der hohen Wärmespeicherfähigkeit des

Natriums kann die Nachwärme auch passiv, das heißt beiAusfall aller aktiven Komponenten, abgeführt werden,

Die Anlage wird mit zwei weitestgehend unabhängigen und

diversitären, das heißt unterschiedlich aufgebauten, Schnell-

abschaltsystemen ausgerüstet, Das erste System hat neunStäbe, die bei einer Schnellabschaltung durch Schwerkraft

von oben in den Kern einfallen, Mit einem der neun Stäbewird die Leistung geregelt. Das zweite System besteht aus

drei Absorber-"Ketten", die durch vorgespannte Federn vonunten in den Kern eingezogen werden können, Jedes der bei-den Systeme wird durch sein eigenes Reaktorschutzsystemausgelöst,

Der Zuverlässigkeit der Reaktorschnellabschaltung gilt beiSchnellen Brütern besonderes Augenmerk, da ein Versagen

der Reaktorabschaltung unmittelbar zu einer Kernzerstörung

führen kann,

Die sicherheitstechnischen Eigenschaften der Abschalt- undWärmeabfuhrsysteme schließen - in Verbindung mit anderenSicherheitsvorkehrungen - eine Kernzerstörung praktischaus, Trotzdem wird der SNR-300 - als Prototypanlage - soausgelegt, daß auch bei einer Kernzerstörung keine gravieren-den Folgen für die Umgebung auftreten, Die wesentlichenAuslegungsmerkmale zur Beherrschung von Kernzerstörungs-unfällen sind folgende:

Der Reaktortank und das Primärsystem halten einer me-chanischen Energiefreisetzung stand, wie sie bei einer

Kernzerstörung auftreten könnte.

Die Tankeinbauten sind so geschaltet, daß auch der ge-schmolzene Kern gekühlt werden kann und ein Durch-schmelzen des Tanks verhindert wird. Die "tank interneRückhaltung" wird dadurch begünstigt, daß das Kernvolu-men im Vergleich zum Tank- und Kühlmittelvolumengering ist. Der geschmolzene Brennstoff lagert sich aufden horizontalen Strukturen ab, Die Wärme kann über

11

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Gruppe

fDnzureichender1 I Kühlmittel-

durchsatz

Unzureichende!2 I Wärmeabfuhr

(ohne Abschaltg.l

Bild 1: Einleitungsereignisse für Kernzerstörung

das Tauchkühlsystem abgeführt werden, so daß ein Durch-schmelzen dieser Strukturen und damit auch des Tanksverhindert werden kann, Würde der Tank dennoch ver-sagen, könnte der geschmolzene Kern in einer Boden-kühleinrichtung, dem "Co re-Catcher", aufgefangen undgekühlt werden,

Die Anlage erhält ein doppeltes Containmentsystem. Dasinnere Containment, in dem sich das gesamte Primär-system befindet, ist mit Stickstoff inertisiert, um Natrium-Brände zu verhindern. Das äußere Containment ist voneiner gasdichten Stahlblech-Hülle umgeben, so daß Lecka-gen abgesaugt und in das Containment zurückgepumptoder über Filter und Kamin abgegeben werden können,Die Wärme, die nach einem Tankversagen in das Contain-mentsystem gelangt, kann durch Kühlsysteme abgeführt

werden.

Risikoorientierte AnalyseIm Genehmigungsverfahren ist nachzuweisen, daß Unfälle,die mit einer unzulässigen Radionuklidfreisetzung verbundensein könnten, mit ausreichender Zuverlässigkeit ausgeschlos-

sen sind.

Eine Risikoanalyse hat dagegen zu untersuchen, mit welcherWahrscheinlichkeit trotz der Sicherheitsvorkehrungen Aktivi-

tätsbarrieren versagen und welche Konsequenzen sich darausergeben können, Die Risikoanalyse befaßt sich daher zwangs-läufig gerade mit solchen Ereignissen, die aufgrund der

getroffenen Vorkehrungen nicht zu erwarten sind.

Störfallanalyse (anlageninterne Ursachen)

Im ersten Schritt dieser Analyse wird untersucht, auf welcheWeise und mit welcher Häufigkeit eine Kernzerstörung auf-treten könnte. Bild 1 stellt dar, durch welche Ereignisse es

zu einer Kernzerstörung kommen kann ("Einleitungsereig-nisse"). Der Kern kann entweder durch eine Leistungsexkur-sion oder durch langsames Kernschmelzen zerstört werden.

Eine Kernzerstörung durch eine Leistungsexkursion setztvoraus, daß dem Reaktorkern durch eine Störung relativrasch erhebliche Reaktivität zugeführt wird und eine Schneil-abschaltung unterbleibt. Die Leistung steigt dann innerhalb

sehr kurzer Zeit soweit an, bis der Anstieg durch inhärente

Mechanismen beendet wird.

12

Eine solche Reaktivitätszufuhr könnte durch drei verschiede-ne Ursachen ausgelöst werden:1, Verdrängung von Natrium aus dem Kern: Da der Blasen-

Reaktivitätskoeffizient des Kühlmittels positiv ist, bewirktdie Verdrängung von flüssigem Natrium eine Reaktivitäts-zufuhr.

2, Unmittelbare Reaktivitätszufuhr: Sie kann durch Ände-rung der Kerngeometrie oder durch Relativbewegung zwi-

schen Kern und Absorbern ausgelöst werden.3, Brennstabversagen: Wenn sich das Versagen eines oder

mehrerer Brennstäbe auf weitere Brennstäbe ausdehnt,könnte es (zum Beispiel durch Umverlagerung von Brenn-

stoff oder durch Spaltgasfreisetzung) zu einer Reaktivi-

tätszunahme im Kern kommen. Als Ursache für einensolchen "Propagationsstörfall" kommen praktisch nurlokale Kühlungsstörungen in Betracht,

Mögliche Ursachen für eine Natriumverdrängung sind Gasbla-sen, die in den Reaktorkern gelangen könnten, und Natrium-sieden. Das Eindringen von Gasblasen wird vor allem durchpassiv wirkende Vorrichtungen verhindert,

Natriumsieden könnte ausgelöst werden, wenn der Kühlmit-teldurchsatz durch den Kern oder die Wärmeabfuhr an dieWärmesenke unzureichend sind und der Reaktor nicht aus-reichend schnell abgeschaltet wird,

In Bild 1 wird auch dargestellt, durch welche Ursachen es

zu einem langsamen Niederschmelzen des abçieschaltetenKerns kommen könnte. Einem solchen Niederschmelzenmuß immer ein (längerdauerndes) Ungleichgewicht zwis'chender im Kern erzeugten Nachwärme und der Wärmeabfuhraus dem Primärsystem vorausgehen. Ursachen können sein:

Ausfall der (aktiven und passiven) Nachwärmeabfuhr

(ohne Kühlmittelverlust),Ausfall der Nachwärmeabfuhr bei Kühlmittelverlust,

Aufgrund der dargestellten Systematik wurden die mög-lichen Einleitungsereignisse für Kernzerstörung in die fol-genden sechs Gruppen eingeteilt:1. unzureichender Kühlmitteldurchsatz durch den Kern

(ohne Abschaltung),

2. unzureichende Wärmeabfuhr (ohne Abschaltung),3, unkontrollierte Reaktivitätszufuhr,

4. Propagation einer lokalen Kühlungsstörung,5, Ausfall der Nachwärmeabfuhrsysteme bei abgeschalte-

tem Reaktor,6. Kühlmittelverlust und Ausfall der Nachwärmeabfuhr

bei abgeschaltetem Reaktor.

Die Gruppen 1 bis 4 führen zu einer Leistungsexkursion,

die Gruppen 5 und 6 zu einem langsamen Kernschmelzen,

Durch diese sechs Gruppen werden alle denkbaren Ereig-nise erfaßt, die eine Kernzerstörung einleiten könnten. Jedesdieser "Einleitungsereignisse,,2) kann seinerseits durch unt.:r-schiedliche "störfallauslösende Ereignisse"3) verursacht wer-

den. In der Studie wurde untersucht, unter welchen Um-ständen und mit welcher Häufigkeit "störfallauslösendeEreignisse" über eines der genannten "Einleitungsereignisse"zur Kernzerstörung führen können.

Im Genehmigungsverfahren für den SNR-300 wurden stör-fallauslösende Ereignisse systematisch untersucht. Auf derGrundlage dieser Untersuchungen wurden in dieser Studie

2) Als "E inleitungsereignisse" werden Ereignisse oder Anlagenzu-stände bezeichnet, die unmittelbar zur Kernzerstörung führen.

3) Als "störfallauslösende Ereignisse" werden Vorgänge bezeichnet,bei denen es nur nach einem Versagen von Sicherheitssystemenzur Kernzerstörung kommen kann.

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fünf Klassen von störfallauslösenden Ereignissen gebildet,die alle denkbaren Störfallursachen abdecken. Sie sind in

der ersten Spalte von Bild 2 aufgeführt,

In der Klasse "Betriebsstörung" werden alle störfallauslösen-den Ereignisse zusammengefaßt, sofern sie nicht in den ande-ren Klassen separat behandelt werden.

Bei der Ermittlung der Zuverlässigkeit der angeforderten

Sicherheitssysteme wu rde allerdi ngs zwischen unterschied-lichen Störungen differenziert. Beispielsweise ist die Verfüg-barkeit der Nachwärmeabfuhrsysteme verringert, wenn be-reits das störfallauslösende Ereignis zum Ausfall eines Haupt-kühlkreislaufs führt.

Der Notstromausfall wird als eigene Klasse behandelt, davon einem Ausfall der elektrischen Eigenbedarfsversorgungmehrere Systeme gleichzeitig betroffen sind,

Ein Leck an der Kühlmittelumschließung stellt unter Um-ständen andere Anforderungen an die Sicherheitssystemeals Betriebsstörungen oder Störfälle bei intaktem Primär-

system. Es wird deshalb ebenfalls separat betrachtet,

I n der Klasse "Reaktivitätsstörung" sind auslösende Ereig-nisse zusammengefaßt, die zu einer (direkten) Erhöhungder Reaktorleistung führen, während Kernkühlung undWärmeabfuhr (primär) ungestört sind.

Eine lokale Kühlungsstörung unterscheidet sich von denanderen Klassen, da das auslösende Ereignis nicht denganzen Reaktorkern betrifft, sondern lokal auf ein einzel-nes Brennelement beschränkt ist.

In Abschnitt "sicherheitstechnische Merkmale" wurdekurz dargestellt, mit welchen Sicherheitseinrichtungen der

SNR-300 ausgerüstet ist, um die Anlage auch bei Betriebs-störungen und Störfällen in einem sicheren Zustand zu halten(das heißt Schäden an Aktivitätsbarrieren zu verhindern),Die wesentlichen Systeme, die eine Zerstörung des Kernsverhindern, sind die Reaktorschnellabschaltsysteme und die

Systeme zur Nachwärmeabfuhr, Nur wenn diese Systemeausfallen bzw. nicht in der Lage sind, den Störfall zu be-

herrschen, kann es zur Kernzerstörung kommen.

In Bild 2 ist auch dargestellt, welche "Einleitungsereignisse"sich bei einem Versagen dieser Sicherheitseinrichtungen er-geben können.

Bei der Reaktorschnellabschaltung wird unterschieden zwi-

schen dem Abschaltsignal, das durch das Reaktorschutz-system (oder auch durch Handauslösung) gebildet wird, unddem mechanischen Teil des Reaktorschnellabschaltsystems,Für die möglichen Störfallabläufe ist von erheblicher Bedeu-tung, daß beim SNR-300 das Reaktorschutzsystem mit jederReaktorschnellabschaltung gleichzeitig eine Abschaltung derPrimärpumpen auslöst, um unerwünschte Wärmespannungenim Primärsystem zu verhindern.

Fällt bei einer Störung das Reaktorabschaltsignal aus, so

wird weder eine Reaktorschnellabschaltung noch eine Pum-

penschaltung ausgelöst, Die Anlage verbleibt daher imLeistungsbetrieb. Wenn durch die Störung die Wärmeabfuhrbeeinträchtigt ist, heizt sich das Primärsystem allmählich auf.Wird die Leistung nicht durch Abschaltung der Anlage von

Hand, durch Betriebssysteme oder auch durch selbsttätigephysikalische Effekte im Reaktorbau reduziert, können nacheiniger Zeit - Größenordnung 30 min - so hohe Tempera-turen im Primärsystem erreicht werden, daß die Primärpum-pen versagen. Damit bricht der Kühlmitteldurchsatz durch

den Kern zusammen; das Natrium im Reaktorkern beginntzu sieden. Die durch das Natriumsieden ausgelöste Leistungs-

exkursion führt zur Kernzerstörung. Das so beschriebene

Einleitungsereignis wird als "Unzureichende Wärmeabfuhrbei Versagen der Reaktorabschaltung" bezeichnet. Es ent-spricht der Gruppe 2 in Bild 1.

Storfall Reaktor Schnell - Nach- Einleitungs-auslosendes abschalt - abschaltg. wärme ereignisEreignis signal (mechanisch) abfuhr (Gruppe*)

intakt. aIBetriebstorung I I

5

1

aUSgefaiie'2

a

Ii 5Notstromfall i

1

1

Leck in der Kühl-I

a

mitteiumschließung I I612a

Reaktivitätsstorung 1 Ii 5

1

3

aLokale Kühlungs-

II 5storung

I1

* )4

a, keine Kernzerstorung

11 UKDS I 12:UWVAI 15, ANWAI

Bild 2: Ereignisabläufe für störfallauslösende Ereignisse

Ein "Unkontrollierter Kerndurchsatzstörfall" (Gruppe 1)

kann durch folgende Situation ausgelöst werden:

Das Reaktorschutzsystem gibt ein Signal zur Reaktorschnell-abschaltung und damit auch zur Abschaltung der Primärpum-pen. Die Primärpumpen schalten wie vorgesehen ab, aberbeide Reaktorschnellabschaltsysteme versagen mechanisch,

das heißt trotz des Abschaltsignals fallen keine oder zu wenig

Abschaltelemente des Erstabschaltsystems in den Kern ein,und die Absorber des Zweitabschaltsystems werden nichtin den Kern gezogen, Damit kommt es innerhalb wenigerSekunden durch Natriumsieden zur Leistungsexkursionund damit zur Kernzerstörung. Zu dem Einleitungsereignis"Unkontrollierter Kerndurchsatzstörfall" kann es aus allenKlassen störfallauslösender Ereignisse kommen.

Wird der Reaktor abgeschaltet, so ist anschließend die Nach-wärme abzuführen, Fällt die Nachwärmeabfuhr aus, so heiztsich der abgeschaltete Reaktorkern allmählich auf und es

kommt zu einem langsamen Kernschmelzen. Ein solchesEinleitungsereignis zur Kernzerstörung wird als "Ausfallder Nachwärmeabfuhrsysteme bei abgeschaltetem Reaktor"(Gruppe 5) bezeichnet.Die weiteren Gruppen 3 ("Unkontrollierte Reaktivitätszu-fuhr"), 4 ("Propagationsstörfall") und 6 ("Unterschreiten

Notspiegel und Versagen des Tauchkühlsystems") könnenjeweils nur bei bestimmten störfallauslösenden Ereignissen

erreicht werden, Da sie für die weitere Analyse von unterge-ordneter Bedeutung sind, wird hier auf eine weitere Erläute-rung der Diagramme verzichtet,

Zuverlässigk eitsana Iyse

Mit Hilfe von Zuverlässigkeitsanalysen wurden die Häufig-

keiten der Einleitungsereignisse ermittelt.

Tafel 1 zeigt die wichtigsten Ergebnisse. Sie enthält für die

Gruppen 1, 2 und 5 die Häufigkeiten der störfallauslösendenEreignisse und die Versagenswahrscheinlichkeiten der Syste-

me, bei deren Ausfall es zur Kernzerstörung kommt, Darausergibt sich dann die Häufigkeit des jeweiligen Einleitungser-

eignisses.

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Tafel 1: Häufigkeit von Einleitungsereignissen

Störfall- ausgefallene Systemfunktion E inleitungs-

Gruppe auslösen- bedingte Wahrscheinlichkeit ereignisdes Ereig- Häufigkeitnis, Häu-figkeit

Betriebs- R ea kto rschne Ilabschalt u ng

1 störung (mechanisch)12/a 10-7 1,2,10-6/a

Betriebs- Stabeinfahren Schnell-2 störung abschalt-

sign,

12/a 10-1 10-7 1,2' io-7/a

Not- Nachwärmeabfu hr5 stromfall aktiv passiv

O,07/a 10-4 10-2 7.io-8/aDE-Stör- Nachwärmeabfuhrfall aktiv passiv

1/a 1,5,10-2,5,10-4 10-2 8,io-8/aallg. Nachwärmeabfu hrNWA-Fall aktiv passiv

11/a 1,7,10-3,5.10-410-2 io-7/a

Summe 12/a 3' io-7/a

Bei den Gruppen 1 und 2 sind allgemeine Betriebsstörungenmit einer Häufigkeit von 12 pro Jahr die dominanten stör-fallauslösenden Ereignisse, Für Gruppe 1 wurde die Wahr-scheinlichkeit für ein mechanisches Versagen der Reaktor-schnellabschaltung mit 10-7 abgeschätzt. Die Häufigkeit

der Gruppe beträgt damit 1,2 . 1O-6/a. Gruppe 1, der "Un-kontrollierte Kerndurchsatzstörfall", wird in der folgendenAnalyse als Basisfall behandelt.

Bei Gruppe 2 besteht die Möglichkeit, den Störfall unterKontrolle zu bringen, auch wenn das automatische Schnell-abschaltsignal ausfällt. Dies wurde durch einen Faktor von0,1 in der Nichtverfügbarkeit berücksichtigt. Als Häufigkeit

für Gruppe 2, der "Unzureichenden Wärmeabfuhr bei Ver-sagen der Abschaltung", ergibt sich damit ein Wert von1,2.1Q-7/a.Wenn es durch dieses Einleitungsereignis zur Kernzerstö-rung kommt, befindet sich das Kühlmittel auf einer Tempe-ratur von etwa 650°C und damit etwa 100 K über der maxi-malen Betriebstemperatur. Wo diese erhöhte Temperaturden Unfallablauf gegenüber dem Basisfall beeinflußt, wirddies in der Unfallanalyse berücksichtigt.

Bei Gruppe 5, dem Ausfall der Nachwärmeabfuhr, wurdeunterschieden zwischen den drei störfallauslösenden Ereig-nissen Notstromfall, Störung in einem Hauptkühlkreislauf

(als "DE-Störfall" bezeichnet) und dem allgemeinen Nach-wärmeabfuhr-Fall (NWA-Fall), der alle anderen Störungenumfaßt. In den ersten beiden Fällen haben die aktivenNWA-Systeme eine geringere Verfügbarkeit als beim allge-meinen NWA-Fall, da sie durch das störfallauslösende Er-eignis beeinträchtigt werden.

Beim SNR-300 kann die Nachwärme auch dann abgeführtwerden, wenn alle aktiven NWA-Systeme versagen, Unter-suchungen hierzu werden im Beitrag "Spezielle Aspekte beider Störfall- und Unfallanalyse des SNR-300" ausführlichergeschildert, Nach den Annahmen der Studie setzt die "passi-ve NWA" voraus, daß einige Stunden nach dem Ausfall deraktiven Kühlsysteme Luftklappen am Tauchkühlsystem vonHand geöffnet werden. Für das Mißlingen dieser relativ ein-

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fachen Maßnahme wurde eine Wahrscheinlichkeit von 1 %geschätzt. Für Gruppe 5 ergibt sich in der Summe eine Häu-figkeit von 3 . 10- 7/a. Dabei ist ein geringer Beitrag von

Gruppe 6, dem Ausfall der NWA bei Lecks im Primärsystem,enthalten,

Bei Eintritt der Kernzerstörung befindet sich das Kühlmittelauf einer wesentlich höheren Temperatur als im Betriebszu-stand, der Füllstand ist weit abgesunken, Dies wurde in der

folgenden Unfallanalyse berücksichtigt, soweit es gegenüber

dem Basisfall von Bedeutung ist.

Die zu erwartende Häufigkeit einer Kernzerstörung beträgtinsgesamt rund 2 . 1O-6/a. Sie wird zu fast 75 % durch dieHäufigkeit eines "Unkontrollierten Kerndurchsatzstörfalls"

bestimmt, Für diese Häufigkeit sind zwei Werte maßgebend:die zu erwartende Häufigkeit von Betriebsstörungen, wei-

che zu einer Anregung der Schnellabschaltung führen, unddie Nichtverfügbarkeit des mechanischen Teils der Schnell-abschaltsysteme.

Die Ermittlung beider Werte stützt sich wesentlich auf dieBetriebserfahrung mit bereits laufenden Schnellen Brutreak-toren. Ergänzend wurden die sehr umfangreichen Prototyp-Versuche mit den Absorberstäben der beiden Abschaltsyste-me des SNR-300 in Betracht gezogen. Die umfangreichsteBetriebserfahrung liegt mit Phenix vor. Ober acht Betriebs-

jahre traten dort im jährlichen Durchschnitt zwölf Schnell-

abschaltungen auf. Dabei versagte in keinem einzigen Falldie Mechanik der Abschaltstäbe, Aus der Zahl der .Stabein-fälle läßt sich eine Ausfallrate pro Stab von ,¡ 3 . 1O-6/hableiten. Diese Werte werden durch die Betriebserfahrung

mit PFR4) und KNK-115) sowie die Prototyptests für denSN R-300 als pessimistisch bestätigt,

Da bei der hochredundanten und diversitären Auslegungder Systeme Zufallsausfälle extrem unwahrscheinlich sind,spielen zwangsläufig Ausfälle geme insamer Ursache, Com-mon-Mode-Ausfälle, die ausschlaggebende Rolle,

Bei der Konstruktion der beiden Abschaltsysteme wird dafür

Sorge getragen, daß alle denkbaren Ursachen für gleichzeiti-ges Versagen mehrerer oder gar aller Stäbe ausgeschlossenwerden. Eine Wahrscheinlichkeitsbewertung von Common-Mode-Ausfällen kann daher keine konkreten Ursachenberücksichtigen, Der einzig sinnvolle Weg zur Ouantifizie-rung von Common-Mode-Ausfällen besteht deshalb darin,Erfahrungen aus anderen Systemen in vorsichtiger Weiseauf das vorliegende System zu übertragen.

Ein hierfür gebräuchlicher Ansatz beruht darauf, Common-Mode-Ausfälle durch einen festen Anteil der Ausfallrateeiner Einzelkomponente zu berücksichtigen, Ein ß-Faktorvon 0,1 entspricht zum Beispiel der Annahme, daß die Aus-fall rate für das gemeinsame Versagen aller redundanten Kom-ponenten eines Systems 10 % der Ausfa 11 rate einer einzelnenKomponente beträgt.

Aus Betriebserfahrungen mit Kernkraftwerken können ß-Fak-toren abgeschätzt werden. Dabei zeigt sich, daß der ß-Faktorumso kleiner "ist, je mehr Redundanzen ein System aufweist.

Ein Erstabschaltsystem des SNR ist bereits in sich selbsthochredundant. In der Regel ist nur einer von neun Stäbenfür eine dauerhafte Abschaltung erforderlich. Für diesesSystem wurde ein ß-Faktor von 0,01 angesetzt, der in Anbe-tracht der hohen Redundanz und gewisser Diversitätsmerk-male zwischen den verschiedenen Stäben als sehr pessimistischzu betrachten ist. Für das Zweitabschaltsystem, das eine drei-

fache Redundanz aufweist, wurde ein ß-Faktor von 0,03 ver-wendet,

4) Prototype Fast Reactor, Dounreay, Großbritannien

5) Kompakte Natriumgekühlte Kernreaktoranlage, Karlsruhe

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Für die weitere Analyse ist die Frage entscheidend, inwieweitbeide Systeme als unabhängig betrachtet werden können. Umzu einer Quantifizierung des Common-Mode-Ausfalls derMechanik des gesamten Abschaltsystems zu kommen, wurdendie Diversitätsmerkmale beider Abschaltsysteme analysiert,Die Abschaltstäbe unterscheiden sich nicht nur durch die

starre bzw. gliedrige Konstruktion, Sie sind zudem an unter-schiedlichen radialen und axialen Positionen im Brennele-

mentverband angeordnet und unterliegen damit auch unter-schiedlichen Betriebsbelastungen und -bedingungen (Neutro-nenfluß, Temperatur, Durchsatz). Darüber hinaus gibt esUnterschiede in der betrieblichen Fahrweise, in der Bewe-

gungsrichtung, im Einfallsprinzip und im Freigabemechanis-mus.

Zwei Grenzwerte können berechnet werden:

Werden beide Abschaltsysteme hinsichtlich des Ausfall-verhaltens der Mechanik als völl ig abhängig betrachtet,so ergibt sich für den "Unkontrollierten Kerndurchsatz-

störfall" eine Häufigkeit von 3 ' 1 0-4 ja. Dieser Zahlen-

wert kann in Anbetracht der erwähnten Diversitätsmerk-male beider Systeme praktisch ausgeschlossen werden,

Bei völlig unabhängigem Ausfallverhalten beider Abschalt-systeme ergäbe sich für den "Unkontrollierten Kerndurch-satzstörfall" eine Häufigkeit von 3 . 1O-8/a, Viele Ge-sichtspunkte sprechen für eine sehr weitgehende Unabhän-gigkeit beider Systeme, dennoch erscheint es im Sinneeiner vorsichtigen Risikobewertung - auch in Anbetrachtvon Gemeinsamkeiten (Kühlmittel, Spülgassystem) - nichtgerechtfertigt, völl ige Unabhängigkeit anzunehmen.

Als Schätzwert für die Häufigkeit des gemeinsamen Ausfalls

der Mechanik der Abschaltsysteme wurde deshalb ein Wertvon etwa 10-6/a gewählt, Der Erwartungswert der Nichtver-

fügbarkeit des mechanischen Teils des Schnellabschaltsystemsbeläuft sich auf 10-7 pro Anforderung in Anbetracht vonzwölf Schnellabschaltanregungen pro Jahr, Für die 90 % bzw.10 % Fraktile wurden Werte abgeschätzt, die um eine Größen-ordnung nach eiben bzw. unten vom Punktwert abweichen,

Un fal/analyse

I n der Unfall analyse war zu untersuchen, aufgrund welcher

Umstände und mit welcher Wahrscheinlichkeit der Sicher-heitseinschluß nach einer Kernzerstörung so versagen kann,

daß es zu einer größeren Freisetzung von radioaktivenStoffen in die Umgebung kommt. Dåran anschließend wurdedann das Ausmaß der Radionuklidfreisetzung nach Kernzer-störung und nach Versagen des Sicherheitseinschlusses unter-sucht,

Die wesentlichen Bestandteile des Sicherheitseinschlussessind das Primärsystem, insbesondere der Reaktortank, und

das Containmentsystem. In der Unfallanalyse wurde zunächstuntersucht, durch welche Einwirkungen der Reaktortank beieiner Kernzerstörung versagen kann. Dabei ist zu berücksichti-gen, daß eine Kernzerstörung beim SN R-300 mit der Frei-setzung mechanischer Energie verbunden sein kann,

Im Genehmigungsverfahren wurde der Nachweis geführt,daß mechanische Energiefreisetzungen jenseits des Ausle-gungswertes praktisch ausgeschlossen werden können, Trotz-dem war in der Risikoanalyse zu untersuchen, mit welcherWahrscheinlichkeit der Auslegungswert der mechanischenEnergiefreisetzung überschritten wird und mit welcher Wahr-scheinlichkeit der Tank - auch bei geringerer mechanischer

Energiefreisetzung - durch mechanische oder thermischeÜberlastung versagt.

Die Wahrscheinlichkeit, mit der der Auslegungswert der me-chanischen Energiefreisetzung überschritten wird, kann- zumindest beim heutigen Wissensstand - nicht mit Hilfeeiner geschlossenen analytischen Untersuchung durch Stör-fallsimulation ermittelt werden, Die Untersuchung muß

Tafel 2: Wahrscheinlichkeit mechanischer Energiefreisetzung bei Kern-zerstörung

bedingte WahrscheinlichkeitEnergie x (freigesetzte mechanische Energie? x)

50 MJ 0,052150 MJ 0,012400 MJ 0,003

sich hier in wesentl ichen Punkten auf Expertenschätzungenabstützen, Um dieser Abschätzung eine möglichst breiteGrundlage zu geben, wurde eine internationale Expertenbe-fragung zu wesentlichen Phänomenen durchgeführt, die dasAusmaß der Energiefreisetzung beeinflussen, Auf der Grund-lage dieser Expertenbefragung wurde die Wahrscheinlichkeitermittelt, daß bei einem "Unkontrollierten Kerndurchsatz-

störfall" eine mechanische Energiefreisetzung von 400 MJüberschritten wird, Über die Expertenbefragung und ihre pro-babilistische Auswertung wird im Beitrag "Die Expertenbefra-gung in der SN R-Studie und ihre probabilistische Auswertung"ausführlicher berichtet.

Die Überschreitenswahrscheinlichkeiten für 400 MJ, undaußerdem für 50 und 150 MJ, zeigt Tafel 2, Daraus läßt sicheine Wahrscheinlichkeit von etwa 95 % entnehmen, daß beieinem "Unkontrollierten Kerndurchsatzstörfall" weniger als50 MJ mechanische Energie freigesetzt werden. Die Analysehat außerdem ergeben, daß mit mehr als 50 % Wahrschein-lichkeit überhaupt keine mechanische Energie freigesetztwird, Der Auslegungswert wird mit einer Wahrscheinlichkeitvon etwa 30/00 überschritten,

Bei einer mechanischen Energiefreisetzung über 400 MJkönnte es zum Versagen des Drehdeckelsystems und, als di-rekte Folge, zum Versagen der Zellenabdeckung zwischeninnerem und äußerem Containment kommen, Das Versagendes Drehdeckelsystems wird durch den Aufschlag des Na-triums verursacht, das bei einer Leistungsexkursion nachoben geschleudert wird ("Natrium-Hammer").

In Tafel 3 sind die Wahrscheinlichkeiten für Tankversagen

bei verschiedenen Einleitungsereignissen zusammengestellt,Beim Einleitungsereignis der Gruppe 2, der "Unzureichen-den Wärmeabfuhr bei Versagen der Abschaltung" ist dieWahrscheinl ichkeit für ein solches Versagen etwas höher als

beim "Unkontrollierten Kerndurchsatzstörfall". Die Tank-strukturen befinden sich hier auf einer höheren Temperaturund weisen daher eine geringere Festigkeit auf, Beim Ein-leitungsereignis "Ausfall der Nachwärmeabfuhr" ist ein Na-trium-Hammer nicht zu erwarten, da bei Eintritt der Kernzer-störung der Natriumspiegel bereits weit abgesunken ist, EinDeckelversagen kann daher ausgeschlossen werden,

Tafel 3: Bedingte Wahrscheinlichkeiten für Tankversagen

Bedingte Wahrscheinlichkeit für

Ei n leitungsereign is Deckel- mechanisches thermischesversagen Ta nk versage n Tankversagen

unkontrollierter 3.10-3 3,10-4 7.10-2Kerndu rchsatzstörfall

unzureichende5.10-3 1 .10-2Wärmeabfuhr bei "" 1

Versagen der Ab-schaltung

Ausfall der - 0,5 0,5Nachwärmeabfuhralle Einleitungs- 2,6' 10-3 9,5' 10-2 2,2' 10-1ereignisse

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Tafel 4: Freisetzungskategorien

Freiset Freiset- freiges, zu erwar- Freisetzungs-zungs- Beschreibung zungs- thermi- tende anteilkate- zeit sche Häufig- Edel- Aktini-gorie h Energie keit gase den

106 kJ/h pro Jahr

Deckelversa-gen, Ober-

10-8K1 druckversagen 0-1 530 1 0,05äußeres Con-tainmentmechanischesTankversagen,

K2 Auffangwan- 22-33 15 2.10-7 1 5,5,10-4ne defekt, kei-ne Energiever-

sorgung

thermisches

K3Tankversagen, 0-48 - 2.10-8 1 4,1,10-4ungefilterteAbluftthermisches

K4 Tankversagen, 48-100 - 2.10-7 1 1,8,10-5keine Energie-

versorgung

K5 thermisches 240-320 - 3,10-7 2,10-2 1,4,10-11Tankversagen

Unter ungünstigen Voraussetzungen könnte auch bei einerEnergiefreisetzung unterhalb des Auslegungswertes der Reak-tortank abreißen (mechanisch versagen) und beim Abstürzen

die Abstützung des Doppeltanks und in der Folge die darunterliegende Bodenkühleinrichtung zerstören. Damit würde dieWärmeabfuhr aus dem Containment erheblich beeinträch-tigt. Ein mechanisches Tankversagen in der beschriebenen

Art ist vor allem dann anzunehmen, wenn bei Eintritt dermechanischen Energiefreisetzung der Reaktortank bereitswesentlich über seine Betriebstemperatur aufgeheizt ist.Dies ist bei den Einleitungsereignissen "Unzureichende

Wärmeabfuhr bei Versagen der Abschaltung" und "Au'sfallder Nachwärmeabfuhr" der FalL.

Der Reaktortank wird durchschmolzen, wenn die Nachwär-

me aus den geschmolzenen Kernmaterialien, die sich aufden tankinternen Strukturen ablagern, nicht ausreichend

abgeführt werden kann. Untersuchungen zur tankinternenRückhaltung werden im Beitrag "Spezielle Aspekte bei derStörfall- und Unfallanalyse des SNR-300" dargestellt.

Aus Tafel 3 läßt sich entnehmen, daß mit einer Wahrschein-

lichkeit von über 90 % bei einem "Unkontrollierten Kern-durchsatzstörfall" der geschmo Izene Kern im Tank zurück-gehalten wird. Bei den anderen Einleitungsereignissen kommtes dagegen immer zum Tankversagen, bei der zweiten Gruppefast immer zum Durchschmelzen, beim Ausfall der Nachwär-meabfuhr mit je 50 % Wahrscheinlichkeit zum mechanischenVersagen oder zum Durchschmelzen. Insgesamt beträgt dieWahrscheinlichkeit, daß der Tank nach einer Kernzerstörungnicht versagt, knapp 70 %. Mit einer Wahrscheinlichkeit vonetwa 10 % versagt der Tank mechanisch.

Für diejenigen Unfallabläufe, bei denen der Reaktortank ver-sagt, wurden die weiteren Vorgänge im Containment unter-sucht, Wenn der Tank nicht versagt, sind die Konsequenzeneiner Kernzerstörung für eine Risikoabschätzung nicht von

Bedeutung. Diese Fälle wurden daher nicht weiter analysiert.

Wenn durch extrem hohe mechanische Energiefreisetzungendas Drehdeckelsystem des Reaktortanks und die ZeIlenab-deckung zwischen innerem und äußerem Containment ver-sagt, hat die Funktion der meisten Systeme im Containment

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keinen nennenswerten Einfluß auf den Unfallablauf und dieRadionuklidfreisetzung in die Umgebung. Bei einem solchen.Unfallablauf werden große Mengen Natrium und nahezu dergesamte Reaktorkern in das äußere Containment ausgewor-fen. Durch Natriumbrand baut sich ein Druck auf, der nacheinigen Minuten zum Überdruckversagen des äußeren Con-tainments führt, Damit kommt es zu einer massiven Radio-nuklidfreisetzung in die Umgebung.

Für andere Unfallabläufe, bei denen der Reaktortank mecha-nisch oder thermisch innerhalb des inneren Containments

versagt, hängen Zeitpunkt, Ausmaß und nähere Umständeder Radionuklidfreisetzung von der Funktion verschiedener

Containmentsysteme ab. Eine detaillierte Analyse würde hierdie Untersuchung einer sehr großen Zahl unterschiedlicherAbläufe erfordern. Für eine Risikoabschätzung kann man

sich aber im wesentlichen darauf beschränken, typische Ab-

läufe mit relativ gravierenden Auswirkungen genauer zu ana-lysieren. Abläufe mit geringeren Konsequenzen können danneinem analytisch behandelten Ablauf mit gleichen oderhöheren Konsequenzen zugeordnet werden.

Beim SNR-300 kommt hier außerdem zu Hilfe, daß bei gra-vierenden Abläufen die Funktion einer Reihe von Systemenvon untergeordneter Bedeutung ist, da sie nur unwesentlichden Störfallablauf und dessen Auswirkungen beeinflussen.Entscheidend für die radiologischen Auswirkungen ist vorallem, ob bei einer Kernzerstörung die Trennung zwischendem inneren und dem äußeren Containment erhalten bleibt,und ob der Containmentabschluß erfolgt, Von größerem Ein-fluß ist außerdem, ob bei einem Versagen des Containment-abschlusses das Abluftsystem in Betrieb bleibt, und ob derStickstoff-Naturumlauf im inneren Containment zustandekommt,

Für die Risikoabschätzung kann daher ein sehr pessimisti-scher Ansatz getroffen werden, Mit Ausnahme der genanntenFunktionen werden für die Containment-Untersuchungenalle anderen Systeme grundsätzlich als ausgefallen behandelt,Auf die Aufspaltung der Ereignisablaufdiagramme für diese

Systeme, und damit auf eine Bewertung ihrer Zuverlässigkeit,kann daher verzichtet werden. Für diese Systeme wi rd alsoeine Nichtverfügbarkeit von 1 unterstellt,

Eine derart pessimistische Vorgehensweise wird vor allem

durch das hohe Maß an Rückhaltefähigkeit des Containment-systems ermöglicht. Zu Vergleichszwecken werden jedoch

auch Abläufe untersucht, bei denen die Kühlsysteme iminneren und äußeren Containment in Betrieb sind.

Für die detaillierten Containmentanalysen wurden entspre-chend der geschilderten Vorgehensweise acht Rechenfälle

definiert, die von verschiedenen Einleitungsereignissen und

Tankversagensarten ausgehen. Im Beitrag "Spezielle Aspek-te bei der Störfall- und Unfallanalyse des SN R" wird näher

auf die durchgeführten Analysen eingegangen,

Radionuk /idfreisetzung

Für die Rechenfälle wurde untersucht, welcher Anteil desNuklidinventars davon im Containment abgeschieden wirdund welcher Teil in die Umgebung gelangt. Diese Untersu-chungen werden im Vortrag "Aktivitätsfreisetzung bei schwe-ren Unfällen des SNR" ausführlicher dargestellt.

Dabei zeigte sich, daß die acht Rechenfälle in insgesamt fünfFreisetzungskategorien zusammengefaßt werden können, daeinige zu ähnlichen Freisetzungsverläufen führen. Tafel 4

gibt eine kurze Beschreibung der Freisetzungskategorien.

Sie enthält Angaben über den Zeitraum der Freisetzung nachEintritt des Störfalls, die mitgeführte thermische Energie,

die zu erwartende Häufigkeit und die Freisetzungsanteilefür Edelgase und Aktiniden.

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Kategorie 1 umfaßt alle Unfallabläufe, bei denen infolgeeiner Kernzerstörung der Reaktortank und das innere Con-

tainment zerstört werden und der Brennstoff und ein Teildes Natriums ins äußere Containment ausgeworfen werden,

Das Containment ist zunächst geschlossen. Durch den entste-henden Natriumbrand kommt es aber sehr rasch zum Ver-sagen der Schleusendichtungen und radioaktive Stoffe wer-den über das Hilfsanlagengebäude freigesetzt,

Die Freisetzungsanteile liegen zwischen 100 % für Edelgaseund 5 % für Aktiniden. Für andere Radionuklid-Gruppenwurden Freisetzungsanteile zwischen 5 und 15 % ermittelt.Die Freisetzung ist mit hoher thermischer Energie verbunden,

Die Kategorien 2 und 4 enthalten Unfallsequenzen, bei denender Lüftungsabschluß nach einer Kernzerstörung erfolgt. Alsabdeckende Ereigniskette wurde dabei unterstellt, daß sämt-liche aktiven Sicherheitssysteme ausfallen, Bei Kategorie 2

wird darüber hinaus noch angenommen, daß die Natriumauf-fangwanne defekt ist, Nach etwa einem Tag versagt in diesemFall das Containment durch Wasserstoffexplosion, und eskommt zu einer massiven Radionuklidfreisetzung, die aberdeutlich niedriger als bei Kategorie 1 ist.

Kategorie 3 enthält Unfallabläufe, bei denen nach einer Kern-zerstörung der Lüftungsabschluß des äußeren Containmentsnicht erfolgt und das betriebliche Abluftsystem weiterläuft.

Eingeleitet werden die Sequenzen durch den Ausfall desReaktorschutzsystems, Da das innere Containment als Barrie-re wirksam ist, gelangen die ins innere Containment freige-setzten radioaktiven Stoffe lediglich über Leckagen ins

äußere Containment, Gegenüber der Kategorie 1 ergebensich daher erheblich niedrigere Freisetzungswerte,

Kategorie 5 umfaßt diejenigen Unfallabläufe, bei denen esnach einer Kernzerstörung zum Durchschmelzen des Reak-tortanks kommt, wobei jedoch alle zur weiteren Störfallbe-herrschung notwendigen Systeme funktionieren, Durch denReventingbetrieb wird eine Freisetzung radioaktiver Stoffefür die Dauer von zehn Tagen verhindert. In dieser Zeitnimmt die Aktivität in der Sicherheitsbehälter-Atmosphäre

durch radioaktiven Zerfall und Abscheideprozesse stark ab,Nach zehn Tagen wird die Containmentatmosphäre gezieltüber Filter und Kami n nach außen entlüftet, Unfälle dieserKategorie führen zur geringsten Freisetzung nach Kernzer-

störung mit Tankversagen. Eine Kernzerstörung, bei der dergeschmolzene Kern im Tank zurückgehalten wird, hätte nochgeringere Freisetzungen als Kategorie 5 zur Folge. Solche

Fälle wurden nicht weiter untersucht!

Einwirkungen von außen

Die Häufigkeiten in der fünften Spalte von Tafel 4 enthaltenauch Beiträge durch Einwirkungen von außen. Solche Ein-wirkungen wurden neben anlagen intern ausgelösten Störfällendaraufhin untersucht, ob sie eine Kernzerstörung und in derFolge eine Aktivitätsfreisetzung verursachen können,

Eine Reihe von Einwirkungen wurde qualitativ behandelt(Hoch- und Niedrigwasser, Unwetter, Blitzschlag, Explosions-druckwellen, Einwirkung von schädlichen Stoffen, außerdem- als "quasi-externe" Störfälle - Turbinenzerknall undDruckbehälterversagen im Maschinenhaus). Diese qualitati-ven Untersuchungen kamen zum Ergebnis, daß solche Ein-wirkungen keinen wesentlichen Risikobeitrag verursachenkönnen.

Detaillierter wurden die Einwirkungen Erdbeben und Flug-zeugabsturz untersucht. Dabei hat sich gezeigt, daß auch derFlugzeugabsturz nur einen sehr geringen Risikobeitrag liefert.

Zur Einwirkung durch Erdbeben wurden standortspezifischeLastannahmen und Überschreitenswahrscheinlichkeiten fürErdbebenintensitäten am Standort ermittelt. Die IntensitätVii, die dem Sicherheitserdbeben entspricht, wird danach

mit einer Häufigkeit von etwa 4 ' 1Q-b /a überschritten.Die Überschreitenswahrscheinlichkeit für die i ntensität Viiibeträgt etwa 7 . 10-8/a,

Davon ausgehend wurden für wichtige Gebäude, Bauteileund Komponenten dynamische Berechnungen durchgeführt,um erdbebenbedingte Versagenswahrscheinlichkeiten zu er-mitteln. Die Zielrichtung war dabei abzuschätzen, mit wei-cher Häufigkeit Erdbebeneinwirkungen zum Versagen derReaktorschnellabschaltung, der Nachwärmeabfuhr oder derContainment-Integrität führen.

Nach dem Ergebnis dieser Untersuchungen tragen schwereErdbeben etwa 50 % zur Häufigkeit der Kategorie 1 und etwa40 % zur Kategorie 3 bei,

Der Grund für diese relativ hohen Beiträge liegt nicht ineiner besonderen Empfindlichkeit des SNR-300 gegen seis-mische Einwirkungen, sondern in der Tatsache, daß die zuerwartende Häufigkeit einer Kernzerstörung aufgrund inter-ner Ursachen so gering ist, daß sie im Bereich der extremgeringen Häufigkeit schwerer Erdbeben am Standort Kalkarliegt. Da für Erdbeben sehr hoher Intensität neben Kernzer-störung auch Containmentversagen angenommen wurde,tragen diese Ereignisse vor allem zu den Kategorien 1 und3 bei, für die Containmentversagen unterstellt wurde,

Brennelementlager

Die bisherigen Aussagen bezogen sich auf Unfälle mit Zer-störung des Reaktorkerns. Daneben wurden mögliche Frei-setzungen aus den Brennelementlagern untersucht,

Der SNR-300 hat ein natirumgekühltes und ein gasgekühl-tes Lager für verbrauchte Brennelemente, Für beide Lager

wurden zu erwartende Häufigkeiten und Konsequenzeneines vollständigen Ausfalls der Kühlsysteme untersucht.

Für den Ausfall der Kühlung des natriumgekühlten Lagers

wurde eine Häufigkeit von 4 . 10-5/a abgeschätzt. DieFreisetzungsanteile, die aufgrund einer sehr pessimisti-schen Vorgehensweise abgeschätzt wurden, sind im Bereichder Kategorie 3 für die leicht flüchtigen Isotope und im Be-reich der Kategorie 4 für Aktiniden, Allerdings ist das Radio-

nuklid-Inventar im Lager etwa um den Faktor 6 geringer alsim Reaktorkern,

Freisetzungen aus dem gasgekühlten Lager bringen nur einensehr geringen Risikobeitrag.

Streubreiten der ermittelten Häufigkeiten

Aufgrund der Streubreiten der wesentlichen Einflußgrößenwurden Bandbreiten für den anlageninternen Anteil derHäufigkeiten der Freisetzungskategorien ermittelt, Tafel 5zeigt für die Freisetzungskategorien 1 bis 5 jeweils den Punkt-wert sowie die untere und die obere Schranke der Bandbreite.Die Bandbreite entspricht etwa einem 90-%-Vertrauensinter-

vall, das heißt, daß mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils

etwa 5 % die Häufigkeiten oberhalb oder unterhalb des Ban-

des liegen können,

Tafel 5: 90-%-Vertrauensintervalle für Häufigkeiten der Freisetzungs-kategorien

Zu erwartende Häufigkeit (pro Jahr)Freisetzungs- 5 % Fraktile Punktwert 95 % Fraktilekategorie

K1 2,10-10 6.10-9 5.10-7K2 -9 1 .10-7 5,10-62,10_10K3 2.10 1 .10-8 1 .10-6K4 0,0_9 1 ,10-7 3.10-6K5 7,10 2,10-7 8,10-6

Nur anlageinterne auslösende Ereignisse

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J

10 103' "05Anzahl x

-x-x- FK 5

~ FK6.. FK7

FKl-0 FK 2-b FK3

FK4Summe

SNR

1 10 103' ioSAnzahl x

-0 K 1 -x-x- K 5-0 K 2 ~ Kl-K5~ K3 -- KA

K4Summe

Bild 3: Komplementäre Häufigkeitsverteilungen für "späte Todes-fälle" (Druckwasserreaktor und Schneller Brüter)

Die Bandbreiten der Häufigkeiten durch Erdbebeneinwirkungwu rden nicht quantifiziert. Doch ist hieraus keine wesentlicheVerschiebung des Gesamtbildes zu erwarten,

dargestellt, Bei anderen Schadensarten (ausgenommen Früh-schäden, die beim SNR-300 nicht zu erwarten sind) zeigensich ähnliche Relationen.

Die für die F reisetzungskategorie 1 errechneten Spätschädenerhöhen sich etwa um den Faktor 3, wenn man davon aus-geht, daß im SNR-300 nicht - wie in der Studie angenom-men - Plutonium aus Magnox-Reaktoren, sondern ausLeichtwasserreaktoren (LWR) verwendet wird. Dieser Effektkommt dadurch zustande, daß in LWR-Plutonium einwesent-lich höherer Anteil des radiologisch bedeutenden Isotops

PU 238 enthalten ist. Im Hinblick auf die Frühschäden wirktsich dieser Unterschied allerdings nicht aus, Auch beimgeänderten Nuklidinventar werden keine Frühschäden er-rechnet,

Die Streubreiten der Unfallfolgenrechnungen wurden in derSNR-Studie nicht quantifiziert, Oualitiative Abschätzungenlassen hier keinen entscheidenden Unterschied zur DW R-

Studie erwarten.

Risikovergleich SNR-300 - DWR

Die wesentliche Zielsetzung der Studie bestand darin, einevergleichende Sicherheitsbetrachtung zwischen SN R-300 undDWR (Typ Biblis B) zu ermöglichen. Trotz der geringerenAussagesicherheit der SNR-Studie zeigen die Ergebnisse, daßfür den SNR-300 am Standort Kalkar sowohl die Häufigkeitschwerer Unfälle, als auch das Schac;ensausmaß bei solchen

Unfällen geringer sind als bei einem DWR, wie sie in der"Deutschen Risikostudie Kernkrafterke" ermittelt wurden,

Das günstige Abschneiden des SNR-300 beim Risikovergleichläßt sich durch folgende Umstände erklären:

Aufgrund des niedrigen Systemdrucks, des großen Abstan-des zwischen Betriebstemperatur und Siedetemperatur

des Kühlmittels und des "Cavity-Konzepts" ist nur ein be-grenzter Kühlmittelverlust denkbar.

Die guten Wärmeübertragungseigenschaften und das hohe

Wärmespeichervermögen des Kühlmittels ermöglichen einepassive Nachwärmeabfuhr.

Die nachteiligen Eigenschaften des Kühlmittels Natrium

werden durch entsprechende Vorkehrungen ausgeglichen.Die hohe Zuverlässigkeit der Reaktorschutz- und Abschalt-systeme kompensiert die nachteiligen neutronenphysika-lischen Eigenschaften des Brutreaktors,

Auch ein geschmolzener Kern kann im Reaktortank zu-rückgehalten und gekühlt werden,

Der SNR-300 hat ein Doppelcontainment, in dem dasRadionuklid-Inventar auch nach einem Tankversagen zu-

rückgehalten werden kann.

Unfallfolgen

Um den Risikovergleich zwischen dem SNR-300 und demDruckwasser-Reaktor (DWR) vom Typ Biblis B zu erleich-tern, wurden Unfallfolgenrechnungen für den Standort Kal-kar durchgeführt, Zu diesem Zweck wurde das Unfallfolgen-modell der "Deutschen Risikostudie Kernkrafterke" (3) in

einigen Punkten an die speziellen Anforderungen dieser Ana-lyse angepaßt (zum Beispiel Resuspensionsmodell für humidesKlima, Berücksichtigung von Aktiniden im Ingestionspfad).Außerdem wurden neuere wissenschaftliche Erkenntnisse,insbesondere die neuen Dosisfaktoren nach ICRp6)-30 (4)

berücksichtigt. Die Modifikationen bewirken pauschal be-trachtet bei den Frühschäden eine Verringerung der ermittel-ten Zahlen, bei den Spätschäden eine Erhöhung. Sie sindallerdings für den Risikovergleich nicht entscheidend. Eine

ausführliche Darstellung der Unfallfolgenrechnungen, die

vom Kernforschungszentrum Karlsruhe durchgeführt wurde,enthält (5).

Frühschäden durch akute, tödlich verlaufende Strahlenkrank-heit treten erst oberhalb bestimmter Schwellenwerte der

Strahlenexposition auf. Solche Werte werden beim SNR-300auch bei den schwersten Unfällen in der bewohnten Umge-bung nicht erreicht. Diese Aussage ändert sich nicht, wennEvakuierungsmaßnahmen in der Rechnung nicht berücksich-tigt werden.

