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Geschäftsmodellinnovation – Theorie und Praxis der erfolgreichen Realisierung von strategischen Innovationen in Großunternehmen DISSERTATION der Universität St. Gallen Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen (HSG) zur Erlangung der Würde eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften vorgelegt von Andreas emeth aus Österreich Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Walter A. Ackermann und Prof. Dr. Günter Müller-Stewens Dissertation Nr. 3921

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Geschäftsmodellinnovation – Theorie und Praxis der

erfolgreichen Realisierung von strategischen Innovationen

in Großunternehmen

DISSERTATION

der Universität St. Gallen

Hochschule für Wirtschafts-,

Rechts- und Sozialwissenschaften

sowie Internationale Beziehungen (HSG)

zur Erlangung der Würde eines

Doktors der Wirtschaftswissenschaften

vorgelegt von

Andreas �emeth

aus

Österreich

Genehmigt auf Antrag der Herren

Prof. Dr. Walter A. Ackermann

und

Prof. Dr. Günter Müller-Stewens

Dissertation Nr. 3921

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Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und

Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen (HSG), gestattet hiermit die

Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen

Anschauungen Stellung zu nehmen.

St. Gallen, den 16. Mai 2011

Der Rektor:

Prof. Dr. Thomas Bieger

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VORWORT

Zweifellos war die jahrelange, zermürbende Arbeit an der nun vorliegenden Dissertation

die schwerste Prüfung meines Lebens. Umso erleichterter, zufriedener und glücklicher bin

ich darüber, meine Doktorarbeit nach diesen entbehrlichen Jahren nun vollendet und in

finaler Fassung vor mir zu haben, denn obgleich sich dieses Forschungsprojekt vom

anfänglichen Interesse an den Strategien und Methoden einer wertorientierten

Unternehmensführung bis hin zur vertieften Beschäftigung mit der

Geschäftsmodellinnovation als neue, bisher wenig genutzte Strategie zur Steigerung des

Unternehmenswerts und zu nachhaltig profitablem Wachstum als ein langwieriger

Prozess und oftmals steiniger, von vielen Hindernissen gesäumter, verschlungener Pfad

erwiesen hat, so habe ich dabei viel gelernt, neue Erfahrungen gemacht und Erkenntnisse

gewonnen, die mich nun mit großer Zuversicht vorwärtsblicken lassen.

All jenen, die mich auf dieser langen Reise unterstützt und angefeuert haben, mich

moralisch unterstützt und fachlich gefördert und gefordert haben, bin ich zu tiefem Dank

verpflichtet. Sie waren mir eine wichtige Stütze und haben – jeder auf seine Weise –

meine eigene Motivation gestärkt und mich zum Ziel geführt.

An erster Stelle gilt mein Dank meinem Doktorvater Prof. Dr. Walter Ackermann am

Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen – einerseits für die

akademische Gestaltungsfreiheit bei der Ausarbeitung dieses Themas und andererseits für

die spannenden Gespräche und freundschaftlichen Ratschläge. Besonderen Dank möchte

ich auch Herrn Prof. Dr. Günter Müller-Stewens am Institut für Betriebswirtschaft für die

Übernahme des Korreferats, seine Zeit, den intensiven fachlichen Diskurs und die

entscheidenden Orientierungshilfen im Prozess der Konkretisierung dieses

Forschungsvorhabens aussprechen. Bei Prof. Dr. Christoph Lechner und Prof. Dr. Torsten

Schmid möchte ich mich für die wertvollen methodischen Anregungen hinsichtlich der

Erforschung strategischer Prozesse in Großunternehmen bedanken. Weiters danke ich

meinen Kollegen am Institut für Versicherungswirtschaft für die anregenden Gespräche,

den freundschaftlichen Austausch, unterschiedliche Hilfestellungen und die insgesamt

interessante Zeit in St. Gallen.

Ebenfalls danken möchte ich Prof. Dr. Raphael Amit, dem Robert B. Goergen Professor

of Entrepreneurial Management an der Wharton School der University of Pennsylvania,

und Prof. Dr. Christopher Zott, dem Rudolf and Valeria Maag Fellow in Entrepreneurship

am INSEAD, die mir durch ihre fachlichen Hinweise während der gemeinsamen

Projektarbeit den Einstieg in die Geschäftsmodellthematik erleichtert und mein

Verständnis von Geschäftsmodellen maßgeblich mit beeinflusst haben.

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Daran anschließend danke ich den vielen Interviewpartnern des Projektpartners

ASSEKURANZ für ihre wertvolle Zeit und detailreichen Einblicke in die verschiedenen

Praxisprojekte. Zu besonders herzlichem Dank bin ich Herrn Erich Tamm verpflichtet,

der mein Forschungsprojekt nicht nur von Anfang an wohlwollend unterstützt, sondern

der mir durch seine Praxiskontakte in einzigartiger Weise den Zugang zum

Forschungsfeld eröffnet und so die empirische Untersuchung erst möglich gemacht hat.

Für die finanzielle Förderung meines Forschungsvorhabens und des Aufenthalts an der

Universität St. Gallen bedanke ich mich bei der Eidgenössischen Stipendienkommission

für ausländische Studierende und der österreichischen Studienbeihilfebehörde.

Mein größter Dank gehört meiner Familie und meinen Freunden in Wien, Linz, München,

St. Gallen und Zürich, die mich auf dem Weg begleitet haben, mir in diesen Jahren mit

liebevoller Geduld und vorbehaltloser Unterstützung zur Seite gestanden sind, mir Mut

zugesprochen haben und mir geholfen haben, diese Jahre zu meistern. Ihnen gehört mein

ganzer Dank. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

Wien, im Mai 2011 Andreas Nemeth

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ZUSAMME�FASSU�G

Die Kompetenz, strategische Innovation erfolgreich zu realisieren, ist für Unternehmen

heute mehr denn je von existenzieller Bedeutung. Vor diesem Hintergrund zielt die

vorliegende Arbeit darauf ab, etwas mehr Licht in das aus Sicht der empirischen

Managementforschung noch recht dunkle Forschungsfeld der Geschäftsmodellinnovation

zu bringen.

Zu diesem Zweck baut das im Rahmen dieser Arbeit entwickelte und beschriebene

Prozessmodell zur erfolgreichen Realisierung strategischer Innovation auf der aktuellen

Literatur im Feld der Organisationsforschung und des strategischen Managements auf, die

das Unternehmen als ein System aus Ressourcen, Fähigkeiten und Aktivitäten versteht,

welches, einer bestimmten inneren Logik folgend, auf Wettbewerbsvorteile,

Kundennutzen und Unternehmenserfolg abzielt. Das Geschäftsmodell eines

Unternehmens beschreibt dabei die zentrale Logik, wie eine Organisation Ressourcen und

Fähigkeiten kombiniert, um kontinuierlich die grundlegenden Aufgaben und Aktivitäten

der Organisation zu erfüllen und zu steuern.

Wenngleich veränderte Rahmenbedingungen und der dynamisierte Wettbewerb nicht

jedes Unternehmen gleich hart treffen, muss jedes Unternehmen wachsam sein, denn um

langfristig erfolgreich im Wettbewerb bestehen zu können, muss die Kombination der

Ressourcen und Fähigkeiten stets an den Bedingungen des Markts ausgerichtet werden

und es müssen sowohl eine entsprechende interne Konsistenz als auch ein externer Fit des

Geschäftsmodells gegeben sein.

Um diesen Fit laufend zu überprüfen und zu verbessern, sind sogenannte Metafähigkeiten

notwendig, die den Prozess der Modifikation und Konfiguration der Ressourcen,

Fähigkeiten und Aktivitäten leiten und somit den Bauplan für das neue Geschäftsmodell

liefern. Die Fähigkeit der Geschäftsmodellinnovation wird dabei als eine dynamische, da

erlernbare Metafähigkeit einer Organisation angenommen, die den Prozess der

Kombination und Integration von Ressourcen und Fähigkeiten steuert.

So wurden im Rahmen dieser Arbeit das Phänomen und die Fähigkeit zur erfolgreichen

Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation auf der Mikroebene einzelner

Innovationsprojekte untersucht, um die Forschung hinsichtlich der Mikropraxis der

Geschäftsmodellinnovation voranzutreiben. Durch die Identifikation erfolgsrelevanter

Praktiken werden der Praxis konkrete Hilfestellungen und Gestaltungsempfehlungen zur

erfolgreichen Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen angeboten.

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Inhaltsübersicht I

I�HALTSÜBERSICHT

TEIL I: EI�FÜHRU�G I� DIE THEMATIK ..............................................................1

1 Einleitung............................................................................................................1

2 Problemstellung..................................................................................................2

3 Forschungsfrage ...............................................................................................14

4 Zielsetzung ........................................................................................................15

5 Aufbau der Arbeit ............................................................................................17

TEIL II: THEORETISCHE VORÜBERLEGU�GE� ...............................................21

6 Grundlagen strategischer Managementforschung ........................................21

7 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes......................................................63

8 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation ...............................................109

9 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation...........................................117

TEIL III: EMPIRISCHE U�TERSUCHU�G...........................................................125

10 Konzeption der empirischen Untersuchung.................................................125

11 Forschungsdesign ...........................................................................................138

12 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation .................................................157

13 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz..................................................183

14 Fallstudie 2: Direktversicherung...................................................................199

15 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft.............................216

TEIL IV: ERKE��T�ISSE ZUR GESCHÄFTSMODELLI��OVATIO�..........237

16 Wege zur Geschäftsmodellinnovation ..........................................................237

17 Ebenen der Geschäftsmodellinnovation .......................................................239

18 Phasen des Innovationsprozesses ..................................................................243

19 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse .....................................................270

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II Inhaltsübersicht

TEIL V: SCHLUSSBETRACHTU�G U�D AUSBLICK ........................................294

20 Implikationen für die Praxis..........................................................................295

21 Ansatzpunkte für zukünftige Forschung......................................................298

A�HA�G.......................................................................................................................302

22 Fragenkatalog .................................................................................................302

23 Interviewpartner ............................................................................................305

LITERATURVERZEICH�IS .....................................................................................307

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Inhaltsverzeichnis III

I�HALTSVERZEICH�IS

TEIL I: EI�FÜHRU�G I� DIE THEMATIK ..............................................................1

1 Einleitung............................................................................................................1

2 Problemstellung..................................................................................................2

3 Forschungsfrage ...............................................................................................14

4 Zielsetzung ........................................................................................................15

5 Aufbau der Arbeit ............................................................................................17

TEIL II: THEORETISCHE VORÜBERLEGU�GE� ...............................................21

6 Grundlagen strategischer Managementforschung ........................................21 6.1 Traditionelle Perspektiven der strategischen Erfolgsforschung ...................23

6.1.1 Branchenorientierte Perspektive........................................................24 6.1.2 Firmenorientierte Perspektive ...........................................................28 6.1.3 Transaktionsorientierte Perspektive ..................................................33

6.2 Kritische Betrachtung der traditionellen Theorieansätze .............................36 6.2.1 Auswirkungen eines sich wandelnden wirtschaftlichen Umfelds......39 6.2.2 Auswirkungen des dynamisierten Wettbewerbs................................43

6.3 Neue Erklärungsansätze und Analyseeinheiten ...........................................45 6.3.1 Prozessorientierte Perspektive...........................................................45 6.3.2 Ansatz dynamischer Fähigkeiten.......................................................48 6.3.3 Netzwerkorientierte Perspektive .......................................................57 6.3.4 Das Geschäftsmodell als neue Analyseeinheit ..................................60

7 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes......................................................63 7.1 Perspektivische Betrachtung........................................................................72

7.1.1 Sicht des Informationsmanagements.................................................73 7.1.2 Sicht der Entrepreneurship ................................................................74 7.1.3 Sicht des Marketings .........................................................................75 7.1.4 Sicht des strategischen Managements ...............................................76

7.2 Systematisierung von Geschäftsmodellen ...................................................77 7.3 Überlegungen zum Modellbegriff................................................................79

7.3.1 Erkenntnisse der allgemeinen Modelltheorie ....................................80 7.3.2 Implikationen für Geschäftsmodelle .................................................84

7.4 Überlegungen zum Geschäftsbegriff ...........................................................89 7.4.1 Geschäft als entgeltlicher Austausch unter Wirtschaftssubjekten .....89

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IV Inhaltsverzeichnis

7.4.2 Geschäft als wertschöpfende Tätigkeit von Unternehmen.................92 7.5 Das Geschäftsmodell – ein systemischer Ansatz .........................................97

7.5.1 Nutzenversprechen (Value Proposition)............................................99 7.5.2 Architektur der Wertschöpfung .......................................................100 7.5.3 Ertragsmodell ..................................................................................105

8 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation................................................109 8.1 Innovation..................................................................................................110 8.2 Geschäftsmodell und Innovation................................................................113 8.3 Strategische Innovation..............................................................................116

9 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation ...........................................117 9.1 Theoretische Kategorien und Dimensionen ...............................................120 9.2 Relevante Beziehungen..............................................................................122 9.3 Zentrale Wirkungszusammenhänge ...........................................................122

TEIL III: EMPIRISCHE U�TERSUCHU�G...........................................................125

10 Konzeption der empirischen Untersuchung.................................................125 10.1 Wissenschaftstheoretische Positionierung ............................................125 10.2 Methodologie........................................................................................129 10.3 Forschungsansatz vergleichender Fallstudienforschung.......................131

10.3.1 Art der Forschungsfrage ..................................................................133 10.3.2 Ausmaß an Kontrolle über das Untersuchungsobjekt......................134 10.3.3 Fokussierung auf zeitnahe Ereignisse..............................................134

10.4 Gütekriterien empirischer Forschung ...................................................135 10.4.1 Konstruktvalidität............................................................................136 10.4.2 Interne Validität...............................................................................137 10.4.3 Generalisierbarkeit ..........................................................................137 10.4.4 Reliabilität .......................................................................................138

11 Forschungsdesign ...........................................................................................138 11.1 Initiierung .............................................................................................140 11.2 Auswahl der Fallstudien .......................................................................141 11.3 Entwurf der Forschungswerkzeuge.......................................................145 11.4 Datenerhebung im Feld.........................................................................146 11.5 Datenanalyse.........................................................................................148 11.6 Hypothesengenerierung ........................................................................154 11.7 Abgleich mit der Literatur ....................................................................154 11.8 Abschluss der Forschung......................................................................155

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Inhaltsverzeichnis V

12 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation .................................................157 12.1 Die Branche – der Markt für private Kraftfahrzeugversicherungen .....158

12.1.1 Auswirkungen der Deregulierung ...................................................158 12.1.2 Wettbewerbsintensität und neue Branchenstruktur .........................161 12.1.3 Wertverschiebungen auf dem deutschen Automobilmarkt..............164

12.2 Das Unternehmen – der strategische Kontext der ASSEKURANZ......169 12.2.1 Vom nationalen Versicherungskonzern …......................................170 12.2.2 … zum integrierten Finanzdienstleister...........................................173 12.2.3 Die neue Realität im Versicherungsgeschäft...................................174 12.2.4 Die Suche nach Wachstum und neuen Geschäftsmodellen .............177

13 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz..................................................183 13.1 Projektorganisation...............................................................................185 13.2 Strategiefindung und Geschäftsidee .....................................................185 13.3 Konkretisierung des Geschäftsmodells.................................................189 13.4 Entscheidung ........................................................................................193 13.5 Realisierung..........................................................................................195 13.6 Erfolgsbeurteilung................................................................................196

14 Fallstudie 2: Direktversicherung...................................................................199 14.1 Projektorganisation...............................................................................199 14.2 Strategiefindung und Geschäftsidee .....................................................200 14.3 Entscheidung ........................................................................................203 14.4 Konkretisierung des Geschäftsmodells.................................................205 14.5 Realisierung..........................................................................................209 14.6 Erfolgsbeurteilung................................................................................213

15 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft.............................216 15.1 Projektorganisation...............................................................................217 15.2 Strategiefindung und Geschäftsidee .....................................................221 15.3 Konkretisierung des Geschäftsmodells.................................................227 15.4 Entscheidung ........................................................................................231 15.5 Realisierung..........................................................................................232 15.6 Erfolgsbeurteilung................................................................................235

TEIL IV: ERKE��T�ISSE ZUR GESCHÄFTSMODELLI��OVATIO�..........237

16 Wege zur Geschäftsmodellinnovation ..........................................................237

17 Ebenen der Geschäftsmodellinnovation .......................................................239 17.1 Auf der Ebene der Branche ..................................................................239

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VI Inhaltsverzeichnis

17.2 Auf der Ebene des Gesamtunternehmens .............................................239 17.3 Auf der Ebene von Geschäftsfeldern ....................................................241

18 Phasen des Innovationsprozesses ..................................................................243 18.1 Initiierung .............................................................................................245 18.2 Definition des Geschäfts.......................................................................247 18.3 Konfiguration des Aktivitätensystems..................................................256 18.4 Innovation als fortlaufender Managementprozess ................................259 18.5 Nutzen- und Effizienzmaximierung......................................................264

19 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse......................................................270 19.1 Aneignung von Fähigkeiten..................................................................270 19.2 Projektorganisation...............................................................................274 19.3 Analyse des Unternehmensumfelds......................................................278 19.4 Herstellen von Konsistenz ....................................................................283 19.5 Führungsverhalten des Managementteams ...........................................287

TEIL V: SCHLUSSBETRACHTU�G U�D AUSBLICK ........................................294

20 Implikationen für die Praxis..........................................................................295

21 Ansatzpunkte für zukünftige Forschung......................................................298

A�HA�G.......................................................................................................................302

22 Fragenkatalog .................................................................................................302

23 Interviewpartner ............................................................................................305

LITERATURVERZEICH�IS .....................................................................................307

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Abbildungsverzeichnis VII

ABBILDU�GSVERZEICH�IS

Abbildung 1: EBIT- und Umsatzwachstum Europas 500 größter Unternehmen ................3 Abbildung 2: Produkt-Markt-Matrix klassischer Wachstumsstrategien ...........................10 Abbildung 3: Relevanz der Geschäftsmodellinnovation...................................................10 Abbildung 4: Erweiterung des Structure-Conduct-Performance-Paradigmas...................25 Abbildung 5: Fünf-Kräfte-Modell nach Porter .................................................................26 Abbildung 6: Modell des ressourcenorientierten Ansatzes ...............................................31 Abbildung 7: Determinanten der Unterschiede im Erfolg von Unternehmen ...................37 Abbildung 8: Wandel der relevanten Analyseeinheiten....................................................42 Abbildung 9: Gegenüberstellung unterschiedlicher Koordinationsformen .......................57 Abbildung 10: Anzahl der Nennungen des Begriffs „Geschäftsmodell“ ..........................64 Abbildung 11: Ebenen der Modellbildung........................................................................82 Abbildung 12: Geschäftsmodell als Modell entgeltlicher Austauschbeziehungen............90 Abbildung 13: Symbolische Darstellung des Umfangs eines Geschäftsmodells ..............95 Abbildung 14: Ebenen eines Geschäftsmodells ................................................................98 Abbildung 15: Das Geschäftsmodell als Mediator zwischen Märkten .............................99 Abbildung 16: Determinanten für den Erfolgs einzelner Geschäftsfelder ......................104 Abbildung 17: Wertkette und Wertsystem nach Porter...................................................105 Abbildung 18: Determinanten des Unternehmenserfolgs ...............................................107 Abbildung 19: Erfolgsfaktoren des Geschäftsmodells ....................................................108 Abbildung 20: RCOV Framework nach Demil und Lecocq (2010)................................109 Abbildung 21: Die größten Hürden auf dem Weg zur Innovation ..................................112 Abbildung 22: Ansatzpunkte für eine Geschäftsmodellinnovation.................................115 Abbildung 23: Dimensionen strategischen Wandels.......................................................121 Abbildung 24: Bezugsrahmen für die empirische Untersuchung....................................123 Abbildung 25: Die Struktur wissenschaftlicher Erkenntnis (gesetzgebende Ansicht) ....127 Abbildung 26: Zusammenspiel von Forschungsfrage, Daten und Methode ...................133 Abbildung 27: Prozess der Theoriebildung mit Fallstudien............................................139 Abbildung 28: Interaktives Modell der Datenanalyse.....................................................149 Abbildung 29: Abstraktionsebenen der Datenanalyse ....................................................152 Abbildung 30: Codierungsverfahren im Rahmen der Grounded-Theory-Analyse..........156 Abbildung 31: Konsolidierungsphasen deregulierter Finanzdienstleistungsmärkte........160 Abbildung 32: Technisches Ergebnis auf dem deutschen Kraftversicherungsmarkt ......162 Abbildung 33: Veränderung des Wettbewerbsumfelds in den nächsten fünf Jahren ......163 Abbildung 34: Gewinnpotenzial im europäischen Automobilsektor im Jahr 2000.........165 Abbildung 35: Vertriebskanalmix auf dem deutschen Kfz-Versicherungsmarkt............166 Abbildung 36: Das Kaufverhalten auf dem europäischen Kfz-Versicherungsmarkt ......167 Abbildung 37: Kontaktkanäle zum Abschluss einer privaten Kfz-Versicherung............168

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VIII Abbildungsverzeichnis

Abbildung 38: Struktur des Versicherungsmarkts für private Pkws im Jahr 2005..........169 Abbildung 39: Geschäfts-, Regional- und Vertriebsmix .................................................170 Abbildung 40: Durchschnittliche Vertragslaufzeit im Jahr 2001 ....................................173 Abbildung 41: Marktanteil im Kfz-Geschäft im Zeitraum 1960 bis 2005 ......................176 Abbildung 42: Kundensegmentierung des deutschen Kfz-Versicherungsmarkts............181 Abbildung 43: Kontaktkanäle von Fahrzeuginteressenten ..............................................190 Abbildung 44: Beschreibung des Geschäftsmodells Gebrauchtwagen-Marktplatz.........193 Abbildung 45: Erfolgsbeurteilung des Gebrauchtwagen-Marktplatzes...........................198 Abbildung 46: Beschreibung des Geschäftsmodells Direktversicherung........................209 Abbildung 47: Direktversicherer nach Anzahl der versicherten Kraftfahrzeuge.............215 Abbildung 48: Erfolgsbeurteilung der Direktversicherung .............................................216 Abbildung 49: Geschäftsmodell der Kooperation mit Automobilherstellern..................220 Abbildung 50: Marktanteilsprognose für den Neuwagenhandel in Deutschland ............222 Abbildung 51: Marktanteilsprognose für Reparatur und Service in Deutschland ...........222 Abbildung 52: Geschäftsmodell der direkten Kooperation mit Autohändlern ................230 Abbildung 53: Erfolgsbeurteilung der Kooperation mit der Automobilwirtschaft..........236 Abbildung 54: Prozessmodell zur Strukturierung einer Geschäftsmodellinnovation......244 Abbildung 55: Produkt-Markt-Strategien .......................................................................247 Abbildung 56: Bezugsrahmen zur Abgrenzung von Geschäftsdefinitionen....................250 Abbildung 57: Gestaltungsebenen des Geschäfts............................................................255 Abbildung 58: Wertkette der Kooperation mit der Automobilwirtschaft........................259 Abbildung 59: Das Geschäftsmodell als Optimierungsrahmen.......................................265 Abbildung 60: Wertkurve von Billigfluglinien ...............................................................268 Abbildung 61: Das Unternehmen-Umwelt-Verhältnis....................................................281

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Tabellenverzeichnis IX

TABELLE�VERZEICH�IS

Tabelle 1: Charakteristika des Ansatzes der Industrieökonomie.......................................27 Tabelle 2: Charakteristika des Ansatzes der ressourcenorientierten Perspektive..............32 Tabelle 3: Charakteristika des Ansatzes der neuen Institutionenökonomie ......................35 Tabelle 4: Charakteristika der prozessorientierten Perspektive ........................................47 Tabelle 5: Charakteristika des Ansatzes dynamischer Fähigkeiten...................................56 Tabelle 6: Charakteristika der netzwerkorientierten Perspektive......................................59 Tabelle 7: Ausgewählte Geschäftsmodelldefinitionen......................................................67 Tabelle 8: Ausgewählte konstituierende Elemente eines Geschäftsmodells .....................69 Tabelle 9: Ausgewählte Geschäftsmodellliteratur ............................................................72 Tabelle 10: Ausgewählte Definitionen zum Aspekt der Gewinnerzielung .....................106 Tabelle 11: Grundannahmen des Neopositivismus und Postpositivismus ......................129 Tabelle 12: Neue Aufbauorganisation des Bereichs .......................................................233 Tabelle 13: Abgrenzung von Geschäftsmodell und Produkt-Markt-Strategie ................253 Tabelle 14: Aneignen von Fähigkeiten ...........................................................................273 Tabelle 15: Projektorganisation ......................................................................................276 Tabelle 16: Analyse des Unternehmensumfelds .............................................................282 Tabelle 17: Herstellen von Konsistenz ...........................................................................286 Tabelle 18: Führungsverhalten .......................................................................................292

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X Abkürzungsverzeichnis

ABKÜRZU�GSVERZEICH�IS

Aufl. Auflage

Bd. Band

CAGR Compound Annual Growth Rate

CCM Causal-Chain Model

CbV Capability-based View

CEO Chief Executive Officer

d. h. das heißt

EBIT Earnings before Interest and Tax

et al. und andere

etc. et cetera

f. und folgende Seite

ff. und fortfolgende Seiten

Hrsg. Herausgeber

INSEAD Institut Européen d’Administration des Affaires

IO Industrieökonomie

i. S. im Sinne

IT Informationstechnologie

IVW Institut für Versicherungswirtschaft

KbV Knowledge-based View

MbV Market-based View

Nr. Nummer

o. V. ohne Verfasserangabe

RbV Resource-based View

resp. respektive

ROA Return on Assets

ROE Return on Equity

S. Seite

SBU Strategic Business Unit

SCP Structure Conduct Performance Paradigma

SGF strategisches Geschäftsfeld

TCE Transaktionskostenökonomie

vgl. vergleiche

Vol. Volume

z. B. zum Beispiel

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Einleitung 1

TEIL I: EI�FÜHRU�G I� DIE THEMATIK

1 Einleitung

Wachstum wird im westlichen Wirtschaftssystem als zentrale Voraussetzung für

langfristigen Unternehmenserfolg angesehen. Kaum ein Unternehmen kann es sich

längerfristig leisten, auf Wachstum zu verzichten, denn die kontinuierliche Steigerung des

Unternehmenswerts verlangt nach nachhaltigen Zuwächsen in puncto Umsatz und Ertrag.1

Das alleinige Streben nach Gewinnmaximierung stellt keine dauerhafte, sondern allenfalls

eine kurzfristige Strategie zur Wertsteigerung von Unternehmen dar. Obwohl Effizienz

weiterhin ein bestimmendes Thema bleibt, rückt Wachstum immer mehr in den

Mittelpunkt des Managements.2 Um langfristig erfolgreich zu sein, muss auch die

Wachstumsperspektive stimmen, denn neben dem operativen Gewinn bestimmt

vornehmlich die zukünftige Wachstumsrate, wie lange und nachhaltig ein Unternehmen in

der Lage sein wird, für seine relevanten Anspruchsgruppen Wert zu schaffen.3 Da auf

Dauer nur Wachstum fortwährende Wertsteigerung garantiert, bedingt die wertorientierte

Unternehmensführung dementsprechend im Umkehrschluss immer auch eine

wachstumsorientierte Unternehmensführung.4

Stagniert ein Unternehmen und bringt es den Wachstumsmotor nicht mehr in Gang, so

läuft es Gefahr, Kunden, wichtige Mitarbeiter, den Zugang zu den Märkten für Fremd-

und Eigenkapital sowie insgesamt an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Wie empirische

Studien5 belegen, sehen sich Unternehmen, die nicht mehr wachsen, früher oder später

gezwungen, ihre wirtschaftliche Tätigkeit ob des mangelnden Erfolgs einzustellen.6

1 Zwar kann, selbst bei völligem Verzicht auf Umsatzwachstum, das Wachstum der Ergebnisgröße Gewinn

und damit der Unternehmenswert noch eine Zeit lang durch die Reduktion der Unternehmenskosten

dargestellt werden. Die Senkung der Unternehmenskosten stellt aber keine nachhaltige, sondern

allenfalls eine kurzfristige Strategie zur Erhöhung des Unternehmenswertes dar, da die Kostenbasis

bei wiederholter Optimierung immer kleiner wird und nicht beliebig bis gegen Null gesenkt werden

kann. 2 Laut einer Umfrage des Magazins WirtschaftsWoche bei den 30 DAX-Unternehmen und den 300 größten

deutschen Unternehmen sahen 65 Prozent der deutschen Top-Manager für 2005 wieder mehr

Spielraum für profitables Wachstum. Viele Unternehmen haben 2004 mit einem Strategiewechsel,

von Restrukturierungs- auf Wachstumskurs, begonnen. 3 vgl. Rappaport, A. (1981) 4 vgl. Coenenberg, A. und Salfeld, R. (2003), S. 102ff. 5 vgl. Smit, S., et al. (2005) 6 vgl. Lechner, C. (2006a), S. 24.

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2 Problemstellung

Gelingt es dem Unternehmen hingegen, zu wachsen, hat es die Chance, durch

Skaleneffekte in Bezug auf Geschäftsvolumen und -umfang an Wettbewerbsfähigkeit und

somit Kunden zu gewinnen, motivierte und leistungsfähige Mitarbeiter anzuziehen und

aufgrund konstanter oder gar stetig steigender Cashflows zu vorteilhaften Konditionen

Kapital zu erhalten, wodurch insgesamt der Bestand des Unternehmens langfristig

abgesichert wird.

Wachstum birgt aber auch Gefahren in sich. Es bringt Unternehmen dazu, Risiken

einzugehen, die sie an den Rand des Untergangs oder überhaupt aus dem Markt führen.7

Mit zunehmender Geschwindigkeit und Entfernung vom angestammten Geschäft wie

durch die Expansion in unbekannte Regionen, Märkte und Geschäftsfelder steigen die

Unsicherheit und das Risiko, durch unkontrolliertes Wachstum das Unternehmen als

Ganzes aufs Spiel zu setzen.

Daher kommt es besonders auf die Qualität des Wachstums an. Nicht unreflektiertes

Volumenwachstum, sondern nachhaltig profitables Wachstum8 wird angestrebt, um

beiderseits Gewinn und Umsatz konstant und fortwährend zu erhöhen, denn nur ein

gleichmäßiges, ausgewogenes und profitables Wachstum führt zu langfristigen, weil

nachhaltigen Wertsteigerungen, wie aktuelle empirische Untersuchungen9 belegen.

Einseitiges Wachstum in einer der Dimensionen Gewinn und Umsatz zeigt in puncto

Wertgenerierung weitaus weniger Wirkung. Wachstum schafft daher nicht per se Wert,

sondern nur dann, wenn es sich um nachhaltig profitables Wachstum handelt.10

2 Problemstellung

Doch bei Weitem nicht alle Unternehmen können die Vision eines nachhaltig profitablen

Wachstums erfolgreich umsetzen. Von den 500 größten Unternehmen Europas konnten

im Zeitraum von 1997 bis 2001 nur 36 Prozent profitables Wachstum erzielen.11 Dagegen

sind 30 Prozent unprofitabel gewachsen, da ihre Umsätze zwar gestiegen sind, der

operative Gewinn, gemessen am EBIT der Unternehmen, jedoch gefallen ist. Die

7 Die Beispiele Enron, Worldcom, Tyco, Conseco oder Swissair zeigen, wie falsche oder gescheiterte

Wachstumsstrategien schnell das ursprüngliche Kerngeschäft in Gefahr bringen oder zum Untergang

des gesamten Unternehmens führen. 8 vgl. Seurat, R. (1999), S. 53. 9 vgl. Raisch, S., et al. (2007) 10 vgl. Gomez, P., et al. (2007), S. 20. 11 vgl. Mercer (2004)

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Problemstellung 3

restlichen 34 Prozent sind überhaupt nicht gewachsen.12

Doch warum schaffen es manche Unternehmen, profitabel zu wachsen, während der

Großteil dieses Ziel verfehlt? Wie lassen sich die Erfolgsunterschiede zwischen

Unternehmen ein und derselben Branche erklären? Warum sind einzelne Firmen über

einen längeren Zeitraum hinweg in der Lage, überdurchschnittliche Ergebnisse in Bezug

auf Wachstum und Gewinn des Unternehmens zu erzielen, während andere

unterdurchschnittlich abschneiden oder mit der Zeit überhaupt dazu gezwungen sind, ihre

wirtschaftliche Tätigkeit aufgrund mangelnden Erfolgs einzustellen?

Abbildung 1: EBIT- und Umsatzwachstum Europas 500 größter Unternehmen13

Um die zentrale Fragestellung nach den ausschlaggebenden Faktoren unternehmerischen

Erfolgs zu klären, wurden im Forschungsfeld des strategischen Managements im Lauf der

letzten Jahrzehnte verschiedene Erklärungsansätze entwickelt. Je nach theoretischer

Sichtweise und zugrunde liegender spezifischer Annahmen werden in der Literatur

unterschiedliche Faktoren angeboten, die nach der jeweiligen Logik als bedeutsam

erscheinen.14

Um nur einige der wichtigsten Sichtweisen15 überblicksartig zu beleuchten, wird abhängig

12 vgl. Abbildung 1 13 vgl. Mercer (2004), S. 2. 14 vgl. Lechner, C. und Müller-Stewens, G. (2003), S. 144. 15 Die hier nur kurz angezeigten alternativen Theorien zur Erklärung der Unterschiede im Erfolg von

Unternehmen wie der Ansatz der Industrieökonomie, der Institutionenökonomie, der Ressourcen-

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4 Problemstellung

von der jeweiligen Perspektive überdurchschnittlicher Unternehmenserfolg in der

Industrieökonomie auf eine geschützte Marktposition16, im ressourcenorientierten

Ansatz17 auf die Ausstattung mit einzigartigen Ressourcen18, im fähigkeitsorientierten

Ansatz auf die Anwendung besonderer Fähigkeiten19 und in der neuen

Institutionenökonomie auf die Minimierung von Transaktionskosten20 zurückgeführt.21

Jeder dieser theoretischen Perspektiven liegt die Idee zugrunde, dass nachhaltig

profitables Wachstum das Produkt relativer Wettbewerbsvorteile ist.22 Um

überdurchschnittlich erfolgreich zu sein, muss ein Unternehmen gegenüber seinen

Mitbewerbern einen Wettbewerbsvorteil aufbauen und verteidigen.

orieniertenen Theorie sowie prozessorientierte Ansätze Strategischen Managements, etc. werden in

Kapitel X eingehend vorgestellt. 16 vgl. Bain, J. S. (1968), Porter, M. E. (1981) 17 vgl. Penrose, E. (1959), Wernerfeld, B. (1984), Barney, J. B. (1991), Grant, R. M. (1991), Peteraf, M. A.

(1993), Barney, J. B. (1996) 18 Eine Ressource wird als einzigartig oder auch idiosynkrat, bezeichnet, wenn sie über besondere,

spezifische Merkmale oder Eigenschaften verfügt, die sie selten, schwer nachahmbar und

substituierbar machen, gleichzeitig die Grundlage für einen Vorteil im Wettbewerb mit anderen

Unternehmen bietet. 19 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), Eisenhardt, K. M. und Martin, J. (2000), Zollo, M. und Winter, S. G.

(2002) 20 vgl. Coase, R. H. (1937), Williamson, O. E. (1975), Williamson, O. E. (1986), Williamson, O. E. und

Masten, S. (1995) 21 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005) die darauf hinweisen, dass sich “in den letzten Jahren

wieder verstärkt ökonomische Ansätze in den Vordergrund geschoben haben, und dies aus mehreren

Gründen. Einer der wichtigsten liegt sicher darin, dass der Analysefokus ökonomischer Ansätze

nicht mehr nur auf die Branchen- sondern auch auf die Unternehmensebene gerichtet ist und dort ihr

Instrumentarium an Modellen und Methoden wirkungsvoll einsetzen kann. Charakteristisch für diese

mikroökonomischen Ansätze ist ihr Versuch, auf Grundlage relativ einfacher Modelle und

Annahmen (wie der des eigennützigen, opportunistischen Handelns der Akteure) Erklärungen

abzugeben, die dann als Gestaltungsempfehlungen für ein wirkungsvolles Management nutzbar sind.

Ein weiterer Vorteil ist ihre breite empirische Fundierung, die eine intersubjektive Überprüfbarkeit

erlaubt sowie – im Sinne eines positivistischen Wissenschaftsverständnisses – die kumulative

Anhäufung der Erkenntnisse.“ 22 Viele empirische Untersuchungen stellen bei der Betrachtung des wirtschaftlichen Erfolgs von

Unternehmen lediglich auf den Gewinn, als Meß- und Erfolgsgröße bzw. abhängige Variable zur

Messung des Grads an Erfolg, ab. Wie bereits gezeigt wurde, kann ein Unternehmen nur dann

beständig bzw. nachhaltig Gewinne und Wertsteigerung erzielen, wenn es auch profitabel wächst.

Erst in den letzten Jahren gewinnt neben der statischen Betrachtung der Unternehmensgewinne die

dynamische Dimension Wachstum als Meßgröße an Bedeutung. Denn Wachstum ist genauso wie

Gewinn auf Anbieter- und Kundenvorteile zurückzuführen, wobei es als komparativer

Wettbewerbsvorteil in Faktormärkten gegenüber Lieferanten und der Kundenvorteil als relativer

Nutzen- und Kostenvorteil in Absatzmärkten gegenüber anderen Mitbewerbern zu verstehen ist. vgl.

dazu Porter, M. E. (1985)

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Problemstellung 5

“When two or more firms compete within the same market, one firm possesses a

competitive advantage over its rivals when it earns (or has the potential to earn)

a persistently higher rate of profit.”23

Folglich ist es notwendig, nach den Ursachen, Bedingungen und Strategien zu forschen,

die zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen führen, um zu verstehen, warum einzelne

Unternehmen überdurchschnittlich erfolgreich sind. Diese Suche bildet seit jeher den

Mittelpunkt des Forschungs- und Erkenntnisinteresses der Strategie- und

Managementforschung.

“Competitive advantage grows fundamentally from the value a firm is able to

create ... Value is what buyers are willing to pay, and superior value stems from

offering lower prices than competitors for equivalent benefits or providing

unique benefits that more than offset higher prices.”24

In der Literatur bezeichnet ein Wettbewerbsvorteil den Vorsprung, den ein Marktakteur

im ökonomischen Wettbewerb gegenüber seinen Mitbewerbern besitzt. Durch die Brille

traditioneller Ansätze betrachtet sind es entweder generische Wettbewerbsstrategien, die

einem Anbieter auf dem Markt Kosten-Nutzen-Vorteile verschaffen, oder die

unternehmensspezifischen Kompetenzen und Attribute eines Unternehmens, die es der

Organisation erlauben, in puncto Umsatz und Ertrag überdurchschnittliche Ergebnisse zu

erzielen.

Doch wie werden diese generischen Wettbewerbsstrategien operativ wirksam? Oder

warum schaffen es kleine, dynamisch agierende Unternehmen, sich gegen viel größere

Mitbewerber durchzusetzen, die über weitaus mehr Ressourcen und Marktmacht

verfügen? Sind sie ein klares Indiz dafür, dass nicht allein die Ausstattung mit Ressourcen

bzw. ein historisch hoher Marktanteil über den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg

entscheiden? Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Branche ist schon lange kein

Erfolgsgarant mehr, denn in jeder Branche gibt es einzelne Unternehmen, die

erfolgreicher sind als andere.

Ein exemplarisches Beispiel liefert die europäische Luftfahrtindustrie. Obwohl die

Branche jährlich im Schnitt um 5 % wächst, ist die Rentabilität der Unternehmen

durchwegs gering und ein Gutteil der Unternehmen steckt Jahr für Jahr operativ in den

23 vgl. Grant, R. M. (2002), S. 227. 24 vgl. Porter, M. E. (1985), S. 3.

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6 Problemstellung

roten Zahlen.25 Doch es gibt auch hier Ausnahmen von der Regel. Im Gegensatz zu den

meisten anderen europäischen Mitbewerbern konnte die irische Fluglinie Ryanair trotz

des harten Wettbewerbs in der Luftfahrtbranche und belastender Faktoren wie stark

gestiegener Kosten für Treibstoff Umsatz und Profit in den schwierigen Jahren 2001 bis

2006 kontinuierlich steigern.

Ryanair, 1985 als kleine irische Regionalfluglinie gegründet, ist mit aktuell über 42

Millionen transportierten Passagieren die führende Low-Fare-Airline Europas.26 Durch

aggressive Preisgestaltung, eine schlanke Kostenstruktur und Einnahmen aus

komplementären Dienstleistungen wie der Vermittlung von Hotels und Leihautos kann

das Unternehmen ein dichtes Kurzstreckennetz und direkte Verbindungen zwischen

europäischen Großstädten zu außerordentlich günstigen Preisen anbieten.

Das Unternehmen setzt dabei auf seine klare Positionierung als Billiganbieter in

Verbindung mit einer möglichst kosteneffizienten Organisation. Ryanair verzichtet auf

teures Bordservice, serviert Bordverpflegung und Getränke nur gegen Bezahlung, meidet

die teuren internationalen Großflughäfen und operiert stattdessen lieber von kleinen

Nebenflugplätzen aus, um die Kosten niedrig und die Tickets billig zu halten.

Ryanair ist es gelungen, ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu finden, dass es erlaubt, die

strategische Positionierung als Low-Fare-Airline operativ in das Erwirtschaften von

Gewinn umzusetzen und gleichzeitig nachhaltig zu wachsen. Das Geschäftsmodell

definiert dabei, welche Produkte und Dienstleistungen welchen Kunden angeboten

werden, und wie das Unternehmen seine Ressourcen gezielt in Aktivitäten und ein auf

dem Markt nachgefragtes Leistungsangebot umsetzt, das nicht nur Kundennutzen schafft,

sondern darüber hinaus dem Unternehmen erlaubt, Gewinne zu erzielen.

Ein weiteres oft zitiertes Beispiel eines erfolgreichen und profitabel wachsenden

Unternehmens ist Dell, ein Hersteller von Computerhardware. Obwohl die Firma in einer

überaus dynamischen Branche agiert, ist Dell, 1984 von Michael Dell gegründet, heute

auf dem Markt für Personal Computer mit 31 % Marktanteil in den USA Marktführer und

mit 17 % Marktanteil27 knapp hinter Hewlett-Packard die Nummer zwei weltweit.

Ebenso wie bei Ryanair beruht der Erfolg der Firma auf einem einfachen Konzept: Dell

hat sich als Direktanbieter von leistungsfähigen PC-Systemen für den privaten

Massenmarkt positioniert und verkauft über das Telefon und Internet direkt an 25 vgl. AEA (2007) 26 Stand 03/2007, Angaben laut Geschäftsbericht 2007 der Ryanair Plc. (2007). 27 Historische Marktanteile für PC-Systeme, vgl. IDC Worldwide Quarterly PC Tracker (2006)

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Problemstellung 7

Endkunden. Der Konsument kann sein PC-System nach seinen individuellen Bedürfnissen

zusammenstellen und bekommt es direkt nach Haus geliefert. Durch den direkten Verkauf

von PC-Systemen an Endkunden hat Dell alle notwendigen Informationen, um den

eigenen Lagerbestand besser als seine Mitbewerber zu managen. Komponenten werden

erst nach Eingang einer Bestellung bezogen – genau dann, wenn sie in der Assemblierung

benötigt werden.

Dieses Konzept erlaubt es Dell, aufgrund geringer Lagerhaltungskosten und durch

Umgehung des Einzelhandels dem Kunden sein maßgeschneidertes PC-System schnell,

effizient und zu konkurrenzfähigen Preisen anzubieten. Bei der Entwicklung seines

leistungsfähigen Geschäftsmodells identifizierte Dell zuerst die wertschöpfenden

Aktivitäten und Geschäftsprozesse, an denen sich Dell aktiv beteiligen wollte. Für alle

übrigen Aktivitäten und Prozesse, die Dell nicht selbst durchführen wollte, wurden

Partner gesucht.

Die Fallbeispiele Ryanair und Dell seien stellvertretend für viele weitere Unternehmen

wie Toyota, IKEA, Apple etc. genannt, die gezeigt haben, dass sich insbesondere durch

die Verbindung von strategischer Innovation und agilem Unternehmertum neue

Geschäftsideen in Form innovativer Geschäftsmodelle realisieren lassen, welche die

Chance auf nachhaltig profitables Wachstum eröffnen.

Die vorgestellten Fallbeispiele sind gleichzeitig Ausdruck einer veränderten

Wirtschaftsordnung. in der neue Gesetze und Spielregeln des Wettbewerbs herrschen.

Innovationskompetenz wird zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil; d. h., die

Gestaltung und Realisierung innovativer Geschäftsmodelle treten an die Stelle der

traditionellen Produktentwicklung28, denn infolge der rasanten und unvorhersehbaren

Veränderung im Geschäftsumfeld definiert sich Unternehmenserfolg heute immer

weniger über Produkte, Marktanteile oder unternehmensinterne

Wertschöpfungsprozesse.29 Die nachhaltige Veränderung des Geschäftsumfelds hat die

Struktur vieler traditioneller Branchen dauerhaft verändert und neue Regeln des

Wettbewerbs definiert.30

Als neue Werttreiber gelten heute die Einbindung des Unternehmens in Netzwerke, die

Gestaltung der Transaktionsbeziehungen innerhalb und außerhalb traditioneller

Unternehmensgrenzen, die Fähigkeit der Internalisierung von Ressourcen, das Erlernen

neuer Fähigkeiten und die Nutzung von Netzwerkexternalitäten zur Gestaltung 28 vgl. Ackermann, W. (2001), S. 79. 29 vgl. Bieger, T. und Belz, C. (2004), S. 386. 30 vgl. Voelpel, S. C., et al. (2004)

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8 Problemstellung

innovativer Leistungsangebote. Eigentliche Kundenanforderungen sowie die Kooperation

von unterschiedlichen Anbietern entlang der Wertschöpfungskette rücken in den

Vordergrund.31 Beispiele in Branchen wie der Luftfahrtindustrie, der Telekommunikation

oder Computerindustrie zeigen, wie grundlegend sich die traditionellen Spielregeln in der

Wirtschaft verändern. Aber auch in der Finanz- und Versicherungswirtschaft sind neben

der Steigerung der Effizienz und Produktivität mehr als je zuvor neue Ideen und

innovative Geschäftsmodelle gefragt.32

Es genügt nicht mehr, die Branche oder das Unternehmen zu analysieren, um zu

verstehen, wie Wert geschaffen wird. Stattdessen rücken die Art und Weise, wie das reale

Geschäft erbracht und organisiert wird, in den Mittelpunkt des Interesses. Das Thema der

Konfiguration bzw. Architektur der Wertschöpfung tritt in den Vordergrund. Für diese

neue Analyseeinheit hat sich in Theorie und Praxis der Begriff „Geschäftsmodell“

eingebürgert.33

Unternehmer sind immer mehr damit beschäftigt, direkt auf Veränderungen des Umfelds

zu reagieren, um neue unternehmerische Chancen wahrzunehmen und neue

Geschäftsmöglichkeiten zu entdecken sowie an die zur Umsetzung dieser Gelegenheiten

benötigten Ressourcen und Fähigkeiten zu gelangen.34 Das Tempo der Veränderungen

legt nahe, dass Organisationen ihre Geschäftsmodelle laufend überprüfen, anpassen oder

transformieren müssen, um in ihrem Geschäftsumfeld bestehen zu können.

Auf immer dynamischeren Märkten werden austauschbare generische Strategien wie die

Auswahl attraktiver Produkt-Markt-Kombinationen zunehmend obsolet, gehen sie doch

von relativ stabilen, abgrenzbaren Wettbewerbsstrukturen aus.35

Dazu ist in den Unternehmen auch ein Umdenken erforderlich. Traditionelle Ansätze des

strategischen Managements stoßen in dieser neuen Welt an ihre Grenzen. Unternehmen

sind gefordert, mechanisches Denken und die dominante Logik ihrer Industrie zu

überwinden36 und sich systemisch auf die Suche nach neuen, ganzheitlich

wertschaffenden Ansätzen oder Konfigurationen zu begeben. Anstatt der schrittweisen

Anpassung oder beständigen Optimierung ist manchmal einer schöpferischen Zerstörung

und diskontinuierlichen Erneuerung der Vorzug zu geben, denn im heutigen, sich rasant

31 vgl. Lehmann, A. P. (2000), S. 22. 32 vgl. Ackermann, W. und Lang, D. (2004) 33 vgl. Bieger, T. und Belz, C. (2004), S. 387. 34 vgl. Lechner, C. und Müller-Stewens, G. (2003), S. 118. 35 vgl. Maas, P. (2000) 36 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1995)

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Problemstellung 9

verändernden Marktumfeld können nachhaltige Wettbewerbsvorteile oft nur durch die

Innovation des eigenen Geschäftsmodells erlangt werden.37

In Übereinstimmung mit Schumpeter versteht sich Innovation dabei als der Motor eines

permanenten wirtschaftlichen Entwicklungsprozesses, der von „kreativer Zerstörung“

geprägt ist.38 Im Verlauf dieses Prozesses können bestehende Unternehmen, ja ganze

Branchen, untergehen; d. h., es werden bestehende Strukturen immer wieder zerstört und

durch neue ersetzt. Die Hauptaufgabe des Unternehmers sieht Schumpeter darin, die

Produktionsstruktur ständig zu reformieren und zu revolutionieren. Dank Innovationen

und unternehmerischer Kreativität entstehen immer wieder neue und wachsende

Unternehmen sowie manchmal auch ganz neue Wachstumsbranchen, denn jede sterbende

Branche war irgendwann einmal selbst eine Wachstumsbranche.

Schon für Schumpeter gab es bei der Durchführung von Innovationen mehrere

Ansatzpunkte. Auf das heutige Wirtschaftsumfeld umgelegt reichen diese von der

Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen über die Einführung neuer

Produktionsmethoden, die Erschließung neuer Märkte und Ressourcen bis hin zur

Gestaltung innovativer Geschäftsmodelle, um so auch auf reifen, hart umkämpften

Märkten die Voraussetzungen für nachhaltig profitables Wachstum zu schaffen. Als

Innovation ist damit jede Neuerung und Veränderung zu bezeichnen, die durch agiles

unternehmerisches Denken und Handeln das Unternehmen bzw. das bisherige

Geschäftsmodell weiterentwickelt und ihm möglichst nachhaltige Wettbewerbsvorteile

gegenüber anderen Markt- und Wertschöpfungsteilnehmern verschafft.

Neben den klassischen Wachstumsstrategien39 wie der stärkeren Durchdringung

bestehender Märkte, der Einführung neuer Produkte, der Expansion in neue Märkte oder

der Diversifikation in gänzlich neue Geschäftsfelder stellt daher auch die

Geschäftsmodellinnovation eine eigenständige strategische Option und eine neue

Strategie zu nachhaltig profitablem Wachstum dar. Diese Sichtweise beruht auf der

impliziten Annahme, dass durch koordiniertes und zielorientiertes strategisches Handeln

entscheidender Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen genommen

werden kann.40

37 vgl. Voelpel, S. C., et al. (2004), Voelpel, S. C., et al. (2005) 38 vgl. Schumpeter, J. A. (1912) 39 vgl. Ansoff, I. (1957) 40 vgl. Rumelt, R. P., et al. (1991)

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10 Problemstellung

Diversifikations-

Strategie

Markt-

Entwicklungs-

Strategie

Produkt-

Entwicklungs-

Strategie

Markt-

Durchdringungs-

Strategie

Diversifikations-

Strategie

Markt-

Entwicklungs-

Strategie

Produkt-

Entwicklungs-

Strategie

Markt-

Durchdringungs-

Strategie

bestehende Produkte neue

bestehende

Märkte

neue

Abbildung 2: Produkt-Markt-Matrix klassischer Wachstumsstrategien41

Dass die Geschäftsmodellinnovation einen wesentlichen Beitrag zu mehr Wachstum

leisten kann, deckt sich mit den Ergebnissen der im Jahr 2004 von Fontin & Company mit

216 Führungskräften mittlerer und großer deutscher Unternehmen durchgeführten

Umfrage zum Thema Geschäftsmodellmanagement. Die Studie kommt zu dem Ergebnis,

dass sich laut 68 Prozent der Befragten der Anstoß zur Beschäftigung mit dem eigenen

Geschäftsmodell im Zusammenhang mit Wachstumsprogrammen ergab.

Which of the following will be the greater source of competitive advantagebetween now and 2010?(% repondents)

New products andservices 46

New business models(i.e. how your business is run) 54

Abbildung 3: Relevanz der Geschäftsmodellinnovation42

Da organisches Wachstum auf reifen Märkten nur bedingt möglich ist, gewinnt die

Geschäftsmodellinnovation neben den Produkt-, Prozess- und Serviceinnovationen als

41 vgl. Ansoff, I. (1957), S. 114. 42 vgl. EIU (2005), S. 22.

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Problemstellung 11

bislang kaum wahrgenommenes Gestaltungs- und Optimierungsfeld immer mehr an

Bedeutung.43 Wenngleich Initiativen zur Entwicklung neuer Produkte und

Dienstleistungen bzw. zur Optimierung der internen Prozesslandschaft heute noch

dominieren, wird der Differenzierung durch die grundlegende Erneuerung der

Geschäftsmodelle ein immer größerer Stellenwert beigemessen.44 So hat sich die Priorität

bereits zugunsten von Geschäftsmodellinnovationen verschoben, denn 54 Prozent der im

Zeitraum zwischen November 2004 und Januar 2005 von der Economist Intelligence Unit

(EIU) weltweit befragten Führungskräfte45 glauben, eher durch

Geschäftsmodellinnovation als durch neue Produkte oder Dienstleistungen nachhaltige

Wettbewerbsvorteile erzielen zu können.46

Diese Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen von IBMs Global CEO Survey

200647, in der 65 Prozent der befragten CEOs und Führungskräfte überzeugt sind, in den

kommenden Jahren wesentliche Veränderungen an ihrem Geschäftsmodell vornehmen zu

müssen. Gerade erfolgreiche Unternehmen messen dem Thema bereits heute einen

höheren Stellenwert bei und nutzen es als neuen Weg, sich von der Konkurrenz

abzuheben. Unternehmen, die sich eigenen Angaben zufolge bereits aktiver mit der

eigenen Geschäftslogik befassen, sehen dies nicht nur als Chance, sondern sogar als

zwingende Notwendigkeit an, um im Wettbewerb zu bestehen. So befürchten laut der

IBM-Studie 40 Prozent dieser Unternehmen, dass Veränderungen im Geschäftsmodell

eines Wettbewerbers die Wettbewerbsdynamik der gesamten Branche umstürzen könnten.

Ein CEO beschrieb dies in düsteren Worten:

„Da 70 Prozent unseres Geschäfts auf einer Dienstleistung basieren, die es in

dieser Form bald nicht mehr geben wird, müssen wir unser Unternehmen

entsprechend anpassen, um zu überleben.“48

Diese Ergebnisse bestätigen frühere Arbeiten aus dem Bereich des strategischen

Managements, die bereits seit Längerem auf die kontinuierliche Veränderung des

Wettbewerbsumfelds49 und die zunehmend diskontinuierliche Natur des Wandels50

43 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2005), S. 10. 44 vgl. IBM (2006), S. 5.. 45 N=4018 Interviews mit Führungskräften aus mehr als 20 verschiedenen Branchen und 23 Ländern. 46 vgl. EIU (2005), S. 9, Kagermann, H. und Österle, H. (2006) 47 N=765 Interviews mit Führungskräften aus 20 verschiedenen Branchen und 11 Regionen. 48 vgl. IBM (2006), S. 12. 49 vgl. Bettis, R. A. und Hitt, M. A. (1995), Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1998), Hitt, M. A., et al.

(2001) 50 vgl. Hamel, G. (1996), Christensen, C. M. und Overdorf, M. (2000), Christensen, C. M. (2001),

Christensen, C. M., et al. (2002)

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12 Problemstellung

hinweisen. Um in diesem zunehmend dynamischeren Wettbewerbsumfeld, ‟a business

reality that is in flight”51, zu überleben, sind innovative Geschäftsmodelle und agiles

Unternehmertum gefragt. Als Antwort auf sich verändernde Marktverhältnisse sind alle

Marktteilnehmer gefordert, ihre Geschäftsstrategien und strategische Ausrichtung zu

überprüfen und auch ihre Geschäftsmodelle entsprechend anzupassen.

Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass sich bisher nur sehr wenige

Unternehmen aktiv mit dem eigenen Geschäftsmodell beschäftigen. Müller-Stewens und

Fontin (2003) zufolge hat „jedes Unternehmen [...] ein Geschäftsmodell, aber gerade in

der ,Old Economy‘ wird das nur selten explizit wahrgenommen und aktiv bearbeitet.“52

Dies stellt auch das Forschungsfeld des strategischen Managements, welches die

systematische Auseinandersetzung mit den Grundlagen für den langfristigen Erfolg von

Unternehmen zum Gegenstand hat53, vor neue Herausforderungen.54

Die eingangs zitierten Studien zeigen die Relevanz und Chance der Beschäftigung mit

dem eigenen Geschäftsmodell. Gleichzeitig mahnen sie aber auch dazu, die

Geschäftsmodellinnovation im Unternehmen als einen kontinuierlich fortlaufenden

Prozess zu implementieren.55 Die damit verbundenen Chancen zu nutzen, stellt eine der

wesentlichsten Herausforderungen für das strategische Management in den nächsten

Jahren dar, denn der langfristige Erfolg von Unternehmen hängt in zunehmendem Maß

davon ab, neue, innovative Geschäftsmodelle zu finden, die in einem Umfeld

zunehmenden Wettbewerbs und sich verändernder Kundenbedürfnisse nachhaltig

profitables Wachstum und somit das Überleben des Unternehmens sicherstellen.

Die weiteren Überlegungen bauen daher auf der Annahme auf, dass unternehmerischer

Erfolg heute nicht mehr allein durch eine geschützte Marktposition oder eine besondere

Ressourcenausstattung zu erklären ist, sondern vielmehr davon abhängt, ob die

Organisation die Kompetenz zur Geschäftsmodellinnovation besitzt und in der Lage ist,

innovative Geschäftsmodelle zu realisieren.

Somit wird mit der Diskussion und Erforschung der organisationalen Kompetenz zur

erfolgreichen Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation eine überaus aktuelle und

praxisnahe Fragestellung aufgegriffen, die sowohl aus Sicht der Wissenschaft wie auch

51 vgl. Chakravarthy, B., et al. (2003a), S. 233. 52 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2003), S. 4. 53 vgl. Rüegg-Stürm, J. (2000), S. 10. 54 vgl. Prahalad, C. K. und Haaker, T. (1994), Prahalad, C. K. (1999), Hitt, M. A. und Ireland, R. D. (2000) 55 vgl. Mitchell, D. W. und Coles, C. B. (2004)

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Problemstellung 13

der Praxis von gleichermaßen großem Interesse ist.

Von den wenigen Arbeiten, die sich bisher mit der Innovation von Geschäftsmodellen

befasst haben, widmete sich die Mehrzahl technologisch induzierter Veränderungen von

Geschäftsmodellen. Wenn sie es tun, dann beleuchten sie das Thema auf einer abstrakten

Ebene, ohne empirisch überprüfbare Hypothesen anzubieten. Die Beiträge sind

vorwiegend im Zusammenhang mit der Entwicklung internetbasierter E-Business-

Modelle in der Ära der New Economy bis 200156 zu sehen. Erst in den letzten Jahren ist

ein Bedeutungswandel wahrnehmbar und es verschieben sich Forschungsinteresse und -

schwerpunkt zunehmend aus dem Bereich des Informations- und E-Business-

Managements in das Feld strategischer Managementforschung, wobei das

Geschäftsmodell nunmehr vorwiegend als Gestaltungsrahmen für strategische

Innovationen genutzt wird.

Jedoch mangelt es hier bisher an “further insights [...] into the dynamics of business

model emergence and evolution” 57.

Bis auf die Aufforderung, sich aktiver mit dem eigenen Geschäftsmodell zu befassen,

wird der Praxis vonseiten der Wissenschaft bisher nicht viel an Handwerkszeug für die

zweifellos facettenreiche und schwierige Arbeit am Geschäftsmodell in die Hand

gegeben.

“9umerous articles and books have been published referring to the importance

of creating new business models; only few, however, provide tools on how to

actually reinvent business models.”58

Obwohl die Notwendigkeit der fortlaufenden Überprüfung und Adaption des bestehenden

Geschäftsmodells und der Entwicklung neuer, innovativer Geschäftsmodelle in Literatur

und Praxis gut dokumentiert ist, stellt der Mangel an Definitionen, Anleitungen und

Empfehlungen hinsichtlich erfolgreicher Vorgehensweisen und Methodologien zur

Gestaltung und Realisierung innovativer Geschäftsmodelle ein weitgehend unbearbeitetes

Forschungsfeld dar. Die vorliegende Arbeit versucht, diese Forschungslücke zu schließen.

“When innovative business models are considered, research to date is yet to

satisfy the need for methods that can structure a firm’s change endeavour either

56 vgl. Tapscott, D., et al. (1998), Linder, J. und Cantrell, S. (2000), Petrovic, O., et al. (2001) 57 vgl. Morris, M., et al. (2005), S. 734. 58 vgl. Voelpel, S. C., et al. (2005)

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14 Forschungsfrage

towards adopting a new business model or extending a current one to include

new dimensions.”59

Was fehlt, sind praxisnahe Erkenntnisse zur erfolgreichen Modellierung und Realisierung

innovativer Geschäftsmodelle; d. h. ein Ansatz, der erklärt, wie eine erfolgreiche

Vorgehensweise zur Modellierung neuer Geschäftsideen und deren Realisierung in Form

innovativer Geschäftsmodelle zu gestalten ist bzw. welche erfolgsrelevanten Aspekte und

Faktoren zu beachten sind.

“We need a conceptual toolkit that enables entrepreneurial managers to design

their future business model, as well as to help managers analyze and improve

their current designs to make them fit for the future.”60

3 Forschungsfrage

Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht daher die Forschungsfrage, wie Großunternehmen im

Rahmen der Wachstumsstrategie auf Ebene von Geschäftseinheiten durch die

organisationale Kompetenz der Geschäftsmodellinnovation einen positiven Beitrag zur

Realisierung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile und somit zu einem profitablen Wachstum

leisten können.

Die Betrachtung setzt auf der Ebene einer einzelnen Geschäftseinheit eines großen,

diversifizierten Unternehmens an, um zu ergründen, welche Prozesse und organisationale

Routinen hier wirksam werden und welche moderierenden Einflussfaktoren zu beachten

sind, um die erfolgreiche Realisierung innovativer Geschäftsmodelle zu erleichtern und

somit einen Beitrag zur Schaffung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile und in weiterer

Folge zu überdurchschnittlichem Wachstum und Unternehmenserfolg zu leisten. Damit

greift die Arbeit eine im Bereich der strategischen Erfolgsforschung lange diskutierte

Fragestellung erneut auf und führt das Geschäftsmodell als neue Analyseeinheit

strategischen Erfolgs ein.

Das Forschungsinteresse richtet sich dabei auf die organisationale Kompetenz der

Geschäftsmodellinnovation. Genauer gesagt stehen die Prozesse und organisationalen

Routinen zur erfolgreichen Gestaltung und Realisierung innovativer Geschäftsmodelle im

Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Es wird versucht, erfolgreiche Vorgehensweisen

und Methodologien (Best Practices) für die Gestaltung und Realisierung von

59 vgl. Pateli, A. G. und Giaglis, G. M. (2004), S. 310. 60 vgl. Zott, C. und Amit, R. (2010)

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Zielsetzung 15

Geschäftsmodellinnovationen zu identifizieren.

Konkret wird im weiteren Gang der Arbeit folgenden Detailfragen nachgegangen und der

Versuch unternommen, darauf Antworten zu finden:

� Wie werden in großen, diversifizierten Unternehmen auf der Ebene von

Geschäftsbereichen innovative Geschäftsmodelle modelliert und realisiert?

� Welche Prozesse und organisationalen Routinen bilden die Grundlage der

organisationalen Kompetenz zu erfolgreichen Realisierung von

Geschäftsmodellinnovationen?

� Welche Handlungsempfehlungen lassen sich daraus für die Praxis, d. h. für die

Gestaltung und Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen, ableiten?

4 Zielsetzung

Aufbauend auf den bisherigen Überlegungen soll mit der Diskussion von

Geschäftsmodellen eine aktuelle und praxisnahe Fragestellung aufgegriffen werden, die

aus Sicht der Wissenschaft wie auch der Praxis von gleichermaßen großem Interesse

erscheint. Insbesondere soll das Phänomen in der Praxis erforscht und so ein Beitrag zur

Theoriebildung in diesem Bereich geleistet werden. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll

die skizzierte Forschungslücke, welche das Forschungsfeld hinsichtlich der theoretischen

und praktischen Fragestellungen in Bezug auf die organisationale Kompetenz der

Modellierung und Realisierung von innovativen Geschäftsmodellen, d. h. den Prozess der

Geschäftsmodellinnovation, aufweist, dadurch geschlossen werden. Schlussendlich soll

dadurch versucht werden, die Grundlagen für eine praxisnahe Theorie der

Geschäftsmodellinnovation zu erarbeiten.

Dazu ist es einerseits notwendig, das identifizierte Phänomen systematisch hinsichtlich

seiner begrifflichen und theoretischen Grundlagen zu durchleuchten bzw. gegenüber

ähnlichen Konzepten abzugrenzen, um so zu einem klaren Begriffsverständnis

beizutragen. Andererseits soll vor allem der Frage nach den erfolgsrelevanten

organisationalen Routinen und Prozessen der Geschäftsmodellinnovation nachgegangen

werden.

Dazu wird auch der breitere organisationale Kontext der Geschäftsmodellinnovation

untersucht werden. Dies schließt die Betrachtung des sozialen Interaktionsverhaltens der

handelnden Akteure genauso wie die Mechanismen der Entscheidungsfindung und der

Aktivierung unternehmerischen Denkens und Handelns mit ein. Die Suche konzentriert

sich auf die Identifikation relevanter Einflussfaktoren im Prozess der Realisierung neuer

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16 Zielsetzung

Geschäftsideen, mit dem Ziel, möglichst nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu erlangen.

Das Phänomen wird sowohl aus dem Blickwinkel strategischer Managementforschung

theoretisch beleuchtet als auch im realen Anwendungszusammenhang eines großen,

diversifizierten Unternehmens empirisch erforscht.

Die empirische Untersuchung beleuchtet mehrere Fälle von

Geschäftsmodellinnovationen, die im Geschäftsbereich der privaten

Kraftfahrzeugversicherung eines großen, breit diversifizierten

Versicherungsunternehmens in Deutschland in den Jahren 2002 bis 2007 realisiert

wurden. Dadurch sollen neue Erkenntnisse hinsichtlich der Gestaltungs- und

Entscheidungsoptionen im Prozess der Geschäftsmodellinnovation gewonnen und zu

einem besseren Verständnis der zur erfolgreichen Formulierung und Realisierung

innovativer Geschäftsideen in großen, diversifizierten Unternehmen benötigten

Fähigkeiten und organisationalen Routinen beitragen.

Die im Rahmen der explorativen Untersuchung in zahlreichen Interviews mit Praktikern

gewonnenen Erkenntnisse und die eingehende Analyse dieser empirischen Daten im

Prozess der explorativen Fallstudienforschung bilden die Grundlage zur Generierung von

Hypothesen und zur empirisch abgesicherten Theoriebildung61, um den Grundstein für

eine Praxistheorie des Managements von Geschäftsmodellinnovationen zu legen.

Auf Grundlage der daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen der Praxis unter Einbeziehung

relevanter Theorien konkrete Handlungsempfehlungen angeboten werden, die den Prozess

der Formulierung und der Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen unterstützen.

Für die Praxis sollen diese Erkenntnisse einerseits Orientierung und andererseits eine

konkrete Hilfestellung bieten, wenn sich Manager bereits im Vorfeld von Wachstums-

und Geschäftsmodellinitiativen Wissen und Know-how hinsichtlich einer erfolgreichen

Beschäftigung mit dem eigenen Geschäftsmodell aneignen wollen, denn unabhängig

davon, ob sich Innovation im Weg kleiner Entwicklungsschritte oder durch die radikale

Neukonzeption bestehender Geschäftsmodelle vollzieht, ist es wichtig, ein solches

Vorhaben entsprechend zu strukturieren und die richtigen Hebel zu betätigen.

61 Zur Methodologie einer Bereichs- und Daten-bezogenen Theoriebildung nach dem von Glaser, B. und

Strauss, A. L. (1967) und Strauss, A. L. und Corbin, J. (1990) beschriebenen Grounded-Theory-

Ansatz vgl. Kapitel 10.2.

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Aufbau der Arbeit 17

5 Aufbau der Arbeit

Um die ausgeführte Zielsetzung und Forschungsfrage dieser Arbeit zu unterstützen,

unterteilt sich diese in vier Teile, die wie folgt aufgebaut sind.

Während Teil I ganz im Zeichen des langsamen Herantastens an das Thema stand, soll

nun ein Überblick über den weiteren Verlauf der Arbeit gegeben werden. Ausgehend von

der eingangs skizzierten Notwendigkeit der laufenden Überprüfung der strategischen

Erfolgspotenziale von Unternehmen und der damit verbundenen wachsenden Bedeutung

des Arbeitsgebiets Geschäftsmodell, d. h. der Neuausrichtung bestehender und

Entwicklung neuer, innovativer Geschäftskonzepte, wurden die damit verbundenen

Chancen, aber auch Herausforderungen aufgezeigt bzw. Problemfelder herausgearbeitet.

Dem sich daraus ergebenden Forschungsbedarf hinsichtlich Fragen der

Geschäftsmodellinnovation, d. h. der organisationalen Kompetenz zur Gestaltung und

Realisierung innovativer Geschäftsmodelle, ist die vorliegende Arbeit gewidmet. Im

Zentrum des Erkenntnisinteresses steht dabei die Frage, welche Prozesse und Routinen

Unternehmen auf Ebene einzelner Geschäftsbereiche benötigen, um

Geschäftsmodellinnovationen erfolgreich zu realisieren.

Darauf aufbauend beschäftigt sich Teil II mit den theoretischen Vorüberlegungen der

Arbeit. Einerseits wird in Kapitel 6.1 ein Einblick in die bisherigen Erkenntnisse und

Erklärungsmodelle der strategischen Erfolgsforschung gegeben, die seit Anfang an den

Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses im Forschungsfeld des strategischen Managements

bildeten. In Kapitel 6.2 werden diese traditionellen Perspektiven vor dem Hintergrund

eines neuen, veränderten wirtschaftlichen Umfelds und dynamisierter

Wettbewerbsbedingungen kritisch beleuchtet. Aufbauend auf diese Kritik wendet sich

Kapitel 6.3 neuen Erklärungsansätzen bzw. zukunftweisenden Perspektiven und

Analyseeinheiten im Feld der strategischen Managementforschung zu.

Abschnitt 7 steht daher ganz im Zeichen der Beschäftigung mit dem Geschäftsmodell, das

als neue, holistische Analyseeinheit bzw. vereinfachte Darstellung unternehmerischen

Handelns, des arbeitsteiligen Prozesses der Wertschöpfung und des Mechanismus der

Wertgenierung von Unternehmen verstanden wird. Da die Begriffe „Geschäftsmodell“,

„Strategie“ und „Innovation“ in der Literatur bisher nur sehr unscharf formuliert bzw. der

Zusammenhang zwischen den beiden Konzepten wenig beleuchtet wurde, widmet sich

der nachfolgende Abschnitt 8 der Frage, was unter diesen Begriffen konkret zu verstehen

ist. Ausgehend von der bestehenden Literatur wird versucht, die Konturen der

Geschäftsmodellinnovation enger abzustecken und den Bezug zu den bestehenden

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18 Aufbau der Arbeit

Perspektiven und Konzepten im Feld des strategischen Managements herzustellen, um so

schrittweise die Bausteine eines Bezugsrahmens für Geschäftsmodellinnovationen zu

erarbeiten.

Neben der Definition der relevanten Begriffe wird in diesem Teil die bestehende Literatur

systematisch aufgearbeitet und hinsichtlich ihrer Bedeutung für die vorliegende Arbeit

analysiert, um so den Erkenntnisbereich der Geschäftsmodellinnovation zu erschließen.

Im letzten Abschnitt 9 wird schließlich der vorläufige Bezugsrahmen für das

Forschungsvorhaben skizziert und die wesentlichen Kategorien, Beziehungen und

möglichen Wirkungszusammenhänge zwischen den einzelnen Dimensionen, an denen

sich die empirische Untersuchung orientiert, offengelegt.

Basierend auf den theoretischen Vorüberlegungen der vorherigen beiden Abschnitte ist

Teil III der empirischen Untersuchung der eingangs skizzierten Fragestellung gewidmet.

Nach der einleitenden Klärung der wissenschaftstheoretischen Perspektive der Arbeit in

Kapitel 10.1, wird in Kapitel 10.2 die gewählte Methodologie der Grounded Theory und

in Kapitel 10.3 das Forschungskonzept der vergleichenden Fallstudienforschung

vorgestellt, welche den methodischen Rahmen für die empirische Untersuchung bilden.

Kapitel 10.4 dient der kritischen Reflexion der gewählten Forschungsmethode und

erläutert die getroffenen Maßnahmen zur Qualitätssicherung. In Abschnitt 11 werden das

konkrete Forschungsdesign sowie der chronologische Ablauf der empirischen Arbeit

nachvollziehbar gemacht, es wird die Auswahl bestimmter Fallstudien aus der

Grundgesamtheit begründet und der Gang der Datenerhebung und -analyse dokumentiert.

Der verbleibende Teil dieses Kapitels ist der materiellen empirischen Erforschung und der

Darstellung ausgewählter Fallstudien gewidmet. Die empirische Untersuchung gilt drei

strategischen Innovationsprojekten des Geschäftsbereichs der privaten

Kraftfahrzeugversicherung in einem großen deutschen Versicherungskonzern. Zuerst wird

jedoch die spezifische Situation des Unternehmens, d. h. der externe wie interne

Unternehmenskontext, beleuchtet. In Kapitel 12.1 wird zunächst das Forschungsfeld

näher beleuchtet. So wird das spezifische Branchenumfeld dargelegt, um einen Bezug

zum äußeren Kontext der Ereignisse herzustellen. Um ein möglichst vollständiges Bild

der Untersuchungsumgebung zu geben, werden wesentliche historische

Entwicklungspfade und aktuelle Trends in der deutschen Kraftfahrzeugversicherung

nachgezeichnet.

Daran anschließend wird das Unternehmen vorgestellt, um den inneren organisationalen

Kontext der Untersuchung zu vermitteln. Kapitel 12.2 ist der Vorstellung des spezifischen

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Aufbau der Arbeit 19

Unternehmenskontexts der ASSEKURANZ gewidmet, um den Rahmen der einzelnen

Fallstudien zu vermitteln, denn erst durch die Kenntnisse der Hintergründe ist es möglich,

die nachfolgenden Ereignisse und Handlungen einzuordnen und zu verstehen.

Den Hauptteil dieses Teils der Arbeit bilden jedoch die Abschnitte 13 – 15, d. h. die

eingehende Beschreibung und Analyse der drei Fallstudien: Gebrauchtwagenmarkt,

Direktversicherung, Herstellerkooperation. Dabei werden die in der betrieblichen Realität

gewonnenen Erfahrungen bei der Gestaltung und Realisierung von

Geschäftsmodellinnovationen illustrativ dargestellt. Der Aufbau der Fallstudien folgt

dabei einer gleichbleibenden Grundstruktur. Fall für Fall wird die Genese einer neuen

Geschäftsidee bzw. Strategie und deren Realisierung in Form eines neuen

Geschäftsmodells Schritt für Schritt nachgezeichnet.

In Teil IV der Arbeit werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung nochmals

zusammengefasst und im Hinblick auf das Erkenntnisziel dieser Arbeit beleuchtet. Auf

Basis der empirischen Daten aus den einzelnen Fallstudien wird der Versuch

unternommen, hinsichtlich der eingangs formulierten Fragestellung Antworten zu geben.

Durch die übergreifende Analyse der einzelnen Fallstudien und die Interpretation der

Daten werden Hypothesen hinsichtlich der organisationalen Kompetenz der

Geschäftsmodellinnovation bzw. der erfolgreichen Bewältigung des Innovationsprozesses

generiert. Abschnitt 17 diskutiert die verschiedenen Ebenen, auf denen

Geschäftsmodellinnovation stattfinden kann, und arbeitet die besonderen Charakteristika

von Geschäftskonzepten auf Ebene des Gesamtunternehmens, von Geschäftsfeldern und

einzelnen Geschäftseinheiten aus. In Abschnitt 18 wird der Prozess der

Geschäftsmodellinnovation untersucht und die Vorgehensweise von der Genese einer

Geschäftsidee bis zu deren Realisierung in Form eines neuen Geschäftsmodells näher

beleuchtet.

Abschnitt 19 erläutert, welche organisationalen Kompetenzen diesen Prozess unterstützen.

Indem die einzelnen Fälle zuerst paarweise und dann übergreifend verglichen wurden,

konnten für die einzelnen Phasen des Innovationsprozesses erfolgreiche Praktiken und

Routinen identifiziert werden, die einen positiven Beitrag zum Gelingen des gesamten

Vorhabens leisten. Dies dient einerseits dazu, um Gemeinsamkeiten zwischen den

spezifischen Einzelfällen zu identifizieren, andererseits aber auch dazu, um Erkenntnisse,

welche aus erfolgreichen Veränderungsprojekten gezogen werden, mit den Ergebnissen

weniger erfolgreicher Projekte zu vergleichen. Die im Zuge dieser vergleichenden

Beurteilung der einzelnen Fallstudien gewonnenen Thesen hinsichtlich der relevanten

Praktiken und Erfolgsfaktoren im Prozess der Realisierung von

Geschäftsmodellinnovationen werden in den Kapiteln 19.1 bis 19.5 zusammengefasst und

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20 Aufbau der Arbeit

jeweils im Licht der vorhandenen Literatur bzw. des bisherigen, anerkannten Stands der

Forschung beleuchtet.

Die Schlussbetrachtung in Teil V der Arbeit widmet sich dem zusammenfassenden

Rückblick und der Beurteilung der schlussendlichen Forschungsergebnisse. Die Arbeit

schließt mit einem Ausblick auf Möglichkeiten der weiterführenden, zukünftigen

Forschung im Bereich der organisationalen Kompetenz der Geschäftsmodellinnovation

ab.

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Grundlagen strategischer Managementforschung 21

TEIL II: THEORETISCHE VORÜBERLEGU�GE�

Die in der Einleitung getroffene Annahme, dass die Entwicklung innovativer

Geschäftsmodelle eine zunehmend bedeutsame organisationale Kompetenz zur

Realisierung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile ist und eine bisher nur wenig bekannte

Strategie zur Umsetzung der Vision eines nachhaltig profitablen Wachstums darstellt,

bedarf einer weiteren Konkretisierung. Dazu sind einige theoretische Vorüberlegungen

notwendig, um die getroffenen Annahmen konzeptionell zu untermauern und den

Bezugsrahmen der angenommenen organisationalen Kompetenz der

Geschäftsmodellinnovation herzustellen und die Bausteine des angestrebten theoretischen

Erklärungsansatzes zu definieren.

Einerseits gilt es, zu belegen, warum es vor dem Hintergrund eines zunehmenden

wirtschaftlichen Wandels eines dynamischen Ansatzes zur Erklärung nachhaltiger

Wettbewerbsvorteile bedarf, weshalb die bestehenden, traditionellen Perspektiven der

strategischen Erfolgsforschung und die daraus abgeleiteten generischen Strategien

aufgrund eines veränderten und immer dynamischeren Wettbewerbsumfelds nicht mehr

ausreichend geeignet sind, um die Grundlagen wirtschaftlichen Erfolgs zu erklären.

Zweitens muss dargelegt werden, was unter dem Begriff „Geschäftsmodell“ zu verstehen

ist. Mit dem Geschäftsmodell wird eine neue alternative Analyseeinheit vorgeschlagen,

die eine ganzheitliche Betrachtung der übergreifenden wertschöpfenden Tätigkeit von

Unternehmen und deren Positionierung auf dem Markt erlaubt. Ausgehend von den

traditionellen theoretischen Ansätzen im Feld des strategischen Managements und der

Modelltheorie wird die Brücke zur Definition und Begründung des

Geschäftsmodellkonstrukts geschlagen bzw. wird der Frage nachgegangen, welche

Aspekte eines Geschäfts als relevant erachtet werden und im Geschäftsmodell

Berücksichtigung finden.

Drittens ist zu klären, was unter einer Geschäftsmodellinnovation zu verstehen ist. Es gilt,

die zentrale Annahme dieser Arbeit, es handle sich dabei um die dynamische

organisationale Kompetenz zur Realisierung strategischer Innovationen, zu begründen,

bevor darauf aufbauend ein Modell der Geschäftsmodellinnovation entwickelt wird und

die organisationalen Prozesse und Routinen, die als Bausteine dieser Fähigkeit anzusehen

sind, empirisch erforscht werden.

6 Grundlagen strategischer Managementforschung

Wie bereits in der Einleitung ausgeführt wurde, hat die Disziplin des strategischen

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22 Grundlagen strategischer Managementforschung

Managements die systematische Auseinandersetzung mit den Grundlagen des

langfristigen wirtschaftlichen Erfolgs von Unternehmen zum Gegenstand.62 Im

Teilbereich der strategischen Erfolgsforschung steht die Suche nach den maßgeblichen

Einflussfaktoren langfristigen Unternehmenserfolgs im Mittelpunkt.

Zur Erklärung des unterschiedlichen wirtschaftlichen Abschneidens von Unternehmen

werden in der Literatur verschiedene theoretische Erklärungsansätze angeboten.63

Traditionell wird der Erfolg von Unternehmen auf branchen- und firmenspezifische

Merkmale zurückgeführt.64 Je nachdem welche impliziten Annahmen der jeweiligen

Sichtweise zugrunde liegen, werden die Ursachen für Erfolg und Misserfolg

unterschiedlich beschrieben und grundlegend auf verschiedene Art und Weise begründet.

Um die dieser Untersuchung zugrunde liegende Perspektive und die damit verbundene

theoretische Positionierung klar von anderen Sichtweisen abzugrenzen und insbesondere

die Gemeinsamkeiten wie auch die Gegensätze der unterschiedlichen Sichtweisen

darzulegen, ist der nächste Abschnitt der kurzen Besprechung des aktuellen Stands der

strategischen Erfolgsforschung gewidmet. Dabei werden die impliziten Annahmen

normativer und deskriptiver Theorien der Wettbewerbsfähigkeit erforscht, die

wettbewerbsrelevanten Umstände aufgezeigt und es wird ergründet, wie relative

Wettbewerbsvorteile zustande kommen.

Obwohl in den letzten Jahren die Theoriebildung hinsichtlich der Grundlage von

Wettbewerbsvorteilen in unterschiedliche Richtungen vorangetrieben wurde, stellen die

Ergebnisse oftmals lediglich wenig strukturierte Modelle und eine paradigmatische

Grundposition dar. Um einen Überblick über die wesentlichen Entwicklungsströme und

den aktuellen Stand zu geben, werden sich die Ausführungen auf die Darstellung und

Diskussion von drei traditionellen Sichtweisen konzentrieren und in weiterer Folge die

Entwicklung hin zu neuen, noch im Entstehen begriffenen Paradigmen der

Strategieforschung nachzeichnen.

Da die Darstellung aller möglichen Sichtweisen und verfügbaren Theorieansätze der

strategischen Erfolgsforschung den Rahmen dieser Arbeit bei Weitem sprengen würde,

muss sich die Darstellung aus pragmatischen Gründen auf die für diese Forschungsarbeit

relevanten Perspektiven und wegweisenden Theorien beschränken. Daher werden nur die

im Hinblick auf den weiteren Gang der Arbeit und die Definition der Analyseeinheit

Geschäftsmodell notwendigen beziehungsweise für den Bezugsrahmen der 62 vgl. Rüegg-Stürm, J. (2000), S. 10. 63 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 144. 64 vgl. Hoskisson, R. E., et al. (1999), S. 418.

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Grundlagen strategischer Managementforschung 23

Geschäftsmodellinnovation zweckdienlichen theoretischen Ansätze beleuchtet.

Besonderes Augenmerk gilt dabei den theoretischen Grundlagen der in dieser Arbeit

eingenommenen integrativen Sichtweise, um so zu einem besseren Verständnis der

theoretischen Konstrukte und untersuchten Zusammenhänge beizutragen.

Die theoretischen Vorüberlegungen beginnen mit der Darstellung ausgewählter

traditioneller Sichtweisen und ihrer Theorieansätze. Daran anschließend wird der Frage

nachgegangen, ob die dabei zugrunde gelegten Analyseeinheiten vor dem Hintergrund

sich wandelnder Branchen- und Unternehmensgrenzen und einer zunehmenden Dynamik

des wirtschaftlichen Umfelds heute noch zeitgemäß sind und nicht neue alternative

Ansätze und neue Analyseeinheiten wie das Geschäftsmodell nötig bzw. besser geeignet

wären, um vor dem Hintergrund des heutigen Wettbewerbsgeschehens die letztendlich

entscheidenden Faktoren für den Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen zu

konzeptionalisieren und zu erklären.

6.1 Traditionelle Perspektiven der strategischen Erfolgsforschung

Mit den nun folgenden Ausführungen wird der Versuch unternommen, einen Überblick

über ausgewählte, teilweise rivalisierende Perspektiven in der strategischen

Erfolgsforschung zu geben.

Um diesem Zweck zu dienen, liegt das Hauptaugenmerk primär auf drei traditionellen

Literaturströmungen: der Industrieökonomie und dem darauf aufbauenden Market-based

View (MbV), dem Resource-based View (RbV) einschließlich der Erweiterungen um den

Capabilities-based View (CbV) und der Transaktionskostentheorie (TCE) als Teilbereich

der neuen Institutionenökonomie.

Der Aufbau des Kapitels orientiert sich an der zugrunde liegenden Analyseeinheit bzw.

Betrachtungsebene dieser unterschiedlichen paradigmatischen Grundpositionen. In Folge

werden nun die branchen-, ressourcen- und transaktionsorientierte Perspektive im Feld

des strategischen Managements eingehend beleuchtet.

Obwohl sich jeder dieser Ansätze im Kern mit der Frage beschäftigt, was den Unterschied

im Erfolg von Unternehmen ausmacht und wie Unternehmen nachhaltige

Wettbewerbsvorteile schaffen, so soll nun verdeutlicht werden, auf welch verschiedene

Art und Weise dies geschieht.

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24 Grundlagen strategischer Managementforschung

6.1.1 Branchenorientierte Perspektive

Wie die Disziplin der Betriebswirtschaft im Allgemeinen wurde auch die Forschung im

Feld des strategischen Managements von Anfang an von früheren Entwicklungen und

Theorien aus dem Feld der Volkswirtschaft beeinflusst. So bauen die ersten Überlegungen

hinsichtlich des Erfolgs von Unternehmen auf den Erkenntnissen der Industrieökonomie

(IO)65, einem Teilgebiet der Nationalökonomie, auf.

Zentrales Element dieser Denkschule ist das von Bain (1956) entwickelte Marktstruktur-

Marktverhalten-Marktergebnis-Paradigma (SCP)66, nach dem die in einer Branche

herrschenden Umweltbedingungen (Struktur) und die strategischen Entscheidungen der

Marktteilnehmer (Verhalten) über die Effizienz der Allokationsentscheidungen und damit

den Erfolg (Performance) entscheiden. Durch die Brille der strategischen

Erfolgsforschung betrachtet wird der Unternehmenserfolg folglich durch die Struktur

einer Branche (Konzentrationsgrad, Kostenstruktur, Produktdifferenzierung,

Eintrittsbarrieren etc.) und das strategische Verhalten des Unternehmens (Preispolitik,

Angebotsdifferenzierung etc.) determiniert.

Die Industrieökonomie (IO) beruht dabei auf vier Grundannahmen:67

� Überdurchschnittlicher Erfolg ist das Ergebnis besserer Anpassung an die

Umweltbedingungen einer Branche oder eines Marktsegments.

� Alle Unternehmen in einer Branche verfügen über dieselbe

Ressourcenausstattung und verfolgen die gleichen Strategien.

� Die benötigten Ressourcen sind unendlich verfügbar.

� Die handelnden Akteure entscheiden rein rational und im Interesse des

Unternehmens.

Das SCP-Paradigma68 bildet die theoretische Grundlage für die Wettbewerbspolitik,

indem es eine kausale Verbindung zwischen der Marktstruktur, dem Verhalten von

Firmen und ihrem wirtschaftlichen Erfolg herstellt.

65 vgl. Bain, J. S. (1968) 66 Die Abkürzung SCP leitet sich von der, in der englischsprachigen Literatur geläufigen Bezeichnung,

Structure-Conduct-Performance-(SCP)-Paradigma ab, vgl. Mason, E. (1949), Bain, J. S. (1956) 67 vgl. Hitt, M. A., et al. (2009), S. 13. 68 vgl. Bain, J. S. (1956)

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Grundlagen strategischer Managementforschung 25

Charakteristika und Struktur

eines Marktes

Structure Conduct

Verhalten der Marktteilnehmer

Performance

Renten durchqualitative und

quantitative Bedarfsdeckung

Bain (1956)

Porter (1980)Auswahl

attraktiver Branchen

Positionierung innerhalb der

Branche

Renten aus der richtigen

Positionierung

Abbildung 4: Erweiterung des Structure-Conduct-Performance-Paradigmas69

Eine Renaissance erlebten diese Überlegungen der Industrieökonomie (IO) durch die

Arbeiten von Porter in den 1980er-Jahren, der die Branchenstrukturanalyse70 zur

dominanten Sichtweise im Feld des strategischen Managements machte. Sein Ansatz, der

sich auf das SCP stützt, betont die Bedeutung der strategischen Handlungsoptionen eines

Unternehmens hinsichtlich der Erlangung und Sicherung einer zu verteidigenden Markt-

und Wettbewerbsposition.

“[T]he key aspect of the firm’s environment is the industry or industries in

which it competes.”71

Porter, der die Sichtweise der Industrieökonomie auf einzelne Unternehmen überträgt, gilt

als einer der bedeutendsten Vertreter eines branchenorientierten Theorieansatzes (Market-

based View, kurz MbV) im strategischen Management. Die zentrale Analyseeinheit bildet

dabei weiterhin die Branche.

Das Fünf-Kräfte-Modell nach Porter geht davon aus, dass Markteintrittsbarrieren

gegenüber neuen Anbietern, die Verhandlungsmacht der Lieferanten und Kunden, die

Substituierbarkeit des Leistungsangebots und die Wettbewerbsintensität zu den

Mitbewerbern über die Attraktivität einer Branche und deren inhärentes Ertragspotenzial

entscheiden.

69 vgl. Ibid, Porter, M. E. (1980a) 70 vgl. Porter, M. E. (1980a) 71 vgl. Porter, M. E. (1985)

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26 Grundlagen strategischer Managementforschung

Abbildung 5: Fünf-Kräfte-Modell nach Porter72

So hilft das Fünf-Kräfte-Modell dabei, systematisch über die in einer Branche

herrschenden Wettbewerbskräfte nachzudenken und die Attraktivität wie auch die

kritischen Erfolgsfaktoren in der Auseinandersetzung mit Mitbewerbern zu bestimmen.

“The approach can be used to help the firm find a position in an industry from

which it can best defend itself against competitive forces or influence them in its

favor.”73

Letztlich wird der Erfolg von Unternehmen aber nicht allein durch Faktoren auf der

Ebene gesamter Branchen (Industry-Level Factors) wie den relativen Marktanteil, die

Eintrittsbarrieren in den Markt und die relative Kostenposition determiniert, sondern

darüber hinaus durch das Verhalten des Unternehmens bestimmt, denn die

Branchenstruktur beeinflusst die Spielregeln des Wettbewerbs und bedingt so die Wahl

der Wettbewerbsstrategie.

Drei generische Strategietypen stehen dabei zur Auswahl:

1. Differenzierung von anderen Anbietern

2. Erlangung der Kostenführerschaft

3. Fokussierung auf ein Nischensegment

72 vgl. Porter, M. E. (1980b), S. 31. 73 vgl. Porter, M. E. (1980a), S. 4.

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Grundlagen strategischer Managementforschung 27

1985 erweiterte Porter sein Konzept um den Wertkettenansatz. Dieses Modell versteht er

als Werkzeug, um die Aktivitäten und Funktionen von Unternehmen sowie die zugrunde

liegenden Kostenfaktoren und Differenzierungsvorteile zu beschreiben und zu gestalten.

Die sorgfältige Gruppierung und Kontrolle der Aktivitäten ermöglichen es Unternehmen,

unter Ausnützung von Skaleneffekten oder der Entwicklung innovativer

Wertschöpfungsformen Kosten- und Differenzierungsvorteile zu schaffen, die die

Grundlage für Vorteile im Wettbewerb bilden.

Wie jede der unterschiedlichen Sichtweisen der strategischen Erfolgsforschung beruht

auch dieser Ansatz auf einer Reihe theoretischer Annahmen, die nachstehend tabellarisch

aufgelistet sind und so den Vergleich der verschiedenen Ansätze erleichtern sollen.

Industrieökonomie

Intellektuelle Wurzeln Bain, Maison

Einschlägige Autoren Porter (1980a)

Sichtweise der Firma Firma als Produktionsfunktion, die ihr Verhalten der

Branchenstruktur anpasst

Analyseeinheit Branchenstruktur

Ökonomische Rente Monopolrente

Grundlagen der

Wettbewerbsvorteile

Vorteilhafte Position in einer geschützten Branche

(Marktmacht)

Annahmen Rationalität der handelnden Akteure, Dominanz der

Branchenstruktur

Tabelle 1: Charakteristika des Ansatzes der Industrieökonomie74

Unternehmen sind dann erfolgreich und können Monopolrenten erzielen, wenn es ihnen

gelingt, das freie Spiel der Marktkräfte zu behindern und die Wettbewerbsbedingungen zu

ihren Gunsten zu beeinflussen.75

74 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), S. 527, Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 364. 75 vgl. Teece, D. J. (1984)

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28 Grundlagen strategischer Managementforschung

Vor dem Hintergrund der veränderten Wettbewerbsbedingungen infolge der

weitgehenden Deregulierung ganzer Branchen in den 1980er-Jahren, wie zum Beispiel in

der Energie-, Telekommunikation-, Luftfahrt- und Finanzbranche, müssen die

Grundannahmen der IO-Perspektive zunehmend unrealistisch erscheinen und kritisch

hinterfragt werden. Außerdem fällt es immer schwerer, festzulegen, in welcher Branche

ein Unternehmen überhaupt tätig ist, da die Grenzen der Branchen zunehmend

verschwimmen. Weiters erscheint die Annahme, dass die Unternehmen einer Branche

über eine homogene Ressourcenausstattung verfügen, als nicht mehr zeitgemäß.

6.1.2 Firmenorientierte Perspektive

Im Gegensatz zur branchenorientierten Perspektive der Industrieökonomie sind für die

firmenorientierten Ansätze nicht externe Faktoren wie die Struktur der Branche oder die

Positionierung innerhalb der Branche ausschlaggebend, sondern interne,

firmenspezifische Faktoren entscheidend.

Der ressourcenorientierte Ansatz76 (Resource-based View, kurz RbV) bricht somit mit der

Annahme, dass die Unternehmen einer Branche über eine homogene

Ressourcenausstattung verfügen. Folglich bildet der RbV auch die Basis für

weiterführende firmenorientierte Sichtweisen wie den fähigkeiten-77 und den

wissensorientierten Ansatz78.

Der ressourcenorientierte Ansatz baut auf den früheren Überlegungen zur Theorie der

Firma von Penrose79 auf. Anstelle der Branche rückt hier die Betrachtung der Ressourcen

und Kompetenzen eines Unternehmens in den Vordergrund.80 Wie von Barney (1991)

beschrieben beruht der ressourcenorientierte Ansatz auf drei Grundannahmen:81

1. Nicht alle Unternehmen in einer Branchen (oder strategischen Gruppe) verfügen

über dieselbe Ausstattung mit strategischen Ressourcen. Ressourcen sind

heterogen verteilt.

2. Strategische Ressourcen sind nicht perfekt mobil und beliebig zwischen

Unternehmen transferierbar. Daher kann die heterogene Ressourcenausstattung 76 vgl. Selznick, P. (1957), Penrose, E. (1959), Wernerfeld, B. (1984), Dierickx, I. und Cool, K. (1989),

Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1990), Barney, J. B. (1991), Peteraf, M. A. (1993) 77 vgl. Nelson, R. R. und Winter, S. G. (1982), Dierickx, I. und Cool, K. (1989), Amit, R. und Schoemaker,

P. (1993), Teece, D. J., et al. (1997) 78 vgl. Nonaka, I. (1992), Grant, R. M. (1996) 79 vgl. Penrose, E. (1959) 80 vgl. Wernerfeld, B. (1984), Dierickx, I. und Cool, K. (1989), Barney, J. B. (1991), Peteraf, M. A. (1993) 81 vgl. Wernerfeld, B. (1984), Barney, J. B. (1991)

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Grundlagen strategischer Managementforschung 29

auf längere Zeit anhalten.

3. Daher entscheidet die Ausstattung mit idiosynkratischen, schwer nachahmbaren

Ressourcen darüber, ob Unternehmen überdurchschnittlich erfolgreich sind.

Während sich die traditionelle Betrachtung von Ressourcen auf Kategorien wie Arbeit,

Kapital und Land beschränkt, fasst der ressourcenorientierte Ansatz den

Ressourcenbegriff weiter. Hier kann alles, das als Ressource bezeichnet wird, als Stärke

oder Schwäche einer Firma angesehen werden.82 Formal definiert Wernerfeld

Ressourcen83 als die zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebene Ausstattung einer Firma

mit Strategic Assets84.

Eine Ressource ist nach Wernerfeld “anything that could be termed a strength or

weakness of a given firm … (intangible and tangible) assets which are tied semi-

permanently to the firm” 85 und versteht sie wie Penrose (1959) als “those tangible and

intangible assets which are tied semi-permanently to the firm at a given point in time”.86

Zur weiteren Spezifizierung werden Ressourcen in der Literatur als finanzielle, physische,

humane, organisationale, technologische, materielle und immaterielle Ressourcen

klassifiziert.87

Beispiele dafür sind Markennamen, Know-how oder Technologien, Fähigkeiten und

Wissen der Mitarbeiter, Lieferantenbeziehungen, Maschinen, effektive Abläufe, Kapitel

etc. Die Ressourcentheorie der strategischen Managementforschung beschäftigt sich daher

nicht nur mit Tangible Assets, sondern auch mit Intangible Assets, zu denen die

Fähigkeiten und Kompetenzen eines Unternehmens zählen.

Fähigkeiten beziehen sich nach Amit und Schoemaker auf “a firm’s capacity to deploy

resources, usually in combination, using organisational processes, to effect desired

end”.88

82 vgl. Caves, R. E. (1980) 83 In der Literatur wird anstatt von Ressourcen vereinzelt die gleichbedeutende Bezeichung „strategic

assets“ verwendet. Vgl. hierzu Amit, R. und Schoemaker, P. (1993), Teece, D. J., et al. (1997) Damit

werden diejenigen Ressourcen bezeichnet, die aufgrund von Wertbeitrag, Seltenheit und

unvollkommener Imitier- und Substituierbarkeit die Basis für nachhaltige Wettbewerbsvorteile

bilden. 84 vgl. Wernerfeld, B. (1984), S. 172. 85 vgl. Ibid. 86 vgl. Funder, J. (2002), S. 3. 87 vgl. Grant, R. M. (1991), Mahoney, J. T. (1995) 88 vgl. Amit, R. und Schoemaker, P. (1993), S. 35.

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30 Grundlagen strategischer Managementforschung

Obwohl der RbV eine bedeutende Entwicklung im Feld des strategischen Managements

darstellt89, offenbart er doch Schwächen in Bezug auf die Entwicklung und Anwendung

von Fähigkeiten. Im Gegensatz zu Karim und Mitchell (2000), die Ressourcen und

Fähigkeiten gleichsetzen, hält Funder (2002) es für notwendig, die beiden Konstrukte klar

voneinander abzugrenzen: Die Fähigkeiten eines Unternehmens können eine Ressource

sein, aber eine Ressource ist niemals eine Fähigkeit.90

Diese Auffassung deckt sich mit Penrose (1959) Feststellung, wonach “[…] resources

consist of a bundle of potential services and can for the most part be defined

independently of their use, while services cannot be so defined, the very strong word

service implying a function, an action […]”.91

Doch unter welchen Umständen trägt eine Ressource zu einer möglichst dauerhaften

Verbesserung der Wettbewerbsposition bei und bildet den Ausgangspunkt zur Erlangung

eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils? In der Literatur finden sich unterschiedliche

Erklärungen und Beschreibungen, welche Attribute eine Ressource haben muss, um

nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren. Barney (1991) fasst in seiner Typologie

vier Indikatoren zusammen: “advantage-value, rareness, imperfect imitability, and

substitutability”.92

Eine Ressource bietet einen Vorteil (Advantage-Value), wenn sie die Kosten der

Erstellung eines Produkts senkt oder einen höheren Absatzpreis rechtfertigt. 93 Eine für die

Ressourcentheorie entscheidende Eigenschaft ist Rareness; d. h., die Ressource muss

selten und nicht in beliebigem Umfang immer und überall verfügbar sein. Um einen auf

einer Ressource beruhenden Wettbewerbsvorteil auch nachhaltig, d. h. möglichst

dauerhaft, zu behalten, ist es notwendig, dass die Ressource schwer imitierbar und

substituierbar ist. Je schwerer es den Mitbewerbern fällt, die Ressource und ihren

Wertbeitrag zu imitieren bzw. zu substituieren, bzw. je höher die damit verbundenen

Kosten sind, umso länger wird der Wettbewerbsvorteil gegeben sein.

Wie hoch sich der Imitationsaufwand letztendlich darstellt, ist nach Barney (2001) eine

Funktion der ‟unique historical conditions, causal ambiguity, and the social complexity”

einer Ressource:

89 vgl. Godfrey, P. C. und Hill, C. W. (1995), Lowendahl, B. und Revang, O. (1998), Priem, R. L. und

Butler, J. E. (2001) 90 vgl. Makadok, R. (2001) 91 vgl. Penrose, E. (1959), S. 25. 92 vgl. Barney, J. B. (1991), S. 99f. 93 vgl. Barney, J. B. (1996)

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Grundlagen strategischer Managementforschung 31

1. Das Konstrukt der Unique Historical Conditions bzw. der Historizität bedingt,

dass Ressourcen entstehungsbedingt aufgrund ihrer Spezifität nur schwer

nachahmbar sind. Anders ausgedrückt wird davon ausgegangen, dass die

Ausstattung mit einer Ressource von der spezifischen historischen Entwicklung

bestimmt ist, d. h. Pfadabhängigkeiten (Path Dependencies) gegeben sind.

2. Kausale Ambiguität (Causal Ambiguity) erschwert die Nachahmung aufgrund

der Ursache, dass Wettbewerbsvorteile bestimmten Ressourcen nicht eindeutig

zugeordnet werden können, also nicht klar ist, welche Ressource für den

Wettbewerbsvorteil ursächlich verantwortlich ist.

3. Soziale Komplexität (Social Complexity) erschwert die Imitation von

Ressourcen, wenn die strategische Ressource selbst ein Teil des sozialen

Kontexts ist oder eine komplexe soziale Beziehung, ein Kulturmerkmal oder

eine immaterielle Ressource darstellt und daher nicht beliebig in einem anderen

Kontext reproduzierbar ist.

Eine letzte Bedingung dafür, dass eine Ressource als Ausgangspunkt nachhaltiger

Wettbewerbsvorteile gewertet werden kann, ist, dass für sie kein Substitut vorhanden ist,

das es Mitbewerbern ermöglichen würde, dieselbe Strategie zu verfolgen und somit

dieselben Wettbewerbsvorteile zu nutzen.

Value

Rareness

Imperfect Imitability

- History Dependent- Causal Ambiguity- Social Complexity

Substitutability

Firm RessourceHeterogeneity

Firm RessourceImmobility

SustainedCompetitiveAdvantage

Abbildung 6: Modell des ressourcenorientierten Ansatzes94

Ausgehend von diesen Prämissen kann im Rahmen des in Abbildung 5 dargestellten

Modells überprüft werden, ob spezifische Ressourcen strategisch als Grundlage für

nachhaltige Wettbewerbsvorteile infrage kommen, indem folgende Frage beantwortet

wird: “Is that resource valuable, is it rare, is it imperfectly imitable, and are there

substitutes for that resource?”95 94 vgl. Barney, J. B. (1991), S. 112. 95 vgl. Ibid., S. 115.

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32 Grundlagen strategischer Managementforschung

Weitere wichtige Aspekte der klassischen Ressourcentheorie sind die Art und Weise, wie

Ressourcen kombiniert und situativ eingesetzt werden. Liebermann und Montgomery

(1998) betrachten diese Kombinationstätigkeit als Kern aller Unternehmensfähigkeiten

und definieren die Fähigkeiten einer Organisation als ‟the organization’s collective

capacity for undertaking a specific typ of activity”.96

In Abhängigkeit davon, welche besonderen Ressourcen und Fähigkeiten dem

Unternehmen zum gegebenen Zeitpunkt zur Verfügung stehen, können bestimmte

Aktivitäten durchgeführt werden. Ob diese Aktivitäten unter den aktuellen Markt- und

Umweltgegebenheiten zum Erfolg des Unternehmens beitragen, ist daher vom jeweiligen

Kontext und Zeitpunkt abhängig und kann sich im Zeitablauf und durch Veränderungen

der Markt- und Umfeldbedingungen ändern.

Ressourcenorientierte Perspektive

Intellektuelle Wurzeln Coase, Penrose, Selznick, Christensen, Andrews

Einschlägige Autoren Chandler (1962); Rumelt (1984); Wernerfeld (1984)

Sichtweise der Firma Firma als einzigartige Ansammlung von Ressourcen

Analyseeinheit Ressource

Ökonomische Rente Monopol- und Ricardo-Rente

Grundlagen der

Wettbewerbsvorteile

Wertvolle, seltene, nicht imitierbare und nicht

substituierbare Ressourcen

Annahmen Rational, statisch

Tabelle 2: Charakteristika des Ansatzes der ressourcenorientierten Perspektive97

Hier offenbart sich eine wichtige Schwachstelle der traditionellen Ressourcentheorie,

nämlich die statische Betrachtung der Aktivitäten zu einem bestimmten Zeitpunkt. Wie

organisationale Fähigkeiten erworben und entwickelt werden oder wie sie dazu beitragen,

96vgl. Liebermann, M. B. und Montgomery, D. B. (1998) 97 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), S. 527, Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 156.

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Grundlagen strategischer Managementforschung 33

dass sich Unternehmen durch die Neugestaltung ihrer Aktivitäten an Markt- und

Umweltveränderungen anpassen, bleibt offen.98

Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass Unternehmen nachhaltig

überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen können, wenn sie über wertvolle, seltene,

unnachahmliche und nicht substituierbare Ressourcen oder Fähigkeiten verfügen. Hier

werden also insbesondere die Charakteristika eines Unternehmens, d. h. die einer

Kostenführer- und Differenzierungsstrategie oder dem Wertkettenmodell zugrunde

liegenden Faktoren, sprich die Ressourcen und Fähigkeiten einer Firma, beleuchtet. Die

spezifische Kombination seltener Ressourcen und schwer imitierbarer Fähigkeiten bildet

somit die Basis für nachhaltige Wettbewerbsvorteile.99

Dennoch hat auch dieser Ansatz seine Limitationen. Ansatzpunkte der Kritiker sind der

Mangel an empirischen Studien, die relativ schwach ausgeprägte Prozessorientierung und

der Erklärungsnotstand in Hinsicht auf das Verhalten von Unternehmen in überaus

wettbewerbsintensiven Branchen.100 Daran schließt die Frage an, in welchem Verhältnis

das Unternehmen zu seinem Umfeld steht und in welcher Form es am

Austauschmechanismus der Märkte teilnimmt, um sich den Zugang zu strategischen

Ressourcen und Fähigkeiten zu sichern.

6.1.3 Transaktionsorientierte Perspektive

Eine Sonderstellung und einen Mittelweg zwischen der branchen- und firmenorientierten

Sicht stellt die Transaktionskostentheorie (TCE)101 dar.

Als Teilbereich der neuen Institutionenökonomie baut die Transaktionskostentheorie auf

den Überlegungen von Coase (1937) auf, der erstmals der grundlegenden Frage nachging,

warum Unternehmen überhaupt existieren bzw. wann und warum es unter bestimmten

Effizienzüberlegungen wirtschaftlich sinnvoller ist, Transaktionen, die die zentrale

Analyseeinheit dieses Ansatzes bilden, unter Nutzung der Märkte abzuwickeln oder

stattdessen in das hierarchische System der Firma zu internalisieren.

98 vgl. Diese Schwachstelle wird erst durch die Weiterentwicklung der klassischen Ressourcentheorie durch

Teece, D. J., et al. (1997) behoben, die den fähigkeitenorientierten Ansatz um eine dynamische

Komponente erweitern. Mehr dazu in Kapitel 6.3.2. 99 vgl. Bettis, R. A. (1998), S. 357. 100 vgl. Ibid., S. 359. 101 vgl. Coase, R. H. (1937), Williamson, O. E. (1975), Williamson, O. E. (1986), Williamson, O. E. und

Masten, S. (1995)

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34 Grundlagen strategischer Managementforschung

Die klassische Form, um Transaktionen zu koordinieren, stellen Märkte dar, die neben der

Koordinationsfunktion auch die Funktionen der Preisbildung, Versorgung und Verteilung

übernehmen. Die Abwicklung von Transaktionen unter Nutzung des

Koordinationsmechanismus der Märkte ist aber mit Kosten für den Abschluss eines

Geschäfts, der Suche nach Gütern und Leistungen, der Einholung von Informationen über

potenzielle Transaktionspartner, der Anbahnung, Aushandlung der Preis- und

Transaktionsbedingungen und der nachgelagerten Abwicklung und Kontrolle der

Einhaltung vereinbarter Transaktionsbedingungen bis hin zur Berücksichtigung allfälliger

Änderungen verbunden. Da die Durchführung von Transaktionen über Märkte mit einer

Vielzahl spezifischer Transaktionskosten102 verbunden ist, erweisen sich unter

bestimmten Bedingungen andere Koordinationsmechanismen wie der Markt als

ökonomisch effizienter, um den Austausch und die Allokation von Gütern und Leistungen

zu gestalten.

Auf Grundlage des von Coase (1937) in seiner wegweisenden Arbeit “The Nature of the

Firm” vorgeschlagenen Zielkriteriums der Minimierung von Transaktionskosten ist es

immer dann sinnvoll, den Marktmechanismus zur Abwicklung von Transaktionen

insbesondere durch den Mechanismus der unternehmensinternen Weisung, d. h. die

Internalisierung bzw. Substitution von Markttransaktionen, durch eine innerbetriebliche

unternehmerische Koordination zu ersetzen, wenn die Kosten dafür geringer als die

Transaktionskosten auf dem Markt sind.

“The main reason why it is profitable to establish a firm would seem to be that

there is a cost of using the price mechanism. The most obvious cost of

‘organizing’ production through the price mechanism is that of discovering

what the relevant prices are. […] The costs of negotiation and concluding a

separate contract for each exchange transaction which takes place on a market

must also be taken into account.”103

Die in Bezug auf die Transaktionskosten optimale, weil günstigste Koordinationsform

wird sich nur dann durchsetzen, wenn alle Transaktionspartner über vollkommene

Informationen verfügen und sich die Akteure rational und nutzenmaximierend verhalten.

Solange dies nicht der Fall ist und lediglich ein Akteur bei der Gestaltung der

Transaktionsbeziehungen nur bedingt rational entscheidet, entsteht für seinen

Transaktionspartner die Gelegenheit, eine Quasirente abzuschöpfen.104 102 Für eine detaillierte Taxonomie der Transaktionskosten vgl. Williamson, O. E. (1975) 103 vgl. Coase, R. H. (1937), S. 38f. 104 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005)

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Grundlagen strategischer Managementforschung 35

Überdurchschnittlicher wirtschaftlicher Erfolg ist auf Basis dieser Theorie eine Funktion

der effizienten und optimalen Gestaltung der Transaktionsbeziehungen und der richtigen

Wahl der Koordinationsform, wobei neben den Koordinationsformen Markt und

Unternehmen auch Mischformen wie strategische Allianzen, Kooperationen,

Entwicklungspartnerschaften oder Wertschöpfungsnetzwerke denkbar sind.

�eue Institutionenökonomie

Intellektuelle Wurzeln Coase, Williamson

Einschlägige Autoren Williamson (1975); Williamson (1986); Williamson und

Masten (1995)

Sichtweise der Firma Firma als transaktionskostenminimierende

Koordinationsform

Analyseeinheit Transaktionen

Ökonomische Rente Quasirente

Grundlagen der

Wettbewerbsvorteile

Effizienzvorteile durch optimale Gestaltung der

Vertragsbedingungen

Annahmen Beschränkte Rationalität, Opportunismus

Tabelle 3: Charakteristika des Ansatzes der neuen Institutionenökonomie105

In diesem Ansatz wird daher, im Gegensatz zur Industrieökonomie, die Annahme

vollkommen rational handelnder Akteure zugunsten der Annahme einer begrenzten

Rationalität (Bounded Rationality106) abgeschwächt. So kann erklärt werden, warum unter

bestimmten Bedingungen durch die asymmetrische Verteilung der Informationen und die

Such-, Anbahnungs-, Informations-, Verhandlungs-, Entscheidungs-, Vereinbarungs-,

Abwicklungs-, Absicherungs-, Durchsetzungs-, Kontroll-, Anpassungs- und

Beendigungskosten eine effiziente Koordination durch den Markt nicht mehr gegeben ist

und die Transaktion über den Mechanismus interner Weisung kostengünstiger

abgewickelt wird.

Weitere kritische, weil diese Entscheidung beeinflussende Faktoren sind neben den

105 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), S. 527, Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 156. 106 vgl. Simons, H. (1959)

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36 Grundlagen strategischer Managementforschung

bereits taxativ aufgeführten Transaktionskosten auch der Grad an Sicherheit und

Austauschhäufigkeit und die spezifischen Eigenschaften des Guts, das Gegenstand der

Transaktion ist.

Den Kern der Transaktionskostentheorie nach Williamson (1975) bilden die

Wahlmöglichkeiten zur effizienten Steuerung der Transaktion in Abhängigkeit vom

spezifischen wirtschaftlichen Umfeld und der Eigenschaften der Transaktionsbeziehung.

Wettbewerbsvorteile sind auf Basis dieser Theorie eine Funktion der Wahl des

bestmöglichen Koordinationsmechanismus und der effizienten Gestaltung der

Transaktionsbeziehungen.107

Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass eine wirtschaftliche Betätigung

in Form von Unternehmen bzw. Hierarchien immer dann ökonomisch sinnvoll ist, wenn

die Kosten dafür niedriger sind als die mit einer Transaktion über den Markt verbundenen

Transaktionskosten, zu denen, wie bereits angeführt wurde, unter anderem Such- und

Informationskosten sowie Kosten für die detaillierte Vereinbarung der

Transaktionsbedingungen zählen.

6.2 Kritische Betrachtung der traditionellen Theorieansätze

Die Ausführungen des vorhergehenden Abschnitts haben gezeigt, dass unternehmerischer

Erfolg traditionell auf die Zugehörigkeit zu einer Branche, die eigene

Ressourcenausstattung oder die Gestaltung der Transaktionsbeziehungen zurückgeführt

wird. Außerdem wurde der Frage nachgegangen, wo die Grenzen zwischen innen und

außen, dem Unternehmen und seinem Marktumfeld, zu ziehen sind.

Aufbauend auf diesen Vorüberlegungen werden nun die zentralen Annahmen und

Analyseeinheiten dieser verschiedenen Perspektiven einer kritischen Überprüfung

unterzogen. Einige der in der Literatur häufig angeführten Kritikpunkte an den

traditionellen Ansätzen betreffen ihre starke Inhalts- und mangelnde Prozessorientierung.

Zu den traditionellen Analyseeinheiten im Feld des strategischen Managements gehören

die Branche und die Firma, die wiederum die Klammer über die einzelnen im Wettbewerb

stehenden strategischen Geschäftseinheiten des Gesamtunternehmens bilden.108

Branche, Geschäftseinheit und Unternehmen sind für Bettis109 daher die „üblichen 107 vgl. Lechner, C. und Müller-Stewens, G. (2003), S. 150. 108 vgl. Bettis, R. A. (1998), S. 357. 109 vgl. Ibid., S. 359.

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Grundlagen strategischer Managementforschung 37

Verdächtigen“, wenn es gilt, eine Analyseeinheit zur Beleuchtung und Erklärung der

Ursachen für Erfolgs- und Leistungsunterschiede auszuwählen. Ihnen kommt bereits fast

der Status von Axiomen zu; d. h., die Analyseeinheit stellt einen nicht mehr zu

hinterfragenden Grundsatz dar und beeinflusst, welchen Forschungsfragen mit welchen

Forschungsmethoden nachgegangen wird.110

Die strategische Inhaltsforschung versucht, mithilfe großzahliger empirischer

Querschnittuntersuchungen den Einfluss von branchen- und ressourcenorientierten

Faktoren zu entflechten und klar darzustellen, welchen Anteil die einzelnen Faktoren bei

der Erklärung der Unterschiede im Unternehmenserfolg haben.

So kam Schmalensee (1985) zu dem Ergebnis, dass die Zugehörigkeit zu einer

bestimmten Branche 20 % der Divergenzen im ROA (Return on Assets) erklärt, während

der Einfluss firmenspezifischer Faktoren gemessen am Marktanteil vernachlässigbar ist.

Trotzdem blieben bei dieser Studie 80 % der Ergebnisvarianz unerklärt. Rumelt (1991)

wiederum kam in seiner Studie zu ganz anderen Ergebnissen, indem er zeigte, dass 34 –

36 % der Unterschiede im ROA auf den Geschäftsbereich (Business Unit) zurückzuführen

sind, während Brancheneffekte nur 8 – 18 % erklären und überdies von Jahr zu Jahr stark

schwanken, also nur kurzfristige Erscheinungen sind.

INDUSTRY EFFECTS

FIRM-SPECIFIC EFFECTS

UNEXPLAINED VARIANCE

Schmalensee (1985) 19,6% 0,6% 80,4%Rumelt (1991) 4,0% 44,2% 44,8%McGahan and Porter (1997) 18,7% 31,7% 48,4%Hawawini et. al. (2003) 8,1% 35,8% 52,0%

PERCENTAGE OF VARIANCE IN FIRMS' RETURN ON ASSETS EXPLAINED BY:

Abbildung 7: Determinanten der Unterschiede im Erfolg von Unternehmen111

Weitere empirische Untersuchungen haben versucht, die Zuverlässigkeit von Rumelts

wegweisendem Forschungsergebnis zu überprüfen.112 Diese Studien kommen zu dem

110 vgl. Stähler, P. (2001), S. 32. 111 vgl. Grant, R. M. (2002), S. 103. auf Grundlage der zitierten Untersuchungen von: Schmalensee, R.

(1985), Rumelt, R. P. (1991), McGahan, A. M. und Porter, M. E. (1997), Hawawini, G., et al.

(2003) 112 vgl. Roquebert, J. A., et al. (1996), McGahan, A. M. und Porter, M. E. (1997), Bowman, E. H. und

Helfat, C. E. (2001)

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38 Grundlagen strategischer Managementforschung

Ergebnis, dass Firmeneffekte gegenüber Branchenfaktoren dominieren113, jedoch

divergiert die Meinung darüber, wie groß der Unterschied in der Erklärungskraft wirklich

ist bzw. ob der Effekt der Marktfaktoren für einige Unternehmen höher ist als für

andere.114

Lässt man den paradigmatischen Streit zwischen Vertretern der branchen- und

ressourcenorientierten Sicht der Erfolgsforschung außer Betracht, dann wird klar, dass

zwar beide Ansätze Teile der Varianz im Unternehmenserfolg erklären – die eine mehr,

die andere weniger –, jedoch beide nicht imstande sind, den Großteil, d. h. signifikant

mehr als die Hälfte, zu erklären. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht beide Ansätze

Hand in Hand bessere Resultate und mehr Erkenntnisgewinn versprechen als jeder Ansatz

für sich allein genommen. Folglich stellt sich die Frage, ob nicht Versuche zur Integration

der rivalisierenden Denkrichtungen fortgesetzt werden sollten.

Konzeptionell betrachtet zwingt die geringe Erklärungskraft dazu, die zugrunde gelegten

Analyseeinheiten der strategischen Erfolgsforschung kritisch zu überprüfen. Sind die

traditionellen Erklärungsvariablen überhaupt dazu geeignet, die Unterschiede zwischen

Unternehmen zu erklären, oder wären andere Analyseeinheiten zur Untersuchung und

Erklärung der Unterschiede im Unternehmenserfolg besser geeignet?

Rein praktisch stellt sich daher auch die Frage, ob die traditionellen Analyseeinheiten der

strategischen Erfolgsforschung nicht in die Jahre gekommen sind und vor dem

Hintergrund sich stetig und immer schneller verändernder Umwelt- und

Wettbewerbsbedingungen überhaupt noch zeitgemäß und adäquat sind, um die relevanten

Faktoren einzufangen, die heute über den Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen

entscheiden.