Die Zahl somatischer Spätschäden, das heißt von Todesfäl-

len aufgrund von Krebs und Leukämie, die durch eine un-fall bedingte Strahlenexposition verursacht werden, wurdeaufgrund einer linearen Dosiswi rkungsbeziehung ohneSchwellenwert berechnet. Das bedeutet, daß auch sehr ge-ringe Dosiswerte rechnerisch zu einer Erhöhung des Krebs-risikos führen,

Bild 3 zeigt die komplementäre Häufigkeitsverteilung fürsomatische Spätschäden, Zum Vergleich sind die analogenErgebnisse aus der DWR-Studie (bezogen auf eine Anlage)

6) ICRP = International Commission on Radiological Protection

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Begrenzungen der Studie

Bei einer Bewertung der Ergebnisse der Studie - und bei

einem Vergleich der Ergebnisse mit der DWR-Studie - sinddie Begrenzungen zu berücksichtigen, die sich zum Teil ausder AufgabensteIlung, zum Teil aus methodischen Proble-

men ergeben. Vor allem die methodischen Probleme sindweitgehend die gleichen wie bei der DWR-Risikostudie, Sie

werden hier nicht im einzelnen aufgeführt.

Von der AufgabensteIlung der Studie her, ergeben sich diefolgenden Begrenzungen:

Die Untersuchungen befaßten sich mit dem durch schwereStörfälle verursachten Risiko. Risiken, die sich aus dembestimmungsgemäßen Betrieb oder aus weniger gravie-renden Störfällen ergeben könnten, wurden nicht unter-sucht. Risiken durch Brennstoffkreislauf und Abfallbe-handlung lagen außerhalb der AufgabensteIlung der Stu-die und werden daher nicht behandelt,

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Ein möglicher Risikobeitrag durch Kriegseinwirkung wur-de nicht untersucht, Risikobeiträge durch Sabotage nur

qualitativ diskutiert,

Andere Einwirkungen von außen wurden daraufhin unter-sucht, ob sie einen signifikanten Risikobeitrag liefern.Detaillert untersucht wurden Einwirkungen durch F lug-zeugabsturz und vor allem durch Erdbeben.

Risikobeiträge durch anlageninterne Brände konnten -entsprechend dem Planungsstand der Anlage - nur quali-tativ behandelt werden,Die Studie stützte sich an vielen Stellen auf Untersuchun-gen, die im Rahmen des atomrechtlichen Genehmigungs-

verfahrens vom Gutachter durchgeführt bzw. bestätigtwurden. Solche Untersuchungen wurden nur dann nach-vollzogen bzw. überprüft, wenn für die Risikostudie von

anderen Voraussetzungen als im Genehmigungsverfahren

ausgegangen wird,

In der "Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke" wurdefür die Freisetzungskategorie 1, die zu den höchsten Ak-tivitätsfreisetzungen führt, eine Häufigkeit von 2 ' 10-6 Ja

Diskussion

D, v. Ehr e n s t ein (Universität Bremen):

Ich muß die Gelegenheit der Diskussion dieses Vortragesnutzen, um eine weitergehende Bemerkung zu machen, die

sich nicht auf diesen Vortrag unmittelbar bezieht, da die

Zeitplanung dieser Veranstaltung hier und heute mit demSitzungstermin der Enquete-Kommission so "abgestimmt"ist, daß ich dieses Fachgespräch in wenigen Minuten verlassenmuß,

Ich muß meine Verwunderung hier ausdrücken, oder - deut-licher - meinen nachdrücklichen Protest hier zu Protokoll

geben, daß es nicht möglich war, in äiesem Programm, das

sich so lfiesentlich mit der risikoorientierten Analyse des

SNR-300 beschäftigt, mindestens einem einzelnen Vertreterder parallelen Forschungsgruppe die Möglichkeit der Dar-

stellung aus seiner Sicht hier im Rahmen des regulären

Programms einzuräumen. Stattdessen wurden die Mitarbeiterdieser Studie auf die Möglichkeiten der - so sagte es dasSchreiben der G RS ausdrücklich - "kurzen Diskussionsbei-

träge" im Anschluß an die einzelnen Vorträge verwiesen,Zusätzlich zu dieser Zeitverkürzung der wissenschaftlichen

Diskussion wurde für die genannten Mitarbeiter der parallelenForschungsgruppe auch noch die finanzielle Barriere des Ein-trittsgeldes von 320,- DM errichtet für die Möglichkeit,wenige Minuten hier das Wort zu ergreifen, Natürlich sindfinanzielle Sparmaßnahmen immer sinnvoll, aber sie müssenauch in Relation zu der Tatsache gesehen werden, daß einige

jüngere Mitarbeiter derzeit ohne Anstellung sind, und daß fürdas zur Diskussion stehende Großprojekt erhebliche, zumTeil zusätzliche, öffentliche Mittel (in Milliardenhöhe) auf-

gebracht werden müssen,

W.Ullrich(GRS):Herr Professor v. Ehrenstein, wir wollen in diesen 15 Minutendas Referat diskutieren und kein Koreferat halten. Außerdemist es seit langem Tradition der GRS, daß wir anläßlich derFachgespräche über Arbeiten der G RS berichten. Was heutean Themen behandelt wird, ist in unserer Gesellschaft erar-

abgeschätzt, In der vorliegenden Studie wurden auch Er-eignisabläufe mit wesentlich geringerer Häufigkeit detail-liert behandelt. Die Auswirkungen von Ereignisabläufen,für die eine Eintrittshäufigkeit von weniger als 10-9 Ja

abgeschätzt wurde, wurden jedoch nicht mehr quantitativuntersucht. Die Untersuchungen lassen aber darauf schlie-ßen, daß sich selbst bei Ereignisabläufen mit noch gerin-gerer Eintrittshäufigkeit keine drastische Erhöhung derAuswirkungen ergeben würde.

Schrifttum

(1) Gesellschaft für Reaktorsicherheit: Risikoorientierte Analysezum SNR-300. G RS-51 (Oktober 1982)

(2) Mayer, G.: Schneller Brutreaktor SNR-300 - Funktion und Si-cherheit -,. G RS-S-29 (August 1979)

(3) Gesellschaft für Reaktorsicherheit: Deutsche Risikostudie Kern-kraftwerke - Hauptband - Hrsg. BMFT, Bonn, 1979, VerlagTÜV Rheinland, Köln

(4) IcRP: IcRP-Publications No. 30, Part 3: Limits for Intakes ofRadionuclides by Workers; Annals of the ICRP, Vol. 6 No, 2/3,1981

(5) Bayer, A. und J. Ehrhardt: Unfallfolgenrechnungen und Risiko-abschätzungen im Rahmen der "Risikoorientierten Analyse zumSNR-300", KfK, 3423, in Vorbereitung

beitet worden. Wir sehen keine Veranlassung, andere Fach-

leute, die auf diesem Gebiet tätig geworden sind, heranzu-ziehen, Das entspricht der 10jährigen Tradition des i RS und

seit sechs Jahren den Gepflogenheiten der G RS, Dabei soli esbleiben,

D, v, Ehr e n s t ein (Universität Bremen):

Für diesen Fall soll mein heutiger Protest als Anregung für

die Zukunft genommen werden, bei derartig kontroversenThemen wenigstens ein Koreferat für eine Gegenmeinungzuzugestehen,

W. U I1 r ich (GRS):Herr Professor v, Ehrenstein, es bleibt Ihnen und der For-schungsgruppe "Schneller Brüter" unbenommen, ähnl icheFachgespräche an der Universität Bremen oder anderswo zuveranstalten, Wir werden daran teilnehmen, wenn wir vonIhnen eingeladen werden.

D, v. Ehr e n s t ein (Universität Bremen):

Wenn die Arbeit der parallelen Forschungsgruppe dennwirklich so fragwürdig sein sollte, wie immer wieder erwähntwird - häufig übrigens bei Anlässen, bei denen keine Mög-

lichkeit einer Diskussionsentgegnung besteht - dann hätteman eine offene Sachauseinandersetzung doch gerade voreinem derartigen Forum wie dem heutigen hier suchen undbesonders fördern müssen.

Ich möchte abschließend zusammenfassen: Der Erleichterungeiner offenen, emotionsfreien, fairen wissenschaftlichen Sach-

diskussion haben die Veranstalter des heutigen Fachgesprächskeinen Dienst erwiesen und damit der zunehmenden Sprach-losigkeit Vorschub geleistet, Wir sollten dies alle bedauern,

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A, Sc hat z (BBR, Mannheim):

Im Vortrag sind die Voraussetzungen und Annahmen, die beimVergleich DWR - SN R zugrundegelegt wurden, nicht deut-lich herausgekommen. Ich gehe davon aus, daß realistischeBetrachtungen angestellt worden sind. Bei der DWR-Studieist von sehr konservativen Annahmen ausgegangen worden.Da die Voraussetzungen für den DWR günstiger sind als mandamals angenommen hat, halte ich den Vergleich für nichtganz echt.

K. K ö be r lei n (GRS):

Der Vergleich bezieht sich auf die Ergebnisse der DWR-

Risikostudie von 1979, Das entspricht der AufgabensteIlung

der hier vorgestellten Studie, Die Enquete-Kommission"Zukünftige Kernenergie-Politik" hat die Meinung vertreten,daß das Risiko des SN R nicht höher sein darf als das desDWR, wie es in der "Deutschen Risikostudie" ermittelt wur-de, Diesen Sachverhalt muß man bei einem Vergleich natür-lich berücksichtigen. Andererseits enthält auch die SN R-

Studie eine ganze Reihe pessimistischer Annahmen.

H, V 0 s s e b r eck e r (I nteratom, Bergisch-G lad bach) :

Meine Frage betrifft die Common-Mode-Ansätze (CMA), wiesie in der Studie gemacht wurden, insbesondere bei denAbschaltsystemen. Sie sagten selbst, daß eine physikalischglaubhafte Ursache für den Ausfall eines Abschaltstabesnicht ersichtlich ist, Sie wenden daher "Nullfehlerstatistik"und pessimistische CMA-Annahmen an, um die Unverfüg-barkeit der Abschaltung abzuschätzen, Mir leuchtet ein,daß man bei einer Risikostudie zu diesen Hilfsmitteln greifenmuß, Auf der anderen Seite implizieren sie - überspitzt ge-sagt - eine gewisse Innovationsfeindlichkeit, da der planende

Ingenieur kaum noch die Möglichkeit hat, Verbesserungenvorzuschlagen, die nicht durch solche CMA-Ansätze als un-wirksam bewertet werden. Was ist zu diesem Konflikt zusagen?

K. K ö b e r lei n (GRS)Dies scheint mir ein grundsätzliches Problem zu sein, beiSystemen mit extrem hoher Zuverlässigkeit, wie sie durch

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die bei den SNR-Schnellabschaltsystemen verwirklichten

Maßnahmen erreicht wird. Man kommt hier an die Grenzeder Analyse. Wir hielten es nach einer detaillierten Analyseder Unterschiedlichkeit zwischen beiden Abschaltsystemen

für einen vernünftigen Ansatz, einen Wert etwa in der Mittezwischen völliger Abhängigkeit und völliger Unabhängigkeit

bei der Systeme anzunehmen, Dabei muß man sehen, daßbereits die Nichtverfügbarkeiten der Einzelsysteme wesent-

lich durch Common-Mode-Bewertungen bestimmt wurden,Bei einem System, bei dem ein Totalausfall durch Zufalls-ausfälle nicht mehr vorstellbar ist, spielt zwangsläufig der

Common-Mode-Ausfall die entscheidende Rolle. Es wirdimmer schwierig sein, die Wahrscheinlichkeit von Common-Mode-Ausfällen genauer zu quantifizieren, Hier muß mansich auf vorsichtige Abschätzungen stützen, Dies drückt

sich auch in der relativ großen Bandbreite der Ergebnisse aus.

H. So bot t k a (KWU, Offenbach):

Warum wurde bei der Common-Mode-Bewertung des Schnell-abschaltsystems die pessimistische ß-Faktor-Methode (keineBerücksichtigung gestaffelter Koppelung hochredundanterSysteme) und nicht das Marshall-Olkin-Verfahren verwendet?

K, K ö b er lei n (G RS):

Ich glaube, daß dies nicht so sehr eine Frage der angewandtenMethoden, sondern der verfügbaren Daten ist. Sie werdenimmer auf Probleme stoßen, wenn Sie es mit Nichtverfüg-barkeiten im Bereich von 10-7, 10-8 oder noch kleiner zutun haben. Man hat zwar aus anderen Technologien, zumBeispiel der Luftfahrttechnik, Erfahrungswerte, daß für sehrzuverlässig aufgebaute Systeme Nichtverfügbarkeiten indieser Größenordnung erreichbar sind, Ich glaube aber, daßman hier an eine prinzipielle Grenze stößt. Auch wenn dieSysteme in der Realität noch besser sind, wird sich diêsanalytisch - und in der Regel auch empirisch - kaum mehrnachweisen lassen. Ich halte es auch nicht für entscheider:d, obder Wert bei 10-7 oder bei 10-9 liegt. Es kommt auf dieGrößenordnung des Risikos an. Das ist die entscheidendeAussage. Wir sollten uns hier nicht zu sehr an einer Zehner-potenz aufhängen.

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Spezielle Aspekte bei der Störfall- und UnlallanalysedesSNR

Von A. Scharfe, P. Bogorinski und H. Schulz 1 )

Kurzfassung

Ausfall der NachwärmeabfuhrsystemeSelbst das Versagen aller Nachwärmeabfuhrsysteme führtnicht unmittelbar zu einer Kernzerstörung, Die große Spei-

cherfähigkeit des Reaktorsystems - die sogar größer ist alsdie des Hochtemperaturreaktors - und die Wärmedämm-verluste an der Kühlmittelumschließung begrenzen denTempératuranstieg,

Der SNR-300 weist deshalb beim Ausfall aller Nachwärme-abfuhrsysteme ein sehr träges Temperaturverhalten auf,Damit verbleiben große Zeiträume (mindestens fünf Stun-den), um durch einfache Maßnahmen, die von Hand erfolgenkönnen, die Temperaturen auf zulässige Werte zu begrenzen,Im Gegensatz zum Druckwasserreaktor tragen beim SNRAusfälle in den Nachwärmeabfuhrsystemen nicht wesentlichzum Risiko bei.

Rückhaltung von geschmolzenen Kern-materialien im ReaktortankBeim SNR-300 bestehen gute Voraussetzungen für die Rück-haltung der geschmolzenen Kernmaterialien, da noch aus-reichend Kühlmittel im Reaktortank vorhanden ist, und dieWärme über das Tauchkühlsystem abgeführt werden kann,

In Abhängigkeit des vorangegangenen Unfallablaufes verteilensich die geschmolzenen Kernmaterialien auf verschiedene

Strukturen innerhalb des Reaktortanks. In der überwiegen-

den Anzahl der Fälle kann ein direktes Durchschmelzen dieserStrukturen ausgeschlossen werden.

Für eine Kernzerstörung infolge Versagens der Schnellab-schaltsysteme ergab sich, daß die Wahrscheinlichkeit für dieRückhaltung der geschmolzenen Kernmaterialien innerhalbdes Reaktortanks 92 % beträgt.

Vorgänge im Containment nach einerKernzerstörungDargestellt wird ein Unfallablauf, bei welchem nach einemAusfall der gesamten elektrischen Energieversorgung alle

Sicherheitseinrichtungen ausfallen. Lediglich der Abschlußdes Containments, der selbsttätig geschieht, erfolgt bestim-mungsgemäß.

Der resultierende Druckanstieg pro Zeiteinheit ist zunächstgering, Durch chemische Reaktionen ist jedoch nach etwaeinem Tag mit einem Versagen des Containmentsystems zurechnen, Dieser Fall verdeutlicht das hohe Maß an Rückhalte-fähigkeit des Containmentsystems, obwohl alle Kühlsystemeals ausgefallen angenommen wurden.

Abstract

Failure of the Residual Heat Removal(R H R) SystemsEven the failure of the RHR-systems does not immediately

lead to a disrupture of the core, Both the heat storage capabi-lity of the reactor system - which is even greater than that ofthe high-temperature reactor - and the loss of heat at the

1) Dr.-Ing, Achim Scharfe, Dipl.-Ing. Peter Bogorinski und Ing, (grad,)

Helmut Schulz sind technisch-wissenschaftliche Mitarbeiter derGRS.

reactor coolant boundary limit the temperature increase.The temperature at the SNR-300 therefore rises very slowly.Thus, at least five hours remain to limit the temperature toacceptable values by means of simp le measures takenmanually. In contrary to LWRs in the SNR the failure of theRHÀ will not contribute to the risk so much.

Retention of Melted Core Materialsin the Reactor TankGood preconditions are given in the SN R -300 for the reten-tion of melted core materials, because the coolant level inthe reactor tank is still sufficiently high to remove the heatby the immersion cooler.

Contigent on the course the accident takes, the me Ited core

materials spread over the structures within the reactor tank.

In the majority of cases, an direct melt-through of these

structures may be excluded, Starting out from a core dis-rupture originated by a failure of the Reactor-Shutdown-Sys-tems, the probability for retaining the melted core materials

within the reactor tank proved to be 92 per cent,

Occurrences in the Containment aftera Co r e Disrupture

Described is the course of an accident, in wh ich all engineereesafeguards fail after the breakdown of the entire energysupply, Oniy the automatic c10sure of the containment

works as provided in the design,The resulting pressure rise per unit of time is very smâll.Because of chemical reactions, however, the failure ofthe containment system is expected to occur after aboutone day. This case elucidates the high degree of reten-tion capability of the containment system, even underthe assumption that all cooling systems have failed,

Einleitung

In diesem Vortrag sollen einige wichtig erscheinende Aspek-te, die typisch für den SNR sind, vorgestellt werden. Zur Ver-anschaulichung soli in einigen Fällen ein Vergleich mit

anderen Reaktorsystemen durchgeführt werden.

Die Themenkreise, die detaillierter angesprochen werdensollen, sind:

die Vorgänge beim Ausfall von Nachwärmeabfuhrein-richtungen;die thermische Belastung der Reaktortankeinbauten durchdie geschmo Izenen Kernmateria lien bzw. die Rückhalte-

fähigkeit dieser Materialien im Reaktortank unddie Vorgänge im Containmentsystem nach einer Kern-zerstörung,

Versagen der Nachwärmeabfuhrsysteme

Bei allen Störungen in der Anlage, die zu einem Ansprechenvon Reaktorschutzgrenzwerten führen, werden durch dasReaktorschutzsystem die Reaktorschnellabschaltung ausge-

löst und die Primär- und Sekundärpumpen abgeschaltet.Die Nachzerfallsleistung wird dann über die Nachwärmeab-führsysteme abgeführt, Auch nach dem betriebsmäßigenAbfahren der Anlage werden die Nachwärmeabfuhrsystemein Betrieb genommen.

21

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Reaktorgebäude DE-Gebäude

Tauchkühlsystem 3 Hauptwärmeübertragungs-(2 x 100%) Kreisläufe (3 x 100%)

R ReaktorZW Zwischenwärme-

tauseher

TKK TauchkühlkreislaufDE Dampferzeuger

Bild 1: Nachwärmeabfuhrsysteme

Der SNR-300 verfügt über zwei diversitäre Nachwärmeab-fuhrsysteme: Das strangspezifische Nachwärmeabfuhrsystemund das Tauchkühlsystem (Bild 1),

Das strangspezifische Nachwärmeabfuhrsystem besteht ausdrei Parallelsträngen. In den Natrium-Hauptkühlkreisläufenwird die Nachzerfallsleistung im Zwangsumlauf bis zumTertiärkreislauf transportiert, Jeder Strang des tertiärenNachwärmeabfuhrsystems ist jeweils einer Natrium-Haupt-kühlkette (bestehend aus Primär- und Sekundärkreislauf)

zugeordnet und als geschlossener Wasserdampfkreislaufaufgebaut. Die Rückkühlung erfolgt durch das Nebenkühl-

wassersystem.

Jeder der drei Stränge des Nachwärmeabfuhrsystems ist inder Lage, die Nachzerfallsleistung allein abzuführen, Das

heißt, das strangspezifische Nachwärmeabfuhrsystem stelltein 3x100-%-System dar. Dies trifft auch für den Fall zu,. daßin den Hauptkühikreisläufen kein Zwangsumlauf vorliegt.Der Wärmetransport in den Natriumkreisläufen erfolgt dannim Naturumlauf,

Das Tauchkühlsystem besteht aus sechs einzelnen, geschlosse-nen Natriumkr'eisläufen, von denen je drei einem Luftkühlermit Gebläse zugeordnet sind, Die guten Wärmeübertragungs-

eigenschaften des Kühlmittels erlauben die Positionierung

der Tauchkühler und' damit die Abfuhr der Nachzerfalls-leistung direkt aus dem Reaktortank, Auch' für den Fall,daß der Zwangsumlauf in den Natriumkreisläufen ausfällt,kann die Nachzerfallsleistung im Naturumlauf transportiertwerden.

Steuerung, Regelung und Energieversorgung sind entspre-chend einer 2x100-%-Redundanz aufgebautDie Rückkühlungkann auch luftseitig im Naturzug erfolgen, Dazu ist die Betä-tigung von je zwei Klappen (Drallregler und Einfrierschutz-klappen) im Kaminsystem erforderlich.

Tafel 1: Ausfall der Nachwärmeabfuhrsysteme: Vergleich verschiede-ner Reaktorsysteme

ROA PSHSNR-300 HTR-1160

Wärmekapazität(Vollastsekunden/K) 2,2 0,6Temperaturanstiegpro Zeiteinheit (K/min) 0,3 1,8

22

Somit stehen für die Abfuhr der Nachzerfallsleistung fünf100-%-Redundanzen zur Verfügung.

Beim Druckwasserreaktor sind Kühlmittelverluste von großerBedeutung für die sicherheitstechnische Auslegung, Die"Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke" (2) hat gezeigt, daßdie durch einen Kühlmittelverlust ausgelösten Kernschmelz-

unfälle risikodominant sind.

Im Gegensatz zum Druckwasserreaktor benötigt der SN R-300

zur Sicherung der Abfuhr der Nachzerfallsleistung selbst beieinem Leck in der Kühlmittelumschließung keine aktivenSicherheitseinrichtungen zum schnellen Ausgleich von Kühl-mittelveriusten.Eine schnelle Kühlmitteleinspeisung ist nichterforderlich.

Durch den geringen Systemdruck und die konstruktive Ge-staltung der Primärkreisläufe werden die Leckmengen derartbegrenzt, daß der Reaktorkern von Natrium bedeckt bleibt.Die Nachzerfallsleistung kann dann über die intakten Haupt-kühlkreisläufe und das Tauchkühlsystem abgeführt werden,Inhärente Eigenschaften des Systems (Unterbrechung desAusflußvorganges durch Gaseinbruch) sichern, daß selbstim Fall eines Lecks an Nebenleitungen und der Annahme,daß die Doppelabsperrarmaturen nicht schließen, die Nach-zerfallsleistung über das Tauchkühlsystem abgeführt werdenkann.

Der Ausfali der Nachwärmeabfuhrsysteme führt nicht zwangs-läufig zu einer Kernzerstörung, Die im Kern erzeugte Nach-zerfallsleistung kann im Naturumlauf in die Primär- undSekundärkreisläufe des Hauptkühlsystems transportiert wer-den. Auch in den Tauchkühlkreisläufen stellt sich Naturum-lauf ein. Damit steht die große Wärmekapazität dieser Kreis-läufe zur Begrenzung des Temperaturanstiegs zur Verfügung.

Es ist interessant, in diesem Zusammenhang einen Vergleichder zur Verfügung stehenden Wärme kapazitäten verschiede-

ner Reaktorsysteme durchzuführen (Tafel 1), Als Vergleichkann der Hochtemperaturreaktor HT R-1160 herangezogen

werden, wie er der Sicherheitsstudie (3) zugrundelag, Der

Druckwasserreaktor ist nicht als Vergleich herangezogen

worden, da der entsprechende Zahlenwert sehr stark vondem auslösenden Einleitungsereignis abhängt,

Der Vergleich der Wärmekapazität in Vollastsekunden/Kergibt beim SNR-300 im Vergleich zum HTR-1160 einenum Faktoren höheren Wert. Dementsprechend weist derSNR-300 einen geringeren Temperaturanstieg pro Zeitein-heit auf als der HTR-1160 mit seiner bekanntermaßen hohenWärmekapazität.

Die Wärmekapazität beim HTR ist im wesentlichen imReaktorkern konzentriert, das heißt am Entstehungsortder Nachzerfallsleistung. Der Kreislauf ist gut isoliert, umeine Aufheizung des Betons zu vermeiden,

Beim SN R ist demgegenüber die Wärmekapazität im we-sentlichen auf den Primär- und Sekundärkreislauf verteilt.Die VoraussetzLJng zur Nutzung dieser Wärmekapazität istder Transport der Nachzerfallsleistung im Naturumlauf.

Versuche zum Nachweis des Naturumlaufes sind in verschie-denen Prototypanlagen durchgeführt worden, So zum Bei-spiel im EBR-II (USA), Phenix (F), PFR (UK), FFTF (USA),Die Versuche zeigen, daß im Anschluß an das Auslaufender Hauptkühlmittelpumpen der Naturumlauf ohne Ver-zögerung zustande kommt,

Solche Versuche werden verglichen mit den Ergebnissen, diemit Hilfe von Rechenprogrammen ermittelt werden. Dies istzum Beispiel für die Versuche zum Naturumlaufverhalten

des FFTF mit dem Rechenprogramm SSC geschehen (4).Das Rechenprogramm SSC beschreibt die Gesamtanlageeines SNR.

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Im Bild 2 ist ein Vergleich des gemessenen und des mit demRechenprogramm sse berechneten zeitlichen Verlaufes derPrimär- und Sekundärnatriumd urchsätze dargestellt. Der Ver-such stellt den Fall eines "nicht beherrschten Notstromfallesaus Nennleistung" dar, Die Ergebnisse zeigen eine gute Über-einstimmung.

GRS-Untersuchungen mit dem Rechenprogramm sse, mitdem die SNR-300 Gesamtanlage nachgebildet wurde, bestä-tigen, daß sich in den Natrium-Hauptkühlkreisläufen Natur-

umlauf einstellt, Durch die Nachwirkung der auslaufendenHauptkühlmittelpumpen, die vor Beginn der Störung betrie-ben wurden, wird die Entwicklung des Naturumlaufes be-günstigt.

Neben der hohen Wärmekapazität trägt die Wärmeabfuhrüber die Oberflächen der Kühlmittelumschließung durchWärmedämmverluste zur Begrenzung des Temperaturanstie-ges bei. Im Bild 3 ist der Verlauf der mittleren Natriumtem-peratur in den Hauptkühlkreisläufen dargestellt, wie er in(1) dokumentiert ist.Daraus kann entnommen werden, daß - für den Fall mitgeschlossenen Luftkühlerklappen - nach etwa 60 h die Wär-

medämmverluste die entstehende Nachzerfallsleistung aufwie-gen; die Natriumtemperaturen steigen nicht mehr an. Dabeiist unterstellt, daß nach dem Ausfall der fünf Nachwärme-abfuhrredundanzen jegliche Maßnahmen unterbleiben. DieWärmedämmverluste verteilen sich folgendermaßen: 43 %im Primärkreislauf, 42 % im Sekundärkreislauf und 15 %im Tauchkühlsystem.

Gegenüber dieser "passiven" Nachwärmeabfuhr durchWärmedämmverluste können die auftretenden Temperatu-ren erheblich reduziert werden, wenn die Luftklappen anden Natrium- Luft-Kühlern des Tauchkühlsystems geöffnetwerden, Durch den einsetzenden Naturzug im Kaminsystemkönnen die auftretenden Natriumtemperaturen stark redu-ziert werden. Im Bild 3 ist der mittlere Natriumtempera-

turverlauf dargestellt, wie er sich ergibt, wenn die Klappender Luftkühler und die Drallregler nach 5 h geöffnet werden,

Die im Genehmigungsverfahren untersuchten Störfallbe-lastungen bei vergleichbarem Temperaturniveau führen imReaktortank, in den Rohrleitungen und an anderen Kompo-nenten der Nachwärmeabfuhrsysteme zu Beanspruchungen,die innerhalb der zulässigen Grenzen ,liegen, Folgeschäden

an den Komponenten sind daher nicht zu erwarten,Das Öffnen der Luftklappen ist eine einfache und übersicht-liche Maßnahme. Das Öffnen ist per Hand vor Ort möglich,Die Bewegung der Klappenwellen bzw, der Drallregler kannbei der Betätigung sowohl direkt als auch an vorhandenenStellungsanzeigen beobachtet werden,

Die zulässige Zeit, bis zu der Maßnahmen ergriffen werdenmüssen, beträgt demnach mindestens fünf Stunden, DieBewertung des Temperaturverlaufs läßt jedoch erwarten,daß diese Zeit erheblich größer ist. I m Rahmen der Sicher-heitsstudie für den HTR-1160 (3) wurde die entsprechendezulässige Ausfallzeit der Nachwärmeabfuhrsysteme ermittelt.Für den "nichtbeherrschten Notstromfall" beträgt sie dreiStunden.

Die im Bild 3 dargestellten Verläufe sind in (1) zugrundege-

legt worden, In (1) wurde darauf hingewiesen, daß bezüglich

der Wärmedämmverluste pessimistische Annahmen getroffenwurden. Eine vom Hersteller in der Zwischenzeit durchge-führte detaillierte Ermittlung ergab eine signifikante Er-

höhung dieser Verluste,

Die entsprechenden Verläufe der Temperatur sind in Bild 4dargestellt. Gegenüber den Fällen mit pessimistischen Annah-men bezüglich Wärmedämmverlusten (Bild 3) ergibt sich eineerhebliche Reduktion der Natriumtemperaturen. Für denFall ohne jegliche Gegenmaßnahmen beträgt die Reduktion

etwa 100 oe: Die maxima le mittlere Temperatur in denNatriumkreisläufen beträgt etwa 670 oe.

Solche Ergebnisse wiesen darauf hin, daß die Zeiträume, die

zur Verfügung stehen bis geeignete Maßnahmen ergriffenwerden müssen, sehr groß sind, Im Grenzfall ist die Möglich-keit erkennbar aufzuzeigen, daß selbst ohne Gegenmaßnah-men eine Kernzerstörung praktisch auszuschließen ist.

- SSC-Rechnungen~ 0'081 t i FFTF Meßwerte

Sekundärco 0,06Cf.r~6 0,04 ~I I i

§ 002) I Primärz '0

0 400 800 1200 s 1600

Zeit~Bild 2: Natriumdurchsatz bei Naturumlauf aus Nennleistung

900

°C Klappen der Luftkühlergeschlossen

700

1600::coC6 5000.Et9 400

300200 . .o 20 40 60 80 100 120 140 1 60 h 200

Zeit.~Bi Id 3: Mittlere Temperatur der Natriumkreisläufe (pessimistische

Werte für Wärmedämmverluste)

900

°C

r 700:; 600coC6 5000.Et9 400

300

j

200200

o 20 40 60 80 100 1 20 140 1 60 h

Zeit~Bild 4: Miniere Temperatur der Natriumkreisläufe (realistische

Werte für Wärmedämmverluste)

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Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß der SN R-300beim Ausfall aller Nachwärmeabfuhrsysteme ein sehr trägesTemperaturverhalten aufweist, Damit verbleiben große Zeit-räume, um durch einfache Maßnahmen, die von Hand erfol-gen können, die Temperatur auf zulässige Werte zu begren-zen. Im Gegensatz zum Druckwasserreaktor tragen daherbeim SNR Ausfälle in den Nachwärmeabfuhrsystemennicht wesentlich zum Risiko bei.

Rückhaltung von geschmolzenen Kernmaterialien im Reak-tortankDas nächste Thema, das angesprochen werden soli, ist diethermische Belastung der Reaktortankeinbauten durch diegeschmolzenen Kernmaterialien bzw. die Rückhaltefähigkeitfür die Materialien im Reaktortank,Wird eine Kernzerstörung unterstellt, so kann es einerseitszu einer mechanischen Energiefreisetzung kommen, wenn esunter pessimistischen Annahmen zu einer schnellen Leistungs-entbindung im Reaktorkern kommt. (Näheres dazu enthältder nächste Beitrag "Aktivitätsfreisetzung bei schweren Un-fällen des SNR",) Andererseits ist mit geschmolzenen Kern-materialien zu rechnen.

Hier ergeben sich Unterschiede zu den Vorgängen bei einemDruckwasserreaktor. Bei den in der Deutschen Risikostudie(2) dominierenden Lecks kommt es zunächst nur zu einerKernschmelze, Diese kann mangels Kühlmittel innerhalbdes Reaktordruckbehälters nicht gekühlt werden und ge-langt in das Containment.

Beim SN R verbleibt in der Regel das Kühlmittel im Reaktor-tank, so daß die Möglichkeit besteht, die geschmolzenen

Kernmaterialien im Reaktortank dauerhaft zu kühlen, umzu verhindern, daß sie in das Containment gelangen,

Voraussetzungen für die Brennstoff-rückhaltungDie Rückhaltefähigkeit der geschmolzenen Kernmaterialienist in der SNR-Studie bewertet worden, Im SNR-300 beste-hen günstige Voraussetzungen für die Rückhaltung der Kern-schmelze:

Der Spiegel im Reaktortank, bei dem die Nachwärmeab-fuhr über die Hauptwärmeübertragungskreisläufe bzw. die

Tauchkühler noch möglich ist, wird auch dann eingehal-ten, wenn ein Tankleck und einzelne Lecks in den Primär-kreisen auftreten.

Das Brennstoffvolumen (1,1 m3) ist sehr klein im Ver-gleich zum Kühlmittelvolumen (300 m3).Das Kühlmittel Natrium hat sehr gute Wärmeübertragungs-eigenschaften und eine hohe Siedetemperatur.Die Nachzerfallsleistung ist im Vergleich zur Wärmekapa-

. zität der vorhandenen Natrium- und Stahlmassen gering,Das Tauchkühlsystem ist redundant und wie der Reaktor-tank gegen eine mechanische Energiefreisetzung von370 MJ ausgelegt.Die Nachwärmeabfuhr ist nicht nur über das Tauchkühl-system, sondern auch über die Hauptkreisläufe möglich,Die Nachwärmeabfuhrsysteme sind innerhalb des Reaktor-tanks nicht auf aktive Systeme angewiesen.

Diese Voraussetzungen liegen in der überwiegenden Anzahlder Fälle vor. Das hat zwei Gründe:

Als Einleitungsereignis für eine Kernzerstörung dominie-ren die Fälle mit einem Versagen der Schnellabschalt-systeme. Das heißt, der Ausfall der Nachwärmeabfuhr-

systeme und damit der Ausfall des Tauchkühlsystemssteht nicht im Vordergrund als Einleitungsereignis füreine Kernzerstörung.

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Die Integrität des Tanksystems ist in den meisten Fällengewährleistet. Damit verbleibt ausreichend Natrium imReaktortank. Lediglich in den unwahrscheinlichen Fällen

mit einer sehr hohen mechanischen Energiefreisetzung

ist diese Voraussetzung nicht erfüllt.

Verteilung der KernmaterialienZur Bewertung der Rückhaltefähigkeit von geschmolzenen

Kernmaterialien muß zunächst die Verteilung dieses Mate-rials im Reaktortank nach einer Kernzerstörung diskutiertwerden.

Wie schon festgestellt wurde, kann es bei einer Kernzerstö-rung zu einer mechanischen Energiefreisetzung kommen.In Abhängigkeit davon kommt es zu einem mehr oder weni-ger starken Materialauswurf aus dem Kern und damit Ver-teilung des Kernmaterials im Reaktortank,

Die Einbauten des Reaktortanks, auf die wesentliche An-teile der Kernmaterialien gelangen und die eine Rückhalte-

funktion übernehmen können, sind außer dem Kernbereichder untere Sammelbehälter, der Boden des internen Brenn-elementlagers und der untere Teil der Schildtank-Tragstruk-tur (Bild 5).

In Abhängigkeit des Unfallablaufes sind in der Studie mehre-re Verteilungen der Kernmaterialien betrachtet worden, Fürdie grundsätzliche Betrachtung der Rückhaltefähigkeit sollenhier nur die Grenzfälle angesprochen werden,

Heftiger MaterialauswurfBei allen Fällen mit mechanischer Energiefreisetzung ist einvollständiger Kernmaterialauswurf in das obere Kühlmittel-plenum anzunehmen, Das ausgeworfene Material wird inkleine Partikel zerteilt, die ihre Wärme sehr schnell an dasumgebende Natrium abgeben und dadurch erstarren. Eswird weiterhin angenommen, daß sich die Partikel homogenim oberen Kühlmittelplenum innerhalb des Schildtankesverteilen und flächenproportional absetzen.Alle Materialmengen, die in den äußeren Ringraum gelangen,würden keinen nennenswerten Anteil zur Wärmebelastungder Tankstrukturen liefern, da sie sich über sehr große Flä-chen verteilen und so ihre Wärme leistung nicht abgeführt

werden kann. Die Beschränkung der Materialverteilung aufdie inneren Strukturen ist daher pessimistisch, Da angenom-men wird, daß sich der ausgeworfene Brennstoff flächen-

proportional absetzt, gelangen Anteile auch wieder in denKern zurück, so daß selbst nach vollständigem Auswurfmit gewissen Brennstoffmengen im Kern zu rechnen ist.

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Brut- und ReflektorelementeReaktorkern

BrennelementlagerSchildtank- TragstrukturGasblasenabscheiderunterer Sammelbehälter

Bild 5: Rückhaltestrukturen im Reaktortank

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BrennelementlagerSchildtank-Tragstruktur

Tauchkühler

Brut- und ReflektorelementeKernbereich

-- Strömungspfade

~-¡ Kernschmelze

Bild 6: Zustand nach heftigem Materialauswurf

Mit dieser Annahme ist im Kernbereich mit etwa 15 % derKernmaterialien zu rechnen. Die restlichen Kernmaterialienverbleiben (Bild 6) zu etwa gleichen Anteilen in den Brut-und Reflektorelementen in der Schildtank-Tragstruktur undam Boden des internen Brennelementlagers,

Im Bild 6 ist versucht worden, die sich einstellenden geome-trischen Verhältnisse ma ßstabsgerecht nachzubilden, Die

Höhe der Partikelschüttungen beträgt etwa 10 bis 24 cm.

Partikel, die über Brut- und Reflektorelemente absinken,

gelangen in oder zwischen diese Elemente, bleiben auf deroberen Kernverspannungsebene I iegen oder werden vonNatriumströmungen fortgetragen. Diese Partikel werden sichdaher sehr uneinheitlich ablagern und keine größeren An-sammlungen bilden, so daß sie zur Wärme belastung der Tank-strukturen nicht nennenswert beitragen.

Auf dem Boden des internen Brennelementlagers und auf derSchildtanktragstruktur lagern sich die Kernmaterialien in

Form von Granulatschüttungen ab. Bis zu einer kritischenSchütthöhe kann die Nachzerfallsleistung aus der Schüttungan die Umgebung abgegeben werden, Die kritische Schütt-höhe wird bei der angenommenen Verteilung der Kernmate-rialien kaum erreicht,

Wird dennoch unterstellt, daß die Nachzerfallsleistung nichtaus der Schüttung abgegeben werden kann, bildet sich nachdem Aufschmelzen des Kernmaterials eine dichte Kernschmel-ze.

Die an den Begrenzungsflächen der Kernschmelze abgegebeneWärme wird über sich ausbildende Strömungspfade bis zuden Tauchkühlern transportiert. Diese Strömungspfade sindim Bild 6 dargestellt. Es ist hervorzuheben, daß die Rück-haltestrukturen von Natrium umgeben sind, insbesondereauch unterhalb der Rückhaltestruktur, so daß sehr guteVoraussetzungen für die Rückhaltung bestehen, Dies führtdazu, daß ein direktes Durchschmelzen dieser Strukturenauszuschließen ist.

Ein Versagen der Rückhaltefähigkeit ist jedoch denkbar,wenn entweder die Festigkeit der Rückhaltestruktur beierhöhter Temperatur nicht ausreicht; oder wenn die Bau-teile durch eine mechanische Energiefreisetzung nennenswertbeschädigt oder die Natrium-Strömungspfade beeinträchtigtworden sind.

Wird unterstellt, daß die Schildtank-Tragstruktur versagt,

gelangt das Kernmaterial in den unteren natriumgefüllten

Tauchkühler

Ei ntritts- Roh rleitu n 9

Kern-TraggerüstGasblasenabscheiderStrömungsleitblechunterer Sammelbehälter

-- Strömungspfade~ Kernschmelze

Bild 7: Zustand nach geringem Materialauswurf

Totraum, Dort kann es auf Dauer nicht zurückgehaltenwerden und wird den Reaktortank durchdringen.

Geringer MaterialauswurfDen zweiten Grenzfall für die Kernmaterialverteilung inner-halb des Reaktortanks stellen die wahrscheinlichen Unfallab-läufe dar, bei denen keine nennenswerte Energiefreisetzung

bei der Kernzerstörung auftritt und deshalb ein Großteil

der Kernmaterialien im Kernbereich verbleibt,

Da angenommen werden kann, daß die Kernmaterialiennicht längerfristig im Kernbereich zurückgehalten werdenkönnen, schmelzen sie langsam weiter nach unten, nehmendabei den unteren axialen Brutmantel in die Schmelze mit

auf und erreichen frühestens nach einer Stunde die Höhe derGitterplatteneinsätze, Diese Einsätze haben einen freienDurchmesser von etwa 8 cm und werden von der Schmelzedirekt durchflossen.

Der Schmelzestrahl tritt in das natriumgefüllte untere Kühl-mittelplenum ein, wo er einen Weg von etwa 2,2 m zurück-

legen muß, bis er auf den Boden des Gasblasenabscheiders

trifft, Wenn der Strahl auf diesem Weg in Wechselwirkungmit dem Natrium tritt, wird er aufgespalten und abgekühlt.Der Gasblasenabscheider wird demnach mit einem Nieder-schlag aus teilweise erstarrten Partikeln belegt. Die vomBrennstoff an das Natrium abgegebene Wärme kann aus-reichen, um das gesamte Natrium innerhalb des Gasblasen-abscheiders bis zum Siedepunkt zu erhitzen und erheblicheNatriummengen zu verdampfen. Dadurch entsteht einÜberdruck im Gasblasenabscheider, der den weiteren Zu-fluß der Schmelze von oben verhindert und Natrium ausdem Gasblasenabscheider in die Brutelemente und Eintritts-leitungen verdrängt. Die weiteren Folgen wurden in derStudie bewertet, sollen aber hier bei der Diskussion der

Rückhaltestrukturen nicht weiter betrachtet werden.Die Bewertung des Eintritts der Kernschmelze in den unterenSammelbehälter führte dazu, daß eine Durchdringung dieserStruktur durch einen Schmelzstrahl zwar wenig wahrschein-

lich ist, aber nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Rückhaltefähigkeit des Gasblasenabscheiders wurde in

der quantitativen Analyse außer acht gelassen. Die eigentlicheStruktur mit einem hohen Potential zur Rückhaltung derKernschmelze ist der untere Sammelbehälter,

In Bild 7 sind die sich ausbildenden Strömu ngspfade darge-

stellt, Unterhalb des unteren Sammelbehälters bildet sich

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ein Natrium-Naturumlauf aus, der für einen ausreichendenWärmetransport sorgt. Die in dem Bereich zwischen demKern-Traggerüst und Reaktortank abgegebene Wärme wirdüber die Eintrittsrohrleitung des Primärkreislaufes abge-

führt. Die oberhalb der Kernschmelze abgegebene Wärmewird zu den Tauchkühlern transportiert,Ein direktes Durchschmelzen ist unter diesen Umständenausgeschlossen.

ZusammenfassungIn der SNR-Studie ist eine quantitative Abschätzung des

Rückhaltevermögens von geschmo Izenen Kernmateria lienim Reaktortank durchgeführt worden, Dabei sind alle Unfall-ablaufmöglichkeiten betrachtet worden, die in Abhängigkeitder Energiefreisetzung und damit auch des Materialauswurfes

aus dem Kern mit den ihnen zugeordneten Verteilungen in-nerhalb des Reaktortankes auftreten können.

Für eine Kernzerstörung infolge Versagens der Schnellab-schaltsysteme ergab sich, daß die Wahrscheinlichkeit für die

Rückhaltung der geschmolzenen Kernmaterialien innerhalbdes Reaktortanks 92 % beträgt, Bei den restlichen 8 % mitVersagen des Reaktortanks domi nieren die Fälle, die zueinem zentralen Durchschmelzen führen, wenn große MengenKernschmelze zunächst im Kernbereich verbleiben. Bei derErmittlung der Wahrscheinlichkeit für das Versagen des

Reaktortanks sind pessimistische Annahmen eingeflossen,Detaillierte Untersuchungen könnten diese Zahlenwertenoch verringern.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß bei dendominierenden Unfallabläufen gute Voraussetzungen zurKühlung von geschmolzenen Kernmaterialien nach einerKernzerstörung bestehen, Diese Voraussetzungen begründen

das hohe Maß an Rückhaltefähigkeit der Kernschmelzeinnerhalb des Reaktortanks.

Vorgänge im Containment nach einer Kernzerstörung

Als dritten Komplex soll im folgenden auf spezielle Vor-gänge eingegangen werden, wie sie beim Containment desSN R nach einer Kernzerstörung auftreten können.

Wie auch bei anderen Reaktoren hat das Containment desSNR-300 die Aufgabe, die Rückhaltung der Spaltprodukteauch bei Verlust der Integrität der Kühlmittelumschließung

zu gewährleisten, Wegen der chemischen Reaktionsfähigkeitdes Kühlmittels Natrium sind die Räume, in welchen dasKühlmittel geführt wird, inertisiert. Deshalb ist das Contain-ment des SNR-300 mehrschalig aufgebaut,

Im Bild 8 ist das Containment des SNR-300 dargestellt, DerPrimärkreis lauf ist von dem mit Stickstoff inertisierten inne-ren Containment umschlossen, das mit einem gasdichtenStahlliner ausgekleidet ist. Dieser Liner hat die Aufgabe, so-wohl Leckagen nach außen zu verhindern, als auch sicherzu-stellen, daß aus dem Beton infolge thermischer Belastungausgetriebenes Wasser nicht ins innere Containment gelangt.Damit sich dabei kein Druck zwischen Liner und Beton auf-baut, ist ein Dampfdruckentlastungssystem vorgesehen, das

diesen Dampf wieder kondensiert bzw, ins äußere Contain-me nt leitet.

Bei einer Kernzerstörung und Versagen des Reaktortanks

wi rd die aus dem Reaktortank austretende Kernschmelzevon der Bodenkühleinrichtung aufgefangen und zurückgehal-

ten, In der Auffangwanne wird das auslaufende Natrium ge-

sammelt, Die Bodenkühleinrichtung hat ein Kühlsystem, dasdie von der Kernschmelze in die Bodenkühleinrichtung ab-

fließende Wärme abführen kann, Damit soli ein Durch-schmelzen der Bodenkühleinrichtung verhindert werden.Im inneren Containment bildet sich eine Naturumlaufströ-mung aus, die die in der Reaktorzelle freigesetzte Wärme auf

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die übrigen Räume verteilt, wo sie von den Betonstrukturenaufgenommen wird. Ein Teilstrom des Stickstoff-Naturum-laufes kühlt die Auffangwanne.

Weitere betriebliche Kühlsysteme des inneren Containmentskönnen für Störfallbetrachtungen unberücksichtigt bleiben.Zur Verhinderung eines unzulässigen Überdrucks ist das innereContainment mit einem Sicherheitsventil ausgerüstet, welchesins äußere Containment entlastet.

Die zweite Schale des Containmentsystems wird durch dasäußere Containment gebildet. Bei Störfällen mit Verlustender Integrität der Kühlmittelumschließung wird dieses durchdas Reaktorschutzsystem gegenüber der Umgebung mitredundanten Lüftungsklappen abgeschlossen,

Im äußeren Containment sind Kühlsysteme vorgesehen, dieihre Funktion auch unter Unfallbedingungen erfüllen kön-

nen, Damit wird auch gleichzeitig eventuell anfallender Was-serdampf kondensiert.

Das gesamte Containmentgebäude ist im Abstand von 60 cmvon einer gasdichten Stahlblechhülle umgeben. Der Raumdazwischen wird bei einem Störfall von dem Reventing-system auf 3 mbar Unterdruck gehalten, wobei Leckagenin den Spalt aus dem Containment und von der Außen-atmosphäre in das äußere Containment zurückgespeistwerden. Damit kann über einen längeren Zeitraum eineFreisetzung radioaktiver Stoffe in diè Umgebung unterbun-den werden.

Bei Erreichen des Auslegungsdruckes des Containmentskann das äußere Containment über das Exventingsystemdruckentlastet werden, wobei die verbleibende Radioaktivi-tät gezielt über Filter und Kamin abgegeben wird.

Im Rahmen der Studie sind acht unterschiedliche Unfallab-läufe im Containment untersucht worden, Zur Veranschau-

lichung des Verhaltens des Containments soli ein Fall darge-stellt werden, in dem mehrere Sicherheitseinrichtungen ver-

sagen.

Angenommen wird ein "nicht beherrschter Notstromfall",bei dem es zum Ausfall der Nachwärmeabfuhrsysteme kommt,Weiterhin wurde angenommen, daß die "passive" Nachwär-meabfuhr nicht gelingt, Dadurch werden Kühlmittel undStrukturen aufgeheizt. Wird bei einer nachfolgenden Kern-

K

D

K: RaumkühlsystemeD: DampfdruckentlastungssystemB: BodenkühlsystemR: Reventing-/Exventingsystem

Bild 8: Containmentsystem

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zerstörung unterstellt, daß mechanische Energie freigesetztwird, so muß damit gerechnet werden, daß der Reaktortankseine Integrität verliert,

Diese Situation wird frühestens zwei Tage nach Störfallbe-ginn eintreten. Dies ist die Zeit, die mindestens notwendigist, bis die "passive" Nachwärmeabfuhr versagt und danachso viel Natrium aus dem Reaktortank verdampft, daß es zueiner Kernzerstörung kommen kann.

Anhand des Bildes 9 soll die Funktionsfähigkeit der vorherangesprochenen Sicherheitseinrichtungen im Containmentdiskutiert werden.

Angenommen wurde, daß nach dem Verlust der Integritätdes Reaktortanks dieser auf den Doppeltank abstürzt, Da-durch kann das Kühlsystem der Bodenkühleinrichtung sowiedie Natriumauffangwanne beschädigt werden, Das dann indie Reaktorzelle auslaufende Natrium blockiert die Rück-strömkanäle, so daß der Stickstoffnaturumlauf unterbundenwird.

Als Folge des unbeherrschten Notstromfalles werden alleaktiven Sicherheitssysteme im Containment als ausgefallenangenommen. Das heißt, das Dampfdruckentlastungssystemund die Kühlsysteme im äußeren Containment können ihreF unktion nicht erfüllen.

Das Containment kann als isoliert angenommen werden, dader Abschluß des Containments bei Verlust der Energie auto-matisch ohne aktive Maßnahme erfolgt. Das Reventing- undExventingsystem stehen jedoch nicht zur Verfügung,

Zusammenfassend ist im betrachteten Fall angenommen wor-den, daß alle Sicherheitseinrichtungen bis auf den Contain-mentabschluß versagen,

Im Bild 10 sind in Form eines Blockdiagramms die sich erge-benden Folgen dargestellt, Das ausgelaufene Natrium führtzu einer thermischen Belastung des Bodenliners wie auch

des Fundamentes, Da gleichzeitig das Dampfdruckentlastungs-system nicht funktionsfähig ist, kommt es zum Versagen desBodenliners, Dadurch kommt das Kühlmittel Natrium inKontakt mit Beton.