113 vgl. Mauri, A. J. und Michaels, M. P. (1998), McNamara, G., et al. (2005), Vilmos, F. M., et al. (2006) 114 In ihrer Untersuchung zeigen Hawawini, G., et al. (2003), dass Branchenfaktoren tendenziell einen

höheren Anteil an der Varianz des Unternehmenserfolges erklären und der Anteil der Varianz der

Ressourcen- bzw. firmenorientierten Faktoren abnimmt, wenn man statistische Ausreißer, d.h.

besonders erfolgreiche und besonders schlecht abschneidende Unternehmen, aus dem Sample

entfernt. Für über- und unterdurchschnittlich erfolgreiche Firmen scheinen gemäß dieser Studie

firmenorientierte Faktoren weit wichtiger zu sein, während bei durchschnittlich abschneidenden

Unternehmen der Einfluß Branchenfaktoren fast genauso groß ist. Sie kommen zum Schluss, dass

bisherige Untersuchungen den Effekt Branchenfaktoren bei durchschnittlich erfolgreichen

Unternehmen unterschätzen. Vgl. dazu auch Hawawini, G., et al. (2005) Dem widersprechen

McNamara, G., et al. (2005), die selbst bei der Ausblendung der Ausreißer zu einem anderen

Ergebnis kommen und in der Arbeit von Hawawini, G. et. al. (2003) Hawawini, G., et al. (2003)

methodische Mängel vermuten.

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Grundlagen strategischer Managementforschung 39

Bettis attestiert, dass die traditionellen Analyseeinheiten “may be largely out of touch

with the evolution of modern competition in a technology-driven, global world that has

seen a huge and rapid level of change”.115

Als Reaktion auf die zunehmend diskontinuierliche Veränderungsdynamik und ein

insgesamt neues, weil verändertes Wettbewerbsumfeld116 wird in der Forschung

zunehmend die Frage diskutiert, ob die klassischen Analyseeinheiten des strategischen

Managements wie Branche, Geschäftseinheit und Unternehmen noch in der Lage sind, die

Faktoren und Mechanismen, die im heutigen dynamischen Wettbewerbsumfeld die

Grundlage für Wettbewerbsvorteile und wirtschaftlichen Erfolg bilden, einzufangen, zu

beleuchten und zu erklären.

6.2.1 Auswirkungen eines sich wandelnden wirtschaftlichen Umfelds

In den vergangenen Jahrzehnten seit der Entwicklung der frühen Theorieansätze der

Industrieökonomie, der Institutionenökonomie und der ressourcenorientierten Perspektive

wurde das Markt- und Wettbewerbsumfeld für Unternehmen einem zunehmenden und

tiefgehenden Wandel unterzogen. Zu den globalen Entwicklungen im Umfeld, die direkte

Auswirkungen auf die Unternehmen haben, zählen die verstärkte Deregulierung von

Branchen, neue rechtliche Rahmenbedingungen, der globale Wettbewerbsdruck infolge

der Globalisierung der Märkte und Unternehmen, steigende Kundenerwartungen und die

rasante Entwicklung neuer, diskontinuierlicher Technologien.

Ausgehend von der weltweiten Deregulierung der Luftfahrts-, Telekommunikations-,

Finanzdienstleistungs- und Energiemärkte haben sich die Wettbewerbsbedingungen in

fast allen Wirtschaftszweigen grundlegend verändert. Der erhöhte Wettbewerbsdruck und

die stetig steigenden Kundenerwartungen gehen mit einem tief greifenden Strukturwandel

einher. Durch Fusionen und Übernahmen, die Bildung strategischer Allianzen und

Kooperationen entstehen vertikale und horizontale Verknüpfungen der Wettbewerbs- und

Wertschöpfungsstrukturen von Märkten und Unternehmen. Das Aufbrechen traditioneller

Wertschöpfungsketten eröffnet auch Chancen für neuartige Anbieter, die sich auf einzelne

Stufen der Wertschöpfung konzentrieren. Dadurch verwischen frühere Branchengrenzen

und neue Märkte entstehen. Der Fortschritt im Bereich der Informations- und

Telekommunikationstechnologie liefert die Grundlage für diese neuen Formen der

Wertschöpfung und beschleunigt die Entwicklung.

115 vgl. Bettis, R. A. (1998), S. 359. 116 vgl. Bettis, R. A. und Hitt, M. A. (1995)

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40 Grundlagen strategischer Managementforschung

Die Notwendigkeit, neue alternative Analyseeinheiten zu finden, ist daher keineswegs

eine rein theoretisch motivierte Problemstellung, sondern vielmehr durch die Praxis und

die Veränderungen im modernen Wirtschaftsleben bedingt. Die Reihe von

Veränderungen, die heute im Geschäftsumfeld stattfinden, zwingt Unternehmen, die

langfristig erfolgreich bleiben und auch in Zukunft im Wettbewerb bestehen möchten,

dazu, sich den neuen Umweltbedingungen anzupassen.

Unternehmen agieren heute in einem zunehmend dynamischen und herausfordernden

Geschäftsumfeld. Die Märkte sind globaler geworden, Technologie ist immer

unverzichtbarer und die Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern sind in

ständigem Umbruch. Walters und Rainbird117 nennen eine Reihe von Veränderungen, die

für die künftige Ausrichtung von Unternehmen von zunehmender Bedeutung sind:

� Zunehmende Kundenorientierung, kundenspezifische Anpassung und

individuelle Massenfertigung

� Der Wertbegriff (Value) und seine Anwendung auf Kunden und Organisationen

� Die Betrachtung operativer Cashflows anstatt der Rentabilität

� Der Rückgang vertikal integrierter Organisationen und die Zunahme virtueller

Strukturen

� Hebelung des Anlagevermögens durch Kooperationen

� Die wachsende Bedeutung immateriellen Vermögens und die abnehmende

Bedeutung des Anlagevermögens

� Prozesse und Fähigkeiten werden zu Ressourcen und führen zu einer

durchgehenden Prozessbetrachtung vom Lieferanten bis zum Endkunden.

� Das Phänomen der Wertmigration118

Ein Kommentar von Lester fasst die Konsequenzen und Bedeutung dieser Veränderungen

zusammen:

“During periods of rapid change, investment in intangible assets – knowledge,

ideas, skills, organisational capabilities – take on special importance. The

results of these investments – ideas for new products and processes, knowledge

of new market possibilities, more competent employees, [and] nimbler

organisations – give the economy the flexibility to keep adapting and

reconfiguring itself to a new supply and demand conditions. They are the

lubricants of the economic machinery.”119 117 vgl. Walters, D. und Rainbird, M. (2007), S. 103. 118 vgl. Slywotzky, A. J. (1996) 119 vgl. Lester, R. (1998), S. 322.

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Grundlagen strategischer Managementforschung 41

Ein weiteres zu beobachtendes Phänomen ist die zunehmende Vernetzung von

Unternehmen und Wirtschaftseinheiten durch die Bildung interorganisationaler,

längerfristiger und semipermanenter Austausch- und Interaktionsbeziehungen, die den

Charakter wirtschaftlicher Tätigkeit und das klassische Bild von Unternehmen dauerhaft

verändert hat. Dadurch wird es immer schwieriger, die Geschäftseinheit bzw. das

Unternehmen von seiner Umwelt abzugrenzen.

Voraussetzung für diese Entwicklung waren zum Teil die Fortschritte im Bereich der

Informationstechnologie, die viele neue Organisations- und Koordinationsformen erst

ermöglicht haben, indem sie die mit der Koordination und Kontrolle von Kosten, die mit

über den Markt abgewickelten Transaktionen verbunden sind, dramatisch reduziert haben.

Diese Entwicklungen legen nahe, dass die Grenzen der Firma heute nicht mehr allein eine

Funktion der traditionellen Transaktionskostentheorie sind. Als Ergänzung zum

bisherigen zentralen Abgrenzungs- und Zielkriterium zwischen Unternehmen und Markt,

der Minimierung der Transaktionskosten, werden in der Literatur stattdessen vermehrt

Kriterien der Wissens- und Lernökonomie angeboten.120

“Over time the unit of strategic analysis has moved from the single company to

a family of businesses and finally to what people call the ‘extended enterprise’,

which consists of a central firm supported by a constellation of suppliers.”121

Abgesehen von den sich verlierenden Unternehmensgrenzen verändern sich auch die

Spielregeln im Wettbewerb zwischen Unternehmen. Sie stehen nicht mehr allein im

Wettbewerb mit anderen Anbietern, sondern formen gemeinsam mit Lieferanten und

Partnern eine Gruppe oder einen Cluster von Unternehmen, die gemeinsam mit anderen

Gruppen von Unternehmen122 um Kunden, strategische Ressourcen und Fähigkeiten im

Wettbewerb stehen. Auf der Makroebene einer ganzen Branche formen diese einzelnen

Cluster oder Value Nets123 durch die Vernetzung einzelner Wirtschaftssubjekte in Form

von strategischen Allianzen, Kooperationen und Partnerschaften neue kooperative

120 vgl. Grant, R. M. (1996), Grant, R. M. und Spender, J. C. (1996) 121 vgl. Prahalad, C. K. und Ramaswamy, V. (2000), S. 81. 122 Diese neue Analyseeinheit des Wettbewerbs in Branchen, welches hier als Netzwerk kooperierender

Unternehmen beschrieben wird, ist nicht mit dem Konzept strategischer Gruppen vergleichbar, das

von Hunt, S. D. und Morgan, R. M. (1995) und Porter, M. E. (1980a) propagiert wird. Strategische

Gruppen werden nach dem Kriterium ähnlicher Strategien oder Geschäftsmodelle gebildet.

Stattdessen werden die Gruppen von Unternehmen im Sinn von Bettis, R. A. (1998) nicht aufgrund

ähnlicher Merkmale, sondern aufgrund komplementärer Eigenschaften, der semi-permanente,

kooperativen, kooperativen Bindung oder gemeinsam erstellter Leistung gebildet. 123 vgl. Brandenburger, A. M. und Nalebuff, B. J. (1997)

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42 Grundlagen strategischer Managementforschung

Wirtschaftseinheiten oder Business Network Structures, die sich deutlich von der

traditionellen Wirtschaftseinheit Unternehmen unterscheiden.

Traditionelle

Analyseeinheiten

Alternative

Analyseeinheiten

Relevante Einheit des Wettbewerbs

Die Geschäftseinheit (Business Unit) als zentraler Bezugspunkt des Wettbewerbs und der Strategie innerhalb einer Branche

Das Netzwerk als eine dynamisch wechselnde Gruppe von Unternehmen, die gemeinsam mit anderen Gruppen von Unternehmen im Wettbewerb stehen

Relevante Einheit der Umweltbetrachtung

Die Branche als das Kollektiv der Geschäftseinheiten, die direkt und eng substituierbare Leistungen anbieten bzw. erbringen

Gruppe oder Cluster von Unternehmen mit ähnlichen Kompetenzen

Relevante Organisationseinheit

Das Unternehmen, das durch die Grenze zwischen der Organisation und dem Markt definiert wird. Die Grenzziehung erfolgt nach dem Kriterium der Minimierung der Kosten, die mit der Transaktion verbunden sind.

Unklare und wechselnde Grenzziehung zwischen Unternehmen und Markt. Die Definition der Grenze erfolgt nicht mehr nach dem Kriterium der minimalen Transaktionskosten, sondern auch nach den zunehmend wichtigeren Kriterien der Wissens- und Lernökonomie.

Abbildung 8: Wandel der relevanten Analyseeinheiten124

Heute stehen virtuelle Unternehmen bzw. Familien von Unternehmen im Wettbewerb mit

anderen virtuellen Unternehmen bzw. Familien. Auf der Makroebene der Branche findet

Wettbewerb nicht mehr allein zwischen einzelnen Unternehmen, sondern ebenso

zwischen den diversen übergeordneten virtuell-kooperativen Netzwerken und Value

Chains statt.

“In other words, ‘value chains’ are competing with ‘value chains’.”125

124 vgl. Bettis, R. A. (1998), S. 358-359. 125 vgl. Walters, D. und Rainbird, M. (2007), S. 4.

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Grundlagen strategischer Managementforschung 43

Ist ein Unternehmen aus der Gruppe erfolgreich, ergeben sich daraus positive

Netzwerkeffekte für alle Mitglieder der Gruppe. Zwar arbeiten die Unternehmen des

Netzwerks zusammen, wenn es darum geht, gemeinsam Nutzen und Wert für den

Endkunden zu schaffen. Gleichzeitig steht jedes Unternehmen jedoch mit allen im

Netzwerk vertretenen Unternehmen im Wettbewerb, wenn es um die Verteilung der

geschaffenen Werte und Gewinnpotenziale geht.126

Darüber hinaus wird immer unklarer, wo die Grenzen des Markts bzw. der Branche, in

der das Unternehmen tätig ist, zu ziehen sind. So stellt sich für die Finanztochter eines

Automobilherstellers die Frage, ob sie in der Automobilwirtschaft, der Banken- oder

Versicherungsbranche oder eigentlich auf dem Markt für Mobilität oder Financial

Services tätig ist. Heute ergibt sich die Branchen- bzw. Marktzugehörigkeit nicht mehr

aus dem Angebot vergleichbarer, substituierbarer Produkte und Leistungen, sondern

ähnlichem Leistungsvermögen, d. h. vergleichbaren Ressourcen, Fähigkeiten und

Kompetenzen.127

6.2.2 Auswirkungen des dynamisierten Wettbewerbs

Das Aufbrechen bestehender Branchen- und Unternehmensgrenzen und der immer

diskontinuierlichere Charakter des Wandels zwingt Unternehmen dazu, rasch zu handeln

und sich den im Zustand stetigen Wandels begriffenen neuen Wettbewerbsbedingungen

kontinuierlich anzupassen.

Im Außenverhältnis muss die strategische Wettbewerbsposition gegenüber anderen

Marktteilnehmern fortlaufend überprüft werden, denn neue, diskontinuierliche

Technologien können blitzartig die Wertschöpfungslogik ganzer Branchen umstoßen.

Unternehmen, die mit solchen Umbrüchen konfrontiert sind, stehen vor der Wahl, die

neuen Spielregeln rasch zu erlernen, neue Geschäftsstrategien zu entwickeln und ihr

Angebots- und Leistungsspektrum an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen

oder an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.

Während sich strategische Überlegungen in Unternehmen lange Zeit auf den Aufbau und

die Sicherung von Wettbewerbsvorteilen auf Endproduktmärkten konzentrierten, rücken

parallel dazu die internen Strukturen, Prozesse und die Weiterentwicklung der

126 vgl. Bettis, R. A. (1998) 127 Während die bisherige Einheit der Umweltanalyse auf den Ansatz der Industrieökonomie und der

Branchenanalyse nach Porter, M. E. (1980a) zurückgeht, baut die neue, alternative

Betrachtungsweise primär auf der Sichtweise des RbV nach Wernerfeld, B. (1984) und der Idee

spezifischer Kernkompetenzen nach Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1990) auf.

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44 Grundlagen strategischer Managementforschung

Kompetenzen eines Unternehmens mit in das Blickfeld des strategischen Managements.

Generische Geschäftsstrategien verlieren hingegen an Bedeutung, da nicht mehr

Qualitäts- oder Kostenführerschaft bzw. Nischenstrategien128 allein die strategische

Ausrichtung und den langfristigen Erfolg eines Unternehmens bestimmt.

In der Innensicht der Unternehmen ist das Management gefordert, die

Wertschöpfungsprozesse und -strukturen an die veränderte Umwelt und die neu

formulierte Geschäftsstrategie anzupassen bzw. Innovation im Sinne der Erneuerung der

Prozesse und Strukturen, eines effizienten Ressourceneinsatzes und des Erlernens neuer,

spezifischer Fähigkeiten zu fördern. Erst die Bündelung spezifischer Ressourcen und die

Nutzung eigener Fähigkeiten versetzen Unternehmen in die Lage, einzigartigen

Kundennutzen zu stiften und Wettbewerbsvorteile zu generieren. Dies kann im Zuge

evolutionärer inkrementeller Veränderungen erfolgen, indem bestehende Praktiken

verbessert, Fähigkeiten weiterentwickelt werden und die Effizienz der

Ressourcentransformation erhöht wird.

Inkrementelle Veränderung allein reicht aber bisweilen nicht aus, sondern immer öfter

müssen sich Unternehmen gänzlich von traditionellen Praktiken abwenden und nach

neuen Wegen der Wertschöpfung suchen, um auf innovative Art und Weise Wert zu

schaffen.129 Anstatt inkrementeller Verbesserungen, die nur zu kurzfristigen

Wettbewerbsvorteilen führen130, sind grundlegend neue Strategien, Geschäftsideen und

Geschäftsmodelle gefragt131, um nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu erlangen, denn der

jähe und tief greifende Wandel stellt selbst die Grundlagen erfolgsverwöhnter

Unternehmen auf die Probe.132

Die Erneuerung der strategischen Ausrichtung bzw. der Wertschöpfungsprozesse und -

strukturen von Unternehmen stellt daher zweifelsohne eine überaus komplexe und

facettenreiche Aufgabe dar, die nach umsichtigen Entscheidungen und entschlossenem

Handeln verlangt. Um die Kohärenz und den Erfolg solcher Initiativen sicherzustellen,

bedarf es eines koordinierten Vorgehens sowie Instrumenten zur strukturierten

Entscheidungsfindung.

128 vgl. Porter, M. E. (1985), Porter, M. E. (1995) 129 vgl. Christensen, C. M. und Overdorf, M. (2000), Hamel, G. (2000), Albrinck, J., et al. (2001) 130 vgl. Voelpel, S. C., et al. (2005) 131 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999) 132 vgl. Hitt, M. A. und Ireland, R. D. (2000).

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Grundlagen strategischer Managementforschung 45

6.3 �eue Erklärungsansätze und Analyseeinheiten

Die Notwendigkeit, neue alternative Analyseeinheiten zu finden, ist daher keineswegs

eine rein theoretisch motivierte Problemstellung, sondern vielmehr durch die Praxis und

die Veränderungen im modernen Wirtschaftsleben bedingt. Nachdem die Kritik an

traditionellen Sichtweisen zunimmt und ihre Erklärungskraft nach wie vor gering ist,

beschäftigt sich die Forschung intensiv mit der Suche nach neuen alternativen

Erklärungsansätzen.

6.3.1 Prozessorientierte Perspektive

Im Unterschied zur markt- und ressourcenorientierten Sicht, die als inhaltsbezogene

Ansätze133 gelten, wird bei prozessbezogenen Theorien im Feld des strategischen

Managements, wie zum Beispiel dem Ansatz dynamischer Fähigkeiten, nicht der Inhalt,

sondern der Prozess, durch den neue Inhalte im Zeitablauf entwickelt und realisiert

werden, in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt.

Bereits Mitte der 1970er-Jahre entstand aus der Kritik an den normativen Ex-ante-

Ansätzen der strategischen Inhaltsforschung die Strategieprozessforschung als neuer,

unabhängiger Forschungsstrang und neue Sichtweise im Feld des strategischen

Managements.134 Prozessforscher kritisieren sowohl die Industrieökonomie als auch den

ressourcenorientierten Ansatz für die Ausblendung der Dynamik und der Hindernisse im

Management von Strategien.135

Im Gegensatz zur Industrieökonomie und zum ressourcenorientierten Ansatz, die als

inhaltsorientierte Ansätze136 gelten, wird bei der prozessualen Perspektive im Feld des

strategischen Managements, wie zum Beispiel in der Evolutionstheorie, nicht der Inhalt,

sondern der Prozess, durch den strategische Inhalte im Zeitablauf entwickelt und realisiert

werden, in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt.

Dabei verlagert sich der Schwerpunkt vom Inhalt – wie zum Beispiel Branchenstruktur,

Größe, Diversifikationsgrad, Ressourcenausstattung etc. – zu der Fragestellung, welche

Faktoren darauf Einfluss haben, wie Unternehmen im Zeitablauf tatsächlich günstige

Wettbewerbspositionen erlangen.

133 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003) 134 vgl. Mintzberg, H. (1978), Quinn, R. E. (1978), Mintzberg, H. (1994) 135 vgl. Sanchez, R. und Heene, A. (1997) 136 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003)

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46 Grundlagen strategischer Managementforschung

Anstatt des Inhalts einer Strategie, der Chancen und Gefahren einer bestimmten

Marktposition oder der Stärken und Schwächen eines Unternehmens interessieren hier die

dynamischen Aspekte der Erlangung von Wettbewerbsvorteilen, d. h. die Abfolge der

Ereignisse in der Formierung und Umsetzung von Strategieinhalten im organisationalen

Kontext, kurz der Prozess, wie sich Unternehmen durch die Realisierung von Strategien

möglichst nachhaltige Wettbewerbsvorteile aufbauen.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu statischen und inhaltsorientierten Konzepten

liegt im Zeitpunkt der Rentengenerierung. Vorteilhafte Wettbewerbspositionen auf

Märkten, die Gestalt der Austauschbeziehungen mit Transaktionspartnern sowie die

spezifischen Ressourcen und Fähigkeiten einer Firma werden nicht als konstant gegeben,

sondern als erlern- und erwerbbar angenommen. Dadurch verschiebt sich der Zeitpunkt

der Rentengenerierung vom bloßen Besitz zum Prozess des Erwerbs und

dementsprechend liegt die Grundlage von Wettbewerbsvorteilen nicht mehr im Besitz

solcher vorteilhafter Positionen, Konfigurationen oder Produktionsfaktoren, sondern in

der Befähigung und im Prozess der Aneignung von Ressourcen und Fähigkeiten bzw. der

Suche und Erschließung vorteilhafter Wettbewerbspositionen und

Transaktionsbeziehungen begründet.

Zu den Varianten dieser prozessualen Perspektive zählen die Denkschule der

Evolutionstheorie137, die organisationale Evolutionstheorie138 (Population-Ecology-

Ansatz), die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung139, der fähigkeitenorientierte

Ansatz (Capabilities-based View, kurz CbV) sowie der darauf aufbauende Ansatz

dynamischer Fähigkeiten140 (Dynamic Capabilities) und der wissensorientierte Ansatz

(Knowledge-based View, kurz KbV)141.

Durch die Brille prozessualer Ansätze betrachtet wird überdurchschnittlicher

Unternehmenserfolg auf die unterschiedlichen Entwicklungspfade von Unternehmen

zurückgeführt. In diesem Prozess stellen die Veränderungsfähigkeit, die Innovationskraft,

die Kreativität, die Lernbereitschaft sowie der Prozess der Aneignung und

Weiterentwicklung von materiellen wie immateriellen Ressourcen und Fähigkeiten

wichtige Erfolgsfaktoren dar.

Diese prozessualen Strategieansätze sind in ihrer Anwendung nicht nur auf diese

spezifischen Faktoren beschränkt, da sie eine Metasicht auf die erklärenden Variablen der

137 vgl. Nelson, R. R. und Winter, S. G. (1982) 138 vgl. Hannan, M. T. und Freeman, J. H. (1977) 139 vgl. Schumpeter, J. A. (1912) 140 vgl. Hawawini, G., et al. (2005) 141 vgl. Nonaka, I. (1992), Grant, R. M. (1996)

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Grundlagen strategischer Managementforschung 47

Inhaltsforschung eröffnen. Daher sind diese systemischen Ansätze wie zum Beispiel der

Ansatz dynamischer Fähigkeiten142 auch mit anderen Ansätzen wie dem RbV kompatibel

bzw. bauen teilweise darauf auf.

Den Dreh- und Angelpunkt der prozessorientierten Ansätze bildet das Management der

kognitiven und kulturellen Nebenbedingungen der statischen Ausgestaltung und

Entwicklung eines Unternehmens.143 Im Gegensatz zu harten Faktoren werden dabei auch

weiche organisationale und kontextspezifische Einflüsse berücksichtigt und ihr Einfluss

auf die harten Faktoren und ihre Beziehung zur Inhaltsforschung ergründet.

Prozessorientierte Perspektive

Intellektuelle Wurzeln Chandler, Ansoff, Andrews

Einschlägige Autoren Mintzberg (1990); Chakravarthy und Doz (1992); Pettigrew

(1992a); Lechner und Müller-Stewens (1999)

Sichtweise der Firma

Firma als soziale Organisation, in der sich Individuen

aufgrund individueller und kollektiver Wahrnehmung auf

kollektives Handeln verständigen

Analyseeinheit Wahrnehmung, Entscheidungen, Initiativen

Ökonomische Rente Monopol, Quasirente und Schumpeter

Grundlagen der

Wettbewerbsvorteile

Wie Organisationen strategische Inhalte formulieren und

realisieren

Annahmen Beschränkte Rationalität

Tabelle 4: Charakteristika der prozessorientierten Perspektive144

Organisationen sind komplexe Gebilde mit einer Vielzahl von Akteuren, die ein gewisses

Maß an Eigendynamik aufweisen. Da es sich um vernetzte Strukturen handelt, die in

einem arbeitsteiligen Prozess interagieren und unterschiedlichen

Koordinationsmechanismen unterliegen, werden strategische Entscheidungen nicht von

einer Einheit autonom und nach rein rationalen Gesichtspunkten getroffen, sondern von

142 vgl. Teece, D. J., et al. (1997) 143 vgl. Whittington, R. (1996), Whittington, R., et al. (2002) 144 vgl. Lechner, C. (2006b)

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48 Grundlagen strategischer Managementforschung

mehreren Organisationsteilen mit teilweise unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen

im Rahmen eines organisierten, geplanten oder emergenten Prozesses gemeinsam

erarbeitet.

Strategische Entscheidungen sind das Produkt individueller, aber zumeist kollektiver

Wahrnehmung und sozialer Interaktion von Individuen und Gruppen.145 Neben

intraorganisationalen Einflüssen kann dieser Prozess auch durch exogene Faktoren

moderiert werden.

So zeigte Mintzberg (1978), dass wahrgenommene kognitive Einflüsse wie zum Beispiel

eine wachsende Unsicherheit im Hinblick auf die zukünftigen Umwelt- und

Wettbewerbsbedingungen zu kürzeren Planungshorizonten, inkrementellen statt

revolutionären Veränderungsschritten und einer zaghaften Handlungsweise führen.146

Daran wird deutlich, dass die unabhängigen Variablen der Inhaltsforschung zu den

abhängigen Variablen der Prozessforschung werden.147 Die unabhängigen Variablen der

Prozessforschung wiederum sind nicht nur im Feld der Management- und

Organisationsforschung, sondern auch in verwandten Forschungsfeldern zu suchen.

Theorien aus dem Bereich der Psychologie und Soziologie sind hier von besonderer

Relevanz, da sie von ähnlichen Grundannahmen wie zum Beispiel bedingt rational

handelnden Akteuren148 (Bounded Rationality) ausgehen und weiche Faktoren wie

Normen und Werte explizit berücksichtigen.149

In letzter Zeit wurde auch wiederholt der Versuch unternommen, die traditionell

inhaltsorientierten Ansätze mit prozessualen Ansätzen zu integrieren und dadurch zu

einem umfassenderen Verständnis und zu einer Erklärung der Entstehung bzw. Evolution

nachhaltiger Wettbewerbsvorteile beizutragen.150 Ein Beispiel für die evolutionäre

Weiterentwicklung der ressourcenorientierten Sicht stellt die Entstehung des Ansatzes

dynamischer Fähigkeiten dar.

6.3.2 Ansatz dynamischer Fähigkeiten

Bereits Penrose (1959) hob die besondere Bedeutung spezieller Fähigkeiten im Prozess

145 vgl. Cyert, R. M. und March, J. G. (1963) 146 vgl. Mintzberg, H. (1978) 147 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 50. 148 vgl. Simons, H. (1959) 149 vgl. Chakravarthy, B. S. und Doz, Y. L. (1992) 150 vgl. Amit, R. und Schoemaker, P. (1993), Oliver, C. (1997)

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Grundlagen strategischer Managementforschung 49

der Ressourcenkombination hervor: “A firm may achieve rents not because it has better

resources, but rather the firm’s distinctive competence involves making better use of its

resources.”151

Anfang der 1990er-Jahre griffen Prahalad und Hamel (1990) den Gedanken in ihrer

Arbeit über “The Core Competence of Organizations” erneut auf und legten so den

Grundstein für den fähigkeitenorientierten Ansatz, der auch als Kernkompetenzansatz des

strategischen Managements bezeichnet wird.

Der fähigkeitenorientierte Ansatz stellt somit eine gedankliche Fortführung des Resource-

based View (RbV) dar. Wie beim RbV beruhen langfristige Wettbewerbsvorteile auch

beim fähigkeitenorientierten Ansatz (Capabilities-based View, kurz CbV) auf der

Grundannahme, dass nicht alle Unternehmen einer Branche als homogen zu betrachten

sind.

Den nötigen Beitrag zur Dynamisierung der Ressourcentheorie liefern Teece, Pisano et al.

(1997) mit dem Ansatz dynamischer Fähigkeiten (Dynamic Capabilities). Diese

Forschungsströmung beschäftigt sich neben der Erforschung dynamischer Fähigkeiten

auch mit Fragen des organisationalen Wissens und organisationalen Lernens.152

Gleichzeitig ist dieser Ansatz als die Antwort auf ein zunehmend dynamisches

Marktumfeld zu verstehen, in dem sich Unternehmen zunehmend auf Innovation und

schnelles Anpassungsprozesse konzentrieren müssen153, denn der Ansatz dynamischer

Fähigkeiten154 befasst sich mit den organisationalen und strategischen Prozessen, durch

die Manager in einem dynamischen Umfeld die Ressourcen und Fähigkeiten des

Unternehmens zu neuen produktiven Leistungsangeboten kombinieren. Obwohl Effizienz

und Kontrolle weiterhin zentrale Themen bleiben, sind zusätzlich Eigenschaften wie

Flexibilität, Kreativität und Timing gefragt.

Teece, Pisano et. al. (1997) definieren dynamische Fähigkeiten als “the firm’s ability to

integrate, build, and reconfigure internal and external competences to address rapidly

changing environments”.155 Es handelt sich dabei also im Kern um die Beherrschung der

Prozesse zur Adaption bestehender Kompetenzen, d. h. der immateriellen Fähigkeiten

151 vgl. Penrose, E. (1959), S. 54. 152 vgl. Kogut, B. und Zander, U. (1992), Mahoney, J. T. (1995), von Krogh, G. und Roos, J. (1996) 153 vgl. Bartlett, C. A. und Ghoshal, S. (1993), Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1998) 154 vgl. Henderson, R. und Clark, G. (1990), Amit, R. und Schoemaker, P. (1993), Henderson, R. (1994),

Conner, K. R. und Prahalad, C. K. (1996), Teece, D. J., et al. (1997), Eisenhardt, K. M. und Martin,

J. (2000) 155 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), S. 516.

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50 Grundlagen strategischer Managementforschung

eines Unternehmens, die ihrerseits aus der Bündelung von zwei oder mehr

organisatorischen Handlungsroutinen bestehen.156

Die Entstehung und Veränderung von Wettbewerbsvorteilen sieht der Ansatz der

dynamischen Fähigkeiten im Gegensatz zur traditionellen Ressourcentheorie nicht in der

Kombination spezifischer idiosynkratischer Ressourcen begründet, sondern führt

Unterschiede in der Wettbewerbsposition vielmehr auf die historische Entwicklung (Path

Dependencies) und die Ressourcenausstattung eines Unternehmens im Zeitablauf

zurück.157

“The key role of strategic management in appropriately adapting, and re-

configuring internal and external organizational skills, resources, and

functional competences toward changing environment.”158

Allerdings begründet der fähigkeitenorientierte Ansatz relative Wettbewerbsvorteile nicht

durch die unterschiedliche Ausstattung mit Ressourcen, sondern durch die spezifischen

Fähigkeiten und das Wissen eines Unternehmens, die zu Effizienzunterschieden beim

Ressourceneinsatz führen. Renten werden demnach durch den koordinierten Einsatz der

Ressourcen des Unternehmens, also durch die Kombination oder Bündelung von

materiellen Aktiva, personenbezogenem Wissen, Fähigkeiten und organisatorischen

Routinen, geschaffen. Erst die eigene Fähigkeit, die vorhandenen Ressourcen zu

kombinieren und geschickt einzusetzen, erlaubt es, langfristige Wettbewerbsvorteile zu

begründen und Renten zu erzielen.159

Besondere Bedeutung kommt dabei der Ressource Wissen zu. Obwohl Wissen eine

Ressource darstellt, kann das Wissen darüber, wie etwas zu tun ist, davon getrennt als

Fähigkeit gesehen werden.160 Wissen ist dann als Fähigkeit zu betrachten, wenn es das

Know-how eines Unternehmens, d. h. die gängigen Praktiken161 in einem Unternehmen,

beschreibt. In diesem Sinne sind die Fähigkeiten eines Unternehmens ein Bündel an

bestehenden Praktiken und individuellen Fähigkeiten, die an verschiedenen Stellen im

Unternehmen vorhanden sind. Diesem Verständnis von Fähigkeiten folgend existiert das

Wissen in den Köpfen aller Mitarbeiter im Unternehmen.162 Es liegt in der Natur dieser

156 vgl. Cohen, M. D., et al. (1996) 157 vgl. Burmann, C. (2005) 158 vgl. Teece, D. J. und Pisano, G. (1994), S. 537. 159 vgl. Lechner, C. und Müller-Stewens, G. (2003), S. 361. 160 vgl. Kogut, B. und Zander, U. (1992), Loasby, B. J. (1998), Kogut, B. und Zander, U. (2003) 161 vgl. Kogut, B. und Zander, U. (1992) 162 vgl. Nonaka, I. (1992), Grant, R. M. (1996)

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Grundlagen strategischer Managementforschung 51

Art von Wissen, dass es nicht einfach gekauft oder verkauft werden kann, sondern es ist

‟embedded in [the] organizing principles by which people cooperate within

organizations.”163 Daher ist das Wissen in der ganzen Organisation verteilt.164

Darüber hinaus hat diese Form von Wissen eine besondere Funktion. Organisationale

Fähigkeiten sind daher das spezifische Wissen, das als Know-how zur Realisierung der

Aktivitäten im Unternehmen benötigt wird bzw. diesen Aktivitäten innewohnt. In der

Lage zu sein, etwas zu realisieren, bedingt, dass man die verlässliche Fähigkeit besitzt,

gewollte Handlungen durchzuführen.165 Die Fähigkeit stellt somit die Brücke zwischen

der Intention und dem gewünschten Ergebnis dar.166 Jede Fähigkeit hat eine erkennbare

Funktion bzw. einen bestimmten Nutzen, zum Beispiel die Durchführung einer

bestimmten Aktivität, da durch die Fähigkeit ein gewünschtes Ergebnis erreicht werden

kann. Die Ermöglichung konkreter Resultate haben Teece, Pisano et al. (1997) und

Eisenhardt und Martin (2000) zu dem Schluss kommen lassen, dass Fähigkeiten als

Bündel organisationaler Prozesse und Routine zu verstehen sind. Organisationale

Fähigkeiten sind daher als hierarchisch organisiert und in Routinen und Subroutinen

zerlegbar zu verstehen.167

Folglich interessieren sich Teece, Pisano et al. (1997) nicht für die Inputfaktoren oder

Marktleistungen eines Unternehmens, sondern für die Prozesse und Fähigkeiten, die die

Aktivitäten des Unternehmens formen.

Hamel (2000) und Amit und Zott (2001) verstehen Ressourcen und Fähigkeiten als ‟rare

and valuable”168 und ‟enabler of exchange transactions”169, die die Grundlage für ‟every

competitive advantage”170 bilden.

Somit wird klar, dass die Ressourcen und Fähigkeiten bzw. deren Kombination für die

Leistungsfähigkeit und den Erfolg von Unternehmen verantwortlich sind.171

Die relativen Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens sind daher das Produkt des

situativen pfadabhängigen Prozesses (Distinctive Process) der Koordination und 163 vgl. Funder, J. (2002), S. 5. 164 vgl. Loasby, B. J. (1998) 165 vgl. Funder, J. (2002), S. 4. 166 vgl. Dosi, G., et al. (2000), S. 2. 167 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), Karim, S. und Mitchell, D. W. (2000) 168 vgl. Hamel, G. (2000), S. 76. 169 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001), S. 29. 170 vgl. Hamel, G. (2000), S. 75. 171 vgl. Cohen, W. M. und Levinthal, D. A. (1990), Mahoney, J. T. und Pandian, J. R. (1992)

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52 Grundlagen strategischer Managementforschung

Kombination der idiosynkratischen Ressourcen und Fähigkeiten eines Unternehmens.

Grundlage und Ansatzpunkt zur Erreichung von Wettbewerbsvorteilen sind die internen

technologischen, organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Prozesse des

Unternehmens.

Zur Beschreibung des Phänomens wurden über die Jahre immer neue Konzepte und

Bezeichnungen entwickelt. Von den ersten Bemühungen wie Selznick (1957) Distinctive

Competence bis hin zu aktuelleren und verfeinerten Begriffen der Organizational

Routines von Nelson und Winter (1982), der Absorptive Capacity von Cohen und

Levinthal (1990), dem Architectural Knowledge bei Henderson und Clark (1990), den

Combinative Capabilities nach Kogut und Zander (1992) und schlussendlichen den

Dynamic Capabilities von Teece, Pisano et al. (1997) existiert eine reichhaltige Literatur,

die Merkmale und Grenzen des Phänomens skizziert und die Unterschiede zwischen den

verschiedenen Konstrukten zu klären versucht.172

Den verschiedenen Konzepten liegt eine einfache Idee zugrunde: Im heutigen

dynamischen Marktumfeld müssen Unternehmen in der Lage sein, rasch auf die sich

ändernden Umweltbedingungen zu reagieren und ihre Innovationsfähigkeit zu erhöhen.

Dafür sind spezielle Fähigkeiten nötig. Um den Herausforderungen des Markts

gewachsen zu sein, müssen Organisationen und ihre Mitarbeiter in der Lage sein, schnell

zu lernen und neue strategische Assets173 aufzubauen. Weiters müssen neue strategische

Assets, zu denen zum Beispiel Wissen, Technologien und Kundenerfahrungen zählen, in

die bestehende Organisation integriert werden. Drittens müssen bestehende strategische

Assets rasch transformiert, rekonfiguriert und somit an die neuen Umweltbedingungen

angepasst werden.174

Von besonderer Bedeutung sind Routinen, die das (1) Erlernen neuer Fähigkeiten, (2) die

Koordination und Integration von Ressourcen und Fähigkeiten oder (3) die

Rekonfiguration und Transformation von Ressourcen ermöglichen bzw. unterstützen.

Eisenhardt und Martin (2000) verweisen auf folgende Beispiele, um Fähigkeiten wie das

Erlernen, die Integration und Rekonfiguration von Ressourcen zu verdeutlichen:

1. Erlangung neuer Fähigkeiten: Eine Möglichkeit, neue Fähigkeiten zu erlangen,

ist, diese zu erlernen. Lernen ist ein Prozess, der durch Wiederholen und

172 vgl. Dosi, G., et al. (2000), Eisenhardt, K. M. und Martin, J. (2000) 173 Unter dem Oberbegriff strategischer Assets werden sowohl strategische Ressourcen, wie wir sie aus dem

Ressourcen-bezogenen Ansatz kennen, als auch strategische Fähigkeiten subsummiert. 174 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), Eisenhardt, K. M. und Martin, J. (2000)

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Grundlagen strategischer Managementforschung 53

Experimentieren dazu beiträgt, dass Aufgaben schneller und besser ausgeführt

werden. Genauso ermöglicht er, neue Marktchancen zu identifizieren. Lernen

weist im Unternehmenskontext einige besondere Merkmale wie eine

einheitlichen Sprache und koordinierte Prozeduren auf. Das gesammelte Wissen

einer Organisation ist in den internen Routinen bzw. in der inneren Logik der

Organisation gespeichert. Routinen sind Interaktionsmuster, die erfolgreiche

Heuristiken zur Lösung spezieller Probleme darstellen. Diese

Interaktionsmuster spiegeln sich im Gruppenverhalten der Mitarbeiter wider.

Das Verhalten einzelner Individuen kann dabei bestimmte Subroutinen

beinhalten. Für organisationales Lernen sind einzelne Interaktionsmuster wie

Zusammenarbeit und Kooperation besonders interessant, da sie zum Beispiel

dabei helfen, auf dysfunktionale Routinen und neue strategische

Herausforderungen zu reagieren. Lernfähigkeiten sind in manchen Branchen

wie der Technologie- und Pharmabranche besonders wichtig, wo

technologische Vorreiterschaft über den Erfolg von Unternehmen

entscheidet.175

Neben organisationalem Lernen stellt auch die Bildung bzw. der Aufbau neuer

strategischer Assets eine Möglichkeit zur Verbreiterung der Ressourcenbasis

dar. Beispiele dafür sind Routinen zur Netzwerkbildung oder M&A-

Fähigkeiten176, die helfen, neue Ressourcen ins Unternehmen zu bringen.177 Der

führende Netzwerkausstatter Cisco Systems hat zum Beispiel einen sehr

effektiven Akquisitionsprozess entwickelt, um sich neue Produkte und

Technologien anzueignen und so die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.178

Firmen aus der Biotechbranche setzen wiederum auf Prozesse zur

Allianzbildung, um sich externes Know-how anzueignen.179

2. Koordination und Integration: Die effektive und effiziente interne Koordination

oder Integration strategischer Assets stellt eine weitere wichtige

Herausforderung dar. So kann zum Beispiel die Qualität der Leistungen eines

Unternehmens durch die Verbesserung von Routinen zur Sammlung und

Verarbeitung von Informationen positiv beeinflusst werden.180 Um

Wettbewerbsvorteile zu erzielen, ist es immer öfter notwendig, interne und

175 vgl. Henderson, R. und Cockburn, I. (1994), Helfat, C. E. (1997) 176 vgl. Voss, I. (2008) 177 vgl. Gulati, R. (1999) 178 vgl. Paulson, E. (2002) 179 vgl. Powell, W. W., et al. (1996) 180 vgl. Garvin, D. A. (1988)

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54 Grundlagen strategischer Managementforschung

externe Aktivitäten bzw. Technologien miteinander zu integrieren oder die im

Rahmen von strategischen Netzwerken wie Allianzen und Partnerschaften

erbrachte wertschöpfende Tätigkeit mit dem internen Wertschöpfungssystem zu

koordinieren. Dazu zählen Routinen zur Produktentwicklung, die es dem

Unternehmen erlauben, Ressourcen, Fähigkeiten und funktionales Wissen so zu

kombinieren und zu verknüpfen, dass daraus neue Produkte und

Dienstleistungen entstehen.181 Diese integrative Fähigkeit bildet zum Beispiel

bei Toyota einen zentralen Ansatzpunkt, um Wettbewerbsvorteile zu

schaffen.182

Die strategische Entscheidungsfindung ist eine weitere integrative Fähigkeit, bei

der Entscheidungsträger aus verschiedenen Unternehmensbereichen oder

Funktionen ihr Wissen bündeln, um Entscheidungen zu treffen und die

strategischen Manöver des Unternehmens zu gestalten.183

3. Transformation und Neukonfiguration: Auch die Anpassung an veränderte

Umweltbedingungen setzt Fähigkeiten voraus. Der vorhandene Bestand an

strategischen Assets muss neu konfiguriert werden, um die Neuausrichtung des

Unternehmens zu bewerkstelligen.184 Der Anpassungsprozess kann durch

bestimmte Formen der Organisation wie dezentrale Entscheidungsstrukturen

und strategische Allianzen unterstützt werden. Notwendige Voraussetzung dafür

sind Transferprozesse und Routinen zum Replizieren und Vermitteln von

Ressourcen. Dabei handelt es sich um Fähigkeiten zur Neukonfiguration der

Organisation.185 Sie dienen dazu, strategische Assets zu kopieren, zu

transferieren oder zu kombinieren. Routinen zur Ressourcenallokation werden

benötigt, um innerhalb des Unternehmens die Allokation seltener bzw.

wertvoller Ressourcen wie Kapital oder Produktionskapazitäten zu

koordinieren.186 Auch die Koordination der Zusammenarbeit zwischen

Unternehmen bedarf spezieller Routinen wie der Fähigkeit zur Koevolution von

Netzwerkpartnern.187

Verknüpfen (Patching) ist ein strategischer Prozess, der sich auf Routinen zur

181 vgl. Helfat, C. E. (1997) 182 vgl. Clark, K. B. und Fujimoto, T. (1991) 183 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989b) 184 vgl. Amit, R. und Schoemaker, P. (1993) 185 vgl. Hansen, M. T. (1999) 186 vgl. Burgelman, R. A. (1994) 187 vgl. Eisenhardt, K. M. und Galunic, D. C. (2000)

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Grundlagen strategischer Managementforschung 55

Neuausrichtung eines Geschäfts bzw. die damit in Verbindung stehenden

Ressourcen bezieht und die bestmögliche Anpassung an sich verändernde

Marktchancen zum Ziel hat.188 Ein Beispiel für einen sehr erfolgreichen

Verknüpfungsprozess (Patching Process) liefert Dell, wo die Segmentierung der

operativen Geschäftsfelder laufend an neue Kundenbedürfnisse angepasst

wird.189

Schlussendlich können auch Ausstiegsroutinen zum rechtzeitigen Über-Bord-

Werfen bzw. Verlernen veralteter und obsoleter Ressourcen und zum

Aufbrechen verkrusteter Ressourcenkombinationen, die im Wettbewerb keinen

Vorteil mehr bringen, einen Beitrag zur nachhaltigen Sicherung von

Wettbewerbsvorteilen leisten.190

Wie diese Beispiele zeigen, handelt es sich bei dynamischen Fähigkeiten um spezifische

identifizierbare Routinen, die in vielen Fällen bereits in anderen Forschungsfeldern und

abseits der ressourcenbezogenen Unternehmensperspektive erforscht wurden. Sie beruhen

auf speziellen organisationalen Prozessen wie der Produktentwicklung, der Bildung

strategischer Allianzen, der Unternehmensplanung und der Entscheidungsfindung.

Dynamische Fähigkeiten sollen Unternehmen dabei unterstützen, rascher und besser als

die Mitbewerber auf dynamischen Märkten zu agieren bzw. bestehende und neue

strategische Assets in nutzen- und wertschaffender Weise in Strategien und

Organisationen zusammenzuführen.191 Weiters ist es ratsam, sich bereits frühzeitig auf

veränderte Umwelten einzustellen und die eigenen Fähigkeiten frühzeitig

weiterzuentwickeln, da die hier eingenommene Perspektive der Theorie dynamischer

Fähigkeiten die Entwicklung von Unternehmen als pfadabhängig ansieht.192

Die Ausgestaltung der dynamischen Fähigkeiten ist von der jeweils im Marktumfeld

herrschenden Dynamik abhängig. Weist das Marktumfeld eine geringere Dynamik auf, da

sich der natürliche und fortlaufende Wandel im Kontext stabiler Marktstrukturen und

Branchengrenzen vollzieht, sind dynamische Fähigkeiten mit dem traditionellen Konzept

organisationaler Routinen gleichzusetzen.193 In diesem Kontext sind Routinen

komplizierte und detaillierte analytische Prozesse, die in hohem Maß auf bestehendem

188 vgl. Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1997), Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1998) 189 vgl. Magretta, J. (1998) 190 vgl. Sull, D. N. (1999) 191 vgl. Eisenhardt, K. M. und Martin, J. (2000) 192 vgl. von Krogh, G. und Cusumano, M. A. (2001) 193 vgl. Nelson, R. R. und Winter, S. G. (1982)

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56 Grundlagen strategischer Managementforschung

Wissen aufbauen und Schritt für Schritt abgearbeitet werden, um vorhersehbare Resultate

zu liefern.

Ansatz dynamischer Fähigkeiten

Intellektuelle Wurzeln Schumpeter, Nelson, Winter, Teece

Einschlägige Autoren

Nelson und Winter (1982); Dierickx und Cool (1989);

Prahalad und Hamel (1990); Porter (1991); Teece und

Pisano (1994); Teece, Pisano et al. (1997); Cool, Costa et

al. (2002)

Sichtweise der Firma Firma als Bündel von Fähigkeiten, die mit Ressourcen

arbeiten

Analyseeinheit Prozesse, Positionen, Entwicklungspfade

Ökonomische Rente Schumpeter

Grundlagen der

Wettbewerbsvorteile

Akkumulation, Koordination, Integration, Replikation und

Imitation von Fähigkeiten durch interne Prozesse

Annahmen Rational

Tabelle 5: Charakteristika des Ansatzes dynamischer Fähigkeiten194

Im Gegensatz dazu weisen dynamische Fähigkeiten in einem schnelllebigen, dynamischen

Umfeld andere charakterliche Merkmale auf. In einem solchen Kontext sind einfache

experimentelle Routinen gefragt, die davon leben, dass neues Wissen geschaffen und

erlernt wird. Charakteristisch sind unstete, iterative Prozesse und Arbeitsschritte, um sich

Stück für Stück den veränderten Umweltbedingungen anzupassen, wobei das

schlussendliche Ergebnis nicht vorhersehbar ist.

Aufgrund der in Tabelle 5 zusammengefassten Eigenschaften stellt der Ansatz

dynamischer Fähigkeiten einen wesentlichen Bestandteil des Bezugsrahmens dieses

Forschungsvorhabens dar. Indem er mehrere konzeptionelle Sichtweisen wie die

ressourcenorientierte mit der prozessorientierten Perspektive integriert, bildet er eine

solide Basis für die weiterführende Arbeit, die in den nächsten Kapiteln noch um einige

Elemente wie die netzwerkorientierte Perspektive zu ergänzen ist.

194 vgl. Teece, D. J., et al. (1997), S. 527, Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 364.

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Grundlagen strategischer Managementforschung 57

6.3.3 �etzwerkorientierte Perspektive

Die netzwerkorientierte Perspektive stellt einen weiteren Entwicklungspfad der

strategischen Erfolgsforschung dar. Die strategische Netzwerkforschung195 befasst sich

mit der Frage nach neuartigen Koordinations- und Organisationsformen und erklärt,

warum zwischen Unternehmen verstärkt stabile interorganisationale Beziehungen

entstehen. Sie bietet Antworten auf den durch neue Technologien induzierten Wandel und

die in Auflösung begriffenen Grenzen der Firma.

Aufbauend auf den Grundüberlegungen der klassischen Transaktionsökonomie werden

hier Mischformen zwischen den klassischen Koordinationsmechanismen Markt und

Unternehmen untersucht. Dazu zählen verschiedene kooperative Organisationsformen wie

strategische Netzwerke und Wertschöpfungsnetzwerke196, die unterschiedliche feste

Bindungen zwischen Organisationen darstellen. Netzwerke sind der Versuch, die Vorteile

von Märkten (mehr Flexibilität, geringere administrative Kosten) und Hierarchien (höhere

Planbarkeit und geringere Transaktionskosten) zu kombinieren.

Markt einfache Hierarchie mehrstufige Hierarchie Netzwerke

Abbildung 9: Gegenüberstellung unterschiedlicher Koordinationsformen197

Netzwerke als Organisationsform ökonomischer Aktivitäten und Transaktionen

beschreiben die Kooperation zwischen relativ autonomen, in ein Geflecht von

Austauschbeziehungen eingebundenen Wirtschaftseinheiten, in aller Regel von

Unternehmen.198

Strategische Netzwerke stellen stabile unternehmensübergreifende Bindungen dar, die für

die teilnehmenden Unternehmen von strategischer Bedeutung sind.199 In der Theorie wird

195 vgl. Gulati, R., et al. (2000) 196 vgl. Blankart, C. und Knieps, G. (1992), Sydow, J. (1992), Gulati, R., et al. (2000) 197 Eigene Darstellung 198 vgl. Blankart, C. und Knieps, G. (1992), Sydow, J. (1992) 199 vgl. Sydow, J. (1992)

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58 Grundlagen strategischer Managementforschung

zwischen verschiedenen ausgestalteten Formen von strategischen Netzwerken200 wie

strategischen Allianzen, Joint Ventures, langfristigen Kundenbeziehungen oder anderen

Verbindungen unterschieden. Diese Formen der Netzwerkorganisation, die ein

erhebliches Maß an strategischer Flexibilität aufweisen, stellen gleichsam das

Gegenmodell zu vertikal integrierten und horizontal diversifizierten Unternehmen dar.

„Anders als im Fall der vertikalen und horizontalen Integration wird bei der

9etzwerkorganisation angesichts zunehmend turbulenter

Wettbewerbsbedingungen auf eine hierarchische Kontrolle durch die

vollständige Eingliederung der ökonomischen Aktivitäten verzichtet, aber nicht

auf die hierarchischen Elemente in interorganisationalen Beziehungen.“201

Unternehmensnetzwerke stellen insoweit eine zwar diskrete, gleichwohl im Vergleich zu

Markt und Hierarchie eine hybride Organisationsform ökonomischer Aktivität dar.202

Neben strategischen Netzwerken findet sich in der Literatur auch der Verweis auf

Wertschöpfungsnetzwerke203, wobei sich die Netzwerkorganisation entlang der

betrieblichen Wertschöpfung orientiert. Durch den technologischen Fortschritt ergeben

sich neue Möglichkeiten der Geschäftskonfigurationen. Die Analyse der eigenen

wertschöpfenden Tätigkeit tritt in den Vordergrund. Durch die Dekonstruktion

traditioneller Wertketten und die Auslagerung von Tätigkeiten vernetzen sich die

Unternehmen.204

Der damit einhergehende Anstieg der Komplexität und die Vielzahl an Möglichkeiten

machten das Design und die Implementierung dieser neuen Formen der Wertschöpfung

jedoch zu einer überaus komplexen und schwierigen Entscheidung. Traditionelle

Analyseeinheiten wie Märkte und Unternehmen eigenen sich nicht mehr dazu, um diese

neuartigen Formen der Wertschöpfung zu untersuchen.

Dabei wird nicht nur der Grad der vertikalen Integration, d. h. der Tiefe ökonomischer

Aktivitäten, verkürzt, sondern auch durch (Ent-)Diversifizierung die horizontale Breite

der Aktivitäten aufgelöst,205 um sich so besser auf das eigene Kerngeschäft und die

200 vgl. Gulati, R., et al. (2000). 201 vgl. Sydow, J. (2001) 202 vgl. Williamson, O. E. (1991), Sydow, J. (1992) 203 vgl. Bach, N., et al. (2003) 204 Vgl. Krüger, W. (2006) 205 vgl. Hagel, J. und Singer, M. (2000)

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Grundlagen strategischer Managementforschung 59

eigenen Kompetenzen zu fokussieren.206 An die Stelle traditioneller integrierter

Strukturen der unternehmerischen Wertschöpfung treten vertikal und horizontal

integrierte Modelle der Wertschöpfung. Ihrer spezifischen Konfiguration nach

unterscheidet Heuskel dabei verschiedene Typen von Wertschöpfungsmodellen wie

Layer-Players, Market-Makers, Orchestrators und Integrators.207

�etzwerkorientierte Perspektive

Intellektuelle Wurzeln Transaktionskostenökonomie, ressourcenorientierte

Perspektive

Einschlägige Autoren

Katz und Shapiro (1985); Badaracco (1991); Sydow (1992);

Doz und Hamel (1998); Gulati (1999); Gulati, Nohria et al.

(2000)

Sichtweise der Firma

Die Firma als Teil einer dynamisch wechselnden Gruppe

von Unternehmen, die gemeinsam mit anderen Gruppen im

Wettbewerb stehen, wobei die Grenzen zwischen

Unternehmen zunehmend verschwimmen

Analyseeinheit Netzwerk

Ökonomische Rente Quasirente und Schumpeter

Grundlagen der

Wettbewerbsvorteile

Stabile interorganisationale Beziehungen zwischen

Unternehmen

Annahmen Beschränkte Rationalität, Opportunismus

Tabelle 6: Charakteristika der netzwerkorientierten Perspektive208

Strategische Netzwerke zielen aber nicht nur darauf ab, den Umfang ökonomischer

Aktivitäten im Unternehmen zu redimensionieren und die Grenzen zwischen Organisation

und Umwelt209 durch längerfristige kooperative Bindungen zu verwischen210, sondern

helfen auch, durch Vernetzung Markt- und Branchengrenzen zu überwinden211 und im

206 vgl. Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1990) 207 vgl. Heuskel, D. (1999) 208 vgl. Sydow, J. (1992), Gulati, R., et al. (2000) 209 vgl. Badaracco, J. L. (1991), der in diesem Zusammenhang von der Verwischung der

Organisationsgrenzen („blurring of organizational boundries“) spricht. 210 vgl. Ibid. 211 vgl. Heuskel, D. (1999)

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60 Grundlagen strategischer Managementforschung

Verbund anstatt durch Akquisition oder Fusion spezifische Ressourcen, Fähigkeiten und

Kernkompetenzen zu bündeln212, um gemeinsam mit Kunden213, Partnern und

Mitbewerbern im Netzwerk oder Clustern214 neue Märkte zu schaffen und zu erobern.215

Die Managementverantwortung zur Lenkung, Gestaltung und Entwicklung des

Netzwerkunternehmens endet folglich nicht an der Grenze zur Unternehmensumwelt,

sondern bezieht alle Interaktionsbeziehungen zu direkten wie indirekten Akteuren im

Umfeld und deren ökonomische Aktivitäten in die Betrachtung mit ein.216

Diese Darstellung zeigt, dass sich die Organisationsform des Netzwerks, insbesondere

von Unternehmensnetzwerken, kaum mit klassischen Vorstellungen von

Unternehmenskooperationen deckt. Im Unterschied zur klassischen Begriffsdeutung von

Kooperation und Allianz werden mit strategischen Netzwerken deutlich komplexere

Beziehungsgeflechte assoziiert, weshalb in der Literatur auch von Allianznetzwerken217,

strategischen Familien218, Allianzsystemen219 oder Netzwerkkooperationen gesprochen

wird.220

Allerdings bilden diese spezifischen Charakteristika die Grundlage für

Wettbewerbsvorteile. Durch die Festigung des Vertrauens und den Aufbau längerfristig

stabiler Beziehungen lassen sich hier durch die Nutzung von Synergie- und

Effizienzvorteilen, den Austausch wichtiger Ressourcen, Wissenstransfer, positive

Netzwerkeffekte und steigende Wechsel- bzw. Opportunitätskosten Wettbewerbsvorteile

erzielen.

6.3.4 Das Geschäftsmodell als neue Analyseeinheit

Doch auch diese neue Sichtweise und Analyseeinheit haben ihre Schwächen. Abseits der

Akzentuierung neuer Koordinationsmechanismen und Wertschöpfungsformen

vernachlässigen strategische Netzwerke die Veränderungen, die sich auf der Kundenseite

ergeben.221 Auch Prahalad und Ramasway plädieren für eine stärkere Integration der

Kundenperspektive in den Prozess der vernetzten Wertschöpfung, da

212 vgl. Dyer, J. H., et al. (2004) 213 vgl. Prahalad, C. K. und Ramaswamy, V. (2000) 214 vgl. Bettis, R. A. (1998) 215 vgl. Chakravorti, B. (2004) 216 vgl. Kanter, R. M. (1994), Sydow, J. (2001) 217 vgl. Backhaus, K. und Piltz, K. (1990) 218 vgl. Albach, H. (1992) 219 vgl. Lechner, C. (1999) 220 vgl. Sydow, J. (2001) 221 vgl. Stähler, P. (2001), S. 36.

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Grundlagen strategischer Managementforschung 61

“customers are fundamentally changing the dynamics of the marketplace. [...] consumers

become a new source of competence for the corporation. The competence that customers

bring is a function of the knowledge and skills they possess, their willingness to learn and

experiment, and their ability to engage in an active dialogue.”222

Wie in Kapitel 6.2 gezeigt wurde, sind die traditionellen Analyseeinheiten wie Branche,

Geschäftseinheit und Unternehmen zu eng gefasst, um mit der dynamischen Veränderung

der Unternehmen und Märkte Schritt zu halten. Der technologische Fortschritt hat die

Grundlage für neue Organisationsformen zwischen Unternehmen, Partnern und Kunden

geschaffen.223 Der damit einhergehende sozioökonomische Wandel hat das

Nachfrageverhalten der Kunden dauerhaft verändert. Zwar können strategische

Netzwerke das Phänomen der zunehmenden Vernetzung zwischen Unternehmen, nicht

jedoch die ebenfalls im Wandel begriffene Kundenperspektive erschließen.224

Stattdessen gewinnt das Geschäftsmodell seit den 1990er-Jahren als neue Analyseeinheit

wirtschaftlichen Erfolgs an Bedeutung.225 Sowohl von Vertretern der Praxis wie auch in

einschlägigen Publikationen wird es beharrlich als neue alternative Analyseeinheit

angeboten, um zu erklären, warum einige Unternehmen einfach erfolgreicher sind als

andere. Sie führen den Erfolg von Unternehmen wie zum Beispiel Dell, Southwest, eBay

und Wal*Mart nicht nur auf die Branche, in der sie tätig sind, oder eine besondere

Ressourcenausstattung, sondern auf das Geschäftsmodell der Unternehmen zurück.

Hat die Praxis mit ihrem intuitiven Enthusiasmus für Geschäftsmodelle recht? Kann das

Geschäftsmodell einen Beitrag zur Erklärung des heterogenen Wachstums- und

Ertragsniveaus von Unternehmen leisten?

Angeregt durch die große Beliebtheit dieses Konzepts in der Praxis wurde auch das

Interesse der Wissenschaft dafür geweckt und erste Anläufe wurden unternommen, eine

fundierte Antwort auf die folgende Frage zu finden: Does Business Modelling really

matter? Erste empirische Untersuchungen belegen, dass das Geschäftsmodell tatsächlich

von Bedeutung ist. Lai, Weill und Malone (2006) konnten anhand der COMPUSTAT-

Daten der Jahre 1998 bis 2002 zeigen, dass der Faktor Geschäftsmodell sogar einen

größeren Beitrag zur Erklärung des Unternehmenserfolgs liefert als die Zugehörigkeit zu

einer bestimmten Branche. 222 vgl. Prahalad, C. K. und Ramaswamy, V. (2000), S. 80. 223 vgl. Normann, R. (2001) 224 vgl. Stähler, P. (2001) 225 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001), Stähler, P. (2001)

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62 Grundlagen strategischer Managementforschung

Eine weiterführende Studie von Amit und Zott (2004) kommt im Zuge der Untersuchung

eines Sample von 190 jungen, wachstumsorientierten Unternehmen zum Ergebnis, dass

Unterschiede im Design (Innovations- vs. Effizienzorientierung) eines Geschäftsmodells

Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg haben. Indem sie das Geschäftsmodell zur

zentralen Analyseeinheit ihrer Untersuchung machen, kommen sie zum Schluss, dass

gerade innovative (novelty-centered) Geschäftsmodelle von Interesse sind, da sie eine

höhere Erfolgsrate als effizienzorientierte Modelle aufweisen. Außerdem weisen

komplexe Designs abnehmende Skalenerträge auf; d. h. Geschäftsmodelle, die sich

gleichzeitig auf Innovation und Effizienz fokussieren, schneiden schlechter ab, wenn sich

das Unternehmen nur auf eine Dimension konzentriert. Schlussendlich sind die

empirischen Ergebnisse im Zeitablauf erstaunlich stabil und unterstützen die Hypothese,

dass die Geschäftsmodellinnovation einen positiven Einfluss auf den wirtschaftlichen

Erfolg von Unternehmen hat.226

Amit und Zott (2004) gehen jedoch noch weiter: Indem sie die aktive Gestaltung des

Geschäftsmodells zu einer unternehmerischen Aufgabe machen, laden Amit und Zott

(2004) zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem Geschäftsmodell ein. Damit

untermauern sie eine der Grundannahmen dieser Arbeit, nämlich die, dass die

Geschäftsmodellinnovation eine neue Möglichkeit zur Erlangung nachhaltiger

Wettbewerbsvorteile ist.

Diese ersten empirischen Studien belegen, dass das Geschäftsmodell nicht nur als

Analyseeinheit zur Beschreibung wertschöpfender Tätigkeit, sondern auch als neues

Erklärungsmodell wirtschaftlichen Unternehmenserfolgs von Relevanz ist. Gleichzeitig

erlaubt diese Betrachtungsweise, die Geschäftsmodellinnovation als wichtigen Teil des

unternehmerischen Managementprozesses und als Beitrag zur Wertgenerierung von

Unternehmen zu verstehen.

Für den Rest der Arbeit stellt das Geschäftsmodell daher die grundlegende Analyseeinheit

unternehmerischen Erfolgs dar. Warum Unternehmen besonders erfolgreich sind oder

trotz vorhandener Marktchancen, neuartiger Geschäftsideen und adäquater Ausstattung

mit Ressourcen und talentierter Mitarbeiter scheitern, wird folglich auf ihr

Geschäftsmodell zurückgeführt. 227

226 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2004), S. 27f. 227 vgl. Morris, M., et al. (2005), S. 726.

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 63

7 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Perioden großer wirtschaftlicher Umwälzungen werden in der Literatur häufig mit

technischen Innovationen und der Veränderung von Branchen und Märkten in

Verbindung gebracht.228

Die 1990er-Jahre sind eine solche Periode großer technologischer Innovationen und

kultureller Veränderungen – eine Ära ‟of eventful history”229, die eine neue

Wirtschaftsrealität und den Übergang von der industriellen zur postindustriellen Ära, zu

der „digitalen Ökonomie“ markiert.230 Der Ausdruck „Geschäftsmodell“ ist eines der

Modewörter dieser Epoche. Andere Schlagwörter dieser Ära sind „Start-up“, „Venture

Capital“, „E-Business“, „Innovation“, „Geschwindigkeit“ und „Veränderung“.

Eine erste Blütezeit erlebte die Geschäftsmodelldiskussion Ende der 1990er-Jahre vor

dem Hintergrund des rasanten Wachstums des Internets und der Zunahme des E-

Commerce.231 Doch während der Ausdruck in der Praxis bereits weitverbreitet war,

entwickelte sich das Interesse der Wissenschaft an Geschäftsmodellen, von einigen

wegweisenden Arbeiten im Bereich der E-Business-Forschung232 abgesehen, nur langsam

und zwiespältig.233

“Business model is rich with connotation for practitioners such as

entrepreneurs, technologists, lawyers, and venture capitalists, though it is often

contested by researchers.”234

Zwar hatten die Popularität und der inflationäre Gebrauch des Ausdrucks in der Praxis die

Aufmerksamkeit der Forschung auf das Phänomen gelenkt,235 doch befasste sich die

Forschung anfangs in erster Linie mit Fragen des E-Business und den Besonderheiten

elektronischer Märkte. Entsprechend ist die Literatur zu Internetgeschäftsmodellen236, die

228 vgl. Schumpeter, J. A. (1942), Utterback, J. M. (1996) 229 vgl. Sewell, W. H. J. (1996) 230 vgl. Feng, H., et al. (2001) 231 vgl. Ghaziani, A. und Ventresca, M. J. (2005) 232 vgl. Ehiraj, S., et al. (2000), Amit, R. und Zott, C. (2001), Applegate, L. M. (2001), Gordijn, J., et al.

(2001), Marx, K., et al. (2003) 233 vgl. Shafer, S. M., et al. (2005) 234 vgl. Feng, H., et al. (2001), Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002), Ghaziani, A. und Ventresca,

M. J. (2005) 235 vgl. Ghaziani, A. und Ventresca, M. J. (2005), S. 531. 236 vgl. Afuah, A. und Tucci, C. (2001)

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64 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

auch als “e-business models”237, “business models on the web”238, “business models in

electronic commerce”239 oder “business models for electronic markets”240 bezeichnet

wurden, in diesen Jahren stark angewachsen.241 Unabhängig von den verwendeten

Bezeichnungen haben diese Beiträge das frühe Verständnis von Geschäftsmodellen

wesentlich geprägt und die Diskussion für einige Jahre dominiert.

0

200

400

600

800

1000

1200

1400

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Abbildung 10: Anzahl der �ennungen des Begriffs „Geschäftsmodell“242

Dabei standen finanzielle Aspekte wie die Finanzierung und Bewertung von Start-ups im

Vordergrund.243 Geschäftsmodelle dienen dazu, in vereinfachter Form die Strategie und

den Businessplan eines Unternehmens darzustellen, um potenziellen Investoren die

Sinnhaftigkeit eines Engagements zu verdeutlichen.244 Diese Entwicklung war durchaus

kritisch zu sehen, da die Beschreibung einer innovativen Geschäftsidee und ein

optimistischer Businessplan vielfach ausreichten245, um Investoren zu gewinnen. Die

237 vgl. Gordijn, J., et al. (2001), Weill, P. und Vitale, M. R. (2001), Osterwalder, A. und Pigneur, Y. (2002) 238 vgl. Rappa, P. (1998) 239 vgl. Mahadevan, B. (2000) 240 vgl. Timmers, P. (1998) 241 vgl. Abbildung 10 242 Eigene Darstellung. Die Grafik wurde anhand der Anzahl der Nennungen des Begriffs

„Geschäftsmodell“ bzw. „Business Model“ in der wissenschaftlichen Datenbank „wiso-net“

erstellt. Ghaziani, A. und Ventresca, M. J. (2005) kommen für den Zeitraum 1990-2000 zu einem

ähnlichen Ergebnis. 243 vgl. Zu Knyphausen-Aufseß, D. und Dowling, M. (2001) 244 vgl. Afuah, A. (2004), S. 238. 245 Obwohl es sich bei Geschäftsmodell und Business-Plan um zwei grundlegend verschiedene Konzepte

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 65

Frage, wie mit dieser Geschäftsidee dann eigentliches Geld zu verdienen ist, wurde

hingegen teilweise ausgeblendet bzw. beruhte auf zu optimistischen Annahmen. Was

zählte, war die Chance, bei einem späteren Exit auf dem Kapitalmarkt Kasse zu machen.

Doch dem raschen Aufstieg folgte der tiefe Fall und das Interesse an Geschäftsmodellen

teilte das Schicksal seiner Proponenten246: der Internet-Start-ups. Vielfach wurde das

Scheitern von Internet-Start-ups sogar auf die mangelnde Eindeutigkeit ihres

Geschäftsmodells zurückgeführt und das Konzept für seine mangelnde konzeptionelle und

definitorische Klarheit kritisiert.247

“They rarely give a precise definition of what they exactly mean by using it.”248

Sowohl der unreflektierte Gebrauch des Worts „Geschäftsmodell“ als auch das Fehlen

eines klaren Begriffsverständnisses wurden kritisiert.249 Obwohl es sehr modern war, über

Geschäftsmodelle zu diskutieren, war vielen Praktikern unklar, was sich dahinter

eigentlich verbirgt und wie die Konzepte nutzenstiftend eingesetzt werden können.

“Few people can state clearly what a business model is.”250

Der missverständliche und inflationäre Gebrauch des Schlagworts drohte, die

Glaubwürdigkeit des Konzepts zu untergraben. Dabei würde nach Magretta (2002) gerade

die richtige Anwendung des Konzepts Manager zum rigorosen Nachdenken über ihr

eigenes Geschäft zwingen. Überdies wurde die empirische Anwendbarkeit des Konzepts

als unklar, oberflächlich und theoretisch schwach fundiert kritisiert.

“Most often, it seems to refer to a loose conception of how a company does

business and generates revenue. Yet simply having a business model is an

exceedingly low bar to set for building a company. Generating revenue is a far

cry from creating economic value, and no business model can be evaluated

independently of industry structure.”251

handelt, die allenfalls komplementär erachtet werden können, werden die Begriffe in der Praxis oft

verwechselt und fälschlicherweise gleichgesetzt. Alt, R. und Zimmermann, H. D. (2001). 246 Als Proponent wird in Österreich im weiteren Sinn ein Mensch oder ein Zustand bezeichnet, von dem

etwas ausgeht. 247 vgl. Porter, M. E. (2001), S. 73. 248 vgl. Shafer, S. M., et al. (2005) 249 vgl. Alt, R. und Zimmermann, H. D. (2001), Amit, R. und Zott, C. (2001), Morris, M., et al. (2005) 250 vgl. Magretta, J. (2002), Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2005) 251 vgl. Porter, M. E. (2001), S. 73.

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66 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

In einem einflussreichen Artikel ging Porter (2001) so weit, das Geschäftsmodell

aufgrund seiner Unschärfe (Fuzziness) als “an invitation for faulty thinking and self-

delusion” zu definieren.252

Infolge des Scheiterns vieler Start-ups wuchs die Skepsis, ob das Geschäftsmodell ein

sinnvolles Instrument zur Beschreibung nachhaltigen Unternehmenserfolgs darstellte.

Ob dieser Kritik stellt sich die Frage: Ist das Geschäftsmodell ein geeignetes Werkzeug,

um rationale Investitionsentscheidungen zu unterstützen? Oder ist es nur ein Ritual, das

bestenfalls eine symbolische Funktion erfüllt, aber keine echte ökonomische Bedeutung

hat? Welchem Zweck dient ein Geschäftsmodell? Dient es überhaupt irgendeinem

Zweck?

Diese und ähnliche Fragen hinsichtlich des Nutzens, der Bedeutung und einer

vernünftigen Erklärung von Geschäftsmodellen wurden in der Managementliteratur

verstärkt gestellt.253

Obgleich das Interesse der Wissenschaft am Managementinstrument Geschäftsmodell

infolge des geplatzten Start-up-Hypes und seiner Nachwehen etwas abnahm, verlor es in

der Praxis keineswegs an Einfluss. Vielmehr nahm seine Bedeutung in der täglichen

Praxis, gerade in Technologieunternehmen, weiter zu,254 wo das Geschäftsmodell von

Managern, Investoren und Unternehmern als fixer Bestandteil wirtschaftlicher Betätigung

und als “intelligent collective devices in contexts of uncertainty” verstanden wird.255

Bedenkt man den Wert, den die Beschäftigung mit dem eigenen Geschäftsmodell für

Manager und Unternehmer bietet, verwundert es umso mehr, dass die akademische

Forschung, von einigen Ausnahmen abgesehen, diesem Thema lange Zeit wenig

Aufmerksamkeit gewidmet hat.

252 vgl. Ibid. 253 vgl. Magretta, J. (2002), Doganova, L. und Eyquem-Renault, M. (2009) 254 vgl. Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002) 255 vgl. Doganova, L. und Eyquem-Renault, M. (2009)

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 67

Autor(en) Definition

Timmers (1998) (1) An architecture for the product, service and information flows, including a

description of the various business actors and their roles; and (2) a description

of the potential benefits for the various business actors; and (3) a description

of the sources of revenues.

Rappa (1998) A business model is the method of doing business by which a company can

sustain itself – that is, generate revenue. The business model spells-out how a

company makes money by specifying where it is positioned in the value chain.

Amit und Zott (2001) A business model depicts the content, structure and governance of transactions

designed so as to create value through the exploitation of business

opportunities.

Lindner und Cantrell

(2001)

A business model, strictly speaking, is the organization’s core logic for

creating value.

Stähler (2001) Ein Geschäftsmodell ist eine modellhafte Beschreibung eines Geschäftes.

Weill und Vitale (2001) A [business model is the] description of the roles and relationships among a

firm’s consumers, customers, allies, and suppliers that identifies the major

flows of product, information, and money, and the major benefits to

participants.

Magretta (2002) Business models [...] are, at heart, stories – stories that explain how enterprises

work.

Bieger, Birkhoff et. al.

(2002)

Eine vereinfachte Beschreibung der Strategie eines gewinnorientierten

Unternehmens [...], die sich dazu eignet, potenziellen Investoren die

Sinnhaftigkeit ihres Engagements deutlich zu machen.

Bieger, Rüegg-Stürm et.

al. (2002)

Es ist die Darstellung der Art und Weise, wie ein Unternehmen, ein

Unternehmenssystem oder eine Branche am Markt Werte schafft.

Afuah (2004) A business model is the set of which activities a firm performs, how it

performs them, and when it performs them as it uses its resources to perform

activities, given its industry, to create superior customer value (low-cost or

differentiated products) and put itself in a position to appropriate the value.

Tabelle 7: Ausgewählte Geschäftsmodelldefinitionen

Obwohl die wissenschaftliche Literatur zum Thema Geschäftsmodell in den letzten Jahren

kontinuierlich gewachsen ist, kann auf diese Frage weiterhin keine eindeutige Antwort

gegeben werden. Stattdessen wurden im Zuge der Literaturanalyse von über 50

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68 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

wissenschaftlichen Artikeln, die sich im Zeitraum von 1992 – 2005 mit diesem Konzept

beschäftigt haben, nicht weniger als 23 verschiedene Definitionen gefunden.256 Tabelle 7

bietet dazu eine kurze Synopse möglicher Definitionen an. Es mangelt also nicht an

unterschiedlichsten Auslegungen des Geschäftsmodellbegriffs, sondern an einer klaren,

theoretisch fundierten Definition.

Dieser offenkundigste Mangel an Klarheit hinsichtlich der Definition von

Geschäftsmodellen ist somit keineswegs der Praxis anzulasten, sondern spiegelt sich auch

in der wissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahre wider.

Ein Grund dafür mag sein, dass Wissenschaft und Praxis den Fokus auf unterschiedliche

Aspekte des Geschäftsmodells richten.257 Zu den wesentlichsten Themen zählten dabei

die Konfiguration der Wertkette (value chain configuration)258, die Innovation259,

Erlösmodelle260, Ressourcen und Fähigkeiten261, Netzwerke262 und Transaktionskosten.263

“Each of these represents a local, subcultural interpretation of the global

category of business model.”264

Die Debatte um die „richtige” Definition von Geschäftsmodellen nahm in den 1990er-

Jahren drastisch zu. Dennoch hat sich bisher kein klares und unmissverständliches

Begriffsverständnis herausgebildet, denn die wissenschaftlichen Arbeiten zum

Themenkomplex sind sehr heterogen.265

256 vgl. Einen guten Überblick über die verschiedenen Definitionen und Auslegungen des Geschäftsmodell-

Begriffes finden sich auch bei Hayes, J. und Finnegan, P. (2005), Morris, M., et al. (2005), Shafer,

S. M., et al. (2005) 257 vgl. Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002) 258 vgl. Timmers, P. (1998), Amit, R. und Zott, C. (2001) 259 vgl. Patel, J. (1999) 260 vgl. Emigh, J. (1999), Green, H. (1999) 261 vgl. Barney, J. B. (1991), Amit, R. und Schoemaker, P. (1993) 262 vgl. Evans, P. und Wurster, T. (1999), Mayo, M. C. und Brown, G. S. (1999) 263 vgl. Dyer, J. H. (1997) 264 vgl. Ghaziani, A. und Ventresca, M. J. (2005) 265 vgl. Tabelle 10

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 69

Autor(en) Konstituierende Elemente

Forge (1993) Core Business Process, Value Chain, Culture, Mental Models,

Corporate Structure, Management Style

Viscio und Pasternack (1996) Global Core, Business Units, Services, Governance, Linkages

Slywotzky (1997) Grundannahmen, Kundenauswahl, Geschäftsumfang, Differenzierung,

Gewinnerzielung, Einkauf, Herstellungsprozess, Kapitalintensität,

F&E-Produktentwicklung, Organisationsstruktur, Vermarktung

Hamel (2000) Core Strategy, Strategic Resources, Customer Interface, Value

Network

Linder und Cantrell (2000) Pricing Model, Revenue Model, Channel Model, Commerce Process

Model, Internet-enabled Commerce Relationship, Organizational

Form, Value Proposition

Mahadevan (2000) Value Stream, Revenue Stream, Logistical Stream

Afuah und Tucci (2001) Customer Value, Scope, Pricing, Revenue Source, Connected

Activities, Implementation, Capabilities, Sustainability

Alt und Zimmermann (2001) Mission, Structure, Process, Revenues, Legal Issues, Technology

Amit und Zott (2001) Transaction Content, Transaction Structure, Transaction Governance

Gordijn, Akkermans et al. (2001) Actor, Value Object, Value Offering, Value Interface, Value

Exchange, Market Segment

Weill und Vitale (2001) Consumers, Customers, Allies, Suppliers, Flow of Product,

Information and Money

Chesbrough und Rosenbloom

(2002)

Value Proposition, Market Segment, Value Chain, Cost Structure and

Profit Potential

Hedman und Kalling (2003) Customers, Competitors, Offering, Activities and Organisation,

Resources, Supply, Longitudinal Process Components

Müller-Stewens und Lechner

(2005)

Leistungsangebotsmodell, Erlösmodell, Leistungserstellungsmodell,

Vermarktungsmodell

Yip (2004) Value Proposition, Nature of Inputs, How to Transform Inputs, Nature

of Outputs, Vertical Scope, Horizontal Scope, Geographic Scope,

Nature of Customers, How to Organise

Morris, Schindehutte et al. (2005) Offering, Market Factors, Internal Capability Factors, Competitive

Strategy, Economic Factors, Investors Factors

Voelpel, Leipold et al. (2005) Customer Value Proposition, Value Network Configuration,

Sustainable Returns, Satisfaction of Relevant Stakeholders

Shafer, Smith et al. (2005) Strategic Choices, Create Value, Capture Value, Value Network

Tabelle 8: Ausgewählte konstituierende Elemente eines Geschäftsmodells

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70 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Gleichzeitig behindern die Mehrdeutigkeit und die mangelnde Klarheit hinsichtlich der

theoretischen Grundlagen bzw. konstituierenden Elemente266 des Konstrukts die

wissenschaftliche Diskussion und die praktische Anwendbarkeit.267

Obwohl sich dieser Missstand bereits seit Anfang der wissenschaftlichen Diskussion wie

ein roter Faden durch die Literatur zieht, existiert bis heute, trotz mehrmaliger Versuche

einer Vereinheitlichung durch Integration und Synthese, keine allgemein anerkannte

Definition des Begriffs. Stattdessen schreibt sich das Rätsel kontinuierlich fort. Es scheint

fast so, als ob der Mangel an Einvernehmen über das Wesen und die Natur von

Geschäftsmodellen bereits ein fester Bestandteil der wissenschaftlichen Diskussion in

diesem jungen, aber umso vielversprechenderen Forschungsfeld ist.

So mag ein weiterer Grund gerade in der Heterogenität der bisherigen wissenschaftlichen

Arbeiten liegen. So kann die vorliegende Literatur sehr unterschiedlichen

Forschungsrichtungen wie dem strategischen Management, Informationsmanagement,

Marketing, E-Business oder Entrepreneurship zugeordnet werden. In Abhängigkeit von

der dabei gewählten Perspektive werden unterschiedliche Schwerpunkte und

Erkenntnisziele formuliert und verfolgt. Je nachdem durch welche Brille das Phänomen

Geschäftsmodell betrachtet wird, ergeben sich unterschiedliche Begriffsdeutungen und

werden spezifische Definitionen angeboten und Forschungsinteressen vorangetrieben.268

Selbst innerhalb einiger durchaus verwandter Disziplinen wie der Entrepreneurship- und

der Organisations- und Managementforschung gehen die Meinungen, was darunter zu

verstehen ist, weit auseinander.269 Zum Beispiel klassifizieren manche Autoren

Geschäftsmodelle anhand der von ihnen durchgeführten Transaktionen (z. B. Franchising,

Leasing etc.), andere wiederum anhand der durch sie angebotenen Leistungen oder

Erlösmodelle.

266 vgl. Tabelle 8 267 vgl. Alt, R. und Zimmermann, H. D. (2001), Amit, R. und Zott, C. (2001), Morris, M., et al. (2005) 268 vgl. Shafer, S. M., et al. (2005) 269 vgl. Zu Knyphausen-Aufseß, D. und Meinhardt, Y. (2002)

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 71

Disziplin Autor(en) Quellen

Forge (1993) Futures Strategie/

Entrepreneurship Viscio und Pasternack (1996) Business&Strategy

Slywotzky (1997) Fachbuch

Evens und Wurster (1997) Fachbuch

Markides (1999) Sloan Management Review

Christensen und Overdorf (2000) Harvard Business Review

Hamel (2000) Fachbuch

Lindner und Cantrell (2000) Outlook

Prahalad und Ramaswamy (2000) Harvard Business Review

Amit und Zott (2001) Strategic Management Journal

Porter (2001) Harvard Business Review

zu Kyphauser-Aufseß und Meinhard

(2002)

Fachbuch

Bieger, Rüegg-Stürm und von Rohr

(2002)

Fachbuch

Chesbrough und Rosenbloom (2002) Industrial and Corporate Change

Füglistaller und Halter (2002) Fachbuch

Leist und Winter (2002) Fachbuch

Magretta (2002) Harvard Business Review

Rentmeister und Klein (2003) Zeitschrift für Betriebswirtschaft

Mitchell und Coles (2004) Journal of Business Strategy

Voelpel, Leibold und Tekie (2004) Journal of Change Management

Yip (2004) Business Strategy Review

Markides und Charitou (2004) Academy of Management Executives

Morris, Schindehutte und Allen

(2005)

Journal of Business Research

Voelpel, Leibold, Tekie und von

Krogh (2005)

European Management Journal

Shafer, Smith und Linder (2005) Business Horizons

Müller-Stewens und Lechner (2005) Fachbuch

Amit und Zott (2008) Strategic Management Journal

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72 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Tapscott, Lowi und Ticoll (1998) Fachbuch

Timmers (1998) Electronic Markets

Internet/ E-

Business Rappa (1998) Internet

Tomczak, Schoegel und Birkhofer

(1999)

Conference Paper

Mahadevan (2000) California Management Review

Afuah und Tucci (2001) Fachbuch

Alt und Zimmermann (2001) Electronic Markets

Applegate (2001) Harvard Business Review

Essler und Whitaker (2001) Business Strategy Review

Petrovic, Kittel und Teksten (2001) Conference Paper

Stähler (2001) Dissertation

Weill und Vitale (2001) Fachbuch

Osterwalder und Pigneur (2002) Conference Paper

Deelmann, Loos und Scheer (2003) Fachbuch

Hayes und Finnegan (2003) European Journal of Operational Research

IT-Management Sowa und Zachman (1992) IBM Systems Journal

Otjacques und Oesterle (1996) Electronic Markets

Eriksson und Penker (2000) Fachbuch

Klueber (2000) Conference Paper

Gorgijn, Akkermans und van Vliet

(2001)

IEEE Intelligent Systems

Braun (2002) Fachbuch

Hedman und Kalling (2003) European Journal of Information Systems

Österle und Winter (2003) Fachbuch

Pateli und Giaglis (2005) Journal of Organisational Change Mgt.

Tabelle 9: Ausgewählte Geschäftsmodellliteratur

7.1 Perspektivische Betrachtung

Um die einzelnen Beiträge und Definitionen von Geschäftsmodellen verstehen zu können,

ist es notwendig, die Perspektive des Forschers, sein Fachgebiet und die Zielsetzung der

Arbeit zu berücksichtigen und in die Betrachtung mit einzubeziehen, denn die

Betrachtung von Geschäftsmodellen findet typischerweise von einer bestimmten

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 73

dogmatischen Perspektive aus statt und verschließt sich so einer multidisziplinären,

ganzheitlichen Darstellung.

Die starke Verwurzelung der Beiträge in ihrem jeweiligen Fachgebiet und das sich daraus

ergebende spezifische Forschungsinteresse sind für die perspektivischen Unterschiede in

der Diskussion verantwortlich, denn nur die verschiedenen Mosaiksteine, die sich aus der

perspektivischen Betrachtung der einzelnen Fachrichtungen Informationsmanagement,

Entrepreneurship, Marketing und strategisches Management ergeben, erlauben ein

ausdifferenziertes Gesamtbild. Umso wichtiger ist es, die verschiedenen Sichtweisen und

Pfade zu verstehen, um die Geschäftsmodelldiskussion ganzheitlich erfassen und die

eigene Arbeit einordnen zu können.

Da die Literatur inhaltlich ein sehr breites Feld abdeckt, baut die Diskussion auf einer

Vielzahl von Theorien, Sichtweisen und Annahmen auf. Um die facettenreiche Natur von

Geschäftsmodellen, die nach Amit und Zott (2001) sowohl Aspekte der “value creation

and appropriation” sowie des “design of transactions between a focal firm and external

stakeholders such as partners, vendors, and customers” beleuchten, in ihrer Gesamtheit

einzufangen, ist es notwendig, die Analyseeinheit Geschäftsmodell auf ein breites

theoretisches Fundament zu stellen. Zu den relevanten Theorien zählen der

Wertkettenansatz270 von Porter, Schumpeters Theorie der wirtschaftlichen

Entwicklung271, die Transaktionskostentheorie272, die Theorie strategischer Netzwerke273

und der ressourcen- bzw. fähigkeitenorientierte Ansatz der Firma.274

Durch die nachstehende Darstellung der wissenschaftlichen Arbeiten aus den Bereichen

des Informationsmanagements, der Entrepreneurship, des Marketings und des

strategischen Managements wird versucht, einen Überblick darüber zu geben, was unter

dem Begriff „Geschäftsmodell“ verstanden wird. Dazu ist eine multiperspektivische und

multidisziplinäre Betrachtung der Literatur nötig.

7.1.1 Sicht des Informationsmanagements

Der gedankliche Ursprung der Geschäftsmodelldiskussion ist im Bereich des Business

Engineering, des Managements von Informationssystemen und im erweiterten Sinne der

270 vgl. Porter, M. E. (1980a) 271 vgl. Schumpeter, J. A. (1912) 272 vgl. Williamson, O. E. (1975) 273 vgl. Gulati, R., et al. (2000) 274 vgl. Wernerfeld, B. (1984), Barney, J. B. (1991), Peteraf, M. A. (1993)

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74 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Organisationstheorie zu suchen.275 Im Mittelpunkt des Interesses steht die Modellierung

von Informationssystemen, die dazu dient, Entitäten, Geschäftsregeln und

Informationsflüsse im Unternehmen in abstrakter Form darzustellen.276 Das

Geschäftsmodell hilft dabei, die operativen Geschäftsprozesse zu beschreiben, in ein

abstraktes Modell zu überführen und im Informationssystem abzubilden, denn durch den

Einsatz von Informationstechnologie finden viele ökonomische Transaktionen heute

elektronisch statt.277

Im Gegensatz zu anderen Forschungsfeldern wie zum Beispiel dem strategischen

Management, das sich ebenfalls mit der Gestaltung wirtschaftlicher

Austauschbeziehungen zwischen Wirtschaftssubjekten befasst, wird hier lediglich auf die

operative elektronische Abwicklung von Transaktionen abgestellt. Zwar kann die

elektronische Durchführung der Transaktionen zu mehr Effizienz und damit indirekt auch

zu Nutzen für die am Austausch beteiligten Partner beitragen, stellt aber nicht das

Hauptziel dar. Stattdessen stehen die Optimierung der Informations- und Warenflüsse

sowie die Modellierung von Systemen der elektronischen Datenverarbeitung im

Vordergrund.

7.1.2 Sicht der Entrepreneurship

Im Bereich der Entrepreneurshipforschung hat die Beschäftigung mit Geschäftsmodellen

eine lange Tradition. Bereits vor dem Internethype kam es im Zusammenhang mit

Geschäftsplänen für Risikokapitalgeber oder anderen Kapitalgebern wie

Kreditunternehmen zur Anwendung, denn bei der Vergabe von Risikokapital wird von

Jungunternehmern verlangt, dass sie das eigene Geschäft in wenigen Worten skizzieren

und erklären können und wie sie damit Geld verdienen. Dies dient dazu, das Risiko für

Geldgeber vorab einschätzen zu können. Diese Geschäftskonzepte oder Businesspläne

werden gerne auch als Geschäftsmodelle bezeichnet, wobei es sich dabei um eine

vereinfachte und systematische Übersicht über die Geschäftstätigkeit von Unternehmen

handelt. Während dieser Zeit sind nur vereinzelte Publikationen auszumachen, denn das

wissenschaftliche Interesse daran hielt sich noch in Grenzen.

Das Hauptaugenmerk liegt aus Sicht der Entrepreneurship auf Fragen der Identifikation

und Nutzung von Geschäftschancen, der Realisierung neuer Geschäftsideen und der

Frage, wie Unternehmen damit Wert schaffen bzw. Geld verdienen.278

275 vgl. Schoegel, K. (2001) 276 vgl. Otjacques, B. und Österle, H. (1996), Österle, H. und Winter, R. (2003) 277 vgl. Sowa, J. F. und Zachman, J. A. (1992) 278 vgl. Amit, R., et al. (1993)

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 75

7.1.3 Sicht des Marketings

Eine ebenfalls strategische, jedoch in höherem Maß marktorientierte Sicht nimmt die

Diskussion von Geschäftsmodellen im Bereich des Marketings ein. Die wesentliche Rolle

spielt hier der Kunde respektive die Generierung von Kundennutzen. Das

Geschäftsmodell wird als Rahmen zur umfassenden und innovativen Gestaltung des

Leistungs- und Kundensystems gesehen.279 Es dient der Darstellung, auf welche Art und

Weise ein Unternehmen, ein Unternehmenssystem oder ein Markt Wert generiert.280

Neben dem starken Kundenfokus sind Fragen wie diese relevant: Wie werden Erlöse

erzielt? Welches Wachstumskonzept wird verfolgt?

Timmers (1998) bezieht solche Fragen in seine Beschreibung von Geschäftsmodellen mit

ein. Für ihn sind Geschäftsmodelle

“(1) an architecture for the product, service and information flows, including a

description of the various business actors and their roles; and (2) a description of the

potential benefits for the various business actors; and (3) a description of the sources of

revenues.”281

Timmers orientiert sich zwar am Wertkettenansatz nach Porter bzw. dessen Erweiterung

zum Value System, ergänzt ihn jedoch um die Dimensionen Kundennutzen und

Erlösquellen. Gleichzeitig grenzt er das Geschäftsmodell klar von der

Wettbewerbsstrategie eines Unternehmens ab, denn für Timmers gibt das

Geschäftsmodell keinen Hinweis darauf, wie der Geschäftszweck eines Unternehmens

realisiert wird, wie es im Wettbewerb agiert und es Geld verdient. Er verweist hier auch

auf die Marketingstrategie der Firma, um die kommerzielle Sinnhaftigkeit einschätzen

und folgende Fragen beantworten zu können: Wie werden Wettbewerbsvorteile erreicht?

Wie ist die Positionierung? Was ist der Marketingmix? Welche Produkt-Markt-Strategie

wird verfolgt? Um diese Fragen zu beantworten, ist es sinnvoll, neben dem

Geschäftsmodell auch ein Marketingmodell oder Erlösmodell (Revenue Model)

festzulegen.282

279 vgl. Bieger, T. und Belz, C. (2004) 280 vgl. Bieger, T., et al. (2002) 281 vgl. Timmers, P. (1998), S. 4. 282 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001), die ebenfalls klar zwischen dem Geschäftsmodell und der Strategie

unterscheiden.

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76 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

7.1.4 Sicht des strategischen Managements

Das rasante Wachstum der E-Business-Geschäftsmodelle und die neuen technologischen

Möglichkeiten haben auch bei traditionellen Unternehmen das Interesse an der

Neuausrichtung bestehender und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle geweckt bzw.

sie teilweise dazu gezwungen. Einige der Ursachen wurden bereits im vorhergehenden

Abschnitt aufgezeigt.

Gleichzeitig schließt die Diskussion an traditionelle Inhalte im Feld des strategischen

Managements wie an die Wettbewerbsfähigkeit sowie das Erlangen von nachhaltigen

Wettbewerbsvorteilen auf Märkten und auf Ebene einzelner Unternehmen an. Relevante

Fragen betreffen dabei die Positionierung im Wettbewerb und die Organisation der

wertschöpfenden Aktivitäten von Unternehmen, denn um im zunehmend schärferen

Wettbewerb zu bestehen, gilt es, erfolgreiche Wettbewerbspositionen zu erlangen und die

Wertschöpfung im Unternehmen an die Wettbewerbsstrategie des Unternehmens

anzupassen.

Neben den Gefahren sich verändernder Märkte ergeben sich daraus auch neue Chancen.

Der rasante technologische Fortschritt eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten und

Organisationsformen. Die Analyse der eigenen wertschöpfenden Tätigkeit tritt in den

Vordergrund. Durch die Dekonstruktion traditioneller Wertketten und die Auslagerung

von Aktivitäten vernetzen sich die Unternehmen.283 An die Stelle der traditionellen

integrierten Strukturen der unternehmerischen Wertschöpfung treten vertikal und

horizontal integrierte Organisationsformen wie strategische Netzwerke284, strategische

Allianzen und virtuelle Unternehmen. Ihrer spezifischen Konfiguration nach unterscheidet

Heuskel (1999) dabei verschiedene Typen von Wertschöpfungsmodellen wie Layer-

Players, Market-Makers, Orchestrators und Integrators.

Doch der mit der zunehmenden Vernetzung einhergehende Anstieg der Komplexität, die

Vielzahl möglicher Konfigurationen und Designs bzw. deren Realisierung, stellen das

Management von Unternehmen vor eine überaus komplexe Aufgabe. Traditionelle

Analyseeinheiten285 wie Märkte und Unternehmen eigenen sich nicht mehr, um diese

neuartigen Formen der Wertschöpfung zu untersuchen. Stattdessen wird das

Geschäftsmodell als neue Brille zur Betrachtung dieser vernetzten Strukturen angeboten.

283 vgl. Blankart, C. und Knieps, G. (1992), Maas, P. (2000) 284 vgl. Sydow, J. (1992), Gulati, R., et al. (2000) 285 vgl. Webster, J. und Watson, R. T. (2002)

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 77

7.2 Systematisierung von Geschäftsmodellen

Für den weiteren Gang dieser Arbeit wird diese funktional geprägte Betrachtungsweise

von Geschäftsmodellen verlassen und es wird versucht, stattdessen eine integrative,

ganzheitliche Sichtweise einzunehmen. Es geht nicht darum, die „richtige“ Diskussion zu

finden, sondern die einzelnen Perspektiven in ausgewogener Weise zu berücksichtigen

und zu integrieren.

Um die Arbeit dennoch zu verorten und einem bestimmten Forschungsfeld zuzuordnen,

wird das Phänomen im weiteren Verlauf der Arbeit vorwiegend aus der Perspektive des

strategischen Managements erforscht, gleichzeitig aber der Versuch unternommen, die als

komplementär zu betrachtenden Disziplinen des strategischen Managements und der

Entrepreneurship zu integrieren und das Geschäftsmodell als ein offenes,

multidisziplinäres Forschungsfeld zu sehen.286

Durch die Integration verschiedenster theoretischer Perspektiven287, sowohl der Varianz-

als auch der Prozessforschung288 nach, sollen die Interdependenzen dieser Sichtweisen

beleuchtet werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, was unter der Analyseeinheit

Geschäftsmodell zu verstehen ist und wie sich Unternehmen heute vernetzen,

Transaktions- und Austauschbeziehungen gestalten und für sich und andere Wert

schafft.289

Aufbauend auf der Annahme, dass es sich beim Geschäftsmodell um eine neue

Analyseeinheit handelt, die traditionelle Strategiekonzepte wie die marktorientierte

Perspektive (MbV)290 und die ressourcenorientierte Sichtweise der Firma (RbV)291

integriert und die simultane holistische Sicht nach innen (Wertschöpfungsstrategie) und

außen (Wettbewerbsstrategie) erlaubt292, wird nicht ein bestimmter Aspekt, sondern die

Verknüpfung aller Aspekte wie die Konfiguration der Wertkette (Value Chain

Configuration“)293, die Innovation294, Erlösmodelle295, Ressourcen und Fähigkeiten296,

286 vgl. Hitt, M. A. und Ireland, R. D. (2000) 287 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001), Morris, M., et al. (2005) 288 vgl. Webster, J. und Watson, R. T. (2002) 289 vgl. Weill, P. und Vitale, M. R. (2001), Hedman, J. und Kalling, T. (2002) 290 vgl. Bain, J. S. (1962), Porter, M. E. (1981), Porter, M. E. (1985), Porter, M. E. (1987) 291 vgl. Penrose, E. (1959), Wernerfeld, B. (1984), Barney, J. B. (1991), Barney, J. B. (1992), Amit, R. und

Schoemaker, P. (1993), Barney, J. B. (1996) 292 vgl. Pettigrew, A., et al. (2002), S. 17. 293 vgl. Timmers, P. (1998), Amit, R. und Zott, C. (2001) 294 vgl. Patel, J. (1999) 295 vgl. Emigh, J. (1999), Green, H. (1999)

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78 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Netzwerke297 und Transaktionskosten298 als relevant erachtet.

Im nachfolgenden Abschnitt wird dem Themenkomplex Geschäftsmodell breiter Raum

gewidmet und nach einer Definition bzw. genaueren Erklärung des Phänomens geforscht.

Wiederkehrende Themen, die im Rahmen der Literaturanalyse identifiziert und als

besonders relevant eingestuft wurden, betreffen (1) das Geschäftsmodell als modellhafte

Beschreibung eines Geschäfts299, (2) wie Unternehmen Geld verdienen300, (3) sich mit

Firmen vernetzen und ihre Transaktionsbeziehung gestalten301, (4) Ressourcen und

Fähigkeiten kombinieren, (5) die Architektur der wertschöpfenden Aktivitäten gestalten302

und (6) für Kunden Mehrwert schaffen.

Abseits der statischen Betrachtung und Beschreibung von Geschäftsmodellen sind gerade

auch dynamische Aspekte von Interesse: (1) wie Geschäftsmodelle entwickelt und

verändert werden, (2) welche Rolle dabei das Management spielt und (3) welche

Barrieren und Hindernisse zu beachten sind. Hier interessiert, wie Organisationen auf die

Veränderungen in ihrem Umfeld reagieren und sich entsprechend den neuen

Gegebenheiten organisieren. Eine solche Problemstellung ergab sich in der letzten

Dekade durch die Entwicklung und Diffusion neuer Technologien wie zum Beispiel des

Internets und dessen Anwendungsfeldern, wobei die Forschung auf diese

Herausforderung mit einer Vielzahl von Artikel zum Themenfeld E-Business-

Geschäftsmodelle reagiert hat.

Im Grunde handelt es sich dabei um Fragestellungen, wie sie Peter Drucker schon früher

gestellt hat:303

� What does the customer value?

� How do we make money?

Fragen wie diese sollte ein Geschäftsmodell Magretta (2002) zufolge erklären können.

Neben dem Inhalt stellen diese Fragen auch auf den Zweck von Geschäftsmodellen ab,

etwa wie ein Unternehmen für die relevanten Anspruchsgruppen, also gerade auch für

296 vgl. Barney, J. B. (1991), Amit, R. und Schoemaker, P. (1993) 297 vgl. Evans, P. und Wurster, T. (1999), Mayo, M. C. und Brown, G. S. (1999) 298 vgl. Dyer, J. H. (1997) 299 vgl. Weill, P. und Vitale, M. R. (2001) 300 vgl. Afuah, A. (2004) 301 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001) 302 vgl. Porter, M. E. (1980a), Heuskel, D. (1999) 303 vgl. Drucker, P. (1985)

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 79

Kunden, Wert schafft und damit selbst Geld verdient.304

“What is the underlying economic logic that explains how we can deliver value

to customers at an appropriate price?”305

Andererseits wirft diese Betrachtungsweise wieder neue Fragen auf. Es scheint fast so, als

ob mehr neue Fragen entstehen, als beantwortet werden können: Durch welches Angebot

können die Bedürfnisse der Kunden befriedigt werden? Wie wird Geld verdient? Ist das

Geschäftsmodell das Modell dieser inneren Logik eines Geschäfts?

7.3 Überlegungen zum Modellbegriff

Für ein weiteres Herantasten an die Materie Geschäftsmodell bietet es sich an, den Begriff

„Geschäftsmodell“ als Zusammensetzung der Wörter „Geschäft“ und „Modell“ zu

denken306, denn um das Wesen von Geschäftsmodellen besser zu verstehen, ist es

notwendig, den Modell- und Geschäftsbegriff genauer zu durchleuchten.

Das deutsche Wort „Modell“ geht auf das griechische Wort „metron“ (Maßstab, Maß)

und das lateinische Wort „modus“ oder dessen Verkleinerungsform „modulus“ (Muster,

Vorlage) zurück. Seiner heutigen Bedeutung in der deutschen Sprache nach ist ein Modell

eine Abbildung307, ein Muster oder ein Vorbild308, das ein vereinfachtes Bild der

Wirklichkeit zeigt. In diesem Zusammenhang wird auch von einem Modellsystem

gesprochen, das ein Realsystem repräsentiert.309 Neben Modellen, die reale Gegenstände

vergrößern, verkleinern oder in natürlicher Größe wiedergeben, können Modelle auch rein

gedankliche Konstruktionen darstellen.

Unter diese allgemeine Erklärung des Modellbegriffs fallen daher nicht nur explizite,

sondern auch implizite Modelle. Implizite Modelle, auch mentale Modelle genannt, sind

gedankliche Konstruktionen von Individuen, die durch ihre subjektive

Wahrnehmungsleistung der Realität Bilder im Kopf erschaffen, die nur in der Sphäre ihrer

Gedanken existieren. Erst wenn diese gedanklichen Konstruktionen verbal, formal oder in

304 Amit und Zott (2001) steht zum Beispiel auf den gesamten, für alle Transaktionspartner und

Anspruchsgruppen geschaffenen Wert ab, der unter den verschiedenen Anspruchsgruppen verteilt

wird. 305 vgl. Magretta, J. (2002), S. 87. 306 vgl. Meinhardt, Y. (2002) 307 vgl. Klaus, G. (1963) 308 vgl. Kluge, F. (2002) 309 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 53.

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80 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Form realer Objekte Dritten zugänglich gemacht werden, werden aus impliziten explizite

Modelle.310

Diese Betrachtung von Modellen fußt auf der konstruktivistischen Annahme, dass

Wahrnehmung ein Prozess der Wirklichkeitskonstruktion ist. Die Art und Weise, wie

Individuen die Realität wahrnehmen und interpretieren, werden durch ihre kognitive

Landkarte, d. h. ihre subjektiven Denkstrukturen, Erfahrungen und Erwartungen,

beeinflusst.311 Da die Interpretation der Wirklichkeit anhand der kognitiven Landkarte

eine gedankliche Konstruktionsleistung bzw. einen Prozess subjektiver und daher

individueller Wahrnehmung darstellt, ist es unwahrscheinlich, dass zwei Beobachter

unabhängig voneinander zum gleichen Betrachtungsgegenstand dasselbe Bild bzw.

Modell konstruieren. Stattdessen ist es vielmehr so, dass „sich ebenso viele, stets

subjektiv ,richtige‘ Interpretationen der Realität finden lassen, wie Akteure an der Suche

danach beteiligt sind“.312

Daraus folgt, dass die Abbildung der Realität in einem Modell in zweifacher Weise mit

Unschärfe behaftet ist: sowohl subjektiv durch die individuelle Wahrnehmungs- und

Interpretationsleistung als auch situativ, je nachdem welche Aspekte der gedanklichen

Konstruktion explizit gemacht und Dritten kommuniziert werden. Um anhand eines

expliziten Modells ein Realsystem zu begreifen, ist es daher unerlässlich, ebenfalls den

mit dem Modell verfolgten Sinn und Zweck, d. h. die Intention des Modellbauers, zu

verstehen.

7.3.1 Erkenntnisse der allgemeinen Modelltheorie

Im Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften liegt der Sinn und Zweck von

Modellen in erster Linie in der Vereinfachung komplexer Zusammenhänge, indem sie

eine Komplexitätsreduktion vornehmen, um die objektive Welt abzubilden. Modelle

sollen dabei helfen, mit Komplexität umzugehen und sie bewältigen zu können.

Vereinfacht ausgedrückt ist ein Geschäftsmodell daher ebenfalls ein Instrument zur

Komplexitätsbewältigung.

Die Komplexitätsreduktion wird mittels Abstraktion, d. h. einer Reduktion oder

Verallgemeinerung, vorgenommen. Das Modell zeichnet sich aber nicht nur durch

Abstraktion, sondern auch durch die bewusste Vernachlässigung bestimmter Merkmale

aus, um die für den Modellierer oder den Modellierungszweck wesentlichen

310 vgl. Zelewski, S. (2000) 311 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 570. 312 vgl. Schoegel, K. (2001), S. 19.

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 81

Modelleigenschaften hervorzuheben. Trotz solcher Vereinfachungen können Modelle im

Rahmen des jeweiligen Anwendungszusammenhangs sehr hilfreich sein, solange die

wesentlichen interessierenden Aspekte der Realität auch im Modell berücksichtigt sind.313

Sie sind immer Hilfskonstruktionen, die versuchen, die Wirklichkeit nach bestimmten

Abbildungsregeln wiederzugeben. Ein Modell wird daher zu einem bestimmten Zweck

für ein Original eingesetzt.

Diese Beschreibung verweist auf drei generische Modellmerkmale, wie sie auch von

Stachowiak (1973) in seinem Werk zur allgemeinen Modelltheorie aufgeführt wurden:

� Abbildungsmerkmal: „Modelle sind stets Modelle von etwas, nämlich

Abbildungen, Repräsentationen natürlicher oder künstlicher Originale [der

Wirklichkeit], die selbst wieder Modelle sein können.“

� Verkürzungsmerkmal: „Modelle erfassen im allgemeinen nicht alle Attribute

des durch sie repräsentierten Originals, sondern nur solche, die den jeweiligen

Modellerschaffern und/oder Modellbenutzern relevant erscheinen.“

� Pragmatisches Merkmal: „Modelle sind ihren Originalen nicht per se eindeutig

zugeordnet. Sie erfüllen ihre Ersetzungsfunktion a) für bestimmte – erkennende

und/oder handelnde, Modelle benutzende – Subjekte, b) innerhalb bestimmter

Zeitintervalle und c) unter Einschränkung auf bestimmte gedankliche oder

tatsächliche Operationen.“

Diese Merkmale finden sich auch in der Definition wissenschaftlicher Modelle als

„vereinfachte Darstellung der Funktion eines Gegenstands oder des Ablaufs eines

Sachverhalts, die eine Untersuchung oder Erforschung erleichtert oder erst möglich

macht“314, wieder. Diese Begriffsbestimmung verweist zugleich auf den Sinn eines

wissenschaftlichen Modells, der darin besteht, dass bestimmte in der Realität vorhandene

komplexe Strukturen auf das Wesentliche, ihre Funktion, reduziert und erst dadurch

verständlich und für den menschlichen Erkenntnisprozess nutzbar gemacht werden.

Je nachdem welche Funktion das Modell erfüllen soll, lassen sich daher unterschiedlich

ausgeprägte Arten von Modellen unterscheiden.

313 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 53f. 314 vgl. Dudenredaktion (2007)

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82 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Zunehmende «Breite»(Umfang des abgebildeten Bereiches)

Zun

ehm

ende

«T

iefe

»(S

pezi

alis

ieru

ng, S

pezi

fitä

t)

Zunehmende«Schärfe»(Präzision)

Rahmenkonzepte«Frameworks»

Mentale Modellei.e.S.

Formale Modelle

Abbildung 11: Ebenen der Modellbildung315

Hinsichtlich ihres Anwendungszusammenhangs und Detailgrads weisen diese

verschiedenen Arten von Modellen einige Unterschiede auf316, weshalb Schwaninger

folgende konkretisierende Abstufung vorschlägt:

� Rahmenkonzepte sollen das Zurechtfinden in einem breiten Themengebiet

unterstützen. Ein Rahmenkonzept gibt Dimensionen und Kategorien vor,

anhand derer eine grobe Übersicht und eine erste Lokalisierung sowie allenfalls

die Strukturierung einer Problemstellung oder Herausforderung vorgenommen

werden können.

� Mentale Modelle sind subjektive gedankliche Konstruktionen, die nur in den

Köpfen von Individuen existieren. Mentale Modelle sind spezifischer und

präziser und bilden jeweils einen Gegenstand geringerer Breite ab. Anhand

eines solchen Modells lassen sich gedanklich auch Vermutungen über

spezifische Wirkungsfaktoren und Kausalzusammenhänge bestimmen und

erörtern. Durch die verbale oder formale Mitteilung der Gedanken bilden sie die

Grundlage für das gemeinsame Verstehen von Sachverhalten.

Diese beiden Arten von Modellen weisen einige interessante Gemeinsamkeiten auf, die

315 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 56. 316 vgl. Abbildung 11

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 83

sie in der Praxis zu wertvollen Werkzeugen machen.

„Mentale Modelle und Rahmenkonzepte sind konzeptionelle und heuristische

Hilfen. Konzeptionell deswegen, weil sie helfen, einen Gegenstand begrifflich zu

erfassen und zu strukturieren. Heuristisch bedeutet, dass sie die Findung einer

Lösung unterstützen können.“317

Entlang dieser beiden charakteristischen Merkmale lassen sich mentale Modelle und

Rahmenkonzepte von der dritten Modellart, den formalen Modellen, abgrenzen.

� Formale Modelle bringen die Realität bzw. einen bestimmten Sachverhalt

daraus in eine stringente, logische, meist auch mathematische Struktur, um sie

algorithmisch lösbar zu machen. Formale Modelle sind überaus spezifisch und

weisen einen hohen Grad an Präzision auf. Zudem ist meist eine Einschränkung

des Modellgeltungsbereichs nötig.

Im Gegensatz zu ersteren beiden Modellarten dienen formale Modelle nicht dazu,

Versuche zur Erfassung von Sachverhalten und Wirkungszusammenhängen zu

unterstützen, sondern zielen vor allem darauf ab, logische Strukturen auszubilden und

formale Aussagen über reale Wirkungszusammenhänge zu treffen. Wichtige

Anwendungsbereiche für formale Modelle finden sich daher zuallererst im Bereich der

Mathematik und der Naturwissenschaften.

Der jeweiligen Funktion nach schildert Stachowiak318, auf welche Weise Modelle

menschliche Erkenntnis unterstützen können: Demonstrationsmodelle dienen der

Veranschaulichung von Zusammenhängen, Experimentalmodelle der Generierung oder

Überprüfung von Hypothesen, theoretische Modelle der Vermittlung von Sachverhalten

und schließlich operative Modelle als Planungs- und Entscheidungshilfe.319

Schwaninger320 kennt dem Zweck und der Funktion nach sechs generische Modelltypen,

wobei er diese in zwei Modellkategorien untergliedert. Einerseits kann der Zweck eines

Modells in der Beschreibung komplexer Sachverhalte der Wirklichkeit liegen, um die

wesentlichen Aspekte des Modells zu erklären und besser verstehen zu können. Modelle

dienen hier als Hilfsmittel, um die Wirklichkeit zu analysieren und auf Basis des besseren

Verständnisses realer Zusammenhänge die Grundlage für gestalterische Entscheidungen

317 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 57. 318 vgl. Stachowiak, H. (1973) 319 vgl. Bailer-Jones, D. M. und Hartmann, S. (1999), S. 855f. 320 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 54f.

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84 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

und Handlungen vorzubereiten. Dieser Kategorie sind folgende Modelltypen

zuzurechnen:

� Beschreibungsmodelle stellen dar, was ist. Sie machen den abgebildeten

Gegenstand überschaubar. Sie ordnen und strukturieren.

� Erklärungsmodelle versuchen, zu erklären, warum sich das Realsystem so und

nicht anders verhält. Sie sollen Wirkungszusammenhänge wie zum Beispiel

Kausalitäten, Wechselwirkungen und Abhängigkeiten erfassen und verstehen

helfen.

Das Ziel der zweiten Kategorie von Modellen ist es, die Gestaltung realer Systeme zu

unterstützen. Auf Grundlage der analytischen Vorüberlegungen können

Handlungsoptionen generiert und überprüft werden. So dient die nachstehende Gruppe

von Modelltypen der Ermittlung der besten Entscheidungsalternative.

� Gestaltungsmodelle321 sind Hilfsinstrumente für den Entwurf von

Gestaltungsoptionen und eine vergleichende Beurteilung derselben, vor allem

durch ein Abwägen ihrer Konsequenzen und Implikationen.

� Entscheidungsmodelle unterstützen den Entscheidungsprozess, indem sie

zwischen besser und schlechter geeigneten Variablen unterscheiden helfen.

� Veränderungsmodelle leisten einen wertvollen Beitrag zur Erprobung und

Verbesserung der Optionen und letztlich zu Vorgängen der Veränderung und

Transformation von Organisationen. Kostspielige Versuch-Irrtum-Prozesse

können dadurch vermieden werden.

� Simulationsmodelle ermöglichen die Überprüfung einer Entscheidung, noch

bevor sie in der Praxis umgesetzt wird. Eine beabsichtigte Entscheidung kann

durch ein kostengünstiges Experiment am Modell – im Kopf, in Rollenspielen

oder auf dem Computer – getestet werden.

7.3.2 Implikationen für Geschäftsmodelle

Diesen Überlegungen zum Modellbegriff folgend wird das Geschäftsmodell als ein

Werkzeug zur Komplexitätsreduktion und als konzeptionelle heuristische Hilfe zur

Geschäftsmodellierung verstanden. Aufgrund dieser Eigenschaften dient das

Geschäftsmodell dem Zweck und der Detaillierung nach sowohl als Rahmenkonzept wie

auch als mentales Modell der Realität. Im Wesentlichen stellt es die vereinfachte und

321 Die Begriffe „Gestaltungsmodell“ und „Konzept“ werden im Bezug auf Gestaltungsentwürfe für

Unternehmen respektive für deren Management synonym verwendet; vgl. Ulrich, H. (2001), S.

85ff.

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 85

verkürzte Abbildung der wesentlichen Aspekte dessen dar, was unter dem Begriff

„Geschäft“ zu verstehen ist. Es hilft, einerseits den Gegenstand „Geschäft“ strukturiert zu

beschreiben, zu erklären und zu erfassen und anderseits Entscheidungen und Lösungen

hinsichtlich der Gestaltung des Modellgegenstands zu unterstützen.

Gerade das Merkmal der Komplexitätsreduktion unterstreicht die reale Bedeutung und

Kraft des Geschäftsmodells als Konzept bzw. Gestaltungsmodell für die Praxis. Wie

bereits im einleitenden Kapitel aufgezeigt wurde, ist das heutige Wirtschaftsleben von

besonderer Dynamik und Komplexität gekennzeichnet. Nahezu in allen Bereiche der

Wirtschaft erleben wir fundamentale Umbrüche, zunehmende Vernetzung und

Beschleunigung und sind mit dem Phänomen eines globalen Wettbewerbs konfrontiert.

Umso wichtiger sind Werkzeuge und Orientierungshilfen, die es Unternehmen und ihren

Managern erlauben, sich in dieser Fülle an Komplexität zurechtzufinden, um in weiterer

Folge wirksam zu entscheiden und zu handeln.

Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass der Begriff „Geschäftsmodell“ in der Praxis

just in einer Zeit, die wir heute mit dem Begriff „New Economy“ bezeichnen, besonders

an Bedeutung gewonnen hat – einer Zeit, die von Dynamik und Komplexität geprägt war.

Dadurch haben sich nicht nur die Art und Weise, wie Geschäft betrieben wird, geändert,

sondern parallel dazu sind neue Organisationsformen entstanden, die sich durch eine

starke Vernetzung und ein hohes Maß an Flexibilität auszeichnen. Die klassischen

Internet-Start-ups wie eBay, Amazon und Yahoo! sind die besten Beispiele dafür, dass

sich deren Geschäftstätigkeit mit traditionellen Vorstellungen und Konzepten der

Betriebswirtschaft nur unvollständig beschreiben und erklären lässt. Um diese neuen

Organisationsformen und Geschäftskonzepte zu beschreiben und die sich täglich

ergebenden neuen Herausforderungen eines dynamisierten Wirtschaftslebens zu meistern,

bedarf es heute mehr denn je neuer Werkzeuge und Orientierungshilfen, um diese Firmen

zu lenken, zu gestalten und zu entwickeln, d. h. sie zu managen. Genau dazu können

Modelle im Allgemeinen und Geschäftsmodelle im Besonderen einen maßgeblichen

Beitrag leisten.

Im Sinne eines Rahmenkonzepts kann das Geschäftsmodell dazu dienen, den

interessierenden Sachverhalt, d. h. das Geschäft, anhand ausgewählter Dimensionen und

Kategorien zu strukturieren, um es so besser zugänglich und erklärbarer zu machen. Je

eingehender und vollständiger das Modell die Realität beschreibt, desto klarer sind

Wirkungsbeziehungen und Kausalitäten im Realsystem erkennbar. Die grundlegendste

Funktion eines Geschäftsmodells liegt daher in der geordneten und strukturierten

Abbildung und Beschreibung, um in weiterer gedanklicher Folge eine Hilfestellung zu

leisten, um die komplexen Strukturen der Wirklichkeit einem Betrachter subjektiv

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86 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

wahrnehmbar und zugänglich zu machen.

In Erweiterung der zuvor beschriebenen Abbildungsfunktion weist Schwaninger daher

darauf hin, dass

„im Zusammenhang mit Modellen [...] oft nur von Analyse – dem Zergliedern

des zu untersuchenden Gegenstands in seine Teile, gesprochen wird. Einen

Sachverhalt zu verstehen erfordert jedoch primär die Synthese, - das

Verknüpfen und Zusammenfassen der Teile, etwa der Erkenntnisse, die

analytisch gewonnen wurden, zu einem Ganzen.“322

Auf dieser Feststellung aufbauend erfüllt das Geschäftsmodell neben der Funktion der

Vereinfachung, Strukturierung und Abbildung der interessierenden bzw. wesentlichen

Aspekte gleichzeitig auch die Funktion, die einzelnen Teile zu einem sinnvollen Ganzen

integrierbar zu machen, bzw. bietet die Möglichkeit, für Kohärenz zwischen den

Kernelementen des Modellsystems zu sorgen. Hier kommt die Bedeutung von

Geschäftsmodellen im Sinn mentaler Modelle als geistige Konstruktion zum Ausdruck,

die dabei hilft, komplexe Sachverhalte interpretierbar und analysierbar zu machen,

Wirkungszusammenhänge und Kausalitäten aufzuzeigen, zu erklären und das zugrunde

liegende Realsystem anhand des Modellsystems verstehen zu können. Der Wert des

Konzepts scheint nicht allein in der Identifikation einzelner Erfolgsfaktoren zu liegen.