Durch dann ablaufende exotherme chemische Reaktionenwerden zusätzlich zur Nachzerfallsleistung noch erheblicheEnergiemengen im inneren Containment freigesetzt,

Als erstes ist dabei die Natrium-Wasserdampfreaktion zur be-trachten, Durch die thermische Belastung des Betons der

Reaktorzelle (biologischer Schild und Wände) wird Wasseraus dem Beton ausgetrieben, Es wird dabei im wesentlichenin drei Phasen freigesetzt, die mehr oder weniger stark mitder Bindung des Wassers im Betongefüge gekoppelt sind:Freies Porenwasser, physikalisch gebundenes und chemischgebundenes Wasser. Insgesamt werden aus einem KubikmeterBeton etwa 175 kg Wasser entweichen, wenn er auf 450°Caufgeheizt wird,

Das Wasser gelangt nun über den defekten Bodenliner in die

Natriumlache der Reaktorzelle. Aus der chemischen Reak-tion mit Natrium entstehen nun Natriumoxid und freierWasserstoff. Dabei wird eine Energie von 171 MJ je kmolWasser frei,

Ebenfalls von Bedeutung ist der chemische Angriff des Bo-denbetons der Reaktorzelle durch Natrium, Dabei findenexotherme Reaktionen zwischen Natrium und Siliciumoxidbzw, den im Beton enthaltenen Metalloxiden statt. Die Reak-tionsgeschwindigkeiten sowie die maximale Eindringtiefeder Reaktionsfront und die freiwerdende Energie hängen von

der verwendeten Betonsorte ab,

Aus den zur Verfügung stehenden Versuchen läßt sich fürden im SNR-300 verwendeten silicatischen Beton nicht ein-deutig die Ausbildung einer Schutzschicht aus Reaktions-

produkten und damit eine Begrenzung der Eindringtiefe

herrschter Ausfall NWA Tankver. .~ __ :romfall Kernzerstörung

i

I Natriumauffangwanne¡

IStickstoffnaturu mlauf

I

IBodenkühleinrichtung

I

1

i Dampfdruckentlastungssystem I

IRaum-Kühlsystem

I

IContainmentabschluß

I

iReventingsystem

I

Exventingsystem J

Bild 9: Zustand der Containrnnt-Sicherheitssystern nach Ausfallder Nachwärmeabfuhrsysteme

ableiten. Daher wurde für die Studie ein fortschreitendes

Eindringen der Reaktionsfront mit einer Geschwindigkeit

von etwa 1,3 cm/h angesetzt, sobald der Liner großflächigdurch Versagen der Bodenkühleinrichtung versagt.

Durch die Wärmezufuhr resultiert ein langsamer Druckauf-bau im inneren und wegen der Leckagen auch im äußerenContainment. Durch Leckagen gelangt Wasserstoff aus deminneren ins äußere Containment und vermischt sich dort mitder Luft. Im Verlaufe der Zeit baut sich dabei eine Wasser-

stoffkonzentration auf, die jenseits der Zündgrenzen jedochnicht der Detonationsgrenzen liegen kann. Gleichzeitig bil-den sich im inneren Containment durch Sieden der Natrium-

lache Natriumaerosole, die über das sich öffnende Sicher-

heitsventil ins äußere Containment gelangen. Dort reagiertdas Natrium stark exotherm mit dem Luftsauerstoff undsorgt damit für eine Zündung des Wasserstoff-Luft-Gemisches.

Im Verlauf des Unfalles werden über 15 t Wasser frei undreagieren mit Natrium. Dies führt zu einem Energieeintrag

von etwa 146 GJ, Demgegenüber ist der Anteil bei der Na-trium-Beton-Wechselwirkung mit etwa 23 GJ gering.

Y"f:,~O BOdeo"oe:I Natrium-Wasser-!~kti~n-- ~

r ! Energieeintrag : IWasserstoff- I Druckaufbau. ~erzeugung : Natriumdampf , ..--

L._._____-- Offnen

Sicherheitsventil~wasser~t()ff-JLuft-Gemisch-~

Verbrennung

Bild 10: Vorgänge im Containment nach Ausfall der Nachwärmeab-fuhrsysteme

27

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6

1

ClC:J..CI

~

o 5 10 15 20 h 25Zeit nach Tankversagen --

ktlWl Natrium-Beton-Reaktion!tttII Natrium-Wasser-ReaktionI/I Nachzerfallsleistung

Bild 11: Energieerzeugung im Containment nach Ausfall der Nach-wärmeabfu hrsyste me

Im Bild 11 sind die verschiedenen Anteile zusammengestellt.

Bei der Nachzerfallsleistung ist berücksichtigt, daß der Zeit-punkt des Reaktortankversagens nach frühestens zwei Tagen

zu erwarten ist. Aus dem Bild ist ersichtlich, daß aus denReaktionsmöglichkeiten des Natriums ein erheblicher Ener-gieeintrag resultiert.

Im Bild 12 ist der Druckverlauf im Containment dargestellt.Er ist repräsentativ für die Freisetzungskategorie, in die der

"nicht beherrschte Notstromfall" im Rahmen der Risiko-

orientierten Analyse zum SNR-300 eingeordnet wurde,

Das Bild 12 zeigt, daß die zeitliche Änderung des Druckesgering ist, Der Verlust der Integrität des Containments wirderst einige Tage nach dem Tankversagen zu erwarten sein.Etwa 22 h nach Tankversagen ist jedoch mit der Zündung

des Wasserstoff-Luft-Gemisches zu rechnen.

Obwohl eine Detonation ausgeschlossen werden kann, istder Druckanstieg i nfolge Deflagration so stark, daß die

Diskussion

0, G rem m (KWU Erlangen):

Wurde grundsätzlich kein Versagen des Gebäudeabschlusses

angenommen?

A.Scharfe(GRS):Im Rahmen der "Risikoorientierten Studie" sind acht unter-schiedliche Unfallabläufe im Containmentsystem untersuchtworden, In vier dieser Fälle wurde unterstellt, daß der Con-tainmentabschluß versagt. Dabei wurde unterschieden zwi-schen Fällen mit Weiterlaufen des Zuluft-Abluftbetriebesund Ausfall der Absperrklappen,

R. S art 0 r i (RWTÜV, Essen):Ist beim Notkühlsystem Naturumlauf unterstellt worden?Ist bei Bild 12 ein Energieausfall für etwa 20 Stunden unter-stellt worden?

28

1,4

bar

1,3

I~():: 1,2..0

1,1

1,0,1'0 h0 20

Zeit nach Tankversagen --

Bild 12: Druck im Containment nach Ausfall der Nachwärmeabfuhr-systeme

Integrität des Containments nicht mehr gewährleistet ist,Bei Berücksichtigung der Zeit, die vergeht, bis der Reaktor-tank versagt, ist damit frühestens nach drei Tagen nach Stör-fallbeginn zu rechnen.

Dies verdeutlicht das hohe Maß an Rückhaltefähigkeit desContainmentsystems und dies, obwohl alle Sicherheitsein-richtungen bis auf den Containmentabschluß als nichtfunktionsfähig postuliert wurden,

Schrifttum

(1) Risikoorientierte Analyse zum SNR-300. G RS-51, Oktober 19,82(2) Gesellschaft für Reaktorsicherheit: Deutsche Risikostudie Kern-

kraftwerke - Hauptband. Hrsg,: Bundesminister für Forschungund Technologie, Verlag TOV-Rheinland, Köln, 1979

(3) KFA, GRS: Sicherheitsstudie für HTR-Konzepte unter deutschenStandortbedingungen. Jül-Spez-136 Bd, Dezember 1981

(4) Khatib-Rahbar, M., et al.: LMFBR System-Wide TransientAnalysis: The State of the Art and U,S, Validation Needs, vorge-

tragen auf dem 'International Topical Meeting on LMFBRSafety and Related Design and Operational Aspects', Lyon,19,-23. Juli 1982

A,Scharfe(GRS):Zur ersten Frage: Zum Natriumkreislauf des Notkühlsystems

ist berücksichtigt worden, daß die Nachzerfallsleistung im

Naturumlauf zu den Luftkühlern transportiert werden kann.

Zur zweiten Frage: Bei dem in Bild 12 dargestellten "nichtbeherrschten Notstromfall", der zum Ausfall der Nachwärme-abfuhr führt, ist unterstellt worden, daß die Funktionsfähig-keit der als ausgefallen angenommenen Sicherheitseinrich-tungen nicht wieder hergestellt wird. Dabei ist nicht unter-schieden worden, ob dies ausgelöst wird durch den länger-fristigen Ausfall der elektrischen Energieversorgung oder

dadurch, daß nach der Wiederherstellung der Energiever-sorgung die Sicherheitseinrichtungen ihre Funktion nichtmehr in vollem Umfang erfüllen können. Diese Annahme isthinsichtlich der Auswirkungen pessimistisch.

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Aktivitätsfreisetzun9 bei schweren Unfällen des SNRVon R. Martens, W. Müller und S. Jordan')

Kurzfassung

Aus der Vielzahl der für die SNR-Risikostudie untersuchtenUnfallabläufe wurden zwei ausgewählt, um die für das Frei-setzunqs- und Transportverhalten der radioaktiven Stoffetypischen Analysen zu demonstrieren,

Im ersten der hier vorgestellten Fälle bleibt das Containment-system des SNR über 22 h intakt. Danach wird unterstellt,daß das äußere Containment durch eine Wasserstoffverbren-nung seine Integrität verliert. Da das Containmentsystem indiesem wie in den meisten Fällen eine relativ lange Einschluß-zeit der radioaktiven Stoffe sicherstellt, ist der Rückhalte-effekt entsprechend hoch. Insgesamt werden - mit Ausnahmeder Edelgase - 95 % der in die Containmentatmosphärefreigesetzten Radionuklide in der Anlage zurückgehalten,

Konkret bedeutet das, daß bezogen auf das Kerninventar

beispielsweise 3,8 % des Jods, aber nur 0,06 % des Brennstoffs(Uran, Plutonium) in die Umgebung gelangen.Im zweiten hier beschriebenen Fall wird ein Versagen des

Containmentsystems bereits nach fünf Minuten unterstellt.Wegen der Höhe der hierfür erforderlichen Energie kommt eszu einer massiven Freisetzung radioaktiver Stoffe in dieContainmentatmosphäre, Die dadurch bewirkte hohe Kon-zentration luftgetragener radioaktiver Stoffe sorgt für eine

rasche Ablagerung, so daß trotz der kurzen Verweilzeit über

80 % der in die Containmentatmosphäre freigesetzten radio-aktiven Stoffe in der Anlage zurückgehalten werden.

Diese Ergebnisse zeigen, daß selbst bei extremen Annahmenüber Unfallablauf und Aktivitätsfreisetzung beim SNR-300ein hohes Maß an Rückhaltung gewährleistet ist,

Abstract

The paper presents a selection of the mu Ititude of accidentsequences, whose environmental impact has been investigatedin the risk oriented analysis for the SNR-300. Two cases havebeen selected, one with a delayed release of fission productsand fuel i nto the environment, and another, that causes anearly instant release.

In the first case, the long residence time of the radioactive

aerosols in the containment system before the release assuresa corresponding high retention effect, With the exception ofthe radioactive noble gases 95 % of the activity released intothe containment system are retained inside the plant. Forsingle groups of nuclides the retention factor is much higher,

The necessary energy release for the second case produces agreat mass of fuel and fission product aerosols, Therefore

the deposition is accelerated due to the high aerosol mass

concentration in the containment atmosphere, The conse-

quence is a noticeable retention ()- 80 %) in spite of theshort time (~ 5 min) until the containment system fails and

the release to the environment starts,These results show that there is a high retention capability ofthe SN R-300 even under extreme assumptions about sequenceactivity release of accidents,

Einleitung

Wie gelangen bei schweren Unfällen des SNR radioaktiveStoffe vom Ort der Entstehung in die Umgebung? DieseFrage kann realistisch nicht anhand eines simplen, gerad-

1) Dr, Reinhard Martens und Dipl.-Phys, Wolfgang Müller sindtechnisch-wissenschaftliche Mitarbeiter der G RS;

Dr. Siegfried Jordan, Kernforschungszentrum Karlsruhe

linigen Modells beantwortet werden. Die Antwort erfordertdaher einen größeren Aufwand an Analyse, Dabei wird dasF reisetzungs- und Transportverhalten der Aktivität innerhalbder Reaktorcontainments mit Hilfe von Modellen und Pro-

grammsystemen untersucht, die die Wechselwirkung zwi-schen thermodynamischen und aerosolphysikalischen Pa-rametern beschreiben.

Im Rahmen einer Risikostudie wird die obige Frage fürein ganzes Unfallspektrum gestellt, und die Antwort mußfür jeden einzelnen Unfallablauf getrennt ermittelt werden,

Die Darstellung aller Überlegungen, Berechnungen und Aus-we1"ungen, die hierfür im Rahmen der SNR-Risikostudiebei uns durchgeführt wurden, würde diesen Beitrag über Ge-bühr ausdehnen, Aus diesem Grunde wurden hier zwei Unfall-sequenzen ausgewählt, die wir für die genannte Studieanalysiert haben, Es handelt sich dabei zum einen um eineKernzerstörung, die zum Versagen des Reaktortankes führt.Es wird unterstellt, daß die Wärmeabfuhr über die Bodenkühl-einrichtung (BKE) und den Stickstoffnaturumlauf unterbro-chen ist, so daß der Liner des inneren Containments versagt,

Die folgenden Natrium-Wasser- und Natrium-Beton-Reaktio-

nen sowie die Natriumverdampfung bewirken nach etva33 h, daß der Brennstoff teilweise freiliegen kann. I m übrigenbleibt jedoch die Integrität des inneren Containments unver-sehrt, Im äußeren Containment wird angenommen, daß dasReventing/Exventingsystem ausfällt, Ferner kann es nachetwa 22 h zu einem zündfähigen Gemisch aus Wasserstoffund dem Luftsauerstoff kommen, Daher wird ab diesemZeitpunkt ein Versagen unterstellt (Fall A),Zum anderen wird als Extremfall eine Kernzerstörung unter-sucht, deren mechanischer Energiefreisetzung das innereContainment nicht standhält, Aktivität gelangt deshalbunverzögert ins äußere Containment. Der dort stattfindendeDruckaufbau führt kurzfristig zum Versagen des äußerenContainments (Fall B),

Freisetzung radioaktiver Stoffe aus dem Reaktortank

Fa II A

Phänomenologisch stellt sich, der Ablauf der spontanen Frei-setzung bei einer Exkursion in der ersten Phase etwa folgen-

dermaßen dar (Bild 1); Der Kern heizt sich infolge derLeistungsexk ursion auf die Schme Iztemperatur des B renn-

stoffs von etwa 3040 K auf. Dabei verdampft das Natrium

im Kernbereich. Dies. führt zu einem weiteren Leistungsan-

stieg, verbunden mit einer weiteren Aufheizung des Kerns,Für den hier betrachteten Fall liegt die mittlere Temperaturdes Kerns in dieser Zeitspanne über dem Siedepunkt des

Brennstoffs (3760 K). Daher wird ein Teil des Brennstoffesund der Spaltprodukte in Dampf umgewandelt, Die zunächstauf den unmittelbaren Kernbereich beschränkte Dampfblase

expandiert und verdrängt dadurch das über ihr stehendeNatrium in das Schutzgasplenum (Expansionsphase), Das fürdie Expansion zur Verfügung stehende Volumen ist bei in- ,taktem Tank auf das des Schutzgasplenums und dem .volu-

menzuwachs bei der Tankdehnung (etwa 70 m3) beschränkt.Am Ende dieser Expansionsphase ist die entstandene Brenn-stoffdampfblase wie auch der restliche flüssige Brennstoffan-teil noch von Natrium überdeckt, Es wird davon ausgegangen,daß die Brennstoffdampfblase mit den darin enthaltenengas- und aerosolförmigen Spaltprodukten innerhalb wenigerStunden in das Schutzgasplenum aufsteigt (Aufstiegsphase).Von dort gelangen radioaktive Stoffe über Leckagen in dasinnere Containment.

29

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Tankdeckel

expandierteBrennstoff-dampfblase

Schutzgas-plenum

Natriumspiegel

Tank

Vermischungder Brennstoff-dampfblasemit dem Schutz-gas

Blasenaufstieg

Reaktorkern

= Ausgangszustand- - Ende der Expansionsphase- Ende der Aufstiegsphase

Bild 1: Aktivitätstransport im Tank bei der Exkursion

Betrachtet man das Freisetzungsverhalten einzelner Nuklid-gruppen entsprechend diesem Phasenverlauf, ergibt sichfolgendes Bild:

Edelgase

Aufgrund der Temperaturen ist mit einer vollständigen Frei-setzung der Edelgase aus dem Brennstoff bereits währendder Expansionsphase zu rechnen. Eine Rückhaltung imNatrium wird nicht unterstellt,

Halogene

Ähnlich wie die Edelgase werden die Halogene, im wesent-

lichen Jod, am Ende der Expansionsphase vollständig alsGas vorliegen. Bereits in den 60er Jahren erkannte man, je-

doch aus der Untersuchung von Störfällen in natriumgekühl-ten Forschungsreaktoren, daß Natrium gegenüber Jod ein er-hebliches Rückhaltevermögen aufweist (1, 2). Diese Beob-achtungen wurden in der Folge vielfach theoretisch undexperimentell genauer erforscht (3, 4, 5, 6). Überträgt mandie Ergebnisse auf die Verhältnisse beim SNR, so ergebensich Freisetzungswerte am Ende der Aufstiegsphase von

einigen Prozent, Das bedeutet, daß 90 % und mehr derHalogene im flüssigen Natrium zurückgehalten werden,Wegen der Unsicherheiten beim Vergleich der eingeleitetenthermischen Energie, der Temperaturen in der Brennstoff-dampfblase sowie der geometrischen Randbedingungen wur-de in der SNR-Risikostudie ein Wert von 50 % für die Frei-setzung von Halogenen ins Schutzgasplenum angenommen,

Cäsium

Die Ergebnisse von Freisetzungsexperimenten mit Cäsiumsind leider nicht ähnlich eindeutig wie die von Jod. DerGrund hierfür ist, daß das Rückhaltevermögen von Natriumgegenüber Cäsium sehr stark von der chemischen Form desCäsiums abhängt, Daher können schon Verunreinigungeneinen deutlichen Effekt bei der gemessenen Freisetzunghinterlassen. Unter SNR-Bedingungen ist davon auszugehen,daß Cäsium überwiegend in elementarer Form vorliegt. Fürdiesen Fall wurden vergleichsweise hohe Freisetzungsraten

gemessen, Allerdings nimmt der spontane gasförmige Cäsium-anteil mit zunehmender Temperatur eher ab, da sich diePartialdrücke von CäsÎum und Natrium hierbei wieder an-nähern, Da eine Extrapolation auf die Temperatur in derBrennstoffdampfblase nicht ohne weiteres möglich war,

30

gehen wir davon aus, daß 90 % des Cäsiuminventars insSchutzgas gelangen, Dabei bleiben Zeiteffekte unberücksich-

tigt.

Antimon, Tellur

Für die ihrer Flüchtigkeit nach im Übergangsbereich liegendenElemente Tellur (Te) und Antimon (Sb) existieren nur weni-ge detaillierte Untersuchungen. Beide Elemente reagierenrasch mit Natrium zu Verbindungen, deren Flüchtigkeitgeringer als die von Natriumjodid (NaJ) ist, so daß chemischeund physikalische Rückhaltemechanismen analog denen desJods wirksam werden. Darüber hinaus lassen thermodynami-sche Überlegungen erwarten, daß beide überwiegend konden-siert vorliegen (4, 7). Daraus läßt sich analog zu den Haloge-nen ein gas- oder aerosolförmig ins Schutzgasplenum gelan-

gender Anteil in der Größenordnung von 1 % abschätzen,

Andererseits zeigten Versuche, bei denen eine Exkursion mitund ohne Natriumüberdeckung des Kerns herbeigeführt wur-de, ohne Natrium als Rückhaltemedium für Tellur eineFreisetzung von 45 % des vorhandenen Inventars (8). Daherwurde, wie bei den Halogenen, wegen der großen Unsicher-

heit bei der Extrapolation ein Anteil von 40 % im Schutzgas-

plenum unterstellt, Mit der Reduktion gegenüber den Haloge-nen wird den thermodynamisch günstigeren Eigenschaftender Jodverbindungen beider Elemente verglichen mit Na-triumjodid Rechnung getragen,

Schwer flüchtige Spaltprodukte und Brennstoff

Die Freisetzungsanteile der schwer flüchtigen Spaltpro-dukte (Erdalkalimetalle, Ruthenium, Lanthan) verhaltensich näherungsweise entsprechend ihrer Partialdrücke imVerhältnis zu dem des Brennstoffs (4, 9), Der Anteil desverdampften Brennstoffs würde am Ende der Expansions-phase, unter der Annahme einer isentropen Expansion desBrennstoffes auf 70 m3, etwa 12 % der Masse betragen,Wie aus detaillierteren Rechnungen und Experimentenhervorgeht, ist jedoch der tatsächlich während der Expan-sion verdampfte Anteil infolge Brennstoffvermischungsowie Wärmeabfuhr an Strukturen und Natrium wesentlichgeringer als 12 %, Ein Anteil von 3 % dampfförmigen Brenn-stoffs in der expandierten Blase kann als pessimistische An-

nahme angesehen werden, G leiche Überlegungen gelten fürdie schwer flüchtigen Spaltprodukte,

Die Reduktion des gas- und aerosolförmigen Anteils derschwer flüchtigen Spaltprodukte sowie des Brennstoffswährend des Blasenaufstiegs läßt sich im wesentlichen durchverschiedene physikalische Prozesse erklären. Neben denaerosolphysikalischen Ablagerungsmechanismen werdendurch Wärmeabfuhr und Blasenoszillation bzw. -kollapserhebliche Teile des gasförmigen Blaseninventars kondensiertund im Natrium zurückgehalten. Experimentelle Bestimmun-gen des verbleibenden Aerosolpotentials gestalten sich jedochzum Teil schwierig, da ein Blasenaufstieg bis zur Oberflächenur unter speziellen Randbedingungen bei Versuchen unterWasser beobachtet wurde. In allen anderen Fällen fand keinAktivitätstransport über den Blasenaufstieg statt (10, 11).Sofern aerosolförmige Aktivität im Schutzgasplenum ermit-

telt wurde, betrug der Anteil etwa 0,2 % bei höherem Ener-gieeintrag und geringeren Blasenaufstiegswegen als in demhier betrachteten Fall beim SNR. Der Dekontaminationsfak-tor während der Aufstiegsphase wi rd dabei mit etwa 20 abge-schätzt. Experimente unter Wasser lassen sich nicht ohneweiteres auf die Verhältnisse unter Natrium übertragen,Unter Natrium liegen beim SNR günstigere Bedingungenvor. Trotzdem wird ein Anteil von 0,5 % der schwer flüchti-gen Spaltprodukte sowie des Brennstoffs als aerosolförmigim Schutzgasplenum angenommen. Dies entspricht einemDekontaminationsfaktor von ,¡ 6 für die hier betrachtetenVerhältnisse.

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Sobald die Blase das Schutzgasplenum erreicht, besteht dieMöglichkeit einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen indas innere Containment über Leckagen, Bis zum Druckaus-

gleich werden auch hier wiederum verschiedene reduzieren-de Mechanismen wirksam. Zum einen finden druck- undkonzentrationsabhängig aerosolphysikalische Ablagerungs-

prozesse statt, Zum anderen muß auf den Leckagewegen un-ter Umständen mit Ablagerung und Abscheidung aerosol-förmiger, sowie mit der Kondensation gasförmiger radio-aktiver Stoffe gerechnet werden. Dies kann im Extremfallbis zur Verstopfung der Leckagewege führen. Zahlreiche

Untersuchungen und Experimente haben diese Mechanis-men beschrieben (5, 12). Voraussetzung für die Berück-sichtigung dieser Rückhaltemechanismen ist jedoch immereine hinreichend genaue Kenntnis der Leckage nach Artund Größe. Da diese Studie eine abdeckende Betrachtungfür jeweils eine ganze Gruppe denkbarer Ereignisabläufe

liefern sollte, werden die entsprechenden reduzierenden

Effekte bei der Freisetzung nicht berücksichtigt.

Zudem wird angenommen, daß von den gas- und aerosol-förmig freigesetzten Halogenen 1 % - bezogen auf das Kern-inventar - organisch gebunden vorliegen. Das bedeutet, daß

diese 1 % weder mit Natrium reagieren noch anderweitigzurückgehalten würden. Angesichts der Tatsache, daß orga-nische Jodverbindungen in der Gegenwart von Natrium unterSNR-Bedingungen nicht nachgewiesen wurden, wird damitder Anteil leicht flüchtiger Jodverbindungen sehr konserva-tivabgeschätzt,

Fa II B

Während im Fall A bei der spontanen Freisetzung von einemintakten inneren Containment ausgegangen wurde, wird imFall B ein Versagen des Tankdeckels angenommen, Aufgrundder dabei wirksam werdenden Energie kommt es gleichzeitigzum Versagen der Betonabdeckung der Deckelgrube zwi-schen innerem und äußerem Containment. Damit ergibt sichein direkter Freisetzungsweg vom Kern ins äußere Contain-ment,

Der Freisetzungsverlauf läßt sich in diesem Fall nicht mehrin vergleichbare Phasen gliedern wie bei den übrigen Ereignis-abläufen, da Expansions- und Aufstiegsphase fließend inein-ander übergehen. Zur Bestimmung der freigesetzten Anteileradioaktiver Stoffe wurde daher auf Abschätzungen für dieExpansionsphase zurückgegriffen und kein weiterer redu-

zierender Mechanismus unterstellt, Demzufolge wird an-genommen, daß sämtliche flüchtigen Spaltprodukte (Edel-gase, Halogene, Cäsium, Tellur, Antimon) zu 100 % in dieAtmosphäre des äußeren Containments freigesetzt werden.

Der Anteil des verqampften Brennstoffs wurde aufgrund vonGrenzbetrachtungen für Exkursionen extrem hoher Energiemit 25 % abgeschätzt. Hierzu wurde ein Anteil von 5 %aerosolförmig fragmentiertem flüssigem Brennstoff addiert.

Zur Beurteilung dieser Annahme sind in Bild 2 experimentel-le Ergebnisse aus Versuchseinrichtungen ohne Natriumüber-deckung zusammengetragen. Man erkennt, daß für die Ver-hältnisse beim SNR die Annahme von 30 % luftgetragenemBrennstoff weit oberhalb der experimentellen Befunde liegt.

Für die schwer flüchtigen Spaltprodukte gilt das gleiche wieim vorangegangenen Abschnitt. Es wird daher angenommen,daß sie zu gleichen Anteilen wie der Brennstoff in die Atmo-sphäre des äußeren Containments gelangen, Insbesondere beiden schwer flüchtigen Metalloxiden (Lanthangruppe) stelltdies eine erhebliche Überschätzung der Freisetzung dar.

Faßt man die bisherigen Ergebnisse zusammen, so ergebensich für die spontane Freisetzung aus dem Reaktortank diein Tafel 1 gezeigten Werte,

300 0

0SNR

(Fall B)

00

0/: 0

00

~~o ..SNAPTRAN 2i I i

0,5 1,0 1,5 MJ th./kg 2.5

eingeleitete Energie ~

Q)

'SQ).0ui::CIouie~

%

20

10

o

Bild 2: ORNL-Versuchsergebnisse (mit meßbarer Aerosolausbeute)ohne Überdeckung des Brennstoffs

Verzögerte Freisetzung radioaktiver Stoffe nach dem Versa-gen des Reaktortanks

Fa II A

Es wird angenommen, daß alle nach der Exkursion im Reak-tortank verbleibenden radioaktiven Stoffe nach dem Ver-sagen des Tanks in die Bodenkühleinrichtung (BKE) gelan-gen. Sie verbleiben dort zunächst von Natrium überdeckt.

Da unterstellt wi rd, daß alle Wärmeabfuhrsysteme versagen,führt die Nachwärme des Brennstoffs zu einer Aufheizungdes Natriums in der BKE bis zum Siedepunkt. Berechnungenergeben eine Zeit von etwa 25 h bis zum Erreichen dieserTemperatur. Etwa nach 12 h versagt aufgrund der thermi-schen Belastung der Liner des inneren Containments. Damitkommt es zum Kontakt zwischen Natrium bzw, Brennstoffund Beton. Die Auswirkungen der dadurch ablaufendenchemischen Reaktionen werden hauptsächlich durch dieNatrium-Wasser- bzw. Natrium-Beton-Reaktion bestimmt.Nach etwa 33 h ist diese Reaktion beendet, Unter diesenUmständen kann der Brennstoff teilweise freiliegen, so daßeine Rückhaltewirkung des Natriums entfällt, Für die Frei-setzung aus der BKE wurden entsprechend diesem Ablaufinsgesamt vier Zeitphasen unterschieden. Zu Beginn gelangt

ein Teil der Spaltprodukte und des Brennstoffs durch Mitver-dampfung oder Mitriß in die Atmosphäre des inneren Con-tainments. Ein Maß für diesen Transport im Vergleich zurNatriumverdampfung stellen die sogenannten Mitverdamp-fungsfaktoren dar, Sie sind definiert als der Quotient derKonzentration von Spaltprodukten in Natrium in der gasför-migen und in der flüssigen Phase. Werte hierfür wurden

elementspezifisch von verschiedenen Autoren in zahlreichenMeßreihen bestimmt (9, 13, 14),

Tafel 1: Spontane Freisetzung aus dem Reaktortank in den beidenuntersuchten Unfallabläufen

N uk lidgruppe Fall A Fall B

(%) (%)Edelgase 100 100Halogene 50 100Cäsium 90 100Tellur, Antimon 40 100sonstige schwerflüchtige Spaltprodukte 0,5 30und Brennstoff

31

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Tafel 2: Vier Phasen der Freisetzung ins innere Containment

Nuklidgruppe 0...12 h 12...25 h 25...33 h nach 33 h L(%) (%) (%) (%)

Halogene 0,1 3 7,5 39,4 50%Cäsium 1 9 - - 10 %

Tellur,1 35 24 - 60%

AntimonBarium, 6.10-3 0,2 0,5 0,3 1 %Strontiumsonstigeschwer flüch-tige Spaltpro- 10-4 3.10-3 7,5,10-3 1 1 %dukte undBrennstoff

Aufgrund der umfangreichen Untersuchungen im Kernfor-schungszentrum Karlsruhe unter SNR-typischen Verhält-nissen können folgende Werte unterhalb des Siedepunktesals pessimistische Abschätzung angesehen werden:

flüchtige Spaltprodukte (Cäsium, Tellur, Antimon) 20Halogene 2Strontium, Barium 0,06sonstige Spaltprodukte und Brennstoff 0,001Für die erste Zeitphase (0 bis 12 h) wurde die Freisetzung

mit Ausnahme der des Cäsiums anhand dieser Mitverdamp-fungsfaktoren bestimmt. Da gegen Ende der ersten Phase derSiedepunkt von Cäsium erreicht wird, wurde die Cäsium-Frei-setzung gegenüber der errechneten um den Faktor 5 erhöht.

Die Zuordnung von Tellur und Antimon zur flüchtigstenNuklidgruppe führt an dieser Stelle zu stark überschätztenF reisetzungswerten, Sie wurde mangels spezifischer experi-menteller Daten vorgenommen.

Der zweite Teil der Aufheizphase (12 bis 25 h) wird mit demErreichen des Siedepunktes von Natrium abgeschlossen, Erwird bestimmt von der Reaktion des Natriums mit Wasser

und Beton, Hier muß angenommen werden, daß nicht mehrnur reine Oberflächeneffekte die Freisetzung bestimmen,

Vielmehr ist durch aufsteigende Wasserstoffgasblasen ein

erhöhter Mitriß von radioaktiven Stoffen zu erwarten. Aller-dings bleibt der Brennstoff in dieser Phase von Natrium über-deckt. Um diese Effekte zu berücksichtigen, wurden zunächstF reisetzungswerte aus den Mitverdampfungsfaktoren ermit-telt und diese dann verdoppelt, Abweichend davon wurdefür Cäsium eine vollständige Verdampfung unterstellt,

Bild 3: Schematischer Querschnitt des SNR-300-containments

32

In der folgenden Phase (25 bis 33 h) klingt bei siedendem

Natrium die gleichzeitige Natrium-Beton-Reaktion ab, bisdas Natrium vollständig durchreagiert ist. Hierfür wurde dieFreisetzung anhand der Mitverdampfungsfaktoren bestimmt.

Nach diesem Zeitpunkt ist der Brennstoff möglicherweise

nicht mehr überdeckt. Geht man für diese Phase von den fürLeichtwasserreaktoren ermittelten Freisetzungen beim Kon-takt zwischen Schmelze und Beton ohne Überdeckung aus(15), so ergeben sich pessimistische Abschätzungen für diesenFalL. Für die Gruppe der Edelmetalle wird von dieser Vor-gehensweise jedoch in einem Punkt abgewichen. Beim Leicht-wasserreaktor wi rd hierfür wegen des großen Sauerstoffange-botes eine Oxidation unterstellt, die eine höhere Flüchtigkeitzur Folge hat. Unter den Bedingungen beim SNR liegt eindafür ausreichendes Sauerstoffangebot wegen der inertisiertenAtmosphäre und der bevorzugten Reaktion des Wassers mitNatrium nicht vor. Daher werden auch die Edelmetalle alsgleich flüchtig wie die schwer flüchtigen MetaHoxide (Lanthan)behandelt.

Faßt man die verzögerten Freisetzungen ins innere Contain-ment für die vier Phasen zusammen, ergibt sich (bezogen aufdas Kerninventar) Tafel 2.

Fall B

Nach Abschluß der spontanen Freisetzung ins äußere Con-tainment wird im Fall B unterstellt, daß der gesamte übrigeBrennstoff und die verbleibenden schwer flüchtigen Spalt-produkte im flüssigen Zustand ins äußere Containment ge-langen. Von dort ist eine we itere Freisetzung infolge desN~triumbran?es. möglich. Aufgrund . der exierimentell er-mittelten Mitreißfaktoren (10-3 bis 10- ) (16, 9, 13)ergeben sich hierfür aber so geringe Anteile für die Frei-setzung (~ 1 %), daß eine Berücksichtigung keinen nennens-

werten Einfluß auf das Ergebnis hätte, Daher wird dieser

Freisetzungsterm nicht weiter betrachtet,

Transport- und Ablagerungsverhalten im Reaktorgebäude

Bei den im Rahmen der Risikostudie betrachteten Unfall-sequenzen hat der Sicherheitsbehälter (Containment) mitden umgebenden Gebäuden eine wesentliche Bedeutung alsletzte Barriere vor der Freisetzung radioaktiver Stoffe in dieUmgebung der Anlage, Das Containment hält umso mehrRadionuklide zurück, je länger die Verweildauer der aus demKern freigesetzten Stoffe im Containment ist. Dazu trägteinerseits der natürliche radioaktive Zerfall bei. Andererseitsverringert sich die Konzentration aerosolförmiger radioakti-ver Stoffe in der Containmentatmosphäre infolge von Ab-

scheideprozessen an den Oberflächen des Containments,

Bei einer kontrollierten Entlüftung des Sicherheitsbehälters

über den Kamin ist außerdem noch die Rückhaltewirkungder Filtersysteme zu berücksichtigen. Für gasförmige Aktivi-tätsanteile (Edelgase, organische Halogenide) werden keineAblagerungsmechanismen im Containment angenommen; dieFilter sind bei Edelgasen nicht wirksam.Im folgenden werden zunächst für die zwei hier ausgewähltenUnfallsequenzen A und B die benutzten Rechenprogrammezur Berechnung des Transport- und Ablagerungsverhaltensder in dem Containment freigesetzten radioaktiven Stoffe er-läutert. Danach wird auf die verwendeten Aerosolcodes nähereingegangen. Abschließend werden die Rechenergebnisse fürdie beiden Unfallsequenzen A und B vorgestellt,

Aktivitätstransport im Reaktorgebäude

Fa II A

Der zeitliche Verlauf der unfallbedingten luftgetragenen Kon-zen1iation radioaktiver Stoffe im Containment und derenFreisetzung in die Umgebung wurde mit einer modifizierten

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Version des Rechenprogrammes COR RAL 11 berechnet, DasProgramm COR RAL 1I wurde in der "Deutschen RisikostudieKernkraftwerke" (17) zur Berechnung des Transport- und

Ablagerungsverhaltens von freigesetzten Spaltprodukten be-nutzt, Das Rechenprogramm COR RAL 1I ist ein homogenesMulticompartmentmodell. Entsprechend der Doppelcontain-mentstruktur beim SNR 300, die in Bild 3 schematisch dar-gestellt ist, wurden im Fall A drei Compartments unterschie-den:

inneres Containment OC; Compartment 1),- äußeres Containment (AC; Compartment 2),

- Reventing Spalt (Compartment 3).

Der ursprünglichen Version von CORRAL liegt ein verein-fachtes aerosolphysikalisches Modell zugrunde, das aus LWR-typischen Experimenten abgeleitet worden ist. Bei den imRahmen der SNR-Risikostudie untersuchten Unfallabläufehaben jedoch Aerosolprozesse, das heißt Aerosolbildungs-und -ablagerungsmechanismen - insbesondere in Verbindungmit Natriumaerosolen - eine große Bedeutung. Zur Beschrei-

bung des Aerosolverhaltens wurde daher das Rechenpro-gramm PARDISEKO IIlb eingesetzt, das unter expliziterBerücksichtigung der verschiedenen Abbauprozesse und derPartikelgrößenverteilung die Dynamik des Aerosolsystemserheblich besser erfaßt als das einfachere Ablagerungsmodellim CORRAL li-Programm,

Das Rechenprogramm CO R RAL II wu rde nun dahingehendmodifiziert, daß das mit PARDISEKO Illb ermittelte Abla-gerungsverhalten über StLtzwerte in COR RAL eingegebenwerden kann. Neben dem Ablagerungsverhalten für Aerosoleund den in die Containmentatmosphäre freigesetzten radio-aktiven Stoffen erfordert CORRAL noch folgende Eingabe-daten, die mit dem Thermodynamikprogramm CACECObestimmt wurden:

Überströmraten (Leckagen) zwischen den Compartments,

Leckage aus dem Containment in die Umgebung,thermodynamische Zustandsgrößen in den Compartmentswie Druck, Lufttemperatur sowie die Temperaturen derWandoberflächen und des Natrium-Pools (zur Ermittlungder Verdampfungsrate).

In Bild 4 ist die Kopplung der eingesetzten verschiedenen

Rechenprogramme zur Berechnung des Spaltproduktverhal-tens bis zur Freisetzung in die Umgebàng noch einmal dar-gestellt,

warme Werkstatt behandelt. Das Ablagerungsverhalten deraerosolförmigen radioaktiven Stoffe, das wieder über Stütz-werte in die COMRADEX Rechnungen eingegeben wird,wurde jeweils getrennt für die Bereiche 1 und 2 mit demAerosolprogramm HAARM 3 ermittelt, Die für COMRADEXund HAARM erforderlichen thermodynamischen Daten wieTemperatur, Druck, Temperaturdifferenz zwischen Gasraum

und Wand sowie die Leckraten wurden' ebenfalls mit demProgramm CACECO ermittelt und über Stützwerte eingege-ben. Die Leckrate aus der warmen Werkstatt wurde so be-stimmt, daß die Volumenströme aus dem äußeren Contain-ment und aus der warmen Werkstatt als gleich angenommenwurden.

Aerosolmodelle und Rechnungen

Bei den untersuchten Ereignisabläufen (Fall A und B) ent-stehen komplexe Aerosolsysteme aus Brennstoffaerosolenzusammen mit Spaltprodukten und Strukturmaterial, metal-lischen Natriumrekondensations-Aerosolen sowie Natrium-

brandaerosolen, Zur Beschreibung des Ablagerungsverhal-

tens dieser Aerosole wurden die Rechenprogramme PARD 1-SEKO IIlb (Fall A) und HAARM 3 (Fall B) eingesetzt.

Die Modellannahmen in diesen Aerosolprogrammen sindidentisch:

Das im Compartment eingeschlossene Aerosol ist zu jedemZeitpunkt homogen durchmischt,Alle Aerosolteilchen, die in Kontakt mit Wandoberflächenkommen, bleiben dort haften.Bei jedem Zusammenstoß zwischen Aerosolteilchen blei-ben die Stoßpartner aneinander haften und bilden einneues Aerosolteilchen,

Die aerosolphysikalische Modellgleichung berücksichtigt fol-gende Prozesse, die die Aerosolkonzentration und die Aero-soigrößenverteilung im Containment beeinflussen:

Abscheidung durch Sedimentation von Aerosolteilchen(durch die Gravitation sinken Aerosolteilchen je nachGröße mit unterschiedlicher Sedimentationsgeschwindig-keit zu Boden),Abscheidung durch Diffusion von Aerosolteilchen ausdem Gasraum an die Wandoberflächen,Thermophoretische Abscheidung von Aerosolteilchen ausdem wärmeren Gasraum an kühlere Wandoberflächen,Koagulation von Aerosolteilchen durch Brownsche Zu-sammenstöße infolge Molekularbewegung sowie infolge

Fa II B

Die Transport- und Ablagerungsrechnungen für den Fall B

wurden mit dem Programm COMRADEX IV durchgeführt(18). Das Programm beschreibt sowohl das Verhalten vonradioaktiven Stoffen innerhalb der Anlage als auch Ausbrei-

tungs- und Dosisberechnungen außerhalb der Anlage. Für

die Zwecke der SNR-Studie wurde jedoch lediglich derProgrammteil innerhalb der Anlage benutzt.

Die Einteilung in bis zu drei Containmentbereiche ist auch

in COMRADEX vorgesehen. Im Gegensatz zu Fall A mu.ßtejedoch für Fall B eine andere Zuordnung getroffen werden.

Da in diesem Fall die Abtrennung zwischen innerem undäußerem Containment versagt und die radioaktiven Stoffeunmittelbar ins äußere Containment freigesetzt werden,wurde als Freisetzungscompartment das äußere Containmentgewählt. Eine Rückhaltung im inneren Containment wurdevernachlässigt. Infolge des Natriumbrandes, der sich unmittel-bar nach der Exkursion einstellt, steigt der D ruck kontinuier-lich an. Es wurde angenommen, daß als erstes die Dichtungender Materialschleuse nach etwa fünf Minuten versagen undeine Druckentlastung über die Materialschleuse in die warmeWerkstatt und von dort über die Lüftungskanäle und denKamin auftritt. Als zweites Compartment wurde daher die Bild 4: Verknüpfung der eingesetzten Rechenprogramme

CACECOThermodynamik

Druck, Temperatur, Leckagen

1

...-PARDISEKCAerosolph)

AerosolkonzerAerosolablag

1

CORRAL 11 ATransport rad, Stoffe

Freisetzung in dieUmgebung

33

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unterschiedlicher Sedimentationsgeschwindigkeiten. EineKoagulation von Aerosolteilchen infolge turbulenterKonvektionsströmungen im Gasraum wird in den Aerosol-modellen nicht berücksichtigt, Die Vernachlässigung der

turbulenten Koagulation führt zu höheren Aerosolkonzen-trationen und kleineren Aerosolabscheideraten, wirkt sich

also pessimistisch aus,

Aerosolnachlieferung zum Beispiel durch verdampfendesNatrium oder durch Aerosolleckagen aus vorgeschaltetenCompartme nts,Aerosolmassenaustrag durch Leckagen in nachgeschalteteCompartments.

Nicht berücksichtigt wird in den aerosolphysikalischen Re-

chenmodellen eine Aerosolabscheidung beim Durchtrittdurch

Containmentdurchführungen oder Leckageöffnungen. Außer-dem wird bei den hier durchgeführten Rechnungen eineAbscheidung von Aerosolen in Umluftkühleinrichtungen,wie sie im inneren und äußeren Containment des SNR 300zum Einsatz kommen, nicht betrachtet, Diese Vernachlässi-gung von Abscheidemechanismen führt zu einer pessimisti-schen Berechnung der Konzentration und der Ablagerungder im inneren und äußeren Containment enthaltenenAerosole.

Ausgehend von diesen Vorgaben für die aerosolphysikali-sc he Modellgleichung werden in den Programmen HAARM 3und PARD ISEKO Illb jedoch unterschiedliche Lösungsme-thoden angewandt. HAARM 3 (19) integriert die Differen-tialgleichungen analytisch unter der Annahme, daß die Aero-soldurchmesser während der gesamten Rechnung log-normalverteilt sind. Im Programm PARDISEKO Illb (20) entfälltdiese Einschränkung. Hier wird das Aerosolgrößenspektrumdurch 40 Größenklassen approximiert und die zeitliche Än-derung der Teilchenzahl in diesen Größenklassen numerischberechnet. Dies erfordert im Vergleich zum ProgrammHAARM 3 einen erheblich höheren Rechenzeitaufwand.Nach einer Modifikation des Programms PARD I SE KO Illberlauben es nun beide Programme, das Aerosolverhalten inzwei hintereinander geschalteten und über Leckagen ver-bundenen Raumbereichen zu berechnen. Die Programm-änderung an PARDISEKO IIlb wurde durch das SNR-typi-sche Doppelcontainment notwendig, Zusätzlich wurde dasProgramm PARDISEKO Illb dahingehend modifiziert, daßauch chemische Reaktionen der natriumhaitigen Aerosolemit Sauerstoff, Kohlendioxid oder Wasserdampf in der Con-tainmentatmosphäre berücksichtigt werden konnten. BeideRechenprogramme wurden an Experimenten verifiziert(21, 22).

Mit Hilfe der Rechenprogramme PARDISEKO IIlb undHAARM 3 wird unter anderem die für das Ablagerungsver-halten wesentliche Plateout-Rate berechnet, die ein Maßfür die durch Sedimentation, Diffusion und Thermophoreseabgeschiedene Aerosolmasse darstellt, Die Plateout-Rate Àist dabei definiert als der Quotient aus der Summe, der inder Zeiteinheit durch Sedimentation, Diffusion und Ther-mophorese abgeschiedenen Aerosolmasse und der augen-blicklichen Aerosolmasse:

b.mSed b.mDiff b.mTherm-+ +-M b.t b.t

À =m (t)

- dynamischer Formfaktor K, der ein Maß für die Beweglich-keit der Aerosolteilchen darstellt

Fall A: K = 3,5 . 0:1 + 1 ' 0:2

Dabei bedeutet 0:1 den zeitlich variablen Anteil der instantanfreigesetzten Aerosolmenge aus Brennstoff, Spaltproduktenund Natriumoxidaerosolen an der gesamten Aerosolmenge;0:2 ist entsprechend der zeitlich variable Anteil des nachgelie-ferten Natriumaerosols. Es gilt 0:1 + 0:2 = 1.

Fall B: K = 3,5

Kollisionsformfaktor f, der ein Maß für das Koagulations-

verhalten der Aerosolteilchen bei Zusammenstößen infol-ge Brownscher Bewegung darstellt:

Fall A: f = 8,2 . 0:1 + 1 . 0:2

Fall B: f= 8,2

Mit dem für Fall A gewählten Ansatz für Kund f wird er-reicht, daß zu Anfang das aus der Anfangsfreisetzung her-

rührende Mischaerosol durch Formfaktoren beschrieben wird,die experimentell mit U02-Aerosolen gewonnen wurden (23).U02-Aerosole neigen dazu, verkettete Aggregate zu bilden,was sich in großen Formfaktoren ausdrückt. Mit zunehmen-

dem Anteil des aus der Bodenkühleinrichtung verdampftenNatriums an der gesamten Aerosolmasse werden die Aerosol-teilchen kugelförmig, entsprechend Formfaktoren K '= 1 undf '= 1,

Rechenergebnis für Fall AFür den Fall A ist in Bild 5 der zeitliche Verlauf der Aerosol-konzentration im inneren und äußeren Containment darge-stellt, Die Abbildung enthält außerdem die Aerosolnachlie-ferungsrate aus der Bodenkühleinrichtung, Entsprechend deransteigenden Temperatur im Natrium-Pool wächst die Aero-

solnachlieferungsrate an, bis die Natrium-Siedetemperatur

in der Bodenkühleinrichtung nach etwa 25 h erreicht wird.Zuvor hat das Sicherheitsventil zwischen innerem und äuße-rem Containment geöffnet. Der dabei aus dem inneren Con-tainment übertretende Wasserstoff vermischt sich mit demSauerstoff im äußeren Containment bis es nach Erreichender Zündgrenze zur Wasserstoffverbrennung kommt, Dabei

wird ein Versagen des äußeren Containments unterstellt,

g/m31 ~ Inneres Containment102

I

01c

I:2 100

I~I

a3 10-1N

Ic:â 10-2 I

0 SV öffnet;rf H2-'lerbrennung

I j 10-3imAC

10-4 I

Q)"§ kg/s

rf 3,00)C::

2.0Q¡

ãi

t ~1.0

10 20 30 40 50 60 70 h 90Zeit-

Die Plateout-Rate À wird, neben Druck, Temperatur undLeckraten in die Rechenprogramme CORRAL bzw, COM-RADEX eingegeben,

Die für die beiden Aerosolprogramme erforderlichen aerosol-physikalischen Parameter wurden wie folgt gewählt: Bild 5: Nachlieferungsrate und Aerosolkonzentration (Fall A)

34

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Die Aerosolkonzentration im inneren Containment beträgtzu Beginn des Ereignisablaufes infolge der spontanen An-fangsfreisetzung (492 kg Natriumoxid-Aerosolmasse, 69 kgaerosolförmig freigesetzter Brennstoff und Spaltprodukte)28,1 g/m3, Nach einer anfänglichen Reduktion der Aerosol-konzentration infolge von Abscheidemechanismen steigt dieAerosolkonzentration entsprechend zunehmender Aerosol-nachlieferungsrate wieder an und erreicht nach etwa 25 h ihrMaximum (480 g/m3). Nach Beendigung der Aerosolnach-lieferung nach etwa 33 h sind im inneren Containment nurnoch Abscheidemechanismen wirksam, die den starken Ab-fall der Aerosolkonzentration veru rsachen.

Die Aerosolkonzentration im äußeren Containment steigtinfolge von Aerosolleckagen aus dem inneren Containmentzunächst steil, dann etwas schwächer an. Nach Öffnen desSicherheitsventils nach 22 h steigt die Aerosolkonzentrationinfolge verstärkter Aerosolnachlieferung aus dem innerenContainment erneut an und erreicht zwischen 27 hund 33 hden Maximalwert von etwa 183 g/m3. Korrespondierend mitdem Abfall der Aerosolkonzentration im inneren Contain-ment nach 33 h nimmt auch die Aerosolkonzentration imäußeren Containment ab.

Rechenergebnis für Fall BBei diesem Fall wird angenommen, daß zu Beginn des Ereig-nisablaufes instantan1800 kg Brennstoff,800 kg Na20,880 kg Eisen und Eisenoxid

aerosolförmig im äußeren Containment vorliegen, Ein Teildes zusätzlich in das Containment gelangenden flüssigen

Natriums wird beim folgenden Natriumflächenbrand aerosol-förmig nachgeliefert.

Die luftgetragene Aerosolkonzentration im äußeren Contain-ment erreicht infolge der spontanen Anfangsfreisetzung undder sehr hohen Nachlieferung durch den Natriumbrand sehrrasch ein erstes Maximum von etwa 80 g/m3, Es wird ange-nommen, daß nach etwa fünf Minuten die Dichtungen derMaterialschleuse versagen und radioaktive Stoffe in den Be-

rich der warmen Werkstatt übertreten. Durch diese Ausströ-mung und durch Abscheideprozesse im äußeren Containmentnimmt die Aerosolkonzentration dort ab und erreicht einenGleichgewichtswert von etwa 20 g/m3.

i~ce 10°Cgz 10-1C

'E 10-2~~ 10-3

"0

'ã 10-4..C-: 10-5(¡Ñ 10-6Q)

~ 10-7Cl

~ 10-810°

Edelgase i1 0°10-1NaJ=

org.J 10-2

Ba-Sr es-Rb 10-3

La 10-4

10-5

10-6

10-7

10--103101 102 h

Zeit--

Freisetzung in die Umgebung

Im folgenden werden die Ergebnisse der mit CORRAL IIAund COMRADEX durchgeführten Radionuklidtransportrech-nungen für die Fälle A und B dargestellt.