Stattdessen ist es in erster Linie ein konzeptionelles Hilfsinstrument, das Managern dabei

hilft, die richtigen Fragen zu stellen und sich ganzheitlich mit dem eigenen Geschäft und

der Art und Weise, wie man damit Geld verdient, zu beschäftigen.323

Andererseits darf die Kehrseite der mentalen Abbildung von Geschäftsmodellen nicht

übersehen werden. Die subjektive Wahrnehmung der Realität und deren Interpretation

anhand der kognitiven Landkarte des Betrachters führen dazu, dass jeder Akteur im Kopf

sein individuell eigenes Bild eines Geschäftsmodell, d. h. der wesentlichen Aspekte

dessen, was sich hinter dem „Geschäftsbegriff“ verbirgt, konstruiert. Daher existiert für

einen bestimmten Anwendungszusammenhang nicht ein Geschäftsmodell, sondern viele

unterschiedliche Interpretationen oder geistige Bilder, die alle subjektiv und situativ

richtig sein können.

“Actually, the real models are in the minds of people, and what we usually call

‘business models’ some simplified symbolic abstraction expressed in some

322 vgl. Schwaninger, M. (2004), S. 59. 323 vgl. Magretta, J. (2002)

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 87

medium. Bearing this in mind, much confusion and time-wasting disputes may

be avoided.”324

Auch Willars weist daher einerseits auf die Gefahr hin, dass mehrere Akteure hinsichtlich

ein und desselben realen Sachverhalts oder Betrachtungsgegenstands infolge individuell

geprägter subjektiver Wahrnehmung und Kontextabhängigkeit unterschiedliche

Repräsentationen der Wirklichkeit in Form divergierender Geschäftsmodelle konstruieren.

Andererseits eröffnen und erleichtern Modelle im Allgemeinen und Geschäftsmodelle im

Speziellen die Möglichkeit, durch verbale Kommunikation oder formale Darlegung die

vereinfachte Abbildung komplexer Realität und die Diskussion hinsichtlich der als

wesentlich erachteten Aspekte eines Realsystems zu erleichtern.

Da die Strukturierungsleistung ein Produkt der subjektiven und situativen Wahrnehmung

der Wirklichkeit durch ein Individuum und der ebenfalls subjektiven Entscheidung

hinsichtlich der wesentlichen interessierenden Aspekte des abzubildenden Sachverhalts

ist, kann es keine allgemeingültige Abbildungsregel für ein Geschäftsmodell geben,

sondern sehr viele unterschiedliche, subjektiv und situativ geprägte Interpretationen

dessen, was als wesentliche Elemente eines Geschäftsmodells wahrgenommen werden.325

Welche Dimensionen letztlich dazu geeignet sind, die wesentlichen Aspekte der

Geschäftstätigkeit zu beschreiben, ist daher eine theoretisch motivierte und fundierte oder

pragmatische Entscheidung. Im Umkehrschluss ist es daher unmöglich, generische

Dimensionen zur Abbildung und Komplexitätsbewältigung vorzugeben, sondern es liegt

in der Verantwortung des Modellbauers, eine zutreffende Darstellungsform zu finden. Je

nach Perspektive der eigenen Wissenschaftsdisziplin und Funktion des Geschäftsmodells

können unterschiedliche Aspekte zur Lösung eines Problems als besonders relevant

erachtet werden bzw. ergeben sich unterschiedliche Dimensionen und Kategorien, die zur

Strukturierung des Sachverhalts herangezogen werden.

Zusammenfassend bieten die Geschäftsmodelle, wenn sie richtig angewendet werden,

daher weniger die Gefahr von Missverständnissen als vielmehr die Chance, nicht nur das

individuelle kognitive Verständnis eines einzelnen Akteurs im Hinblick auf den

Gegenstand des „Geschäfts“ anderen zugänglich zu machen, sondern darüber hinaus dazu

beizutragen, durch aktive Kommunikation und Diskurs zu einer gemeinsamen Sprache

und einer einheitlichen, intersubjektiven Auffassung des Realsystems zu gelangen. Dieses

gemeinsame kognitive Verständnis, auch als gemeinsames mentales Modell326 bezeichnet, 324 vgl. Willars, H. (1999), S. 306. 325 vgl. Schoegel, K. (2001) 326 Zum Begriff der gemeinsamen mentalen Modelle, im engl. shared mental models, vgl. Schwaninger, M.

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88 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

ist Ausdruck der kollektiven Vorstellung und Annahme hinsichtlich des Realsystems.

Dieses gemeinsame Vorverständnis bildet die Basis für einen kollektiven Prozess der

Entscheidungsfindung und des Handelns.

Im Sinne eines Gestaltungsmodells erfüllt es gleichzeitig auch die Funktion eines

Managementmodells, das dabei hilft, Handlungsoptionen zu generieren und den Prozess

der Entscheidungsfindung zu unterstützen.

In Anlehnung an Schwaninger (2004) weist ein Geschäftsmodell, als Gestaltungs- und

Managementmodell gedacht, eine Reihe von Vorzügen auf:

1. Ein solches Modell fungiert quasi als Landkarte zur Orientierung, die es erlaubt,

Einzelheiten zum Ganzen in Bezug zu setzen oder Details in ihrem Kontext zu

verstehen.

2. Es hilft, das Denken und das Vorgehen zu strukturieren, wodurch die

Handlungsfähigkeit erhöht wird.

3. In Führungsgremien und ganzen Unternehmungen fördern solche Modelle die

Bildung einer gemeinsamen Sprache und einer gemeinsamen Ausrichtung.

4. Zudem unterstützen sie die Bildung von Prioritäten, d. h. das Unterscheiden von

Wichtigem und weniger Wichtigem.

5. Durch die Bündelung von Aufmerksamkeit und Ressourceneinsatz wird neben

der Handlungsfähigkeit auch die Wirksamkeit von Aktionen verstärkt.

Analog zu anderen Managementmodellen wie zum Beispiel dem St. Galler Management-

Modell327 ist das Geschäftsmodellkonzept als ein mehrdimensionaler Ordnungsrahmen, d.

h. ein heuristisches Schema, zu begreifen, das dabei hilft, interessierende Sachverhalte

und das „Geschäft“ zu strukturieren, dadurch Komplexität zu reduzieren,

Wirkungszusammenhänge zu erkennen und das Realsystem so ganzheitlich zu erfassen

und zu verstehen, um in weiterer Folge wirksam entscheiden und handeln zu können.

Solange sich die wesentlichen Aspekte eines Geschäfts im Modell widerspiegeln, kann

anhand dieses Modells in gestalterischer Weise Einfluss auf die Realität genommen

werden.

Obwohl diese Begriffsdeutung von Modellen bereits einigen Einblick in das Wesen und

die Funktion von Geschäftsmodellen eröffnet hat, ist noch nicht hinlänglich geklärt,

welcher Gegenstand bzw. Sachverhalt hier eigentlich abgebildet wird. Über die

(2004), S. 56.

327 vgl. Ulrich, H. und Krieg, W. (1972), Ulrich, H. (2001), Rüegg-Stürm, J. (2002)

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 89

pragmatische Feststellung hinaus, bei einem Geschäftsmodell handle es sich um die

wesentlichen Aspekte dessen, was unter dem Begriff „Geschäft“ zu verstehen ist, bedarf

es für einen weiteren Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Definition von

Geschäftsmodellen einer näheren Spezifikation dessen, was allgemein unter einem

Geschäft zu verstehen ist.

7.4 Überlegungen zum Geschäftsbegriff

Der Brockhaus Wirtschaft (2004) versteht unter Geschäft eine „auf Gewinn abzielende,

kaufmännische Beschäftigung oder Unternehmung“. Als weitere Synonyme werden

kaufmännische Transaktionen und der Abschluss einer mit Geld verbundenen Tätigkeit

genannt. Im alltäglichen Sprachgebrauch werden unter dem Begriff sowohl der

entgeltliche Austausch von Gütern und Leistungen zwischen Geschäftspartnern als auch

die auf Gewinn abzielende Tätigkeit von Unternehmen subsumiert. Diese Dualität findet

sich auch in der wissenschaftlichen Literatur, in der unter dem Geschäftsbegriff im

weiteren Sinne der entgeltliche Austausch zwischen Wirtschaftssubjekten, d. h. das

Wirtschaften in einer Marktwirtschaft, und im engeren Sinne die kaufmännische, auf

Gewinn abzielende Tätigkeit von Wirtschaftseinheiten, d. h. in aller Regel von

Unternehmen, verstanden wird.

7.4.1 Geschäft als entgeltlicher Austausch unter Wirtschaftssubjekten

Auf Ebene der Gesamtwirtschaft hat ein Geschäft den entgeltlichen Austausch von Gütern

und Leistungen zwischen Wirtschaftssubjekten zum Gegenstand. Die Notwendigkeit zum

entgeltlichen Austausch ergibt sich in der Marktwirtschaft aufgrund der Knappheit der

meisten Güter und Ressourcen, die zur Deckung privaten und öffentlichen Bedarfs

benötigt werden.

Entgeltlicher Austausch in Form von Markttransaktionen hat daher nicht nur die

Übertragung von Verfügungsrechten an Gütern und Leistungen in Austauschbeziehungen

zwischen mindestens zwei Vertragspartnern zum Gegenstand, sondern erfüllt auch eine

Koordinationsfunktion für knappe Güter und Ressourcen, denn nach Auffassung der

Volkswirtschaft ist, um den theoretisch unbegrenzten Bedarf nach Gütern und Leistungen

unter dem Postulat ökonomischer Effizienz zu befriedigen, ein

Koordinationsmechanismus nötig, der wirtschaftliches, nutzenmaximierendes Handeln

regelt.

Wie bereits in Kapitel 6.1.3 zur Transaktionskostentheorie gezeigt wurde, sind der

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90 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Transaktionskostentheorie328 zufolge mehrere Mechanismen beziehungsweise

Koordinations- (bzw. Governance-)Formen denkbar, um Angebot und Nachfrage nach

Gütern und Ressourcen in Einklang zu bringen.

Folglich kann ein Geschäft, als entgeltliche Transaktion gedacht, in verschiedenen

Koordinationsformen wie Märkten, Hierarchien und Netzwerken329 stattfinden. Dieser

Betrachtungsweise folgend beschränkt sich Geschäft im weiteren Sinne nicht allein auf

die wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen, sondern beschreibt den entgeltlichen

Austausch von Gütern und Leistungen zwischen Wirtschaftssubjekten auf Märkten, in

Unternehmen und in Netzwerken. Im weiteren Sinne dient das Geschäftsmodell dazu,

unterschiedliche Formen der Koordination auf der Ebene von gesamten Märkten oder

Branchen zu beschreiben und die Rolle der beteiligten Transaktionspartner näher zu

spezifizieren.

Gleichzeitig bildet es die unternehmensübergreifenden Austauschbeziehungen zwischen

Wirtschaftssubjekten, in erster Linie von Unternehmen, ab und beschreibt, wie sich

Unternehmen einerseits mit den Faktor- und Absatzmärkten und andererseits bi- und

multilateral vernetzen.

Markt für Ressourcen und

Fähigkeiten

Markt für Güter

und Leistungen

Geschäftsmodell

Koordinationsform

� Markt

� Hierarchie

� Netzwerk

Abbildung 12: Geschäftsmodell als Modell entgeltlicher Austauschbeziehungen330

328 vgl. Coase, R. H. (1937), Williamson, O. E. (1975), Williamson, O. E. (1986), Williamson, O. E. und

Masten, S. (1995) 329 vgl. Abbildung 12 330 Eigene Darstellung

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 91

Diesem weiteren Begriffsverständnis von Geschäft folgend ist das Geschäftsmodell ein

Hilfsinstrument, um den Inhalt und die Struktur der entgeltlichen Austausch- bzw.

Vertragsbeziehungen zwischen Transaktionspartnern abzubilden sowie den dabei

gewählten Koordinationsmechanismus zu beschreiben. Weiters gibt der Inhalt von

Transaktionen einerseits Aufschluss darüber, welche Güter und Leistungen Gegenstand

der Transaktionen sind, und andererseits zwischen welchen Märkten (Absatz- oder

Faktormarkt) bzw. in welchen Branchen (Handel, Industrie, Dienstleistung etc.) der

entgeltliche Austausch stattfindet.

Diese Vorstellung von Geschäftsmodellen weist Übereinstimmungen mit der Definition

von Amit und Zott (2001) auf, die Folgendes konstatieren: “a business model depicts the

design of transaction content, structure and governance so as to create value through the

exploitation of business opportunities.” 331 Geschäft wird hier als entgeltliche Austausch-

bzw. Transaktionsbeziehung verstanden, die darauf abzielt, einen Bedarf zu decken und

dadurch Mehrwert zu schaffen.

Es ist abzulesen, welche Aspekte in der Beschreibung eines Geschäfts als wesentlich

erachtet werden. Im vorliegenden Fall sind dies der Inhalt (Content), die Struktur

(Structure) und die Koordination (Governance) von Transaktionen.

Der Inhalt von Transaktionen “refers to the goods or information that are being

exchanged, and to the resources and capabilities that are required to enable the change”.

Die Struktur beschreibt “the parties that participate in the exchange, and to the ways in

which these parties are linked”.

Koordination (Governance) wiederum “refers to the ways in which information,

resources, financial and physical flows are controlled by the relevant parties and what the

incentives for the various participants are”.332

Weniger eindeutig geht hervor, welchen sinnstiftenden Zweck diese Betätigung verfolgt.

Obgleich feststeht, dass es sich bei einem Geschäft um eine entgeltliche Transaktion

zwischen Wirtschaftssubjekten handelt, die gewissen ökonomischen Regeln unterliegt,

bleiben die Merkmale kaufmännischer Tätigkeit und des Strebens nach Gewinn

weitgehend unberücksichtigt. Somit blendet diese Sichtweise einige Merkmale vom

Geschäft aus und spiegelt das Wesen eines Geschäftsmodells nur teilweise wider.

331 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001), S. 511. 332 vgl. Ibid.

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92 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

7.4.2 Geschäft als wertschöpfende Tätigkeit von Unternehmen

Daher wenden sich die nachstehenden Überlegungen nun der zweiten, enger gefassten

Begriffsdeutung zu, die Geschäft als die kaufmännische, nach Gewinn strebende Tätigkeit

von Wirtschaftseinheiten, in erster Linie von Unternehmen, definiert. Da kaufmännische

Tätigkeit im weiteren Sinne als Synonym für entgeltliche Austauschbeziehungen

zwischen Vertragspartnern zu verstehen ist und somit auf der zuvor skizzierten

Beschreibung von Geschäft aufbaut, kommen zwei neue Aspekte hinzu. Rechtlich

gesehen weist das Attribut „kaufmännisch“ darauf hin, dass es sich dabei um eine

gewerbliche Beschäftigung, d. h. um die Tätigkeit eines Unternehmers bzw. eines

Unternehmens, handelt.

Nach der Auffassung der St. Galler Schule der Betriebswirtschaftslehre stellen

Unternehmen zweckorientierte wirtschaftliche, soziotechnische Systeme333 dar, deren

wertschöpfende Tätigkeit darauf abzielt, in aktiver Auseinandersetzung mit verschiedenen

Anspruchsgruppen des Unternehmens gesellschaftlichen Nutzen zu stiften.

Im Sinne der Zweckorientierung von Unternehmen zielt ihre wirtschaftliche Tätigkeit

einerseits darauf ab, Funktionen für das Umfeld zu übernehmen, wie etwa die

Koordination knapper Güter und Ressourcen. Andererseits nehmen sie, eingebettet in ihr

Umfeld, als soziotechnische Systeme zum Zweck ihrer spezifischen wertschöpfenden

Tätigkeit Aufgaben im arbeitsteiligen Prozess des Austauschs und der Transformation von

Ressourcen wahr, um dadurch für ihre verschiedenen Anspruchsgruppen Nutzen und

Wert zu stiften.334

Die Funktion des Unternehmens besteht daher einerseits in der Teilnahme am

Austauschsystem der Märkte, auf denen das Unternehmen auf der Beschaffungsseite

entgeltliche Austauschbeziehungen eingeht, um Ressourcen und Fähigkeiten zu erwerben.

Die innerbetriebliche Tätigkeit umfasst wertschöpfende Aktivitäten unter Einsatz dieser

Ressourcen und Fähigkeiten, um sie in Güter und Leistungen zu transformieren, die

Gegenstand der Tauschbeziehungen auf Absatzmärkten sind und letztendlich der

nutzenstiftenden Deckung fremden Bedarfs dienen.335

Schlussendlich ist ein Unternehmen auch ein wirtschaftliches System und so müssen unter

333 vgl. Ulrich, P. und Fluri, E. (1995) 334 vgl. Stähler, P. (2001), Bieger, T. und Belz, C. (2004) 335 Die Analyse dieser wertschöpfenden Tätigkeit eines Unternehmens steht auch bei Porters Zott, C. und

Amit, R. (2010) Wertketten-Analyse und der ökonomische Umsetzung auf Ebene des

Unternehmens im Vordergrund.

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 93

den Bedingungen der Marktwirtschaft die Erlöse der abgesetzten Güter und Leistungen

die langfristigen Aufwendungen für die verbrauchten Ressourcen und Kosten der

wertschöpfenden Aktivitäten zumindest decken. Da unternehmerische Tätigkeit durch das

Treffen von Entscheidungen unter Unsicherheit zusätzlich mit gewissen dem Geschäft

immanenten Risiken verbunden ist, erwartet sich der Unternehmer bzw. Eigentümer

darüber hinaus auch die Abgeltung des unternehmerischen Risikos in Form eines

ökonomischen Gewinns (bzw. einer Rente) für die Durchführung kaufmännischer

Tätigkeit bzw. für die Bereitstellung von Kapital.

Wertschöpfung kann dabei als Synonym für den Mechanismus der Umsatz- und

Gewinnerzielung verstanden werden, denn Porter definiert die Wertschöpfung als “the

amount buyers are willing to pay for what a firm provides them. Value is measured by

total revenue ... A firm is profitable if the value it commands exceeds the costs involved in

creating the product”.336

Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftssubjekten wie z. B. privaten Haushalten, die

ebenfalls am Austauschsystem der Märkte teilnehmen, bildet für Unternehmen das

Streben nach Gewinn ein zentrales Element ihrer Geschäftstätigkeit. Da Private bzw.

Endverbraucher in erster Linie ihren eigenen Bedarf an Gütern und Leistungen decken

wollen, dient ihre Teilnahme am Austauschprozess in erster Linie der Bedarfsdeckung

und Nutzenmaximierung. Zwar spricht man auch beim entgeltlichen Austausch zwischen

privaten Endverbrauchern von einem Geschäft, die Eigenschaft des Strebens nach Gewinn

steht hier allerdings, wie in Kapitel 7.4.1 skizziert wurde, in aller Regel nicht im

Vordergrund.

Grundsätzlich kann daher festgehalten werden, dass für ein Geschäft im engeren Sinn vor

allem die Kombination Ressourcen und Fähigkeiten zu Aktivitäten und das

Gewinnstreben charakteristisch sind. Beide Aspekte sind nur im Zusammenhang mit der

wirtschaftlichen Tätigkeit von Wirtschaftseinheiten anzutreffen und in erster Linie im

Kontext von Unternehmen zu sehen. Geschäft als wirtschaftliche Tätigkeit von

Unternehmen manifestiert sich einerseits in entgeltlichen Austauschbeziehungen mit

Geschäftspartnern und andererseits in seiner nutzenstiftenden Funktion zur Deckung

fremden Bedarfs, d. h. in erster Linie für Kunden. Ein weiteres Element der

Geschäftstätigkeit von Unternehmen stellt die Koordination der Aktivität und der

Bereitstellung von Gütern und Leistungen dar.

Da es sich bei Unternehmen auch um soziotechnische Systeme handelt, sind die

336 vgl. Porter, M. E. (1985)

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94 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

wertschöpfenden Aktivitäten nicht nur im Kontext der vorhandenen Ressourcen bzw. der

spezifischen Fähigkeiten, sondern auch der sozialen und kulturellen Charakteristika des

Unternehmens zu sehen. Trotz identer Ressourcenausstattung und

Wertschöpfungsarchitektur können Unternehmen dennoch unterschiedliche Produkte und

Leistungen erbringen, da sie aufgrund ihrer spezifischen Unternehmenskultur und

Fähigkeiten das Aktivitätensystem anders konfigurieren und Tätigkeiten auf eigene Art

und Weise ausführen.

Auf diesem verfeinerten Begriffsverständnis von Geschäft aufbauend können nun

Schlüsse hinsichtlich des Gegenstands von Geschäftsmodellen gezogen werden. Wie

bereits gezeigt wurde, handelt es sich bei Geschäftsmodellen im Sinne von Modellen um

die vereinfachte und verkürzte Abbildung der wesentlichen Aspekte dessen, was unter

dem Begriff „Geschäft“ zu verstehen ist. Diese Feststellung lässt sich nun um die

Charakteristika von Geschäft im engeren Sinn als die wirtschaftliche, nach Gewinn

strebende Tätigkeit von Unternehmen erweitern.

Im engeren Sinne handelt es sich bei einem Geschäftsmodell um die vereinfachte und

verkürzte Abbildung der wesentlichen Aspekte der wertschöpfenden Tätigkeit von

Unternehmen, die beschreibt, wie Unternehmen mittels der von ihnen gewählten

Aktivitäten, selbst oder mit Partnern, unter Einsatz von Ressourcen und Fähigkeiten Güter

und Leistungen erstellen und durch die Teilnahme am Tauschsystem der Märkte in

nutzenstiftender Weise Kundenbedarf decken, Gewinn erzielen und gesellschaftlichen

Nutzen für wichtige Anspruchsgruppen schaffen.

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 95

Markt für Ressourcen und

Fähigkeiten

Unternehmen A

Markt für Güter

und Leistungen

Geschäftsmodell von A

Abbildung 13: Symbolische Darstellung des Umfangs eines Geschäftsmodells337

Folglich stellt das Geschäftsmodell den Plan oder Entwurf dar, wie ein Unternehmen

Aktivitäten und Transaktionsbeziehungen gestaltet, um Faktor- und Absatzmärkte

miteinander zu verbinden.

Obwohl das Unternehmen im Mittelpunkt dieses Beziehungsnetzes steht, beschreibt das

Geschäftsmodell den gesamten interorganisationalen, vernetzten Prozess der

Wertschöpfung. An die Stelle des Unternehmens als zentralen Angelpunkt

wirtschaftlicher Tätigkeit tritt in dieser Betrachtung das Geschäftsmodell als neue,

unternehmensübergreifende Analyseeinheit für den interorganisationalen, vernetzten

Prozess der Wertschöpfung auf Märkten, in Hierarchien und in Netzwerken.

Die Beschäftigung mit Geschäftsmodellen verlangt daher nach der ganzheitlichen

Betrachtung der Wertschöpfung eines Unternehmens. Sie geht über die Darstellung der

innerbetrieblichen Aktivitäten hinaus und bezieht die unternehmensübergreifenden

Transaktionsbeziehungen mit ein.

Um nicht durch eine eigenständige Interpretation zum Pluralismus der Definitionen

beizutragen, wird in dieser Arbeit, auf Basis des in Kapitel 7.3 entwickelten

Begriffsverständnisses, der Definition von Stähler gefolgt, der das Geschäftsmodell als

„modellhafte Beschreibung eines Geschäftes“338 definiert, welche in Verfolgung eines

bestimmten Zwecks (Beschreibung, Gestaltung, Entscheidung) die wesentlichen Aspekte

337 Eigene Darstellung 338 vgl. Stähler, P. (2001), S. 41.

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96 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

der Tätigkeit von Unternehmen vereinfacht wiedergibt.

Wie bereits in Kapitel 7.4.2 ausgeführt wurde, lässt sich Geschäft im hier verwendeten

engeren Sinn als die wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen verstehen, wofür drei

Merkmale charakteristisch sind:

1. Ein Aspekt ist der gesamte interorganisationale Prozess der Wertschöpfung, der

auf einer spezifischen Kombination von Ressourcen und Fähigkeiten beruht. Im

Rahmen wertschöpfender Aktivitäten werden Ressourcen und Fähigkeiten in

Güter und Leistungen transformiert, die Gegenstand von Austauschbeziehungen

auf Faktor- und Gütermärkten sind.

2. Einen zweiten Aspekt stellt die Zweckorientierung dieser wertschöpfenden

Tätigkeit dar. So zielt das Angebot und Leistungsvermögen des Unternehmens

einerseits darauf ab, fremden Bedarf zu decken, und andererseits

gesellschaftlichen Nutzen für Kunden, Partner sowie alle relevanten

Anspruchsgruppen zu stiften.

3. Eine dritte Besonderheit stellt das unternehmerische Streben nach Gewinn dar.

Diese drei grundlegenden Eigenschaften bilden die drei wesentlichen Aspekte, die im

Geschäftsmodell berücksichtigt werden sollten.339

Sie finden sich auch in der Definition von Stähler wieder, der konstatiert: „Ein

Geschäftsmodell besteht aus drei Hauptkomponenten: Value Proposition, Architektur der

Wertschöpfung und dem Ertragsmodell“.340

Zusammenfassend lassen sich die ausgewählten Elemente eines Geschäftsmodells wie

folgt beschreiben:

� Ein Geschäftsmodell beschreibt, welchen Nutzen Kunden oder andere Partner

des Unternehmens aus den Transaktionsbeziehungen mit diesem Unternehmen

ziehen. Diesen Teil eines Geschäftsmodells bezeichnet Stähler als die Value

Proposition. Es gibt Antwort auf die Frage, welchen Nutzen bzw. Wert das

Unternehmen stiftet.

� Wertschöpfung beschreibt den Prozess des Schaffens von Mehrwert für

Kunden, Partner oder andere wichtige Anspruchsgruppen. Die Architektur der

Wertschöpfung gibt Aufschluss über die Gestalt des arbeitsteiligen Prozesses,

der Güter- und Leistungserstellung und der dazu nötigen Fähigkeiten,

339 vgl. Magretta, J. (2002) 340 vgl. Stähler, P. (2001), S. 41.

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 97

Ressourcen und Austauschbeziehungen. Es ist eine Blaupause der faktor- und

absatzmärkteverbindenden Transaktions- und Austauschbeziehungen, seiner

Akteure und deren Rolle im Prozess der Wertschöpfung.

� Neben dem Was und dem Wie beschreibt das Geschäftsmodell auch, welche

Einnahmen das Unternehmen aus welchen Quellen generiert. Die zukünftigen

Einnahmen entscheiden über den Wert des Geschäftsmodells und damit über

seine Nachhaltigkeit. Es beantwortet die Frage: Wodurch wird Geld verdient?

Dieser Teil des Geschäftsmodells heißt Ertragsmodell.

7.5 Das Geschäftsmodell – ein systemischer Ansatz

Auf Grundlage der im vorhergehenden Kapitel erfolgten Literaturbetrachtung dient dieser

Abschnitt dazu, die theoretischen und praktischen Vorüberlegungen der Abschnitte 6 und

7 zusammenzuführen und die in Kapitel 7.2 entwickelte Definition zu konkretisieren.

Insbesondere soll der in Anlehnung an Hedman und Kalling (2003) entwickelte

integrative Bezugsrahmen vorgestellt werden, der die folgenden kausal verknüpften

Elemente umfasst: Kunden, Wettbewerber, Angebot, Aktivitäten, Ressourcen und Markt

für Vorleistungen und Inputfaktoren. Ein weiteres Element dieses Bezugsrahmens bildet

die longitudinale prozessuale Perspektive, um die dynamische Entwicklung eines

Geschäftsmodells im Zeitablauf abbilden zu können. Dadurch finden auch die kognitiven

und kulturellen Aspekte des Managementprozesses der Entwicklung und Anpassung von

Geschäftsmodellen Berücksichtigung.

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98 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Market / Industry

(1) Customers (2) Competition

(3) Offering

(4) Activities and Organisation

(5) Resources

(6) Suppliers

Human Physical Organisational

Factor Markets Production Inputs

THE FIRM

Physical Component Price / Cost Service Component

Longitudinal dimension,e.g. constraints on actors,cognitive and sociallimitations (7)

(7) Scope of Management

Market level,e.g. five forces

Market level,e.g. five forces,capital and labour

Offering level;e.g. genericstrategies

Activity andorganisationallevel; e.g.value chain

Resource level,e.g. RBV

Abbildung 14: Ebenen eines Geschäftsmodells341

Aufbauend auf Chesbrough und Rosenbloom (2002), die annehmen, “the business model

mediates between the technical inputs and economic outputs”342, oder, wie Hedman und

Kalling (2003) es definieren, “the way an organisation organises its inputs, converts

these into valuable outputs, and gets customers“343, wird hier ein systemischer Ansatz

verfolgt, nach dem das Geschäftsmodell ein offenes System organisierter Komplexität

darstellt, welches im dynamischen Austausch mit seiner Umwelt steht.344

341 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 50. 342 vgl. Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002) 343 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 52. 344 Zur allgemeinen Systemtheorie, vgl. von Bertalanffy, L. (1948)

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 99

TechnicalInputs:

e.g.feasibility,

performance

EconomicOutputs:

e.g.value,Price,profit

Business Model:

� market� value proposition� cost and profit� value network� competitive

strategy

Measured in technical domain Measured in economic domain

Abbildung 15: Das Geschäftsmodell als Mediator zwischen Märkten345

Dementsprechend beschreibt das Geschäftsmodell die Struktur des Aktvitätensystems “by

defining the set of activities from raw materials through to the final consumer […]) with

value being added throughout the various activities”346. Es befasst sich mit der zugrunde

liegenden Logik, wie Unternehmen zu angemessenen Kosten einen Mehrwert für ihre

Kunden generieren.347

7.5.1 �utzenversprechen (Value Proposition)

Eine wesentliche Besonderheit dieses Bezugsrahmens ist die explizite Einbeziehung der

Kundenperspektive, wie sie in der Literatur gefordert wird348, denn es liegt die Annahme

zugrunde, dass Unternehmen nur dann im Wettbewerb bestehen können, wenn sie für ihre

Kunden ein attraktives Angebot bereitstellen. Um ein bestimmtes Kundensegment

bedienen zu können und sich im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern behaupten zu

können, ist es nötig, dass das eigene Leistungsangebot ein günstiges Preis-Leistungs-

Verhältnis aufweist. Einerseits muss das Leistungsangebot an den Bedürfnissen der

Kunden und des Markts ausgerichtet werden, andererseits muss danach getrachtet werden,

die bezogenen Inputfaktoren auf effektive und effiziente Weise in ein attraktives

Leistungsangebot zu transformieren.

“Any improvement in value chain activities must be materialised by an offering

that increases customer-perceived quality and/or reduces costs. All the factors

and their causal inter-relations need to be understood for any specific business 345 vgl. Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002), S. 536. 346 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2009), Zott, C. und Amit, R. (2010) 347 vgl. Chesbrough, H. zitiert aus Zott, C. und Amit, R. (2010) 348 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 53.

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100 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

model.”349

Das Management ist gefordert, Umfeldveränderungen zu registrieren, hinsichtlich

möglicher Implikationen für das gesamte Geschäftsmodell zu evaluieren und

entsprechend zu reagieren, denn um langfristig erfolgreich zu sein, muss das eigene

Angebot in Relation zu Mitbewerbern von potenziellen Kunden als vorteilhaft empfunden

werden; d. h., das Preis-Leistungs-Verhältnis muss stimmen.

Um dies zu bewerkstelligen, ist es einerseits unerlässlich, den Bedarf der Kunden

hinsichtlich Preis und Qualität des Angebots zu kennen, und andererseits eine effektive

und effiziente Organisationsstruktur zu finden, um die geforderte Marktleistung zu

erbringen.

7.5.2 Architektur der Wertschöpfung

Im Zentrum des Bezugsrahmens stehen die wertschöpfenden Aktivitäten eines

Unternehmens. Die Konfiguration der Wertschöpfungsorganisation eines Unternehmens

beschreibt, wie durch die Kombination von Ressourcen und Fähigkeiten bestimmte

Aktivitäten durchgeführt und Inputfaktoren in Produkte und Dienstleistungen

transformiert werden, die als Marktleistungen angeboten und an Endkunden abgesetzt

werden. Das Aktivitätensystem ist die Konfiguration der einzelnen Aktivitäten und

erklärt, wie das Unternehmen Wettbewerbsvorteile behauptet und sich am Markt

positioniert.350

Dazu bedarf es sowohl der entsprechenden physischen, organisationalen und

Humanressourcen, die mit Partnern geteilt, selbst erlernt oder von Lieferanten über die

Faktormärkte erworben werden müssen, denn Ressourcen und Fähigkeiten bilden die

Grundlage für die einzelnen Aktivitäten. Die Aktivitäten wiederum, obwohl intern

bedingt, sind extern am Markt orientiert. Das Geschäftsmodell bildet somit die Klammer

bzw. den Bauplan, wie die Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens in produktive

Aktivitäten und marktfähige Produkte und Leistungen transformiert werden. Ein weiterer

wesentlicher Aspekt des Geschäftsmodells ist, dass es nicht nur den internen Bauplan der

Aktivitäten abbildet, sondern über die Grenzen des Unternehmens hinaus, was die

Beziehungen und Austauschverhältnisse zu Lieferanten und Partnern einbezieht, die am

interorganisationalen Prozess der Ressourcentransformation beteiligt sind.

Zwischen den einzelnen Elementen des Geschäftsmodells bestehen starke

349 vgl. Porter, M. E. (1996b) 350 vgl. Ibid.

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 101

Wechselwirkungen und Abhängigkeiten. In diesem Sinne zählt das Ganze mehr als die

Summe der Teile, weil sich ein Wettbewerbsvorteil aus dem System der Aktivitäten

ergibt, denn gerade die innere Logik und die Interaktion zwischen den einzelnen

Aktivitäten eines Unternehmens sind für die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen

entscheidend.351

Wichtig ist, dass das Geschäftsmodell die entscheidenden Ressourcen und Fähigkeiten

beschreibt, die es der Organisation ermöglichen, bestimmte Aktivitäten durchzuführen,

die letztendlich den Erfolg ausmachen. Winter und Szulanski (2001) gehen dabei von der

Existenz einer inneren strategischen Logik aus, die die Aktivitäten eines Unternehmens

koordiniert. Das Geschäftsmodell beschreibt diese innere Logik, die der Konfiguration der

Ressourcen und Fähigkeiten zugrunde liegt, die es dem Unternehmen erlauben, bestimmte

Aktivitäten durchzuführen.

Dabei wird der Zusammenhang zwischen dem Geschäftsmodell und den Aktivitäten eines

Unternehmens erkennbar: Nur die Ressourcen und Fähigkeiten, die Teil der inneren Logik

und somit die Bausteine der Kernaktivitäten darstellen, sollten im Geschäftsmodell

Berücksichtigung finden, denn Ehiraj, Guler et al. (2000) argumentieren, dass die

Analyseeinheit Geschäftsmodell nur dann sinnvoll ist, wenn es die Konfiguration der

Kernaktivitäten352 beinhaltet, die das Unternehmen in die Lage versetzen, eine besondere

Marktleistung zu erbringen und Wettbewerbsvorteile zu erlangen.353

Ähnlich argumentieren Eisenhardt und Sull (2001), die in dynamischen Branchen neben

der Positionierung und der Ressourcenbasis den Unternehmenserfolg auch auf die

Kernprozesse des Unternehmens zurückführen, denn reine Wettbewerbs- und

Ressourcenstrategien sind nach Meinung von Eisenhardt und Sull (2001) zu starr, um

flexibel und schnell auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren. Stattdessen

sollte das Management vor dem Hintergrund eines dynamischen Marktumfelds

tendenziell auf dynamische Fähigkeiten, flexible Prozesse und einfache Regeln354 (simple

rules) vertrauen.

Zusammengefasst erlaubt das Geschäftsmodell, die verschiedenen Ansatzpunkte wie die

Realisierung der Wettbewerbsstrategie355, die zu einem überlegenen Leistungsangebot

351 vgl. Venkatraman, N. und Henderson, J. C. (1998) 352 vgl. Ehiraj, S., et al. (2000), S. 18. 353 vgl. Funder, J. (2002) 354 vgl. Eisenhardt, K. M. und Sull, D. N. (2001) 355 vgl. Porter, M. E. (1980a), Porter, M. E. (1985)

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102 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

führt, mit der Ressourcenbasis der Firma356 und den Aktivitäten des

Wertschöpfungssystems357 zu verknüpfen und durch die Abstimmung der einzelnen

Werttreiber einen stimmigen, kohärenten und in sich greifenden Bauplan des Geschäfts zu

entwerfen.

Entscheidend ist nicht nur der Inhalt, sondern auch der Prozess, der dorthin führt: die

Analyse des Markts, die Ausgestaltung und Implementierung des Aktivitätensystems,

kurzum wie eine neue Geschäftsidee realisiert und eine Marktchance wahrgenommen

wird, d. h. das Geschäftsmodell operativ wirksam wird.

Im Mittelpunkt der Prozessperspektive stehen die kognitiven und kulturellen Widerstände

und Barrieren, die es bei der Neuausrichtung des Geschäfts zu überwinden gilt.

“The focal point of the process perspective is the management of cognitive and

cultural constraints on strategic development and firm evolution.”358

Hier kommt eine weitere Stärke dieses systemischen Ansatzes zum Ausdruck: Der

Bezugsrahmen vermag nicht nur, die strategischen Perspektiven des MbV, RbV und TCE

zu integrieren, sondern beinhaltet auch eine longitudinale Perspektive. Obwohl die

Forderung nach integrativen Ansätzen bereits länger gestellt wird und in der Literatur gut

dokumentiert ist359, gab es bisher nur wenige integrative Ansätze, denn das

Geschäftsmodell ist nur ein Beschreibungs- oder Erklärungsmodell. Es eignet sich nicht

nur dazu, ein bestehendes Geschäft zu beschreiben, sondern kann im Sinne eines

Gestaltungsmodells bzw. Veränderungsmodells auch dazu eingesetzt werden, ein

bestehendes Geschäft neu auszurichten und zu verändern.

Sowohl exogene wie endogene Faktoren können diesen Adaptionsprozess in Gang setzen.

Verliert das eigene Leistungsangebot durch neue Marktteilnehmer mit vorteilhafteren

Preis-Leistungs-Merkmalen an Wettbewerbsfähigkeit, kann die Effizienz des bestehenden

Geschäftsmodells durch die Anpassungen der eigenen wertschöpfenden Aktivitäten bzw.

eine neue Kombination bestehender Ressourcen und Fähigkeiten erhöht werden. Einen

weiteren Ansatzpunkt bietet das Aktivitätensystem. Neue Ressourcenkombinationen

können zu vorteilhaften Leistungsangeboten führen, d. h. den wahrgenommenen Nutzen,

356 vgl. Barney, J. B. (1991) 357 vgl. Porter, M. E. (1985) 358 vgl. Whittington, R. (2000) 359 vgl. Porter, M. E. (1991), Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1994), Chakravarthy, B., et al. (2003a),

Mahoney, J. T. und Sanchez, R. (2004), Poole, M. S. und Van de Ven, A. H. (2004), Lechner, C.

(2006b)

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 103

das Preis-Leistungs-Verhältnis des eigenen Angebots bzw. die Marktposition verbessern.

Ein dritter Ansatzpunkt ist die bessere Abstimmung der einzelnen Teilsysteme, um die

innere Logik und Ertragskraft bzw. Rentabilität des Geschäftsmodells positiv zu

beeinflussen.

Ähnliche konzeptionelle Modelle finden sich im Feld der Entrepreneurshipforschung wie

zum Beispiel bei Normann.360 Auch dieser systemische Ansatz verknüpft die einzelnen

Teilsysteme Markt und Angebot mit den spezifischen Kompetenzen der Firma und

betrachtet sie als voneinander abhängig.

Ausgehend von einer Geschäftsidee unterscheidet Normann in seinem Modell drei

verschiedene Teilkomponenten:361

1. Das externe Umfeld, dessen Bedarf und was es wertschätzt

2. Das Angebot des Unternehmens

3. Interne Faktoren wie die Organisationsstruktur, Ressourcen, Wissen und

Fähigkeiten, Systeme und Werte

Ein weiterer integrativer Ansatz zur Erklärung von Wettbewerbsvorteilen findet sich bei

Porter (1991). Porters Verständnis einer Organisation als System von Aktivitäten ähnelt

der dieser Arbeit zugrunde gelegten Definition eines Geschäftsmodells. Obwohl Porter

das Modell als Causal-Chain Model (CCM) und nicht als Geschäftsmodell bezeichnet,

beinhaltet es auch Eigenschaften und Funktionen, die auch für das Geschäftsmodell von

Bedeutung sind. Wenngleich Porters Modell nicht alle inhaltlichen Aspekte eines

Geschäfts wie zum Beispiel den Ertragsmechanismus klärt, so bietet dieser durchgängige

Ansatz die Metaperspektive auf seine früheren Arbeiten. Es zeigt die logischen

Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Teilmodellen: wie das Fünf-Kräfte-Modell

zur Analyse der Branchenstruktur, generische Wettbewerbsstrategien und das

Wertkettenmodell zur systematischen Analyse der strategisch relevanten Aktivitäten eines

Unternehmens verknüpft werden können.

Im CCM führt Porter die Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens nicht nur auf die Wahl

einer Kostenführerschafts- oder Differenzierungsstrategie, sondern auf das

Aktivitätensystem zurück. Aktivitäten bzw. das Wertschöpfungssystem des

Unternehmens ermöglichen erst die Realisierung von Kostenführerschafts- und

360 vgl. Normann, R. (1977), Normann, R. und Ramirez, R. (1994) 361 vgl. Normann, R. (2001)

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104 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Differenzierungsstrategien, die nach Porter letztlich über den Erfolg des Unternehmens

entscheiden, indem sie es dem Unternehmen erlauben, vorteilhafte strategische Positionen

in Branchen bzw. auf Märkten einzunehmen, und unter Ausnützung von

Wettbewerbsvorteilen den Geschäftserfolg bedingen. Dabei unterscheidet Porter zwischen

primären und sekundären Aktivitäten. Erstere, zu denen Leistungserstellung, Logistik,

Marketing und Vertrieb zählen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie direkten Einfluss auf

die Wertschöpfung des Unternehmens haben. Sekundäre unterstützende Aktivitäten wie

das Finanz- und Rechnungswesen oder das Personalwesen haben lediglich indirekten

Einfluss auf die Wertschöpfung.362

Abbildung 16: Determinanten für den Erfolgs einzelner Geschäftsfelder363

362 vgl. Abbildung 17 363 vgl. Porter, M. E. (1991), S. 100.

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 105

Neben der inhaltlichen Dimension wurde auch die longitudinale Dimension des

Prozessansatzes364 im Modell berücksichtigt, da die strategischen Inhalte, ausgehend vom

Anfangszustand (initial conditions), im Zeitablauf durch die gestalterischen Eingriffe des

Managements (managerial choices) entstehen und das Aktivitätensystem entlang

sogenannter Werttreiber (drivers) optimiert wird.

Abbildung 17: Wertkette und Wertsystem nach Porter365

Porter reagierte damit auf die Kritik vonseiten der Prozessforschung und Vertretern des

RbV, indem er die verschiedenen Sichtweisen als komplementäre Konzepte würdigt und

in logisch-kausaler Weise miteinander verkettet, denn das CCM beinhaltet Aspekte des

MbV und des RbV mit einer prozessorientierten Sichtweise und “highlights the

complementary nature of the [three] view-points – a complementarity based on

causality”.366

7.5.3 Ertragsmodell

Allerdings bleibt bei diesen Ansätzen ein zentraler Aspekt, nämlich die Frage, wie das

Unternehmen Geld verdient, ausgespart. Nach McGrath und McMillan (2000) muss das

365 Darstellung der Wertkette (value chain) S. 35 und Wertsystem (value system) S. 37 aus Porter, M. E.

(1985) 366 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 51.

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106 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Geschäftsmodell vor allem beschreiben, “how a business is designed to make profits”367.

Nach Afuah und Tucci (2001) handelt sich dabei um ein wiederkehrendes Thema, das in

vielen Definitionen Berücksichtigung gefunden hat.368

Autor(en) Definition

Thompson und Strickland (2003), S. 3 A company’s business model deals with the revenue-cost-profit

economies of its strategy – the actual and projected revenue

streams generated by the company’s product offerings and

competitive approaches, the associated cost structure and profit

margins, and the resulting earnings stream and return on

investment.

Grant (2002), S. 307 Configurations of strategy relating to the sources of revenue

and profits

Ehiraj, Guler et al. (2000), S. 2 A unique configuration of elements comprising the

organization’s goals, strategies, processes, technologies, and

structure, conceived to create value for customers and thus

compete successfully in a particular market

Ethridge, Kale et al. (2002), S. 6 A template or prototype comprising the core set of

organizational processes and patterns of behavior that forms the

basis for continuing viability of the organization

Saloner, Shepard et al. (2001), S. 279 A viable business model is a strategy that has reasonable

probability of succeeding if well executed.

Afuah und Tucci (2001) A firm’s business model is how it plans to make money long

term.

Eisenmann (2002) It is a hypothesis about how a company will make money over

the long term: what the company will sell, and to whom; how

the company will collect revenue; what technologies it will

employ, when it will rely on partners, and, following from the

last two points, how its ‘costs’ will scale with growth.

Tabelle 10: Ausgewählte Definitionen zum Aspekt der Gewinnerzielung369

Um zu erklären, wie ein Unternehmen Geld verdient, ist auch die Frage, welche Faktoren

für den Erfolg eines Unternehmens verantwortlich sind, wieder von Relevanz. Sie wurde

in den Kapiteln 6.1.1 bis 6.3.3 bereits ausführlich beleuchtet und die verschiedenen

Werttreiber, d. h. die Faktoren, die die Grundlage nachhaltiger Wettbewerbsvorteile 367 vgl. McGrath, R. G. und MacMillan, I. (2000) 368 vgl. Tabelle 10 369 vgl. Afuah, A. (2004)

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Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes 107

bilden und somit für den langfristigen Unternehmenserfolg verantwortlich sind, wurden

aufgezeigt.

Einerseits sind Branchenfaktoren wie die Branchenstruktur, die herrschenden

Wettbewerbskräfte, makroökonomische Einflüsse und die Vernetzung mit anderen

Marktteilnehmern wie Partnern und Lieferanten relevant. Andererseits wird die

Rentabilität auf firmenspezifische Faktoren zurückgeführt. Drei Faktoren sind dabei von

besonderer Bedeutung: der Zugang zu materiellen und die Entwicklung immaterieller und

organisationaler Ressourcen, die zu Aktivitäten kombiniert werden, um die vorhandenen

Ressourcen in Marktleistungen zu transformieren und eine entsprechende Positionierung

zu realisieren.

“Both product market strategy and structure, as embodied by the business

model, can enhance the firm’s competitive advantage as well as jointly, and

therefore complement each other.”370

Profitability

I�DUSTRY FACTORSCompetitive forcesCooperative forcesMacro environment

FIRM-SPECIFIC FACTORS

Resources Activities Positions

Abbildung 18: Determinanten des Unternehmenserfolgs371

Da für den Unternehmenserfolg daher sowohl Aspekte der Branchenstruktur als auch

firmenspezifische Faktoren entscheidend sind und das Geschäftsmodell letztlich nur eine

strukturgleiche Abbildung des Geschäfts eines Unternehmens darstellt, sind dieselben

Faktoren bzw. Determinanten des wirtschaftlichen Erfolgs von Unternehmen im

Geschäftsmodell zu berücksichtigen.

370 vgl. Zott, C. und Amit, R. (2007) 371 vgl. Eigene Darstellung in Anlehung an Afuah, A. (2004), S. 10.

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108 Grundlagen des Geschäftsmodellansatzes

Folglich ist auch das Geschäftsmodell eine Funktion der Marktposition, Aktivitäten und

Ressourcen eines Unternehmens, wobei Branchenfaktoren eine moderierende Rolle

spielen. Diese Faktoren finden sich, um die Kategorien Umsatz und Kosten ergänzt, in

Abbildung 19 wieder. Der Grund dafür ist einfach. Unabhängig davon, ob die

Unternehmung die Kostenführerschaft anstrebt oder eine Differenzierungsstrategie

verfolgt, ist die Durchführung der unternehmerischen Aktivitäten mit Kosten verbunden.

Da sich der Gewinn durch die Subtraktion der Kosten von den Erträgen errechnet, ist die

Kostenstruktur nicht nur ein wichtiger Bestand dieser Gewinnkalkulation, sondern auch

des Geschäftsmodells.

I�DUSTRY FACTORSCompetitive forcesCooperative forcesMacro environment

BUSI�ESS MODEL OF THE FIRM

Profitability

Resources Activities Offering

Costs

Revenues

Abbildung 19: Erfolgsfaktoren des Geschäftsmodells372

Ähnlich argumentieren Osterwalder und Pigneur (2002), die den Gewinn eines

Geschäftsmodells schlicht als die Subtraktion der Kosten von den Erträgen definieren,

wobei die Kostenstruktur primär durch das Aktivitätensystem des Unternehmens

determiniert ist.

Auch der Bezugsrahmen von Demil und Lecocq (2010) unterstreicht den systemischen

Charakter des Geschäftsmodells und zeigt die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen

Komponenten des Geschäftsmodells, den Ressourcen und Fähigkeiten, der internen und

externen Organisation (dem Aktivitätensystem bzw. der Wertschöpfungsorganisation) und

der Value Proposition (dem Nutzenversprechen bzw. Angebot für Kunden) einerseits und

der Ertrags- und Kostenstruktur bzw. Marge auf der anderen Seite auf.

Theoretisch sollten sich Veränderungen des Geschäftsmodells daher positiv oder negativ

auf den Erfolg eines Unternehmens, der in diesem Modell als Marge ausgedrückt ist,

372 vgl. Eigene Darstellung

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Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation 109

auswirken. Grundsätzlich wird ein Unternehmen gerade dann versuchen, das

Geschäftsmodell zu verändern, wenn der Erfolg bzw. die Marge gering bzw. rückläufig

ist.373 Aktuelle Beiträge gehen aber so weit, die Veränderungsarbeit als kontinuierlich

fortlaufenden Prozess zu verstehen.374

Resources &Competences

Value PropositionsInternal and External

Organization

Volume & Structureof Costs

Volume & Structureof Revenues

Margin

Abbildung 20: RCOV Framework nach Demil und Lecocq (2010)

Die kontinuierliche Anpassung der konstituierenden Elemente eines Geschäftsmodells

“may leave firms in a permanent state of disequilibrium”375. Trotzdem sind Dynamik und

Veränderung notwendige Übel, denn eine schlechte Performance und Margenverfall sind

Anzeichen für Inkonsistenz zwischen den konstituierenden Elementen eines

Geschäftsmodells. Ein solcher Missfit verlangt nach Veränderung bzw. nach einer

Geschäftsmodellinnovation.

8 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation

Im vorangegangenen Abschnitt wurde das Wesen von Geschäftsmodellen beleuchtet und

eine Definition gefunden. Nun, da der Inhalt und Zweck von Geschäftsmodellen geklärt

sind, beschäftigt sich der folgende Abschnitt mit der Frage, in welcher Beziehung die

Begriffe „Geschäftsmodell“ und „Innovation“ zueinander stehen und was unter dem

373 vgl. Cyert, R. M. und March, J. G. (1963) 374 vgl. Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1997), Mitchell, D. W. und Coles, C. B. (2004) 375 vgl. Demil, B. und Lecocq, X. (2010)

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110 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation

gemeinsamen Begriff der „Geschäftsmodellinnovation“ zu verstehen ist bzw. wie und

warum es dazu kommt.

8.1 Innovation

Innovation heißt wörtlich „Neuerung“ oder „Erneuerung“. Das Wort ist von den

lateinischen Begriffen „novus“ und „innovatio“ – „etwas neu Geschaffenes“ – abgeleitet.

Vater dieser Wortschöpfung ist der Volkswirt Josef Schumpeter, der den Begriff erstmals

1939 in seinem in den USA erschienen Werk ‟Business Cycles” in die Wirtschaftstheorie

eingeführt und populär gemacht hat. Im Deutschen wird der Begriff heute im Sinne von

neuen Ideen und Erfindungen sowie deren wirtschaftlicher Umsetzung verwendet. Somit

sind Innovationen die Einführung von qualitativen Neuerungen mit der Absicht, die

wirtschaftliche Lage eines Unternehmens zu verbessern und Wettbewerbsvorteile zu

schaffen, denn innovative Unternehmen sind profitabler, wachsen schneller, schaffen

mehr Jobs und sind produktiver als ihre Wettbewerber, gerade auch auf reifen Märkten.376

Der Begriff „Innovation“ ist auch in der wissenschaftlichen Literatur gut definiert.

Freeman (1982) differenziert zwischen Innovation und Erfindung (Invention), da

Erfindungen lediglich die Idee oder das Modell sind. Erfindungen umfassen neue Ideen

einschließlich der Konzeptentwicklung und der Erstellung eines Prototyps in der Phase

vor der eigentlichen Markteinführung. Innovationen hingegen ergeben sich erst aus der

konkreten Umsetzung bzw. wirtschaftlichen Verwertung einer neuen Idee oder Erfindung.

“An important distinction is normally made between invention and innovation.

Invention is the first occurrence of an idea for a new product or process, while

innovation is the first attempt to carry it out into practice.”377

In ähnlicher Weise argumentierte Schumpeter378, für den Innovation nicht nur die reine

Erfindung, sondern insbesondere auch deren Durchsetzung in Form einer technischen

oder organisatorischen Neuerung ist. Zumeist liegt der Zweck einer Innovation in der

Lösung eines konkreten Problems. Die letztendliche Zielsetzung ist es, durch Innovation

kurzfristige Monopolstellungen zu verschaffen, die Pionierrenten bieten. Nach

Drucker (1985) bildet Innovation das Kernelement unternehmerischen Handelns. Für ihn

ist Innovation ‟the specific instrument of entrepreneurship. It is the act that endows

resources with a new capacity to create wealth”.379

376 vgl. Capon, N., et al. (1992), Christensen, C. M. und Raynor, M. E. (2003) 377 vgl. Fragenberg, J. (2004), S. 4. 378 vgl. Schumpeter, J. A. (1912) 379 vgl. Drucker, P. (1985), S. 30.

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Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation 111

Im Verlauf der bisherigen Diskussion wurde Innovation immer wieder in Verbindung mit

Begriffen wie „neu“, „Veränderung“ oder „Verbesserung“ gebracht. Aber wie neuartig ist

„neu“ bzw. wie viel Neuigkeit ist notwendig, um von einer Innovation sprechen zu

können? Wie substanziell muss eine Veränderung oder Verbesserung sein, damit sie sich

für diese Kategorie qualifiziert?

Einen hilfreichen Ansatz zur Klärung dieser Fragen stellt das ‟Oslo Manual” der OECD

dar, das zu Beginn der 1990er-Jahre entwickelt wurde, um Untersuchungen, die sich mit

Innovation befassen, zu standardisieren.380 Das Handbuch unterscheidet zwischen

folgenden vier Kategorien:

1. New to the world

2. New to the industry in the country of the operating market of the firm

3. New only to the firm

4. Non-Innovations

Ähnlich argumentiert Schumpeter, für den “[…] to produce other things, or the same

things by different method, means to combine these materials and forces differently […]

Development is then defined by the carrying out of new combinations […]”.381 Es handelt

sich somit um neue Kombinationen, die nicht ursächlich neue Ressourcen, neues Know-

how bzw. neue Fähigkeiten voraussetzen. Um von Innovation zu sprechen, reicht es für

Schumpeter aus, wenn bestehende Ressourcen und Fähigkeiten in neuer Weise kombiniert

bzw. verknüpft werden. Selbst unter veränderten Umweltbedingungen kann schon die

neue Kombination bestehender Ressourcen und Fähigkeiten eine Innovation bedeuten.382

“Knowing how to manage the combinations of existing capabilities is novelty

enough.”383

Die vorliegende Arbeit erhebt keinesfalls den Anspruch, bahnbrechende Innovationen zu

untersuchen. Vielmehr liegt der Fokus auf Innovationen, die in einer Branche bzw. auf

einem Markt oder für das untersuchte Unternehmen neuartig und noch nicht da gewesen

sind.

380 vgl. OECD (2005) 381 vgl. Schumpeter, J. A. (1912), S. 65f. 382 vgl. Loasby, B. J. (1998) 383 vgl. Funder, J. (2002), S. 9.

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112 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation

Ein weiteres wichtiges Merkmal stellt der Modus dar, wobei Weick und Quinn (1999)

zwischen episodischen und kontinuierlichen Veränderungen unterscheiden.

Gleichbedeutend zu diesen beiden Modi wird in der Literatur auch von inkrementellen

versus radikalen384 bzw. auf bestehenden Ressourcen und Pfaden aufbauenden versus

zerstörenden Innovationen385 (Disruptive Innovation) gesprochen.

40% 30% 20% 10% %

extern verursachtePersonalprobleme

unzulänglicheTechnologien

unsicherewirtschaftliche Lage

staatliche/gesetzlicheEinschränkungen

% 10% 20% 30% 40%

Inflexible IT-Infrastruktur

unausgereifteProzesse

Personalprobleme

Begrenztes Budgetfür Investitionen

UnzuträglicheUnternehmenskultur

extern intern

Abbildung 21: Die größten Hürden auf dem Weg zur Innovation386

Die Realisierung von Innovationen ist aber alles andere als ein einfaches Unterfangen. So

kommt die von IBM (2006) durchgeführte Studie zu dem Ergebnis, dass die meisten

Hemmnisse für Innovationen im Unternehmen selbst zu finden sind.387

Hier ist der Manager bzw. Unternehmer als Innovator gefragt, der Schumpeter zufolge auf

der Suche nach neuen Aktionsfeldern den Prozess der schöpferischen Zerstörung

vorantreibt – einerseits indem die nötigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden und

andererseits, was noch viel schwieriger ist, indem eine entsprechend

innovationsfreundliche Unternehmenskultur herrscht.

Was das Objekt bzw. die möglichen Ansatzpunkte betrifft kann sich Innovation sowohl

auf die Erneuerung von Produkten, Prozessen oder Dienstleistungen beziehen. Klassische

384 vgl. Tushman, M. L. und Romanelli, E. (1985), Romanelli, E. und Tushman, M. L. (1994) 385 vgl. Meyer, A. D., et al. (1993), Meyer, A. D., et al. (1993) 386 vgl. IBM (2006), N=765 Interviews mit Führungskräften aus 20 verschiedenen Branchen und 11

Regionen. 387 vgl. Abbildung 21

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Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation 113

Ansatzpunkte waren bisher Produkt- oder Prozessinnovationen eines Unternehmens.388

� Durch Produktinnovationen versuchen Unternehmen, den Nutzen ihres

Angebots zu erhöhen und durch Nachfrageeffekte Wachstum zu generieren.

� Prozessinnovationen hingegen zielen auf die Steigerung der Effizienz im

Unternehmen ab und dienen so der Produktivitätssteigerung und der Reduktion

von Kosten.

Ansatzpunkte für Innovationen finden sich in allen Funktionsbereichen des Unternehmens

(z. B. Produktion, Marketing, Vertrieb etc.) und darüber hinaus. So kann die neuartige

Verknüpfung von Geschäftspartnern oder die Neuordnung des Aktivitätensystems eine

Innovation darstellen. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur von

Geschäftsmodell- oder auch strategischen Innovationen gesprochen. Diese setzen

entweder auf der Ebene einzelner Unternehmen oder Geschäftseinheiten oder auch auf der

Ebene der Wertschöpfungsstruktur ganzer Branchen an.

8.2 Geschäftsmodell und Innovation

Die Geschäftsmodellperspektive eröffnet einen neuen Blickwinkel auf den Prozess

unternehmerischer Wertgenerierung und bildet einen möglichen neuen Ansatzpunkt für

Innovationen.