In Bild 6 sind für den Fall A die integral freigesetzten Anteiledes Kerninventars für verschiedene Nuklidgruppen dargestellt,Der Kurvenverlauf ist vollkommen beherrscht durch dieWasserstoffverbrennung und das Versagen des äußeren Con-

tainments nach etwa 22 h, in deren Folge etwa zum Zeitpunkt35 h die Freisetzung in die Umgebung mit steilem Anstiegnahezu ihren Endwert erreicht. Insgesamt werden mit Aus-nahme der Edelgase, für die keine Abscheidemechanismen

wirksam werden, mehr als 95 % der ins innere Containmentaus dem Reaktortank freigesetzten Radionuklide in derAnlage zurückgehalten,

Bild 7 zeigt die Ergebnisse der COMRADEX-Rechnungen fürden Fall B. Aufgetragen sind die aus der warmen Werkstattin die Umgebung integral freigesetzten Antaile des Kerninven-tars für die Nuklidgruppen, Nach dem Überdruckversagen desäußeren Containments, fünf Minuten nach Störfalleintritt,erfolgt eine sehr rasche Ausströmu ng aus der Anlage, I nfolgeder sehr hohen Anfangskonzentration koagulieren die Aero-solteilchen sehr rasch zu größeren Teilchen, die sich verstärktdurch Sedimentation ablagern, Insgesamt werden mit Aus-nahme der Edelgase mehr als 80 % der aus dem Reaktortankins äußere Containment freigesetzten Spaltprodukte und desBrennstoffs in der Anlage zurückgehalten,

Schlußbemerkung

Die zwei hier vorgestellten Beispiele sollten einen Eindruckgeben von den Zusammenhängen, die die Freisetzung undAusbreitung radioaktiver Stoffe innerhalb der Umschließungdes SNR bei Unfällen kennzeichnen. Die Ergebnisse zeigen,daß die Schutzvorkehrungen selbst bei extremen Annahmenüber Ablauf und Freisetzung ein hohes Maß an Rückhaltungbewirken.

Um dies zu verdeutlichen, ist abschließend die Freisetzungin die Atmosphäre des inneren Containments derjenigen indie Umgebung für den Fall A gegenübergestellt. Dabei wirdder überragende Einfluß der bereits zuvor erwähnten Ein-

schlußzeit im Containmentsystem deutlich (Tafel 3).

ga-Sr 5 %La

100

j5,10-1

¡;'E M~,;., L:; 2,10-1 schleuse

~ versagt.".~

., 10-1~

IE~ 5.10-2

I

.~ù:

2,10-2

10-210-2 10-1 100

Zeit --

Edelgase 100 %

NaJ 15 %es-RbTe-Sb

101

Bild 6: In die Umgebung freigesetzter Anteil des Kerninventars Bild 7: In die Umgebung freigesetzer Anteil des Kerninventars(FaIlA) (FaIlB)35

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Tafel 3: Freisetzung ins innere Containment im Vergleich zur Frei-setzung in die Umgebung

Nuklidgruppe F reisetzung Freisetzung albins innere in die Umgebung

Containmenta b

1%) 1%)

Edelgase 100 100 1

Jod 100 3,8 26davon organisch 1 1 1

Cäsium 100 0,26 385Antimon/Tellur 100 2,4 42

Strontium/Barium 1 0,6 17

sonstige Spaltprodukte1 0,06 17

und Brennstoff

Schrifttum

(1) Klickmann, A.E,; R,c, Ca lien: Anomalous Reactivity Effects inthe Fermi Incident. Trans. Amer. Nucl. Soc., Vol. 10, Nr. 1(1967) S, 334

12) Mc Donald, W.B,; J.H, De Van: Sodium Reactor ExperimentIncident, Nucl, Safety, Vol. 1, Nr. 3 (1960) S. 73

13) Descamps, C" et al.: Behaviour of Several Fission Products inthe Atmosphere Surrounding Sodium-Cooled Reactors in theEvent of a Major Accident. Proc. Int. conf, on Sodium Tech-nologyand Large Fast Reactor Design, ANL-7520, 1968

14) Castleman jr.. A,W,: LMFBR Safety, i. Fission Product Behaviourin Sodium, Nucl. Safety, Vol, 11, Nr. 5 (1970) S. 379

(5) Nelson, c,T" et al.: So me Potential Reductions in the Release

of Radioactivity under LMFBR Accident conditions. ANS/ENS- Meeting on Fast Reactor Safety and Related Physics, chicago,1976

16) Berlin, M" et al.: Le Piégeage des Jodes dans les Reaeteurs dela Filière à Neutrons Rapides Frans:ais.Seminar über die Rückhaltung von Jod aus gasförmigen Ablei-tungen in Kerntechnischen Anlagen, Mol, 1981

(7) Gabelnik, S.D.; M,G. chasanoil: A Calculation Approach to theEstimation of Fuel and Fission-Product Vapor Pressures andOxidation States to 6000 K. AN L-7867, 1972

Diskussion

W, Sc h i kar ski (KfK, Karlsruhe):

Ich habe den Eindruck, daß Sie bei der primären Freisetzungder Spaltprodukte sehr konservative Werte angenommenhaben, So sind zum Beispiel experimentelle Hinweise verfüg-bar, die zeigen, daß der Faktor 6 für die Rückhaltung in derBlase für schwerflüchtige Spaltprodukte viel zu konservativist. Er ist mindestens eine Größenordnung höher.

Aber auch an anderen Stellen gibt es Konservatismen, diebei Best-Estimate-Analysen wesentlich zur Verminderungder von Ihnen angenommenen Quellterme führen dürften,

W.Müller(GRS):Es ist richtig, daß eine detailliertere Analyse sicher eine

Reihe von Punkten ausweisen würde, in denen die konser-vativen Annahmen durch Best-Estimate-Werte ersetztwerden könnten. Aber dazu fehlte einerseits die Zeit,

36

18) Smith, R.R.: Radiological Consequences of BORAX/SPER 1/SNAPTRAN Experiments, Nutl. Techn, Vol. 53 (1981) S.147

19) Jordan, S.: Release of Fission Products from contaminatedSodium Fires. ANS/ENS - Meeting on Fast Reactor Safety andRelated Physics, chicago, 1976

(10) Reynolds, A,B.; T,S, Kress: Aerosol Source considerations forLMFBR Core Disruptive Accidents, cSNI - Meeting on Nucl.Aerosols in Reactor Safety, Gatlinburg, NUREG/cR - 1724,1980

111) Wright, A.L., et al.: ORNL Experiments to characterize FuelRelease from the Reactor Primary Containment in SevereLMFBR Accidents, CSNI - Meeting on Nuclear Aerosols inReactor Safety, Gatlinburg, NUREG/CR - 1724, 1980

112) Van de Vate, T,F" et al.: Aerodynamic Properties of Aerosolsand their Leakage through Concrete Containment Structures.ENS/ANS - Meeting on Fast Reactor Safety Technology,Seattle, 1979

113) Jordan, S,; S. Ozawa: Fuel Particle and Fission Product Releasefrom LMFBR - Core Catcher, ANS/ENS - Meeting on FastReactor Safety and Related Physics, Chicago, 1976

(14) Sauter, H,; W, Schütz: Aerosol Release from a Hot SodiumPool and Behaviour in Sodium Vapor Atmosphere, cSNI -Meeting on Nuclear Aerosols in Reactor Safety, Gatlinburg,NUREG/CR - 1724, 1980

115) Malinauskas, A,P., et al.: LWR Source Terms for Loss-of-coolantand core Melt Accidents. CSNI - Meeting on Nuclear Aerosolsin Reactor Safety, Gatlinburg, NUREG/cR - 1724, 1980

116) Atomics InternationaL. LMFBR Safety Program, Annual Tech-nical Progress Report

(17) G RS Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke-Hauptband.Hrsg,: Bundesminister für Forschung und Technologie. Verlag

TÜV Rheinland, Köln, 1979118) Otter, I.M,; D.K. chung: Description of the cOMRADEX IV

Code. RockweIlInternational, 1977

(19) Gieseke, J.A., et al.: HAARM 3 User's ManuaL. BMI-NUREG-1991, 1978

(20) Bunz, H.: PARDISEKO IIlb - Ein Computerprogramm zurBerechnung des Aerosolverhaltens in geschlossenen Behältern.KFK 2903, 1980

121) NEA/OECD. Nuclear Aerosols in Reactor Safety, A State-of-the-Art Report. Paris 1979

122) Fermandjian, 1., et al.: Interpretation of the Behaviour ofAerosols Generated by a Sodium Pool Fire, DSN-350, 1980

123) Jordan, S., et al.: Nukleare Aerosole im geschlossenen System,KFK - 1989,1974

andererseits sind nicht alle experimentellen Ergebnisse

schon so weit abgesichert und übertragbar, daß sie in dievorliegende Analyse eingeflossen sind.

W, S t e p h an (KWO, Obrigheim):

Sie geben an, daß 100 % der Edelgase an die Umgebungabgegeben werden, obwohl ein beträchtlicher radioaktiverZerfall eingetreten ist,

R.Martens(GRS):Bei der Bestimmung des Radionuklidtransportes in derAnlage bis hin zur Freisetzung in die Umgebung wurdeder radioaktive Zerfall nicht berücksichtigt, Die Einrech-

nung des radioaktiven Zerfalls erfolgt erst im Unfallfolge-modelL.

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K. K ö b e r lei n (GRS):Das ist auch rechentechnisch bedingt. Es ist einfacher, denZerfall in einem Schritt zu berücksichtigen, nämlich zu demZeitpunkt, wo man die Strahlenexposition ermittelt. DieWerte beziehen sich auf das Kerninventar bei Beendigung

der Kettenreaktion,

W, Kr ö ger (KFA, Jülich):1. Wie beurteilen Sie die Unsicherheiten, mit denen die

Angaben zu den Freisetzungsanteilen aus dem Primär-kreis und Containment behaftet sind?

2. Wir wissen von der HTR-Studie, daß Partikeldichte und-größe den Abbau der Spaltproduktkonzentration imContainment erheblich beeinflußt. Welche Werte habenSie in der SN R-Studie eingesetzt bzIN. berechnet und

wie unterscheiden sie sich von den Werten der DetuschenRisikostudie Phase A?

W,Müller(GRS):Zur Frage 1: Die Unsicherheiten lassen sich nur für Einzei-schritte einer bestimmten Unfallsequenz angeben, Im Vor-trag wurde jedoch ein ganzes Spektrum solcher Sequenzenzusammengefaßt zu einer Betrachtung, die sich letztlich ineiner Freisetzungskategorie niedergeschlagen hat,

Betrachtet man einen Einzelschritt wie zum Beispiel dieTankleckage bei einem Tank, der mechanisch intakt bleibt,kann der angenommene Wert von 100 % in Wirklichkeitbis zu mehr als einem Faktor 10 geringer liegen. Dies, umeine Vorstellung zu geben, in welcher Schwankungsbreite

wir uns bewegen.

R,Martens(GRS):Zur Frage 2: Bei unseren Berechnungen habEln wir uns auf

Daten abgestützt, die in Karlsruhe beim KfKexperimentel1bestimmt wurden, Die Größenverteilung der in das Con-tainment freigesetzten Aerosole wurde als log-normalver-teilt angenommen mit geometrischem mittleren Radiusvon rg = 0,31 tJm und geometrischer Standardabweichung

von ug = 2,1,

Unter Berücksichtigung wesentlicher aerosolphysikalischerEffekte, wie zum Beispiel Koagulation oder Ablagerungvon Aerosolteilchen wird mit dem RechenprogrammPARDISEKO 111 b für jeden Zeitschritt eine neue - nichtnotwendig log-normalverteile - Aerosolgrößenverteilung

berechnet. Die Dichte der Aerosolpartikel wird entspre-

chend der chemischen Zusammensetzung ebenfalls zeit-abhängig berechnet. Die Dichte der instantan freigesetztenAerosolpartikel aus Brennstoff, Spaltprodukten und Na-triumoxid betrug 2, 51 g/cm3, Für die Dichte des aus derBodenkühleinrichtung nachgelieferten Natriumaerosols wur-de die Dichte von metallischem Natrium bei 120°C an-gesetzt (p = 0,92 g/cm3).Bei der Deutschen Risikostudie, Phase A, wurde demgegen-über eine vereinfachte Vorgehensweise verfolgt. Dort wurdedie Größe der Aerosolpartikel über einen mittleren Aero-solteilchendurchmesser nur global erfaßt. Eine zeitlicheÄnderung der Partikeldichte wurde explizit nicht berück-sichtigt.

H, We i t z e (KKW-Gösgen, Däniken):

Die Jodfreisetzung in der stark alkalischen Containment-

atmosphäre des SN R-300 nach einem Störfall an die Um-gebung kann doch nur mit einer äquivalenten Freisetzungdes Natriums an die Atmosphäre verbunden sein. Dannmüßten die Freisetzungsraten anderer Spaltprodukte, dieim Natrium suspendiert bzw, gelöst sind, in der gleichenGrößenordnung liegen, Warum sind sie es nicht?

W. Müll er (GRS):

Die Freisetzung des Jods und der anderen Nuklidgruppenwird im wesentlichen von drei Faktoren bestimmt:

Der Höhe der spontanen Freisetzung aus dem Kern:.Hierbei wird vom Jod ein erheblich größerer Teil als vonden meisten übrigen Spaltprodukten und dem Brennstofffreigesetzt,Der Mitverdampfung bei der verzögerten Freisetzung ausdem Pool: Hier liegt der Mitverdampfungsfaktor für Jodum Größenordnungen über dem der sonstigen Spalt-produkte und des Brennstoffs,Dem zeitlichen Verlauf der Freisetzung: Jod wird über-wiegend zu einem früheren Zeitpunkt freigesetzt alszum Beispiel die sonstigen Spaltprodukte und der Brenn-stoff, Dadurch wird Jod bis zum Versagen des Contain-

ments schon etwas stärker abgelagert. Dieser Effekt hebtdie beiden erstgenannten zum Teil wieder auf,

W. U II r ich (GRS):Aufgrund der Vermischung und Überlagerung der Effekteist kein einfacher linearer Ansatz und keine einfache Um-rechnung möglich.

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Die Expertenbefragung in der SNR-Studie und ihreprobabilistische Auswertung

Von E, Hofer, H. Löffler, V. Javeri und D. Struwe 1)

Kurzfassung

Die Expertenbefragung im Rahmen der risikoorientiertenStudie für den SNR-300 dient dazu, eine Wahrscheinlichkeits-verteilung für die mechanische Energiefreisetzung infolge

einer Kernzerstörung durch einen unkontrollierten Kern-durchsatzstörfall zu gewinnen. Für die dabei relevantenphysikalischen Parameter und Phänomene wurde ein umfang-reicher Fragebogen erstellt und an Repräsentanten von 18mit der Brutreaktorsicherheit befaßte Institutionen versandt.Grundlage der probabilistischen Auswertung der Antwortensind die beiden Wahrscheinlichkeitsbegriffe

Wahrscheinlichkeit in ihrer Interpretation als Grenzwertder relativen Häufigkeit,Wahrscheinlichkeit in ihrer Interpretation als Grad an

Sicherheit, mit der ein bestimmter Sachverhalt für zutref-fend gehalten wird.

Ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung ist, daß im Refe-renzfall die Auslegungsgrenze des SNR-300 Reaktortanksbei einem unkontrollierten Kerndurchsatzstörfall mit etwa

3 %0 Wahrscheinlichkeit überschritten wird.

Abstract

Within the frame work of risk oriented analysis for theSNR-300, a survey of expert opinion was conducted toobtain a probability distribution for the mechanical work

energy release due to an unprotected loss of flow accident,A comprehensive questionnaire on the relevant phenomenawas distributed to representatives of 18 organizations involved

in fast breeder reactor safety, Basic to the probabilisticprocedure are the two concepts of probability

probability in its interpretation as limit of relative fre-quency,probability in its interpretation as degree of belief.

As one of the results for the unprotected loss of flow accidenta probability of 3 %0 for the work energy release exceeding

the design value is derived.

Einleitung

Die Expertenbefragung in der SNR-Studie dient dazu, eineWahrscheinlichkeitsverteilung für die mechanische Energie-

freisetzung infolge einer Kernzerstörung zu gewinnen. Eswird erwartet, daß die Wahrscheinlichkeit für höhere Energie-

freisetzungen geringer ist, aber eine genaue Quantifizierungdieser Tendenzaussage läßt sich aus den vorhandenen wissen-schaftlichen Veröffentlichungen nur schwer ableiten,

Die Kernzerstörung und die Energiefreisetzung werden voneiner Vielzahl von Parametern in sehr komplexer Weise be-

einflußt. Die Vorgänge laufen unter extremen thermischenBedingungen ab, Zur Lösung dieser außerordentlichenProbleme wurden und werden weltweit vielfältige umfang-reiche Untersuchungen durchgeführt. Beispielsweise befaß-ten sich auf der letzten internationalen Konferenz zur Sicher-heit schneller Brutreaktoren in Lyon im Sommer 1982 etwa120 Veröffentlichungen mit diesem Problembereich. VielePersonen und Institutionen verfügen daher über weitgehend

1) DipL-Math. Eduard Hofer, DipL-lng, Horst Löffer, Dr,-Ing, VijenJaveri sind technisch-wissenschaftliche Mitarbeiter bei der GRS;Dr. D. Struwe, Kernforschungszentrum Karlsruhe

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entsprechende Fachkenntnisse, Ein möglichst großèr Anteilder verfügbaren Kenntnisse sollte in die Beurteilung der Ener-giefreisetzung einbezogen werden.Um dieses Ziel zu erreichen, wurde ein umfangreicher Frage-bogen erarbeitet und an Repräsentanten von 18 verschiede-

nen mit der Brutreaktorsicherheit befaßten Institutionen(Tafel 1) mit der Bitte um Beantwortung versandt. Dabeisollten die Befragten neben ihrer fachlichen Aussage auch

ihren persönlichen Grad an Vertrautheit mit dem jeweili-gen Gegenstand der Frage quantitativ angeben. Deswegen

wurde strikte Vertraulichkeit bei der Auswertung der Ant-worten zugesichert,Besonders erfreulich ist es, daß ausnahmslos alle Befragtensich der erbetenen Aufgabe unterzogen haben, Dies ist auchein guter Hinweis auf die Qualität der internationalen Zu-

sammenarbeit. Dafür ist allen Beteiligten zu danken,

Beschreibung des untersuchten Unfallablaufes

Für eine Kernzerstörung sind in der SN R-Studie verschiede-

ne denkbare Einleitungsereignisse und Abläufe aufgezeigtworden. Von diesen wurde der unkontrollierte Kerndurch-satzstörfall (UKDS) für eine besonders detaillierte Bearbei-tung ausgewählt, weil er den größten Häufigkeitsbeitragzur Kernzerstörung liefert, Ferner wurde der abgebrannte

Kern für die Analysen zugrundegelegt, weil dabei die größtenEnergiefreisetzungen zu erwarten sind.

Tafel 1: Repräsentanten der Institutionen an die der Fragebogen zurBeantwortung versandt wurde

Bundesrepublik Deutschland

G. Heusener Kernforschu ngszentrum Karlsruhe(KfK)

A. Scharfe Gesellschaft für Reaktorsicherheit(GRS)

H. Vossebrecker Interatom

Frankreich

P. Tanguy commissariat à l'Energie Atomique,Institut de Protection et de Sûreté

. N ucléaire (CEA/IPSN)

GroßbritannienH. Teague United Kingdom Atomic Energy

Authority (UKAEA)

JapanM. Mochizuki Power Reactor and Nuclear Fuel

Development corporation (PNC)

USA

R. Avery Argonne National Lab, (ANL)H.K. Fauske Fauske & Ass. Inc.D, Ferguson Reactor Safety Techn. Management

Centre, ArgonneG. Fischer Brookhaven Nat. Lab. (BNL)F.X. Gavigan US Departm, of Energy (DOE)M.F, Kazimi Mass. Inst, of Techn. (MIT)W.E. Kastenberg Univ, of california LAc.N. Kelber US Nuclear Regulatory Commission

(USNRc)M. Stevenson Los Alamos Nat. Lab. (LANL)T.G. Theofanous Purdue UniversityJ, Walker Sandia Nat, Lab.A,E. Waltar Westinghouse Hanford comp.

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7 %

16 % 77 % r ------------,I PHASE DER I1- - - -- - - - -l- --l- -1 KERNZERSTÖRUNG I1 ~-----------~i 1i I1 Ii I1 i1 Ii 1i II 11 1I PHASE INTEGRALER 111 KERNMATERIALBEWEGUNG 1UND MILDER ENTLADUNG i: iL______ ______________ _______~

Bild 1: Subjektive Aussagesicherheiten für den Störfallablauf alsFolge der Einleitungsphase eines UKDS im SNR-300

Der UKDS tritt ein, wenn alle drei Primärkühlmittelpumpen- zum Beispiel durch Netzausfall - gleichzeitig ausfallenund wenn gleichzeitig die beiden diversitären Schnellab-schaltsysteme versagen, Die Wahrscheinlichkeit für das Ein-

treten eines UKDS wurde zu 1,2 . 10-6 /a ermittelt, Diesegeringe Wahrscheinlichkeit rechtfertigt die gebräuchliche

Bezeichnung solcher Unfälle als "hypothetisch".

Durch den Pumpenausfall bei gleichbleibender Reaktor-leistung kommt es zum Sieden des KÌihlmittels. Der positiveReaktivitätseffekt der Dampfblasen löst eine Leistungsex-

kursion aus, die durch das Auseinandertreiben von Brenn-

stoff beendet wird, Diese erste Störfallphase wird als Einlei-tungsphase bezeichnet (Bild 1 und 2),

Wenn die Einleitungsphase heftig verläuft, geht sie in eineenergetische Kernzerlegung über, wobei ein großer Teil des

Brennstoffes aus dem Kern ausgeworfen wird, während beiunenergetischen Abläufen relativ viel Brennstoff im Kern-bereich zurückbleibt,

Der Unfallabschnitt nach einer Einleitungsphase mit gerin-

gem Brennstoffauswurf wird als Übergangsphase bezeichnet.In der Übergangsphase bildet sich eine größere zusammen-hängende Schmelze, wobei im allgemeinen die Beimischungvon Brutstoff oder die Austragung von Brennstoff die Reak-

tivität senkt. Während dieser Unfallphase sind Rekritikalitätenmöglich, die in eine energetische Kernzerlegung münden. Zurbesseren Unterscheidung werden energetische Kernzerlegun-gen in "Primärexkursionen" und "Rekritikalitäten" unter-teilt.

Eine energetische Kernzerlegung wi rd durch das Auseinander-treiben der heißen Kernmaterialien beendet, Bei der an-schließenden großräumigen Expansion wird mechanischeArbeit frei, die das umgebende Kühlmittel beschleunigt undletztlich die Reaktorstrukturen belastet. Während des Expan-sionsvorganges finden irreversible hydro- und thermodyna-

100 % 1------------,i PHASE DER I-----1 KERNZERSTÖRUNG I~-----------~

1

I

Ii1I1i

II1III- - -----____ ---1--__- __~

1--------'-IiIII

1IiI1IiI1IIL______

PHASE INTEGRALERKERNMATERIALBEWEGUNGUND MILDER Ei'JTLADU,'JG

88 %

Bild 2: Subjektive Schätzwerte für Eintrittswahrscheinlichkeiten(beste Schätzung) unterschiedlicher Störfallabläufe einesUKDS im SNR-300

mische Prozesse statt, durch die das im heißen Brennstoff

enthaltene theoretische Arbeitspotential im allgemeinen stark

reduziert wi rd.

Entsprechend dem skizzierten Unfallablauf wurde auch derim folgenden dargestellte Fragebogen untergliedert, Dervollständige Fragebogen ist in (1 J entha Iten.

Physikalische Grundlagen von Befragung und Auswertung

EinleitungsphaseWährend des UKDS nimmt der Kerndurchsatz bei konstanterLeistung kontinuierlich ab, wodurch das Kühlmittel nachetwa 8 s zu sieden anfängt, Die positive Reaktivitätsrückwir-kung infolge des Kühlmittelsiedens und die schlechter wer-dende Brennstabkühlung führen zu einem Anstieg der Brenn-stofftemperatur. Die dabei entstehende negative Reaktivi-

tätsrückwirkung infolge des Dopplereffekts und der thermi-schen axialen Brennstoffexpansion verlangsamt zunächst

den Leistungsanstieg. Bei steigender Leistung ist ein großerTeil des Kernbereichs gevoidet (das heißt, das Natrium istverdampft), die Hüllrohre bzw, der Brennstoff erreichen

ihre Schmelztemperatur. 0 ie Brennstäbe brechen zuerstim gevoideten Bereich auf und der Brennstoff dringt in dieKühlkanäle ein. i m mittleren Kernbereich der gevoideten

Brennelemente können Spaltgase, Natrium- und Stahldampfden Brennstoff mitreißen und umverteilen. Dieser Vorgang

wi rd als Brennstoffdispersion bezeichnet. Die Brennstoff-

dispersion senkt die Reaktivität und begrenzt die Energie-

freisetzung, Bei einer schwachen Brennstoffdispersion ingevoideten Brennelementen kann die Reaktivität bzw, dieLeistung derart ansteigen, daß die Brennstäbe auch in nichtgevoideten Brennelementen versagen können. I n einersolchen Situation steigt die Reaktivität durch die Brennstoff-kompaktion innerhalb der Brennstäbe der nicht gevoidetenBrennelemente und durch die Kühlmittelverdampfung in-

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folge einer thermischen Brennstoff-Natrium"Reaktion (BNR).Dies führt zu einem energetischen Störfallablauf mit einemdeutlichen Druckaufbau durch Brennstoffdampf, der letzt-lich den Brennstoff auseinandertreibt und so den Reaktorabschaltet.

Der Störfallablauf in der Einleitungsphase wird demnach

vor allem durch folgende Schlüsselphänomene bestimmt:

Natriums ieden,thermische axiale Brennstoffexpansion,Brennstabaufbrechen in den gevoideten Brennelementen,

Bewegung des geschmolzenen Hüllrohrmaterials undBrennstoffes sowie Brennstoffdispersion durch Spaltgase,Natriumdampf und Stahldampf in gevoideten Brennele-menten,Brennstabversagen, Bewegung des geschmolzenen Brenn-stoffes und thermische Brennstoff-Natrium-Reaktion in

den teilweise oder nicht gevoideten Brennelementen,

Seit mehr als zehn Jahren werden diese Vorgänge intensivexperimentell und theoretisch untersucht. Von großer Be-

deutung sind vor allem die über 100 I n-Pile-Versuche miteinigen Brennstäben in den amerikanischen TREAT-, Sandia-und SLSF- und in den französischen CABRI- und Scarabee-Anlagen (2, 3, 4, 5, 6, 7, 8). Zur Analyse der Einleitungs-

phase gibt es mehrere umfangreiche Rechenprogramme,Das Rechenprogramm SAS3D, das vom amerikanischenForschungszentrum ANL entwickelt wurde, gilt zur Zeitals das modernste Rechenprogramm. Es wurde mehrfachanhand der ln-Pile-Versuche überprüft (9, 4, 10). Trotz desgegenwärtigen fortgeschrittenen Kenntnisstandes über dieEinleitungsphase sind gewisse Unwägbarkeiten bei derdetaillierten Beschreibung der oben erwähnten Vorgänge,ausgenommen Natriumsieden, vorhanden,

Theoretische Untersuchungen zum UKDS mit dem Rechen-programm SAS3D haben ergeben, daß Unsicherheiten beider detaillierten quantitativen Beschreibung der oben ge-nannten Vorgänge durch eine pessimistische Kombinationder Schlüsselparameter abdeckend berücksichtigt werdenkönnen (11, 12, 13, 14). Ferner zeigen die Analysen, daß

der Unfallablauf hauptsächlich von der Wirksamkeit deraxialen Brennstoffexpansion und der Brennstoffdispersiondurch Spaltgase, Natriumdampf und Stahldampf unmittelbarnach dem Brennstabaufbrechen in den gevoideten Brenn-elementen abhängt (12, 14). Sind axiale Brennstoffexpan-sion und Brennstoffdispersion ausreichend wirksam, erwar-

tet man eine milde Unfallentwicklung. Die In-Pile-Versuche

liefern deutliche Hinweise dafür, daß die Brennstoffdispersiondurch Spaltgase, Natriumdampf und Stahldampf in den ge-voideten Brennelementen die Energetik des Störfalls starkbegrenzen kann (15, 14). Jedoch sind experimentell aus-reichend abgesicherte Aussagen über ihre Wirksamkeit ineiner tatsächlichen Unfallsituation bisher nicht möglich.

In den nicht gevoideten Brennelementen wird der weitere

Störfallablauf stark beeinflußt vom Versagen der Brennstäbe,von der spalt- und füllgasgetriebenen Bewegung des geschmol-zenen Brennstoffes innerhalb der Stäbe, von der thermischenWechselwirkung zwischen dem Natrium und dem Brennstoffsowie von der Brennstoffaustragung durch die zweiphasige

Natriumströmung, Durch das Zusammenwirken von reaktivi-tätserhöhenden Vorgängen, wie Brennstoffkompaktion inner-halb der Stäbe und Natriumsieden, kann die Reaktivität sostark ansteigen, daß es zu einem stark energetischen Ablaufkommt, Obwohl die neueren Rechenmodelle, die im Rahmender Weiterentwickl ung des Programms SAS3D erstellt werden,diese komplexen Vorgänge sehr detailliert beschreiben, kön-nen sie wegen fehlender ausreichender Verifikation keineeindeutig abgesicherten Ergebnisse liefern (16, 9). Jedoch be-schreibt das verwendete Progamm SAS3D die Vorgänge der-art, dar~ anhand einer pessimistischen Kombination der

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Schlüsselparameter maximale Auswirkungen abgeschätztwerden können.

Zur Bewertung der Unsicherheiten wurden insgesamt 16Fragen zu den bereits erwähnten Schlüsselvorgängen und zu

den Auswirkungen der Einleitungsphase im Fragebo~en for-muliert, Bei der Auswertung der Antworten (Bild 3)2 wurdedavon ausgegangen, daß die drei Vorgänge - axiale Brenn-stoffexpansion, Brennstoffdispersion inden gevoidetenBrennelementen, Brennstoffkompaktion inden Stäbennach dem Brennstabversagen in den nicht gevoideten Brenn-elementen - weitgehend unabhängig voneinander den Un-fallablauf entscheidend bestimmen. Anhand der Ergebnissevon über 60 GRS- und KfK-Rechnungen wurde jeder mög-lichen Kombination der von den Befragten angegebenenParameter ein Brennstoffarbeitspotential zugeordnet, sodaß sich aus der Vielzahl der Antworten und Fragebogen

eine Verteilung des Brennstoffarbeitspotentials ergibt.

Zusätzlich zu den bisher dargestellten Parametern, die derEingabe für SAS3D-Rechnungen entsprechen, wurden vonden Befragten aber auch pauschale Angaben zur maximalenBrennstoff temperatur am Ende der Einleitungsphase (Pri-märexkursion) erbeten. Aus diesen Temperaturangabenwurde eine zweite Verteilung des Arbeitspotentials ermittelt.Schließlich wurde eine dritte Verteilung dadurch erhalten,daß von den Experten direkt die von ihnen für zutreffendgehaltene Arbeitspotentialverteilung angegeben worden ist.Die gewichtet zusammengefaßte Verteilung des Brennstoff-arbeitspotentials wurde mittels folgender Beziehung ermittelt(Bild 3):

F (AP) = (1/2) F1 (AP1) + (1/4) F2 (AP2) +

+ (1/4) F3 (AP3)Dabei ist:

Mischverteilung des Arbeitspotentials,

detailliert berechnete Werte aus den Angaben zuden einzelnen Vorgängen anhand der SAS3D-Rechnungen,

berechnete Werte nur aus den Angaben zu dermaximalen Brennstoff temperatur,

AP 3 - direkte Angaben,

Dabei wurden die Ergebnisse AP1 mit einem höheren Ge-wichtsfaktor von 1/2 erfaßt, weil die zugehörigen SAS3D-

Rechnungen die tatsächlichen Eigenschaften des SN R-300berücksichtigen. Tafel 2 zeigt, daß das Brennstoffarbeits-

potential am Ende der Einleitungsph:ise mit einer subjekti-ven Aussagesicherheit von etwa 95 % unterhalb 150 MJbleibt.

Die Auswirkungen der Einleitungsphase und der Rekritika-i itäten werden zunächst durch das Brennstoffarbeitspotentia Icharakterisiert, Unter dem Brennstoffarbeitspotential wirddie mechanische Energie verstanden, die der verdampfendeBrennstoff bei einer isentropen Expansion auf das im Reak-tortank maximal mögliche Volumen von 70 m3 freisetzenwürde. Dieses Volumen entspricht dem Volumen des Schutz-gases einschließlich der möglichen Tankdehnung, Tatsächlichwerden aber während der Expansion vielfältige irreversiblethermo- und hydrodynamische Prozesse ablaufen, die imallgemeinen die mechanische Energiefreisetzung gegenüberdem isentropen Brennstoffarbeitspotentia i erheblich redu-zieren. Daher wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die freige-setzte mechanische Energie das Brennstoffarbeitspotentialnicht überschreiten. Trotzdem stellt dieses Arbeitspotentialaber keine absolute obere Schranke für die freigesetzte me-chanische Energie dar, weil die anderen Kernmaterialien -Stahl, Spaltgase und Natrium - infolge thermischer Wechsel-

2) In Bild 3 bis 6 bedeutet .,": das jeweilige Phänomen wird direkt

erfragt.

F (AP)-AP1

AP2

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F: ThermischeF: Maximale Brennstoff- F: Hirkungsgrac1axiale Brennstoff- -- Arbeitspotential der I3renn-Brennstoff- aus Temperatur- stoffdampf-expansion temperatur profil expansion

l 1/4 lGevoidete lBrennelemente-----------------Zusammengefaßte SAS3D-Analyse Zusammengefaß teBrennstoffdis- Brennstoffdis- ----------------- Verteilung des Freisetzung

persion durch l- persion in ge- -- Brennstoff- i- Brennstoff- -- mechaniscnerF: Spaltgas voideten Brenn-Arbei tspotential Arbei ts- Energie

F: Natriumdampf elementen potentialsF: Stahldampf

1 11/4Nich t gevoidete Brenn-

ZusammengefaßteelementeF: Brennstoff-- - - - -- - - - --- -- - - -- - - - -- -- Brennstoffkom- Arbeits-F: Position des Stab- pak ti on in nich t potentialversagens gevoideten (direkt)F: Reaktivitätseffekt BrennelementenBild 3:

Analyse der Einleitungsphase

wirkung mit Brennstoff die freigesetzte mechanische Energiegegenüber dem isentropen Brennstoffarbeitspotentia I unterungünstigen Umständen erhöhen können.

Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, daß der Stahlzu einer Erhöhung der mechanischen Energie praktischnicht beitragen kann (17, 18, 19). Vielmehr reduziert derWärme austausch zwischen dem Brennstoff und Stahl diefreigesetzte mechanische Energie gegenüber dem isentropenBrennstoffarbeitspotentiaL. Die Spaltgase, die sich weit-

gehend im thermischen Gleichgewicht mit Brennstoff befin-den, können einen geringen zusätzlichen Beitrag zur mecha-nischen Energiefreisetzung liefern (18, 20). Die aus dem Kernexpandierende zweiphasige Brennstoffblase kann mit demflüssigen Natrium, das sich oberhalb des Brennelementaus-

tritts befindet, thermisch reagieren. Die vorhandenen Modellezur Untersuchung der thermischen Wechselwirkung zwischen

der Brennstoffblase und dem Natrium ergeben, abhängigvon gewählten Annahmen, meist eine Reduzierung, teilweiseaber auch eine Erhöhung der freigesetzten mechanischen

Energie gegenüber dem isentropen Arbeitspotential (21, 22,23).

Zur Erfassung vorhandener Unwägbarkeiten bei der Bestim-mung der effektiven mechanischen Energie wurde die Häufig-keitsverteil ung des Wirksamkeitsfaktors

effektive mechanische Energiefreisetzungf =

isentropes Brennstoffarbeitspotential

erfragt. Die Multiplikation des Arbeitspotentials mit demWirksamkeitsfaktor f ergibt dann die effektive Freisetzungmechanischer Energie (Bild 3),

Bearbeitun.g der ÜbergangsphaseAus der Wahrscheinlichkeitsverteilung für das Arbeitspoten-tial nach der Einleitungsphase und der Primärexkursion läßtsich eine zugehörige Verteilung für die Drücke und Tempera-turen in den verschiedenen Brennelementgruppen ermitteln,Diese Drücke und Temperaturen bestimmen die Eindringtiefeder heißen Kernmaterialien in die kälteren Strukturen deraxialen BrutmänteL. Daraus ist auch die Menge des aus demReaktorkern entfernten Brennstoffes und letztlich die Mög-lichkeit für Rekritikalitäten abzuleiten, Die quantitative Be-rechnung der Eindringtiefe ist noch mit erheblichen Unsi-

cherheiten behaftet, obwohl zu diesem Problembereichumfangreiche experimentelle und theoretische Untersuchun-gen vorliegen (24). Deswegen wurde die Eindringtiefe alsFunktion des Temperaturniveaus in den Fragebogen mitaufgenommen (Bild 4).

Tafel 2: Verteilung des Brennstoffarbeitspotentials am Ende der Ein-leitungsphase

Brennstoffarbeits- Subjektive Aussagesicherheit fürpotentiai am Ende

AP1 AP2 AP3 APder Einleitungsphase

Obis 50 MJ 0,803 0,736 0,654 0,73750 bis 150 MJ 0,168 0,192 0,234 0,208

150 bis 400 MJ 0,019 0,061 0,110 0,048über 400 MJ 0,010 0,011 0,002 0,007

Brennstoff-Arbei tspoten-tial der Ein-lei tungsphase

TAbriß desBrennelement-kastens

Temperaturenund Drücke inden Brennele-menten

F: Brennstoff-Eindring-tiefe in denBrutmantel

i-l

AusgetriebeneBrennstoffmasse

l

ZurückbleibendeBrennstoffmasse;: 60 % ?

ia nein

1f

Rekritikalitätist möglich

Rekritikalitätist nicht mög-lich

- Qe!êEg~!2g~12h~~§

Bild 4: Eintritt in die Übergangsphase

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KeineRekri ti-kali tä t

0,25110,271

Eintri tt in dieÜbergangsphase

1,0

Teilzer-störteBrenn-elementemi t in-taktenKästen

0,427 GrößeresiedendeSchmelze

0,091

0,264 0,083 Rekrìti- 10,083kalität

Als zweite Möglichkeit für einen Materialverlust aus demKern kommt der Abriß eines Brennelementkastens beihohem Innendruck in Frage. I n der Auswertung wurde an-genommen, daß der erhitzte Brennelementkasten bei einemDruck über 15 bar abreißt und sein Inhalt ausgeworfen wird.

Wenn weniger als 60 % des Brennstoffes im Kern verbleiben,sind Rekritikalitäten auszuschließen, weil selbst eine kom-pakte Schmelze aus 60 % des Kerninventars nicht mehr kri-tisch werden kann (25). Bei einem derartigen Unfallablaufist die aus der Primärexkursion abgeleitete mechanische

Energiefreisetzung die charakteristische Größe für die Struk-turbelastung, Es zeigte sich bei der Auswertung, daß dieEinleitungsphase im allgemeinen als so unenergetisch einge-schätzt wi rd, daß mit 77 % subjektiver Aussagesicherheit

mehr als 60 % Brennstoff im Kern verbleibt,

Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sind daher bei einemUKDS Rekritikalitäten als möglich anzusehen. Die Entschei-dung, ob und wie eine Rekritikalität tatsächlich stattfindet,hängt von einer Reihe verschiedener Einzelphänomene' ab,

wozu zum Beispiel Schmelzen der Kästen oder Sieden desBrennstoff-Stahl-Gemisches zu zählen sind, Es bestehen zwargewisse Kenntnisse der Einzelphänomene, aber es gibt der-zeit kein anerkanntes Verfahren, um die Gesamtabläufe auf-bauend auf Detailkenntnissen konsequent zu verfolgen, Da-her wurde dieser Unfallabschnitt nicht anhand von Fragenzu Einzelphänomenen ausgewertet. Vielmehr wurden denBefragten fünf denkbare verschiedene Unfallabläufe ange-

boten, denen sie Wahrscheinlichkeiten beimessen sollten.Außerdem wurden sie aufgefordert, bei Bedarf zusätzlichAbläufe anzugeben, worauf aber nur 3,8 % Wahrscheinlich-

keit entfallen sind. Daher ist zu schließen, daß die fünf an-

gebotenen Abläufe alle relevanten Möglichkeiten abdecken,Diese Abläufe in' der Übergangsphase werden im nachfol-genden vorgestellt (Bild 5).

Der in der Einleitungsphase beweglich gewordene Brennstoffkann im Übergangsbereich zu dem kälteren axialen Brutman-tel zusammengedrängt werden, während das Material in denmittleren axialen Bereichen der Brennelemente zunächstnoch heiß und aufgewirbelt ist. Die Brennelementkästen sindzu diesem Zeitpunkt noch vorhanden,Die auseinandertreibenden Kräfte in der Kernmitte nehmenab, wenn dort das Temperaturniveau durch den Wärme be-darf beim Aufschmelzen der Brennelementkästen sinkt, oderwenn die unter Druck stehenden Gase und Dämpfe aus den

Brennelementkästen austreten,. Dann können nicht fest ge-bundene Brennstoffanteile aus dem oberen Elementabschnittreaktivitätserhöhend zurückfallen und eine Leistungsexkur-

sion hervorrufen. Dieser erste Unfallablauf wird im folgen-

den als "Rekritikalität bei noch intakten Kästen" bezeich-

42

0,261 Große Schmelzeim Kernbereicn

0,261 UnenergetischerAuswurf

0,091 Rekri tikali tätdurch Fluid-bewegung

Rekri tikali tätdurch Brennstoff-rückke:hr

,264 Rekritikalitätbei noch intak-ten Kästen

Bild 5: Unfallabläufe in der übergangsphase

net. Für die Bewertung dieser Rekritikalität ist es wesentlich,daß die Brennelementkästen noch weitgehend vorhandensind, so daß die Rückkehr in den einzelnen Elementen ent-

koppelt voneinander stattfindet.

Beim Ausbleiben einer Rekritikalität mit ausreichendem Aus-wurf von Brennstoff werden größere Kernbereiche durch dieNachzerfallsleistung oder die Wärmeerzeugung durch vorüber-gehende schwache Leistungstransienten aufgeschmolzen,

Wenn dabei reaktivitätsmi ndernde Vorgänge überwiegenzum Beispiel Beimischung von Brutstoff oder Austragung vonBrennstoff aus dem Kern infolge von Siedevorgängen - dannentsteht im Kernbereich schließlich ein geschmolzener Be-

reich ohne weiteres Rekritikalitätspotential. Dies ist derzweite mögliche Störfallablauf. Er hat keine mechanische

Belastung zur Folge.

Wenn während des Aufschmelzens des Kerns im Brutmantelweitgehend dichte Blockaden aus erstarrtem Brennstoff be-stehen, kein Brennstoff aus dem Kernbereich austritt und nurwenig Brutstoff beigemischt wird, entsteht eine zusammen-hängende größere siedende Schmelze - auch siedender Poolgenannt - die wieder kritisch werden kann,

Der siedende Pool kann durch Brennstoffverluste oder Bei-mischung von Brutstoff so stark an Reaktivitätspotentialverlieren, daß keine Rekritikalität stattfindet, Dieser dritteAblauf bringt ebenfalls keine mechanische Belastung mit sich.

Der siedende Pool enthält ein bewegliches Gemisch, das

durch Fluidbewegungen kritischere Zustände einnehmenkann. Wenn dies zu einer Rekritikalität mit ausreichendemAuswurf von Brennstoff führt, wird dieser vierte Ablauf als"Rekritikalität durch Fluidbewegung" bezeichnet. Für dieBeurteilung dieser Vorgänge ist es wesentlich, daß zu diesemZeitpunkt im Innern des siedenden Pools wahrscheinlichnoch Sonderlemente vorhanden sind, die kohärente reakti-vitätserhöhende Fluidbwegungen behindern.

Im fünften vorgegebenen Ablauf führt die Rückkehr von ZU"

vor in den oberen axialen Brutmantel ausgestoßenem Brenn-stoff in den siedenden Pool zu einer Rekritikalität. Dabei istzu bedenken, daß die einzelnen Brennstoffanteile unterverschiedenen Bedingungen ausgestoßen wurden und daherwahrscheinlich zeitlich und örtlich inkohärent zurückkehren,und daß mit dem Brennstoff auch Stahl und Brutstoff reak-tivitätsmindernd in den siedenden Pool gelangen kann.

Bearbeitung der RekritikalitätenDie Bearbeitung der drei beschriebenen versch iedenen Re-

kritikalitätsfälle folgt einem gemeinsamen Schema (Bi Id 6):Aus der Brennstoffbewegung wird die Reaktivitätsrampe

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ermittelt, daraus wird die Heftigkeit der Leistungsexkursion

und das Arbeitspotential abgeleitet, und aus diesem schließ-

lich die mechanische Energiefreisetzung,

Das Verfahren wird am Beispiel der Rekritikalität durchBrennstoffrückkehr in einen siedenden Pool erläutert: DieExperten sollten die Verteilung der Fallgeschwindigkeitund der fallenden Brennstoffmassen angeben. In diesebeiden Faktoren gehen die Bewertungen der Befragtenüber Art und Umfang der Bewegung ein. Die geringe Fall-geschwindigkeit ist zum Beispiel zu erwarten, wenn festeBrennstoffkrusten oder Strukturreste die Bewegung be-hindern, während eine hohe Geschwindigkeit durch Druck-einwirkungen denkbar ist. Dem ausgefüllten Fragebogenkönnen jedoch solche qualitativen Überlegungen zur Brenn-stoffbewegung nicht entnommen werden,

Aus verschiedenen Rechnungen ist der Zusammenhang zwi-schen fallender Brennstoffmasse, Fallgeschwindigkeit und

Reaktivitätsrampe für charakteristische Rekritikalitätsfälleim SNR bekannt (25). Daraus wurde ein einfacher Formalis-mus zur Berechnung der Reaktivitätsrampen abgeleitet.Zusätzlich ist aber zu bedenken, daß entsprechend den einge-gangenen Antworten in mindestens der Hälfte aller Fälleso viel Brutstoff am Fall teilnimmt, daß ungeachtet der fal-lenden Brennstoffme nge keine positive Reaktivitätsrampeauftreten kann. Dies wurde in der Auswertung durch eine

entsprechende Korrektur der mit reinem Brennstoff errech-neten Rampen berücksichtigt, Parallel zu dieser Berechnungder Reaktivitätsrampen wurde die Verteilung der Rampenauch direkt erfragt, Die beiden Verteilungen wurden zu einerMischverteilung zusammengefaßt,

Die weitere Auswertung beruht darauf, daß die Reaktivitäts-rampe die wesentlichste Einflußgröße zur Bestimmung des

Arbeitspotentials ist (26). Allerdings beeinflussen noch eine

Reihe weiterer Parameter das Arbeitspotential, so daß zueiner bestimmten Reaktivitätsrampe eine beträchtlicheBandbreite des Arbeitspotentials gehört, Als obere Ab-schätzung dieser Bandbreite dienen konservative Berechnun-

gen mit (27) und ohne (25) Einschluß des sogenanntenNe utr onen- Leckageneffe ktes,

Dabei wurde das relativ einfache, auf bewährten Prinzipienaufbauende und auch im Genehmigungsverfahren verwendete

Rechenprogramm KADIS benutzt. Ausgehend von dieseroberen Abschätzung wird eine logarithmische Normalvertei-lung des Arbeitspotentials angesetzt. Als zweiter Stützpunktder Normalverteilung dienen Extrapolationen des mit den

Rechenprogramm SIMME R bestimmten Arbeitspotentialseiner Leistungsexkursion in einem siedenden Pool (28).Da dieses Programm noch nicht als verifiziert gelten kannund da auch die Extrapolation Unsicherheiten enthält, wirdangenommen, daß die so berechneten Arbeitspotentialenoch mit 70 % Wahrscheinlichkeit überschritten werden,

Bei dieser Art der Auswertung werden also die verschiedenenmöglichen Anfangs- und Randbedingungen der Rekritikali-tätsfälle dadurch berücksichtigt, daß für jeden Wert derReaktivitätsrampe nicht ein fester Wert für das Arbeitspoten-tial, sondern eine ganze Arbeitspotential-Verteilung angesetztwird.

Zusätzlich wurde auch die maximale Brennstoff temperaturnach der Rekritikalität erfragt und auf dieser Basis eine

weitere Arbeitspotential-Verteilung errechnet. Abschließendwurde für das Arbeitspotential von den Befragten eine Di-rektangabe erbeten und mit den anderen Arbeitspotentialver-teilungen zusammengefaßt. Durch diesen breiten Ansatzzur Bestimmung des Arbeitspotentials können auch solcheVorstellungen der Befragten in das Ergebnis einfließen, diein der Auswertung anhand der Detailangaben unter Umstän-den nicht enthalten sind.

F: FallendeF: Brutstoff-Brennstoff- i-

masse an teil

l

F: Faiigeschwin--- Errechnete

Reak ti vi tä ts-digkeit f- rampe

Brennstoff-

j'" Ù M"";,""O'"""",~

(ohne Neutronen-leckage )

F: Reaktivitäts- 1/2 Zusammengefaßterampe ~ Reaktivitäts-(direkt) rampe

~ Brennstoff-Arbeitspotential ~(mi t Neu tronen-leckage)

F: Maximale Brennstoff-Brennstoff- -- Arhei tspoten- ~ 1/4temperatur tial (aus Tem-

pera turprofi 1)

Zusammengefaßtcs ~Brennstoff-

r A;-bei tspoten tiall-F: Brennstoff- 1/4

Arbei ts-potential(direkt)

F: Wirkungsgrad Freisetzungder Brenn-stoffdampf- mechanischerexpansion Energie

Bild 6: Analyse der Rekritikalität

Aus dem Arbeitspotential ergibt sich die mechanische Ener-giefreisetzung durch Multiplikation mit dem entsprechen-den Wirkungsgrad des Expansionsvorganges, Wie bereits beider Einleitungsphase beschrieben, wird dieser Umsetzungs-

prozeß durch einen entsprechenden Wirksamkeitsfaktor er-faßt, der im Fragebogen direkt erfragt wird,Dieser Ablauf der Bearbeitung, wie er hier für die Rekritika-lität durch Brennstoffrückkehr in den siedenden Pool be-schrieben worden ist, wurde mit geringen Abweichungenauch bei den anderen beiden Rekritikalitätsfällen eingehalten.Wesentliche Unterschiede bestehen lediglich darin, daß indiesen Fällen kein Brutstoffanteil an der Brennstoffbewegungunterstellt wird, und daß bei der Rekritikalität bei intaktenBrennelementkästen SAS3D-Ergebnisse (29) anstelle vonSIMME R-Ergebnissen für das Arbeitspotential verwendet

worden sind,

Entsprechend den Wahrscheinlichkeiten, die den Rekritika-litätsabläufen in der Übergangsphase zugeordnet worden sind,werden die drei errechneten Verteilungen der mechanischenEnergiefreisetzung in einem letzten Schritt zusammengefaßt.