Durch McKinsey befragte CEOs gaben an, dass “innovation in products, services, and

business models is the single factor contributing the most to the accelerating pace of

change in the global business environment, outranking other factors related to

information and the Internet, talent, trade barriers, greater access to cheaper labour and

capital.”389

Die Geschäftsmodellinnovation hat die wirtschaftliche Umsetzung neuer Geschäftsideen

in Form neuer Geschäftsmodelle sowie die bewusste Erneuerung eines bestehenden

Geschäftsmodells zum Gegenstand. Bekannte Beispiele für Geschäftsmodellinnovationen

finden sich bei Unternehmen wie IKEA oder Dell, die beide die Grundstrukturen und die

Wettbewerbsregeln ihrer Branche verändert haben – IKEA tat dies, indem das

schwedische Möbelhaus einen Teil der Wertschöpfung zum Kunden ausgelagert hat

(Transport und Montage), und Dell, indem das Unternehmen auf Zwischenhändler

verzichtet und ein Build-to-Order-Verfahren in der Produktion eingeführt hat.

388 vgl. Utterback, J. M. (1996) 389 vgl. McKinsey (2006)

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114 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation

Dieser Ansatz sieht den Manager oder Unternehmer als kreativen Gestalter, Architekten

und Innovator des Geschäftssystems – nicht der Produkte und Prozesse, sondern des

Angebots bzw. Leistungsvermögens eines Unternehmens, seiner ökonomischen

Austauschbeziehungen und der Logik, wie es dadurch Nutzen schafft und Gewinne

erzielt.390 Diese Sichtweise vervollständigt damit die Vorstellung des Managers und

Unternehmers als Innovator, nicht nur von Produkten und Prozessen, sondern des ganzen

Geschäftsmodells.

Obwohl Geschäftsmodellinnovationen im strategischen Sinne noch selten sind, können sie

die Wettbewerbsregeln innerhalb einer Branche substanziell verändern bzw. schaffen

sogar ganz neue Branchen. Ein Beispiel dafür ist der iPod von Apple, der in Kombination

mit dem iTunes-Musikstore die gesamte Musikbranche revolutioniert hat.

Gerade in den letzten Jahren läuft die Geschäftsmodellinnovation der klassischen

Produkt- und Prozessinnovation den Rang ab. Einer Studie von IBM zufolge ist die

Geschäftsmodellinnovation bereits heute wichtiger als die traditionellen Innovations-

formen.391

Geschäftsmodellinnovationen setzen im Gegensatz zu Produkt- oder Prozessinnovationen

direkt am Geschäftsmodell eines Unternehmens an. Hier kann zwischen drei Typen von

Geschäftsmodellinnovationen unterschieden werden:

1. Wertinnovation

2. Architektonische Innovation

3. Ertragsmodellinnovation

Diese Unterscheidung geht auf die drei Hauptelemente eines Geschäftsmodells zurück:

die Value Proposition, d. h. das Nutzenversprechen, die Architektur der Wertschöpfung

und das Ertragsmodell.392 Ansatzpunkte zur Geschäftsmodellinnovation ergeben sich

daher entlang der in Kapitel 7.5 beschriebenen Dimensionen eines Geschäftsmodells.

Auf Ebene der Produkt-Markt-Kombination bzw. der Angebotsdefinition sind

gestalterische Eingriffe und Veränderungen möglich, die in der Literatur als

Wertinnovationen bezeichnet werden. Daneben bieten die Konfiguration der

390 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2001) 391 vgl. IBM (2006) 392 vgl. Stähler, P. (2001)

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Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation 115

wertschöpfenden Aktivitäten, d. h. die Kombination von Ressourcen und Fähigkeiten zu

spezifischen Kompetenzen, sowie die Vernetzung mit anderen Akteuren Ansatzpunkte für

sogenannte architektonische Innovationen. Last, but not least kann die Neugestaltung der

Kosten- und Erlösstruktur eine Ertragsmodellinnovation darstellen, die zu einer neuen

Geschäfts- und Ertragslogik führt.

Geschäftsmodell-Innovation

Nutzen- und Wert-Innovationen

(„Value Innovations“)

Architektonische-Innovationen

(„Konfiguration desWertschöpfungssystems“)

Wachstums-/Ertrags-Innovationen

• Art und Mixder Ertragsquellen

• Art und Mixder Wachstumsfelder

• Wie verdiene ich damitGeld?

• Welchen Nutzen fürwelche Kunden mit welchen Angeboten

• Nutzen für Partner

• Wie und für wen schaffeich �utzen und Wert?

• interne Aktivitäten vs. externe Partner• Struktur der Transaktionsbeziehungen• Koordination der Transaktionen• Organisation benötigter Ressourcen

und Fähigkeiten

• Wie strukturieren und organisieren ich dieLeistungserstellung und -erbringung?

Abbildung 22: Ansatzpunkte für eine Geschäftsmodellinnovation393

Die vorliegende Arbeit baut auf der Hypothese auf, dass es sich bei

Geschäftsmodellinnovationen um eine organisationale Kompetenz bzw. Fähigkeiten des

Unternehmens handelt, die erlernbar ist bzw. sind. Wie auch bei Collis (1994) wird im

weiteren Verlauf der Untersuchung von der Existenz sogenannter Metafähigkeiten

ausgegangen, die den Prozess der Kombination von Ressourcen, Fähigkeiten und

Aktivitäten leiten und somit den Bauplan für das Geschäftsmodell liefern. Gleichzeitig

wird Geschäftsmodellinnovation als eine solche dynamische, da erlernbare Metafähigkeit

einer Organisation verstanden, die für die Innovationsfähigkeit des Unternehmens von

entscheidender Bedeutung ist.

Da organisationale Kompetenzen die DNA der Organisation darstellen, die beschreibt,

wie neue Geschäftsmodelle entwickelt, realisiert und angepasst werden, stellt sie

gleichsam eine Heuristik zur Realisierung innovativer Geschäftsideen dar, die ausgelesen

werden, im situativen Kontext des Unternehmens erforscht werden und anhand von

393 Eigene Darstellung

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116 Grundlagen der Geschäftsmodellinnovation

Prozessen und organisationalen Routinen beschreibbar bzw. replizierbar sind.

8.3 Strategische Innovation

Eine Geschäftsmodellinnovation ist immer auch eine strategische Innovation (Strategic

Innovation), da beide Innovationsformen die grundlegende Struktur eines Geschäfts

verändern. Während ein Geschäftsmodell an sich keine Strategie ist, stellt dessen

bewusste Veränderung, um sich von Wettbewerbern zu differenzieren, eine Strategie dar.

Gleichzeitig geht es sowohl bei der Geschäftsmodellinnovation als auch bei der

strategischer Innovation um die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen durch eine

Differenzierung gegenüber Mitbewerbern.

Die Literatur zum Phänomen der strategischen Innovation ist das Ergebnis einer

Strömung innerhalb der Strategieforschung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Konzepte

Strategie und Innovation zu integrieren. Hinter dem Schlagwort „strategische

Innovation‟394 verbirgt sich die Forderung nach der “fundamental reconceptualization of

the business model and the reshaping of existing markets (by breaking the rules and

changing the nature of competition) to achieve dramatic value improvements for

customers and high growth rates”.395

Hamel verbindet die Konstrukte wiederum unter dem Namen Strategieinnovation396

(Strategy Innovation ) miteinander und meint damit ‟the capacity to reconceive the

existing industry model in ways that create new value for customers, wrong-foot

competitors, and produce new wealth for all stakeholders”.397

Gleichzeitig wird von Hamel (1996) und anderen Autoren wie Christensen (2001) und

Kim und Mauborgne (1999) die Bedeutung innovativer Strategiearbeit hervorgehoben. In

Bezug auf den angebotenen Nutzen oder Wert von strategischen Innovationen für den

Kunden wird in der Literatur auch von einer Wertinnovation398 (Value Innovation)

gesprochen.

Kim und Mauborgne definieren Wertinnovation als “a concept that makes the

394 vgl. Martinsons, M. G. (1993), Krinsky, R. J. und Jenkins, A. C. (1997), Markides, C. (1997), Geroski,

P. (1998), Markides, C. (1998), Yates, L. und Skarzynski, P. (1999) 395 vgl. Schlegelmilch, B., et al. (2003), S. 118. 396 vgl. Hamel, G. (1996), Hamel, G. (1998b), Hamel, G. (1998a), Hamel, G. (2000) 397 vgl. Hamel, G. (1998b), S. 8. 398 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1997), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999), Seurat, R. (1999),

Kim, C. W. und Mauborgne, R. (2005)

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Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation 117

competition irrelevant by offering fundamentally new and superior buyer value in existing

markets and by enabling a quantum leap in buyer value to create new markets”.399

Unabhängig von den verschiedenen Bezeichnungen sind diese Ansätze Ausdruck einer

stärkeren Verknüpfung von Strategie- und Innovationsarbeit und trotz der

unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen herrscht zwischen den Autoren in wichtigen

Punkten Übereinstimmung.

Zentrale Inhalte sind neben der Beschäftigung und der Erneuerung der eigenen

Wertschöpfung in Form neuer Geschäftsmodelle das grundlegende Hinterfragen mentaler

Modelle400 und impliziter Regeln401, die Favorisierung eines auf Wachstum ausgerichteten

kreativen Prozesses der Strategieformulierung402, die Neudefinition bestehender

Unternehmens- und Branchengrenzen403 und die Schaffung von Kundennutzen als Basis

für die Gewinnerzielung aus der eigenen Wertschöpfung.404

9 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation

Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht die Auseinandersetzung mit der

Geschäftsmodellinnovation. Im Gegensatz zur Praxis, wo der Begriff seit Längerem in

aller Munde ist und sich als Schlagwort großer Beliebtheit erfreut, zeigt die Wissenschaft

erst seit relativ kurzer Zeit Interesse an dieser Materie.

Folglich stellt das Konzept für die wissenschaftliche Forschung relativ unerforschtes

Neuland dar, da die Thematik erst seit etwas mehr als zehn Jahren Gegenstand

wissenschaftlicher Auseinandersetzungen ist und das Interesse an der Materie seit der

Jahrtausendwende, als die Diskussion vor dem Hintergrund der „New Economy“ ihren

Höhepunkt erreichte, wieder deutlich abgeebbt ist.

Neben den präskriptiven Beiträgen der Beratungspraxis und den in der wissenschaftlichen

Literatur in vielen Facetten diskutierten konzeptionellen Fragen nach dem Wesen von

399 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999), S. 43. 400 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2003), Schlegelmilch, B., et al. (2003) 401 vgl. Hamel, G. (1996), Geroski, P. (1998), Hamel, G. (1998a), Markides, C. (1998), Kim, C. W. und

Mauborgne, R. (1999) 402 vgl. Martinsons, M. G. (1993), Hamel, G. (1996), Krinsky, R. J. und Jenkins, A. C. (1997), Hamel, G.

(1998b), Hamel, G. (1999), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999) 403 vgl. Hamel, G. (1996), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999), Amit, R. und Zott, C. (2001), Kraatz, M.

S. und Zajac, E. J. (2001) 404 vgl. Martinsons, M. G. (1993), Krinsky, R. J. und Jenkins, A. C. (1997), Seurat, R. (1999), Müller-

Stewens, G. und Fontin, M. (2003)

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118 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation

Geschäftsmodellen wird in dieser Arbeit in Erweiterung der theoretischen Betrachtung

auch eine empirische Perspektive eingenommen, die in der Forschung bisher, von

wenigen Ausnahmen405 abgesehen, kaum Berücksichtigung gefunden hat. Dadurch sollen

empirisch fundierte theoretische Erkenntnisse rund um das Problem der

Geschäftsmodellinnovation gewonnen werden.

Um ein theoretisches Problem zu identifizieren und abzugrenzen, benötigt der Forscher

eine theoretische Brille bzw. Perspektive, durch die er die Realität betrachten und

sprachlich wie gedanklich erfassen kann. „Sie kommt in Annahmen, Fragen und

Interpretationsmustern zum Ausdruck, deren Gesamtheit als heuristischer Bezugsrahmen

bezeichnet wird.“406

Kirsch definiert den Bezugsrahmen sinngemäß als

„lediglich eine Vorstufe der Modellentwicklung. Er enthält eine Reihe

theoretischer Begriffe, von denen angenommen wird, dass sie einmal

Bestandteil von Modellen bzw. Theorien werden könnten. Darüber hinaus

umfasst ein theoretischer Bezugsrahmen einige, freilich sehr allgemeine

Gesetzeshypothesen, die jedoch meist nur tendenzielle Zusammenhänge

andeuten.“407

Der Bezugsrahmen ist als „strukturiertes Vorverständnis bzw. als Strukturierung des

bereits vorhandenen Wissens“408 zu verstehen und stellt somit „ein Ordnungsschema für

erkenntnisbezogene und handlungsbezogene Vorstellungen der Realität“409 dar.

Gleichsam dient er als vorläufiges Erklärungsmodell, das den weiteren Forschungsprozess

steuert, und als unmittelbare Orientierungshilfe zur Lösung praktischer Probleme.410 405 vgl. Timmers (1998) dessen Ergebnisse auf detaillierten Fallstudien beruhen, die im Rahmen des von der

europäischen Union finanzierten IT-Forschungsprogramms ESPRIT erstellt wurden. Linder und

Cantrell (2001) führten 70 Interviews mit CEOs, Amit und Zott (2001) überprüften ihre

Hypothesen anhand eines Samples von 59 Startup-Unternehmen, die im Zeitraum zwischen 2000

und 2001 ihr IPO hatten, wobei die Erkenntnisse anhand einiger kurzer Fallbeispiele illustriert

werden. Weill und Vitale (2001) untersuchten 50 Online-Initiativen und entwickelten daraus

Empfehlungen wie bestehende Unternehmen beim Aufbau von Online-Angeboten vorgehen sollten.

Chesbrough und Rosenbaums (2002) Aussagen zur Kommerzialisierung von technologischen

Innovationen stützen sich auf eine empirische Untersuchung von 35 Spin-offs des Xerox PARC.

Auch hier wurden 6 Unternehmen anhand von Fallstudien näher beschrieben. 406 vgl. Kubicek, H. (1977), S. 16. 407 vgl. Kirsch, W. (1971), S. 241. 408 vgl. Rössl, D. (1990), S. 99. 409 vgl. Grochla, E. (1980), S. 65. 410 vgl. Kubicek, H. (1977)

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Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation 119

Sinngemäß lassen sich nach Rössl411 folgende unterschiedliche Zwecke eines

Bezugsrahmens zusammenfassen:

� Er ermöglicht es, das vage Vorverständnis des Forschers zu explizieren und

intersubjektiv nachvollziehbar zu machen.

� Er kann als auf Hypothesen basierender formaler Integrationsrahmen genutzt

werden, um verbindungslose Hypothesen und Ergebnisse aus einem konkreten

Forschungskontext zu integrieren.

� Er kann als Orientierungshilfe für die gezielte Gewinnung, Verfeinerung und

Entwicklung von Erfahrungswissen dienen, um ein Problem besser zu

verstehen, indem dieses Wissen zur Aufarbeitung einer differenzierten

Perspektive angewendet wird.412

Auf Grundlage dieses Verständnisses muss der Bezugsrahmen dieser Arbeit folgenden

Anforderungen gerecht werden:

1. Der Bezugsrahmen soll das Vorverständnis des Forschers offenbaren und die

beabsichtigte Vorgehensweise bzw. Lösungsansätze offenlegen.

2. Er soll eine Synthese der persönlichen Kenntnisse des Forschers und des

aktuellen Stands der Forschung anhand relevanter Literatur zum Phänomen

Geschäftsmodellinnovation bilden.

3. Er soll die Grundlage für eine konkrete, zielgerichtete Vorgehensweise bieten,

um der nachfolgenden empirischen Studie Struktur und Perspektive zu geben.

Der Bezugsrahmen beschreibt, entweder grafisch oder narrativ, das Herzstück des zu

untersuchenden Phänomens, d. h. die Faktoren, Konstrukte oder Variablen und die

mutmaßlichen Beziehungen zwischen diesen. Egal ob der Bezugsrahmen rudimentär oder

detailliert ausgearbeitet ist, so soll er vor allem dazu beitragen, die wesentliche

Fragestellung der Untersuchung leicht erfassbar zu machen, d. h. klar zu beschreiben,

welche Informationen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen, gesammelt und

analysiert werden bzw. welche Aspekte für die Untersuchung ausgeblendet werden.413

Kubicek (1977) schlägt einen dreistufigen Prozess zur Entwicklung des Bezugsrahmens

vor: (1) theoretische Kategorien und Dimensionen identifizieren, (2) relevante

Beziehungen zwischen diesen Elementen aufzeigen (3) und die zentralen

Wirkungszusammenhänge erläutern. Im nun folgenden Abschnitt wird dieses Schema auf 411 vgl. Rössl, D. (1990) 412 vgl. Kubicek, H. (1977) 413 vgl. Miles, R. E. und Huberman, A. M. (1994), S. 18.

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120 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation

die vorliegende Arbeit angewendet, um den Bezugsrahmen414 zu entwickeln.

9.1 Theoretische Kategorien und Dimensionen

Das zentrale Forschungsinteresse dieser Arbeit gilt dem Phänomen der

Geschäftsmodellinnovation, d. h. der organisationalen Kompetenz bzw. Fähigkeit,

innovative Geschäftsideen zu realisieren. Ziel ist die ganzheitliche Betrachtung des

internen Innovations- und Entscheidungsprozesses von der Entstehung einer

Geschäftsidee, Formulierung einer Strategie bis zur Realisierung in Form eines operativ

wirksamen Geschäftsmodells.

Berücksichtigt man die spezifischen Eigenschaften von organisationalen Fähigkeiten, d.

h., dass sie aus Prozessen und Routinen bestehen, die auf erlernten Handlungsweisen und

kollektivem Wissen beruhen, ergeben sich Konsequenzen für die Erforschbarkeit des

Phänomens. Zwei unterschiedliche Vorgehensweisen und Fragestellungen kommen dazu

infrage: Wird eine soziologische Perspektive eingenommen, interessiert insbesondere, wie

Wissen von Individuen sozialisiert wird, also wie es entsteht und sich im Unternehmen

verteilt. Wird hingegen ein psychologischer Blickwinkel eingenommen, der von der

Bedeutung einzelner wichtiger Akteure (zum Beispiel dem mittleren Management)

ausgeht, sind der Prozess der Entscheidungsfindung und der Informationsverarbeitung

sowie der Umgang mit bestehendem Wissen besonders interessant.

Um das Phänomen ganzheitlich erfassen zu können, ist es notwendig, beide Sichtweisen

zu berücksichtigen. Daher folgt die hier gewählte Vorgehensweise der Empfehlung von

Pettigrew (1987), einen möglichst breiten Forschungsansatz zu wählen, der nicht nur den

Prozess individueller Handlungen und Entscheidungen, sondern auch den äußeren und

inneren organisationalen Kontext einbezieht.415

“Theoretical sound and practically useful research on strategic change should

involve the continuous interplay among ideas about the context, the process and

the content of change, together with skill in regulating the relations among the

three.”416

Um die Geschäftsmodellinnovation ganzheitlich zu verstehen, wird somit im Rahmen der

empirischen Untersuchung folgenden drei Aspekten Raum gegeben: Inhalt, Prozess und

Kontext, d. h. dem Wesen und der Gestalt neuer Geschäftsmodelle (Inhalt), der Abfolge 414 vgl. Abbildung 24 415 vgl. Pettigrew, A. (1987) 416 vgl. Pettigrew, A. (1985)

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Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation 121

der Ereignisse, Entscheidungen und Aktivitäten (Prozess) im Unternehmen sowie den

dabei moderierenden Umwelteinflüssen (Kontext).

Abbildung 23: Dimensionen strategischen Wandels417

Der Unternehmenskontext (Kontext) wird von Pettigrew dabei in die zwei Aspekte des

internen und externen Kontexts unterteilt. Der innere Kontext betrifft die administrative

Struktur, die Unternehmenskultur und den politischen Kontext des Unternehmens. Der

äußere Kontext beschreibt das wirtschaftliche, politische und soziale Umfeld, in dem das

Unternehmen tätig ist. Die Kategorie Inhalt bezieht sich auf den Gegenstand des Wandels;

d. h., im Mittelpunkt steht das, was sich ändert. Wie bereits zuvor definiert wurde,

beschreibt der Prozess die Abfolge der Ereignisse und Aktivitäten, wie sich ein Phänomen

im Zeitablauf verändert.

In Anlehnung an die Ausführungen von Pettigrew wurden in den Bezugsrahmen die

Analysefelder „interner/externer Kontext“, „Innovationsprozess“ und „Geschäftserfolg“

als grundlegende Kategorien aufgenommen.

Für die Kategorie Geschäftserfolg wurden in Übereinstimmung mit der einschlägigen

Literatur418 die folgenden vorläufigen Dimensionen definiert: gesellschaftlicher Nutzen,

der die Akzeptanz, den Kundennutzen und somit den Markterfolg widerspiegelt, sowie

Rentabilität und Wachstum, um die Zielgröße nachhaltig profitablen Wachstums zu

operationalisieren. Die Kategorie Kontext, die das interne und externe

Unternehmensumfeld charakterisiert, ist daher zwischen den Dimensionen intern und

extern zu unterscheiden. Die Kategorie Innovationsprozess deckt sowohl die inhaltliche

417 vgl. Pettigrew, A. (1987), S. 5. 418 vgl. Murphy, G. B., et al. (1996), Rüegg-Stürm, J. (2000)

Prozess

Kontext

Inhalt

externer

interner

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122 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation

wie auch die prozessuale Dimension des Forschungsvorhabens ab, bildet den eigentlichen

Gegenstand des Forschungsinteresses und soll im Rahmen der empirischen Untersuchung

explorativ erforscht werden.

9.2 Relevante Beziehungen

Der Prozess der Geschäftsmodellinnovation wird dabei als Bindeglied zwischen der

Formulierung und Realisierung einer Geschäftsidee oder Geschäftsstrategie auf der Ebene

einer Geschäftseinheit verstanden. Ziel ist es, die Geschäftsidee bzw. Strategie in ein

kohärentes System der operativen Wertschöpfungsstrukturen und Geschäftsprozesse zu

überzuführen.

Dem Prozess der Geschäftsmodellinnovation liegen mehrere Beziehungen zugrunde, die

besonders auf der Ebene einzelner Dimensionen genauer untersucht werden sollen.

Einerseits liegt dem Bezugsrahmen die Annahme zugrunde, dass ein direkter

Zusammenhang zwischen der Strategie, dem Geschäftsmodell eines Unternehmens und

seinem Geschäftserfolg besteht.419 Andererseits ist der Innovationsprozess von der

Entwicklung einer Geschäftsidee bzw. Strategie bis zur Realisierung in Form eines

passenden Geschäftsmodells bestimmten Einflüssen des internen und externen

Unternehmenskontexts ausgesetzt; d. h., der Innovationsprozess findet im speziellen

Kontext einer im Wettbewerb stehenden Organisation statt, die ihrerseits bestimmten

moderierenden Umwelteinflüssen ausgesetzt ist.

9.3 Zentrale Wirkungszusammenhänge

Doch die Geschäftsstrategie wird nicht nur durch den zugrunde liegenden Markt bzw. die

in der Branche herrschenden Wettbewerbsbedingungen, sondern genauso durch die dem

Management zur Verfügung stehenden Ressourcen geformt. Dies schließt die Kreativität

des Managements und seine Fähigkeit, innovative Geschäftsideen zu formulieren und

neuartige Geschäftsmodelle zu realisieren, genauso mit ein wie die internen Strukturen,

Systeme und die Kultur eines Unternehmens, die diesen Prozess moderieren. Das

Geschäftsmodell wiederum bietet sich als ideale holistische Analyseeinheit zur

Überprüfung der Wirkungszusammenhänge zwischen der externen Positionierung bzw.

Geschäftsstrategie und der konkreten Ausgestaltung der operativen, wertschöpfenden

Aktivitäten im Unternehmen an. Diese Integration der externen und internen Perspektive

bildet den Rahmen für das strategische Denken im Allgemeinen und somit auch für die

Suche nach innovativen Geschäftsmodellen im Speziellen.

419 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2004), Amit, R. und Zott, C. (2008)

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Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation 123

Folglich muss davon ausgegangen werden, dass der interne und externe Kontext einen

erheblichen Einfluss auf den Inhalt und Prozess der Geschäftsmodellinnovation ausüben.

Im Sinne eines kontingenztheoretischen bzw. situativen Fits (bzw. Missfits) beruht diese

Untersuchungsanordnung auf der Hypothese, dass sich unterschiedliche

Verhaltensweisen, die Routinen im Prozess der Geschäftsmodellinnovation und die

dazugehörigen Konfigurationen des Geschäftsmodells positiv (bzw. negativ) auf den

Geschäftserfolg auswirken. Die Kategorie Geschäftserfolg ist dabei die abhängige

Variable, welche den Erfolg des Geschäftsmodells auf dem Markt widerspiegelt. Folglich

wird in dieser Arbeit eine dynamische Perspektive eingenommen, um die

Innovationsfähigkeit und die Auswirkungen des Innovationsprozesses auf den

Geschäftserfolg forschungsmethodisch erfassen und beurteilen zu können. Gemessen

werden unterschiedliche Routinen und Vorgehensweisen im Prozess der

Geschäftsmodellinnovation sowie die zuvor skizzierten Erfolgsgrößen.

Geschäftserfolg

- gesellschaftlicher Nutzen - Rentabilität- Wachstum

interner Kontext

Innovationsprozess

Interne Einflussfaktoren:z. B.:- Unternehmenskultur- administrative Strukturen- politischer Kontext

externer Kontext

GeschäftsmodellStrategie /

Geschäftsidee

Externe Einflussfaktoren:z. B.:- wirtschaftliches Umfeld- politisches Umfeld- soziales Umfeld

Abbildung 24: Bezugsrahmen für die empirische Untersuchung420

Indem der vorliegende Bezugsrahmen auf dem Vorverständnis und den Thesen des

Forschers sowie der aktuellen Forschung aufbaut, bildet er einen vorläufigen

420 Eigene Darstellung

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124 Bezugsrahmen der Geschäftsmodellinnovation

gedanklichen Rahmen zur narrativen und grafischen Ausführung der Forschungsfrage

dieser Arbeit. Gleichzeitig stellt er eine grob strukturierte Grundlage und

Orientierungshilfe für die nachfolgende empirische Untersuchung bereit.

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Konzeption der empirischen Untersuchung 125

TEIL III: EMPIRISCHE U�TERSUCHU�G

10 Konzeption der empirischen Untersuchung

Dieser Abschnitt ist der detaillierten Darstellung der weiteren Vorgehensweise gewidmet.

Ohne, in eine vertiefte wissenschaftstheoretische Diskussion oder Kritik an den heute

vorherrschenden wissenschaftstheoretischen Positionen und Erkenntnistheorien zu

verfallen, soll darauf jedoch insofern eingegangen werden, als die Festlegung der

methodologischen Grundannahmen Auskunft über das zugrunde liegende

Wissenschaftsverständnis erlaubt. So ergeben sich daraus (1) Implikationen für den

Prozess der Erkenntnisgewinnung, (2) Konsequenzen für die angewendete Methodologie,

(3) Erfordernisse hinsichtlich der Wahl der empirischen Forschungsmethode und (4) der

obligatorischen Qualitätskriterien, anhand derer die Ergebnisse dieser Arbeit zu messen

sind.421 Ausgehend von dem skizzierten Forschungsziel und den Forschungsfragen wird

in Folge der eingeschlagene Weg vorgestellt und die axiomatischen Prämissen

hinsichtlich des Wesens wissenschaftlicher Erkenntnis und die hierzu angemessenen

Methoden wissenschaftlicher Forschung werden begründet.

10.1 Wissenschaftstheoretische Positionierung

Wissenschaftliche Erkenntnisse erheben einen besonderen Geltungsanspruch, die diese

Form von Wissen von anderen Formen des Wissens unterscheidet, denn was unter

wissenschaftlichem Wissen zu verstehen ist, „beruht auf bestimmten Annahmen und

Voraussetzungen, die ihrerseits eine besonders grundlegende Art und Weise von Wissen

darstellen“.422 Wissenschaftlich zu arbeiten, heißt, nach dem Warum zu fragen und sich

nicht mit Erzählungen bzw. Mythen zufriedenzugeben, sondern systematisch und

methodisch weiterzufragen.423

Nach Kant ist Wissenschaft „eine jede Lehre, wenn sie ein System, d. i. ein nach

Prinzipien geordnetes Ganzes der Erkenntnis sein soll“.424 Erstens strebt sie nach

begründeten Aussagen, also Erkenntnis. Zweitens stellt Kants Definition fest, dass es sich

dabei nicht um einzelne begründete Aussagen handelt, sondern diese als Resultat eines

methodischen Verfahrens ein System bilden. Drittens hat dieses System eine

argumentative Struktur; d. h., es ist ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes.

421 vgl. Schülein, J. A. und Reitze, S. (2002) 422 vgl. Rüegg-Stürm, J., et al. (2004), S. 172. 423 vgl. Poser, H. (2001), S. 11. 424 vgl. Kant, zitiert aus Schmidt, R. (1976), S. 21.

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126 Konzeption der empirischen Untersuchung

Wissenschaftliche Erkenntnis zielt daher auf begründete Aussagesysteme, d. h. Theorien,

ab. Die Aufgabe der Forschung ist es, Theorien zu entwerfen, die geeignet sind,

beobachtbare Zustände und Ereignisse dadurch zu erklären, dass sie auf die Gültigkeit

von allgemeinen Hypothesen und allgemeinen Theorien zurückgeführt werden.

Traditionell baut der Prozess der Entwicklung und Reifung von Theorien auf deduktive

Verfahren zur Überprüfung von Hypothesen auf, wobei gerade die Überprüfung laut

Popper (1973) durch eine streng kontrollierbare Beobachtung der Realität und durch die

Elimination von Hypothesen durch Falsifikation erfolgt. Den Kern dieser deduktiven

Vorgehensweise bilden das ständige Aufstellen neuer Hypothesen und deren Falsifikation

durch empirische Forschungsmethoden425, wobei traditionell quantitativen Methoden

gegenüber qualitativen Methoden der Vorzug gegeben wird.

Gleichzeitig baut dieser Forschungsansatz auf traditionellen positivistisch gefärbten

ontologischen und epistemologischen Grundannahmen hinsichtlich der Natur der Welt

auf; d. h., es gilt die durch die naturwissenschaftliche Forschung geprägte Annahme einer

objektiv gegebenen Realität, in der Störeinflüsse kontrollierbar sind.

Vor dem Hintergrund eines immer schnelleren sozialen Wandels und der sich daraus

ergebenden neuen sozialen Welten wird diese positivistisch-deduktive Vorgehensweise

zunehmend infrage gestellt.426

Da im Kontext der Sozialwissenschaften für die empirische Forschung eine objektive,

vom erkennenden Subjekt unabhängige Realität weniger realistisch erscheint, stellt die

postpositivistische Sichtweise, die im Gegensatz zum Positivismus von einer Realität

ausgeht, die erst durch die kognitive Leistung des Subjekts geschaffen, genauer gesagt

konstruiert wird, eine bedeutende Alternative dar.

425 vgl. Ulrich, P. und Hill, W. (1976) 426 vgl. Denzin, N. K. und Lincoln, Y. S. (2000), S. 9.

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Konzeption der empirischen Untersuchung 127

Theorie Erklärende Theorie

Daten Empirische Empirische Empirische(Ebene 2) Generalisierung 1 Generalisierung 2 Generalisierung 3

Daten einzelne einzelne einzelne(Ebene 3) Fakten Fakten Fakten

Ded

uk

tive Üb

erprü

fun

g

Ind

uk

tive Th

eorie-Bild

un

g

Abbildung 25: Die Struktur wissenschaftlicher Erkenntnis (gesetzgebende Ansicht)427

Postpositivistische Forscher entdecken nicht die verborgenen Strukturen einer objektiv

gegebenen Welt, sondern sie selbst konstruieren diese Realität. Wissen wird in einem

Prozess aktiven Erlebens konstruiert. Alternativ zum deduktiv-quantitativen empirischen

Überprüfen von Hypothesen setzt der Postpositivismus bevorzugt auf induktiv-qualitative

Methoden zur explorativen Erforschung neuartiger Phänomene und kritischen Reflexion

historisch gewachsener Regelmäßigkeiten und Wirkungszusammenhänge sozialer

Realität428, um dadurch neue Hypothesen und Theorien zu generieren oder bestehende

Theorien abseits der traditionellen deduktiven Verfahren durch neue Erkenntnis zu

bereichern.

427 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 18. 428 vgl. Rüegg-Stürm, J., et al. (2004), S. 192ff.

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128 Konzeption der empirischen Untersuchung

�eopositivismus Postpositivismus

Ontologie Naiver Realismus – Suche nach den Naturgesetzen hinter einer objektiv gegebenen Realität, die durch quasigesetzliche Beziehungen und Prozesse gekennzeichnet ist; das Sein existiert in Form von Dingen; nomologisches Weltbild

Relativismus – spezifischer, lokaler Kontext der humanen Realität als Produkt des menschlichen Denkens; diskursiv konstruierte soziale Realität; Sprache ist nicht einfach Träger objektiv gegebenen Bedeutungsinhalts, sondern selbst ein generativer Prozess der Konstitution von Wirklichkeit; reflexiv- autopoetisches Weltbild

Epistemologie Dualismus Subjekt/Objekt; Subjekt ist Beobachter, der erkennen und erklären kann, wie sich die Dinge und die abstrakte Realität darstellen; interessierende Phänomene sind von Störeinflüssen abschirmbar, d. h. weitgehend vom Kontext ablösbar, was kontextfreie Untersuchungen zulässt; kann auch subjektiv, d. h. potenziell fehlerhaft, wahrgenommen werden; theoriegestützte deduktive Ableitung oder explorativ-empirische Gewinnung von testbaren Hypothesen; Falsifikation von Hypothesen; auf dieser Grundlage Entdeckung der allgemeingültigen Erklärung von gesetzmäßigen Wirkungszusammenhängen

Erkenntnis wird im Interaktionsprozess zwischen Subjekten dialektisch erzeugt; Forscher ist Teil der Situation und will die Welt verstehen/interpretieren; Bedeutung und Sinn von Aussagen sind in hohem Maß kontextabhängig; Anleitung zur Explikation möglichst authentischer Erfahrungen, Ableitung möglichst vieler Hypothesen zum Kontext der gemachten Äußerungen, Entwicklung eines stimmigen Sinnzusammenhangs, der es erlaubt, die gemachten Beobachtungen nachzuvollziehen und die daraus ermittelten Wirkungszusammenhänge angemessen zu verstehen.

Methodologie Vorwiegend statistische und interpretativ-analytische Verfahren; Verifikation von Hypothesen durch quantitative Methoden (z. B. Experimente), teilweise auch durch qualitative Methoden, speziell bei explorativem Vorgehen; Fragebogen, Interviews, Dokumentenanalyse, stark standardisierte Interviews; der Sinn der Daten steckt in den Daten, d .h., Sprache wird als unproblematischer Träger objektiv gegebener Bedeutungsgehalte betrachtet

Interpretativ-hermeneutische Verfahren; offene Kommunikationsformen sowie Dokumentenanalyse; der Sinn der Daten erwächst sozusagen im Dialog mit diesen Daten anhand des jeweils vorhandenen, in Entwicklung befindlichen Vorverständnisses über den Kontext dieser Daten; Interpretieren des Gegebenen wird mittels qualitativer Methoden abgesichert; minimal strukturierte dialogische Verfahren (Interviews, Beobachtungen, Gruppendiskussionen)

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Konzeption der empirischen Untersuchung 129

Qualitätskriterien Methodische Strenge (Rigor) Objektivität (Intersubjektivität) Zuverlässigkeit (Reliabilität) Interne Gültigkeit (Validität) und externe Generalisierbarkeit (Repräsentativität) Triangulation der Ergebnisse

(Praxis-)Relevanz Plausibilität Systematische Explikation und Reflexion des Forschungskontexts und Kontexts der Beforschten Triangulation der Ergebnisse Nützlichkeit für das menschliche Leben

Tabelle 11: Grundannahmen des �eopositivismus und Postpositivismus429

10.2 Methodologie

In den Sozialwissenschaften hat die theoriebildende Forschung insbesondere durch die

Entwicklung des Grounded-Theory-Ansatzes an Anerkennung gewonnen. Die Grounded

Theory ist eine explizite Forschungsstrategie zur Generierung neuer Theorien.430 Der

Ansatz wurde von Glaser und Strauss (1967) als Reaktion auf den ihrer Ansicht nach

übertriebenen Stellenwert theorieverifizierender Forschung entwickelt.

“Some three decades ago, it was felt that we had plenty of theories but few

confirmations of them – a position made very feasible by the greatly increased

sophistication of quantitative method. As this shift in emphasis took hold, the

discovery of new theories became slighted and, at some universities, virtually

neglected.”431

In den letzten vier Jahrzehnten ist die Grounded Theory zu einem der am weitesten

verbreiteten Verfahren der qualitativ-interpretativen Sozialforschung gereift. Spätestens

seit 1978 gibt es zwei Ausprägungen dieses Verfahrens: eine pragmatische, von Anselm

Strauss inspirierte Variante, die er gemeinsam mit Juliet Corbin in ihren praktischen

Dimensionen näher ausgearbeitet hat, sowie die empirische, am ursprünglichen Konzept

aus dem Jahr 1967432 festhaltende Variante von Barney Glaser. Die weiteren

Ausführungen beziehen sich auf die von Strauss vorgeschlagene Deutung, da sie für diese

Arbeit als die zweckdienlichere, weil wissenschafts- und methodentheoretisch

ausdrucksvollere erscheint.

429 Eigene Darstellung in Anlehnung an Guba, E. G. und Lincoln, Y. S. (1994), S. 109, Rüegg-Stürm, J., et

al. (2004), S. 212f. 430 vgl. Glaser, B. und Strauss, A. L. (1967), Strauss, A. L. und Corbin, J. (1990), Strauss, A. L. und Corbin,

J. (1994), Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996), Strauss, A. L. und Corbin, J. (1998) 431 vgl. Glaser, B. und Strauss, A. L. (1967), S. 10. 432 vgl. Ibid.

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130 Konzeption der empirischen Untersuchung

Da eine direkte Übersetzung von Grounded Theory nicht einfach möglich ist, wird der

Begriff gerne als eine „in empirischen Daten begründete Theorie“433 oder

„gegenstandsbezogene Theorie“434 umschrieben. Im Kern handelt es sich dabei um eine

spezifische Methode zur systematisch-experimentellen Entdeckung von

Wirklichkeitszusammenhängen, die einer klaren, wissenschaftstheoretisch orientierten

Falsifikationslogik unterliegt. Es handelt sich dabei um einen Forschungsstil zur

Erarbeitung von in empirischen Daten begründeten Theorien. Als Ergebnis dieses

induktiv angelegten Forschungsprozesses soll „eine konzeptuell dichte Theorie (..), die

sehr viele Aspekte der untersuchten Phänomene erklärt“435, entstehen.

Glaser und Strauss kritisieren, dass die Verifikation bestehender Theorien die Forschung

davon abhält, neue Problemfelder zu erkunden, und den notwendigerweise explorativen

Charakter von Forschung vermissen lässt.

Wenn ein Forschungsbereich über viele unüberprüfte Theorien verfügt, dann sollte der

Schwerpunkt auf die theorieprüfende Forschung gelegt werden. Demgegenüber sollte in

Forschungsfeldern, die neu bzw. relativ unterentwickelt sind und in denen es an

geeigneten Theorien zur Erklärung von beobachtbaren Phänomenen fehlt, größeres

Augenmerk auf die Generierung neuer Theorien gelegt werden.

Angesichts der im vorigen Abschnitt formulierten Forschungsziele, der Neuartigkeit des

Phänomens Geschäftsmodell und der komplexen sozialen Interaktionen im Prozess der

Geschäftsmodellinnovation, versucht diese Dissertation nicht, Hypothesen und Theorien

zu testen, sondern setzt stattdessen auf die induktiv- explorative Methodologie der

Grounded Theory, da Brown und Eisenhardt436 zufolge diese Methodologie vor allem

dann besonders geeignet ist, wenn das zu untersuchende Phänomen kaum erforscht ist:

“We chose grounded theory building because of our interest in looking at a

rarely explored phenomenon for which extant theory did not appear to be

useful. In such situations, a grounded theory-building approach is more likely to

generate novel and accurate insights into the phenomenon under study than

reliance on either past research or office-bound thought experiments.”437

Meine Forschung zielt auf die Generierung testbarer Hypothesen hinsichtlich der

433 vgl. Strübing, J. (2004) 434 vgl. Hopf, C. und Weingarten, E. (1979) 435 vgl. Strauss, A. (1991), S. 25. 436 vgl. Brown, S. L. und Eisenhardt, K. M. (1997) 437 vgl. Ibid., S. 2.

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Konzeption der empirischen Untersuchung 131

erfolgreichen Gestaltung des Prozesses der Geschäftsmodellinnovation ab und soll zu

einer bereichsbezogenen (mid-range) Theorie438 des Managements von

Geschäftsmodellen führen. Damit beabsichtige ich, den Grundstein für weiterführende

quantitative Untersuchungen zu legen, die meine theoretischen Ergebnisse auf eine

breitere Basis stellen und weiter absichern sollen.

Ich sehe die Methodologie der Grounded Theory als geeignet an, da sie zwischen den

Extrempunkten einer rein objektiven positivistisch-quantitativen Forschung auf der einen

Seite und einer rein subjektiven postpositivistisch-qualitativen Forschung auf der anderen

Seite eine vermittelnde Perspektive einnimmt.439 Die Grounded Theory richtet sich gegen

die traditionelle positivistische Annahme einer objektiv gegebenen Realität, die

vollständig analysiert, erfasst und verstanden werden kann.440 Diesem nomologischen

Weltbild eines naiven Realismus setzt die Grounded Theory die postpositivistische

Perspektive einer spezifischen kontextabhängigen Realität entgegen, die niemals

vollständig objektiv erfasst, sondern bestenfalls approximiert werden kann.441

Trotzdem erlaubt diese Methodologie laut Eisenhardt ‟the development of testable

hypotheses and theory which is generalizable across settings”442; d. h., sie erlaubt durch

das tiefe Verständnis der gesammelten Daten und des spezifischen Kontexts zumindest

bereichsweise, generalisierbare Ergebnisse zu liefern, die den strengen positivistischen

Qualitätskriterien hinsichtlich der Gültigkeit empirischer Erkenntnis Rechnung tragen und

durch die Generierung von Hypothesen die Grundlage für weiterführende quantitative

Arbeiten liefern.

10.3 Forschungsansatz vergleichender Fallstudienforschung

Im nächsten Schritt werden die Bedingungen der wissenschaftlich korrekten Bearbeitung

der eingangs formulierten Fragestellung ergründet, denn in der empirischen Forschung

stellt die Wahl des richtigen Forschungsansatzes und der damit verbundenen Methoden

einen kritischen Erfolgsfaktor dar. Nachdem mit der Grounded Theory eine geeignete

Methodologie identifiziert wurde, wird nun der gewählte Forschungsansatz konkretisiert. 438 vgl. Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996) 439 vgl. Tabelle 11

So definieren Strauss und Corbin Strauss, A. L. und Corbin, J. (1998), S. 3. ihre Methodologie als “a way of

thinking about and studying social reality”. Ihren Forschungsansatz beschreiben sie als die

Methoden der Datenerhebung und Analyse, d.h. als “a set of procedures and techniques for

gathering and analyzing data”. 440 vgl. Guba, E. G. und Lincoln, Y. S. (1994), S. 105. 441 vgl. House, E. R. (1990) 442 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), S. 546.

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132 Konzeption der empirischen Untersuchung

In dieser Arbeit setze ich auf die qualitative Forschungsmethode443 longitudinaler444

vergleichender Fallstudienforschung445, wobei ich dem von Eisenhardt beschriebenen

Ansatz zur Theoriebildung446 folge.

Im Bereich des strategischen Managements hat die Fallstudienforschung eine lange

Tradition, die bis zu den Anfängen dieser Disziplin zurückreicht, da im Rahmen von

Fallstudien komplexe soziale Interaktionen und vor allem auch Entscheidungen in ihrem

spezifischen Kontext untersucht werden können.

“The essence of a case study, the central tendency among all types of case

study, is that it tries to illuminate a decision or set of decisions: why they were

taken, how they were implemented, and with what results.”447

In der Forschung werden Fallstudien vor allem dann eingesetzt, wenn sich die

Fragestellung der Arbeit auf das Wie und Warum bezieht, es sich dabei um aktuelle

Phänomene handelt und der Untersuchende wenig Kontrolle über die Ergebnisse hat.

Weiters eignet sich diese Methode ausgesprochen gut zur Untersuchung aktueller

Gegebenheiten und Phänomene in ihrem realen Lebenszusammenhang. Besonders

nützlich sind Fallstudien dann, wenn die Grenzen zwischen dem Phänomen und seinem

Kontext nicht klar ersichtlich sind, d. h. das Phänomen nur im konkreten

Anwendungszusammenhang verständlich und erklärbar ist. Dieses Verständlichmachen

komplexer sozialer Phänomene ist somit eine der großen Stärken der Fallstudienmethode.

“A case study is an empirical inquiry that investigates a contemporary

phenomenon within a real-life context, especially when the boundaries between

the phenomenon and the context are not clearly evident.”448

Ich habe diesen Forschungsansatz gewählt, da er sich in Bezug auf die von Yin genannten

drei Kriterien hinsichtlich (1) der Art der gestellten Forschungsfrage, (2) des Ausmaßes

an Kontrolle des Forschers über das Untersuchungsobjekt und (3) des Grads der

443 Zum Begriff und Verständnis der qualitativen Forschung vgl. Miles, R. E. und Huberman, A. M. (1994),

Lee, T. W. (1999), Denzin, N. K. und Lincoln, Y. S. (2000) 444 Zum Ansatz der longitudinalen Fallstudienforschung vgl. Leonard-Barton, D. (1990), Pettigrew, A.

(1990) 445 vgl. Stake, R. E. (1995), Yin, R. K. (2003) 446 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), Eisenhardt, K. M. (1991), Eisenhardt, K. M. und Gräbner, M. (2007) 447 vgl. Schramm, W. (1971) 448 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 13.

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Konzeption der empirischen Untersuchung 133

Fokussierung auf zeitnahe im Gegensatz zu historischen Ereignissen449 zur Erforschung

der im Rahmen dieser Arbeit gestellten Forschungsfrage als in gleichen Maßen geeignet

erweist.

10.3.1 Art der Forschungsfrage

Wie bereits angedeutet wurde, sollte der gewählte Forschungsansatz gut zur

Forschungsfrage passen, da eine gute Koppelung zwischen Forschungsfrage und

Forschungsmethode einen wesentlichen Beitrag zur konzeptionellen Klarheit leistet.

Verschiedene Forschungsfragen verlangen nach unterschiedlichen Forschungsansätzen

und -methoden. Die Art und Weise, wie die Forschungsfrage formuliert ist, hat

Implikationen dafür, wie die Forschung angelegt werden muss, um die Fragestellung

letztendlich zu beantworten.

Abbildung 26: Zusammenspiel von Forschungsfrage, Daten und Methode

Bei der Formulierung der Forschungsfrage muss auf die richtige Wortwahl Bedacht

genommen werden, da die Bedeutung bestimmter Worte ihrerseits methodologische

Ansätze implizieren könnte. Folglich suggerieren Worte wie „Variablen“, „Faktoren“ und

„Determinanten“ oder „Korrelation von“ einen quantitativen Forschungsansatz, während

„entdecken“, „zu verstehen versuchen“ und „einen Prozess erforschen“ einen qualitativen

Ansatz implizieren. So werden die letzten drei Formulierungen ganz explizit mit der

Methodologie der Grounded Theory bzw. mit der Fallstudienmethode in Verbindung

gebracht.450

Weiters eignet sich Yin (2003) zufolge die Fallstudienforschung besonders zur

Untersuchung von Forschungsfragen, die nach dem Wie oder Warum fragen. Bezogen auf

die im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchende Forschungsfrage, wie der Prozess der

Geschäftsmodellinnovation im Kontext großer Unternehmen erfolgreich zu beschreiten

ist, liegt genau eine solche Frage vor. In Abhängigkeit vom Forschungsziel wird

grundsätzlich zwischen den drei Kategorien explanativer, deskriptiver und explorativer

Fallstudien unterschieden.

449 vgl. Ibid., S. 5ff. 450 vgl. Creswell, J. W. (1994), S. 71.

Ist die Forschungsfrage

empirisch erforschbar?

Mit welchen Daten ist die Frage zu

beantworten?

Welche Methode

liefert die benötigten Daten?

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134 Konzeption der empirischen Untersuchung

Während deskriptive Fallstudien primär beschreibender Natur sind und sich explanative

Fallstudien zum Testen von Hypothesen anbieten, zielen explorative Fallstudien auf die

Generierung von Hypothesen ab. Eine klare Abgrenzung ist jedoch nicht immer möglich,

da sich die verschiedenen Formen auch teilweise überschneiden oder parallel zur

Anwendung kommen.

In Übereinstimmung mit der gewählten Methodologie der Grounded Theory und dem

theoriebildenden Fallstudienansatz nach Eisenhardt (1989a) und Eisenhardt und Gräbner

(2007) setze ich auf explorative Fallstudien.

10.3.2 Ausmaß an Kontrolle über das Untersuchungsobjekt

Auch wenn qualitative Forschungsergebnisse bisweilen als fehlerhaft und schlecht

generalisierbar eingestuft werden, birgt ein qualitativer Forschungsansatz wie die

Fallstudienmethode auch viele Vorteile. Fallstudienforschung eignet sich besonders dazu,

soziokulturelle Systeme, Ereignisse und Aktivitäten ganzheitlich zu verstehen.451

Um Entscheidungen, Prozesse und Praktiken nachvollziehen zu können, setzt dies

Kenntnisse der spezifischen Situation eines Unternehmens voraus. Die

Entstehungsgeschichte eines neuen Geschäftsmodells rekonstruieren, verstehen und

erklären zu können, warum Entscheidungen so und nicht anders getroffen wurden, setzt

voraus, die spezifische Geschichte, den Unternehmenskontext und die Akteure zu kennen.

Dazu ist es notwendig, die komplexe soziale Interaktion sowie die Handlungen und

Entscheidungen im jeweiligen Unternehmenskontext zu erfassen und zu analysieren.

Daher erfordert die Untersuchung von Prozessen neben historischen Sekundärdaten auch

die persönliche Befragung von Menschen, die in den komplexen sozialen Kontext eines

Unternehmens eingebettet sind. Obwohl es kaum möglich ist, die Interviewpartner von

kontextspezifischen (Stör-)Einflüssen abzuschirmen, und die Kontrolle über das

Untersuchungsobjekt daher relativ gering erscheint, liefern solche Interviews detaillierte

und tiefgehende Befunde und Ergebnisse der realen Begebenheiten.

10.3.3 Fokussierung auf zeitnahe Ereignisse

Weiters eignen sich qualitative Forschungsmethoden im Allgemeinen und die

Fallstudienmethode im Besonderen speziell dann, wenn der Forscher in ein junges, noch

unbearbeitetes Forschungsfeld einsteigt.452 Im Hinblick auf den Grad der

Gegenwartsbezogenheit wird mit der Diskussion des Phänomens der

451 vgl. Stake, R. E. (1995), Yin, R. K. (2003) 452 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), Yin, R. K. (2003)

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Konzeption der empirischen Untersuchung 135

Geschäftsmodellinnovation eine aktuelle, wenig erforschte Fragestellung aufgegriffen, die

folglich nicht als historisch, sondern aktuell einzustufen ist.

Das Erkenntnisobjekt stellt im Kontext des strategischen Managements ein neues,

theoretisch schwach fundiertes Konstrukt dar und mit der Frage nach der Fähigkeit der

Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen eröffnet sich eine bisher wenig beachtete

Perspektive auf die praktische Arbeit des Managements auf der Ebene einzelner

Geschäftsbereiche. Schon der grundlegenden Begriffsdeutung nach ist Innovation nicht

statisch, sondern vollzieht sich im Zeitablauf. Somit ist es zu wenig, das Phänomen nur im

Zeitpunkt zu beobachten, sondern die Betrachtung muss über einen bestimmten Zeitraum

erfolgen. Laut Pettigrew (1990); (1992b) wäre es ideal, Veränderung in Echtzeit zu

studieren: ‟to catch reality that is in flight”. Da dies nicht immer möglich ist, versuche

ich, aktuelle mit historischen Ereignissen und Aktivitäten zu verknüpfen, und wende ein

longitudinales, nach Maßgabe der Daten auch retrospektives Fallstudiendesign an. Laut

van de Ven und Poole453 eignet sich eine solche Vorgehensweise besonders gut, um

Prozesse zu untersuchen.

Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass sich der longitudinale

Fallstudienansatz zur Theoriebildung454 sehr gut dazu eignet, komplexe soziale

Phänomene wie z. B. Entscheidungen und Prozesse im Rahmen unternehmerischen

Wandels zeitnahe und in ihrem unmittelbaren realen Unternehmenskontext zu erfassen,

um zu erklären, wie und warum sich diese Phänomene im Zeitablauf entwickeln.

10.4 Gütekriterien empirischer Forschung

Um die Qualität der Erkenntnisgewinnung im Wege qualitativer empirischer Forschung

zu bewerten, müssen die verschiedenen Aspekte des Untersuchungsverlaufs und der

angewendeten Methoden kritisch hinterfragt und mit alternativen Strategien verglichen

werden. Für die Beurteilung der Güte der mittels Fallstudien gebildeten Theorie sind

Fragen zum Gang der empirischen Untersuchung von entscheidender Bedeutung. Wurde

eine streng analytische Vorgangsweise eingehalten? Unterstützen die Fakten die Theorie?

Können abweichende Interpretationen ausgeschlossen werden? Sind die Ergebnisse

allgemeingültig oder ist ihre Gültigkeit auf einen bestimmten Anwendungszusammenhang

begrenzt?

Neben der kritischen Reflexion tragen bereits die ausführliche Beschreibung und

453 vgl. Van de Ven, A. H. und Poole, M. S. (1990), Van de Ven, A. H. (1992) 454 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), Pettigrew, A. (1990)

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136 Konzeption der empirischen Untersuchung

sorgfältige Dokumentation des Forschungsprojekts zur Güte der Arbeit bei, da dadurch

der Gang der Untersuchung wiederholbar und das Ergebnis nachvollziehbar ist.

Um die Qualität empirischer Forschung zu bestimmen, werden traditionell vier Tests

hinsichtlich der hier kurz zusammengefassten vier Gütekriterien (1) Konstruktvalidität,

(2) interne Validität, (3) Generalisierbarkeit und (4) Reliabilität angestellt.455 Da die

Fallstudienforschung nur eine Durchführungsart empirischer Forschung darstellt, sind

diese vier Gütekriterien auch auf das vorliegende Forschungsdesign anwendbar.

Besondere Aufmerksamkeit wurde den verschiedenen Taktiken zur Verbesserung und

Erhöhung der Gültigkeit und Qualität der empirischen Ergebnisse gewidmet.

10.4.1 Konstruktvalidität

Konstruktvalidität bezieht sich auf die Qualität der Operationalisierung und Messung der

zu untersuchenden Konstrukte. Grundsätzlich ist damit die Frage verbunden, wie gut die

gewählte Herangehensweise die korrekte Erfassung der Realität ermöglicht.456 Bevor mit

der eigentlichen Datenerhebung begonnen wird, ist es notwendig, die untersuchten

Konstrukte zu konkretisieren und messbar zu machen. Im nächsten Schritt der

Datenerhebung besteht die Herausforderung darin, die Realität unverzerrt zu erfassen. Um

die Validität der empirischen Ergebnisse sicherzustellen und für die saubere, unverzerrte

Messung relevanter Variablen zu sorgen, werden drei spezifische Taktiken angewendet.457

Eine Möglichkeit besteht darin, mehrere Datenquellen zu kombinieren, um ein

spezifisches Phänomen auf unterschiedliche Weise zu messen. Wenn die

unterschiedlichen Quellen zu konvergierenden Resultaten führen, steigt dadurch die

Validität der Ergebnisse.458 Die transparente und intersubjektiv nachprüfbare Darstellung

der gesamten Beweiskette, die von der anfänglichen Fragestellung über die

Operationalisierung der Konstrukte und die Messung der Daten über die Herleitung von

Hypothesen bis zum Endergebnis führt, stellt nach Yin (2003) ein weiteres Mittel zur

Verbesserung der Konstruktvalidität dar.

Diese beiden hier vorgestellten formalen Taktiken wurden im Verlauf der Datenerhebung

zur Qualitätssicherung eingesetzt. Zur Plausibilisierung und Absicherung der Konstrukte

wurden die vorläufigen Ergebnisse mit Experten bzw. mit einzelnen Interviewpartnern

diskutiert. Dieser dreistufige Prozess soll sicherstellen, dass die Resultate nicht durch

455 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 33-39. 456 vgl. Denzin, N. K. und Lincoln, Y. S. (2000) 457 vgl. Yin, R. K. (2003) 458 vgl. Leonard-Barton, D. (1990)

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Konzeption der empirischen Untersuchung 137

eigene, subjektive Eindrücke und Empfindungen im Verlauf der Datenerhebung und -

analyse verzerrt wurden.

10.4.2 Interne Validität

Wenn der Forscher nicht direkt beobachten kann und zu Folgerungen gezwungen ist459

beziehungsweise sich auf Interviewpartner und sekundäre Datenquellen wie Dokumente

verlassen muss, stellt sich immer die Frage nach der internen Validität der Ergebnisse.

Interne Validität ist vor allem dann wichtig, wenn kausale Zusammenhänge zwischen

Variablen von Bedeutung sind, wie dies bei explanativen Fallstudien der Fall ist. Dabei

versucht der Beobachter, herauszufinden, ob das Ereignis x zum Ereignis y führt.

Gleichzeitig muss aber auch ausgeschlossen werden, dass ein intervenierendes Ereignis z

zum Ereignis y führt. Wie diese Beschreibung bereits offenbart, ist dieser Test vor allem

bei experimenteller und quasiexperimenteller Forschung von großer Bedeutung.

Im Gegensatz zu den experimentellen Anordnungen der Varianzforschung versucht dieser

Forschungsansatz jedoch nicht, die Wirkungszusammenhänge zwischen bekannten

Variablen zu testen, sondern in einem explorativen Prozess erfolgreiche Praktiken der

Geschäftsmodellinnovation zu identifizieren und daraus Hypothesen zu bilden bzw. eine

Methodologie zu entwickeln, die eine erfolgreiche Innovationsarbeit ermöglicht. Dieser

explorative Ansatz hat zum Ziel, relevante Dimensionen und Beziehungsmuster aus den

Daten herauszulesen. Dazu dienen Verfahren, wie sie in Abschnitt 11.5 „Datenanalyse“

vorgestellt werden.

Eine hilfreiche Taktik zur Erhöhung der internen Validität stellt für diese Arbeit der

Prozess der Hypothesengenerierung nach Glaser und Strauss (1967) dar. Um den

Prozessverlauf von Geschäftsmodellinnovationen im Zeitablauf zu erfassen, wird die

Chronologie der Ereignisse festgehalten. Eine vereinfachte, dafür aufschlussreichere

Vorgehensweise ist es, in Analogie zum quantitativen Verfahren der Zeitreihenanalyse

(Time-Series Analysis) die Abfolge der Ereignisse in Ablaufdiagrammen zu erfassen und

zu analysieren.

10.4.3 Generalisierbarkeit

Generalisierbarkeit beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die Forschungsergebnisse

über den direkten Kontext von Fallstudien hinaus verallgemeinert werden können.

Traditionell ist das Problem der externen Validität von Fallstudien einer der wesentlichen 459 vgl. Yin, R. K. (2003)

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138 Forschungsdesign

Kritikpunkte an diesem Forschungsansatz. Da Fallstudien im Gegensatz zu klassischen

quantitativen Studien nicht auf statistischer, sondern analytischer Generalisierbarkeit

beruhen, ist es nicht angebracht, Fallstudien als Analogie zu Stichproben aus einer

Grundgesamtheit zu betrachten.460 Die analytische Generalisierbarkeit zielt darauf ab,

spezifische Resultate zu einer Theorie zu verallgemeinern. Indem mehrere Fallstudien

durchgeführt werden, kommt eine sogenannte Replikationslogik zur Anwendung.461

Allerdings sollte die Theorie in einem größeren Kontext nochmals getestet werden,

wodurch die Generalisierbarkeit der Ergebnisse erhöht wird.

Auf das Problem der Generalisierbarkeit wird in Kapitel 11.2 bei der Auswahl der

Fallstudien nochmals explizit hingewiesen und der Geltungsbereich auf

Geschäftsmodellinnovationen in Großunternehmen der deutschsprachigen

Versicherungsbranche eingegrenzt.

10.4.4 Reliabilität

Die Reliabilität zu verbessern, bedeutet, Fehler und die Verzerrung der Resultate zu

minimieren.462 Im Vordergrund steht, den Nachweis zu erbringen, dass unabhängig von

der Person des Forschers die wiederholte Durchführung des dokumentierten Vorgehens

zum selben Ergebnis wie die ursprüngliche Untersuchung führt. Die Voraussetzung dafür

ist, den genauen Gang der Forschung dokumentarisch festzuhalten. Nützliche Werkzeuge

dazu sind das Fallstudienprotokoll oder die Fallstudiendatenbank.