Z usa m m e n fasse n der Ü be r b I i c kDer Aufbau des Fragebogens entspricht der Unterteilung desUnfallablaufes in Einleitungsphase mit Prirrärexkursion,Übergangsphase, Rekritikalität und Expansionsphase. DieVorgänge in der Einleitungsphase und bei Rekritikalitätenwerden besonders vertieft behandelt. Es wird dabei sowohlnach physikalischen Einzelphänomenen gefragt, als auch umpauschale Antworten gebeten. Die Detailangaben sind benutztworden, um die Verteilung des Arbeitspotentials zu berech-nen (Bild 7).

43

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EingegangeneAntworten GRS-Analyse

Schlüssel-parameter

SAS3D-Analyse

Max. Brennstoff-temperatur iArbei tspotential

Brennstoff-Eindringtiefenin Brutmantel

Art desUnfallablaufs

Brennstoff-bewegung,Reaktivitäts-rampe

Rampenbestimmungaus Brennstoff-bewegung

Maximale Brenn-stofftempera tur,Arbei tspotential

Arbei tspoten ti alaus Rampe (KADIS,SAS3D i SIMMER-II)

Wirkungsgrad derBrennstoffdampf-expansion

Bild 7: Schema der Auswertung

In diese Berechnungen sind SN R-spezifische Daten und Be-

dingungen eingegangen. Dadurch ist es möglich, die von

den Experten erhaltenen Angaben zu physikalischen EinzeI-phänomenen für die Unfallanalyse im SNR-300 zu nutzen,Entsprechend enthalten die pauschalen Angaben der Exper-

ten neben ihrer Beurteilung von Einzelphänomenen auchihre Einschätzung der reaktorspezifischen Bedingungen,

Dadurch ergibt sich ein Informationsgewinn, da zusätzlicheErfahrungen mit anderen Reaktorkonzepten oder Unfall-verläufen in die Gesamtbeurteilung einfließen. Andererseitsbesteht jedoch auch die Möglichkeit, daß unzutreffende

Schlüsse bei dieser Übertragung von Erfahrungen gezogenwerden. Wegen der unvermeidlich groben Struktur des Fra-gebogens ist es nur in beschränktem Maße möglich, die Ur-sachen für eventuelle Abweichungen zwischen pauschalen

Angaben und Angaben zu Einzelphänomenen festzustel-len, Deswegen wurde bei der Auswertung auf jegliche Wer-tung der eingegangenen Antworten verzichtet, und diepauschal angegebenen Antworten wurden mit den Berech-nungsergebnissen auf der Basis der Detailantworten zum

Gesamtergebnis zusammengefaßt,

Für die Übergangsphase wurde keine auf Einzelphänomenenaufgebaute Auswertung vorgenommen, vielmehr gaben dieBefragten direkt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit die vor-gegebenen fünf verschiedenen Abläufe auftreten.

Das Verhältnis der mechanischen Energiefreisetzung zumArbeitspotential wurde ebenfalls nicht aus EinzeIphänome-nen abgeleitet, sondern direkt erfragt,

44

Der vorstehend beschriebene Fragebogen und seine Auswer-

tung enthält alle für die mechanische Energiefreisetzung des

UKDS relevanten Phänomene. Es bedeutet eine starke Ver-einfachung und Schematisierung, einen derart vielfältigenProblem komplex auf einen zwar umfangreichen, aber docheng begrenzten Fragebogen zu reduzieren, Da alle Expertenden Bogen wie erbeten bearbeitet haben, scheint es aber ge-lungen zu sein, eine für die Zwecke der risikoorientiertenStudie ausreichende Form der Behandlung zu finden.

Probabilistische Auswertung der Expertenbefragung undihre Ergebnisse

Der Schadens umfang pro Schadensereignis und die zu erwar-tende Häufigkeit pro Zeiteinheit (mit der das Schadensereig-

nis mit dem betrachteten Schadensumfang eintritt) sind diebeiden primären Komponenten der Risikoquantifikation.Manchmal findet auch die äquivalente Verknüpfung vonSchadensumfang pro Zeiteinheit und zugehöriger Wahr-scheinlichkeit Verwendung. Die SN R-Studie (1 J unterteiltdie Menge der Schadensereignisse (Unfallabläufe) in siebenKategorien, Die ersten fünf davon enthalten Unfallabläufe,die mit der Zerstörung des Reaktorkerns verbunden sind.

Darunter befinden sich auch jene, die für die höchsten

Schadensausmaße errechnet werden, Ihre zu erwartendenHäufigkeiten pro Jahr sind das Produkt aus der zu erwarten-den Häufigkeit des einleitenden Ereignisses und den beding-ten Wahrscheinlichkeiten weiterer wesentlicher Unfallab-

laufdetails, Zu den letzteren zählt die Höhe der im Reaktor-tank freigesetzten mechanischen Energie. So errechnet sichzum Beispiel die zu erwartende Häufigkeit eines wichtigenUnfallablaufs aus Kategorie 1 gemäß:

einleitendes Unterereignis Unterereignis AblaufEreignis Zo: Z1: Z2: Zo Z1 Z2

aus Kategorie 1

mechanischeEnergiefrei-setzung

UKDS ? 400 MJ Tankversagen

zu erwartende bedingte Wahr- bedingte Wahr- zu erwartendeHäufigkeit pro scheinlichkeit scheinlichkeit Häufigkeit proJahr (unter der Be- (unter der Be- Jahr

dingung von dingung vonZo) ZoundZ1)

1,2' 10-6 , 3,2,10-3 1,0 = 3,S'10-9

Aufgrund seiner Risikorelevanz diente, wie oben erwähnt,das einleitende Ereignis UKDS als Basisfall für die Ermitt-lung einer bedingten Wahrscheinlichkeitsverteilung der frei-gesetzten mechanischen Energie. Die ersten Kapitel zeigtenauf, daß die quantitative Bewertung dieser Energie und die

Zuordnung bedingter Wahrscheinlichkeiten zu Wertebe-reichen von der Einschätzung des phänomenologischenAblaufs und von der quantitativen Einschätzung wichtigerEinzelphänomene des UKDS abhängt, also mit Unsicher-heiten behaftet ist. Um das Spektrum der Einschätzungendurch die Fachwelt in den Quantifikationen der SN R-Studie

berücksichtigen zu können (im Einklang mit den Empfehlun-gen der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages

(30, S. 329 bis 331 J, wurde die Expertenbefragung (An-hang A7-11 in (1 J durchgeführt.

Das Kapitel "Physikalische Grundlagen von Befragung undAuswertung" gab einen Überblick über Grundlagen der Fra-gestellung sowie der funktionalen Zusammenhänge, nachdenen die Antworten verarbeitet wurden, Es folgen nuneinige Bemerkungen zu probabilistischen Grundlagen, diewesentlichen Schritte der probabilistischen Auswertung sowiedamit erzielte Ergebnisse,

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Bemerkungen zu probabilistischenGrundlagenWas ist 'Probabilistik' und warum beschäftigen wir unsdamit? In der Probabilistik nehmen wir Wahrscheinlich-keitsbewertungen vor und verarbeiten sie nach den Regeln

und mit den Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnungentsprechend vorgegebener funktionaler Beziehungen zwi-schen den bewerteten Größen, Damit gelangen wir in logischzwingender Weise zu Wahrscheinlichkeitsbewertungen fürjene Größen, die eigentlich im Blickpunkt des Interessesstehen, einer direkten Bewertung aber nur schwer zugänglichsind.

Warum bewerten wir mit Wahrscheinlichkeiten? Weil wirUngewißheit in Zahlen ausdrücken möchten, um Vergleichevornehmen und auf diese Vergleiche Entscheidungen auf-bauen zu können,

Sind für unsere Entscheidungen quantitativ gleich bewerteteUngewißheiten auch immer qualitativ gleich? Zur näherenErläuterung dieser Frage soll vorab ein allgemein verständ-

liches und einfach überschau bares Beispiel dienen, Späterwird der Zusammenhang zu Risikountersuchungen aufge-zeigt werden,

Nehmen wir also an, wir hätten einen fairen WürfeL. DieChancen, damit bei einem beliebigen Wurf eine Sechs zuwerfen, stünden 1:6, Hätten wir aber einen Würfel mit glei-cher Augenzahl auf jeder Seite, so würden wir stets nurSechsen oder nie eine werfen, Dieser Würfel sei nun blindeiner Urne entnommen, die nur Würfel mit gleicher Augen-zahl auf jeder Seite enthält, und zwar gleich viele von jeder

der Augenzahlen Eins bis Sechs, Die Chancen, einen Würfelzu entnehmen, der auf jeder Seite sechs Augen hat, stündendann ebenfalls 1: 6. Wenn wir den entnommenen Würfelnicht betrachten können, also stets blind damit werfen müs-sen, ist dann die Ungewißheit darüber, ob wir damit beieinem beliebigen Wurf eine Sechs werfen, qualitativ gleichder beim fairen Würfel? Ganz offensichtlich nicht, denn:

Beim Würfel mit gleicher (unbe- Beim fairen Würfelkannter) Augenzahl auf jederSeite

werfen wir entweder immer nur ist jede Augenzahl gleicher-Sechsen oder niemals eine, maßen möglich.Das Ergebnis ist also seit der Das Ergebnis variiert stochastischEntnahme des Würfels deter- von Wurf zu Wurf,miniert.

Reduktion unserer Ungewißheit Reduktion unserer Ungewißheitüber die Augenzahl des Würfels darüber, ob bei einem beliebigenändert nichts an der Tatsache, Wurf eine Sechs geworfen wird,daß wir damit entweder stets kann nur durch Eingriff amSechsen werfen oder nie eine. Zufallskomplex selbst, also

zum Beispiel am Würfel, erreichtwerden

Die Aussage "Bei einem belie- Hier können wir von der Wahr-bigen Wurf wird mit der Wahr- scheinlichkeit 1/6 sprechen, mitscheinlichkeit 1/6 eine Sechs der bei einem beliebigen Wurfgeworfen", ist hier in der klassi- eine Sechs geworfen wird, Auchsc he I nterpretation sinnlos, die genaueste i nspektion desAllerdings könnten wir be- fairen Würfels ändert nichts anhaupten (zum Beispiel nach diesem Wert.Auswertung einer Stichprobeaus der Urne), daß wir uns zu(1/6. 100)% sicher sind, mitdem blind entnommenen Würfeleine Sechs zu werfen.

Diese offensichtliche qualitative Unterschied in der zu quan-tifizierenden und probabilistisch zu modellierenden Unsicher-heit hat Konsequenzen für die Wahl des Wahrscheinlichkeits-konzepts, Grundlage sind die beiden gebräuchlichen Wahr-scheinlichkeitsbegriffe (31):A. "Wahrscheinlichkeit" in ihrer Interpretation als Grenzwert

der relativen Häufigkeit (frequentistisches Konzept).

B, "Wahrscheinlichkeit" in ihrer Interpretation als Grad anSicherheit (Aussagesicherheit). mit der ein bestimmterSachverhalt für zutreffend gehalten wird (subjektivisti-sches Konzept),

Dazu folgen einige sach- und anwendungsbezogene Erläute-rungen und Unterscheidungen:

Zur Schätzung der Wahrscheinlichkeit, mit der die Durchfüh-rung eines Zufallsexperiments (unter bestimmten Bedingun-gen) ein bestimmtes Ereignis zur Folge hat, wird im allgemei-nen das Zufallsexperiment, unter eben diesen Bedingungen,

häufig (n-mal) wiederholt. Falls hierbei genau m * 0 Wieder-holungen das Ereignis zur Folge hatten, dient die relativeHäufigkeit m/n als Schätzwert der Wahrscheinlichkeit inihrer Interpretation A (also als Schätzung des Grenzwertesvon m/n für n -+ 00).

Zu dieser Schätzung können Vertrauensintervalle mit zuge-höriger Aussagesicherheit (auch Sicherheitswahrscheinlich-keit genannt) ermittelt werden. Unter Aussagesicherheit

versteht man dabei in der Statistik die Wahrscheinlichkeit,mit der eine Stichprobe einen Wertebereich (Vertrauensinter-

vall) liefert, der den zutreffenden Wert der gesuchten Wahr-scheinlichkeit enthält. Liegt zur Aussagesicherheit von zumBeispiel 90 % ein auf Stichprobenevidenz beruhendes Ver-

trauensintervall vor, so ist man sich zu 90 % sicher, daß esden gesuchten Wahrscheinlichkeitswert enthält, obgleich er(nach A) nur mit der Wahrscheinlichkeit 1 oder 0 (also ent-weder oder nicht) enthalten sein kann. Dieser Grad an Sicher-

heit ist ein Beispiel der Wahrscheinlichkeitsinterpretation B.

Der Grad an Sicherheit bzw, das Vertrauensintervall sind indiesem spezifischen Fall vom Resultat einer Stichprobe ab-geleitet. Sie können aber, mangels Zufallsexperimenten unterden bestimmten Bedingungen, auch auf Zufallsexperimentenunter andere Bedingungen, kombiniert mit Fachwissen und

Erfahrung (Expertenurteil) oder ganz allein auf Experten-

urteil beruhen. In diesem Fall muß von subjektiver Aussage-sicherheit (bzw, subjektivem Vertrauensintervall) gesprochenwerden,

Bei ungenau bekannten Konstanten (zum Beispiel Wahr-scheinlichkeiten, Erwartungswerten etc.). die keiner echtenzufälligen Variation unterliegen, und bei Gesetzmäßigkeiten(feste funktionale Beziehungen) läßt sich die Unsicherheitihrer Kenntnis nur über die Wahrscheinlichkeitsinterpreta-

tion B quantifizieren.

Nicht zur Vertrauensintervalle bzw, Aussagesicherheiten (zu

einem Wahrscheinlichkeitswert der Interpretation A) könnenauf der Basis von Expertenurteil geschätzt werden, sondern

auch der Wahrscheinlichkeitswert selbst, In diesem Fall liegteine subjektive Wahrscheinlichkeitsschätzung vor, die den

Axiomen der Wahrscheinlichkeitsrechnung genügen muß.Sie ist als solche gegenüber der Wahrscheinlichkeitsschätzungauf der Basis von Stichprobenevidenz ("objektive" Schätzung)zu kennzeichnen,

Der besseren Übersicht wegen ist der Zusammenhang zwi-schen diesen wichtigen Unterscheidungen schematisch in

Bild 8 veranschaulicht.

Es ist klar, daß im praktisch relevanten Fall oft auf beiden

Unterscheidungsebenen in Bild 8 eine Mischung beiderCharakteristika vorliegt, Die Erfahrung zeigt aber, daß esfast immer möglich ist, nach dem dominanten Anteil zuklassifizieren, Sollte im Hinblick auf den Unsicherheitstypdie Klassifikation auch unter dem Aspekt der Dominanznicht vertretbar sein, liegt es nahe, die Anteile getrennt

zu modellieren,

Bei praktisch relevanten Unsicherheitsanalysen haben wires in der Regel mit zahlreichen Größen zu tun, die mit Un-sicherheiten des einen oder anderen Typs behaftet sind.Ohne konsequente Unterscheidung, bereits im Zuge der

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Grundlage ~der Wahr _ Stichproben- Experten-scheinlich- evidenz urteilkeitsbewertg" lBezeichnung . .des Werts im (obJektive)Modell und SchätzungAnalyse -ergebnis

Unsicher -heits typ

Wahrschein-lichkeits-konzept

probabilistischzu modellierendeUnsicherheit~

möglichestochastischeVariation

ungenaue Kenntnisdeterministischer

Größen

frequentistisch subjektivistisch~Stichproben- Experten-evidenz urteil

,subjektiveSchätzung

,(objektive)Aussage-sicherheit

subjektiveAussage-sicherheit

Bild 8: Zusammenhänge und Unterscheidungen bei der probabilisti-schen Unsicherheitsanalyse

Analyse, wäre es deshalb nicht möglich, die gemeinsamen

Auswirkungen der Unsicherheiten in den zahlreichen Grö-ßen, typspezifisch zu identifizieren, Letzteres ist aber unab-dingbare Voraussetzung für eine sinnvolle Analyseaussageund somit wesentlich für den darauf bauenden Entschei-

dungsprozeß. Am deutlichsten erkennbar wird die Notwen-digkeit der konsequenten Unterscheidung jedoch bei Risi-kountersuchungen, Dort interessiert genau die Unsicherheitaus tatsächlich möglicher stochastischer Variation, denn nursie ist eine der beiden Komponenten des zu untersuchendenRisikos und schlägt sich über die zu erwartende Häufigkeit

pro Zeiteinheit (bzw. über die Wahrscheinlichkeit) in der

Risikoquantifikation nieder. Die Unsicherheit aus ungenauerKenntnis deterministischer Größen der Risikorechnung führthingegen dazu, daß viele alternative Rechenergebnisse .alsmöglicherweise zutreffendes Risiko anzusehen sind. Verbes-serte Kenntnis dieser Größen und die dami teinhergehendeEinengung ihres Unsicherheitsbereichs führt zwar zu mehrRealismus in der quantitativen Beurteilung des zu unter-suchenden Risikos, verändert es aber nicht!

:: , fmeasured value:18.7IeelT

l1

T

l

30

~ 25:J..~ 20o....6 15w:ro 10woooe 5

oRESPONSES

Bild 9: Ergebnis einer Expertenbefragung zu einem Problem aus derGeotechnik (nach 34); Abszisse: die einzelnen Experten,

Ordinate: die (gesuchte) zusätzliche Aufschütthöhe bis zumStabilitätsversagen

46

Damit wird deutlich, daß probabilistische Unsicherheitsana-lysen zu Risikorechnungen nur mit dem subjektivistischenWahrscheinlichkeitskonzept (also mit subjektiven Wahr-scheinlichkeiten) arbeiten können. Daß dies nicht synonymzu sein braucht mit dem alleinigen Einsatz von Experten-urteil, geht aus der zweiten Unterscheidungsebene in Bild 8hervor. Oft ist jedoch, aus unterschiedlichen Gründen, keineStichprobenevidenz als Ouantifikationsgrundlage für subjek-tive Wahrscheinlichkeiten beschaffbar. Daß selbst Anwen-dungsgebiete der Statistik (zum Beispiel Geowissenschaften,

Medizin, Ökonometrie, Bauingenieurwesen). die mit rele-vantem Stichprobenmaterial auf den verschiedensten Analyse-ebenen im allgemeinen gut ausgestattet sind, ohne Experten-urteil als Ouantifikationsbasis nicht auskommen, ist zumBeispiel (32,33,34) zu entnehmen.

(34) enthält das Ergebnis einer Befragung, die gegenübervielen aus der Literatur den Vorteil hat, daß es um einProblem aus der Praxis geht, Experten aus dem betreffendenFachgebiet befragt wurden und zugleich die richtige Antwortam Objekt ablesbar war. Der praktische Hintergrund ist derBau einer Autobahn durch das Gezeiten-Marschland nördlichvon Boston, Gefragt war nach der zusätzlichen Höhe der Auf-schüttung, bei der es, aufgrund des Deformationsverhaltens

des Lehmuntergrundes, zu Stabilitätsversagen kommt, Aus-führliches Datenmaterial, angefangen bei der geologischen

Geschichte des Gebiets über die Auswertung diverser Probe-bohrungen bis hin zu den Ergebnissen der unterschied-lichsten physikalischen Messungen, vor und während einesbestimmten Zeitraums des Aufschüttvorgangs, wurde denExperten für die Verwendung in ihren Rechenmodellen zurVerfügung gestellt, Bild 9 ist (34) entnommen und zeigt dieIntervalle, die durch das Maximum und Minimum des jeweili-gen Experten eingegrenzt werden. Das heißt, jeder der Exper-ten war sich zu 100 % sicher, daß die zutreffende Aufschütt-höhe zwischen den von ihm angegebenen Balkenenden liegt,

Wie Bild 9 entnommen werden kann, enthalten lediglich dieAngaben von drei Experten die richtige Antwort. Allerdingsschließt die Gesamtheit der Expertenangaben den zutreffen-den Wert gut ein.

Die hauptsächlich auf Expertenurteil beruhenden Werte sind

natürlich nur dann Wahrscheinlichkeiten im mathematischenSinne und können nach den Regeln der Wahrscheinlichkeits-rechnung verarbeitet werden, wenn sie den Axiomen derWahrscheinlichkeitsrechnung genügen. Während in vielen Fäl-len das Erfülltsein der Axiome sofort einsichtig ist, befaßtsich die einschlägige Literatur hauptsächlich mit dem Nach-weis bei Problemstellungen, die durch Abhängigkeiten kom-plizierter gelagert sind (35, 36). Das Erfülltsein der Axiomesagt jedoch noch nichts über die Güte dieser Wahrschein-

lichkeitswerte an sich,

Zahlreiche Veröffentlichungen ((37, 38) sowie dortige Bei-träge und Zitate) beschäftigen sich mit den typischen Ursa-

chen für Verzerrungen in Wahrscheinlichkeitswerten, derenhauptsächliche Ouantifikationsgrundlage Expertenurteil ist.Der Umfang der Literatur ist ohne Zweifel Ausdruck derBedeutung dieser Werte für viele wichtige Anwendungen,

Gleichzeitig wird aber auch eindrucksvoll die Notwendigkeitdemonstriert, Wahrscheinlichkeitswerte, die hauptsächlich

auf Expertenurteil beruhen, gegenüber solchen aus Stich-

probenevidenz deutlich zu kennzeichnen. Es scheint, daßsich viele unerfreuliche Dispute, zum Beispiel in (39) weit-gehend erübrigen würden, wenn die Unterscheidungen inBild 8 immer und von allen an probabilistischen Analysen(insbesondere Risikountersuchungen) I nteressierten Beach-tung fänden,

Bei der Expertenbefragung der SN R-Studie und ihrer pro-babilistischen Auswertung wurde diesen UnterschiedenRechnung getragen. Dort handelt es sich einerseits

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um stochastische Variation, so daß um Schätzungenvon Wahrscheinlichkeiten in der Interpretation A zu

einzelnen Wertebereichen gebeten wurde. Die Unter-schiede in den Wahrscheinlichkeitsschätzungen aus den

einzelnen Fragebogen sollten zugleich zur näherungs-weisen quantitativen Beschreibung der Unsicherheitin der Kenntnis der gesuchten Wahrscheinlichkeitendienen;

und andererseitsum ungenaue Kenntnis determi nistischer Größen, sodaß die "Wahrscheinlichkeit" in ihrer Interpretation Bals Aussagesicherheit oder Grad an Sicherheit, mit demder jeweilige "Wert" (bzw, "Wertebereich") für zutreffendgehalten wird, anzugeben war. Diese Interpretation wurdeauch dann verwendet, wenn für die betreffende Größezwar zufällige Variation um ihren Mittelwert möglich ist,jedoch die Unsicherheit aus ungenauer Kenntnis derLage des Mittelwerts gegenüber der Unsicherheit ausmöglicher stochastischer Variation überwiegt.

Die subjektiven Wahrscheinlichkeitsverteilungen aus den

einzelnen Bogen, zur Quantifikation der Unsicherheitaus der ungenauen Kenntnis deterministischer Größen,wurden zur Fortpflanzung dieser Unsicherheiten bis zuden Ergebnissen verwendet, so daß subjektive Vertrauens-bereiche dazu erhältlich waren.

Im Laufe der folgenden Ausführungen wird ersichtlich, wei-che Konsequenzen sich aus dieser Unterscheidung für dieVorgehensweise bei der probabilistischen Auswertung undfür die damit erzielten Aussagen ergeben.

Die wesentlichen Schritte der proba-bilistischen AuswertungVertrauthei tsbeurtei lung

Zu jeder der fünf Fragengruppen sollten die Antwortenden,mit Bezug auf die im Fragebogen enthaltene und sorgfältigerläuterte Beurteilungsskala (40). ihre Vertrautheit mit demGegenstand der Fragen quantitativ bewerten. Ferner wurdedarum gebeten, auch die übrigen Empfänger des Frage-bogens entsprechend der Beurteilungsskala einzustufen.Diese Beurteilungen konnten, wenn nötig, auch für einige(oder alle) Fragen einzeln vorgenommen werden.Die Vertrautheitsbeurteilung als Grundlage einer sinnvollenGewichtung ist bereits in (41) im Zusammenhang mit dergewichteten Aggregation von Expertenurteilen zu finden,Mit ihrer Einführung soli den Befragten, u.a. die Möglichkeitgegeben werden, Antworten zu Fragen, die direkt ihremSpezialgebiet entstammen, quantitativ bewertend zu unter-scheiden von solchen aus Nachbargebieten,

Zur Auswertung der Vertrautheitsbeurteilung erfolgte fürjeden Bogen, zu jeder beantworteten Frage, die Mittelungder Bewertungen und anschließende Rundung dieses Mittel-wertes zur nächstliegenden ganzen ZahL. Diese mittleren

Beurteilungen pro Bogen und Frage wurden dann analog zumVorgehen in (40) in Gewichte umgesetzt, Letztere fanden

u.a. Verwendung bei der Ermittlung von normierten Bogen-gewichten bezüglich der Gesamtheit der explizit ausgewer-teten Fragen. Eine entsprechende Sensitivitätsanalyse ergabnur geringfügigen Einfluß dieser Gewichte, und somit derVertrautheitsbeurteilung, auf die Ergebnisse.

Umsetzung der Antworten in Verteilungsfunktionen

Als Antworten sind zu einzelnen Wertebereichen Wahrschein-lichkeiten (Intervallswahrscheinlichkeiten) dafür angegeben,daß der zutreffende Wert, bzw. der Wert der zufällig variie-renden Größe, im jeweiligen Intervall liegt, Damit ist an sichnoch kein Verteilungstyp festgelegt, also insbesondere keinfunktionaler Zusammenhang gegeben, nach dem die Wahr-

scheinlichkeit über dem Intervall im Sinne einer Dichte-funktion aufzuteilen wäre. In solchen Situationen ist esüblich, (vgl. auch (40)) innerhalb der Intervalle apriori eineGleichverteilung anzunehmen, so daß über dem Wertebereichder Größe insgesamt eine stückwe ise G leichvertei lung, auchHistogrammverteilung genannt, zur Anwendung kommt.Sofern nicht anders angegeben, wurde von diesem Vertei-lungstyp ausgegangen.

Die stückweise Gleichverteilung hat außerdem den Vorteil,daß sie den Wahrscheinlichkeitsangaben der Befragten vollentspricht. Mit anderen Verteilungstypen wird es im allge-meinen gelingen, allen angegebenen Intervallwahrscheinlich-keiten zu genügen, das heißt mehrere Angaben der Befrag-ten würden zu ignorieren sein bzw. nicht voll berücksichtigtwerden können, Im Zuge einer Sensitivitätsanalyse, bei derauch andere Verteilungstypen zum Einsatz kämen, würdesich feststellen lassen, wie groß der Einfluß der Wahl desVerteilungstyps ist. Eine entsprechende Sensitivitätsanalyseiii der Risikostudie für Druckwasserreaktoren (42). bei deru.a. auch stückweise Gleichverteilungen herangezogen wur-

den, hat nur relativ geringfügigen Einfluß des Verteilungs-

typs aufgezeigt,

Ermittlung lokaler subjektiver Vertrauensinterva/le und eines

Referenzergebnisses zur komplementären Verteilung derfreigesetzten mechanischen Energie

Hier soll zunächst gezeigt werden, wie Vertrauensintervalle

und Referenzergebnis mit den Antworten eines einzelnenFragebogens erhalten werden können. Zur 11 lustration die-nen die Ergebnisse zum Fragebogen der Brüterexperten derG RS. Anschließend wi rd erläutert, wie auf der Basis derAntworten in allen Bogen die Aussagen im Anhang A7-1 derSNR-Studie erzielt wurden.

Probabilistische Auswertung der Antworten in Fragebogen i1. Einleitungsphase

Die Fragengruppe 1 des Bogens befaßt sich mit der Un-sicherheit in Teilaspekten der phänomenologischen Ein-schätzung der Einleitungsphase eines UKDS, Die Unsicher-heit aus der möglichen stochastischen Variation wurdedemgegenüber als vernachlässigbar beurteilt. Wir haben esdeshalb mit ungenau bekannten deterministischen Größenzu tun, so daß sich die probabilistische ModelIierung des

subjektivistischen Wahrscheinlichkeitskonzepts bedient (Bild8), Für die probabilistische Unsicherheitsanalyse führt also

die Einleitungsphase auf ein bestimmtes aber ungenaubekanntes Werteintervall des mechanischen Arbeitspotentials.Zur Herleitung subjektiver Wahrscheinlichkeiten (Grad an

Sicherheit), mit denen das jeweilige Intervall als zutreffendanzusehen ist, wurden die Antworten zu den Fragen 2,4,5,6, 7, 12, 14 und 15 ausgewertet. Im Falle der ersten sechs

Fragen zu diskreten Größen geschah dies mit Hilfe einerdiskreten Response Funktion (43). Ihre Zuordnungsvor-schrift stützt sich auf SAS3D- Rechnungen und ist in Formvon drei verknüpften Entscheidungstabellen in (1) detailliertbeschrieben. Bei der Umsetzung des funktionalen Zusammen-hangs aus der diskreten Response Funktion in entsprechendeWahrscheinlichkeitsoperationen wurde u.a. fragebogen interneUnabhängigkeit der Unsicherheiten vorausgesetzt.

Die Response Funktion setzt die Antworten in Intervallwahr-scheinlichkeiten des Arbeitspotentials um. I m Fragebogenwar außerdem nach Wahrscheinlichkeitsangaben zur maxima-len Brennstoff temperatur am Ende der Einleitungsphase undzum mechanischen Arbeitspotential direkt gefragt. Aus denAntworten zu beiden ergab sich jeweils eine weitere Vertei-lung des Arbeitspotentials, wodurch Konsistenzprüfungen

ermöglicht wurden. Zusammenfassung der drei alternativenVerteilungen zu einer Mischverteilung lieferte die im weiterenVerlauf der Auswertung verwendete subjektive Wahrschein-

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Tafel 3: Subjektive Wahrscheinlichkeitsverteilungen des mechanischenÄrbeitspotentiais der Einleitungsphase eines UKDS (möglichestochastische Variation des Ärbeitspotentiais wurde gegenüberder Unsicherheit in der phänomenologischen Einschätzungvernachlässigt; Rundungen können zur Folge haben, daß dieSumme der Wahrscheinlichkeiten ungleich 1 ist!

Intervallwahrscheinlichkeiten in % zu

0...50 50...150 150...400 400.../k1 k1.../k2 k2.../k3 MJ

83,6 14,9 1,579,4 19,0 1,684,0 14,5 1,578,8 20,0 1,355,2, 28,0 16,0 0,3/650 0,2/3761 0,2/1.E557,4 26,1 16,0 0,5/65054,6 34,1 7,0 4,2/650 0,1/66944,9 47,7 6,0 1,5/65087,9 8,5 2,4 0,9/1000 0,2/121090,6 7,7 1,6 0,1/65093,6 5,4 1,0 0,1/650 0,0005/669 0,0007/100083,8 13,6 2,6 0,0003/65099,6 0,486,2 9,9 3,9 0,02/65074,7 21,8 3,1 0,4/650 0,05/1000 0,02/1210

lichkeitsverteilung des mechanischen Arbeitspotentials durchisentrope Brennstoffdampfdruck-Expansion auf 70 m3 amEnde der Primärexkursion eines UKDS, Dabei ist zu beachten,daß einem Werteintervall stets dann durch die Mischverteilungvon Null verschiedene Wahrscheinlichkeit zugeordnet wird,

wenn dies bei mi ndestens einer der drei alternativen Vertei-I ungen der Fall ist. In Tafel 3 sind für jeden Fragebogen

einzeln die Intervallwahrscheinlichkeiten dieser Mischvertei-

lung angegeben.

Anhand der Antwort zur Frage nach den Eindringtiefen inden oberen und unteren axialen Brutmantel wurde ermittelt,ob ein UKDS mit bestimmtem Wert des Arbeitspotentialsaus der Einleitungsphase noch zu Rekritikalität führen kann,Damit war es möglich, aus der subjektiven Wahrscheinlich-keitsverteilung des Arbeitspotentials die subjektive Aussage-

sicherheit dafür abzuleiten, daß ein UKDS noch zu Rekriti-kalität führen kann, Zugleich ergab sich aus dieser Verteilung,zusammen mit der des Wirksamkeitsfaktors (vgl. Abschnitt"Einleitungsphase") die subjektive Wahrscheinlichkeitsver-

teilung der mechanischen Energiefreisetzung in der Einlei-tungsphase.

Für alle Arbeitspotentialwerte, die nicht zu einer Energiefrei-

setzung in der Einleitungsphase fünrten (bei denen also Re-

kritikalität nicht auszuschließen war), mußte zu den ver-schiedenen als möglich erachteten Rekritikalitätsabläufendie Verteilung des mechanischen Arbeitspotentials ermitteltwerden.

2, Rekritikalität

Die Fragengruppen 3 und 4 befassen sich mit der möglichenstochastischen Variation hinsichtlich Unfallablaufart nachder Übergangsphase und Energetik eventueller Rekritikali-täten, Hier wurde also die Unsicherheit aus möglicher sto-

chastischer Variation als dominanter Typ beurteilt, weshalbsich die probabilistische ModelIierung des frequentistischen

Wahrscheinlichkeitskonzepts bedient (Bild 8),

Für die Abläufe "Rekompaktion" und "Brennstoffrückkehr"war aus den Histogrammverteilungen des gleichzeitig reakti-vitätserhöhend zurückkehrenden Anteils am gesamtenBrennstoffinventar und der Geschwindigkeit am prompt-kritischen Punkt die Verteilung der Reaktivitätsrampe zu

ermitteln. Außerdem wird im Fragebogen um Wahrschein-

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lichkeitsangaben direkt zur Reaktivitätsrampe gebeten, um

auch hier Konsistenzprüfungen zu ermöglichen, Zur weite-

ren Verwendung gelangte schließlich die Mischverteilungder beiden. Beim Ablauf "reaktivitätserhöhende F luidbe-wegungen" stand nur die Rampenverteilung gemäß den di-rekten Wahrscheinlichkeitsangaben zur Verfügung.

Jedem Reaktivitätsrampenwert entsprach, zur ModelIierungweiterer Unsicherheiten aufgrund möglicher stochastischerVariation, eine logarithmische Normalverteilung des Arbeits-

potentials. Die Zuordnung ist in (1) für diskrete Rampenwertemittels zweier Fraktilen angegeben, wobei für die Abläufe

"Brennstoffrückkehr" und "reaktivitätserhöhende F luidbe-wegungen" noch hinsichtlich des sogenannten "Streaming"-Effekts mittels der oberen Fraktile unterschieden wurde.

Analog zur Einleitungsphase ergab sich auch aus den Wahr-

scheinlichkeiten zur maximalen Brennstoff temperatur nach

der Rekritikalität eine Verteilung des Arbeitspotentials und

schließlich war auch noch um Wahrscheinlichkeiten zum

Arbeitspotential aus jedem der drei Rekritikalitätsabläufedirekt gebeten worden, Die resultierenden alternativenVerteilungen ermöglichten wiederum Konsistenzprüfungen.

Zur weiteren Verarbeitung gelangte schließlich die Zu-sammenfassung zu je einer Mischverteilung für jeden derdrei Rekritikalitätsabläufe,

Die Umsetzung des Arbeitspotentials in freigesetzte mecha-nische Energie erfordert Angaben zum jeweiligen Wirksam-

keitsfaktor. Diese Faktoren wurden, ebenso wie in der Ein-leitungsphase, für die probabilistische Unsicherheitsanalyse

näherungsweise als ungenau bekannte deterministischeGrößen aufgefaßt. Multiplikation des Arbeitspotentials, miteinem bel iebigen aber festen Faktorwert aus der zugeord-

neten Histogrammverteilung, transformierte die Verteilungdes Arbeitspotentials in jene der freigesetzten mechanischenEnergie aus dem jeweiligen Rekritikalitätsablauf.' Im Fallemöglicherweise zusätzlich zu berücksichtigender Abläufe

waren im Fragebogen Wahrscheinlichkeiten direkt zu Werte-bereichen der Energie anzugeben. Damit liegen für jedenFragebogen bedingte Verteilungen (unter der Bedingungdes jeweiligen Ablaufs) der freigesetzten mechanischen

Energie zu allen Rekritikalitätsabläufen vor.

3. Gewinnung der lokalen subjektiven Vertrauens intervalle

Die gesuchte Verteilung der freigesetzten mechanischen Ener-gie soll, für die weitere Verwendung in der Risikoanalyse,

die mögliche stochastische Variation modellieren, Ihrerechnerische Ermittlung muß aber, aufgrund der ungenaubekannten deterministischen Einflußgrößen, zu einer Scharmöglicherwe ise zutreffender Verteilungen führen, Umeinen repräsentativen Satz von Verteilungen aus dieserSchar zu erhalten, der zur näherungsweisen Gewinnunglokaler subjektiver Vertrauensintervalle geeignet ist, wurdeeine zwe istufige Monte-Carlo-Si mu lation durchgeführt, Ein

Lauf der "äußeren" Simulation wählte aus der Verteilungdes Arbeitspotentials der Einleitungsphase einen Wert zufälligaus und stellte dazu fest, ob Rekritikalität noch möglich ist.Falls dies nicht der Fall war, wurde ein Wert des Faktors fEzufällig ausgewählt und zur zugehörigen Energiefreisetzung

aus der Einleitungsphase eine Verteilung in Form einerStufenfunktion erhalten, Falls Rekritikalität noch möglichwar, wählte die "äußere" Simulation je einen Wert zu denübrigen ungenau bekannten determi nistischen Größen undermittelte damit sodann in n2 Läufen der "inneren" Simula-tion eine empirische Verteilung der mechanischen Energie-

freisetzung aufgrund von Rekritikalität.

Nach n1-Läufen der äußeren Simulation liegen somit zujedem Wert x, der bei einem UKDS freigesetzten mechani-schen Energie E, n1 Wahrscheinlichkeiten für E ;; x vor,

Ordnet man sie der Größe nach in aufsteigender Reihenfolge,

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so beschreiben der (n1 . 0,05)-te Wert von unten und obennäherungsweise ein lokales subjektives 90 % Vertrauensin-

tervall (anhand der Antworten in Bogen i) für die Wahr-

scheinlichkeit, mit der die freigesetzte mechanische Energieeinen Wert;; x annimmt.Bild 10a zeigt als Kurven A und D die stetige Verbindungder oberen bzw. unteren Enden dieser lokalen subjektiven90 % Vertrauensintervalle sowie als Kurve C die stetige Ver-bindung der lokalen 50 % Fraktilen, wie sie aus den Antwor-ten im Bogen der Brüterexperten der G RS erhalten wurden.

4. Ermittlung einer Referenzverteilung

Zum Arbeitspotential aus der Einleitungsphase, zum Brenn-stoff-Brutstoff-Verhältnis im fallenden Blockadeabschnittsowie zu den Wirksamkeitsfaktoren, deren Wahrscheinlich-keitsangaben allesamt im Sinne von "Grad an Sicherheit"(Interpretation B) zu verstehen sind, weil sie näherungsweiseals ungenau bekannte deterministische Größen behandelt'lerden, fand als "beste Schätzung" das ausgewogene MittelU aus

U _ 00 _ 00 _f (U-u)fu)du= f (u-U)f(u)du=? f (U-u)f(u)du=Oo U 0

Verwendung, Dabei sind f(u) die Dichtefunktion, f(u)duder "G..ad an Si£.herheit", mit dem u für zutreffend gehaltenwird, U -u (u::U) dle Beträge der möglichen Überschätzun-

gen und u-U (U?UJ die Beträge der möglichen Unter-schätzungen, sofern U nicht zutreffen sollte. Das heißt dieBeträge der möglichen Über- und Unterschätzungen, gewich-

tet mit den subjekiven Wahrscheinlichkeiten ihres Zutreffens,halten sich für U die Waage,

Es liegt also ein bester Schätzwert des mechanischen Arbeits-potentials aus der Einleitungsphase, nämlich der Erwartungs-wert der Mischverteilung vor. Wäre dazu, gemäß der Antwortzu den Eindringtiefen, keine Rekritikalität mehr möglich,so wäre die zugehörige Stufenfunktion die Referenzvertei-lung. Andernfalls werden, gemäß den Wahrscheinlichkeits-verteilungen der Einflußgrößen der Energiefreisetzung auf-grund von Rekritikalität (die mögliche stochastische Varia-tion modellieren) und mit den besten Schätzwerten der be-

teiligten ungenau bekannten deterministischen Größen, n2Läufe der "inneren" Simulation durchgeführt. Die daraus

resultierende komplementäre Wahrscheinlichkeitsverteilungder freigesetzten mechanischen Energie dient dann als Re-ferenzergebnis auf der Basis der Antworten in Fragebogen i,Als Beispiel ist das Referenzergebnis aus den Antwortender Brüterexperten der GRS in Bild 10a als Kurve B einge-tragen.

Probabilistische Auswertung der Antworten in allen Frage-bogen

Nachdem die oben beschriebene Prozedur für jeden einzel-nen der Fragebogen durchgeführt ist, könnte für die Wahr-scheinlichkeit, mit der es bei einem UKDS zu einer mecha-nischen Energiefreisetzung von x oder mehr MJ kommt, einBalkendiagramm analog zu Bild 9 gezeichnet werden, Damitwürde jede Expertenmeinung für sich repräsentiert, Außer-dem wäre das Diagramm für jeden interessierenden Energie-wert separat zu erstellen,

Ganz offensichtlich würde allein die Angabe dieser Balkenden Erfordernissen einer Risikoanalyse nicht gerecht. Schließ-lich geht es nicht primär darum, eine Meinungsstatistik zu-

sammenzustellen, aus der dann entnehmbar wäre, mit welcherWahrscheinlichkeit man in der Fachwelt auf einen Expertenstößt, für den die gesuchte Wahrscheinlichkeit mit mindestensR % subjektiver Aussagesicherheit zwischen (zusammen mitR) vorgegebenen Grenzen liegt. Die Studie hat vielmehr eine

Aussage darüber zu treffen, in welchen Grenzen ihrer Ein-schätzung nach die Wahrscheinlichkeit für eine Energiefrei-setzung von x oder mehr MJ mit vorgegebener subjektiverAussagesicherheit liegt.

1. Gewinnung der lokalen subjektiven Vertrauensintervalle inAnhang A7-1 der SNR-Studie

Das Problem, auf der Basis der subjektiven (a priori) Ein-schätzungen mehrerer Experten eine eigene subjektive (apriori) Einschätzung zu gewinnen, ist nicht neu, Auch gibtes dazu keine Vorgehensweise von der man behauptenkönnte, sie wäre die allein Richtige. Vielmehr sind bereitsverschiedene Wege beschritten worden, wovon (41) einigevorstellt, Wir wählten einen sehr naheliegenden Weg, indemwir zu vorgegebener Aussagesicherheit von Y % den zugehö-rigen Wahrscheinlichkeitswert p suchten, so daß die gewich-

tete Summe der Grade an Sicherheit mit denen für die einzel-nen Experten die zutreffende Wahrscheinlichkeit unter pliegt, gerade Y % ergibt. Als Gewichte kamen dabei die obenerläuterten normierten Fragebogengewichte aus der Vertraut-heitsbeurteilung in Anwendung.

Y J-7 -7 Jn n-= sw t r:w(&xir)~ =2: g. .q. mit 2: g. = 1.100 i= 1 i I i= 1 i

Dabei ist

n die Anzahl der Fragebogen (= 15 bis zum Stichtag),

gi das normierte Gewicht des Bogens i,-7r der Vektor der ungenau bekannten deterministischen

Größen,

p der gesuchte Wahrscheinlichkeitswert,

x der Abszissenwert der komplementären Wahrscheinlich-keitsverteilung der Energie, an dem das subjektive Ver-trauensintervall (Balken) ermittelt werden soli, und

Y die vorgegebene subjektive Aussagesicherheit der Studiein %,

während für die subjektive Aussagesicherheit q. der ein-zelnen Experten gilt i

Swi.l r:w/E;;xir)~f = qi' i= 1,2.,. ,n,Die gewichtete Aggregation von subjektiven Einschätzun-

gen mehrerer Experten fand in (40) Verwendung und wirdbereits in (41) im Zusammenhang mit der Bayes'schen For-mel vorgestellt, analysiert und vorteilhaft einer alternativenVorgehenswe ise gegenübergestellt,

Die praktische Durchführung unseres Vorgehens kann sehr

elegant im Rahmen der oben erläuterten zweistufigen Monte-Carlo-Simulation erfolgen. Dazu wird in jedem Lauf der"äußeren" Simu lation zuerst, gemäß den normierten Bogen-gewichten als Wahrscheinlichkeiten, einer der Fragebogen

ausgewählt, n1 Durchführungen der "äußeren" Simulation(mit jeweils 0 bzw. n2 Läufen der "inneren" Simulation)ergeben schließlich eine Schar alternativer Verteilungskur-ven, an der nicht nur Kurven aus der Schar des Bogens i,

sondern aus jedem Bogen beteiligt sind, und zwar im zahlen-mäßigen Verhältnis der, aus der Vertrautheitsbeurteilungabgeleiteten, normierten Bogengewichte. Lokale subjektive90 % Vertrauensintervalle sind dann ebenso wie im Falleeines einzelnen Fragebogens erhältlich. Damit liegt zu jedemWert x und zur subjektiven Aussagesicherheit von zum Bei-

spiel 90 %, anstelle der 15, genau ein Balken vor. Die steti-gen Verbindungen der oberen bzw. unteren Enden der da-durch angegebenen lokalen subjektiven Vertrauensintervallezu den verschiedenen Energiewerten x, sind die Kurven A

bzw. D in Bild lOb,

49

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Bild 10 a)

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FRE1GES.lJECH.ENi.'flC1E X (IJJ)10

Bild 10: Komplementäre Wahrscheinlichkeitsverteilung (subjektiveSchätzung) der bei einem UKDS freigesetzten mechanischenEnergie: a) Aussagen auf der Grundlage der Antworten ineinem einzelnen Fragebogen, b) Aussagen auf der Grundlageder Antworten in allen Fragebogen

2, Ermittlung der Referenzverteilung in Anhang A7-1' der

SNR-Studie

Dazu fand gewichtete Aggregation (im Sinne von (40,41)) derbogenspezifischen Arbeitspotentialverteilungen aus der Ein-leitungsphase gemäß den zugehörigen normierten Gewichtenstatt (vgl. (1), Tab, 7 und Bild 5). Auch alle Antworten zuden damit noch nicht erfaßten Fragen wurden gewichtetaggregiert, Als bester Schätzwert der ungenau bekanntendeterministischen Größen fand, gemäß obiger Argumenta-tion, der jeweilige Erwartungswert der aggregierten Vertei-

lung Verwendung. Die Ermittlung der Referenzverteilungder Studie lief dann mit der Aggregation der subjektiven

Wahrscheinlichkeitsverteilung des Arbeitspotentials aus der

Einleitungsphase genauso ab wie im Falle eines individuellenBogens, Das Ergebnis ist in Bild 10 b als Kurve Beingezeichnet

Wesentliche Ergebnisse und ihre pro-babilistische Interpretation

Bild 10b zeigt vier verschiedene Kurven zur mechanischen

Energiefreisetzung bei einem UKDS, Sie haben folgendeBedeutung:

Kurve A: Mit 95 % subjektiver Aussagesicherheit liegt dieWahrscheinlichkeit, mit der bei einem UKDS me-chanische Energie von x oder mehr MJ freigesetztwird, unter dem Wert der Kurve A zum Abszissen-

wertx,Kurve B (Referenzergebnis) : Sie gibt zu jedem Wert x eine

subjektive Schätzung der Wahrscheinlichkeit an,mit der bei einem UKDS mechanische Energievon x oder mehr MJ freigesetzt wi rd,

50

lO

Kurve C: Mit 50 % subjektiver Aussagesicherheit liegt dieWahrscheinlichkeit, mit der bei einem UKDS me-chanische Energie von x oder mehr MJ freigesetztwird, unter dem Wert der Kurve C zum Abszissen-

wertx.Kurve D: Mit 5 % subjektiver Aussagesicherheit liegt die

Wahrscheinlichkeit, mit der bei einem UKDSmechanische Energie von x oder mehr MJ freige-setzt wird, unter dem Wert der Kurve D zumAbszissenwert x,

Das heißt, zu jedem Wert x grenzen die Kurven A und Deinsubjektives 90 % Vertrauensintervall der Wahrscheinlichkeitein, mit der die mechanische Energiefreisetzung bei einem

UKDS x oder mehr MJ beträgt.

An die Ausführungen im Abschnitt "Bemerkungen zu proba-bilistischen Grundlagen" knüpfend sei hier folgendes festge-halten:

Zur Wahrscheinlichkeitsverteilung der freigesetzten mecha-nischen Energie kommt es aufgrund der möglichen stochasti-schen Variation und ihrer probabilistischen Modeliierung mitdem frequentistischen Wahrschei nl ichkeitskonzept.

Zu einer Verteilungsschar, und somit zu lokalen subjektivenVertrauensintervallen, kommt es aufgrund der ungenau be-kannten determi nistischen Größen (in der rechnerischen

Ermittlung der Verteilung) und deren probabilistischerModeliierung mit dem subjektivistischen Wahrscheinlichkeits-konzept,

Trotz der oben genannten Experimente und detailliertenUntersuchungen mußte noch ein entscheidendes Maß anExpertenurteil in die Ouantifikation einfließen, Aus diesemGrunde sind sowohl die aus der Verteilung ablesbaren Wahr-scheinlichkeitsschätzungen, als auch die aus der Verteilungs-schar ermittelte Aussagesicherheit, als subjektiv zu bezeich-

nen.