Durch die Anwendung der empfohlenen Taktiken und Verfahren zur Qualitätssicherung

im ganzen Verlauf der Arbeit wird versucht, Resultate zu erzielen, die ein hohes Maß an

Validität, Generalisierbarkeit und Verlässlichkeit aufweisen.

11 Forschungsdesign

Aufbauend auf der Methodologie der Grounded Theory und dem Forschungsansatz der

longitudinalen, retrospektiven Fallstudienmethode werden nun die empirische

Vorgehensweise und der Gang der Untersuchung detailliert offengelegt. Vornehmlich

betrifft dies die Auswahl der Fallstudien, die detaillierte Beschreibung der im Rahmen

dieser Arbeit gewählten Werkzeuge der Datenerhebung und die analytische Auswertung

der Daten. Grundsätzlich stellt das Forschungsdesign die logische Abfolge der Aktivitäten

dar. Sie umfasst alle Arbeitsschritte von der Konkretisierung der zugrunde liegenden

460 vgl. Ibid. 461 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), Eisenhardt, K. M. und Gräbner, M. (2007) 462 vgl. Yin, R. K. (2003)

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Forschungsdesign 139

Forschungsfrage bis zur Erhebung der empirischen Daten im Feld, bis der Forscher zu

konkreten Ergebnissen gelangt, die die Grundlage für weitere Untersuchungen bilden.

Yin (2003) bezeichnet das Forschungsdesign als “a logical plan for getting from here to

there, where here may be defined as the initial set of questions to be answered, and there

is some set of conclusions (answers) about these questions.”463

Abbildung 27: Prozess der Theoriebildung mit Fallstudien464

Um von den Daten, die im Rahmen von Fallstudien gesammelt werden, zu abgesicherten

Hypothesen und einer Theorie der dynamischen Fähigkeit der Geschäftsmodellinnovation

zu gelangen, wurde ein integriertes Forschungsdesign gewählt, das die qualitative

Methode465 der Fallstudienforschung466 mit dem datenbasierten Ansatz der Grounded

Theory467 und dem mehrstufigen Prozess der Theoriebildung mit Fallstudien (Abbildung

13) nach Eisenhardt (1989a) verbindet.

463 vgl. Yin Ibid., S. 20.. 464 Eigene Darstellung des Prozesses der Fallstudienforschung nach Eisenhardt, K. M. (1989a) 465 vgl. Miles, R. E. und Huberman, A. M. (1994) 466 vgl. Stake, R. E. (1995), Yin, R. K. (2003) 467 vgl. Glaser, B. und Strauss, A. L. (1967), Strauss, A. L. und Corbin, J. (1990), Strauss, A. L. und Corbin,

J. (1994), Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996), Orton, J. D. (1997), Strauss, A. L. und Corbin, J.

(1998)

Auswahl der

Fallstudien Entwurf der Forschungswerkzeuge

Datenerhebung

im Feld Initiierung

Datenanalyse

Generierung von

Hypothesen Abgleich mit

der Literatur

Abschluss der

Forschung

1

2 3

4

5

6 7

8

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140 Forschungsdesign

Besonders der iterative achtstufige Prozess der Theoriebildung mittels Fallstudien bietet

einen Fahrplan und nützliche Hinweise zur Strukturierung des weiteren Vorgehens, wobei

zwischen den verschiedenen Arbeitsschritten immer wieder vor- und zurückgesprungen

wird. Um eine detaillierte Wegbeschreibung über den Verlauf der empirischen Arbeit zu

geben, werden schlaglichtartig die einzelnen Schritte dargelegt, um die wesentlichen

Aktivitäten und die gewählte Vorgehensweise anschaulich zu dokumentieren.

11.1 Initiierung

Wie bei jedem Forschungsdesign bildete die Forschungsfrage den Ausgangspunkt der

Untersuchung. Während die Ausrichtung des Forschungsvorhabens, die Problemstellung

aus Sicht von Theorie und Praxis und das interessierende Phänomen im ersten Abschnitt

bereits grob beschrieben wurden, war es vor Beginn der eigentlichen empirischen

Untersuchung notwendig, die anfänglich grob formulierte Forschungsfrage zu

konkretisieren. Im Verlauf der Arbeit an diesem Dissertationsprojekt hat sich die

Forschungsfrage mehrmals geändert und es wurden die Breite und Tiefe der

Untersuchung nur langsam mit Fortdauer des Forschungsprojekts Zug um Zug weiter

eingeschränkt und es wurde die Fragestellung fokussiert.

Die Spezifizierung der Forschungsfrage kann deduktiv auf Basis der vorhandenen

Literatur erfolgen, indem frühere Erkenntnisse und Theorien hinsichtlich der zugrunde

liegenden Konstrukte einbezogen werden. Eine solche Herangehensweise ist bei

explanativen, hypothesentestenden Fallstudien unumgänglich. Im Gegensatz zur

theoriegelenkten Konkretisierung setzt der Grounded-Theory-Ansatz nach Glaser und

Strauss (1967) auf die möglichst freie explorative Untersuchung interessanter Phänomene,

um mit der Zeit in einem iterativen Prozess rein induktiv aus den Daten eine genauere

Spezifikation der Konstrukte vorzunehmen. In der vorliegenden Arbeit wurde eine

Kombination aus beiden Strategien gewählt.

Obwohl grundsätzlich ein explorativ-induktiver Forschungsansatz gewählt wurde, ist es

fast unmöglich, ohne Vorverständnis und Theorie an die Fragestellung heranzugehen.468

Wie bereits einleitend argumentiert wurde, stellt die Klärung der zugrunde liegenden

Konstrukte Geschäftsmodell und Innovation ein vorrangiges Ziel der Arbeit dar. Da allein

für Geschäftsmodelle bereits verschiedenste Definitionen existieren, erschien es wenig

zielführend gewesen, selbst ein neues Begriffsverständnis zu entwickeln und die

bestehende Literatur gänzlich außer Acht zu lassen. Stattdessen war das Hauptaugenmerk

468 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), S. 536..

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Forschungsdesign 141

auf die kritische Reflexion der bestehenden Literatur gerichtet, um den aktuellen Stand

der Forschung darzustellen und so einen geeigneten Einstiegspunkt für die vorliegende

Arbeit zu finden. Durch diesen konzeptionellen Bezugsrahmen, der in Abschnitt 9 bereits

vorgestellt wurde, wurde versucht, zum besseren Verständnis der Fragestellung und des

eigentlichen Gegenstands der Arbeit beizutragen und einige interessante Konstrukte

aufzuzeigen, die für den weiteren Verlauf der Arbeit relevant erscheinen.

Die im Rahmen dieser Dissertation untersuchte Forschungsfrage, wie Unternehmen den

Prozess der Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen, d. h. die Innovation und

Erneuerung der Geschäftsmodelle im Kontext eines sich wandelnden

Wettbewerbsumfelds erfolgreich managen, wurde enger gefasst, indem nähere Angaben

zum Geschäftsmodellkonstrukt und zum zugrunde liegenden Prozess strategischer

Innovation und Erneuerung gemacht wurden. Insbesondere die Annahme, dass der

Prozess der Innovation von Geschäftsmodellen eine organisationale Kompetenz darstellt,

soll der Untersuchung ein theoretisches Fundament geben. Dieser Bezugsrahmen gibt der

Arbeit Orientierung und hilft dabei, die weitergehende Untersuchung zielgerichtet auf das

zugrunde liegende Forschungsinteresse, die erfolgskritischen Faktoren und wesentlichen

Wirkungszusammenhänge im Prozess der Realisierung von

Geschäftsmodellinnovationen, auszurichten. Gleichzeitig wurde aber vermieden, sich auf

etwaige in der bestehenden Literatur spezifizierte Variablen oder Kausalitäten

festzulegen, um möglichst unbefangen, jedoch für das Wesentliche sensibilisiert in die

empirische Untersuchung zu gehen und aktiv nach Ursachen und Wirkungen zu forschen.

11.2 Auswahl der Fallstudien

Die wichtigen nächsten Schritte in der Fallstudienforschung stellen die Eingrenzung des

Forschungsfelds und die Auswahl geeigneter Fälle dar. Während die quantitative

Forschung auf statistische Verfahren und die zufällige Auswahl von Stichproben setzt,

erfolgt die Auswahl der Fälle im Rahmen der Fallstudienforschung nach theoretischen

Auswahlkriterien; d. h., es werden nur solche Fälle gewählt, die der Theoriebildung

dienen.469 Somit kann die Auswahl der Fallstudienkandidaten vergleichsweise

opportunistisch erfolgen, solange dadurch das Ziel der Theoriebildung unterstützt wird.

Wie bereits angeführt wurde, verfügt jedes Unternehmen über ein Geschäftsmodell, doch

nicht jedes Unternehmen beschäftigt sich damit.470 Für diese Untersuchung sind jedoch

nur solche Unternehmen relevant, die bereits erste Erfahrungen mit Initiativen zur

469 vgl. Glaser, B. und Strauss, A. L. (1967) 470 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2003)

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142 Forschungsdesign

Geschäftsmodellinnovation oder der Realisierung innovativer Geschäftsmodelle

gesammelt haben, da nur aus solchen Fällen Thesen hinsichtlich der erfolgreichen

Gestaltung eines solchen Prozesses gewonnen werden können. Ausgehend von der

interessierenden Fragestellung kann daher die Grundgesamtheit auf jene Unternehmen

eingeengt werden, die sich bereits über einen gewissen Zeitraum intensiver mit dem

eigenen Geschäftsmodell auseinandersetzen.

Wie aktuelle quantitative Studien von IBM Business Consulting (2006) und Economist

Intelligence Unit (2005) belegen, wird der Geschäftsmodellinnovation in manchen

Branchen eine höhere Bedeutung beigemessen als in anderen. Während insgesamt 54 %

der von EIU Befragten der Geschäftsmodellinnovation besondere Bedeutung beimessen,

sind es in produzierenden Branchen nur 44 %, in der Finanzdienstleistungsbranche dafür

aber sogar 60 % der Befragten. Um das Forschungsfeld weiter einzuschränken, habe ich

mich folglich für Fallstudien aus der Finanzdienstleistungsbranche entschieden, da in

diesem Bereich das Interesse für Geschäftsmodelle laut Studien überdurchschnittlich hoch

ist.

Aktuelle wissenschaftliche Publikationen zur Veränderung von Geschäftsmodellen in der

Biotechnologie-471, der Luftfahrt-472 und Tourismusbranche473 liefern weitere Indizien

dafür, dass die Geschäftsmodelldiskussion in dynamischen bzw. von starkem

Wettbewerbsdruck gekennzeichneten Branchen intensiver geführt wird als in anderen.

Folglich macht die Einschränkung des Forschungsfelds auf eine bestimmte Branche Sinn,

da in bestimmten Branchen aufgrund der höheren Wettbewerbsintensität auch die

Relevanz von Geschäftsmodellinnovationen schlicht und ergreifend größer ist.

Gleichzeitig steigt in diesen Branchen die Wahrscheinlichkeit,

Geschäftsmodellinnovationen beobachten zu können.

Zwar reduziert sich dadurch auch der Geltungsbereich der resultierenden Theorie auf eine

gewisse Branche, doch ich glaube, gerade mit einer solch bereichsbezogenen Theorie für

diese Branche einen nützlichen und praxisrelevanten Beitrag leisten zu können.

Gleichzeitig wurde so die Grundgesamtheit möglicher Fallstudienkandidaten auf eine

kleine, dafür aber vielversprechende Gruppe reduziert.

Durch die Festlegung auf die deutschsprachige Versicherungsbranche wurde hinsichtlich

der Grundgesamtheit möglicher Fälle eine Eingrenzung vorgenommen. Letztendlich

erfolgte die enge Abgrenzung in Zusammenarbeit mit dem Leiter des Geschäftsbereichs 471 vgl. Meinhardt, Y. (2002), Meinhardt, Y. und Schweizer, L. (2002), Broglie, C. (2004) 472 vgl. Markides, C. und Charitou, C. D. (2004), Yip, G. S. (2004), Bieger, T. (2005) 473 vgl. Bieger, T. und Jäger, S. (2001), Bieger, T. und Laesser, C. (2004)

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Forschungsdesign 143

Kraft Privat der ASSEKURANZ, eines führenden deutschen Versicherungskonzerns,

indem das Forschungsinteresse auf wachstumsorientierte Geschäftsmodellinnovationen

im Bereich der privaten Kraftfahrzeugversicherung in Deutschland im Zeitraum von 2002

bis 2008 eingegrenzt wurde.474

Diese enge Abgrenzung des Forschungsfelds führt zu einer besseren Vergleichbarkeit der

Fallstudien und erleichtert es, sich gute Kenntnisse der Organisation und Branche

anzueignen, die für das Verstehen und Erklären komplexer strategischer Prozesse

erforderlich ist.475

Nach der Absteckung des Forschungsfelds erfolgte die Selektion einzelner Fälle nach

analytisch-theoretischen Erwägungen und der von Eisenhardt und Gräbner (2007)

beschriebenen Replikationslogik.

Um eine tief gehende, feinkörnige Untersuchung des Phänomens

Geschäftsmodellinnovation sicherzustellen, habe ich mich für eine kleine Anzahl an

Fallstudien entschieden, da ich mir dadurch aussagekräftigere und nützlichere Ergebnisse

als durch eine grobe, oberflächliche Betrachtung vieler Fallstudien erwarte.

In Übereinstimmung mit den zuvor zitierten empirischen Studien476 hat sich auch bei der

Fallauswahl gezeigt, dass die Geschäftsmodellinnovation in der Praxis bis dato eine wenig

genutzte Strategie und eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Entsprechende

Initiativen zu finden, war daher nicht einfach. Die Festlegung auf das Partnerunternehmen

ASSEKURANZ folgte daher auch pragmatischen Überlegungen, da dieses

Großunternehmen in den Jahren 2002 bis 2008 im Rahmen eines strategischen

Wachstumsprogramms mehrere Initiativen durchgeführt hat. Somit war es möglich,

mehrere prägnante Fälle in unmittelbarer zeitlicher Abfolge und im engen

organisatorischen Kontext eines Geschäftsbereichs zu beobachten.

474 Für die Auswahl der ASSEKURANZ sprachen auch rein pragmatische Gründe. Aufgrund sehr guter

persönlicher Kontakte zu leitenden Angestellten des Geschäftsbereichs Kraft Privat war ein

optimaler Zugang zum Forschungsfeld sichergestellt. Aufgrund dieser Kontakte war die

Unterstützung des Forschungsvorhabens seitens des Unternehmens gegeben, wodurch ein

vertrauensvoller, offener Zugang zu den Entscheidungsträgern und relevanten Daten möglich war.

So konnten für die Datenerhebung schnell auskunftsbereite, involvierte Personen identifiziert und

als Interviewpartner gewonnen und in den Räumlichkeiten des Unternehmens befragt werden. 475 vgl. Pettigrew, A. (1997) 476 vgl. EIU (2005), Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2005), IBM (2006)

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144 Forschungsdesign

Im Gegensatz zu Samplingstrategien, die zur Betrachtung von Extremfällen oder

polarisierenden Fällen raten,477 stellen die drei Fälle außerordentliche, weil rare, jedoch

keine extremen, sondern typische Beobachtungen von Initiativen zur

Geschäftsmodellinnovation dar, da ein solches Sample zeigt, was normal oder

durchschnittlich ist.478 Indem charakteristische Fälle untersucht werden, ist die

Wahrscheinlichkeit höher, repräsentative Aussagen und durch den Vergleich der

einzelnen Fälle Erkenntnisse hinsichtlich einer idealtypischen Vorgehensweise bzw. Best

Practice zu erlangen.

Allerdings verlangen die vergleichende Gegenüberstellung und Beurteilung von

erfolgsrelevanten Fähigkeiten im Prozess der Geschäftsmodellinnovation nach einem

Vergleichsmaßstab. Eine Methode zur Identifikation erfolgsrelevanter Faktoren und

Praktiken stellt die Gegenüberstellung von erfolgreichen und weniger erfolgreichen Fällen

dar.

In Gesprächen mit den entscheidenden Akteuren wie dem Geschäftsbereichsleiter und

dem Projektleiter der übergreifenden strategischen Wachstumsinitiative sowie mit

Mitarbeitern aus dem Stab des Geschäftsbereichsleiters wurden in einem ersten Schritt

interessante Projekte identifiziert. Die Auswahl und Beurteilung der einzelnen Fälle

erfolgten dann gemeinsam mit dem Leiter des Geschäftsbereichs Kraft Privat, der auch als

Sponsor der Projekte fungierte. Um die Beurteilung nicht allein von der Bewertung einer

Person abhängig zu machen, wurde deren Einschätzung im Zuge der Interviews mit dem

zuständigen Projektleiter und weiteren Projektmitarbeitern sowohl qualitativ als auch

quantitativ unterfüttert.

Da die erfolgreiche Geschäftsmodellinnovation, wie eingangs beschrieben wurde, nicht

nur als Momentaufnahme, sondern als ein fortlaufender Prozess zu verstehen ist, muss für

die Beurteilung des Erfolgs einer solchen Initiative ein längerer Betrachtungszeitraum

gewählt werden. Nicht jede Initiative ist auf Anhieb erfolgreich und auch ein anfänglicher

Erfolg garantiert keine nachhaltige Entwicklung. Daher wurden die einzelnen Initiativen

über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet, um sicherzustellen, dass die getroffenen

Aussagen aussagekräftig und nicht bloß Momentaufnahmen sind.

So erstreckt sich der zeitliche Horizont der empirischen Beobachtung der Fallstudien auf

die Zeitspanne 2002 bis 2008, d. h. die Zeit nach Ende der New-Economy-Phase und der

speziell für die Versicherungswirtschaft schweren Zäsur des 11. September 2001. Die

477 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), Yin, R. K. (2003), Eisenhardt, K. M. und Gräbner, M. (2007) 478 vgl. Kuzel, A. J. (1992)

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Forschungsdesign 145

zeitliche Komponente ist deswegen relevant, da sich mein Forschungsinteresse auch auf

die zeitliche Abfolge der Ereignisse, d. h. den Prozess der Gestaltung, Implementierung

und Anpassung der Geschäftsmodelle, richtet. Da die rein retrospektiv-historische

Betrachtung des Phänomens jedoch mit einer gewissen Unschärfe behaftet ist, war die

begleitende Beobachtung der sich entwickelnden Ereignisse ideal. Um die Fälle in ihrer

historischen Entwicklung darstellen zu können, wurde das longitudinale

Forschungsdesign auch um historisch-retrospektive Daten ergänzt. Bei der Auswahl der

Fallstudien wurde jedoch so weit wie möglich aktuellen Fällen, bei denen der Prozess der

Geschäftsmodellinnovation noch im Laufen war, der Vorzug gegeben. Wo dies nicht

möglich war, wurden zeitnahe Beobachtungen mit historischen Daten kombiniert und ein

retrospektiver Fallstudienansatz wurde gewählt.

11.3 Entwurf der Forschungswerkzeuge

Gerade weil für die Fallstudienforschung die ganzheitliche Betrachtung des

interessierenden Phänomens im Mittelpunkt steht, sollen bei der Datenerhebung mehrere

Methoden kombiniert werden.479 Bei dieser Methodentriangulation480 können qualitative

mit quantitativen Methoden kombiniert werden. Dies dient dazu, die Qualität der

erhobenen Daten zu verbessern. Während sich die Arbeit am Bezugsrahmen fast

ausschließlich auf die Methode der Dokumentenanalyse stützt, setzt die weitere

empirische Arbeit an den Fallstudien primär auf die direkte Befragung in Form von

Interviews, die wiederum durch Sekundärdaten wie Geschäftsberichte, Marktanalysen und

interne Firmenunterlagen ergänzt wurden. Durch die Kombination unterschiedlicher

Methoden wurde das Phänomen mehrmals gemessen und die Konstruktvalidität der

Untersuchung erhöht.481

Zur konsistenten Erhebung und besseren Vergleichbarkeit der verschiedenen Fälle

erfolgte die Datenerhebung unter Anwendung eines strukturierten Fragebogens, der im

Lauf der empirischen Untersuchung mehrmals – nach der ersten Pilotfallstudie noch

grundlegend, dann nur noch in Detailaspekten – parallel zum Erkenntnisfortschritt und

Auftreten neuer Fragen überarbeitet und angepasst wurde. Der Aufbau dieses

Fragebogens orientierte sich einerseits an der logischen Abfolge der Ereignisse, den

relevanten Akteuren, Problemstellungen und Entscheidungen, den konkreten Inhalten und

relevanten Aspekten eines Geschäftsmodells sowie andererseits am internen und externen

Kontext, um so ein möglichst ganzheitliches Bild des gesamten Prozesses der

Geschäftsmodellinnovation und möglicher Einflussfaktoren zu erfassen. 479 vgl. Lamnek, S. (1995), S. 5. 480 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 90f. 481 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), S. 538.

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146 Forschungsdesign

Der Übergang zwischen der Phase der Entwicklung der Forschungswerkzeuge und der

Datensammlung kann als iteratives Vor und Zurück beschrieben werden, wobei die

Überlappung mit der Datenanalysephase durchaus beabsichtigt war. Entsprechend den

Grundsätzen flexibler und offener Theoriebildung sind der Interviewleitfaden und die

Befragungstechnik mit dem Fortschritt des Forschungsprozesses verfeinert worden.482

Falls notwendig wurde der Fragenkatalog um zusätzliche Fragen ergänzt, um dadurch auf

besondere Gegebenheiten besser eingehen zu können bzw. einzelne Aspekte vertiefter zu

untersuchen.

11.4 Datenerhebung im Feld

Die empirische Datenerhebung erfolgte in mehreren Etappen zwischen Mai 2005 und

Februar 2008. Die Pilotphase von Mai 2005 bis Juni 2006 ermöglichte es einerseits, sich

langsam an die Materie heranzutasten und andererseits die Methode zu verbessern.483 So

halfen die Erkenntnisse dieser frühen Phase der Datenerhebung dabei, die

Forschungswerkzeuge zu verbessern und die Datenerhebung im Feld durch wiederholte

Interviews zu trainieren.

Die zweite und eigentliche Phase der Datenerhebung erfolgte zwischen Juli 2007 und

März 2008. In diesem Zeitraum wurden teilstrukturierte, durch einen Fragenkatalog

geleitete Einzelinterviews geführt, die die zentrale Methode der Datenerhebung darstellen.

Bei der Durchführung von Fallstudien sind Interviews von entscheidender Bedeutung, da

sich diese kommunikative Erhebungsmethode für die Erfassung sozialer Realität, die dem

postpositivistisch-interpretativen Paradigma zufolge durch Kommunikation und

Interaktion entsteht, besonders gut eignet.484

Im Lauf des Forschungsprojektes wurden 24 Interviews mit Mitarbeitern der

ASSEKURANZ, Partnern und externen Beratern geführt.485 Die Zusammenstellung der

482 vgl. Ibid, Lamnek, S. (1995) 483 Zu Beginn wurde der Fragebogen getestet und Pilotinterviews durchgeführt. In dieser Phase war das

Verständnis des Phänomens noch schwach ausgeprägt und die Formulierung der Fragen wurde von

den Befragten als zu offen und zu unbestimmt empfunden. Darüber hinaus hatten die

Interviewpartner Schwierigkeiten das Thema inhaltlich zu erfassen und es war notwendig ein

gemeinsames Verständnis des Phänomens zu entwickeln bzw. die Begriffe Geschäftsmodell und

Geschäftsmodell-Innovation zu definieren. 484 vgl. Langley, A. (1999) 485 Eine Liste der einzelnen Gesprächspartner findet sich im Anhang ab Seite 305f.

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Forschungsdesign 147

Gesprächspartner erfolgte iterativ486, kumulativ487 und im Gegensatz zu quantitativen

Studien nicht statistisch repräsentativ, sondern opportunistisch auf Grundlage eines

analytisch-theoretischen Samplings.488 Das vordergründige Ziel der Auswahl war es,

möglichst interessante, reichhaltige Daten zu erheben und ein umfangreiches Verständnis

des inneren und äußeren Kontexts zu gewinnen. Der Forderung nach einer

Mehrebenenbetrachtung strategischer Prozesse entsprechend489 wurden sowohl die

Sponsoren und Projektleiter als auch involvierte Mitarbeiter der einzelnen

Innovationsprojekte und Mitarbeiter aus Konzernstäben befragt490 und somit wurde das

interessierende Phänomen aus mehreren Perspektiven eingefangen.491

Den Schwerpunkt der Untersuchung bildete jedoch die Befragung der direkt involvierten

Personen. Zu jeder der drei Fallstudien wurden jeweils der Projektleiter und drei weitere

Projektteilnehmer interviewt. Wie sich im Lauf der empirischen Untersuchung zeigte,

konnte dadurch ein sehr gutes und differenziertes Verständnis der spezifischen

Eigenschaften des Falls entwickelt werden, sodass durch die Befragung von mindestens

vier Personen eine weitgehende inhaltliche Klärung der Ereignisse und somit auch eine

theoretische Sättigung erreicht wurden.

Die Interviews wurden von mir selbst durchgeführt und dauerten jeweils ein bis zwei

Stunden.492 20 Gespräche wurden vor Ort in den Räumlichkeiten der ASSEKURANZ

durchgeführt. Mit vier Personen wurden Telefoninterviews geführt. Abhängig von der

Zustimmung der Befragten wurden die Interviews auf Band aufgenommen und

vollständig wörtlich transkribiert.493 Die übrigen Befragungen wurden protokolliert.

Zusätzlich wurden wichtige Daten wie Zeitpunkt, Ort, Dauer, Position des

Gesprächspartners sowie weiterführende und ergänzende Hinweise, die sich im Interview

ergaben, in Notizen festgehalten. Insbesondere die Gespräche mit Dr. Hubert Roth, die

zur Plausibilisierung und Reflexion der Daten dienten, wurden in Form von Memos

dokumentiert.494 Ein zu diesem Zweck geführtes Interviewtagebuch erleichterte später die

486 vgl. Miles, R. E. und Huberman, A. M. (1994), S. 29. 487 vgl. Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996), S. 150. 488 vgl. Eisenhardt, K. M. und Gräbner, M. (2007) 489 vgl. Chakravarthy, B. und White, R. E. (2001) 490 vgl. McGrath, R. G. (2001), S. 121. 491 vgl. Bacharach, S. B., et al. (1996), S. 484. 492 Die Dauer der einzelnen Interviews ist im Anhang ab Seite 305f aufgelistet. 493 vgl. Lamnek, S. (1995), S. 77. 494 vgl. Strauss, A. (1991), S. 33. Memos und Feldnotizen sollen dabei helfen die Forschungsergebnisse und

die Vorgehensweise möglichst zeitnah zu dokumentieren, um sie später zu reflektieren und die

Notizen im Rahmen der Kodierung und Theoriebildung zu verarbeiten. Eisenhardt, K. M. (1989a)

empfiehlt möglichst breit und zeitnah zu dokumentieren, da die Relevanz der Daten sich erst später

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148 Forschungsdesign

Analyse der Daten und Niederschrift der Ergebnisse, da die Daten über mehrere Monate

gesammelt wurden und Details so rasch in Vergessenheit geraten können.495

Im Sinne der Methodentriangulation stützte sich die Datenerhebung aber nicht nur auf die

Interviews, sondern zusätzlich zu den Gesprächsprotokollen wurden auch interne und

externe Unterlagen496 zur Dokumentenanalyse gesammelt. Diese Sekundärdaten dienten

einerseits der Ergänzung und andererseits der Validierung der im Rahmen der

Einzelinterviews gesammelten Daten. So trugen sie dazu dabei, ein möglichst

vollständiges Bild hinsichtlich der Abfolge, des Inhalts und des Kontexts der von den

Interviewpartnern beschriebenen Ereignisse und Entscheidungen zu entwickeln.

Im Lauf der empirischen Datenerhebung wurden die Zwischenergebnisse mehrmals mit

einem Mitarbeiter des Partnerunternehmens besprochen, der zeitweise als Projekt- bzw.

Programmleiter für die übergeordnete Wachstumsinitiative „Strategie 2010“

verantwortlich war und daher über spezifische Kenntnisse der einzelnen Fälle verfügte.

Diese wiederholten Besprechungen dienten der gegenseitigen Reflexion der gesammelten

Daten, halfen dabei, mögliche Fehlinterpretationen und Verständigungsprobleme zu

vermeiden, und erleichterten den Vergleich mit anderen Fällen.

Schließlich wurden die Ergebnisse auch mit Kooperationspartnern und externen Beratern

der ASSEKURANZ diskutiert. Dazu wurden vier Telefoninterviews durchgeführt, die

durchschnittlich eine Stunde dauerten und die Möglichkeit boten, ergänzende Daten zu

erheben und die Generalisierbarkeit der Aussagen zu verbessern.

Gegen Ende der Datenerhebung verfügte ich über eine überaus reichhaltige Sammlung an

Dokumenten und Interviewprotokollen, die für alle drei Fallstudien zusammengenommen

mehrere Ordner füllten und eine umfangreiche Datenbank für die Analyse und

Interpretation der Daten bildeten.

11.5 Datenanalyse

Im Gegensatz zu quantitativen Forschungsmethoden ist die qualitative Methode der

vergleichenden Fallstudienanalyse nicht so klar beschrieben und das Analyseverfahren

herausstellt.

495 vgl. Lamnek, S. (1995), S. 77. 496 Zu den internen Dokumenten zählten Präsentationen, Projektaufträge, Projektpläne, Organigramme,

Entscheidungsvorlagen, Kennzahlenberichte, Business Pläne und Marktforschungsunterlagen.

Externe Daten umfassten Branchenstudien, Vortragsunterlagen, Zeitungsartikel,

Presseaussendungen zu den Projekten.

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Forschungsdesign 149

vergleichsweise rudimentär entwickelt.497 Trotzdem finden sich in der Literatur hilfreiche

Angaben und Hinweise, worauf bei der Analyse besonders zu achten ist. Die hier

angewendeten Analyseverfahren orientierten sich an den Empfehlungen der

vergleichenden Fallstudienforschung nach Eisenhardt (1989a) und Yin (2003), am

Verfahren der qualitativen Datenanalyse nach Miles und Huberman (1994) sowie am

Grounded-Theory-Ansatz von Strauss und Corbin (1998).

Während die Analyse der im vorhergehenden Arbeitsschritt gewonnenen qualitativen

Daten das Herzstück der Theoriebildung bildet, stellt dieser Arbeitsschritt gleichzeitig den

schwierigsten Teil der Fallstudienforschung dar. Auch diese Phase ist gegenüber den vor-

und nachgelagerten Arbeitsschritten schwer abgrenzbar. So wurde die Analyse bereits

teilweise parallel zur Datenerhebung durchgeführt.

Miles und Huberman (1994) gliedern die Datenanalyse in die folgenden drei simultanen

Arbeitsschritte: (1) Datenreduktion, (2) Darstellung der Daten und (3) Schlussfolgerung

sowie Überprüfung der Folgerungen.

Data collection

Data reduction

Data display

Conclusions:drawing & verifying

Abbildung 28: Interaktives Modell der Datenanalyse498

Diese Vorgehensweise steht im Einklang mit dem Forschungsansatz von Strauss und

Corbin (1990), die auf eine zeitliche Parallelität und wechselseitige funktionale

Abhängigkeit der Prozesse der Datenerhebung und -analyse sowie Theoriebildung

hinweisen.499 Sie verstehen die unstete Abfolge der Arbeitsschritte als kontinuierlichen

Wechsel von Handeln und Reflexion, denn der Forscher wird in Übereinstimmung mit

den Vorstellungen der interpretativen Sozialforschung nicht als neutraler Beobachter,

497 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a), S. 539. 498 vgl. Miles, R. E. und Huberman, A. M. (1994), S. 12. 499 vgl. Strauss, A. (1991), S. 44f.

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150 Forschungsdesign

sondern als Interpret der Daten gesehen. Indem der Forscher selbst Subjekt des

Forschungsprozesses ist, entscheidet er über den weiteren Verlauf der theoretischen

Argumentation.500

Obwohl Strauss und Corbin (1990) auf die Formulierung eines rigiden Regelwerks für das

analytische Vorgehen verzichten und auf die Fähigkeit des Forschers vertrauen, eine

angemessene und den individuellen Arbeitsrhythmus folgende Vorgehensweise zu

entwickeln, ist dieses pragmatisch und liberal wirkende Methodenverständnis allerdings

nicht im Sinne von ‟anything goes” zu interpretieren. Strauss betont: „Unsere Leitlinien,

nach denen eine Theorie entwickelt werden kann, sind jedoch nicht nur eine Aufzählung

von Vorschlägen. Sie sind mehr als das, weil aus ihnen hervorgeht, dass bestimmte

Operationen ausgeführt werden müssen“501, zu denen (1) das Codieren, (2) das ständige

Vergleichen und (3) das zusammenfassende Schreiben von analytischen Memos zählen.

Den ersten Analyseschritt bildete die Codierung, wobei diese Aufgabe, wie die gesamte

qualitative Datenanalyse, durch die Softwarepakete MaxQDA und Atlas.ti unterstützt

wurde. Im ersten Schritt wurden die Daten beschrieben, indem einzelne Textpassagen

markiert und kodiert, d. h. mit einer sprechenden Bezeichnung versehen wurden. Dieser

als offene Codierung bezeichnete Arbeitsschritt wird von Strauss und Corbin

folgendermaßen beschrieben:

“Open coding is the part of analysis that pertains specifically to the naming and

categorizing of phenomena through close examination of date […]. During

open coding the data are broken down into discrete parts, closely examined,

compared for similarities and differences, and questions are asked about the

phenomena as reflected in the data. While various questions are asked, the key

question is […] ‘What is this piece of data an example of?’”502

Diese erste Auseinandersetzung diente in erster Linie dazu, um ein Gefühl für die Daten

zu bekommen503, und so war die Beschäftigung mit den Daten noch wenig theoretisch,

sondern es wurden vor allem Vivo-Codes504 verwendet. Dieser als First-Order Coding

500 vgl. Strübing, J. (2004), S. 16. 501 vgl. Strauss, A. (1991), S. 33. 502 vgl. Strauss, A. L. und Corbin, J. (1990), S. 62. 503 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 200. 504 Glaser, B. und Strauss, A. L. (1967) verwenden den Begriff „in vivo“ für lebendige, selbstsprechende

Codes deren Bezeichnung sich direkt aus markanten Worten im Text ergibt. Diese Codes dienen in

der frühen Phase der Datenanalyse der Beschreibung und groben Kategorisierung. Da ihr

theoretischer Gehalt noch schwach ist eignen sie sich nur bedingt für Rückschlüsse. Dafür bilden

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Forschungsdesign 151

bezeichnete Analyseschritt hatte zum Ziel, die Daten zu strukturieren und abstrakte

Beschreibungen der Daten für die weiterführende Interpretation zu finden.

Im Zuge der iterativen Codierung der transkribierten Interviewprotokolle verdichteten

sich mit der Zeit die theoretischen Konstrukte. Durch die Bündelung einzelner Passagen

mit vergleichbaren inhaltlichen Aussagen bildeten sich mit der Zeit analytisch-

theoretische Konzepte.505 Die einzelnen Codes bzw. Konzepte wurden im Verlauf der

Analyse immer wieder überarbeitet, indem neue, aussagekräftigere Bezeichnungen

gefunden und anhand von in den Daten gefundenen Mustern logische Gruppen gebildet

wurden.

Zwar unterstützt diese Herangehensweise die flexible und offene Theoriebildung, führt

aber auch zu einer rasch wachsenden Datenmenge, die erst gesichtet, verdichtet und

handhabbar gemacht werden muss. Um nicht von der Fülle an Daten erschlagen zu

werden, empfiehlt auch Yin (2003) den Einsatz spezieller Methoden zur Datenanalyse wie

zum Beispiel das Pattern Matching, das Explanation Building und die Time-Series

Analysis. Dadurch werden einerseits die strukturierte Auswertung und Analyse der Fälle

sichergestellt und andererseits wird jeder Fall als einzelne Einheit untersucht. Auch Miles

und Huberman (1994) empfehlen, bereits parallel zur Codierung eine Reduktion der

Daten vorzunehmen, indem Verfahren zur Mustererkennung und Gruppenbildung

angewendet werden.506

Diese induktive Vorgehensweise soll dabei helfen, Konzepte höherer Ordnung (Second

Order Concepts) zu bilden, indem einfache beschreibende Konzepte zu abstrakteren,

aussagekräftigeren Konzepten zusammengefasst werden, die bereits einen höheren

theoretischen Gehalt und Geltungsbereich aufweisen. Wie in Abbildung 29 dargestellt ist,

weist dieses induktive Abstraktionsverfahren eine deutliche Analogie zur Faktoranalyse

auf, wie wir sie aus der quantitativen Datenanalyse kennen, und trägt dazu dabei, eine

geschlossene Beweiskette von den Daten zu den Konzepten zu etablieren.507

sie in verdichteter Form die Basis für übergeordnete Konzepte.

505 Während qualitative Forschungsdesigns wie der Grounded Theory Ansatz Daten zu Konzepten

verdichten, findet sich auch in der Welt quantitativer Verfahren im Begriff eine Entsprechung,

wobei hier nicht von Konzepten sondern von Variablen gesprochen wird. Sie sind die kleinste

Einheit und somit die Bausteine der Theoriebildung. Werden Konzepte bzw. Variablen auf eine

höhere Ebene zusammengeführt, so wird von Konzepten höherer Ordnung bzw. Faktoren

gesprochen, die miteinander verknüpft, theoretische Modelle entwerfen. 506 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 198. 507 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 105f.

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152 Forschungsdesign

Abbildung 29: Abstraktionsebenen der Datenanalyse508

Daneben wurde zu jeder Fallstudie eine grobe, dann immer genauere Fallbeschreibung

erstellt509, indem die theoretischen Konzepte und die wichtigsten Informationen aus den

Interviewprotokollen strukturiert abgebildet wurden. Insbesondere diente die

Zusammenfassung dazu, die Akteure, die konkrete Problemstellung, den inneren und

äußeren Kontext und den Inhalt der Geschäftsidee in Tabellen darzustellen und die

Abfolge der Ereignisse im Zeitablauf in Diagrammen festzuhalten. Diese Abbildungen

halfen dabei, sowohl den gesamten Projektverlauf als auch einzelne Tätigkeiten und

Inhalte zu beschreiben und ein ganzheitliches Bild der Geschehnisse zu entwerfen.

Gleichzeitig unterstützte diese Darstellungsform die Reflexion und Schlussfolgerung

hinsichtlich der erfolgsentscheidenden Faktoren im Prozess der

Geschäftsmodellinnovation.

Die Datenanalyse erfolgte anfangs innerhalb der einzelnen Fälle.510 Im nächsten Schritt

wurden die einzelnen Fälle dann einander vergleichend gegenübergestellt. Um die

einzelnen Fälle systematisch vergleichen zu können, wurden die vorläufigen theoretischen

Konzepte in Tabellen eingetragen. Für jedes Konzept wurde eine eigene Tabelle erstellt

und entsprechende Indikatoren wurden Fall für Fall eingetragen. So weit wie möglich

wurde dieser Prozess durch die Funktionen der Software Atlas.ti unterstützt.

508 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 203. 509 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 114., für den Fallbeschreibungen vor allem dazu geeignet sind, um die

relevanten Informationen eines Falls zusammenfassend darzustellen. 510 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a)

Qualitative Quantitative

second - order

concepts

first - order first - order

concept concept

indicators indicators Items Items

Variable Variable

Factor

more concrete

more specific

more abstract more general

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Forschungsdesign 153

Die tabellarische Darstellung eignet sich nicht nur dazu, die Konzepte genauer zu

beschreiben, sondern soll auch zu einer besseren Absicherung der Konzepte beizutragen.

Analog zur quantitativen Messung von Konstrukten ist jeder Indikator als eine Messung

der abstrakten Konzepte zu verstehen. Je mehr Indikatoren für ein Konzept gefunden

wurden, desto repräsentativer und besser abgesichert ist es.

Gleichzeitig halfen diese Abbildungen dabei, die Konzepte fallübergreifend zu

analysieren und zu prüfen, ob es zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Fällen

in bestimmten Dimensionen auffällige Unterschiede in den Ausprägungen gibt. Aus dem

Vergleich ergaben sich wiederum verfeinerte Konzepte, die für den Prozess der

Geschäftsmodellinnovation als erfolgsrelevant eingestuft werden konnten.

In einem iterativen Prozess war es notwendig, ständig zwischen den Daten, der

Codierung, der Analyse und der Interpretation der Daten hin- und herzuwechseln, um mit

der Zeit zu feldnahen, aus den Daten hergeleiteten abstrakten Konstrukten zu gelangen.

Dieser Vorgang wurde so lange wiederholt, bis sich konzeptionell wertvolle, weil

reichhaltige und aussagekräftige Konzepte herausgebildet hatten.

Durch die konsequente Umsetzung des induktiven Verfahrens der offenen Codierung

gelang es mit der Zeit, aus den Daten abstrakte Konzepte abzuleiten, wobei die einzelnen

Textpassagen in Form beschreibender Codes, die als Belege einzelner Aussagen zu

verstehen sind, diese abstrakten Konzepte absichern. Um das Risiko voreiliger Schlüsse

und falscher Interpretationen zu minimieren, wurden diese frühen Ergebnisse jedoch

immer wieder hinterfragt und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln reflektiert.

Da die ersten Ergebnisse noch sehr umfangreich waren und teilweise redundante

Konzepte beinhalteten, dauerte es einige Zeit, bis sich stabile Konzepte herausbildeten,

indem die anfänglichen Konzepte zusammengeführt und graduell auf ein höheres

Abstraktionsniveau gehoben wurden. Bereits parallel zur offenen Codierung wurden aber

auch Eindrücke, Ideen und Erklärungen von Wirkungszusammenhängen und Mustern in

den Daten und zwischen den Konzepten in kurzen Notizen511 festgehalten und für den

nächsten Arbeitsschritt, d. h. die Hypothesenbildung, gespeichert.

511 Die Verfassung von Memos ist im Grounded Theory Ansatz der zweite Arbeitsschritt. Das Schreiben der

Memos geht Hand in Hand mit der Kodierung der Daten. Glaser’s Definition nach ist das Memo „

the theorizing write-up about codes and their relationships as they strike the analyst while coding

(…) it can be a sentence, a paragraph or a few pages (…) it exhausts the analyst’s momentary

ideation based on data with perhaps a little conceptual elaboration.” zitiert aus Miles, R. E. und

Huberman, A. M. (1994), S. 72.

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154 Forschungsdesign

11.6 Hypothesengenerierung

Indem zuerst einzelne Fälle analysiert und in weiterer Folge fallübergreifende Vergleiche

angestellt wurden, kristallisierten sich erste Aussagen über die Wirkungsbeziehungen

zwischen den gefundenen Konzepten heraus. Dieses als theoretische oder axiale

Codierung bezeichnete Verfahren hat zum Ziel, die Verbindungen und

Wirkungszusammenhänge zwischen den im Zuge der offenen Codierung identifizierten

Konzepte zu finden, zu beschreiben und miteinander zu verknüpfen.

“If open coding breaks the data apart or ‘runs the data open’ (Glaser, 1978), in

order to expose their theoretical possibilities and categories, axial coding puts

categories back together again, but in conceptually different ways. Thus axial

coding is about interrelating the substantive categories which open coding has

developed.”512

Die in den Memos festgehaltenen Wirkungszusammenhänge und Hypothesen wurden

überprüft, indem sie zuerst vor dem Hintergrund eines Falls, dann übergreifend auf ihre

Gültigkeit im Kontext der anderen Fälle überprüft wurden.

Wiederum dienten Tabellen dazu, diese Hypothesen Fall für Fall zu überprüfen und zu

konkretisieren. Erst wenn die Hypothese durch keinen der anderen Fälle falsifiziert

werden konnte, wurde sie in den Speicher der kumulierten Erkenntnis übernommen.

So konnten Schritt für Schritt fallübergreifend mehrere Kategorien und Hypothesen

entwickelt und das Modellgebilde konnte weiter verfeinert bzw. konkretisiert werden.513

Gleichzeitig war es auf diese Weise möglich, die enge Bindung an einzelne Fälle zu

überwinden, den Geltungsbereich der Aussagen langsam zu erweitern und im Sinne der

von Yin (2003) beschriebenen Replikationslogik die Generalisierbarkeit der Resultate zu

verbessern.

11.7 Abgleich mit der Literatur

Um die gewonnenen empirischen Ergebnisse und neuen Hypothesen weiter abzusichern

bzw. abzugrenzen, wurden die vorläufigen Resultate mit der bestehenden Literatur

abgeglichen. Dazu wurden die vorliegenden Erkenntnisse vor dem Hintergrund

bestehender Theorien aus dem Bereich des strategischen Managements evaluiert und die

512 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 209f. 513 vgl. Eisenhardt, K. M. (1989a)

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Forschungsdesign 155

auf Grundlage der empirischen Daten und Einzelfallstudien induktiv generierten

Hypothesen kritisch hinterfragt sowie auf ihren Geltungsbereich hin überprüft. Dies

geschah einerseits durch die direkte Gegenüberstellung mit bestehender Literatur,

andererseits durch die Diskussion der Ergebnisse mit Experten aus der Praxis. Dadurch

wurden die Ergebnisse sowohl in Bezug auf ihre theoretische Absicherung und Gültigkeit

und die Anknüpfungspunkte bzw. die Erweiterung bestehender Theorien betrachtet514 als

auch auf ihren Praxisbezug und Nutzen im Anwendungsbereich großer, breit

diversifizierter Unternehmen überprüft.

Dieser Vergleich mit früheren Arbeiten vertieft die Auseinandersetzung mit den eigenen

Erkenntnissen und hilft dabei, die Konsistenz und Validität der Ergebnisse zu verbessern.

Auftretende Widersprüche zu bestehender Literatur können bestehende Theorien

erweitern und ergänzen bzw. dazu beitragen, die eigenen Hypothesen besser abzusichern,

indem einzelne Konstrukte und Hypothesen verfeinert werden bzw. der Geltungsbereich

der Aussagen eingegrenzt oder spezifiziert wird. Dort, wo in der Literatur mit den eigenen

Resultaten übereinstimmende Angaben gefunden werden, führt dies ebenfalls zu einer

besseren Absicherung der eigenen Schlüsse.

In erster Linie wurden die hier gewonnenen Ergebnisse mit früheren Arbeiten zum

Themenbereich der Geschäftsmodellinnovation, insbesondere mit den Arbeiten von

Mitchell und Coles (2004) und Chesbrough (2007) sowie der Literatur zum Themenkreis

strategische Innovation515, abgeglichen.

11.8 Abschluss der Forschung

Den Abschluss der Datenanalyse und Theoriebildung stellte die Integration der

Forschungsergebnisse zu einer zentralen Kernkategorie dar. Diese als selektive Codierung

bezeichnete Phase dient dazu, die Forschungsergebnisse auf ein zentrales, abstraktes

Thema zu verdichten (Abbildung 30).516

“Selective coding is aimed at developing the abstract, condensed, integrated

and grounded picture of the data.”517

514 vgl. Eisenhardt, K. M. und Gräbner, M. (2007) 515 Dazu sind unter anderem die Arbeiten von Christensen, C. M. (1997), Markides, C. (1997), Hamel, G.

(1998b), Markides, C. (1998), Hamel, G. (2000), Tushman, M. L. und Anderson, P. W. (2002),

Schlegelmilch, B., et al. (2003), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (2005). 516 vgl. Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996) 517 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 210.

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156 Forschungsdesign

Im Verlauf der axialen Codierung kam ich zu dem Schluss, dass die einzelnen

erfolgsrelevanten Praktiken als Subprozesse und Subroutinen einer übergeordneten

organisationalen Kompetenz zu verstehen sind. So kristallisierte sich die dynamische

Fähigkeit der Geschäftsmodellinnovation als zentrales Themenfeld und wesentliches

Ergebnis der Arbeit heraus. Dieses Kernelement bildete den Schlussstein im Prozess der

vergleichenden, von den Daten abstrahierenden Theoriebildung. Gleichzeitig hilft dieses

Generalthema dabei, den Bogen über die drei Ebenen Prozess, Organisation und Kontext

zu spannen, indem es den roten Faden der Forschungsarbeit darstellt518 und die

Detailergebnisse zu einem gemeinsamen Verständnis erfolgreicher

Geschäftsmodellinnovation zusammenführt.

Abstractconcept

Abstractconcept

Corecategory

Specific indicators Specific indicators

Discoveringconnections

Axial coding

Selectivecoding

Opencoding

Open coding: discovering abstract concepts in the data; raising the conceptuallevel of the data.

Axial coding: discovering, in the data, connections between abstract concepts.Selective coding: selecting the core category by concentrating on the basic social

process evident in the data; raising the level of abstraction againto the core category; elaborating the core category.

Abbildung 30: Codierungsverfahren im Rahmen der Grounded-Theory-Analyse519

Nachdem nun die Kernaussage in den Daten gefunden war, konnten die einzelnen

Kategorien beschrieben und zum Kernelement der Arbeit in Beziehung gesetzt werden.

Die Niederschrift der Forschungsergebnisse gliedert sich in zwei Teile: So wurden die

Fallstudien einzeln niedergeschrieben, wobei sich der Aufbau der Berichte einerseits an

der Chronologie der Ereignisse und andererseits an den wesentlichen theoretischen

Kategorien orientierte, die in Tabellen festgehalten wurden. Zur Absicherung der

Ergebnisse wurden die Fallstudien von Managern des Partnerunternehmens

518 vgl. Strauss, A. L. und Corbin, J. (1996) 519 vgl. Punch, K. F. (2005), S. 213.

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 157

ASSEKURANZ gegengelesen und die Ergebnisse mit ausgewählten Experten diskutiert.

Den zweiten Teil der Dokumentation bildet die Beschreibung der einzelnen Routinen, die

in ihrer Gesamtheit die dynamische Fähigkeit der Geschäftsmodellinnovation bilden.

Dazu werden alle wesentlichen Kategorien, Praktiken und Prozesse nochmals erörtert und

der bestehenden Literatur gegenübergestellt, was gleichzeitig den Schlusspunkt des

Forschungsprozesses darstellt.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für die Durchführung der empirischen

Untersuchung eine strenge methodische Vorgehensweise gewählt wurde, indem mit dem

Grounded-Theory-Ansatz und der vergleichenden Fallstudienforschung anerkannte

Methoden der qualitativen Sozialforschung zur Anwendung kamen. Gleichzeitig trugen

diese Methoden dazu bei, ein qualitativ hochwertiges Ergebnis sicherzustellen.

Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die in Kapitel 10.4 beschriebenen vier

Gütekriterien empirischer Forschung, nämlich (1) die Konstruktvalidität, (2) die interne

Validität, (3) die Generalisierbarkeit und (4) die Reliabilität gelegt, indem die in der

Literatur empfohlenen Taktiken zum Einsatz kamen und den entsprechenden

Empfehlungen zur Qualitätssicherung sorgfältig nachgekommen wurde.520

12 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

Die empirische Untersuchung gilt drei strategischen Innovationsprojekten des

Geschäftsbereichs der privaten Kraftfahrzeugversicherung in einem deutschen

Versicherungskonzern. Im nun folgenden Kapitel wird zuerst das Forschungsfeld näher

beleuchtet. So wird das spezifische Branchenumfeld dargelegt, um einen Bezug zum

äußeren Kontext der Ereignisse herzustellen. Daran anschließend wird das Unternehmen

vorgestellt, um den inneren organisationalen Kontext der Untersuchung zu vermitteln,

denn erst durch die Kenntnisse der Hintergründe wird es möglich, die Ereignisse und

Handlungen einzuordnen und zu verstehen.

Den Hauptteil dieses Abschnitts bilden die genaue Beschreibung und Analyse der drei

Fallstudien „Gebrauchtwagen-Marktplatz“, „Direktversicherung“ und „Kooperation mit

der Automobilwirtschaft“.

520 vgl. Yin, R. K. (2003), S. 19.

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158 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

12.1 Die Branche – der Markt für private Kraftfahrzeugversicherungen

Die Versicherungsbranche hat sich in der Vergangenheit vor allem durch Kontinuität und

Dauerhaftigkeit und weniger durch Innovation und Dynamik ausgezeichnet.521 Ein

weitgehend statischer Wettbewerb und die Regulierung des Versicherungsmarkts haben

über Jahrzehnte hinweg ineffiziente Marktstrukturen aufrechterhalten. In Bezug auf

Leistungsangebot, Verwaltungs- und Kostenstrukturen oder Außendienst- und

Entlohnungssystem gab es zwischen den Versicherungsunternehmen kaum Unterschiede.

In den letzten Jahren begann sich dieses Bild der Versicherungsmärkte indessen

grundlegend zu verändern. Die Gründe des Wandels lassen sich unter den Schlagwörtern

„Deregulierung“, „Druck der Kapitalmärkte“, „Kostendruck“, „qualitative und

quantitative Veränderungen im Nachfrageverhalten522 der Kunden“, „neue Anbieter und

Technologien“ subsumieren. Statt von Kontinuität und Stabilität ist die Branche nun von

Dynamik und diskontinuierlichem Wandel523 geprägt.

12.1.1 Auswirkungen der Deregulierung

Der tief greifende Strukturbruch vollzieht sich in vielen Bereichen der Branche. Den

Ausgangspunkt markiert in Deutschland das Jahr 1994, das die Deregulierung des

gesamten Versicherungsmarkts brachte und die geltenden Spielregeln dauerhaft verändert

hat.

Obwohl der freie Warenverkehr in der Europäischen Union schon seit Jahrzehnten524

Realität war, erfolgte die Deregulierung der Dienstleistungsmärkte525 erst in den späten

1980er- und frühen 1990er-Jahren. Nach der Luftfahrtindustrie, der Telekommunikation

und der Elektrizitätswirtschaft wurden auch die Finanz- und Versicherungsbranche

liberalisiert.

Seit der Deregulierung der europäischen Versicherungsmärkte im Juli 1994 hat sich das

Wettbewerbsumfeld für die rund 5.000 Versicherungsunternehmen und deren 400

521 vgl. Ackermann, W. (2001), S. 68. 522 vgl. Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1994), Rumelt, R. P., et al. (1994), Bernet, B. (2001) 523 vgl. Christensen, C. M. und Overdorf, M. (2000), Bower, J. L. und Gilbert, C. (2002) 524 Der freie Warenverkehr ist seit 1947 durch das General Agreement on Traiffs and Trade (GATT)

geregelt. 525 Der freie Dienstleistungsverkehr ist seit 1994 durch das General Agreement on Trade in Services

(GATS) geregelt.

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 159

Millionen potenziellen Kunden in der Europäischen Union (EU) radikal gewandelt.

Erstens werden Preise und Bedingungen für Versicherungsschutz seither vornehmlich

durch das freie Spiel der Marktmächte bestimmt. Die staatliche Kontrolle und

Einflussnahme beschränken sich nunmehr auf die Überwachung der Solvenz und die

Marktkontrolle. Zweitens wurden für bestehende und neue Anbieter die Eintrittsbarrieren

in die einzelnen nationalen Märkte gelockert. Sowohl die Freigabe der Preisgestaltung als

auch die Öffnung der einzelnen Teilmärkte führten zu einem Wettbewerbsschock.526

Im Zuge einer ersten Welle nationaler und grenzüberschreitender Fusionen und

Übernahmen entstanden einige große, weltweit tätige Versicherungskonzerne. Diese

Unternehmen nutzen ihre überreichliche Kapitalausstattung, die sie in der Zeit regulierter

Versicherungsmärkte angesammelt haben, um international zu expandieren. So haben die

sieben führenden europäischen Versicherungsgruppen ihren Marktanteil zwischen 1990

und 2000 von vormals 16 % auf 32 % verdoppelt, während der Marktanteil der nationalen

Versicherer von 68 % auf 51 % zurückging.527

In Folge erreichte die Wettbewerbsintensität eine neue Dimension, da neue Anbieter den

vorherrschenden Verdrängungswettbewerb weiter verschärften. Auswirkungen davon

waren Prämienrückgänge und erhöhter Kostendruck, der wiederum die Industrialisierung

der Wertschöpfungsprozesse und Konsolidierung der Branche vorantrieb. Die steigende

Preissensitivität und Wechselbereitschaft wiederum sind Ausdruck eines veränderten

Kundenverhaltens. Zukünftige aufsichtsrechtliche Anforderungen schaffen neue

Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Handeln.

Zwar besteht auf gesellschaftlicher Ebene großes Interesse an der Deregulierung, da die

Konsumenten durch ein breiteres Angebot und niedrigere Preise von der Konkurrenz

unter den Anbietern profitieren.528 Andererseits bringt diese Entwicklung nicht nur

Vorteile mit sich, denn die Steigerung der Effizienz geht mit einem Abbau der Sicherheit

und Stabilität für Kunden und Unternehmen bis hin zum Ausscheiden einiger

Marktteilnehmer einher. Vor allem die Allbranchenversicherer, die dominierende

Organisationsform in Zeiten regulierter Märkte, sind gezwungen, ihre Effizienz laufend

zu verbessern und an die neuen Marktbedingungen anzupassen.

Dieser Strukturwandel der Märkte lässt sich aus makroökonomischer Sicht als die

Konsolidierungsphase ineffizienter regulierter Märkte interpretieren.529 Als Folge der

526 vgl. Swiss_Re (1996) 527 vgl. Swiss_Re (2000) 528 vgl. Bieger, T. und Rüegg-Stürm, J. (2002), S. 17. 529 vgl. Ackermann, W. (2001), S. 68.

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160 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

Deregulierung und des intensivierten Wettbewerbs werden effizientere Marktstrukturen

erzwungen. Nach Ackermann (2001) vollzieht sich dieser Konsolidierungsprozess, der in

der gesamten Branche zu beobachten ist, in mehreren Phasen:530

1. Mehr Qualität und Kundenorientierung durch Service- und Prozessinnovationen

2. Erweiterte Leistungsangebote durch lineare Produktinnovationen

3. Optimierung der Fertigungstiefe durch architektonische Innovationen der

Wertschöpfungskette

4. Beginn eines neuen Marktzyklus durch eine Geschäftsmodellinnovation

stat

isch

erW

ettb

ewer

bdy

nam

isch

erW

ettb

ewer

bH

yper

-W

ettb

ewer

b

neuer Marktzyklus

traditionelleWertschöpfungsstrategien

Phase 1:Service- undProzess-Innovation

regulierte Märkte

Phase 2:LineareProduktinnovation

Phase 3:Optimierung derFertigungstiefe

Phase 4:Geschäftsmodell-Innovation

Wettbewerbsintensität

Ertrags- / Gewinnpotenziale Abbildung 31: Konsolidierungsphasen deregulierter Finanzdienstleistungsmärkte531

Bleibende Merkmale der neuen Realität in der Versicherungsbranche sind eine erhöhte

Wettbewerbsintensität, die Konzentration des Markts, eine deutliche Differenzierung der

Angebotsstrukturen bis hin zu grundlegend neuen Marktleistungen sowie neuen

Methoden der Risikobewertung und des Risikotransfers. Die Marktkräfte erzwangen eine

fundamentale Neuausrichtung der Wertschöpfungsmodelle: vom Verkäufer- hin zum

530 vgl. Abbildung 31 531 vgl. Ackermann, W. (2001), S. 71.

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 161

Käufermarkt, von vertikal integrierten Versicherungskonzernen zu stark vernetzten

Wertschöpfungssystemen und von einer starren, klar abgegrenzten Versicherungsbranche

hin zu einer integrierten, dynamisierten Finanzdienstleistungsindustrie.

Daneben leidet die Assekuranzbranche besonders unter einer strukturellen

Ertragsschwäche und sucht nach zukunftsträchtigen Strategien und neuen Wegen, ihr

Geschäft zu organisieren. Von neuen Geschäftskonzepten erwartet man sich Antworten

auf die Frage: Wie kann trotz begrenzter Wachstumspotenziale auf den Kernmärkten,

scharfen Wettbewerbs um Marktanteile und des generell unsicheren Geschäftsumfelds in

Zukunft Wert geschaffen werden bzw. wo sind Potenziale für ein profitables Wachstum

gegeben?

Was auf die gesamte Versicherungswirtschaft zutrifft, gilt gerade auch für die private

Kraftfahrzeugversicherung. Sie ist nicht nur die größte Sachversicherungssparte, sondern

wies im Vergleich zu anderen Sparten bereits in der Vergangenheit eine besonders hohe

Dynamik und Wettbewerbsintensität auf.