Wie aus Bild 10b zu entnehmen ist, verlaufen die Kurven desReferenzergebnisses (B) und der lokalen 50 % Vertrauens-

grenzen (C) bis etwa 100 MJ auf etwa gleichem Niveau. Das

heißt, die subjektive Aussagesicherheit dafür, daß die zutref-fende Wahrscheinlichkeit über oder unter dem Referenz-

ergebnis liegt, ist bis etwa 100 MJ etwa gleich groß, Darüberhinaus verläuft das Referenzergebnis umso deutlicher über

der Kurve der lokalen 50 % Vertrauensgrenzen, je höherder Wert x der mechanischen Energiefreisetzung ist. Dasheißt, die subjektive Aussagesicherheit dafür, daß die zutref-fende Wahrscheinlichkeit unter dem Referenzergebnis liegt,nimmt mit wachsendem Energiewert deutlich über die 50 %hinaus zu,

Diskussion der Ergebnisse

Die Auswertung der Antworten auf die Fragebogenaktionführte zu der in Bild 10b dargestellten besten Schätzung

einer komplementären Verteilungsfunktion in Abhängigkeitvon der mechanischen Belastung des Reaktortanks desSNR-300, Für Werte der mechanischen Belastung des Reak-tortanks unterhalb von 50 MJ liegt die Referenzverteilung(beste Schätzung) etwa bei der subjektiven 50-%-Vertrauens-grenze, Für Werte oberhalb von 50 MJ erhöht sich die ent-sprechende subjektive Aussagesicherheit schnell auf 80 % undmehr. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine mechanische Belastungdes Reaktortanks des SNR-300 von 400 MJ als Folge einesUKDS überschritten wird, wurde zu 3 . 10-3 ermittelt, Diesubjektive Aussagesicherheit dafür, daß der zutreffende

Wahrscheinlichkeitswert darunter liegt, beträgt etwa 78 %,

Die subjektiven Schätzungen der komplementären Vertei-lungsfunktionen zeigen eine breite Streuung, die über mehre-re Größenordnungen geht. Im interessierenden Bereich vonsubjektiven Aussagesicherheiten zwischen 50 und 95 % über-

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decken die Streu breiten ein bis zwei Größenordnungen, DieseTatsache ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Sicherlichreflektiert die breite Streuung der Ergebnisse zum einen eineUnsicherheit der heute erreichten Qualität der theoretischenBeschreibung von physikalischen Phänomenen und ihrerWechselwirkung, wie sie in den vorherigen Abschnitten dar-gestellt wurden, Dies gilt insbesondere für die theoretischeBeschreibung von Vorgängen in Konfigurationen, in denendie ursprüngliche Brennelementgeometrie weitgehend oder

vollständig verlorengegangen ist. Zum anderen muß aber auchdarauf verwiesen werden, daß wegen des zeitlich eng vorge-gebenen Rahmens für die Durchführung der Fragenbogen-aktion mit den formulierten Fragen nicht die gesamte Kom-plexität der Problemstellungen lückenlos und im Detailerfaßbar war, und daß daher teilweise grobrastrig vorgegan-gen werden mußte. Diese fehlende Nuancierung des Frage-bogens hatte sicherlich Auswirkungen auf die Struktur vonAntworten einzelner Beteiligter. Die grobrastrige Vor-gehensweise bei der Erstellung des Fragebogens hatte ihrenGrund auch in einem anderen Faktum: WeitergehendeDetaillierung im Fragebogen hätte Ansprüche an das Detail-wissen über den SN R-300 gestellt, die nur in den wenigstenFällen bei den Befragten zu erwarten waren, Letztlich istes daher auch auf diese Tatsachen zurückzuführen, daß die

Ergebnisse ein derartig breit gefächertes Spektrum auswei-sen, wenn man die Schwankungsbreite zwischen der 5-%- undder 95-%-Vertrauensgrenze betrachtet, Trotzdem bleibt diebeste Schätzung der komplementären Verteilungsfunktion,die Basis für die we iteren Untersuchungen der risikoorientier-ten Studie zum SN R 300 war, belastbar, da sie in dem amme isten interessierenden Bereich hoher mechanischer Ener-giefreisetzungen von 150 bis 400 MJ einer oberen Ver-trauensgrenze von 70 bis 80 % entspricht,

Die aus der Auswertung der Fragebogenaktion erhaltenen

Ergebnisse sollen im folgenden eingehender analysiert werden,Drei Aspekten wird hierbei nachgegangen:

Konsistenzprüfung der Ergebnisse,Aufzeigen relevanter Störfallpfade,Identifikation von Bereichen der Störfallanalyse, die we-sentliche Beiträge zur Wahrscheinlichkeit für hohe mecha-nische Energiefreisetzungen liefern ()- 400 MJ),

Konsistenzprüfung der ErgebnisseIm Fragebogen wurden die Fragen teilweise so formuliert,daß die Möglichkeit einer Konsistenzüberprüfung bezüglich

des Antwortenspektrums individueller Fragebogen als auchbezüglich der gewichtet zusammengefaßten Antworten mög-lich ist, Darüber hinaus ergibt sich hierdurch die Möglichkeitzu überprüfen, inwieweit die festgelegten Auswertevorschrif-ten von Antworten zu einzelnen Phänomenen zur Ermitt-lung von komplementären Verteilungsfunktionen des mecha-nischen Arbeitspotentials zu Ergebnissen führen, die durch

die Auswertung der direkten Antworten zu diesen Fragen

bestätigt werden,

Die Qualität einer solchen Konsistenzprüfung soll im folgen-den an Hand von Ergebnissen für die Einleitungsphase alsauch von Ergebnissen für die Auswirkung von Rekritikali-tätsereignissen erfolgen,

Die Auswertung der Antworten zur Einleitungsphase kannzum Beispiel auf vier verschiedenen Wegen durchgeführt wer-den:Variante A: Alleinige Verwendung von Angaben zu den

wichtigsten Einzelphänomenen, wie zum Bei-spiel axiale Expansion, Brennstoffdispersion,

Brennstoffkompaktion etc. (AP1);Variante B: Alleinige Verwendung von Angaben zu der ma-

ximalen Brennstofftemperatur am Ende derEinleitungsphase (AP2);

Variante C: Alleinige Verwendung der direkten Angabenzum isentropen Brennstoffarbeitspotential amEnde der Einleitungsphase (AP3);

Variante D: Gewichtete Zusammenfassung der Varianten A,Bund C zu einer Mischverteilung für die weitereAuswertung (AP 4)'

Die auf der Grundlage dieser unterschiedlichen Auswerte-verfahren auf der Basis aller Fragebogen gewonnenen Ergeb-nisse werden in Tafel 2 miteinander verglichen. Die Fragen

zur subjektiven Wahrscheinlichkeitsverteilung der maximalenBrennstofftemperatur und zum isentropen Arbeitspotentialdes Brennstoffdampfes (Auswertevariante Bund C) sindweitgehend redundant, da sich das Arbeitspotential desBrennstoffdampfes bei isentroper Expansion auf ein Schutz-gasvolumen von 70 m3 durch Integration der Zustandsglei-chung des Brennstoffdampfes ausgehend von einem Anfangs-

volumen mit einer zugehörigen Temperaturverteilung bis zumEndvolumen ergibt. Von daher müßten diese beiden subjek-tiven Verteilungsfunktionen weitgehend identisch sein, Diesist nicht der FalL. Die Verteilungsfunktion B ist bei Werten

des Arbeitspotentials unter 150 MJ steiler als C, währenddie kumulierte subjektive Wahrscheinlichkeit für das Errei-chen von einem Arbeitspotential am Ende der Einleitungs-phase, das größer als 400 MJ ist, um den Faktor 5 größer ist,als die Ergebnisse der Auswertung von Variante C, Dieser

letztere Unterschied reflektiert nicht so sehr große Unsicher-

heiten der Vorhersagequalität im allgemeinen, sondern Pro-

bleme der Güte subjektiver Aussagesicherheiten im Bereichvon weniger als 1 %, die auf Expertenurteil beruhen.

Die Unterschiede der Form der Verteilungsfunktion werdenstärker, wenn die Auswertevariante A mit C verglichen wird,Hier zeigt sich, daß bei Verwendung von Aussagen zu domi-nanten Einzelphänomenen und bei Berücksichtigung vonspeziell für den SNR 300 verfügbaren theoretischen Analysendie stärkere Erwartung des Erreichens geringerer Arbeits-potentiale als Folge der Einleitungsphase noch ausgeprägter

ist als im Vergleich zwischen Auswertevariante Bund C,Aber auch die weniger starke Abflachung der berechnetensubjektiven Verteilungsfunktion für hohe Arbeitspotentiale()- 400 MJ) ist wiederzufinden, Diese Unterschiede in derForm der Verteilungsfunktion sind nicht nur auf eine un-terschiedliche Bewertung der heute noch herrschenden Un-sicherheiten bei der theoretischen Beschreibung von domi-

nanten physikalischen Phänomenen oder auf Schwächendes gewählten Auswerteverfahrens von Antworten zu EinzeI-phänomenen zurückzuführen, Dieser Vergleich zeigt auch auf,daß bei der Beantwortung der direkten Frage nach demArbeitspotential, das als Folge des Störfallablaufs in derEinleitungsphase zu erwarten ist, entwurfsbedingte Eigen-schaften des SNR 300 nicht im vollen Umfang berücksichtigtwurden, Typische Beispiele hierfür sind die folgenden: DerSNR-300 Mark la-Kern enthält nur Brennelemente einesAbbrandzustandes, das Spaltgasplenum liegt unten, dieBrennelemente haben Gitterabstandshalter , die maxima lelineare Stableistung ist sehr niedrig u~w, Die Vermutung,daß diese Entwurfseigenschaften nicht in vollem Umfangberücksichtigt wurden, ist dadurch begründet, daß bei derFestlegung subjektiver Schätzungen von Wahrscheinlichkei-ten Erfahrungen aus eigenen Analysen eine große Rolle spie-len. Diese eigenen Analysen konzentrieren sich in den USAauf den CRBR, in Frankreich auf den PHENIX und SUPER-PHENIX und in Japan auf den MONJU-Reaktor, Diese Reak-toren haben teilweise andere Auslegungsmerkmale als der

SN R 300, was die in der Tafel ausgewiesenen Unterschiede

weitgehend erklärbar macht,

Als gemeinsames Ergebnis aller vier Auswertevarianten bleibthier festzuhalten, daß das Brennstoffarbeitspotential am Endeder Einleitungsphase mit einer subjektiven Aussagesicherheit

von 90 bis 95 % unterhalb von 150 MJ und mit einer subjek-

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100 10' 102 103 104 105FREIGES, MECH, ENERGIE X (MJ)

Bild 11: Referenzverteilungen der bei einem UKDS freigesetztenmechanischen Energie

tiven Aussagesicherheit von 99,0 bis 99,8 % unterhalb von400 MJ bleibt.

Einen zweiten Anhaltspunkt zur Überprüfung der Konsistenz

der Ergebnisse der Fragebogenaktion erhält man, wenn manin ähnlicher Art und Weise wie für die Einleitungsphase Er-

gebnisse von unterschiedlichen Auswerteverfahren der Ant-worten zu Rekritikalitätsereignissen miteinander vergleicht.Im folgenden werden dabei die Auswertungen der Antwortenauf vier verschiedenen Wegen miteinander verglichen:Variante 1 ist die beste Schätzung der komplementärenVerteilungsfunktion der mechanischen Energiefreisetzung,berechnet unter alleiniger Verwendung der direkten Angabevon mechanischem Arbeitspotential zur Charakterisierung derKonsequenzen der unterschiedlichen Rekritikalitätsereignis-se,

Variante 2 ist die beste Schätzung der komplementären Ver-teilungsfunktion unter alleiniger Verwendung der Angabenfür die maximale Brennstofftemperatur zur Charakterisierungder unterschiedlichen Rekritikalitätsereignisse,

Variante 3 ist die beste Schätzung der komplementären V.er-teilungsfunktion unter alleiniger Verwendung einer der direk-ten Angaben über Verteilungsfunktionen von Reaktivitäts-rampen als Folge von unterschiedlichen Rekritikalitätsereig-nissen,

Variante 4 ist eine gewichtete Zusammenfassung von Varian-te 1, Variante 2 und der berechneten Werte aus den vollstän-

digen Angaben zu den wichtigsten Einzelphänomenen deruntersch iedl ichen Rekriti ka litätsereignisse,

Die aus den vier Auswertevarianten folgenden besten Schät-

zungen für die komplementäre Verteilungsfunktion dermechanischen Energiefreisetzung als Folge eines UKDS sindin Bild 11 miteinander verglichen. Bis zu Werten von etwa400 MJ der mechanischen Energiefreisetzung liegen diekomplementären Verteilungsfunktionen relativ dicht beiein-ander, das heißt die ermittelten bedingten Wahrscheinlichkei-ten (unter der Bedingung eines U KDS), mit der dieser Wert

auf der Grundlage subjektiver Bewertung überschritten wird,schwankt zwischen 3 ,10-4 und 6 ' 10-3. Für höhere Ener-giefreisetzungen treten dagegen erhebliche Abwe ichungen

auf zwischen der Auswertung von Angaben zur maximalenBrennstofftemperatur, die als Folge unterschiedlicher Rekri-tikalitätsereignisse erreicht wird, und der Auswertung vondirekten Angaben zum ArbeitspotentiaL. Auf der Grundlageder Informationen, die aus der Fragebogenaktion abzuleiten

sind, ist diese Diskrepanz nicht erklärbar. Sie ist aber, wie dierelativ gute Übereinstimmung der komplementären Vertei-lungsfunktionen der Auswertevarianten 1, 3 und 4 zeigt, nurvon geringem Einfluß auf den Referenzwert, der den weiterenAnalysen im Rahmen der risikoorientierten Studie zumSN R 300 zugrunde gelegt wurde.

52

Vergleicht man den Verlauf der komplementären Verteilungs-funktion wie sie sich aus der Auswertevariante 1 und 3 er-

gibt, zeigt sich eine qualitative und weitgehend quantitativeÜbereinstimmung der Funktionsverläufe, wenn auch dieVariante 3 für hohe mechanische Energiefreisetzungen einenflacheren Verlauf zeigt, verglichen mit dem signifikantenAbfall der komplementären Wahrscheinlichkeit als Folgeder Auswertevariante 1 bei einer mechanischen Energiefrei-setzung von etwa 6000 MJ. Diese relativ gute Übereinstim-mung der komplementären Verteilungsfunktionen zeigt, daßdas gewählte, betont vorsichtige Auswerteverfahren zur

Ermittlung mechanischer Energiefreisetzungen aus Angabenzu Einzelphänomenen zu Aussagen führt, die mit der Auswer-tung von direkten Fragen zur mechanischen Energiefrei-setzung konsistent sind. Auch in diesem Zusammenhangbleibt darauf hinzuweisen, daß die Beantwortung von Fragendirekt zur mechanischen Energiefreisetzung als Folge von

Rekritikalitätsereignissen wesentlich durch eigene Erfahrun-gen der Experten bei Rechnungen zu den in ihrem Land ver-folgten Projekten beeinflußt werden, Es bleibt offen, obentwurfsbedingte Eigenschaften des SNR-300 wie die großeAnzahl der Regel- und Trimmstabpositionen im Kern sowiedie Existenz der mit Natrium gefüllten Blindelementpositio-nen bei der Beantwortung der Fragen in ausreichendem Maßeberücksichtigt wurden. Aus den aus der Fragebogenaktionermittelten Ergebnissen alleine läßt sich nicht separieren,

welchen Einfluß Unsicherheiten über physikalische E inzel-phänomene und welchen Einfluß die Nichtberücksichtigungvon Entwurfdetails des SNR-300 auf die komplementäreVerteilungsfunktion hat,

Daher sei an dieser Stelle die aus der Auswertung der Frage-bogenaktion folgende komplementäre Verteilungsfunktionverglichen mit Ergebnissen, die im Rahmen der Durchfüh-rung der SAI-Studie zum SNR-300 ermittelt wurden (44).In dieser Studie wurde wesentlich detaillierter als in der Fra-gebogenaktion die Methode der Ereignisbaumanalyse zurQuantifizierung von bedingten Wahrscheinlichkeiten dermechanischen Energiefreisetzung angewendet, Sie wurdesequentiell auf die Vorgänge während der Einleitungsphase,der Übergangsphase, der Phase ausgedehnter Materialbewe-

gung, der Entladephase und der Phase der mechanischenBelastung der Reaktortankstrukturen angewendet. Bei derAuswertung wurden sowohl alle theoretischen und experi-mentellen Arbeiten zu Einzelphänomenen des Störfallab-laufs berücksichtigt, als auch alle verfügbaren Rechnungenmit SAS3D, KADIS und SIMMER, die für denSNR 300 untervoller Berücksichtigung von Entwurfsmerkmalen durchgeführtwurden, Die hieraus abgeleitete komplementäre Verteilungs-funktion ist in Bild 12 mit dem Referenzergebnis der Aus-

wertung der Fragenbogenaktion vergleichen, Aus demVergleich wird ersichtlich, daß die aus der SAI-Studie fol-gende komplementäre Verteilungsfunktion bis zu mecha-nischen Energiefreisetzungen von 200 bis 300 MJ weitgehendder Referenzkurve entspricht, wie sie sich aus der Auswertungder Fragebogenaktion ergibt, Für hohe Energiefreisetzungen

ergeben sich dagegen größere Abwe ichungen, Diese sind aufmehrere Gründe zurückführbar. Zum einen konnten in derFragebogenaktion nicht im gleichen Umfang Details desStörfallablaufs berücksichtigt werden, wie dies bei den vomKfK durchgeführten Analysen erfolgt ist. Zum anderen konn-ten bei der Einschätzung durch internationale Experten aus

anderen Laboratorien Auswi rkungen von E ntwurfseigen-sc haften des SNR 300 auf den Störfallablauf nicht in gleichemMaße Eingang finden, wie bei den mit dem SNR 300 imDetail befaßten Wissenschaftlern. Nicht zuletzt trägt aberzum Beispiel auch die unterschiedliche Bewertung der Be-lastbarkeit von SIMME R-Analysen für die Ermittung vonKonsequenzen aus Rekritikalitätsereignissen zu diesemunterschiedlichen Verlauf der komplementären Verteilungs-funktion im Bereich hoher mechanischer Energiefreisetzung

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bei. Ohne an dieser Stelle auf Einzelheiten der unterschied-lichen Bewertungen eingehen oder diese diskutieren zu kön-nen, sei hier festgehalten, daß der Vergleich folgendes ein-drucksvoll dokumentiert: Die durch die Auswertung derFragenbogenaktion erhaltene komplementäre Verteilungs-funktion (auf der Grundlage subjektiver Schätzung inter-

nationaler Experten) wird weitgehend bestätigt durch dieAuswertung detaillierterer Analysen zum Störfallverhaltendes SNR 300, die Grundlage des Genehmigungsverfahrenswaren. Darüber hinaus bestätigt dieser Vergleich, daß beider Wahl des Auswerteverfahrens der Fragebogenaktionbetont vorsichtig vorgegangen wurde,

Soweit es im Rahmen der Möglichkeiten lag, hat eine Über-prüfung der Konsistenz der Antworten zu der Fragebogen-

aktion keine wesentlichen Ansatzpunkte ergeben, die diegewonnenen Ergebnisse prinzipiell in Frage stellen, Die ausder Auswertung der Fragebogenaktion abgeleitete Referenz-kurve für die komplementäre Verteilungsfunktion der me-chanischen Energiefreisetzung kann als eine konservative

Eingrenzung des Erwartbaren eingestuft und verteidigtwerden,

Aufzeigen relevanter StörfallpfadeNeben der Ermittlung einer subjektiven Schätzung derWahrscheinlichkeit dafür, daß der Sicherheitseinschluß der

Kernmaterialien innerhalb des Reaktortanks nach einerKernzerstörung unmittelbar als Folge der mechanischenEnergiefreisetzung nach einem UKDS versagt, können dieErgebnisse der Expertenbefragung auch dahingehend ausge-

wertet werden, welche Störfallpfade als die relevanten ange-sehen werden, das heißt welche mit hoher subjektiver Aus-sagesicherheit als zutreffend beurteilt werden, bzw. welchenein hoher subjektiver SchätzINrt der Eintrittswahrschein-lichkeit zugeordnet wi rd,

Wegen der unterschiedlichen Qualität der aus der Auswertungder Fragebogenaktion abgeleiteten Aussagen muß die Dar-stellung relevanter Störfallabläufe für die Ergebnisse der

Einleitungsphase und für die Ergebnisse der Rekritikalitäts-ereignisse unterschiedlich erfolgen. In Bild 1 sind die subjek-tiven Aussagesicherheiten dafür eingetragen, daß der Störfallals :=olge der Einleitungsphase in eine energetische Kernzer-legungsphase bzw, direkt in die Nachwärmeabfuhrphaseeinläuft. Es wurde angenommen, daß Abläufe, die in derEinleitungsphase ein Arbeitspotential unter 50 MJ ergeben,aber nicht in die Übergangsphase münden, direkt in dieNachwärmeabfuhrphase überleiten. Als Ergebnis der Frage-bogenaktion folgt, daß mit einer subjektiven Aussagesicherheitvon 77 % der Störfall nach der Einleitungsphase in eine Über-gangsphase einläuft. Mit nur 7 % subjektiver Aussagesicherheitläuft der Störfall ausgehend von der Einleitungsphase direktin die Nachwärmeabfuhrphase, Die subjektive Aussagesicher-heit, daß sich an eine Einleitungsphase eine energetische

Kernzerlegungsphase anschließt, bleibt mit 16 % auf einemrelativ niedrigen Niveau.

Aus der Auswertung der Fragebogenaktion folgt demgegen-über für die beste Schätzung der Wahrscheinlichkeit (Refe-

renzwert), daß als Folge der physikalischen Phänomene in

der Einleitungsphase der Störfall in die Übergangsphase

einläuft, ein Wert von 100 %, Die subjektive Sicherheitdieser Aussage wurde zu 77 % ermittelt. Folgt man der An-nahme, daß von einer energetischen Kernzerlegungsphaseerst bei isentropen Brennstoffarbeitspotentialen über 50 MJgesprochen werden kann, ergibt sich das in Bild 2 dargestellteBild. Nachfolgend zur Übergangsphase geht der Störfallmit einem subjektiven Schätzwert der Eintrittswahrschein-lichkeit von 95 % in die Phase integraler Materialbewegung

über, aus der heraus dann mit .etwa gleich großer bedingterWahrscheinlichkeit der Störfallablauf in die Nachzerfalls-

wärmeabfuhrphase überleitet. Der Störfallablauf endet ent-

100

P -SAI--- Referenz

Fragebogenoktion

10-1

10-2

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10-3

10-~

100 101 102 103 1O~

EM (MJI

Bild 12: Vergleich der Referenzergebnisse für die komplementäresubjektive Wahrscheinlichkeitsverteilung der bei einemUKDS freigesetzten mechanischen Energie aus der Fragen-bogenaktion und aus der SAI-Studie

sprechend einem subjektiven Schätzwert von 88 % in derNachwärmeabfuhrphase, ohne daß physikalische Phänomeneauftreten, die zu hohen mechanischen Energiefreisetzungen

und damit zu wesentlichen mechanischen Belastungen des

Reaktortanks führen, Höhere mechanische Energiefrei-setzungen sind mit einer bedingten Wahrscheinlichkeit von

5 % aus der Übergangsphase heraus und mit einer bedingtenWahrscheinlichkeit von 7 % aus der Phase integraler Kern-materialbewegung heraus zu erwarten, Auf die jeweiligenBeiträge zur komplementären Verteilungsfunktion der be-dingten Wahrscheinlichkeit für sehr hohe Energiefreisetzun-gen (? 400 MJ) wird im nächsten Abschnitt näher einge-

gangen,

Identifikation von Bereichen der Stör-f a I I a n a I y s e, die wes e n t I ich e Bei t r ä g ezur Wahrscheinlichkeit für hohe me-chanische Energiefreisetzungen liefern( übe r 400 MJ )

Abschließend soli untersucht werden, we Iche Ereignissedominante Beiträge zur Referenzverteilung in der Umgebungder Auslegungsgrenze von 370 MJ mechanischer Lastabtra-gung im Reaktortank des SNR 300 liefern. Daß die Störfall-entwicklung in der Einleitungsphase hinsichtlich dieser Fra-gestellung nur von untergeordneter BesJeutung ist, wirddadurch ersichtlich, daß die Referenzverteilung für die

mechanische Energiefreisetzung nur Beiträge aus Rekritika-litätsereignissen enthält. Klarer wird die Situation, wennman die komplementäre subjektive Wahrscheinlichkeitsver-teilung des mechanischen Arbeitspotentials aus der Einlei-tungsphase eines mittleren UKDS analysiert (Bild 13).Mit 95 % subjektiver Aussagesicherheit liegt der Wert desmechanischen Arbeitspotentials am Ende der E inleitungs-phase unterhalb von 170 MJ. Berücksichtigt man, daß derKonversionsfaktor von thermischer in mechanische Energie

mit einer subjektiven Aussagesicherheit von etwa 70 %kleiner 0,4 und mit einer subjektiven Aussagesicherheit von

92 % kleiner 1 ermittelt wurde, erkennt man, daß zwar miteiner subjektiven Aussagesicherheit von 16 % der Störfallaus der Einleitungsphase heraus in eine energètische Kern-

zerlegungsphase einläuft, das Potential aber klein ist, da-

53

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Bild 13: Komplementäre subjektive WahrscheinlichKeitsverteilung desmechanischen Arbeitspotentia Is aus der E inleitu ngsphaseeines UKDS. 50- und 95-%-Fraktile sowie der Erwartungs-wert sind gekennzeichnet

durch große Beiträge zur subjektiven Aussagesicherheit dafürzu liefern, daß in der Einleitungsphase eine mechanische

Reaktortankbelastung von 400 MJ überschritten wird (sieheBild 14),

Anders stellt sich die Situation bei der Analyse der Ergebnissefür Rekritikalitätsereignisse dar, das heißt für die Störfall-

abläufe, die sich aus der Übergangsphase bzw, der Phase

integraler Kernmaterialbewegung heraus entwickeln können.In Bild 5 sind die möglichen Störfallentwicklungen nach demEintritt in die Übergangsphase in einem Blockdiagramm dar-gestellt und die subjektiven Schätzwert der Wahrscheinlich-keiten der einzelnen Störfallwege angegeben, Hiernach mußim wesentlichen mit drei charakteristischen Rekritikalitäts-szenarien (RSC) gerechnet werden:RSC 1: Rekritikalität bei noch intakten Kästen,RSC 32: Rekritikalität durch Fluidbewegungen in größeren

siedenden Schmelzen,RSC 33: Rekritikalität durch Brennstoffrückkehr in größere

siedende Schmelzen,

Das Rekritikalitätsszenario RSC 1 führt in eine energetischeKernzerlegung aus der Übergangsphase heraus, während dieanderen beiden Szenarien (RSC 2 und RSC 3) aus der Phaseintegraler Kernmaterialbewegung in eine energetische Kern-zerlegungsphase überleiten. Die komplementären subjektivenWahrscheinlichkeitsverteilungen der Beiträge aus diesenRekritikalitätsszenarien zum Gesamtergebnis (Bild 10 b) sind

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Bild 14: Komplementäre subjektive Wahrscheinlichkeitsverteilung dermechanischen Energiefreisetzung in der Einleitungsphase.Gekennzeichnet ist die obere 95-%-Fraktile

54

in Bild 15 dargestellt, Beschränken wir die Diskussion dieserAuswertung der Fragebogenaktion auf die Verläufe derReferenzergebnisse, ergibt sich das folgende Bild:

Das Rekritikalitätsszenario RSC 1 (Bild 15a) liefert nur un-wesentliche Beiträge zur gesamten Wahrscheinlichkeit, daß

im SNR 300 eine mechanische Energiefreisetzung von370 MJ als Folge eines UKDS überschritten wird (-( 1 ,10-4),Im Gegensatz dazu weist der Verlauf des Referenzwertesaus dem Rekritikalitätsereignis RSC 32 - Fluidbewegungenin größeren siedenden Schmelzen - zwischen Werten derfreigesetzten mechanischen Energie von 100 MJ bis 2000 MJnur einen außerordentlich gerinçien Abfall der Wahrschein-

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w Bild 15: Komplementäre Wahrscheinlichkeitsverteilung (subjektiveSchätzung) des Beitrags aus a) RSc 1, b) RSc 32 und c)RSC 33 zum Ergebnis in Bild 10b, Kurve B ist das Referenz-ergebnis (beste Schätzung); Kurven A, C und D entstehendurch Verbindung der lokalen subjektiven 95-, 50- oder5-%- Vertrauensgrenzen

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lichkeit von 1.10-2 auf 1.10-3 aus (Bild 15b), Die Spann-

weiten der Energiewerte zwischen der 50-%- und der 95-%-Kurve, auf dem Niveau von zum Beispiel 10-3 komplemen-tärer Wahrscheinlichkeit, weist auf die große Schätzunsicher-heit der internationalen Experten hin, was in derartigen

Kernkonfigurationen passieren kann, Bedenkt man, daß hierdanach gefragt ist, wie sich eine große siedende Kernschmelzein einem abgeschlossenen Volumen verhält, ist diese Unsicher-heit nicht verwunderlich. Die Komplexität der möglichen

thermodynamischen Wechselwirkungsvorgänge in einemMehrstoff-Mehrphasen-Gemisch aus Stahl, Brennstoff, Spalt-produkten und unter Umständen Natrium ist erheblich unddie Sensitivität des neutronenphysikalischen Verhaltens

derartiger Anordnungen außerordentlich groß, SIMMER-Analysen geben hier zwar erste Hinweise, aber die laufendenF+E-Arbeiten zu diesen Problemen sind bei weitem nochnicht abgeschlossen. Letztlich ist es diese Unsicherheit einerverläßlichen Quantifizierung von Vorgängen in einer großensiedenden Schmelze im ursprünglichen Kernbereich, die einenwesentlichen Teil des Gesamtergebnisses (Bild lOb) derFragebogenaktion dominant beeinflussen, das heißt insbeson-dere die Ermittung der Wahrscheinlichkeit, daß die freige-setzte Energie als Folge eines UKDS die Auslegungsgrenzedes Reaktortanks des SNR-300 überschreitet. Beiträge zudiesem Wert ergeben sich auch aus der Auswertung zumRekritikalitätsszenario RSC 33 (Bild l5c), wenn auch dieBeiträge nicht von gleicher Größenordnung sind, wie dieaus dem Rekritikalitätsszenario RSC 32.

Schrifttum

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Diskussion

C,B. von der Decken (KFA,Jülich):Den Wichtungsfaktoren kommt eine besondere Bedeutungzu. Wie ist diese Gewichtung vorgenommen worden in Hin-blick auf:

Qualifikation der Experten,Unabhängigkeit in der' Methodik zur Ermittlung der frag-lichen Werte zwischen den Experten?

E,Hofer (GRS):

Grundlage der Ermittlung der Gewichte war die im Fragebo-

gen enthaltene Vertrautheitsbeurteilung ("self- and colleaguerating"). Die Skala reichte von 5 für "Experte" bis 1 für"nicht vertraut", Die Beurteilung war für Fragengruppen vor-

gesehen, konnte bei Bedarf aber auch zu jeder Frage einzeln

vorgenommen werden. Mit der Selbstbeurteilung sollte denBefragten die Möglichkeit gegeben werden, Antworten zuFragen direkt aus ihrem Spezialgebiet quantitativ anders zu

bewerten als solche zu Fragen aus Nachbargebieten,

Die Beurteilungen wurden pro Bogen und Frage gemitteltund zur nächstliegenden ganzen Zahl gerundet in Gewichte

umgesetzt. Die Umsetzung erfolgte auf die gleiche Weise wiein (40). woraus auch die Beurteilungsskala übernommen wur-de, Das Vorgehen ist ausführlich beschrieben in der SN R-Studie ((1). Anhänge A7-1 und A7-II),

Eine Sensitivitätsstudie, bei der alle Gewichte auf den glei-chen Wert gesetzt wurden, führte im übrigen zu nur gering-fügig verschiedenen Ergebnissen.

Was die Frage nach der Unabhängigkeit der Experten unter-einander in ihrer Methodik zur Ermittlung der Antwortenbetrifft, so sehen wir uns außerstande, hier zu quantifizieren,wieviel die Befragten an Fachwissen gemeinsam haben, da

sie vermutlich die gleichen Tagungen besuchen, die gleichenPublikationen lesen und möglicherweise über ihre vergange-nen und laufenden Experimente sowie theoretischen Unter-suchungen gegenseitig Bescheid wissen,

Der Literatur (40, 41) entnehmen wir aber, daß es beidem von uns gewählten Vorgehen (im Prinzip "weightedaveraging") nicht Bedingung ist, daß die Antworten auf paar-weise vonei nander unabhängigen i nformationsmengen beru-hen,

56

H. V 0 s s e b r eck e r (Interatom, Bergisch Gladbach):

Meine Frage betrifft die Gesamtheit der heute gehaltenen

Vorträge zum SNR-300:

Beim Risikovergleich (DWRISNR wurden die Ergebnisse derPhase A der Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke als Be-zugspunkt verwendet. Nun deuten aber alle Anzeichen daraufhin, daß im Rahmen der Phase B für den DWR ein deutlichgeringeres Risiko ausgewiesen werden wird. Auf der anderenSeite sind in der SNR-300-Studie erhebliche Konservativi-

täten enthalten. Ich erinnere an:

die von Dr. Scharfe schon angesprochene pessimistischeBehandlung beim Ausfall der Nachwärmeabfuhrsysteme,

die von Dr. Köberlein erwähnte pessimistische Behandlungdes Brennelementlagers,

die von Professor Schikarski erwähnten konservativen

Annahmen beim Aerosoltransport.Würden Sie vor diesem Hintergrund der Aussage zustimmen,daß die Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke, Phase A und

die Risikoorientierte Analyse SN R-300 etwa durch einenvergleichbarén Grad an Konservativität charakterisiert sind?

K,Köberlein (GRS):

Diese Frage kann man nicht quantitativ beantworten. Erstensist noch nicht bekannt, welche Ergebnisse Phase B der DWR-

Studie liefern wird, Zweitens wurde nicht quantifiziert, wasfür den SN R herauskommt, wenn man pessimistische Annah-men abbaut und zu realistischeren Einschätzungen kommt.Tendenziell stimme ich Ihrer Vermutung zu, daß eine ge-nauere Beschäftigung mit dem SN R zu einer Reduzierungdes ermittelten Risikos führen dürfte, Ich verweise zum Bei-

spiel auf die Kurven für die komplementäre Häufigkeitsver-

teilung somatischer Spätschäden. Die relativ weit oben an-setzende Kurve bezieht sich auf das natriumgekühlte Brenn-elementlager. Gerade diese Analyse ging sehr grob vor. AusZeitgründen konnte hier keine detailliertere und damitrealistischere Analyse vorgenommen werden. Es gibt guteGründe dafür, daß weiterführende Untersuchungen für beideAnlagen Verschiebungen in Richtung auf geringeres Risikoergeben würden,

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Die Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der Strahlenexposition

Von E. Oberhausen 1)

Kurzfassung

Für die Beschreibung des Risikos bei kerntechnischen Unfäl-len wird als Kriterium die Beeinträchtigung der Lebenser-

wartung vorgeschlagen, da dies zu einer besseren Gewichtungder Schadensfälle führt,

Die bei den verschiedenen Schadensformen möglichen Be-ziehungen zwischen Dosis und Wirkung werden diskutiertund Vorschläge für eine realistische Berechnung des Scha-.

densrisikos vorgestellt.

Summary

As criterion for the evaluation of risk in connection with

nuclear accidents the dimi nishing of live expectance isassumed. This would allow a better weighting of the differentdetriments,The possible dose-effect relations for the different detrimentscaused by radiation are discussed. Some models for a realisticevaluation of the different radiation detriments are proposed,

Einleitung

Der Endpunkt aller Risikostudien sind die Aussagen über dieRisiken für die betroffene Bevölkerung. Aussagen über Risi-

ken können aber nur getroffen werden, wenn bestimmteDosis-Wirkungs-Beziehungen angenommen werden, Damitkann die Abschätzung der Risiken bestenfalls so genau seinwie die Dosis-Wirkungs-Beziehungen, die bei ihrer Ermittlungverwendet werden,

Seit Fertigstellung der Phase A der Deutschen Risikostu-die (1) sind viele Überlegungen und Experimente ange-stellt worden, um zu realistischen Abschätzungen über die

möglichen Freisetzungen bei Kernkraftwerksunfällen zukommen, die wohl zumindest teilweise in die weiterenRisikobetrachtungen einfließen werden. Man wird also daran-gehen, den technisch bedingten Anfangsteil des Risikos demgegenwärtigen Stand unseres Wissens anzupassen, Dies wirftnatürlich sofort die Frage auf, was mit der Betrachtung desbiologischen Teils der Ereigniskette passieren solL. Die

Strahlenschutzkommission ist s ich der Bedeutung dieser

Frage bewußt und wird sich daher auf einer Sondersitzungmit den Strahlenschutzfragen und damit auch mit dembiologisch-medizinischen Teil der Risikofrage befassen. Es

ist zu erwarten, daß aus den Beratungen gewisse Empfeh-

lungen folgen, die dann den Bearbeitern der Risikostudieeinige Entscheidungen erleichtern werden, Diese Empfeh-lungen sind natürlich heute noch nicht bekannt, so daß mitentsprechender Begründung in diesem Beitrag zunächst nurdie Ansichten des Verfassers zu den verschiedenen Proble-

men dargestellt werden können,

Bei der Betrachtung des biologisch-medizinischen Teils derRisikoanalyse wird es sicher weniger um die Einbeziehungder Ergebnisse von Experimenten gehen, da hier der Medi-ziner dem Naturwissenschaftler und Techniker hoffnungslosunterlegen ist. Das geplante Experiment verbietet sich in derMedizin, Also sind alle Dosis-Wirkungs-Beziehungen entwederaus dem Tierexperiment abgeleitet, oder sie beruhen auf derBeobachtung und Auswertung von mehr oder minder unvoll-ständigen Zufallsereignissen (zum Beispiel Strahlenunfälle)

I) Professor Dr. Dr. E, Oberhausen ist Leiter der Abteilung Nuklear-

medizin der Radiologischen Universitätsklinik, Homburg/Saar

oder von Sekundärwirkungen medizinischer Strahlenbe-handlungen, Fast alle bei der Aufstellung von Dosis-Wir-

kungs-Beziehungen in Betracht zu ziehenden Fakten, waren

bereits bei der Ausarbeitung der Phase A bekannt und sindauch von den Autoren des medizinischen Teils des Fachban-des 8 (2) kritisch und ausführlich diskutiert worden. Die-

Entscheidung ist dann jedoch zugunsten von sehr konser,.vativen Annahmen gefallen, Diese sind im wesentlichen ge-stützt auf die Publikationen der Internationalen Kommissionfür Strahlenschutz (3), deren wesentlichstes Anliegen - zu-

mi ndest bisher - die Sicherheit von beruflich Strahlenexpo-

nierten ist, woraus sich etwas andere Gesichtspunkte als beiRisikobetrachtungen im Zusammenhang mit kerntech-nischen Unfällen ergeben.

Als Schwerpunkte für den medizinischen Teil der Risikoab-schätzung werden die folgenden drei Themen näher betrach-tet:

Wie soli das Risiko ausgedrückt werden? Bei der Phase Awar das Endkriterium die Anzahl der Todesfälle, also dieMortalität.

Welche Dosis-Wirkungs-Beziehung soli bei der Ermittlungder somatischen Spätschäden angewandt werden?

Wie sollen mögliche medizinische Maßnahmen bei denFrühschäden berücksichtigt werden?

Wie soli das Risiko ausgedrückt werden?

Bei den möglichen gesundheitlichen Schäden infolge Strah-leneinwirkung müssen wir davon ausgehen, daß die gesamteBevölkerung in ihrer vorhandenen Altersstruktur betroffenist. Diese setzt sich naturgemäß aus Personen mit sehr unter-schied licher mittlerer Lebenserwartung zusammen (Bi Id 1),Nimmt man als Endkriterium für das Risiko die Mortalität,so setzt man rein formal das Neugeborene und den Jugend-lichen mit dem Menschen hohen Alters gleich, Ein besseres

LebeC)serwortungin Jahren

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Lebensol t er in Jahren

Bild 1: Abhängigkeit der Lebenserwartung vom Lebensalter

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Lebenserwartungin Jahren

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nach Schad.ens-ereigni3

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°0 10 20 30 40 50 60 70Lebensal ter in Jahren

Bild 2: Verminderung der Lebenserwartung durch einen somatischenSpätschaden

Kriterium wäre wahrscheinlich der mittlere Verlust anLebenserwartung der betroffenen Bevölkerungsgruppe, Dies

würde auch deutlich machen, daß der eigentliche Sinn allerSchutz- und Gegenmaßnahmen ist, den Menschen ihre na-türlicherweise vorhandene, aber begrenzte Lebenserwartungzu erhalten. In diesem Konzept würden aber auch sofortdie übrigen Risiken mit eingeschlossen werden, und es würdeein deutlicher Unterschied zwischen einem Todesfall imjugendlichen und dem im fortgeschrittenen Lebensalter ge-setzt. Für die eigentliche Risikobetrachtung bei Kernkraft-

werksunfällen ergäbe sich auch ein deutlicher Unterschied ii:der Gewichtung der Frühschäden und der somatischen Spät-schäden. Die Frühschäden, im wesentlichen bedingt durchden Ausfall der Blutbildung im roten Knochenmark, bedin-

gen bei tödlichem Ausgang in unmittelbarem Zusammenhangmit dem auslösenden Ereignis ein Erlöschen der Lebenser-wartung. Im Gegensatz hierzu haben wir bei den somatischenSpätschäden - im wesentlichen die Krebsentstehung - miteiner Latenzzeit zwischen 10 und 30 Jahren zu rechnen, sodaß die Änderung der Lebenserwartung sehr wesentlich vom

S trahlenkrebsr isi ko

Os StrahlendosisBild 3: Mögliche Dosis-Wirkungs-Beziehungen für somatische Spät-

schäden

58

Lebensalter der Betroffenen abhängt und mit zunehmendemLebensalter gegen Null geht. Dies ist an einem Modellbeispielin Bild 2 verdeutlicht. Es ist der Extremfall angenommen,daß die Strahleneinwirkung so hoch ist, daß sie mit der Wahr-scheinlichkeit 1 und einer Latenzzeit von 30 Jahren zur Aus-

lösung eines letalen Spätschadens führt, Der Abstand zwi-schen den beiden Kurven gibt den Verlust an Lebenserwar-

tung an, In den realistisch denkbaren Fällen ist die Wahr-

scheinlichkeit für die Entstehung eines letalen somatischen

Spätschadens stets wesentlich kleiner als 1, so daß also auchbei den jüngeren Lebensaltern der Abstand zwischen denbeiden Kurven wesentlich geringer wird, In der Phase Aderdeutschen Risikostudie wurde bei der Schadensermittlung

die Latenzzeit der verschiedenen somatischen Spätschäden

berücksichtigt. Es wurde aber nicht gewichtet, wie groß dieLebenserwartung der verschiedenen Personen nach Ablaufder Latenzzeit noch war, sie wurden alle als gleiche Scha-densfälle angesehen.

Dosis-Wirkungs-Beziehung bei somatischen Spätschäden

Ein Großteil der Betroffenen ist nur einer geringen Strahlen-einwirkung ausgesetzt und damit verlangt die Berechnung derRisiken eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, die mit Eindeutigkeit

nicht bekannt ist und mit großer Wahrscheinlichkeit auch nie

bekannt sein wird. Fast alle Ermittlungen der Risiken in Be-zug auf somatische Spätschäden wurden durch lineare Extra-polationen von mittleren Strahlenbelastungen bis zum Null-

punkt durchgeführt, Dadurch ergibt sich notwendigerweise

die in Bild 3 dargestellte lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung.

Diese lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung liegt allen bisherigenRisikobetrachtungen der ICRP zugrunde und ist dement-sprechend auch in Phase A der deutschen Risikostudie ver-wendet worden, Es gibt auch gewichtige Gründe für diebeiden anderen in Bild 3 dargestellten Dosis-Wirkungs-Be-

ziehungen. Diejenigen epidemiologischen Untersuchungen

(4, 5), die mit teilwe ise extrem hohem Aufwand auch beiniedrigen Strahlenexpositionen durchgeführt wurden, zeigen

als bestmögliche Näherung eine quadratisch-lineare Bezie-hung zwischen Dosis und Wirkung, Hierzu kommen nochHinweise, daß mit geringerer Strahleneinwirkung die Latenz-zeit zwischen Schadensauslösung und Schadenseintritt größerwird, Diese Abhängigkeit der Latenzzeit von der Größe derStrahlenwirkung gibt eigentlich den Übergang zu dem drittendargestellten Kurventyp, Bei dieser Dosis-Wirkungs-Bezie-

hung ist angenommen, daß unterhalb einer Schwellendosisüberhaupt keine Wirkung auftritt, Dieses Fehlen einer Wir-kung bei sehr niedrigen Strahleneinwirkungen könnte sich

aus dem Zusammenwirken von demquadratischen Anteil derDosis-Wirkungs-Beziehung und einer großen Latenzzeit erge-ben. Diese ganzen Überlegungen beziehen sich auf eineStrahleneinwirkung, die in ihrer Größe vergleichbar ist mitder natürlichen Strahleneinwirkung, Eine Vergleichbarkeit

mit der natürlichen Strahleneinwirkung ist auch dadurch

gegeben, daß es sich in beiden Fällen um protrahierte Be-strahlung, also um Bestrahlung mit sehr geringer Dosis-

leistung handelt. Von der protrahierten Bestrahlung wissen

wir aber aus den Erfahrungen der Strahlentherapie, daß sieeigentlich immer geringere Wirkungen hat als die einseitigeBestrahlung. Nach unserem jetzigen Kenntnisstand ist auchin denjenigen Gebieten der Erde (wie in Kerala in Indienoder in Teilen Brasiliens), in denen die natürliche Strahlen-

einwirkung beträchtlich höher ist als bei uns, keine erhöhteKrebshäufigkeit festgestellt worden. Bleiben wir in Mittel-europa, so hat eine entsprechende Schweizer Studie (6)ebenfalls keinen positiven Zusammenhang zwischen der Grö-ße der natürlichen Strahleneinwirkung und der Krebshäufig-

keit erbracht,In der Bundesrepublik ist uns inzwischen die Größe der na-türlichen Strahleneinwirkung (7) recht gut bekannt, wobei

ein beträchtlicher Unterschied zwischen den nord- und den

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'1100

10

0,1

0,01101 104102 103 105 rod

Bild 4: Dosis-Wirkungs-Beziehung für die Entstehung von Schild-drüsen krebs

süddeutschen Ländern besteht. Auch hier ist es dem Ver-fasser nicht gelungen, einen positiven Zusammenhang zwi-schen der Größe der natürlichen Strahleneinwirkung und derKrebshäufigkeit festzustellen, Alle angeführten Überlegungensprechen demnach eigentlich dafür, bei der Abschätzung vonRisiken mit einer Schwellendosis (Cut-off Dosis) in der

Größenordnung der natürlichen Strahleneinwirkung zu ar-beiten. Gegen diesen Vorschlag spricht natürlich die bisheri-ge Vorgehensweise, die mögliche Überschätzungen des Ri-sikos bewußt in Kauf genommen hat.

Bei dem Einzelproblemen der Risikofaktoren für die ver-schiedenen Krebsarten ist noch das Problem der Schilddrüsezu erwähnen. Hier liegen aufgrund der Erfahrungen mit derTherapie mit Jod 131 genügend Erkenntnisse vor, daß beiStrahlendosen der Schilddrüse oberhalb von 1000 rem dasRisiko für die Krebsentstehung nicht weiter zunimmt, son-dern deutlich abnimmt, Die Ursache hierfür wird im allge-meinen in der starken Schädigung des Schilddrüsengewebes

durch diese hohen Strahlendosen gesehen. Durch diese Schä-

digung ist das Schilddrüsengewebe dann nicht mehr zu Neu-bildungen fähig. Es sollte daher eine Dosis-Wirkungs-Bezie-

hung wie sie in Bild 4 dargestellt ist, zur Anwendung kom-men,

Berücksichtigung medizinischer Maßnahmen bei Frühschäden

In den letzten Jahren hat die Kenntnis über mögliche Be-

handlungen nach hohen Strahlenbelastungen zugenommen.Abgesehen von tierexperimentellen Ergebnissen werden auchdie direkten Erfahrungen beim Menschen (8) zahlreicher.Bei der kindlichen Leukämie wird, vorerst noch in bestimm-ten ausgewählten Fällen, die Ausschaltung des Knochen-marks durch eine hochdosierte Ganzkörperbestrahlung her-beigeführt. Dies ist die Voraussetzung für eine anschließenderfolgende Knochenmarkstransplantation, Auch die Er-fahrungen in der allgemeinen Krebstherapie mit Cytostatika

sind weitgehend auf die Behandlung des akuten Strahlen-syndroms übertragbar. Derartige Erfahrungen liegen aber beiallen größeren medizinischen Einrichtungen der Bundesre-

publik vor, während diejenigenmit der Behandlung der kind-

Mortalität

1,0

0,8

0,6

0,4

0.2

oo 100 200 300 400 500 600 700 800

Akute Knochenmarkdosis (rod)

Bild 5: In der Phase A der deutschen Reaktorsicherheitsstudie ver-wendete Dosis-Wirkungs-Beziehu ng für Frühschaden

lichen Leukämie auf sehr wenige Zentren beschränkt sind.Welche Behandlung man den von einem akuten Strahlen-syndrom Betroffenen ermöglichen kann, wird im Einzelfallsicher von deren Anzahl abhängen, Bei einer geringen Anzahlwird man diese optimal auswählen können, vor allem auchdeshalb, weil diese Behandlung nicht unmittelbar, sondern

erst nach einiger Zeit zu erfolgen braucht. Dies legt es nahe,die Dosis-Wirkungs-Beziehung, die in Bild 5 dargestellt ist,nicht wie in Phase A einheitlich zu verwenden, sonderninsbesondere bei wenigen Betroffenen mit einem wenigerflachen Anfangsteil zu benutzen.

Insgesamt sollen die vorgebrachten Argumente und die dar-aus abgeleiteten Vorschläge dazu dienen, auch den medi-zinischen Teil der Risikoabschätzung realistischer durchzu-führen.

Schrifttum

(1) Gesellschaft für Reaktorsicherheit: Deutsche Risikostudie Kern-kraftwerke. Hrsg.: Der Bundesminister für Forschung und Tech-nologie, Verlag TÜV Rheinland, 1979

(2J Gesellschaft für Reaktorsicherheit: DeutschèRisikostudie Kern-kraftwerke; Fachband 8. Unfallfolgenrechnung und Risikoer-gebnisse, Hrsg.: Der Bundesminister für Forschung und Techno-logie, Verlag TÜV Rheinland, 1981

(3J ICRP-International Commission on Radiological Protection,Report Nr. 26,1977

(4J BEI R-Report: The Effects on Population of Exposure to LowLevels of lonising Radiation. National Academyof Sciences _National Research Council (USA), Washington D.C., Nov. 1979

(5J UNSCEAR-Report: Sources and Effects of lonizing Radiation,United Nations Scientific Committee on the Effects of AtomicRadiation, 1977, Report to theGeneral Assembly, New York,1977

(6) Renfer, H. R. und M. Hengelhaupt: Strahlenpegel und Tumor-häufigkeit. 7. Jahrestagung des Fachverbandes für Strahlen-schutz, Bern, 1973

(7J Der Bundesminister des Innern: Umweltradioaktivität und Strah-lenbelastung. Jahresbericht 1977

(8J Bender, C" et al.: Clinical Bone Marrow.Transplantation inChildren with Acute Lymphoblastic Leukemia. Pathologie-Biologie 26 (1978), S. 44

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Diskussion

H, Sc hat t k e (Sozial ministerium Kiel):

Aus Ihrem Bild 3 ergibt sich, daß entgegen bisherigen Annah-men wahrscheinlich doch eine Schwellendosis in der Grö-ßenordnung der mittleren natürlichen Strahlenbelastungexistiert, unterhalb derer mit Krebsschäden nicht zu rechnenist. Sie schließen daraus, daß künftig Risikoabschätzungen

mit Spätfolgen von Reaktorunfällen unter realistischerenAnnahmen durchgeführt' werden müßten. Müßte aus derAnnahme einer Schwellendosis auch gefolgert werden, daßfür den Normalbetrieb eines Kernkraftwerks das zur Zeit

geltende Strahlenminimierungsgebot entfallen könnte?

E. 0 be r hau sen (Universitätsklinikum Homburg/Saar):

Ein erheblicher Teil der Strahlenbelastung durch Reaktor-

unfälle ist nach der Größenordnung und der Dosisleistungvergleichbar mit der natürlichen Strahleneinwirkung. Durchdie natürliche Strahleneinwirkung konnte bisher kein erhöh-tes Krebsrisiko nachgewiesen werden, Daher wäre es ein-leuchtend, eine Strahlenbelastung, die mit der natürlichen

Strahleneinwirkung vergleichbar ist, nicht in die Risikobe-

trachtungen einzubeziehen.

Das Minimierungsgebot auch für den Normalbetrieb aufzu-geben, wäre eine sicher weitergehende Forderung. Bei demgegenwärtigen Kenntnisstand kann nicht damit gerechnet

werden, daß eine derartige Forderung Aussicht auf Erfolghätte.

F.W.Heuser (GRS):

In den Unfallfolgerechnungen zu Phase A der Risikostudiewurde zur Berechnung der Spätschäden die lineare Dosis-Risiko-Beziehung nach ICRP 26 verwendet. Die so berech-neten Ergebnisse zeigen, daß etwa die Hälfte der Spätschädenauf Gebiete außerhalb der Bundesrepublik entfallen.

Wenn Sie die Anwendung einer Dosis-Risiko-Beziehung mitSchwellenwert (Kurve SD, Bild 3) vorschlagen, welchenSchwellenwert halten Sie, etwa für Rechnungen zur Phase Bder Risikostudie, für sinnvoll und wie würden sich die Ergeb-nisse der Phase A ändern?

E. 0 be r hau sen (Universitätsklinikum, Homburg/Saar):

Als Schwellenwert würde ich nicht eine Dosis, sondern eineDosisleistung von 100 mrem/a für die Phase B vorschlagen.

Welche Auswirkungen dies auf die berechneten Schadens-fälle hätte, kann ich im Augenblick nicht genau angeben, Esist aber zu vermuten, daß sich aus dieser Annahme eine

drastische Reduzierung der errechneten Schadensfälle erge-

ben würde.

60

W. S tu m p f (RWTÜV, Essen):Der Schwellenwert für somatische Spätschäden soll in derGrößenordnung der natürlichen Strahlenbelastung liegen.Heißt das, daß sich die Größe des Wertes aus dem Produktder jährlichen mittleren Strahlenbelastung in der Bundes-

republik Deutschland und der mittleren Lebenserwartungergibt?

E. 0 b e r hau sen (Universitätsklinikum, Homburg/Saar):

Nach meinen Vorschlägen wäre das Risiko durch den mög-lichen Verlust an Lebenserwartung auszudrücken, wobei die-ser Verlust altersabhängig zu werten ist. Unterhalb einerStrahleneinwirkung von 100 mrem/a (Schwellenwert) wäremit keinem Verlust zu rechnen,

B.-M, Bus s i a n (Öko-Institut, Heidelberg):

Sind aus der Anwendung nicht linearer, von Ihnen zitiertenDosis-Wirkungs-Beziehungen Konsequenzen bei der Berech-nung der Schäden zu ziehen? Die Verwendung kollektiver,nicht personengruppenbezogener Daten und die Berechnung

über das Kollektiv gemittelte potentielle Dosen vor Anwen-dung der Dosis-Wirkungs-Beziehung halten wir für nicht kor-rekt bei nicht linearen Dosis-Wirkungs-Beziehungen.

E. 0 b e r hau sen (Universitätsklinikum, Homburg/Saar):

Die zu verwendenden Dosis-Wirkungs-Beziehungen müßtenauf die verschiedenen Gruppen mit gleicher Strahlenein-wirkung bezogen werden. Eine vorhergehende Mittelungscheidet bei Anwendung nicht linearer Dosis-Wirkungs-

Beziehungen aus.

H, Se g u i n (Kommission der EG, Luxemburg):

Wenn die lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung aufgegebenwird, welchen Sinn hat dann die Kollektivdosis?

E, 0 b e rh aus e n (Universitätsklinikum, Homburg/Saar):

Die Kollektivdosis hat eigentlich nur einen Sinn bei linearerDosis-Wirkungs-Beziehung oder bei Betrachtung einer Per-

sonengruppe, bei der alle Personen etwa der gleichen Strah-leneinwirkung ausgesetzt sind. Da wir annehmen müssen,daß auch die Dosisleistung mitbestimmend ist bei einemmöglichen Schadensmaß, kann die Kollektivdosis zur Ver-schleierung strahlenbiologischer Sachverhalte führen.

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Schwerpunkte und Arbeitsergebnisse der DeutschenRisikostudie, Phase B

Von D. Hippe und F. W. Heuser 1)

Kurzfassung

I m vorliegenden Beitrag wird über den gegenwärtigen Standder Arbeiten zur Phase B der Deutschen Risikostudie Kern-

kraftwerke berichtet. Nach einigen allgemeinen Bemerkun-

gen zu Organisation und Zielsetzung wird hauptsächlich aufArbeitspunkte eingegangen, die im Rahmen der Phase B vonder GRS behandelt werden, Erste Ergebnisse zu den Unter-suchungen über Frischdampfleitungsbruch, Kernschmelzenund Spaltfreisetzungen werden vorgestellt,

Abstract

This paper reports the present state of the works on Phase Bof the German Risk Study. After some short remarks onorganization and the aim of Phase B those topics will bediscussed the G RS is concerned with, First results of theinvestigations of leaks in the main steam system, co re meltdown and fission product release will be presented,

Einführung

Die Arbeiten zur Phase B der Deutschen Risikostudie Kern-kraftwerke (DRS) wurden im Jahr 1981 vom Bundesmini-ster für Forschung und Technologie (BMFT) ausgeschrieben.Damit wird für die weiterführenden Untersuchungen zurRisikostudie die Mitarbeit auch solcher Arbeitsgruppen er-

reicht, die bisher nicht an den Untersuchungen zur Phase Ader Studie beteiligt gewesen waren, Die Ergebnisse zur Pha-se B sollen dadurch auf eine möglichst breite Grundlage

gestellt werden,

Gemäß der Ausschreibung des BMFT sind die Arbeiten invier Themenbereiche gegliedert:

Ereignisablauf- und Systemanalyse,

Kernschmelzen und Aktivitätsfreisetzung,

Unfallfolgenmodell,Methodik und Instrumentarien,

Die wichtigsten Ziele sind:

die Vervollständigung der zur Phase A durchgeführten Un-tersuchungen, im besonderen die Überprüfung der Listestörfallauslösender Ereignisse und die Durchführung vonEreignisablaufanalysen zu bisher nicht behandelten Stör-

fällen;

die über WASH-1400 (1 J bzw. die deutsche Risikostudie,Phase A (2J hinausgehenden methodischen Weiterentwick-lungen und Modellverbesserungen, mit denen der gegen-

wärtige Stand der Reaktorsicherheitsforschung berück-

sichtigt werden kann, sowie

Verbesserungen der Aussagesicherheit von Risikoanalysen,

Ebenso wie in Phase A wird für die anlagentechnischen Un-tersuchungen die Referenzanlage Biblis-B zugrunde gelegt.

Die Untersuchungen zur Phase B werden in einem Projekt-komitee aller beteiligten Arbeitsgruppen unter Leitung desBMFT koordiniert,

In der GRS selbst wurde mit den Arbeiten zur Phase B Ende

des Jahres 1981 begonnen. i m folgenden soli über den Stand

1) Dr, Dagmar Hippe und Dr. Friedrich-Wilhelm Heuser sind tech-nisch.wissenschaftliche Mitarbeiter bei der G RS.

der Arbeiten und, soweit möglich, über erste Zwischener-

gebnisse berichtet werden, und zwar insbesondere zu denbeiden ersten Themenkreisen: Ereignisablauf- und System-analyse sowie Kernschmelzen und Aktivitätsfreisetzung.Soweit dabei einzelne Zwischenergebnisse angesprochenwerden, handelt es sich nicht um endgültige Ergebnisse der

Phase B, sondern lediglich um Aussagen zum derzeitigenStand der Arbeiten.

Ereignisablauf- und Systemanalyse

In der Phase A sind im Rahmen der Ereignisablauf- undSystemanalyse Kühlmittelverluststörfälle zu verschiedenenLeckquerschnitten und einige ausgewählte Transienten, zumBeispiel der Notstromfall, ausführlich untersucht worden,

Für die Phase B ist geplant, diese Untersuchungen weiter

zu ergänzen. Entsprechend dem Arbeitsprogramm Phase Bist vorgesehen, folgende Kühlmittelverluststörfälle genauer

zu analysieren:

Leck über eine Anschlußleitung,

sehr kleine Leckagen mit Querschnitten von weniger als2 cm2 undDampferzeuger- Hei zrohrschäden.

Für Transienten ist es erforderlich, das Spektrum möglicher"auslösender Ereignisse" in der Phase B nochmals sorg-fältig zu überprüfen, Obwohl wesentlich ausführlicher als inWASH-1400,wurden in Phase Ader DRS bisher hauptsäch-lich sogenannte "betriebsnahe" Transienten, also Transientenmit Eintrittshäufigkeiten oberhalb 10-2 ja und Anlage

(Iikely events), untersucht, Bisher nicht näher analysiertwurden sogenannte "unlikely events", das heißt Transienten,die während der Betriebszeit einer Anlage im allgemeinennicht zu erwarten sind, Hierzu zählen zum Beispiel Brüche

im Sekundärsystem oder - als Beispiel für einen Reaktivi-tätsstörfall, der Auswurf eines Steuerstabes durch Abrißeines Stutzens im Deckel des Reaktordruckbehälters.

Aus der Liste der aufgeführten Transientenstörfälle werden

in der G RS derzeit Ereignisabläufe, die aus einem Bruch

einer Frischdampf (FD-) Leitung resultieren können, näheruntersucht,

Bild 1 zeigt eine Übersicht über das F D-System der Anlage

Biblis-B. Das FD-System ist 4strängig aufgebaut, wobeijeweils zwei FD-Leitungen von den Dampferzeugern bis zuden Frischdampf-Schnelischlußschiebern 'paarweise verlegtsind. Jedem Strang ist ein Sicherheitsventil zugeordnet. DasFD-System verfügt außerdem über zwei Abblaseregelventile,die über eine gemeinsame Abfahrleitung mit allen FD-Lei-tungen verbunden sind,

Zusätzlich eingetragen sind die wichtigsten zu untersuchen-

den Bruchlagen :

B 1: Bruch innerhalb des Sicherheitsbehälters,B2: Bruch zwischen Sicherheitsbehälter und FD-Schnell-

schlußschiebern,B3: Bruch hinter den F D-Schnellschlußschiebern,Besondere Bedeutung kommt hier Bruchlagen vor den FD-Schnellschlußschiebern zu. In diesem Fall liegt ein nichtabsperrbares Leck im betroffenen Frischdampfstrang vor.Ungünstiger als bei einem Bruch in einer Speisewasserleitung

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DE

Ablase Sicher- FD-regel- heits- SchnelischluB-ventil ventil schieber

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Q-~,Ii

I

Konden-sator

Bi Bruchlagen

Bild 1: Schema des Frischdampfsystems im Kernkraftwerk Biblis B

muß davon ausgegangen werden, daß für den entsprechendenStrang bzw. Dampferzeuger die Noteinspeisung nicht zurVerfügung steht. Das heißt, es fällt zur Nachwärmeabfuhr einDampferzeuger von vornherein aus, Die Verfügbarkeit dervorhandenen Sicherheitsfunktionen wird damit unmittel-bar beeinträchtigt,

Untersucht wurden bisher Ereignisabläufe zu Bruchquer-schnitten, bei denen das Signal zum Erkennen von Lecks imFD-System (!:Ißt )- max) ausgelöst wird, Im folgendensollen nur die Bruchlagen B1 und B2 vor den Frischdampf-schiebern betrachtet werden.

Unmittelbar nach dem Bruch einer FD-Leitung sinkt derDruck in allen vier Dampferzeugern ab, da die Dampferzeu-ger über den Frischdampfsammler mit dem Leck verbundensind. Über das !:Ißt-Signal erfolgt Auf trennung des Frisch-dampfsystems, das heißt die Frischdampfschnellschlußschie-ber werden zugefahren und gleichzeitig die Hauptspeise-wasserpumpen ausgeschaltet. Unmittelbar darauf wirdReaktor- und auch Turbinenschnellabschaltung veranlaßt,

Da für die betrachteten Bruchlagen der Dampferzeuger des

gebrochenen Stranges nicht vom Leck getrennt werdenkann, sinkt hier der Druck weiter ab. Über ein weiteres

Reaktorschutzsignal wird die Notspeisewasserversorgung des

defekten Dampferzeugers (DE) automatisch unterbunden,Die Anlage kann anschließend grundsätzlich über die Frisch-dampfumleitstation abgefahren werden, Falls diese nichtzur Verfügung steht, erfolgt das Abfahren über die Abblase-regelventile,

Ähnlich wie in Phase A wurden auch zu dem auslösendenEreignis "FD-Leitungsbruch" Ereignisablaufanalysen durch-geführt. Dabei wurde ebenso wie in Phase A nach den End-zuständen

beherrschter Störfall ,

Kernschmelzen und

Transienten, die zu einem kleinen Leck am Druckhalterführen,

unterschieden,

Zur Beherrschung der Ereignisabläufe aus einem FD-Bruchwurde in den bisherigen Untersuchungen als Mindestanfor-

derung zugrunde gelegt, daß mindestens ein intakter Not-

62

speisewasser-FD-Strang mit Frischdampfabgabe über einFD-Sicherheitsventil für die Nachwärmeabfuhr zur Verfü-gung steht. Falls es im Verlauf des Störfalles zu einem An-sprechen eines oder mehrerer Druckhalterventile kommt,die Schließfunktion aber versagt und das Leck anschließend

auch nicht abgesperrt werden kann, mündet der Störfallin einen Kühlmittelverlust über ein kleines Leck am Druck-halter. In diesem Fall ist das Abfahren der Anlage mit min-destens zwei intakten Notspeisewasser-F D-Strängen erfor-

derlich, entweder über die Frischdampfumleitstation oder

über die Abblaseregelventile.

Für die hier besprochenen Ereignisabläufe liegen erste Zwi-schenergebnisse vor. Besondere Bedeutung kommt dem Pro-blem der Folgebrüche zu. In den bisherigen Analysen wurdebei großen Brüchen der Folgebruch der benachbarten Leitungmit der Wahrscheinlichkeit 1 unterstellt.

Eine wichtige Rolle spielen auch Brüche im Sicherheitsbe-hälter. In diesem Fall werden durch erhöhten Druck undTemperatur einzelne Komponenten zusätzlich belastet. Ins-besondere kann es dadurch zu Ausfällender Druckhalterven-tile des Primärkreises kommen. Damit ergeben sich unterUmständen weitere Beiträge zu einem Ereignisablauf mitKühlmittelverlust über ein kleines Leck am Druckhalter.

Werden für die Eintrittshäufigkeit der Brüche im FD-Systemdie in der Phase A verwendeten Werte für Brüche im Reaktor-kühlkreislauf angesetzt, so ergibt sich insgesamt für die un-tersuchten F D-Brüche eine Kernschmelzhäufigkeit von2 . 10-5 pro Jahr und Anlage. Dieses Ergebnis ist sicher

noch vorläufig, da in vielen Fällen bei verschiedenen Punkteneinfache Abschätzungen und Annahmen vorgenommen wur-den, die noch durch detaillierte thermodynamische Analysenabgesichert werden müssen.Man sollte jedoch auch erwähnen, daß insgesamt die inPhase A ermittelte Ei ntrittshäufigkeit für Kernschmelzenaufgrund erfolgter systemtechnischer Verbesserungen und

auf der Basis vorliegender Best-Estimate-Rechnungen in der

Phase B herabgesetzt werden kann,

Kernschmelzen und Aktivitätsfreisetzung

Neben weiterführenden Arbeiten zur Ereignisablauf- undSystemanalyse werden im Rahmen der Phase B auch Unter-suchungen der G RS zum zweiten Themenkreis der Aus-schreibung - Kernschmelzen und Aktivitätsfreisetzung -vorgenommen,

Die Kernschmelzfälle, die in der Phase A näher beschriebenworden sind, wurden unter dem Aspekt untersucht, mög-lichst konservative Aussagen zu erhalten. So wurde Kern-schmelzen infolge eines 2F-Bruches betrachtet, da es in die-sem Fall schneller zum Abschmelzen des Kerns kommt alsbei anderen Ereignisabläufen, Auch bei der ModelIierung

des Kernschmelzablaufs selbst wurde in Anlehnung anWASH-1400 konservativ vorgegangen, Zum Beispiel wurdebei der Beton-Schmelze-Wechselwirkung die Nachwärme-leistung nur zum Aufschmelzen des Betons verwandt undeine Leistungsabgabe über die Oberfläche vernachlässigt.Andererseits wurde bei Sumpfwasserkontakt die gesamtein der Schmelze enthaltene Nachzerfallswärme für das Ver-

dampfen des Sumpfwassers benutzt, Eine etwaige Krusten-bildung der Schmelze bzw. ein weiteres Aufschmelzen des

Betons wurde dabei nicht berücksichtigt.In der Phase B werden hier verbesserte Modelle und Ansätzeangewendet. Insbesondere wird der Sumpfwasser-Schmelz-kontakt mit realistischeren Methoden beschrieben. Es wirdjetzt ein jeweils über den Zeitablauf wechselnder Anteil

der Nachwärme zur Sumpfwasserverdampfung und zurBetonaufschmelzung benutzt, Weiterhin können jetzt auchdie Wasserstoffproduktion sowie die Bildung von Kohlen-

monoxid und Kohlendioxid aus der Betonaufschmelzung

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bei Sumpfkontakt berücksichtigt werden, Daneben wirdu.a. die Nachwärmeleistung nach ANS 78 (3) berechnet. Dasbedeutet nach vier Stunden eine gegenüber früheren Ansätzender DRS um etwa 20 % verminderte Leistung.

Die Auswirkung dieser Änderungen gegenüber Phase A sollbeispielhaft am Druckverlauf im Sicherheitsbehälter beiKernschmelzfall 1 der Phase A, dem Niederdruckpfad, dar-gestellt werden, Bild 2 zeigt einen Vergleich der Ergebnisse

der Phase A, Kurve 1, und Phase B, Kurven 2 und 3. Darge-

stellt ist der zeitliche Druckverlauf im Containment bis zumZeitpunkt des Überdruckversagens, Eingetragen sind zu-sätzlich der Auslegungsdruck bei 5,6 bar und der Versagens-druck bei 8,5 bar.Während der ersten drei Phasen des Kernschmelzvorgangs

- Abschmelzen und Absturz des Kerns, Restwasserverdamp-

fung und Reaktordruckbehälter-( RDB-) Durchdringung :.

unterscheiden sich die Druckverläufe nur geringfügig. Erstdie genauere Beschreibung der vierten Phase - der Beton-

Schmelze-Wechselwirkung und hier hauptsächlich die Auf-

teilung der Nachwärme in Sumpfwasserverdampfung undBetonaufschmelzung - bewirkt einen langsameren Druckan-stieg im Sicherheitsbehälter und infolgedessen ein späteres

Überdruckversagen gegenüber Phase A, nämlich nach dreibis vier Tagen.

In den Rechnungen zur Phase A wurde angesetzt, daß derwährend des Kernschmelzens freigesetzte Wasserstoff konti-nuierlich verbrennt. Die so berücksichtigte Verbrennungs-

energie trägt allerdings nur unwesentlich zur Druckerhöhungim Containment bei. Es kann jedoch auch angenommen wer-den, daß sich der freigesetzte Wasserstoff so lange in derContainmentatmosphäre anreichert, bis ein zündfähigesDampf-Luft-Wasserstoff-Gemisch entsteht, Bei Deflagrationdieses Gemisches kann die so in den Sicherheitsbehälter ein-gebrachte Energie innerhalb der kurzen Deflagrationszeitnicht in die Strukturen und das Sumpfwasser abgegeben

werden. Es kommt daher zu einem schnellen Druck- undTemperaturanstieg. Innerhalb einiger Minuten kann dieWärme jedoch wieder aus der Atmosphäre in die Beton-strukturen, die Einbauten und den Sumpf abgeführt werden.Druck und Temperatur sinken wieder ab (Bild 3). Betrachtetman den Abstand der Druckspitze zum Versagensdruck, somuß man. hier noch nachprüfen, ob auch in jedem Fall dasContainment diesem plötzlichen Druckanstieg standhält.Auf den nachfolgenden Druckverlauf hat die spontaneWasserstoffverbrennung keinen Einfluß, so daß es auch hiererst nach etwa drei bis vier Tagen zum Überdruckversagendes Containments kommt (Kurve 3, Bild 2),

Neben dem Niederdruckpfad sind auch Kernschmelzpfadedenkbar, bei denen der Reaktorkühlkreislaufvor RDB-Ver-sagen nur teilweise oder auch gar nicht vom Druck entlastetwird. In diesem Fall treten zusätzliche Belastungen für das

Containment auf,

Beim Durchschmelzen des Reaktordruckbehälters unterhohem Primärkreisdruck wird die entstehende Druckwelledie umliegenden Betonstrukturen belasten, Gleichzeitiggelangen im Primärkreis befindlicher Wasserdampf undWasserstoff in den Sicherheitsbehälter und führen hier zueiner Druckerhöhung. Nach der Druckentlastung des Primär-kreises wird das Wasserinventar der Druckspeicher auf diejetzt in der Reaktorgrube befindliche Schmelze fließen,

verdampfen und so ebenfalls zu einem plötzlichen Druckan-stieg im Sicherheitsbehälter führen.

Kernschmelzen unter hohem Innendruck wurde in derPhase B durch verschiedene Ereignisabläufe wie "nichtbe-herrschtes kleines Leck im Primärsystem" und den nichtbe-herrschten N otstromf all untersucht.

Im nichtbeherrschten Notstromfall kann die Nachwärme ausdem Reaktorkern nicht mehr über die Sekundärseite abge-

führt werden, Es kommt primärseitig zu einem Druckanstiegund Ansprechen der Druckentlastung des Reaktorkühlkreis-laufs. Unter Umständen kann das gesamte Primärkreisinven-

tar über die Druckhalterventile ausdampfen und es kann sozu Kernschmelzen unter vollem Primärdruck von 160 barkommen.

Bild 4 zeigt den Druckverlauf im Sicherheitsbehälter fÜrdiesen FalL. Die Druckspitze, die bei RDB-Entlastung auftritt,bleibt unter dem Versagensdruck. Containmentversagen trittim weiteren Störfallverlauf nicht vor etwa drei Tagen ein.

10

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8

1h 1d 3d5h

Versagensdruck

t~u~

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2

o101 102 103 104 105 S 106

Ze na StalBild 2: Druckverlauf im Sicherheitsbehälter bei einem Kernschmelz-

unfall1 Deutsche Risikostudie, Phase A, 2 Phase B, kontinuierlicheWasserstoffverbrennung, 3 Phase B, Wasserstoffverbrennungbei Erreichen der Zündgrenze

10

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121

x102Bild 3: Druckverlauf im Sicherheitsbehälter, Niederdruckpfad, Was-

serstoffverbrennung bei Erreichen der Zündgrenze

1h 5h lOh 1d 3d 5d10

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Zeit nach StörfalleintrittBild 4: Druckverlauf im Sicherheitsbehälter bei nichtbeherrschtem

Notstromfall

s 106

63

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1h 5h 1d 2d 3d10hbar

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Auslegungsdruck"I3 "'/2 l g'/1\ A.~/

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Zeit nach Störfalleintri -

Bild 5: Druckverlauf im Sicherheitsbehälter bei nichtbeherrschtemkleinen Leck (20 cm2) in Hauptkühlmittelleitung bei Ausfallverschiedener Systemfunktionen1 Ausfall "HD-Einspeisung", 2 Ausfall "Notspeisewasserver-sorgung und FD-Abgabe", 3 Ausfall "HD-Einspeisung" undAusfall "Notspeisewasserversorgung und FD-Abgabe"

Ein wichtiges Problem ist in diesem Zusammenhang wie-derum der während des Abschmelzens durch die Zirkonium-Wasser-Reaktion freigesetzte Wasserstoff. Dieser Wasserstoffkann bei RDB-Versagen unter Umständen zu einem erheb-lichen Teil plötzlich in den Sicherheitsbehälter freigesetzt

werden, Vorläufige Untersuchungen zu diesem Punkt habengezeigt, daß sich infolge des mit dem Wasserstoff ausströmen-den Dampfes und mit dem zusätzlichen Dampf, der durchVerdampfen des Druckspeicherinventars entsteht, vermutlichkeine zündfähigen Gemische bilden.

Für Kernschmelzuntersuchungenüber ein "nichtbeherrschteskleines Leck in der Hauptkühlmittelleitung" wurden als ver-schiedene Ausgangssituationen folgende zusätzliche Ausfälleneben Ausfall der Hauptspeisewasserversorgung betrachtet:

Ausfall der Heißdampf-Einspeisung,

Ausfall der Notspeisewasserversorgung und FD-Angabe,

gleichzeitiger Ausfall der Notspeisewasserversorgung undFD-Abgabe sowie HD-Einspeisung,

Es wurden Rechnungen zu zwei verschiedenen Leckgrößendurchgeführt: Als obere Abgrenzung für kleine Lecks wurdeein Leckquerschnitt von 80 cm2 angenommen; als repräsen-tativer Wert für kleine Lecks, bei dem die Wärmeabfuhr ganzwesentlich über die Sekundärseite zu erfolgen hat, wurde einLeckquerschnitt von 20 cm2 angesetzt, Die Druckverläufesind ähnlich dem des Notstromfalls (Bild 5). Auch in diesenFällen wird der Versagensdruck nicht vor etwa drei Tagen

erreicht.

Aus den bisherigen Untersuchungen zu Kernschmelzunfällenläßt sich zusammenfassend feststellen:

Der Sicherheitsbehälter versagt beim Niederdruckpfadanstatt nach etwa einem Tag erst nach etwa drei bis vierTagen.

Auch Kernschmelzen unter hohem Innendruck bewirktkein früheres Überdruckversagen als im Niederdruckpfad.Der Versagenszeitpunkt liegt hier ebenfalls bei etwa dreiTagen,

Auf die Bedeutung gerade dieses gegenüber Phase A verbes-serten Ergebnisses soli im folgenden noch eingegangen wer-den.

Bezüglich der Spaltproduktfreisetzung bei einem Kern-schmelzunfall sind inden letzten Jahren eine Reihe neuer

64

s

Erkenntnisse und Forschungsergebnisse angefallen. Das be-trifft zum Beispiel die Freisetzungsfaktoren selbst, insbe-

sondere die Freisetzung aus der Schmelze, Dazu wurden inder Kernforschungsanlage Karlsruhe die SASCHA-Experi-mente durchgeführt.

Ein Ergebnis der SASCHA-Experimente war, daß die expe-rimentell nachgewiesenen Freisetzungsfaktoren für Jodund Cäsium aus der Schmelze nicht wesentlich von den inWASH-1400 gemachten Ansätzen abweichen. Gerade Jodund Cäsium sind jedoch die radiologisch relevantesten Ele-mente und bestimmen im wesentlichen das Ausmaß mög-licher Schadensfolgen, Im allgemeinen liegen die Freisetzun-gen aus den SASCHA-Experimenten niedriger als die inWASH-1400 angesetzten. Eine Ausnahme bilden Silber,Tellur und Antimon, die in stärkerem Ausmaß als bisherangenommen, freigesetzt werden (4).

Im Verlauf eines Kernschmelzunfalls gelangen zu verschie-denen Zeiten erhebliche Mengen von - überwiegend inakti-ven - Spaltprodukten, aber auch Wasserdampf und Struk-

turmaterialien, in die Containmentatmosphäre, Das so ent-standene luftgetragene Aerosol wird nach bestimmten Ge-setzmäßigkeiten zeitabhängigabgelagert. Der Ablagerungs-

faktor ist abhängig von einer Reihe von Parametern, wie

zum Beispiel Form und Durchmesser der einzelnen Aero-solpartikel, und besonders auch von der luftgetragenen

Aerosolmasse.

Das Aerosolverhalten im Sicherheitsbehälter wurde in derPhase A mit dem Rechencode CORRAL beschrieben. In demAblagerungsmodell in CORRAL wurde der Ablagerungs-faktor an Experimente angepaßt. Dieser Punkt ist oft kriti-siert worden, da nicht gesichert ist, inwieweit die Umge-

bungsbedingungen der Experimente und die tatsächlich beieinem Störfall vorliegenden Umgebungsbedingungen über-

einstimmen. Insbesondere war es in diesem Modell nichtmöglich, die Abhängigkeit der Ablagerungsgeschwindigkeitvon der Massenkonzentration zu berücksichtigen. i n derPhase B wurde zur Beschreibung der Aerosolablagerung derim Kernforschungszentrum Karlsruhe entwickelte NAUA-Code in das Rechenprogramm CORRAL implementiert,NAUA ist ein Modell, das auf den Grundlagen der Aerosol-physik die Agglomeration und Abscheidung der luftgetra-genen Partikel beschreibt. Es können damit unterschiedlicheBedingungen in der Containmentatmosphäre berücksichtigtund insgesamt realistischere Ergebnisse erzielt werden,

Eine wichtige Rolle bezüglich Spaltproduktfreisetzungkommt der Berücksichtigung vor. Ablagerungseffektenentlang der Freisetzungswege, zum Beispiel im Ringraum,

und dem späten Überdruckversagen zu.

Nach Phase A kann man davon ausgehen, daß der Contain-mentabschluß im Falle eines Störfalls mit großer Wahrschein-lichkeit gewährleistet ist. Bis zum Zeitpunkt des Versagensist somit eine Freisetzung nur über die Auslegungsleckagen

möglich. Welchen Einfluß die verbesserten Ergebnisse zumÜberdruckversagen des Containments auf die Spaltprodukt-freisetzung haben, soli in den Bildern 6 und 7 erläutertwerden.

In Bild 6 ist die mit dem Rechencode NAUA ermittelte luft-getragene Aerosolkonzentration, normiert auf die gesamte

freigesetzte Aerosolmasse, gegen die Zeit seit Störfalleintrittaufgetragen, Daneben ist die bis zum Versagen des Sicher-heitsbehälters über mögliche Leckagen aus dem Sicherheits-behälter freigesetzte Aerosolmasse angegeben, Wie in Phase Aist hier mit der zehnfachen Auslegungsleckage gerechnet

worden. Bei frühzeitigem Versagen des Sicherheitsbehälterskann diese Leckage gegenüber dem luftgetragenen Aerosol,das bei Überdruckversagen aus dem Sicherheitsbehälter frei-gesetzt wird, vernachlässigt werden. Aber bereits nach etwaeinem Tag, wenn sich beide Kurven schneiden, ist über

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10°

10-1

~ 10-2E

~ 10'3..~E 10-4

inCJ 10-5

èi"0= 10'6

~-= 10-7 104 105

Zeit nach Störfalleintri -s

Bild 6: Luftgetragene und freigesetzte Aerosolanteile

Leckage so viel Masse freigesetzt worden, daß ein Versagendes Containments zu diesem Zeitpunkt höchstens noch einenFaktor 2 in der freigesetzten Masse ausmacht, Bei einemnoch späteren Versagenszeitpunkt dominiert das über Lecka-

gen freigesetzte Aerosol die Gesamtfreisetzung, nach drei

bis vier Tagen spielt die bei Containmentversagen zusätzlichfreigesetzte Masse keine Rolle mehr.

Die aus dem Sicherheitsbehälter freigesetzten Aerosole ge-langen nicht direkt in die Umgebung, sondern zunächst inden Ringraum. Hier tragen zwei Prozesse zur weiteren Re-duzierung der Freisetzung in die Umgebung bei:

Im Ringraum werden die gleichen Ablagerungsmechanis-men wirksam wie im Containment. Sie können gleicher-maßen mit dem Programm NAUA beschrieben werden,Die Aerosole werden aus dem Ringraum durch die Ring-raumabsaugung über die Störfallfilter geleitet, Im Zeit-rcium von drei bis ilier Tagen können die Filter dann vollzur Wirkung kommen,

In Bild 7 ist das in die Umgebung freigesetzte Cäsium gegendie Zeit seit Störfallbeginn für verschiedene Annahmen hin-sichtlich des Zeitpunkts des Überdruckversagens und Filter-wirkung aufgetragen, Als Filterfaktor ist, ebenso wie inPhase A. in einem ersten Schritt 103 angenommen worden,Die Ablagerung im Ringraum wurde in diesen Rechnungennoch nicht berücksichtigt, es ist jedoch zu erwarten, daß dieFreisetzung zusätzlich zu den hier gezeigten Werten nochmalsum etwa eine halbe bis eine Größenordnung reduziert wer-den kann.

Die Kurven 1 und 3 zeigen die Freisetzung aus dem Contain-ment bei Versagen nach etwa 1 Tag bzw. 3,5 Tagen ohneBerücksichtigung der Störfallfilter. In diesen Fällen ist dieLeckage ausschlaggebend für die freigesetzten Aerosole, sodaß der Unterschied zwischen beiden Freisetzungen nichtstark ins Gewicht fällt, In den Kurven 2 und 4 wurden dieFilter mit berücksichtigt. Die jetzt über Leckagen in die

Umgebung gelangende Aerosolmasse ist gegenüber derLeckagerate um den Filterfaktor 1000 reduziert, Bei Über-druckversagen werden die gesamten, im Sicherheitsbehälternoch luftgetragenen Aerosole zusätzlich in die Umgebungfreigesetzt. Diese luftgetragene Aerosolkonzentration ist nach3,5 Tagen erheblich geringer als nach 28 Stunden, so daß indiesem Fall die Gesamtfreisetzung deutlich niedriger liegt.

Eine Reduktion der Spaltproduktfreisetzung und damit auchder Unfallfolgen wird also erst durch die Kombination der

íi2.10-2

i~,!: 10-4E~rnQ)"0=10-6

~èi

~ 10-8

lß 10-1Cl

Æ

¡::---:---,---.----3

4

10 ° 101Zeit nach Störfalleintritl -

102 h

Bild 7: Cäsium-Freisetzung in die Umgebung1 Keine Filter, SB-Versagen nach 28 h; 2 Filter, SB-Versagennach 28 h; 3 Keine Filter, SB-Versagen nach 3,5 d; 4 Filter,SB-Versagen nach 3,5 d

beiden Faktoren - spätes Überdruckversagen und vollfunktionsfähige Filter - bewirkt. Spätestens hier wird deut-

lich, wie wichtig die Filteranlagen zur Reduzierung auch

von Unfallfolgen sind. Letztlich ist aber noch nicht geklärt,wie sich die Filter bei Belastungen aus hohen Aktivitätsbe-

legungen verhalten, Daher sind zu diesem Punkt noch zusätz-liche Untersuchungen zur Absicherung der Ergebnisse not-wendig,

Die bisher besprochenen Ergebnisse der Phase B zur Spalt-produktrückhaltung betreffen im Augenblick nur die Aero-sole und spätes Überdruckversagen, Das im Hinblick aufmögliche Unfallfolgen wichtige Jod wurde in früheren Stu-dien, so auch in der Phase A, gesondert behandelt. Die bis-

lang benutzten einfachen Modelle zum Freisetzungsverhal-ten von Jod gingen stets von der bezüglich Freisetzung

pessimistischen Form, dem J2, aus. Entsprechend stimmtendie so berechneten Werte nicht mit gemachten Beobachtun-gen zum Beispiel aus dem TM I-Störfall überein. Zur Jodrück-haltung bzw. -freisetzung gibt es zwar eine Reihe erfolgver-sprechender Ansätze, jedoch liegt derzeit noch kein veri-fiziertes Modell vor. Insgesamt aber ist zu erwarten, daß auchdie Jodfreisetzung gegenüber Phase A der deutschen R isiko-studie deutlich reduziert wird,

Was frühzeitige Freisetzungen angeht, müssen neben derDampfexplosion vor allem Freisetzungswege über Leckagen

untersucht werden. Dazu sind allerdings noch gesonderteUntersuchungen zum Containmentabschluß notwendig, So-bald aus dem Gesamtüberblick der Einzelergebnisse möglich,wird die Struktur der Freisetzungskategorien überarbeitet

werden. Damit ist voraussichtlich Mitte ,1983 zu rechnen,so daß in der zweiten Jahreshälfte mit Unfallfolgenrech-nungen begonnen werden kann,

Schrifttum

(1) Reactor Safety Study: An Assessment of Accident Risks in USCommercial Nuclear Power Plants. WASH-1400 .(NUREG-75/014), October 1975

(2) Gesellschaft für Reaktorsicherheit: Deutsche Risikostudie Kern-kraftwerke, Hauptband. Hrsg.: 'Der Bundesminister für For-schung und Technologie, Verlag TÜV Rheinland, Köln, 1979

(3) Proposed ANS-Standard 5.1: Decay Heat Power in Light WaterReactors. Approved by Subcommittee ANS-5, ANS StandardsCommittee, June 1978

(4) Albrecht, H. und H. Wild: Investigation of Fission ProductRelease by Annealing and Melting of LWR Fuel Pins in Air andSteam. Topical Meeting on Reactor Safety. Sun Valley, Idaho,USA,2.-6.8.1981

.65

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Diskussion

P. deM unk (Sozial-Ministerium, Niederlande):Bild 6 ist zum Zeitpunkt des Reaktorsicherheitsbehälter-

versagens (etwa bei drei Tagen) eine niedrige Aerosolkon-

zentration zu entnehmen. Was passiert beim Versagen? Gibt

es eine signifikante Resuspension der Spaltprodukte? Wie

versagt der Reaktorsicherheitsbehälter?

D, Hip pe (GRS):

Die Frage der Resuspension bei Containmentversagen und dieVersagensart des Containments werden derzeit stark disku-tiert. Bezüglich Resuspension muß man unterscheiden zwi-schen den Spaltprodukten, die auf den Flächen abgelagert

sind und denen, die sich im Sumpfwasser befinden. Bei den

auf Flächen abgelagerten Aerosolen kann man davon aus-gehen, daß die Ablagerungsschichten relativ dünn sind.Dr. Hosemann vom KfK hat hierzu Schichtdicken vonzwei bis drei Moleküllagen abgeschätzt. In diesen ist eineResuspension nicht sehr wahrscheinlich.

Anders verhält es sich bei den im Sumpfwasser gelösten

Stoffen. In welchem Ausmaß bei Containmentversagen unddem damit unter Umständen verbundenen Aufkochen desSumpfes die Spaltprodukte wieder freigesetzt werden, hängtletztlich auch davon ab, wie der Sicherheitsbehälter versagt.Hierfür gibt es noch keine gültigen Aussagen, Es scheint miraber am wahrscheinlichsten zu sein, daß, bevor das Contain-ment wie etwa eine Seifenblase platzt, kleinere Lecks auf-treten - zum Beispiel Schweißnähte versagen -, die eineArt Überdruckventil bilden und eine vollständige Zerstörung

des Sicherheitsbehälters verhindern. Bei den in Bild 6 darge-

stellten Werten wurde Resuspension nicht berücksichtigt.

S, C h a k r abo r t y (Hauptabteilung für Sicherheit der

Kernanlagen, Würenlingen):

Wie verändern die systemtechnischen Verbesserungen der

Referenzanlage die Eintrittshäufigkeit für Kernschmelzen ?

H.Hörtner (GRS):

Gegenwärtig kann man nicht sagen, wie stark die Systemän-derungen letztlich durchschlagen werden, Man kann jedochannehmen, daß aufgrund von Systemänderungen die inPhase A ermittelte Kernschmelzhäufigkeit um etwa einenFaktor 3 reduziert werden wird, Andererseits werden in der

Phase B zusätzlich auslösende Ereignisse berücksichtigt, sodaß eine abschließende Bewertung im Augenblick noch nichtgegeben werden kann.

W. Sc h i kar ski (KfK, Karlsruhe):

Warum rechnen Sie Containment-Versagen nach drei bis vierTagen aus, während Dr. Hosemann auf der Reaktorta-gung 1982 in Mannheim etwa fünf Tage angibt? Was ist derGrund für diesen Unterschied?

D.Hippe (GRS):

Die von Dr, Hosemann berechneten Druckverläufe unter-scheiden sich erst nach dem Zeitpunkt des Sumpfwasser-

Schmelze-Kontaktes wesentlich von den hier gezeigten. DieAbweichungen sind vermutlich auf eine unterschiedlicheAufteilung der Nachwärme in Sumpfwasserverdampfung undBetonaufschmelzung zurückzuführen.

Oberlegungen ZU Risikogrenzwerten (Safety Goals)von Kernkraftwerken

Von P. A. Gottschalk und A. Jahns 1)

Kurzfassung

In manchen Ländern wird heute die Frage gestellt, inwieweitmit den bisherigen Anlagenkonzepten die zum Schutz der

Bevölkerung getroffene Vorsorge auch gegen äußerst unwahr-scheinl iche Ereignisabläufe, die sogenannten Reaktorunfälle,getroffen ist.

Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst ein Maßstaberforderl ich, der das in probabil istischen Risikoanalysen

aufgezeigte Risiko zu bewerten gestattet, also eine "Meß-latte" für den sicherheitstechnischen Vergleich der Ereig-

nisse aus dem Normal betrieb, aus (beherrschten) Störfällenund aus Unfällen,

In der Fachwelt wird insbesondere diskutiert, ob auf proba-bilistische Überlegungen gegründete Risikogrenzwerte einge-führt werden können.

i) Dr. Peter A. Gottschalk und Dipl,-Phys, Ärmin Jahns sind tech-

nisch-wissenschaftliche Mitarbeiter in der Geschäftsstelle der

Reaktor-Sicherheitskommission bei der G RS,

66

Der Bundesmi nister des I nnern beauftragte daher die G RS,einen den deutschen Verhältnissen angemessenen Konzept-

vorschlag zu erarbeiten. Die GRS orientierte ihre Überle-gungen an folgenden Zielen:

Schutz einer Einzelperson in der Umgebung der Anlage,

Ausgewogenheit des Sicherheitskonzepts der Anlage,rationale Festlegung der Risikogrenzwerte durch direk-ten Bezug auf die Strahlenschutzverordnung.

Schwerpunkt des Konzepts ist der Vorschlag, das Indivi-dualrisiko, resultierend aus dem Gesamtspektrum derEreig-nisse, das heißt vom Normalbetrieb über Störfälle bis hin zuhypothetischen Reaktorunfällen, zu begrenzen.

Hierzu werden Risikogrenzkurven in einem Dosis-Häufig-keitsdiagramm vorgeschlagen. Sie orientieren sich an demRisiko, welches dem in der Strahlenschutzverordnung alsannehmbar definierten Dosisgrenzwert (30 mrem/a) ent-spricht.

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Das von der GRS erarbeitete Konzept kann dazu dienen,unter besonderer Betonung der Ausgewogenheit des Sicher-heitskonzepts, technisch vernünftige Festlegungen auch imUnfall bereich zu treffen.

Mit dem Konzept ist nicht beabsichtigt, die gegenwärtigenund bewährten Methoden der sicherheitstechnischen Beur-teilung zu ersetzen. Vielmehr sind die hier vorgeschlagenen

Maßstäbe und Kriterien als ergänzende Hilfsmittel gedacht,

AbstractIn several countries, experts and authorities are discussing,

to what extent preventive measures to protect the popula-

tion - included so far in concepts of nuclear power plants-are also effective against most unlikely events, the so-ealled

reactor accidents,

The reply to this quest ion requires, first of all, a scale, by

wh ich the risk pointed out in probabilistic risk analyses maybe evaluated, i.e. a "subtense bar" for the safety comparisonof events arising during normal operation, during abnormaloccurrences and during accidents,

Among experts, the discussion concentrates on the question,whether safety goals based on probabilistic considerationsmay be introduced.

The Federal Minister of the Interior therefore entrusted theGRS to work out a proposal for a concept suited to Germancircumstances. GRS oriented its considerations by the fol-lowing objectives:

protection of an individual in the environment of the

plant,

balance of the plants safety concept,rational definition of safety goals with reference to theRadiation Protection Ordinance,

Focal point of the concept is the proposal, to limit the indivi-dual risk that results from the global event spectrum, i.e,normal operation, abnormal occurrences and hypotheticreactor accidents, ,

For th is purpose, risk limit curves in a dose-frequency dia-

gram are proposed. They orient themselves by the risk, doselimit (30 mrem/a) of wh ich is defined in the RadiationProtection Ordinance to be acceptable.The concept worked out by GRS - with special emphasisplaced on the balance of the safety concept - may serve tomake technically rational determinations even for accidents.Th is concept is not intended to replace the existing and

proved safety evaluation methods. The here proposed scalesand criteria are rather conceived as an additional help,

Einleitung

Gegenwärtig wird in einigen Ländern diskutiert, Sicherheits-ziele lSafety Goals') nach probabilistischen Gesichtspunktenim Sinne von Risikogrenzwerten festzulegen, Es wird weiter-hin überprüft, ob und inwieweit derartige Risikogrenzwerte

in Ergänzung zur bisherigen deterministischen Auslegungs-

und Beurteilungspraxis herangezogen werden können.

Eine einheitliche Meinung in der Fachwelt ist zu diesem

Fragenkreis derzeit nicht vorhanden. Im Zusammenhang mitder Diskussion um Risikogrenzwerte für die Sicherheitsbe-urteilung werden verschiedene Zahlen für zulässige bzw, un-zulässige Risiken genannt. Die Betrachtungen beschränkensich bisher meist auf den Unfallbereich,

Im vorliegenden Konzept werden Risikogrenzwerte vorge-schlagen, die sich direkt aus zulässigen Dosiswerten der

Strahlenschutzverordnung (StrISchV) herleiten lassen. Dasganze Spektrum der Ereignisse vom Normalbetrieb bis hin zu

schweren Unfällen wird betrachtet, Der vorgeschlagene An-

satz ergibt sich aus folgenden Überlegungen:Unter "Risiko" wird ein Begriff verstanden, in den Häufig-

keit und Ausmaß von Schadensereignissen eingehen, ZurAbschätzung des Risikos müssen daher möglichst vollständigdie Ereignisabläufe, die zu Freisetzungen von Radionuklidenführen, erfaßt und ihre Wahrscheinlichkeit und ihre Auswir-

kungen ermittelt werden. Hierzu gehören nicht nur die Un-fallabläufe, sondern auch weniger gravierende Ereignisabläufeim Bereich der sogenannten Störfälle sowie Ereignisse desNormalbetriebs. I n diesen Bereichen hat der Gesetzgeber ge-wisse Dosiswerte in der Strahlenschutzverordnung festgelegt,Sie sind im Betrieb und bei der Planung der sicherheitstech-nischen Auslegung der Anlage zugrunde zu legen (30 mrem/abzw. 5 rem Konzept).

Aufgrund der prinzipiellen stochastischen Wirkung der Strah-lung radioaktiver Stoffe im Bereich der vorgenannten zulässi-gen Dosiswerte sind auch bei Einhaltung dieser Werte Schä-

den nicht zwingend ausgeschlossen. Die Einhaltung dieserWerte bedeutet nur, daß die Wahrscheinlichkeit für bestimm-te strahleninduzierte Schäden ein bestimmtes Maß nicht über-schreitet, daß sie verglichen mit anderen vergleichbaren Risi-ken akzeptabel und hinreichend klein erscheint,

Hierdurch wird nun ein Vergleich des unfallbedingten Risikosmit dem rechnerischen und zulässigen strahleninduziertenRisiko ermöglicht, In der Umkehrung kann dieser Wert zurGrundlage für die Formulierung probabilistischer Auslegungs-ziele gewählt werden,

Durch den Bezug auf das 30-mrem/a-Konzept der Strahlen-schutzverordnung beschränkt sich der Vorschlag auf einewichtige Teilfrage der Sicherheit von Kernkraftwerken,nämlich auf eine Betrachtung und Beschränkung des Indi-

vidualrisikos für eine Referenzperson in der Umgebung derAnlage. Ob und inwieweit der Vorschlag um eine Betrach-tung des Kollektivrisikos ergänzt werden muß, wird gegen-wärtig geprüft,

Trotz der durchgeführten Risikostudie und risikoorientiertenStudien ist die Meinungsbildung in der Fachwelt noch nichtdarüber abgeschlossen, ob der heutige Stand der Kenntnisse

ausreicht, um aufbauend auf diesen Studien sehr detaillierteKriterien für Risikogrenzwerte für die Sicherheitsbeurteilungfestzulegen, Das Ziel des nachfolgenden Konzeptvorschlageskann deshalb nur sein, allgemeine Kriterien festzulegen, dieals Richtschnur für die Aufstellung und Weiterentwicklung

detaillierter Sicherheitsanforderungen dienen können,Der Konzeptvorschlag benutzt grundlegende Überlegungen

von A. Birkhofer (1), Er verwendet auch Überlegungen, die

in dem KT A-Entwurf "Konzept für Kriterien zur Bewertungvon angenommenen Ereignisabläufen" (2) niedergelegtsind, Er unterscheidet sich von dem Birkhoferschen Ansatzinsoweit, als hier die Risikogrenzwerte allein aus gemäß

Strahlenschutzverordnung zulässigen Dosiswerten konstruiertwerden,

Der Konzeptvorschlag übernimmt aus dem KT A-Entwurf diegrundlegende Idee der Klasseneinteilung und Klassenzuord-

nung, Der Vorschlag unterscheidet sich insoweit von demKT A-Entwurf, als hier die Ereignisklasseneinteilung um

radiologische Aspekte ergänzt und der Versuch einer Synthe-se von Risikoklassen, Ereignisklassen und radiologischen"Gefährdungsklassen" unternommen wird, Er unterscheidetsich von dem KT A-Entwurf ferner darin, daß aus Gründender methodischen Konsistenz die Zuordnung von Eintritts-wahrscheinlichkeiten und Ereignisklassen anders getroffenwurde.Es ist nicht beabsichtigt, mit dem Konzeptvorschlag neue

sicherheitstechnische Festlegungen zu treffen. Die bewähr-

ten Methoden, Grundsätze und Kriterien der Sicherheits-beurteilung sollen beibehalten bleiben, Die im Konzept

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vorgeschlagenen Kriterien sind vielmehr als ergänzendeHilfsmittel gedacht für die Harmonisierung von Auslegungs-

anforderungen im Sinne eines ausgewogenen Sicherheits-konzeptes. Sie sollen dazu beitragen, im Bereich von Grenz-fällen technisch vernünftige Festlegungen zu treffen. Siekönnen im konkreten Einzelfall ein deterministisches Be-wertungssystem nicht ersetzen, sondern nur ergänzen,

Der Konzeptvorschlag wurde im Auftrag des Bundesmini-

steriums des Innern (BM!) von der GRS in Zusammenarbeitmit einzelnen Mitarbeitern der Gesellschaft für Strahlen- und

Umweltforschung (Neuherberg) und des Kernforschungs-zentrums Karlsruhe erarbeitet. Der Vorschlag gibt nicht not-wendigerweise die Auffassung des Auftraggebers wieder.

Grundzüge des Vorschlages

Die nachfolgenden Maßstäbe und Kriterien sind in ihrem all-gemeinen Teil tvpunabhängig formuliert. In ihren konkretenDetails beschränken sie sich auf Leichtwasserreaktoren

(Typ DWR, 1300 MW elektrische Leistung).Der Vorschlag behandelt folgende Elemente, aus denen einrisikoorientiertes Bewertungsinstrumentarium aufgebaut wer-den kann:

Risikoklassen,

Risikogrenzkurven,

Ereign ishä ufi gke ite n,

Schadensumfänge .

Der Vorschlag sieht gestaffelte Referenzwerte sowohl für dasRisiko als auch für die beiden Komponenten des Risikos,Eintrittshäufigkeit und Schadensumfang vor.

Als Bezugsgröße für die Komponente "Schadensausmaß"wird die Individualdosis betrachtet (Ganzkörperdosis und Or-gandosen bzw. effektive Äquivalentdosis), Insbesonderebei der Bewertung der maximalen Dosis als begrenzendesElement folgt dies zwangsläufig, da entsprechende Vor-

schriften in der Strahlenschutzverordnung bestehen, Wieüblich wird als Bezugsgröße für die Komponente "Wah'r-scheinlichkeit" die Eintrittshäufigkeit (pro Reaktorjahr undStandort) betrachtet, Für quantitative Aussagen wird als

Maß für das "Risiko" das Produkt aus der Eintrittshäufigkeiteines Ereignisses und der zugehörigen Dosisbelastung ange-

sehen. Diesem Ansatz folgt zwangsläufig, daß das strahlen-induzierte Risiko für Mortalität als bedingte Wahrschein-

lichkeit eines Strahlenschadens anzusehen ist. Dosisleistungs-effekte werden allerdings vernachlässigt. Sind mehrere un-erwünschte Ereignisse zu betrachten, ergibt sich aus einerlinearen Superposition der Einzelrisiken das Maß für das Ge-samtrisiko, Zur Abdeckung des Spektrums der denkbarenEreignisse werden wie üblich die Einzelereignisse bzw, EinzeI-ereignisabläufe zu Gruppen bestimmter Freisetzungen zu-sammengefaßt (Freisetzungskategorien) und das probabilisti-sche Bewertungskonzept im Hinblick auf die Freisetzungs-kategorien formuliert.

Bei der Bewertung der möglichen Schädigungen von Ein-zelpersonen wird das Mortalitätsrisiko durch Krebs oderdurch das akute Strahlensyndrom für die wichtigste Scha-densgröße gehalten,

Ein besonderer Schwerpunkt des Konzeptes ist daher einVorschlag, das gesamte Risiko für Mortalität aus dem ge-

samten Spektrum der Ereignisse von Normalbetrieb bishin zu schweren Reaktorunfällen zu begrenzen,

Bei einer quantitativen Bewertung der Gesamtbi lanz des

Mortalitätsrisikos muß die Bedeutung der verschiedenenRisikobeiträge erkenntlich bleiben.

Im Hinblick auf die Ausgewogenheit des Sicherheitskonzep-

tes werden daher ergänzende Maßstäbe zur Bewertung und

68

Begrenzung des Risikobeitrages einzelner Ereignisse vorge-schlagen.

Einzelaspekte des Vorschlages

RisikogrenzkurvenAls erster Schritt werden Risikogrenzkurven in einem Dosis-Häufigkeitsdiagramm vorgeschlagen, Diese Grenzkurven sindFarmerkurven für die Strahlenexposition. Sie orientieren sichan einem konstanten Mortalitätsrisiko, das heißt alle Ereignis-se, die auf diese Kurven fallen, sind unter dem Aspekt derWahrscheinlichkeit für Mortalität gleich zu bewerten,

Eine mögliche Schar von Risikogrenzkurven, die im Hinblickauf Freisetzungskategorien gebildet wurden, ist in Bild 1zu sehen.

Die Konstruktion der Risikokurven (Steigung, Krümmung)

geht von einer linearen Superposition der Mortalitätsrisikenfür Früh- und Spätschäden aus. Die konkrete Form folgtdann unmittelbar aus den entsprechenden Risiko-Koeffi-zienten und Dosis-Risikobeziehungen unter Verwendungder Werte der ICRP-26 (3) und der Deutschen Risikostu-die (4). Die Normierung der verschiedenen Kurven erfolgt

mit Bezug auf unterschiedliche Mortalitätsrisiken, die ausdem 30-mrem/a-Konzept für den Normalbetrieb ableitbarsind.

Die obere Kurve "Risikogrenzkurve I" in Bild 1 entsprichteinem konstanten Mortalitätsrisiko pro Einzelereignis (hier:Freisetzungskategorie), das dem für den Normalbetriebhöchstzulässigen Jahresdosiswert von 30 mrem gleicht. Nachdem Grundsatz "so gering wie möglich" sind die höchstzulässigen Dosiswerte nicht als Toleranzwerte zu verstehen,die in jedem Fall voll ausgeschöpft werden dürfen, Derderzeitige Stand von Wissenschaft und Technik zeigt, daß dieStrahlenbelastung des höchstbelasteten Individuums in derUmgebung von Kernkraftwerken aufgrund von Emissionendes bestimmungsgemäßen Betriebes weit unterhalb der zu-lässigen Dosishöchstgrenze liegt. Die Betriebserfahrungen

zeigen, daß ein Wert von etwa 1 mrem/a erreichbar ist, Dieentsprechende Grenzkurve "Risikogrenzkurve 11" ist nichtin Bild 1 gezeigt. Sie läge in der Mitte zwischen der oberenund unteren Kurve. Die untere Kurve "Risikogrenzkurve 111"

in Bild 1 entspricht einem Wert von 0,03 mrem/a. Dieser

Wert liegt etwa drei Größenordnungen unterhalb des zu-

lässigen Höchstwertes für das höchstbelastete Individuum,

Die Größenordnung des Reduktionsfaktors entsprichtetwa der Erniedrigung der Jahresdosis, wenn nicht dashöchstbelastete Individuum, sondern die mittlere Bevölke-

rung bei der Berechnung zugrunde gelegt wird (5).

Die Kurven in Bild 1 fallen zunächst proportional mit derStrahlenexposition entsprechend dem Risiko somatischerSpätschäden ab, Zur Berücksichtigung des Einflusses vonFrühschäden wurde ein Schwellwert von ungefähr 50 remangenommen. Dies führt dazu, daß entsprechend dem ex-ponentiell ansteigenden Beitrag des Risikos aus Frühschädendie Grenzkurven verstärkt abnehmen,

Mit weiter anwachsender Dosis (D ~ LD50) wächst das indi-viduelle Mortalitätsrisiko nicht weiter an, Dies würde zurFolge haben, daß Grenzkurven, die sich allein an einem kon-stanten Mortalitätsrisiko orientieren, mit weiter anwachsenderDosis nicht weiter abfallen, sondern einem bestimmtenEndwert zustreben. Um dem Grundsatz der Endlichkeit desGesamtrisikos zu genügen, wurde postuliert, daß die 00-sisgrenzlinien über D = LD50 hinaus weiter abnehmen mit derfunktionalen Form cD-v (v ~ 2), Der Exponent und derKoeffizient ergeben sich aus einer Normierung des Gesamt-risikos über den gesamten zu betrachtenden Dosisbereich,

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Mit Bezug auf zulässige bzw. unzulässige oder aufgrund vonBetriebserfahrungen realistische Dosiswerte und üblicheDosis-Risikobeziehungen können verschiedene Grenzkurvenin einem Dosis-Häufigkeitsdiagramm konstruiert werden,

die Gebiete unterschiedlichen Risikos trennen. Es liegt nahe,auf diese Weise mehrere Risikoklassen zu definieren.

Risikokl'assenIn einem gestaffelten Schutz- und Sicherheitskonzept ist eszweckmäßig, mehrere Risikoklassen zu betrachten. Insbe-sondere ist eine Festlegung einer hohen und einer niedrigenRisikoschwelle zweckmäßig. Die hohe Schwelle dient dazu,den Bereich erheblicher Gefährdung vom zulässigen Bereichabzutrennen. Die niedrige Schwelle dient dazu, den Bereichdes "Restrisikos" zu definieren. Es ergeben sich daher drei

Risikoklassen. Qualitatives Kriterium ist "unzulässig/zuläs-

sig/Restrisiko". Ob und inwieweit innerhalb des zulässigen

Bereiches noch einmal zu differenzieren ist, bleibt zu über-prüfen,

Ein Vorschlag zur qualitativen Definition der Risikoklassen

sowie weitere Details sind im folgenden aufgelistet:

Die Risikoklasse I faßt Ereignisse zusammen, die im unzu-lässigen Bereich liegen,

Die Risikoklasse /I faßt Ereignisse zusammen, die im zuläs-

sigen Bereich sind. Die Auslegung der sicherheitstechnischenEinrichtungen hat so zu erfolgen, daß die Klasse erreichtwird.

Die Risikoklasse III faßt Ereignisse zusammen, die deutlich

unterhalb des zulässigen Risikos liegen,

Unter' Ereignissen werden in diesem Zusammenhang Frei-setzungskategorien verstanden, die sich aus einer Zusammen-fassung von Gruppen von Ereignisabläufen zu bestimmtenFreisetzungen ergeben.

Unter dem abgeschätzten Wert der I ndividualdosis der Frei-setzungskategorie wird ein repräsentativer Wert für die ge-gebene Freisetzungskategorie in dem Sinne angesehen, daßein Überschreiten dieses Wertes in der Umgebung der Anlagenicht erwartet wird. Konkreter Vorschlag ist, als repräsenta-tiven Dosiswert jenen Wert zu wählen, der entsprechendden unterschiedlichen Wetterabläufen in 90 % der Fälle un-terschritten wird,

Für eine quantitative Abgrenzung der Risikoklassen in einemDosis-Häufigkeitsdiagramm wird vorgeschlagen, die obere

und untere Grenzkurve aus Bild 1 zu verwenden,

Ein ausgewogenes Sicherheitskonzept zeichnet sich dadurchaus, daß alle Ereignisse in die gleiche Risikoklasse fallen,

. Da im allgemeinen verschiedene Ereignisse zu einer Frei-setzungskategorie beitragen, ist der Risikobeitrag eines ein-zelnen Ereignisses allein (das heißt ohne die Beiträge derübrigen Ereignisse) niedriger als die Summe der Ereignisse,Eine quantitative Abgrenzung der Risikoklassen im Hin-blick auf Einzelereignisse bedarf daher einer Festlegung vonRisikogrenzkurven auf einem niedrigeren Niveau.

Begrenzung des GesamtrisikosAls obere Begrenzung des Gesamt risikos aus allen Ereignis-abläufen kann die Fläche unter den verschiedenen Grenz-

kurven angesehen werden. Mathematisch ergeben sie sichals Integrale über die Kurven. Das ist stets eine obere Grenz-abschätzung, Sie geht quasi von unendlich vielen Freiset-zungskategorien aus.Wird eine Begrenzung des Risikos aus den Freisetzungs-kategorien im gesamten Spektrum von Normalbetrieb,Störfall, Unfall auf die obere Grenzkurve (Risikogrenz-kurve I) gefordert, wäre dies äquivalent mit der Forderungnach einer Begrenzung des Individualrisikos auf einen Wert,

100

-.Jahr

10-2

t 10-4

~Cl'S:11J: 10-6

00~¿;\Q~\.;'jN'b~J

10-810-2 100 102 rem 104

Dosis -

,Bild 1: Risikoklassen in einem Dosis-Häufigkeitsdiagramm

der dem Dreifachen des Störfallplanungsrichtwertes ent-spricht.

Der Wert gleicht etwa dem Wert, der im Zusammenhang miteiner außergewöhnlichen Strahlenexposition für das beruflichstrahlenexponierte Personal zulässig ist (§ 50 StrlSchV),

Beim Überschreiten dieses Wertes ist es daher gerechtfertigt,von einer "erheblichen Gefährdung" zu sprechen.

Bei Begrenzung auf die 1 mrem/a-Kurve (Risikogrenzkurve 11)

ergibt sich ein Wert, der rechnerisch dem zehnten Teil desfür einen einzelnen Störfall zulässigen Planungsrichtwertes

gleicht, Dieser Wert ist identisch mit dem Jahresdosis-Wert

der Euratom-Norm (6) für den Norma Ibetrieb. Es ist dahergerechtfertigt, von einem "zulässigen Gesamtrisiko" zusprechen.

Würde eine Begrenzung auf die untere Kurve (Risikogrenz-kurve 111) gefordert, wäre diese Forderung äquivalent miteiner Begrenzung des I ndividualrisikos aus dem gesamtenSpektrum möglicher Ereignisse auf einen Wert, der der Hälftedes für den Normalbetrieb zulässigen Wertes gleicht. MitRecht kann man daher von "signifikant unterhalb des zuläs-sigen Risikos" sprechen,

EreignisklassenIm Zusammenhang mit probabilistischen Überlegungen istzwischen "Risiko", "Schaden" und "Wahrscheinlichkeit" zuunterscheiden. Ereignisse zu gleichen Risikokennzahlen kön-nen sich in den beiden Komponenten "Wahrscheinlichkeit"und "Schaden" unterscheiden. Eine Bewertung allein nachRisikogesichtspunkten würde auf die, differenzierte Beurtei-lung von "Schaden" und "Wahrscheinlichkeit" verzichtenund wäre eine unzulässige Vereinfachung.

Um dem übergeordneten Grundsatz - der Verhütung vOnSchäden - zu genügen und um auf eine hinreichend hoheWirksamkeit, Funktionsfähigkeit und Zuverlässigkeit vonSystemen zur Beherrschung von Anlagentransienten oderStörfällen hinzuwirken, bedarf es daher zunächst zusätzlicherKriterien, nämlich Kriterien zur Beurteilung der Risiko-

komponente "Wahrscheinlichkeit".

Um eine derartige ergänzende Bewertung durchführen zukönnen und insbesondere um auch einen Bezug zur bisheri-gen Auslegungspraxis herzustellen (Liste der zu betrachten-den Störfälle) und das Instrumentarium praktikabel zu ge-stalten, wird zusätzlich zur Risikoklasseneinteilung eine

Ereignisklasseneinteilung nach Maßgabe der Eintrittshäufig-

69

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100

1

Jahr

10-2 ~,10-4

\\\

CD \.: II \Cl'5 \'co \J: 10-6 \, \\ \

iv \ \\ \\ \

10-81 i i I \ i i10-2 100 102 rem 104

Dosis -

Bild 2: Ereignisklassen

keit von Ereignissen vorgeschlagen. Als Kriterium gilt "zu

erwarten/nicht zu erwarten". Bezugsmaßstab ist eine re-präsentative Zeitskala. Dabei liegt folgender Gedanke zu-grunde: Es gibt Ereignisse, die in jeder Anlage im Laufe derBetriebszeit vorkommen. Diese sind anders zu bewerten alssolche, di.e allenfalls einmal in einer Gesamtheit von jetzi-gen und zukünftigen Anlagen zu erwarten sind, bzw. nachmenschlichem Ermessen oder physikalisch-technisch ausge-schlossen sind.

Ein Vorschlag zur qualitativen Abgrenzung der Ereignissenach Maßgabe ihrer Häufigkeit ist folgender:

Die Ereignisklasse 1 faßt die Ereignisse zusammen, die wäh-rend der rechnerischen Betriebszeit einer Anlage zu erwartensind.

Die Ereignisklasse 11 faßt die Ereignisse zusammen, die wäh-rend der rechnerischen Betriebszeit einer Anlage nicht zuerwa rten sind, die aber in der kumu lativen rechnerischen

Betriebszeit einer repräsentativen Gruppe von mehrerenAnlagen für eine der Anlagen nicht ausgeschlossen werden

können,

Die Ereignisklasse 111 faßt Ereignisse zusammen, die wederwährend der rechnerischen Betriebszeit einer noch währendder kumu lativen rechnerischen Betriebszeit einer Gruppe von

100

1

Jahr

10-2

10-4

,\\\\\\\\\\\\\

"ff.:2'::'coi 10-6

II

,\\II IIV\

10-8100 102 rem 104

Dosis -Bild 3: Radiologische Gefährdungsklassen

10-2

70

mehreren Anlagen für eine der Anlagen zu erwarten sind, dieaber nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossenwerden können.

Die Ereignisklasse 1 V faßt die Ereignisse zusammen, die nachhistorischen Maßstäben und Maßstäben der praktischenVernunft während der kumu lativen rechnerischen Betriebs-zeit einer repräsentativen Gruppe von mehreren Anlagenso gut wie ausgeschlossen sind,

Referenzwerte zur quantitativen Abgrenzung der Klassensind in Bild 2 vorgeschlagen,

Radiologische GefährdungsklassenAls nächster Schritt müssen Kriterien zur Beurteilung der

Risikokomponente "Schaden" eingeführt werden.

Um eine derartige ergänzende Bewertung durchführen zukönnen und um auch einen Bezug zur bisherigen Auslegungs-praxis (Dosiswerte der Strahlenschutzverordnung) herzu-

stellen, wird eine Klasseneinteilung nach Maßgabe radio-

logischer Belastungen vorgeschlagen, Bezweckt wird mit die-ser Einteilung, im gesamten Spektrum möglicher Dosiswerteeine Differenzierung nach Art und Ausmaß möglicher Strah-lenerkrankungen vorzunehmen.

Als Arbeitstitel wird der Begriff "radiologische Gefährdungs-klasse" gewählt.

Eine Grobklassifizierung ist zunächst durch den SchweII-wert für akute Strahlenfrühschäden selbst gegeben, Eine feine-re Detaillierung folgt im Bereich niedriger Dosen durch dieDosiswerte der Strahlenschutzverordnung (30 mrem/5 rem).Im Bereich ho her Dosen ist es üblich, Referenzwerte für diemittlere tödliche Strahlendosis (LD50) anzugeben.

Aus diesem Grunde erscheint es zweckmäßig, eine Klassi-fizierung in vier Gefährdungsklassen vorzunehmen, Als

qualitatives Kriterium zur Klasseneinteilung wird vorge-schlagen, das Kriterium "Frühschäden/Spätschäden zu er-warten/nicht zu erwarten" zu verwenden, Vorschläge quali-

tativer und quantitativer Art zur Abgrenzung der "Gefähr-dungsklassen" (siehe auch Bild 3):

Die Gefährdungsklasse 1 faßt die Ereignisabläufe zusammen,bei denen die Strahlenbelastung unterhalb der nach StrlSchVfestgelegten jährlichen Dosisgrenzwerte für den Normalbe-trieb liegt ("; 30 mrem Ganzkörper-Individualdosis), DieserWert entspricht etwa der jährlichen Schwankungsbreiteder natürlichen Strahlenbelastung.

Die Gefährdungsklasse 11 faßt die Ereignisabläufe zusammen,bei denen die Strahlenbelastung unterhalb der nach StrlSchVfestgelegten jährlichen Dosisgrenzwerte für beruflich strah-lenexponiertes Personal liegt (,, 5 rem Ganzkörper-I ndivi-

dualdosis). Dieser Wert entspricht dem in der StrlSchV fest-gelegten Planungswert für Störfälle,Die Gefährdungsklasse 111 faßt die Ereignisabläufe zusam-

men, bei denen Strahlenbelastungen für das Individuum von5 bis 50 rem effektive Ganzkörperdosis zu erwarten sind. Indiesem Bereich sind maligne Strahlenspätschäden für dasIndividuum sehr selten; letale Strahlenfrühschäden für dasIndividuum sind ausgeschlossen.

Die Gefährdungsklasse 1 V faßt die Ereignisabläufe zusam-

men, bei denen Strahlenbelastungen für das Individuum von50 bis 400 rem effektive Ganzkörperdosis auftreten können.

In diesem Bereich überwiegen maligne Strahlenspätschäden

für das Individuum; akute Strahlenfrühschäden für dasIndividuum könnten bei bis zu 50 % der Fälle auftreten.

Folgende Gesichtspunkte sind bei der Ermittlung der Dosis-belastung maßgebend:

die Zuordnung von Ereignisabläufen zu relevanten Frei-setzungskategorien,

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das abgeschätzte Ausmaß der jeweils in den Freisetzungs-kategorien freigesetzten Anteile radiologisch repräsenta-

tiver Nuklide,

die abgeschätzte Häufigkeit für repräsentative Wetter-

abläufe,

Ähnlich wie beim Dosiskonzept sollten auch bei der Er-mittlung der Freisetzung und des Transports von Spalt-nukliden Referenzwerte zugrundegelegt werden.

Zuordnung der KlassenDie beiden Komponenten "Schaden" und "Wahrscheinlich-keit" können keine eigenständigen Bewertungsgrößen sein,

Dies ist schon in der Tatsache begründet, daß bei beliebigkleinen E intrittswahrscheinlichkeiten beliebig unwahrschein-liche und unglaubwürdige Ereignisse und Störfallszenarienpostulierbar werden. Daher läßt sich stets für ein gegebenesSchadensausmaß mit gegebenen auslösenden Ereignissen undStörfallszenarien ein noch größeres Schadensausmaß kon-struieren für entsprechend unwahrscheinlichere und un-

glaubwürdigere Szenarien.

Ein Risikokonzept muß also neben einer Bewertung des"Risikos" und einer Bewertung der Komponenten "Scha-den" und "Wahrscheinlichkeit" auch eine konsistente Zu-ordnung von den einzelnen Risikokomponenten ermöglichen,Eine Möglichkeit, derartige innere Konsistenz zu erzielen,liegt in der geeigneten Zuordnung von Risikoklassen, Ereig-nisklassen und Gefährdungsklassen.

Eine solche Zuordnung mit der speziellen Wahl der hier vor-'geschlagenen Referenzwerte ist in Bild 4 gezeigt.

Besonders bemerkenswert erscheint, daß die radiologischenAuswirkungen von Ereignissen, die während der kumulativenrechnerischen Betriebszeit einer repräsentativen Anzahl vonAnlagen nicht auszuschließen sind, innerhalb zulässiger

Dosiswerte verbleiben. Damit ist ein direkter Bezug zur der-zeitigen Auslegungspraxis gegeben,

Schlußfolgerungen und Ausblicke

b zeigt sich, daß die Erstellung eines einheitl ichen Konzepts

mögl ich ist, wenn man Risikogrenzwerte - gestützt auf das30-mrem/a-Konzept der Strahlenschutzverordnung - ableitetund als zulässig ansieht. Insbesondere ergeben sich vernünfti-ge Referenzwerte für höchstzulässige E intrittswahrschein-lichkeiten in Verbindung mit höchstzulässigen Dosiswerten,

Es ergibt sich ferner eine konkrete Staffelung eines diffe-renzierten Schutz- und Sicherheitskonzeptes h insichtl ich derdrei Größen "Risiko", "Wahrscheinlichkeit" und "Schaden".Das Konzept ist hinreichend allgeme in gehalten, Es kann alsRichtschnur für die Modifikation und Weiterentwicklung vondetaillierten Sicherheitsanforderungen nach risikoorientiertenGesichtspunkten dienen.Als Testbeispiel für das Konzept wurde mit einer modifizier-ten Version des Rechenprogramms UFOMOD/B 3 des KfKfür jede der in der "Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke"angegebenen Freisetzungskategorie (FKl bis FK8, (7)) die

Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ganzkörperdosis (50 a Fol-gedosis aus allen Expositionspfaden) für verschiedene Entfer-nungen vom Ort der Freisetzung berech net (8l

Die vorläufige Bewertung der analytischen Ergebnisse imRahmen dieses Konzepts zeigt, daß neue sicherheitstechni-

100

1

Jahr

10-2

t 10-4,\

\\\\\\\\\\\\

-~i§ f- II:Cli 10-6

I~II

10-810-2 100 102 rem 104

Dosis -

Bild 4: Zuordnung von Ereignisklassen und radiologischen Getähr-d ungsk lassen

sche Auslegungsanforderungen nach risikoorientierten Ge-sichtspunkten nicht erforderl ich sind. Die getroffenen Vor-sorgemaßnahmen sind ausreichend. Auch im Bereich derUnfälle bleibt das individuelle Mortal itätsrisiko im Rahmendes Zulässigen, Augenfällig wird mit diesem Ergebnis diesestets gehegte Überzeugung demonstriert.

Gegenwärtig wird diskutiert, ob und inwieweit im Unfall-bereich Einzelfallentscheidungen für die sicherheitstechni-sche Auslegung getroffen werden können. Da das vorgelegteKonzept auch diesen Bereich mit abdeckt, bietet es eineHilfestellung, wie unter besonderer Betonung der Ausge-wogenheit des Sicherheitskonzepts technisch vernünftigeFestlegungen auch hier getroffen werden können.

Schrifttum

(1 J Birkhofer, A.: Das Risikoproblem in der Technik: Möglichkeitenund Grenzen der Beurteilung technischer Risiken, Bitburger Ge-spräche, Jahrbuch 1980/1981, C. H.Beck'sche Verlagsbuchhand-lung (München 1981)

(2J Konzept für Kriterien zur Bewertung von angenommenen Er-eignisabläufen (März 1981, KTA-Dok.-Nr. UA-SF/81/5)

(3J Annals of the ICRP, Recommendations of the InternationalCommission on Radiological Protection, ICRP Publ. 26, Perga-mon Press (1977)

(4J Gesellschaft für Reaktorsicherheit: Deutsche Risikostudie Kern-kraftwerke. Hauptband, Hrsg.: Der Bundesminister für For-schung und Technologie, Bonn; Verlag TÜV Rheinland (1980)

(5J Jacobi, W.: Strahlenexposition und Strahlenrisiko der Bevölke-rung. Phys. BI. 38 (1982) Nr. 5 p. 122

(6J Official Journal of the European Communities, No L 246,Vol23 (17.09.1980) p.8

(7J siehe Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke; a.a.O., p. 167(Hauptband) :FK 1 Kernschmelzen mit DampfexplosionFK2 Kernschmelzen, großes Leck im SicherheitsbehälterFK3 Kernschmelzen, mittleres Leck im SicherheitsbehälterFK4 Kernschmelzen, kleines Leck im SicherheitsbehälterFK5 Kernschmelzen, Überdruckversagen, Ausfall der Störfall-

filterFK6 Kernschmelzen, ÜberdruckversagenFK7 Beherrschter Kühlmittelverluststörfall, großes Leck im

SicherheitsbehälterFK8 Beherrschter Kühlmittelverluststörfall

(8J Ehrhardt, J.: (KfK, INR), persönliche Mitteilung

71

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Diskussion

R. K r i e g (KfK, Karlsruhe):

Ich halte das Festschreiben von sehr niedrigen zulässigen

Risiken für fraglich, Woher stammen diese Werte? Sie erge-ben sich aus den Risikountersuchungen für die gegenwärtig

gebauten Leichtwasserreaktoren. Sie entsprechen aber keines-wegs dem, was Menschen sonst als Risiko zu akzeptierenbereit sind. Die verbindliche Festlegung von zulässigen

Risiken wäre nur sinnvoll, wenn sie auch in anderen Be-

reichen der Technik Anwendung finden würde,

P.A,Gottschalk (GRS):

Für den nuklearen Bereich hat der Gesetz- bzw. Verord-

nungsgeber spezielle Regelungen getroffen. Hierzu gehören

auch die in der Strahlenschutzverordnung festgelegtenDosiswerte, insbesondere der Wert für die Jahreshöchst-belastung im bestimmungsgemäßen Betrieb (§ 45 StrISchV).Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist, daß eine etwaigeFestlegung von zulässigen oder unzulässigen Risiken sichdaran orientieren sollte, ob diese Risiken mit den in derStrahlenschutzverordnung bereits getroffenen Festlegungen

verträglich sind, Unsere vorgeschlagenen Werte stammen alsonicht aus Akzeptanzuntersuchungen, Sie stammen auch nichtaus Risikountersuchungen gegenwärtig in Betrieb befind-licher Leichtwasserreaktoren. Vielmehr diente das gezeigte

Beispiel (Bewertung einiger Ergebnisse der Deutschen Risiko-studie, Phase A) der Veranschaulichung, wie eine Bewertungvon Ereignissen bis hin zu den schweren Reaktorunfällen

im Rahmen unseres Konzeptes vorgenommen werden kann,Ich stimme Ihnen allerdings darin zu, daß die Risikoreferenz-werte unseres Vorschlages zwangsläufig sehr niedrig sind undinsbesondere keine signifikante Erhöhung bestehender Ge-sundheits- oder sonstiger Risiken beinhalten, Dies ist deshalbso, weil die Dosiswerte der Strahlenschutzverordnung, insbe-sondere der Wert für den bestimmungsgemäßen Betrieb, soniedrig sind, daß die damit rein rechnerisch verbunçlenen

Strahlenschadensrisiken weit unterhalb bestehender Risiken

liegen,

Ob und inwieweit eine Regelung gefunden werden kann, diealle Bereiche der Technik gleichermaßen abdeckt, wage ichzu bezweifeln,

J, Me h I (BMI, Bonn):Die von Ihnen erarbeiteten Vorschläge betrachteten bisherallein das Individual risiko, Dies ist insofern unbefriedigend,

als für die Beurteilung gesundheitlicher Beeinträchtigungen

der Bevölkerung infolge von Tätigkeiten, die mit Strahlen-expositionen verbunden sind, dem kollektiven Risiko sichereine höhere Bedeutung als dem individuellen Risiko beizu-messen ist. Ist eine entsprechende Ergänzung Ihrer Arbeitenvorgesehen?

P.A,Gottschalk (GRS):

Ja, eine entsprechende Ergänzung ist selbstverständlich vor-gesehen, erste Arbeitsergebnisse liegen bereits vor. Insbeson-dere überprüfen wir, ob die vorgeschlagene Begrenzung des

I ndividualrisikos schon eine vernünftige Begrenzung desKollektivrisikos ergibt oder ob ergänzende Kriterien einge-führt werden müßten, Die Untersuchungen zu dieser Fragesind noch nicht abgeschlossen.

72

S. eh a k ra bor t y (Hauptabteilung für Sicherheit der

Kernanlagen, Würenlingen):

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wäre keine Notfall-schutzplanung erforderlich, da auch die hypothetischen

Unfälle im Bereich des zulässigen Risikos liegen, Andersausgedrückt: Welchen Stellenwert hat die Notfallschutz..planung in Ihrem Konzept?

P.Gottschalk (GRS):

Die Rechnungen unseres Anwendungsbeispieles wurden mitdem Unfallfolgemodell UFOMOD/B3 des KfK durchgeführt,den gezeigten Ergebnissen liegen also die gleichen Schutz-und Gegenmaßnahmen zugrunde, die auch in der DeutschenRisikostudie verwendet und dort im Detail besprochenworden sind, Im Sinne des "Safety-Goals"-Konzeptes könnteman im Hinblick auf den Stellenwert der Notfallschutz-maßnahmen so formulieren: Derartige Maßnahmen müssendurchführbar sein, Eine "Meßlatte" für die Mindestqualität

dieser Maßnahmen ist, daß - bei gegebenen sonstigen Rand-bedingungen wie Standort, sicherheitstechnische Auslegungder Anlage etc. - die vorgeschlagenen Referenzwerte erreich-

bar sind.

M. T s c her n e r (TÜV Rheinland, Köln):Die von Ihnen genannte "Meßlatte" von 30 mrem/a aus derStrahlenschutzverordnung verliert ihre Bedeutung, wennman den Ausführungen von Professor Oberhausen folgendim unteren Dosisbereich die lineare Dosis-Wirkungs-Be-ziehung in Frage stellt.

P.A.Gottschalk (GRS):

Es ist richtig, daß wir für den niedrigen Dosisbereich eine

lineare Dosis-Risiko-Beziehung unterstellt haben. Dies ent-

spricht dem derzeitigen Stand der gesicherten Erkenntnisse,

Eine lineare Dosis-Risiko-Beziehung liegt auch den derzeitgültigen Empfehlungen maßgeblicher Gremien auf dem Ge-biet des Strahlenschutzes zugrunde. Sollte es sich als richtigerweisen, daß eine andere funktionelle Abhängigkeit des

Risikos für stochastische Schäden im Bereich kleiner Dosenzu unterstellen ist, wird unserer Auffassung nach das Kon-zept nicht in Frage gestellt. Vielmehr ist im Hinblick auf

die Konstruktion der Risikogrenzkurven dann diese andere

funktionelle Abhängigkeit zu beachten. Wie Sie anhand vonBild 1 sehen, wird sich im unteren Dosisbereich lediglich

die Form der Kurven ändern.

H. V 0 s s e b r eck e r (Interatom, Bergisch Gladbach):

Mich hat Ihre Antwort nicht ganz befriedigt. Nach meinemVerständnis ging die Festlegung der 30 mrem von der Exi-stenz einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung aus. Ist diesenicht mehr gegeben, so müssen meines Erachtens auch die

30 mrem als Festpunkt für Ihr Konzept entfallen.

P,A.Gottschalk (GRS):

In meiner soeben gegebenen Antwort habe ich unterstellt,daß die Dosiswerte der Strahlenschutzverordnung - insbe-sondere der 30-mrem/a-Wert für den bestimmungsgemäßen

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Betrieb - aufgrund eines neuen Kenntnisstandes über die

Natur der strahlenbiologischen Wirkung von Strahlungen

nicht geändert werden. Sollten sich die Werte der Strahlen-schutzverordnung ändern, so müßte sicherlich überprüftwerden, welche Änderungen in unserem Konzept vorzu-nehmen sind.

W. Kr ö ger (KFA, Jülich):1, Warum wurde als Maß für die "Häufigkeit" die Frei-

setzungshäufigkeit und nicht die Häufigkeit für dasAuftreten der zugehörigen Dosis gewählt?

2, Mit welcher Begründung wird die Risikokurve bei 10-8 /aabgeschnitten?

3, Nach welcher Methode sollen Häufigkeit und Dosis be-rechnet werden, zum Beispiel DRS-Methodik oder Stör-fall-Leitlinie?

P, A, G 0 t t s c hai k (GRS):Zu Frage 1: Die Häufigkeit für das Auftreten einer Dosissetzt sich zusammen aus der Häufigkeit für die entsprechen-de Freisetzung und aus der bedingten Wahrscheinlichkeit

für das Eintreten dieser Dosis bei der gegebenen Freisetzung.

Die letzte Größe hängt von weiteren Randbedingungen ab,wie etwa verschiedenen Wetterabläufen, Sie ist kleiner als 1.Wenn, wie hier vorgeschlagen, die Häufigkeit der Freisetzung

als Maß für die Komponente "Wahrscheinlichkeit" gewähltund als Ordinatenwert in Verbindung mit dem 90-%-Fraktil-wert der Dosisverteilung verwendet wurde, führt das in derRegel auf eine zweckmäßige, aber konservative Grenzab-schätzung des Risikos, Dieser Sachverhalt hängt allerdingsvon der speziellen Form der Dosisverteilung (bei gegebenen

Freisetzungen) ab. Er sollte im Einzelfall überprüft werden.

Zu Frage 2: Die gezeigten Referenzkurven können grund-

sätzlich auch über einen Wert von 10-8 /a extrapoliertwerden. Bei der Normierung der Referenzkurven wurde bei-spielsweise formal mathematisch der gesamte Dosisbereich

bis D -¡ 00 betrachtet, Die Kurven wurden also nicht "abge-schnitten", Die aezeigten Beispiele lagen allerdings alle imBereich bis 10- /a, Aus diesem Grunde umfaßten die Ab-bildungen nur .~i~en . begr~nzten Abschnitt... Unabhänaigdavon, ob es moglich ist, die Referenzkurven uber 10- /ahinaus zu extrapolieren, sollte allerdings auch die Frage ge-

steilt werden, ob ein soches Vorgehen vernünftig ist, Wirsehen derzeit keine Veranlassung für ei ne derartige Extra-polation,

Zur Frage 3: Die gezeigten Beispiele wurden mit Hilfe derDRS-Methodik berechnet, Es wurde insofern eine Weiterent-wicklung der DRS-Methodik verwendet, als direkt die Dosis-verteilung (Individualdosis für eine Referenzperson) in derUmgebung der Anlage berechnet wurde. Die Beispiele unddas Verfahren dienten zur Erläuterung unseres Konzeptes.

Es ist nicht unsere Absicht, schon heute technische Einzel-

heiten festzulegen.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Von L. F. Franzen 1)

Aufgabe der früheren I RS- und der jetzigen G RS-Fachge-spräche war es, neue zukunftsweisende Entwicklungen, so-weit sie zur Sicherheitsgewährleistung kerntechnischer An-

lagen - insbesondere Kernkraftwerken - beitragen, einmalim Jahr zur Diskussion zu stellen, Sicherheitsgewährleistungsetzt voraus, daß zuvor die Risiken und ihre maßgebl ichen

Elemente ermittelt worden sind, es damit jedoch noch nichtsein Bewenden hat, sondern im Rahmen einer allgemeinenSicherheitsph ilosoph ie R isikomi nimierung betrieben wird.Dieses 82er GRS-Fachgespräch hat anhand in letzter Zeitdurchgeführter Arbeiten und Überlegungen den erreichtenStand der Risikountersuchungen bei Kernkraftwerken dar-zustellen versucht. Es gehört in die Reihe der Veranstaltun-

gen, an denen man das Vordringen probabilistischer Unter-suchungsmethoden in Ergänzung der traditionellen determi-nistischen Verfahren ablesen konnte, Welch ein weiter Wegvon der ersten derartigen Veranstaltung, die 1969 im Ham-burger Hotel Norge stattfand - unter Beteiligung des Alt-me isters der probab il ist ischen Betrachtungsweise, einsch i ieß-Iich Vorgabe von Risikogrenzwerten, F.R, Farmer - bis zudieser Veranstaltung im Kölner Gürzenich. Auf Marksteine

1) Dipl.-Phys. L. Ferdinand Franzen, International Atomic EnergyAgency (IAEA), Wien

am Wegesrand soll nur verwiesen werden, die amerikanischeReaktorsicherheitsstudie aus dem Jahre 1975 und die deut-sche Risikostudie von 1979, beide bereits Gesch ich te ausheutiger Sicht, doch für die seinerzeit Beteiligten ein Vor-stoß in ungewisses Neul and, ein wissenschaftl ich-tech ni-sches Abenteuer,

Drei Themenkreise sind es, denen sich die heutigen Vorträgeund Diskussionen zuordnen lassen:

Risikoorientierte Analyse zum SNft-300,Fortführung der deutschen Risikostudie, der sogenanntenPhase B, für die bekanntlich der KWU-DruckwasserreaktorModell steht, und

Versuch einer systematischen Sicherheitsph ilosoph ie, ge-kennzeichnet durch das Schlagwort "Safety Goals".

Was ist von dem, das in Vorträgen und Diskussionen gesagt

wurde, haften geblieben, was nehmen wir also davon mit nachHause?

Wie erinnerlich, war die "Risikoorientierte Analyse zumSNR-300" eine Auftragsarbeit zur Unterstützung der En-quete-Kommission des Deutschen Bundestages bei der Er-arbeitung ihrer Empfehlungen zur I nbetriebnahme der

Anlage, Die gestellte Aufgabe bestand darin, das Stör- bzw.

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Unfallrisiko des SNR-300 mit dem des zuvor ermitteltenRisikos eines Kernkraftwerks mit Druckwasserreaktor zuvergleichen, Zu den wesentl ichen Ergebnissen zählt zweifel-los, daß die Unfallfolgen, errechnet für den Standort Kalkar,erheb! ich geringer sind. Zieht man für diese Schlußfolgerungdie ermittelten Frühschäden heran, die nur oberhalb eines

bestimmten Schwellenwertes auftreten können, so wird die-ser Wert nicht einmal erreicht, geschweige denn überschrit-

ten. Dabei ist es sogar unerhebl ich, ob Evakuierungsmaßnah-men berücksichtigt werden oder auch nicht, Die somatischenSpätschäden, die wie schon bei der deutschen Risikostudiefür die einzelnen Freisetzungskategorien aufgrund einer

linearen Dosis-R isiko-Beziehung ermittelt wurden, liegen

rund eine Größenordnung, das heißt beträchtl ich niedrigeral s beim Druckwasserreaktor. Es ist verständl ich, daß sich dieFrage nach den dafür verantwortl ichen Ursachen stellt. Essind dies

der niedrige Systemdruck, der große Abstand zwischenBetriebs- und Siedetemperatur des Kühlmittels und dassogenannte Cavity-Konzept, wodurch mögl iche Kühl-mittelverluste begrenzt werden,

die guten Wärmeübertragungseigenschaften und das hohe

Wärmespeichervermögen des Kühlmittels,

die große Zuverlässigkeit der Reaktorschutz- und Ab-schaltsysteme,

die Rückhalt- und Kühl barkeit des geschmolzenen Kerns

im Reaktortank und

das Doppelcontai nme nt,

Zusammengenommen erreicht das Sicherheitskonzept, daßdie ursprünglich dem schnellen Brutreaktor eigenen Nachtei-

le nicht nur durch geeignete tech nische Lösungen aus ge-gl ichen, sondern sogar überkompensiert werden.

Es sind natürl ich noch ein paar Einzelheiten, auf die einigeWorte verwendet werden sollen: Da sind zunächst die Wärme-abfuhrsysteme, das strangspezifische in 3 x 100-%-Ausfüh-

rung und das Tauchkühlsystem in 2 x 100-%-Ausführung,also eine überreichliche Redundanz, Dann zwei weitest-gehend unabhängige und diversitäre Schnellabschaltsysteme,von denen jedes durch sein eigenes Reaktorschutzsystemausgelöst wird, Weiter die Möglichkeit, bei Ausfall des

Zwangsumlaufs die Nachzerfallswärme im Naturumlauf ab-zuführen. Schi ießI ich das außerordentl ich träge Temperatur-verhalten des SNR-300 beim Ausfall aller Nachwärmeab-fuhrsysteme, das einen geringeren Temperaturanstieg pro

Zeiteinheit als beim Hochtemperaturreaktor mit seiner be-kanntermaßen hohen Wärmekapazität bedingt; Anders alsbeim Druckwasserreaktor ergibt sich hier kein wesentl icherRisikobeitrag,

Unterstellt man eine Kernzerstörung infolge Versagens der

Sch nellabschaltsysteme, so sind - anders als beim Druck-

wasserreaktor, der nicht mehr ausreichend gekuhlt werden

kann - die Unfallabläufe ohne nennenswerte Energiefrei-setzung am wahrscheinl ichsten. Dann werden die geschmol-zenen Kernmaterial ien innerhai b des Reaktortanks zurückge-halten. Nur in etwa 8 % aller Fälle, wenn durch mechanischeE nergiefreisetzung Einbauten beschädigt, Natrium-Strö-mungspfade beeinträchtigt oder die Rückhaltestrukturen zuhohen Temperaturen ausgesetzt sind, könnte die Kern-schmelze den Reaktortank durchdringen, Dieser Wert istwegen der in die Rech nungen eingegangenen pessimistischen

Annahmen eher zu hoch als zu niedrig und dürfte bei detail-lierterer Untersuchung geringer ausfallen. Damit ist ein weite-rer wichtiger Punkt in der SN R-Sicherheitsdiskussion identi-

fiziert: die hohe Rückhaltefähigkeit der Kernschmelze inner-hai b des Reaktortanks,

74

Und schließlich läßt sich die SNR-Sicherheit noch am Con-tainme nt demonstrieren, das mehrschal ig aufgebaut ist (inne-res und äußeres Containment, gasdichte Stahlblechhülle) undversch iedene zugehörige Sicherheitseinrichtungen wie Boden-kühleinrichtung, Sicherheitsventil des inneren Containmentssowie Re- und Exventingsystem für den Raum zwischenäußerem Containment und Stahlblechhülle aufweist. Selbstbei Ausfall aller dieser Sicherheitseinrichtungen, nur der

selbsttätige Lüftungsabschluß des Containments funktioniertbestimmungsgemäß, ist der Druckanstieg noch so langsam,daß erst nach mehreren Tagen (eingerechnet die Zeit biszum Versagen des Reaktortanks) die Integrität nicht mehrgegeben ist.

Bei den Untersuchungen zur Aktivitätsfreisetzung, beispiel-haft gezeigt für die Fälle spätes Versagen des äußeren Con-tainments (nach Durchschmelzen des Reaktortanks, Ver-sagen des Liners im inneren Containment und Wasserstoff-verbrennung im äußeren Containment nach Ausfall desRe- und Exventingsystems) und frühes Versagen des äußeren

Containments infolge Druckaufbaues (nachdem das innereContainment der mechanischen Energiefreisetzung nichtstandgehalten hat), ging es um die möglichst detaillierteErfassung der Freisetzungs- und Transportvorgänge vonSpaltprodukten und Brennstoff. Interessant ist vor allemder Fortschritt bei der Berücksichtigung der aerosolphysi-

kai ischen Gegebenheiten in den eingesetzten Rechenpro-grammen, wodurch - wie nicht anders zu erwrten - dieBedeutung des Containme ntsystems für die Aktivitätsrück-haltung bzw, vermi nderte Aktivitätsfreisetzung in die Umge-bung unterstrichen wird, Berücksichtigt sind Sedimentation,

Diffusion zu den Wandungen, Thermophorese zu kühlerenOberflächen und Koagulation, desgleichen Aerosolnach-lieferung und -austrag aus dem betrachteten Compartment.Nicht berücksichtigte weitere Effekte wirken sich pessi-mistisch aus, das heißt verschieben das Ergebnis nach der

sicheren Seite, In der deutschen Risikostudie für den Druck-wasserreaktor konnten diese Vorgänge noch nicht so nachge-bildet werden, deshai b die erhebl iche Überschätzung derSpaltproduktfreisetzung und davon abhängig der Unfall-folgen sowie die vielversprechenden Arbeiten zur Verbesse-

rung der hierfür eingesetzten Rechenprogramme. Für dieSNR-Studie ergeben sich im ersten Fall (wegen der relativlangen Einschlußzeit) naturgemäß die stärksten Auswirkun-gen: Ausgenommen die Edelgase, werden rund 95 % der indie Containmentatmosphäre freigesetzten Aktivitäten zurück-gehalten. Im zweiten Fall sind es immerhin noch rund 80 %Rückhaltung, hier zurückzuführen auf die infolge massiverFreisetzung in die Containmentatmosphäre bedingte hoheKonzentration und rasche Ablagerung,

Die Expertenbefragung zur Kernzerstörung und zur dabeifreigesetzten Energie, wovon Integrität des Reaktortanksund Spaltprodukteinschluß abhängen, also zur Gewinnung

einer Wahrscheinlichkeitsverteilung für die mechanischeEnergiefreisetzung, war vor einigen Monaten noch Gegen-stand von Auseinandersetzungen in der Tagespresse, Diebesonders ausführliche Behandlung hier hat zumindest für

den Fachmann überzeugend den Stellenwert dieses Teilsder SN R-Studie, insbesondere Erfordernis, Vorgehensweise

(Stichwort Fragebogen). Auswertung, Ergebnis und Aus-sagekraft herausgearbeitet, Insofern kann die Angabe derbedingten Wahrscheinlichkeit einer mechanischen Energie-

freisetzung, die über die Auslegung des Reaktortanks h inaus-geht - ein Wert von 3 . 10-3 vwrde dafür genannt - ent-sprechend bewertet werden.

Der zweite behandelte Themenkreis bezog sich auf neueÜberlegungen und Arbeiten über die bisherige deutscheRisikostudie hinaus. Nachdem, wie bereits erwähnt, ein wich-tiger Ansatzpunkt im Bereich Freisetzungs- und Transport-

verhalten von Spaltprodukten erkannt worden ist, findet

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auch der biologische Teil der untersuchten Ereignisketten

besondere Aufmerksamkeit, Statt das Risiko durch die An-zahl der wahrscheinlichen Todesfälle auszudrücken, wird

vorgeschlagen, den mittleren Verlust an Lebenserwartung derbetroffenen Bevöl kerungsgruppe zu ve rwenden. Der Vorteil

dieses Konzeptes I iegt in der Differenzierung nach Todes-

fällen im jugendl ichen und fortgeschrittenen Alter, aber auchin der untersch iedl ichen Gewichtung der Früh- und Spät-schäden. Bei der Dosis-Risiko-Beziehung, die im Bereich klei-ner Dosen wahrscheinlich nie restlos aufgeklärt werden kann,wird nahegelegt, von der bisherigen i inearen Beziehung zu

einer quadratisch-I inearen überzugehen - mit einem Schwel-lenwert in der Größenordnung der natürl ichen Strahlung.Bei Einzelproblemen, etwa dem Risikofaktor für die Sch ild-drüse, sollte, basierend auf den Erfahrungen mit der Jod-131-Therapie, berücksichtigt werden, daß bei Strahlendosenoberhalb von 1000 rem die Krebshäufigkeit nicht weiterZU-, sondern statt dessen abnimmt. Schi ießlich ist die Be-rücksichtigung der möglichen medizinischen Maßnahmenbei Frühschäden zur Diskussion gestellt, was unter bestimm-ten Umständen zu einem weniger flachen Anfangsteil derDosis-Wirkungs-Beziehung führt. Natürlich sind diese Kom-

plexe noch nicht ausdiskutiert, auch stellen sie das Strahlen-minimierungsprinzip im Rahmen eines umfassenderen Dosis-limitierungssystems, wie von der International Commissionon Radiological Protection empfohlen, nicht in Frage. Sowird sich zunächst die Strahlenschutzkommission damitbefassen und auch der Verordnungsgeber muß sich bei derFortschreibung der Strahlenschutzverordnung damit ausein-andersetzen, Denn die biologische Seite verdient zumindestdie gleiche Beachtung wie die Arbeiten zur Klärung tech-

nischer Sachverhalte bei der Risikobeurteilung kerntech-nischer Anlagen!

In dem Bericht zu den Arbeiten, die über die Ergebnisse derbisherigen deutschen Risikostudie hinausführen, der soge-

nannten Phase B, zeigen sich als Schwerpunkte im Rahmender Ereignisablauf- und Systemanalysen die Analysen einigerspezieller Kühlmittelverluste (kleine Leckagen und Dampf-erzeuger-Heizrohrschäden) und sogenannter unwahrschein-

licher Transientenstörfälle. So werden gegenwärtig Ereig-n:sabläufe, die aus einem Bruch einer Frischdampfleitung

folgen - mit versch iedenen Bruchl agen -, eingehend unter-

sucht. Bei den Arbeiten zu Kernschmelzen und Aktivitäts-freisetzung geht es im wesentlichen um die Entwicklung undEinführung verbesserter Ansätze und verfeinerter Rechen-modelle, um eine realistischere Beschreibung der Vorgängezu erreichen. Ganz eindeutig zeichnet sich dabei bereits jetztein wichtiges Zwischenergebnis ab: Die Rückhaltewirkung

des Containments bleibt länger als bisher abgeschätzt er-halten. So wurden für die Kernschmelzpfade, die zum Über-

druckversagen des Containments führen, drei bis vier Tage(bisher rund ein Tag) ermittelt. Weitere Punkte, auf die auch

an anderer Stelle bereits hingewiesen wurde, betreffen dieBerücksichtigung aerosolphysikal ischer Erkenntnisse bei derAbscheidung und Agglomeration luftgetragener Partikel unddie reduzierte Jodfreisetzung, woraus eine insgesamt ver-

besserte Rückhaltewirkung des Containments folgt,

Schlußpunkt sind die Darlegungen zu Risikogrenzwerten fürKernkraftwerke. Hier gibt es bereits eine umfassende inter-nationale Diskussion, seitdem aus den Vereinigten Staaten

Überlegungen, Vorschläge und Dokumente zum Thema"Safety Goals" fruchtbare Unruhe weltweit ausgelöst haben,Sie sind konsequenter Ausfluß der langjährigen Arbeitenzur Risikobeurteilung und -bewertung bei kerntechnischen

Anlagen. Der hier vorgelegte Vorschlag zeichnet sich dadurchaus, daß er einen originellen Ausgangspunkt hat, nämlichRisikogrenzwerte an das aus dem Strahlenschutz bekannte30-mrem/a-Konzept anzubinden. Wer sich daran erinnert,wie seinerzeit dieses Konzept geboren wurde (siehe 7, I RS-Fachgespräch 1971), wird überrascht sein, Prinzipiell sindnatürlich auch andere Zahlenwerte möglich, doch hat dieserWert den Vorteil, daß er für einen Anlagenzustand (be-stimmungsgemäßer Betrieb) verbindlich festgeschrieben ist.Weitere wesentl iche Punkte sind die Definition von Risiko-

klassen in einem Dosis-Häufigkeits-Diagramm, von Ereignis-klassen (a) zu erwarten, b) nicht zu erwarten in einer Anlage,

aber nicht auszuschl ießen für eine Anlagengruppe, cl nicht

zu erwarten in einer Anlage oder Anlagegruppe, aber nicht

auszuschl ießen und d) so gut wie ausgeschlossen) und von ra-diologischen Gefährdungsklassen (a)': 30 mrem, b)~ 5 rem,

c) 5 bis 50 rem und d) 50 bis 400 rem). die einander zugeord-net sind. Erste Tests dieses Konzepts zeigen, daß das indivi-duelle Mortalitätsrisiko auch im Bereich der Unfälle im Rah-men des "Zulässigen" liegt - ausweislich der Ergebnisse derdeutschen Risikostudie. Es ist klar, daß bisher nur ein wichti-ger Punkt, das Individualrisiko angesprochen wurde, danebenist aber auch das Kollektivrisiko von großer Bedeutung.

Neuere radiologische Erkenntnisse sind noch unberücksich-

tigt. Auch die Fragen der Implementierung und Verifizierungdieses Konzepts dürften Kopfzerbrechen bereiten. Nichts-destoweniger sollte dieser erste Schritt zum Anlaß genom-men werden, auf diesem interdiszipl inären Gebiet intensivmitzuarbeiten. Auf diese Weise läßt sich das vorhandene

Instrumentarium zur Sicherheitsbeurtei lung weiterentwickel nund ergänzen - mit dem Endziel einer systematischen, ge-schi ossenen Sicherheitsph ilosoph ie und zugehörige Um-setzung in die wissenschaftl ich-technische Praxis,

Auch zukünftige GRS-Fachgespräche werden auf diesenThemenkreis zurückkommen.

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