12.1.2 Wettbewerbsintensität und neue Branchenstruktur

Als Folge der erhöhten Wettbewerbsintensität nach der Deregulierung des deutschen

Versicherungsmarkts setzte Mitte der 1990er-Jahre ein Preiswettbewerb ein, der direkte

Auswirkungen auf die Rentabilität der Sparte hatte.532 Diese Entwicklung führte im

Zeitraum 1995 – 2003 zu einem kumulierten versicherungstechnischen Verlust aller

Anbieter von ca. 3,9 Milliarden Euro.533 Trotz der im Jahr 2000 einsetzenden

Stabilisierung und leichten Erholung des Prämienniveaus dauerte es noch weitere drei

Jahre, bis der Markt im Jahr 2003 wieder positive versicherungstechnische Ergebnisse

vermeldete. Doch bereits im darauffolgenden Jahr begannen die Prämien bereits wieder,

zu sinken, und der Wettbewerb verschärfte sich abermals. Das Jahr 2004 markierte damit

den Beginn eines neuen Abschwungs im Preiszyklus, der sich bis ins Jahr 2010 fortgesetzt

hat.

532 vgl. Abbildung 32 533 vgl. Hartmann, K. (2006), S. 53., Berechnung erfolgte auf Grundlage der Jahresberichte 1994-2003 des

Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

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162 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

-1.950-1.790

-1.180

-640

230

540

920

-2.000

-1.500

-1.000

-500

0

500

1.000

1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001

Mio. Euro

Abbildung 32: Technisches Ergebnis auf dem deutschen Kraftversicherungsmarkt

534

In einem derartigen Marktumfeld ist es für Versicherungsunternehmen kaum möglich, die

angestrebten Renditen zu realisieren. Je intensiver der Wettbewerb, desto komplexer wird

es, im Massenmarkt profitabel zu wachsen. Das fehlende Wachstum und die geringe

Rentabilität sind jedoch ein Problem der gesamten deutschen Assekuranz, denn der Markt

gilt als gesättigt und bietet gerade in der Kfz-Versicherung nur geringes Potenzial für

nachhaltig profitables Wachstum.

Eine Studie des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen, die der

Identifikation aktueller Trends und Entwicklungen in der Kfz-Versicherung gewidmet ist,

zeigt sehr deutlich, dass auch in den nächsten Jahren mit einer zunehmenden

Dynamisierung des Wettbewerbs in der Sparte Kraftfahrzeugversicherung zu rechnen ist.

So erwartet der überwiegende Teil der befragten Experten umfangreiche Veränderungen

in den Formen der Marktbearbeitung. Erstens geht der Großteil der Marktbeobachter auch

für die nächsten Jahre von einer fortgesetzten Erosion des Prämienniveaus aus. Zweitens

zeichnet sich auf dem Markt ein weiterer Rückgang der Rentabilität bereits ab.535

534 vgl. Eigene Darstellung auf Grundlage der GDV Jahresberichte der Jahre 1995 bis 2001 535 vgl. Abbildung 33

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 163

26%

19%

19%

47%

42%

44%

12%

9%

33%

16%

28%

5%

2%

0% 25% 50% 75% 100%

Rentabilität des Kfz-

Geschäfts

Prämienvolumen im Kfz-

Versicherungsmarkt

Anzahl der Anbieter

abnehmend leicht abnehmend gleichbleibend leicht zunehmend zunehmend

Abbildung 33: Veränderung des Wettbewerbsumfelds in den nächsten fünf Jahren

536

Durch die anhaltend hohe Wettbewerbsintensität erzwingen die Marktkräfte effizientere

Marktstrukturen. So bleibt den Versicherungsunternehmen keine andere Wahl, als sich

einem kontinuierlichen Prozess der Strategieanpassung, Geschäftsprozessoptimierung,

Kosteneinsparung und Ertragssteigerung zu unterwerfen, um so den neuen Erfordernissen

des Markts gerecht zu werden. Doch trotz der in den letzten Jahren unternommenen

Anstrengungen zur kontinuierlichen Verbesserung, die den Kfz-Markt effizienter, die

Geschäftsprozesse schlanker und den Kundennutzen vermeintlich größer gemacht haben,

zeichnet sich kein Ende der wiederholten Kostensenkungsprogramme oder eine

Stabilisierung des Preisniveaus ab, denn der gnadenlose Wettbewerb lässt die

Gewinnspannen weiter schrumpfen und trotz Einsparungen gelingt es den meisten

Versicherungsunternehmen nicht, die Rentabilität des Kfz-Geschäfts nachhaltig zu

steigern.

Betrachtet man den Lebenszyklus des traditionellen Versicherungsmarkts, findet sich eine

mögliche Antwort. Die Branche weist Merkmale eines reifen bis rückläufigen Markts auf,

da die Basisinvestitionen lange zurückliegen, eine hohe Saturierung erreicht wurde, die

Marktmacht der Konsumenten steigt und die Marktrendite rückläufig ist.

In einer derartig gesättigten Branche, wie sie der Markt für Kfz-Versicherungen

zweifelsfrei darstellt, sind strategische Innovation und neue Geschäftsideen, die bewusst

von der bisherigen Marktlogik abweichen, wesentliche Voraussetzungen für Wachstum

536 vgl. Erdönmez, M., et al. (2006)

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164 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

und Unternehmenserfolg.537 Wettbewerbsintensität und sinkende Rentabilität erfordern

die Entwicklung fokussierter Positionierungsansätze und effizienter

Wertschöpfungsstrukturen, um die Sparte wieder profitabel zu gestalten.538 Das

Management ist gefordert, neue Märkte zu schaffen539, diskontinuierliche Innovationen540

zu suchen und radikale neue Geschäftsmodelle zu realisieren.541

12.1.3 Wertverschiebungen auf dem deutschen Automobilmarkt

Infolge der Deregulierung und der neuen Branchenstruktur hat sich auf dem Markt für

Kfz-Versicherungen eine massive Wertverschiebung bzw. Value Migration542 von

traditionellen Formaten des Versicherungsvertriebs hin zu neuen Vertriebskonzepten und

Anbietern ereignet. Zu Wertverschiebungen kommt es dann, wenn das traditionelle

Geschäftsmodell aufgrund neuer wirtschaftlicher Umweltbedingungen zum

Auslaufmodell mutiert.

Das ist für Slywotzky (1996) dann der Fall, wenn neue Geschäftsmodelle, innovative

Geschäftspraktiken und Formen der Leistungserbringung für Kunden ein besseres Preis-

Nutzen-Verhältnis bieten. Letzten Endes spiegelt sich die Wertverschiebung in der

Branchenstruktur wider, da sie den Mechanismus der Gewinnverteilung und

Gewinnerzielung verändert und neue, profitable Marktsegmente entstehen, während

andere Segmente an Attraktivität verlieren.

Diese Wertverschiebung ist nicht allein auf den Markt für Kfz-Versicherungen

beschränkt, sondern findet im gesamten Automobilsektor statt. Nicht nur der

Versicherungsmarkt, sondern auch der Markt für private Pkws hat sich in den letzten

Jahrzehnten vom Verkäufermarkt zum Käufermarkt gewandelt. Gleichzeitig hat der

Wettbewerb zwischen den Anbietern zugenommen.

537 vgl. Ackermann, W. (2001), S. 69. 538 vgl. Erdönmez, M., et al. (2006) 539 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (2005) 540 vgl. Christensen, C. M. und Overdorf, M. (2000) 541 vgl. Hamel, G. (2000) 542 vgl. Slywotzky, A. J. (1996)

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 165

Abbildung 34: Gewinnpotenzial im europäischen Automobilsektor im Jahr 2000

543

Der stattfindende Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft verlagert den

Schwerpunkt der Wertschöpfung weg von der Produktion der Fahrzeuge hin zu

nachgelagerten Dienstleistungen, die unmittelbar beim Kunden stattfinden. Weiters wird

der Kunde selbst in den Prozess der Wertschöpfung stärker einbezogen544, beispielsweise

bei der individuellen Fahrzeugkonfiguration.545 Die Wertverschiebung innerhalb des

Automobilsektors bzw. die Verlagerung der Gewinnpotenziale weg von der Herstellung

hin zu nachgelagerten Dienstleistungen ist Ausdruck und Folge dieser Entwicklung. Nur

noch ein geringer Teil des Gewinns wird mit der Produktion oder dem Verkauf von Neu-

und Gebrauchtwagen verdient. 75 % der Gewinne im deutschen Automobilsektor werden

mit nachgelagerten Dienstleistungen wie Leasing, Finanzierung und Versicherung oder

Reparatur und Service erzielt.546

Jürgen Schremp, der frühere CEO von DaimlerChrysler, sah diese Entwicklung bereits

2001 voraus und prognostizierte: “[W]ithin 10 years the price of a car will represent only

a quarter of the total value provided to a customer with the balance consumed in

maintenance, finance and other services.”547

543 vgl. Mercer (2004) auf Grundlage von VDA, Autobanken, Herstellern, ZDK, Stat. Bundesamt, GDV,

DAT, Datastream, Factiva, Autohaus, Kfz-Betrieb und Experteninterviews. 544 vgl. Prahalad, C. K. und Ramaswamy, V. (2000) 545 vgl. Schollenberger, R. (2002) 546 vgl. Abbildung 34 547 vgl. Walters, D. und Rainbird, M. (2007)

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166 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

Wertverschiebungen erzwingen die Abkehr von veralteten Geschäftsmodellen zu neuen

Formen der Geschäftserbringung, die darauf abzielen, sowohl den Kundennutzen als auch

den Unternehmensgewinn zu maximieren.

Ähnlich wie Produkte und Branchen weisen auch Geschäftsmodelle einen Lebenszyklus

auf. Dieser reicht von der Geburt einer Geschäftsidee bis zu dem Punkt, ab dem sich das

Geschäftsmodell als ökonomisch überholt erweist. Obwohl sich die Märkte im Einklang

mit den Bedürfnissen und Erwartungen der Kunden im Zeitlauf verändern, tendieren

Unternehmen dazu, an ihrem Geschäftsmodell starr und unbeirrt festzuhalten. Stattdessen

wären Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gefordert, denn wer die geänderten

Bedürfnisse und neuen Erwartungen der Kunden erkennt und darauf mit neuartigen,

alternativen Formen der Geschäftserbringung reagiert, kann sich Wettbewerbsvorteile

sichern.

94%82%

71%65%

4%

5%6%

11%19% 23%

3%

5%6%

3%

1%2%

1992 1997 2002 2007

Direkt

Banken

Makler

Vertreter

Abbildung 35: Vertriebskanalmix auf dem deutschen Kfz-Versicherungsmarkt

548

Diese Entwicklung zeigt sich auch auf dem Markt für Kfz-Versicherungen. Parallel zur

Fortentwicklung der Kundenbedürfnisse haben sich über die Jahre neue Formen der

Leistungserbringung auf dem Markt etabliert. Waren Makler, Banken und Direktvertriebe

im Jahr 1992 lediglich auf 6 % Marktanteil gekommen, waren sie im Jahr 2007 bereits für

35 % des Kfz-Versicherungsgeschäfts verantwortlich. Die Triebfeder dieser markanten

548 Eigene Darstellung, Daten: GDV, McKinsey.

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 167

Verlagerung weg von der traditionellen Vertriebsform des Versicherungsvertreters hin zu

den neuen Anbieterformen sind wiederum die Wertverschiebung und der Wandel im

Kundenverhalten.

Zurückhaltend Loyal� uninteressiert� Service wenig relevant

Wechsler� hohe Preissensitivität� häufige Wechsel

Stabil� zufriedene Kunden� Beziehung ist wichtig� geringe Preissensitivität

Beratungsorientiert� suchen Beratung� schätzen Qualität

Preis Service

untätig

aktiv

36%

21%

27%

16%

Sensitivität

Einkaufsverhalten

xx% Durchschnittlich % aller Konsumenten gehören diesem Segment an.

Abbildung 36: Das Kaufverhalten auf dem europäischen Kfz-Versicherungsmarkt

549

Der schleichende Wandel im Kundenverhalten zeigt sich besonders in (1) einer deutlichen

Zunahme der Wechselbereitschaft bzw. rückläufigen Loyalität der Kunden gegenüber

ihrer Versicherung und ihrem bisherigen Versicherungsberater, (2) der Nutzung neuer

Kontakt- und Vertriebskanäle zum Abschluss einer Versicherung wie zum Beispiel per

Internet oder Telefon sowie (3) einer deutlichen Zunahme der Anzahl preissensitiver

Kunden. Während das Segment der „stabilen Kunden“, die nur eine geringe

Wechselbereitschaft und Preissensitivität aufweisen, im Jahr 2000 noch 41 % des Markts

repräsentierte, ist der Anteil dieses Kundensegments in vier Jahren auf nur noch 27 % im

Jahr 2004 gesunken. Insgesamt geht der Trend hin zu mündigen, aktiven Kunden, was in

der verstärkten Nutzung von Preisvergleichen und der Nutzung von Direktkanälen wie

Telefon und Internet, wo nicht die Qualität und Beratung, sondern der Preis im

Vordergrund stehen, zum Ausdruck kommt.

549 Eigene Darstellung in Anlehnung an Bishop, D., et al. (2006), S. 2

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168 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

9%

87%7%

75%

6%

16%2004

2000

sonstige persönlich Telefon, Internet

Abbildung 37: Kontaktkanäle zum Abschluss einer privaten Kfz-Versicherung550

Wie gezeigt wurde, ist das geänderte Kundenverhalten nicht das Ergebnis, sondern der

eigentliche Grund für den fundamentalen Wandel der Versicherungsbranche. Die

geänderten Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden sind vor dem Hintergrund der

Deregulierung des Markts die stärkste Triebfeder der Veränderung, die zu einer neuen

Marktstruktur geführt hat.

Daraus ergeben sich signifikante Konsequenzen für das dominante Geschäftsmodell der

traditionellen Anbieter: den Vertrieb über Handelsvertreter bzw. Agenten, die

ausschließlich für ein Versicherungsunternehmen tätig sind. In den Zeiten des

Verkäufermarkts war es dieses flächendeckende Vertriebsnetz selbstständiger

Versicherungsvertreter, das den Zugang zum Endkunden sicherte und für etablierte

Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil darstellte. Da ein solches Vertriebsnetz von

neuen Anbietern nur sehr langsam aufgebaut werden konnte, stellte es gleichzeitig eine

veritable Markteintrittsbarriere dar. In Zeiten des Käufermarkts erweist sich dieses

Vertriebsformat jedoch als zunehmend verwundbar und nicht mehr zeitgemäß. Denn die

Versicherungsvertreter sehen sich heute einem ungleichen direkten Wettbewerb mit neuen

Vertriebsformaten ausgesetzt, die über kostenseitige Wettbewerbsvorteile verfügen.

Direktanbieter und Onlineversicherungen verfügen gegenüber klassischen

Vertreterorganisationen über deutliche Kostenvorteile und können mit aggressiven

Angeboten preissensible Kundensegmente erobern. Konkurrenz geht aber auch von den

Automobilherstellern und Importeuren aus, die über ein flächendeckendes Händlernetz

rund 6,2 Mio. Transaktionen mit privaten Pkws pro Jahr abwickeln und diesen Zugang

vermehrt dazu nutzen, um Kfz-Versicherungen abzusetzen, denn die gesamte Palette an

nachgelagerten Finanzdienstleistungen ist für die Automobilkonzerne ein deutlich

550 vgl. McKinsey (2006), S. 1.

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 169

profitableres Geschäft als die reine Fahrzeugproduktion.551

Jährliche Transaktionen

12,3 Mio. Versicherungsabschlüsseca. 30% des Kfz-Bestands

Gesamtmarkt

42 Mio. Halterprivater Pkw

1,6 Mio. Neuwagen

1,1 Mio. Jahreswagen

3,5 Mio. Gebrauchtwagenüber gewerblichen Kfz-Handel

3,1 Mio. GebrauchtwagenPrivat an Privat

ca. 3,0 Mio. Versicheurungs-wechsel

POS-Markt (Hersteller / Händler)6,2 Mio. Pkw, Marktanteil: 50 %

Privatmarkt für Gebrauchtwagen3,1 Mio. Pkw, Marktanteil: 25 %

Versicherungswechslerca. 3,0 Mio. Pkw, Marktanteil: 25 %

Vertrieblicher Zugang zu Marktsegmenten

6,2 Mio. Transaktionen laufen über dengew. Kfz-Handel, 6,1 Mio. finden privat statt.

Abbildung 38: Struktur des Versicherungsmarkts für private Pkws im Jahr 2005

552

Keiner der traditionellen Anbieter auf dem deutschen privaten Kfz-Versicherungsmarkt

kann sich diesem fundamentalen Wandel der Branchenstruktur entziehen. Auch nicht die

ASSEKURANZ, die als bedeutender Anbieter von Kfz-Versicherungen seit vielen Jahren

am Markt tätig ist und traditionell auf eine starke Vertriebsorganisation aus

selbstständigen Versicherungsagenturen setzt.

12.2 Das Unternehmen – der strategische Kontext der ASSEKURA�Z

Die ASSEKURANZ ist ein global agierender Finanzdienstleistungskonzern. Mit rund 75

Millionen Kunden und 150.000 Mitarbeitern in 70 Ländern zählt sie zu den größten

Anbietern weltweit. Im Geschäftsjahr 2009 erzielte der Konzern einen Gesamtumsatz von

rund 97,4 Milliarden Euro.553

551 vgl. Abbildung 34 und Abbildung 38 552 Eigene Darstellung in Anlehnung an Werlitz, R.-P. (2006), S. 32. 553 vgl. ASSEKURANZ Geschäftsbericht 2009, S. 8

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170 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

Geschäftssegmente:Operativer Gewinn in %

Leben / Kranken

34%

AssetManagenent

17%Schaden / Unfall

49%

Regionen:Operativer Gewinn in %

Westeuropa42%

Deutschland36%

Nord- und Südamerika

13%

Asien-Pazifik

9%

Vertriebswege:Bruttoprämie in %

Banken14%

sonstige4%

Außendienst9%

Automobil-wirtschaft

2%

Direkt1%

Makler34%

Agenturen36%

Abbildung 39: Geschäfts-, Regional- und Vertriebsmix

554

Den Schwerpunkt der ASSEKURANZ bildet das Versicherungsgeschäft, wo sie auf eine

mehr als 100-jährige Geschichte und Erfahrung zurückblicken kann. Das traditionell

bedeutendste Geschäftssegment stellt mit 42,5 Mrd. Euro Bruttobeiträgen 2009 die

Schaden-/Unfallversicherung dar. Sie steuert nicht nur annähernd die Hälfte des

operativen Gewinns bei, sondern bildet auch den historischen Kern der ASSEKURANZ.

Im ebenfalls zum Versicherungsgeschäft zählenden Segment der Lebens- und

Krankenversicherung wurden 2009 Bruttoeinnahmen von 50,8 Mrd. Euro erzielt und rund

ein Drittel des Gewinns wurde erwirtschaftet. Das jüngste Geschäftssegment ist das Asset

Management, denn die ASSEKURANZ ist nicht nur ein Versicherungsunternehmen,

sondern gleichzeitig auch einer der größten Vermögensverwalter weltweit und verwaltet

für Kunden Kapitalanlagen im Wert von 926 Milliarden Euro.

12.2.1 Vom nationalen Versicherungskonzern …

Innerhalb der dezentralen Konzernstruktur sind die einzelnen Landesgesellschaften bzw.

operativen Einheiten als Profitcenter mit eigenem multifunktionalen Management

ausgestattet, welche über eine hohe strategische wie auch operative Autonomie verfügen

und für das operative Geschäft zuständig sind. Diese dezentrale Struktur ermöglicht

sowohl ein eigenständiges unternehmerisches Handeln des lokalen Managements sowie

die situative Anpassung an die besonderen Gegebenheiten der traditionell nationalen

Versicherungsmärkte.

Infolge der geografischen Expansion und der Internationalisierung des

Versicherungsgeschäfts wurden Mitte der 1980er-Jahre zentrale Konzernfunktionen und

eine multidivisionale Matrixorganisation geschaffen. Seither liegt die Konzernführung in

der Hand einer zentralen Managementholding, die für die Konzernstrategie sowie für die

Steuerung, Koordination und Unterstützung der Geschäftsfelder Schaden- und

554 vgl. Unternehmensunterlagen

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 171

Unfallversicherung, Lebens- und Krankenversicherung und seit 1999 auch für das

Geschäftsfeld Asset Management verantwortlich zeichnet. Mit Ausnahme des Asset

Management sind die Segmente wiederum in fünf regionale Zuständigkeitsbereiche

unterteilt. Seit 2006 firmiert die Holdinggesellschaft in der Rechtsform einer

Europäischen Aktiengesellschaft.

In Deutschland, auf dem Heimatmarkt der ASSEKURANZ, ist das Unternehmen seit über

100 Jahren im Versicherungsgeschäft tätig. Indem es sich auf das Schaden-und

Unfallversicherungsgeschäft konzentrierte, stieg das Unternehmen im späten 19. und

frühen 20. Jahrhundert zu einem der größten und bedeutendsten Anbieter für Feuer- und

Transportversicherungen auf. Einerseits wuchs das Unternehmen in den 1920er-Jahren

durch die Übernahme regionaler deutscher Versicherungsgesellschaften, andererseits

verbreiterte sich das Angebotsspektrum um neue Sparten wie die Lebensversicherung.

Die Grundlage für das rasche Wachstum bildete dabei die eigene Vertriebsmannschaft.

Durch den Aufbau einer schlagkräftigen, flächendeckenden Vertriebsorganisation aus

selbstständigen Handelsvertretern, die ausschließlich für die ASSEKURANZ tätig waren,

vermochte sich das Unternehmen einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil zu verschaffen

und die führende Position im Schaden- und Unfallversicherungsgeschäft abzusichern. In

den Anfangsjahren verfügte das Unternehmen über bis zu 80.000 nebenberufliche

Vertreter, und so war die ASSEKURANZ in jeder Stadt und jedem Dorf mit mindestens

einem Vermittler vor Ort. Dieser privilegierte Marktzugang erlaubte auch nach dem

Krieg, in der Ära des deutschen Wirtschaftswunders in den 1950er- und 1960er-Jahren,

den flächendeckenden Zugang zu breiten Kundenschichten. Die

Ausschließlichkeitsorganisation (AO) ist heute mit über 10.000 hauptberuflichen

Handelsvertretern nach wie vor der wichtigste Vertriebskanal. Im Jahr 2002 wurden rund

zwei Drittel aller Versicherungsverträge über diesen Vertriebskanal abgesetzt.

Neben dem Hauptgeschäftsfeld, der Schaden-/Unfallversicherung, stieg das Unternehmen

ab den 1920er-Jahren auch in andere Sparten wie das Geschäft mit Lebensversicherungen

oder die Versicherung von großen Industriebetrieben ein und hat sich auch in diesen

neuen Geschäftsfeldern eine hervorragende Marktposition und das Vertrauen der Kunden

in die eigene Marke erarbeitet.

Die dominante Wettbewerbsposition und überdurchschnittliche Rentabilität der

ASSEKURANZ in Deutschland können somit hauptsächlich auf folgende Faktoren

zurückgeführt werden:

� Vertriebskraft: Einen Wettbewerbsvorteil stellt die Vertriebsorganisation aus

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172 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

Hauptvertretern dar, die selbstständige Vermittler und keine Angestellten

waren. Die Entlohnung erfolgte somit auf Erfolgsbasis durch Provisionen,

wodurch die Fixkosten niedrig gehalten und hohe Personalkosten vermieden

wurden. Gleichzeitig stellten die firmeneigenen Ausschließlichkeitsvertreter

eine hervorragende Eintrittsbarriere für neue Wettbewerber dar. Zusätzlich zur

eigenen Vertriebsorganisation entstanden über die Jahre auch

Vertriebskooperationen mit führenden Automobilherstellern und regionalen

Bankinstituten, die das Vertriebsnetz ergänzten.

� Starke Vertriebskultur: Als Ergänzung zur hauseigenen Vertriebsorganisation

kultivierte die ASSEKURANZ auch eine entsprechende Führungskultur. Um

höhere Führungspositionen zu erlangen, war es für Manager unumgänglich,

eine entsprechende Erfahrung im Vertrieb nachzuweisen. Dadurch hatten die

meisten leitenden Angestellten des deutschen Versicherungsgeschäfts das

Geschäft von der Pike auf gelernt und ein entsprechend solides Verständnis der

Abläufe und Erfordernisse des Tagesgeschäfts.

� Starke Marke: Der Markenname ASSEKURANZ war auf dem deutschen

Versicherungsmarkt überaus bekannt. Zusätzlich zur großen Bekanntheit genoss

die Marke auch einen ausgezeichneten Ruf, der sie gleichsam zum Synonym für

Beständigkeit und Qualität machte.

� Breite Kundenbasis: Durch ihre flächendeckende Präsenz in ganz Deutschland

hatte die ASSEKURANZ Zugang zu breiten Kundenschichten. Die

Kundendatei enthielt die entsprechenden Daten zum Risikoprofil und zu der

individuellen Schadenserwartung jedes einzelnen Kunden. Im Gegensatz zu

vielen Mitbewerbern verfügte die ASSEKURANZ daher über wertvolle

Informationen über ihre Kunden, die einerseits durch eine differenzierte,

risikoadäquate Prämiengestaltung und andererseits durch eine vorteilhafte

Risikoselektion dazu führten, dass der Aufwand für Schäden und Leistungen im

Rahmen blieb.

� Große Kundentreue: Sowohl im Geschäftsfeld der Schaden- und

Unfallversicherung als auch in der Lebens- und Krankenversicherung genoss

die ASSEKURANZ ein hohes Maß an Kundentreue. Die Stornorate lag deutlich

unter dem Durchschnitt auf dem Markt, was die Unternehmensleitung auf die

Qualität der Leistungen und das Kundenvertrauen in die finanzielle Stabilität

des Unternehmens zurückführte. Ein weiteres Indiz für die Zufriedenheit der

Kunden stellt die hohe durchschnittliche Vertragslaufzeit dar. Obwohl die

Kunden ihre privaten Kfz-Polizzen jährlich zum Jahreswechsel kündigen

konnten, blieben die Verträge durchschnittlich neun Jahre lang aufrecht.555

555 siehe Abbildung 40

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 173

Jahre

910

19

15

13,5

0

2

4

6

8

10

12

14

16

18

20

private Kfz Rechtsschutz Eigenheim Hausrat Haftpflicht

Abbildung 40: Durchschnittliche Vertragslaufzeit im Jahr 2001556

Geschützt durch eine schlagkräftige Vertriebsorganisation, die große Markenbekanntheit

und eine hohe Kundenzufriedenheit hatte das Unternehmen lange Zeit kaum Konkurrenz

zu fürchten. Hohe Marktanteile auf dem Heimmarkt waren der Beweis für die

dominierende Stellung im deutschen Versicherungswesen.

12.2.2 … zum integrierten Finanzdienstleister

Die Schaden- und Unfallversicherung in Deutschland war mit einer kombinierten

Schaden-/Kostenquote von traditionell unter 100 % ein äußerst profitables Geschäft, das

aufgrund des geringen Wettbewerbs auf dem staatlich regulierten deutschen

Versicherungsmarkt außerordentlich hohe Gewinne erwirtschaftete. Viele Jahre lang

generierte dieser Geschäftsbereich einen Gutteil der Geldmittel, die zur Finanzierung

strategischer Entwicklungsprojekte wie zum Beispiel für die internationale Expansion des

Konzerns benötigt wurden.

Obwohl die ASSEKURANZ bereits in den frühen 1970er-Jahren erste Niederlassungen

im Ausland gegründet hatte, dauerte es noch bis zur Mitte der 1980er-Jahre, bis die

internationale Expansion an Fahrt gewann. 1984 erfolgte der Einstieg in Italien, 1986 die

Übernahme einer britischen Versicherungsgesellschaft und 1991 folgte die erste

Akquisition in den USA. Die Chancen, die sich durch den Fall des Eisernen Vorhangs und

die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 ergaben, wurden einerseits durch die Rückkehr

in die östlichen Bundesländer und andererseits auch durch die Expansion nach Osteuropa

genutzt. 1995 konnten sowohl die Position in Deutschland, insbesondere in der

556 Eigene Darstellung auf Grundlage einer öffentlich zugänglichen Unternehmenspräsentation. Daten

beziehen sich auf die durchschnittliche Vertragslaufzeit im Bestand in Deutschland im Jahre 2001.

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174 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

Krankenversicherung, als auch die Präsenz auf anderen wichtigen europäischen Märkten

durch den Erwerb mehrerer Beteiligungen eines Mitbewerbers abermals gestärkt werden.

1997 erfolgte dann um 4,6 Mrd. Euro die bis dahin größte Akquisition. Die Übernahme

von 51 % einer Gesellschaft in Frankreich sicherte der ASSEKURANZ nicht nur eine

bedeutende Stellung auf dem französischen Markt, sondern auch weitere Beteiligungen

außerhalb Europas. 1999 markierte einen weiteren wichtigen Meilenstein der

Internationalisierung und Diversifikation des Konzerns, denn einerseits verlagerte sich der

Expansionsfokus auf den rasch wachsenden asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum,

andererseits wurde mit dem Schritt in die Vermögensverwaltung ein neues Geschäftsfeld

aufgebaut.

Seit der Aufnahme des Lebensversicherungsgeschäfts im Jahr 1922 ist die

ASSEKURANZ in der Vermögensverwaltung tätig, indem sie die Beiträge ihrer Kunden

umsichtig und langfristig anlegte. Im Zeichen der Globalisierung der Finanzmärkte

definierte sie die Vermögensverwaltung als neues Kerngeschäftsfeld und gründete 1998

das Geschäftsfeld Asset Management. Durch mehrere Übernahmen in den Jahren 2000

und 2001 stieg das Unternehmen in der Vermögensverwaltung zu einem der wichtigsten

Akteure weltweit auf. Die Transformation vom reinen Versicherungsunternehmen zum

integrierten Finanzdienstleistungskonzern fand 2001 durch den Einstieg ins Bankgeschäft

ihren abschließenden Höhepunkt. Heute gilt die Expansion ins Bankgeschäft als einer der

wenigen gescheiterten Expansionsschritte der ASSEKURANZ.

12.2.3 Die neue Realität im Versicherungsgeschäft

Die Jahrtausendwende markierte einen deutlichen Wendepunkt in der Entwicklung der

ASSEKURANZ. Nach Rekordjahren traf die auf das Ende des Internetbooms folgende

Krise das erfolgsgewohnte Unternehmen mit unvermittelter Härte. Infolge der

Terroranschläge vom 11. September 2001, des Zusammenbruchs der Finanzmärkte und

der darauffolgenden Wirtschaftskrise erlebte das Unternehmen 2001 ein sehr schwaches

Geschäftsjahr.557 In den neuen Geschäftsfeldern Asset Management und Bankgeschäft

waren hohe Verluste zu verkraften, doch auch im Geschäftsfeld der Schaden- und

557 Um einen Eindruck über das Ausmass und die Dramatik der damaligen Situation zu vermitteln sei James

Schiro, CEO Zurich Financial Services zitiert, der die Ereignisse mit der Methaper „perfect storm“

beschrieben hat. Die Meldung der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Aktiengesellschaft

für das Geschäftsjahr 2001 zum ersten Mal in ihrer 100-jährigen Firmengeschichte einen Verlust

auszuweisen, war für den Markt ein Schock. Die gesamte Branche wurden vom Platzen der

Spekulationsblase rund um die New Economy, die Ereignisse des 11. Septembers 2001 gebeutelt

und nicht zuletzt für die Ergebnissituation im Kerngeschäft Versicherung mit teilweise drastischen

Kursverlusten für die Versäumnisse im Risiko-Management und dem Rückgang der operativen

Ergebnisse abgestraft.

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 175

Unfallversicherung war die Situation alles andere als einfach, denn die

Schadenszahlungen infolge der Terroranschläge auf das World Trade Center und der

Rückgang der Erträge aus Kapitalanlagen belasteten das Ergebnis.

2002 wuchs sich die Entwicklung schließlich zu einer schweren Branchen- und

Unternehmenskrise aus. Aufgrund der Baisse auf dem Kapitalmarkt, der internationalen

Rezession und Naturkatastrophen in Europa musste die ASSEKURANZ, so wie viele

andere Versicherungsunternehmen, in mehreren Geschäftsfeldern hohe Verluste

vermelden. Hinzu kam, dass zwei große Tochtergesellschaften und die 2001 erworbene

Bank restrukturiert werden mussten und sich die Kapitalbasis des Konzerns bedrohlich

verringert hatte. Das erste Mal seit 1945 schrieb der Konzern rote Zahlen und musste im

März 2003 einen Jahresverlust von 1,2 Mrd. Euro vermelden.

Der Vorstand der ASSEKURANZ reagierte entschlossen, indem er eine Initiative startete,

um die Kapitalbasis des Unternehmens zu sichern, die operative Ertragskraft zu steigern

und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und so auf den Pfad nachhaltig-profitablen

Wachstums zurückzukehren.

Analog zur Situation des Konzerns war auch die Lage auf dem Heimmarkt Deutschland

angespannt. Die Hochwasserkatastrophe im Sommer 2002 sorgte für außerordentliche

Belastungen und das schwache Kapitalanlageergebnis konnte die Verluste im

versicherungstechnischen Ergebnis nicht mehr ausgleichen. Insgesamt war es nicht mehr

so einfach möglich, nach bisherigem Muster wie gewohnt hohe Gewinne zu erzielen.

Besonders die Entwicklung im Geschäftsbereich der Kfz-Versicherung gab seit einiger

Zeit Anlass zur Sorge, denn in den Jahren seit der Deregulierung des deutschen

Versicherungsmarkts hatte sich die Wettbewerbsintensität deutlich erhöht. Dieser

Entwicklung konnte sich auch die ASSEKURANZ nicht entziehen. In Folge waren das

Prämienniveau und der Gewinn im Kfz-Geschäft, in der dem Volumen nach

bedeutendsten Versicherungssparte nach der Lebensversicherung, deutlich eingebrochen.

Außerdem stand die ASSEKURANZ im deutschen Kfz-Privatkundengeschäft vor dem

Problem, Jahr für Jahr Kunden zu verlieren.

Betrachtet man die Situation im Kfz-Versicherungsgeschäft, gaben folgende

Entwicklungen Grund zur Sorge:

� Steigende Stornoraten: Die jährlich durchgeführte Analyse der

Stornoentwicklung im Kfz-Geschäft ergab eine von Jahr zu Jahr sinkende

Kundenloyalität, während die Wechselbereitschaft der Kunden stetig stieg.

Besonders bei Fahrzeugwechseln, d. h., wenn der Versicherungskunde sein

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176 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

Fahrzeug durch einen Neuwagen oder ein gebrauchtes Fahrzeug ersetzte,

wanderten überdurchschnittlich viele Kunden zur Konkurrenz ab.

� Strategische Defizite: Die ASSEKURANZ war mit ihrer eigenen

Vertriebsorganisation im Qualitätssegment gut aufgestellt, doch diese

Kundengruppe schrumpfte. Hingegen hatte man das besonders schnell

wachsende Kundensegment, in dem es in erster Linie um den Preis ging,

anderen Anbietern überlassen. Dieses neue Segment wurde vor allem von

Direktanbietern bedient, die gegenüber der ASSEKURANZ über deutliche

Kostenvorteile verfügten.

� Sinkende Marktanteile: Beide Entwicklungen manifestierten sich in

schleichenden Marktanteilsverlusten. Zwar wurde der Abrieb nach der

Deregulierung durch den Zukauf einer kleineren Versicherungsgesellschaft

vorübergehend ausgeglichen, doch schon fünf Jahre später war der gesamte

zugekaufte Marktanteil bereits wieder verloren gegangen.

� Schwache Rentabilität: Bedingt durch den scharfen Preiswettbewerb war die

Rentabilität der Sparte weiterhin sehr schwach. Besonders in den ersten Jahren

des liberalisierten Markts von 1995 bis 1998 war die durchschnittliche

Jahresprämie für die Kfz-Haftpflichtversicherung eines privaten Pkw um 21 %

gesunken. Zwar konnte infolge der branchenweit hohen Verluste das

Prämienniveau durch notwendige Anhebungen der Beiträge wieder gesteigert

werden, lag 2002 aber noch immer unter dem Niveau von 1995.

15%

20%

25%

30%

35%

1960 1970 1980 1990 2005

Abbildung 41: Marktanteil im Kfz-Geschäft im Zeitraum 1960 bis 2005558

Die Notwendigkeit zur strategischen Neuausrichtung der Vertriebswege ergab sich daher

558 vgl. Hartmann, K. (2006)

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 177

in erster Linie durch die Verschiebungen innerhalb der Kundengruppen bzw.

Marktsegmente. Während der Bedarf an und die Suche nach Beratung insgesamt

zurückgingen, war daneben ein neues preissensitives Kundensegment entstanden. So stieg

der Anteil der Kunden, die sich vor allem auf Grundlage des Preises für eine

Versicherung entschieden, kontinuierlich an.

„Der eigentliche Auslöser war die Deregulierung im Jahre 1994, doch es

dauerte noch einige Jahre, bis die 9euausrichtung tatsächlich angegangen

wurde.“559

Das Segment qualitäts- und beratungsaffiner Kunden hatte sich von zuvor 50 % über die

Jahre halbiert. Der Marktanteil der ASSEKURANZ blieb in dieser profitablen, weil

qualitativ hochwertigen und an guter Beratung wie Betreuung interessierten

Kundengruppe zwar gleich, da sich das Segment in Relation zum Gesamtmarkt halbierte,

doch der Marktanteil der Allianz war kontinuierlich von über 30 % auf nur noch 18 %

gefallen und die Vertriebsschiene Ausschließlichkeitsorganisation stagnierte.560

12.2.4 Die Suche nach Wachstum und neuen Geschäftsmodellen

Betrachtete man die Marktanteilsentwicklung der letzten Jahre, war klar: Um wieder

erfolgreich auf dem Markt für Kfz-Versicherungen aufgestellt zu sein, musste man etwas

tun. Die geänderten Wettbewerbsverhältnisse auf dem deutschen Versicherungsmarkt und

der über das Jahr 2000 hinaus anhaltend hohe Bestandsabrieb machten die

Neuausrichtung des Kfz-Versicherungsgeschäfts schließlich unausweichlich.561 Oberstes

Ziel war es, die Trendumkehr zu schaffen und auf den Pfad profitablen Wachstums

zurückzukehren.

Der erste Anlauf dazu wurde im Jahr 2001 unternommen. Die ASSEKURANZ wollte ihr

Profil als Qualitätsanbieter schärfen und dem Kunden zusätzlichen Service bieten. Dem

bisherigen Wertversprechen „Service und Qualität“ folgend suchte man nach einer

Lösung, damit die zunehmend wechselbereiten Kunden dem Unternehmen treu blieben

und nicht beim nächsten Fahrzeugwechsel zu anderen Anbietern abwanderten. Das

Ergebnis dieser Suche war ein neues Geschäftsmodell, ein Marktplatz für

Gebrauchtwagenkäufer, der im Sommer 2002 in Betrieb ging.562

559 Interviewpartner SK3 560 vgl. Abbildung 41 561 vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 12.1 562 vgl. Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz

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178 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

Der nächste Schritt zur Neuausrichtung des Kfz-Versicherungsgeschäfts wurde 2003

unternommen, denn den verantwortlichen Managern wurde immer klarer, dass die

Geschäftsstrategie der ASSEKURANZ nicht mehr mit den Gegebenheiten auf dem Markt

in Einklang stand und der Geschäftsbereich Kfz Privat in Deutschland eine neue Strategie

brauchte.

„Das Produkt-, Preis-, Service-Angebot der ASSEKURA9Z passte nicht mehr

zu den am Markt nachgefragten Kombinationen und durch den einseitigen

Vertriebskanal-Mix fehlte der Zugang zu den Kundensegmenten, wo Wachstum

passierte.“563

Ein junger Mitarbeiter der Kfz-Abteilung, Herr Martin Meier, der sich intensiv mit der

Wettbewerbssituation auf dem deutschen Kfz-Versicherungsmarkt beschäftigt hatte,

führte die negative Entwicklung im deutschen Kfz-Versicherungsgeschäft auf einen

falschen Vertriebskanalmix der ASSEKURANZ zurück. Der traditionell dominante

Hauptvertriebsweg über die eigene Handelsvertreterorganisation stagnierte, während der

Zugang zum schnell wachsenden Kundensegment preissensibler Kunden weitgehend

fehlte. Um mit dem Markt zu wachsen, war es notwendig, in den wachsenden Segmenten

dabei zu sein.

Die Arbeit an der neuen Strategie begann im November 2003. Zuerst musste Herr Martin

Meier im Haus die nötigen Unterstützer für sein Vorhaben finden. Bei seinem Chef Herrn

Hans Huber fand er Gehör, Offenheit und die Bereitschaft, das Thema mit dem Vorstand

Herrn Jürgen Jung zu diskutieren. Beide sicherten ihre Unterstützung zu und übernahmen

als Sponsoren die Schirmherrschaft der Initiative.

„Die Sponsoren des Projektes ließen es einfach zu. Sie ließen uns einfach

machen. Diese Konstellation war entscheidend für den Erfolg. Sie standen

absolut hinter der Initiative und stärkten uns im weiteren Verlauf den

Rücken.“564

Herr Martin Meier wurde damit beauftragt, seine Gedanken in einem Ideenpapier für das

deutsche Kfz-Geschäft zusammenzufassen. Die entsprechende Vorstandsvorlage sollte

dann im Jänner 2004 im Vorstand diskutiert und entschieden werden.

Da sein Vorschlag einige kritische Punkte enthielt, war Herrn Martin Meier klar, dass die

563 Interviewpartner ST1 564 Interviewpartner ST1

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 179

Chancen für die Annahme nicht gut standen. Zum Beispiel war die Idee, einen

Direktkanal zu lancieren, bereits mehrfach diskutiert, jedoch aus Furcht, den eigenen

Vertrieb damit aufzubringen bzw. das eigene Geschäft zu kannibalisieren, mehrmals

verworfen worden.

So hatte bereits der Vorgänger von Herrn Jürgen Jung bald nach der Deregulierung den

Versuch unternommen, einen Direktkanal aufzubauen. Der Plan wurde jedoch aus

Rücksicht auf die eigene Vertreterorganisation rasch wieder zurückgenommen.

„Schauen Sie, wenn Sie 100 Jahre lang mit dem Modell der

Ausschließlichkeitsagenturen erfolgreich waren, dann fällt es schwer, sich zu

ändern. Da sind die Widerstände sehr groß.“565

Erwartungsgemäß wurde der kontroverse Vorschlag auch dieses Mal heiß diskutiert,

wobei sich schnell zwei Gruppen im Vorstand herausbildeten. Während einem Teil die

Notwendigkeit zur Veränderung bewusst war und er den Antrag unterstützte, begegnete

die andere Hälfte dem Konzeptpapier aus den wohlbekannten Gründen – Furcht vor der

Kannibalisierung bestehender Vertriebswege – mit Vorbehalten.

Um die Idee der Mehrkanalstrategie und die Notwendigkeit einer differenzierten

Marktbearbeitung nochmals zu verdeutlichen, wurde ein externer Ratgeber engagiert. Die

Wahl fiel auf Herrn Otto Ostermann, der auf dem Gebiet des Mehrkanalvertriebs als

anerkannter Experte galt. Seine Aufgabe war es, sowohl zu beraten als auch

Überzeugungsarbeit zu leisten.

Allen Beteiligten war schließlich klar, dass die traditionelle Außendienstorganisation zwar

für lange Zeit – wenn auch nicht ganz absehbar – ein erfolgreiches Modell und der

wichtigste Kanal bleiben, aber insgesamt an Bedeutung verlieren würde – nicht für das

Qualitätssegment, aber insgesamt relativ zu den neuen Kanälen, weil das

Qualitätssegment einfach nicht mehr wuchs.

Im Februar 2004 gab der Vorstand schlussendlich das Einverständnis zur Erarbeitung

einer neuen Strategie für den Geschäftsbereich Kfz Privat. Eine Arbeitsgruppe wurde ins

Leben gerufen, die sich unter dem Arbeitstitel „Kraft-Strategie 2010“ mit der

Formulierung einer Wachstumsstrategie für den Geschäftsbereich Kraft Privat befassen

sollte.

565 Interviewpartner SK3

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180 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

„Der Projektauftrag an das neu formierte Team war, neue Ideen zu finden, wie

die ASSEKURA9Z auf das geänderte Marktumfeld reagieren konnte, und

Handlungsoptionen für die neue strategische Ausrichtung im Kraftgeschäft

aufzuzeigen.“566

Herr Martin Meier bildete ein Projektteam, das aus 14 Personen bestand und immer

wieder durch Fachleute aus anderen Abteilungen wie zum Beispiel durch Aktuare

unterstützt wurde. Etwa die Hälfte der Projektteilnehmer waren Mitarbeiter aus dem

Geschäftsbereich Kraftversicherung. Die restlichen Kapazitäten wurden für das Projekt

aus anderen Bereichen zugewiesen.

Auf externe Unternehmensberater verzichtete man dabei gänzlich, da die begründete

Sorge bestand, interne Daten und strategische Überlegungen könnten an Mitbewerber

weitergegeben werden. Lediglich bei der Marktforschung arbeitete man mit externen

Anbietern zusammen.

Im ersten Schritt wurde der deutsche Kraftversicherungsmarkt bis ins Detail

durchleuchtet, um strategische Optionen für die zukünftige Strategie der ASSEKURANZ

im Kfz-Geschäft mit Privatkunden zu entwickeln.

„Im Rückblick waren der wissenschaftliche Zugang, den wir im Projektteam

verfolgt haben, und die saubere Ausarbeitung der Mehrkanal-Mehrprodukt-

Strategie sicher zwei der wesentlichen Erfolgsfaktoren, die schließlich zur

Annahme des Strategieentwurfs führten.“567

Aktuelle Marktstudien zeigten je nach Versicherungssparte signifikante Unterschiede in

der Kanalnutzung.568 Wenngleich der traditionelle Agenturvertrieb weiterhin dominierte,

war die Akzeptanz alternativer Vertriebsformate in der Kfz-Sparte bereits relativ hoch

und stieg Jahr für Jahr weiter an. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurden folgende

Schlüsse gezogen, die für die Entwicklung der Mehrkanalaufstellung entscheidende

Erkenntnisse lieferten:

� Kunden nehmen die Unterschiede verschiedener Versicherungssparten wahr

und haben in den einzelnen Sparten einen differenzierten Beratungsbedarf.

� Kunden nutzen unterschiedliche Kanäle. Der Ein- und Ausstieg in die und aus

den betreffenden Produkten erfolgte weitgehend unabhängig voneinander. 566 Interviewpartner FA2 567 Interviewpartner FA2 568 vgl. Psyconomics (2003)

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Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation 181

� Die Erschließung des Marktpotenzials der Multikanalkunden erfordert die

Koordination der Vertriebe (zum Beispiel durch den Austausch von

Kundenkontakten).

� Die Bedienung von Multikanalkunden stellt die besondere Chance einer

Mehrkanalstrategie dar.

� Bei Kunden mit differenzierten Kanalpräferenzen bei verschiedenen Produkten

bietet eine Multikanalstrategie besondere Vorteile.

Im zweiten Schritt versuchte das Team, den Markt zu segmentieren, um Geschäftsfelder

bzw. homogene Zielgruppen zu definieren. Dazu wurde eine mehrdimensionale

Marktsicht entwickelt und mit Daten unterfüttert.569

Abnehmergruppe

Fahrzeuggeneration

Kundenbedürfnis

Abbildung 42: Kundensegmentierung des deutschen Kfz-Versicherungsmarkts570

Für die einzelnen Felder dieses Würfels wurden die Anzahl der potenziellen Kunden, das

Geschäftsvolumen und die erwartete Wachstumsrate erhoben. Ausgehend von dieser

Marktsegmentierung wurden mehrere Zielgruppen identifiziert und als potenzielle

Geschäftsfelder für das deutsche Kfz-Versicherungsgeschäft evaluiert. In diesem

iterativen Prozess der Definition und Evaluation interessanter Kundengruppen waren auch

Aktuare eingebunden, die die Rentabilität der einzelnen Segmente beurteilen konnten.

Einige Gruppen mussten aufgrund der mangelnden Wirtschaftlichkeit des

569 vgl. Abbildung 42 570 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 164.

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182 Fallstudien zur Geschäftsmodellinnovation

Kundensegments ausgeschlossen werden, da die angestrebte kombinierte Schaden-

Kosten-Quote in diesen Segmenten nicht erreichbar war.

Neben der Rentabilität war das Wachstumspotenzial der Kundengruppen die

entscheidende Zielgröße. Ziel war es, wachstumsstarke und gleichzeitig profitable

Kundengruppen zu identifizieren. Schlussendlich kristallisierten sich zwei Marktsegmente

heraus, die den Anforderungen entsprachen:

� Zielgruppe „Neuwagen/gute Gebrauchte“: Um dieses Segment zu bedienen,

sollte die Kooperation mit Automobilherstellern intensiviert werden, denn die

Autohäuser sind zum Zeitpunkt des Autokaufs für die Kunden eine der ersten

Anlaufstellen und wissen daher aus erster Hand über die Kundenwünsche

Bescheid.

� Zielgruppe „Best Price Shoppers“: Dieses Marktsegment war bisher fest in der

Hand der Direktversicherungen, die nach dem Kiosk-/Stationenmodell

operieren. Da diese Kundengruppe weiterhin hohes Wachstum versprach, sollte

der direkte Angriff auf die stationären Anbieter versucht und der Markt für die

ASSEKURANZ zurückerobert werden. Diese Zielgruppe sollte durch einen

eigenen Direktkanal erschlossen werden.

Die größten Wachstumspotenziale vermutete das Projektteam daher im Direktvertrieb und

Versicherungsvertrieb über Autohändler, die den Zugang zu diesen beiden Zielgruppen

öffnen sollten.

Die Widerstände gegen den vorliegenden Entwurf einer Mehrkanalstrategie waren nun

relativ gering. Sehr hilfreich war die eindeutige Definition der Zielsegmente, die sich gut

mit der neuen Geschäftsstrategie des Unternehmens auf dem Kfz-Versicherungsmarkt

ergänzte und somit ein schlüssiges Bild über die strategische Ausrichtung und die weitere

Entwicklung des Kfz-Versicherungsgeschäfts bot.

Indem den Zweiflern und Skeptikern im eigenen Haus nun eindeutige Mengengerüste und

Wachstumsprognosen entgegengehalten werden konnten, war die Idee, den deutschen

Kfz-Versicherungsmarkt mit einer Mehrkanalstrategie zu bearbeiten, belegbar und sehr

glaubwürdig. Die Transparenz und Klarheit der Strategie waren für Herrn Martin Meier

wichtige Erfolgsgeheimnisse des gesamten Vorhabens.

Schlussendlich wurde dem Vorstand folgende Empfehlung zur Entschlussfassung

unterbreitet:

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Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 183

� Empfehlung einer Mehrkanalstrategie für das deutsche Kraftgeschäft mit den

drei gleichberechtigten Vertriebskanälen traditioneller Außendienst,

Kooperation mit der Automobilwirtschaft und Direktvertrieb.

� Die Aufgabe der Einproduktstrategie zugunsten einer Mehrproduktstrategie mit

maßgeschneiderten Produkten für die Kooperation mit der Automobilwirtschaft

und für ein eigenständiges Direktangebot

Die Annahme der Entscheidungsvorlage „Kraft-Strategie 2010“ erfolgte im Dezember

2004. Nachdem die Mehrkanalstrategie und die einzelnen Produktvarianten im Vorstand

beschlossen waren, ging es an die Realisierung der einzelnen Produkt-Preis-Service-

Varianten und es mussten neue, maßgeschneiderte Geschäftsmodelle für die

Direktversicherung571 und die Kooperation mit der Automobilwirtschaft572 gefunden

werden.

Um die Bedürfnisse der einzelnen Zielgruppen zu treffen, erging der Auftrag, eine

eigenständige Produkt-Preis-Service-Kombination zu entwickeln. Für den Angriff auf die

preissensiblen Kunden und als Konkurrenz zu den bestehenden Direktanbietern war die

Direktvariante gedacht. Rund um diese Angebotsvariante sollte ein entsprechendes

Geschäftsmodell gebaut werden. Daneben war für das Geschäftsfeld Automobilwirtschaft

eine eigenständige Angebotsvariante vorgesehen und auch hier stellte sich die Frage nach

dem passenden Geschäftsmodell.

13 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz

Im Jahr 2000 waren die Auswirkungen der Deregulierung auf dem deutschen Kfz-

Versicherungsmarkt bereits deutlich spürbar. Die aktuellen Geschäftszahlen des

deutschen Kfz-Versicherungsgeschäfts boten Grund zur Sorge. Seit einigen Jahren verlor

die ASSEKURANZ kontinuierlich Kunden und auch die traditionell zu Jahresende

stattfindende Kfz-Abwerbungsrunde verlief dieses Jahr schwach.

Eine kürzlich durchgeführte Analyse des Stornoverhaltens zeigte, dass die

ASSEKURANZ gerade dann, wenn der Kunde sein Fahrzeug gegen einen Neuwagen

oder Gebrauchtwagen wechselte, besonders viele Kunden an die Konkurrenz verlor.

Von den jährlich neu zugelassenen Pkws entfiel mit circa 1,5 Mio. die Hälfte auf

Privatfahrzeuge, während die restlichen circa 1,5 Mio. Pkws als Firmenfahrzeuge

571 vgl. Fallstudie 2: Direktversicherung 572 vgl. Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

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184 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz

zugelassen wurden. Zusätzlich zu diesen 3 Mio. Fahrzeugen wechseln jährlich ca. 6,7

Mio. Gebrauchtwagen den Besitzer.573 Etwa die Hälfte der Gebrauchtwagen wird direkt

von Privaten an Private, die andere Hälfte der Fahrzeuge wird über professionelle Händler

verkauft.

Während die ASSEKURANZ durch ihre Kooperation mit großen Automobilkonzernen

über einen guten Zugang zum Neuwagengeschäft verfügte, war die Kontrolle über den

Gebrauchtwagenmarkt vergleichbar gering. Eine lückenlose und systematische

Bearbeitung des Markts war nicht immer möglich, da den selbstständigen Vertretern der

ASSEKURANZ oft die Information über die Intention ihrer Kunden fehlte. Die wenigsten

Vertreter wussten, welche ihrer Kunden sich konkrete Gedanken über die Anschaffung

eines Gebrauchtwagens machten oder ihr bestehendes Auto verkaufen wollten. In vielen

Fällen erfuhr der Vertreter erst viel zu spät von den Plänen des Kunden, der in der

Zwischenzeit bereits ein neues Auto gekauft und die Versicherung anderswo

abgeschlossen hatte. Dort, wo die Kundenbeziehung zwischen Vertreter und Kunden

schwach ausgeprägt war, erfuhr der Vertreter teilweise nur indirekt durch das

Kündigungsschreiben vom Fahrzeugwechsel des Kunden.

Wollte die ASSEKURANZ ihre Vertreter dabei unterstützen, die im Zuge des

Fahrzeugwechsels verlorenen Kunden als Versicherungsnehmer im Haus zu halten,

musste sie ihren Vertretern ein neues Instrument zur Verfügung stellen, um möglichst

zeitnahe über die Pläne des Kunden in Kenntnis gesetzt zu sein. Entweder würde der

Kunde selbst seinen ASSEKURANZ-Vertreter über seine Intention informieren oder es

musste ein anderer Weg gefunden werden, damit die Vertreter rechtzeitig über die

Intentionen der Kunden in Kenntnis gesetzt werden konnten.

Der Vertreter musste rechtzeitig Bescheid wissen, wenn der Kunde sich mit der konkreten

Absicht zum Kauf eines neuen Pkw trug. Solch eine Information war für die Vertreter der

ASSEKURANZ aus zweierlei Grund von großem Wert: Einerseits konnte der Kunde

frühzeitig auf die Fortführung der Kfz-Versicherung für das neue Fahrzeug angesprochen

werden, noch bevor ein möglicher Mitbewerber ein Angebot legen konnte. Andererseits

geht die Anschaffung eines neuen Fahrzeugs in vielen Familien mit anderen familiären

Veränderungen einher. Zum Beispiel benötigt eine Jungfamilie mit einem Kleinkind nicht

nur ein größeres Fahrzeug. Gleichzeitig ergeben sich durch ein Kind auch die

Verkaufschancen für andere Versicherungsprodukte wie zum Beispiel eine

Unfallversicherung für Mutter und Kind oder eine Krankenversicherung für das Kind etc.

573 vgl. GDV/KFA Statistik

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Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 185

Auf Initiative von Herrn Robert Reich aus dem Geschäftsbereich Kfz Privat und mit der

Unterstützung des zuständigen Vorstands Ludwig Lechner wurde daraufhin eine kleine

Projektgruppe ins Leben gerufen, die damit beauftragt wurde, die Gründe der hohen

Stornoraten eingehend zu analysieren und neue Ideen zu entwickeln, wie dieser Trend und

damit der weitere Verlust an Bestandskunden gestoppt werden konnten.

13.1 Projektorganisation

Die Zusammenstellung des Teams übernahm der Sponsor Herr Robert Reich. Anfangs

bestand das Projektteam aus wenigen Personen. Als fachliche Projektleiterin wurde Frau

Beate Baum bestimmt. Bedauerlicherweise wirkte sie aber nur einige Monate aktiv am

Projekt mit, da sie im Frühjahr 2001 in Mutterschutz ging.

Da im Verlauf der ersten Projektsitzungen schnell klar wurde, dass allfällige

Lösungsansätze auch hinsichtlich ihrer technischen Umsetzbarkeit beurteilt werden

mussten, wurde in der Person von Herrn Karl Koch ein zweiter Projektleiter installiert,

der das benötigte technische Know-how einbringen konnte.

Neben den zwei Projektleitern wurde Herr Martin Meier als Vertreter einer der lokalen

Zweigniederlassungen der ASSEKURANZ in die Arbeitsgruppe berufen. Herr Martin

Meier sollte sowohl seine Fachkenntnisse als auch seine Erfahrung aus seiner früheren

Tätigkeit im Vertrieb einbringen. Meistens ging es dabei um Fragen zum

Versicherungsprodukt und typische Abläufe im Vertrieb und in der Verwaltung (Vertrag,

Schaden). Zur Unterstützung des kleinen Projektteams wurden externe Consultants eines

Beratungsunternehmens mit dem Schwerpunkt IT-Consulting engagiert.

Anfangs bestand das Projektteam lediglich aus vier Personen. Das gesamte Vorhaben

sollte vorläufig aus dem laufenden Budget bezahlt werden.

13.2 Strategiefindung und Geschäftsidee

Die zentrale Aufgabe des Projektteams bestand darin, kreative Ideen zu entwickeln, wie

man der Stornoentwicklung entgegenwirken konnte bzw. wie der starke Bestandsabrieb

infolge von Fahrzeugwechseln gestoppt werden konnte.

Im Mittelpunkt der Überlegungen stand die Frage, wie der ASSEKURANZ-Vertreter vor

Ort möglichst zeitnah über die Intentionen des Kunden in Kenntnis gesetzt werden

konnte. Die Phase der Ideengenerierung wurde durch drei externe Berater, Herrn Walter

Westerwald und zwei Kollegen, unterstützt. Diese sollten vor allem Kreativität, eine

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186 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz

externe Perspektive und ihre in früheren Projekten gesammelte Erfahrung bei der

Entwicklung neuer Geschäftsmodelle einbringen.

Die weitere Vorgehensweise wurde einerseits durch Methoden des Projektmanagements

und andererseits durch Werkzeuge aus der Six-Sigma-Toolbox der Consultants

strukturiert.

In einer ersten Brainstormingrunde konnte eine Vielzahl neuer Ideen generiert werden, die

im nächsten Schritt auf ihre konkrete Umsetzbarkeit hin untersucht wurden. Die kreativen

Ideen reichten von Promotionaktionen in Autokinos bis zum Versand von Wechselkarten

an die Halter älterer Kraftfahrzeuge. Viele Optionen mussten bereits schnell wieder

verworfen werden, weil sie entweder als technisch nicht umsetzbar erachtet wurden oder

an versicherungstechnischen Problemen wie etwa einer zu schlechten Risikoselektion

scheiterten.

Nach der Generierung und Evaluation der verschiedenen Ideen kristallisierten sich

schließlich Handlungsoptionen heraus, die in Absprache mit dem Sponsor weiter verfolgt

werden sollten. Besonders die Idee, einen Gebrauchtwagen-Marktplatz zu gründen, um so

direkten Zugang zum Markt für gebrauchte Pkws zu erschließen, stieß beim Sponsor auf

reges Interesse.

Ende 2000 war im Konzern die Bereitschaft für Internetgeschäftsmodelle noch sehr groß.

Der andauernde Internetboom und konzernweite Internetinitiativen schafften die idealen

Rahmenbedingungen und einen freundlichen Kontext für solche Projekte. Einerseits war

die Idee intern gut zu verkaufen. Andererseits wurde Internetgeschäftsmodellen noch viel

Potenzial zugebilligt und man hoffte, dadurch zusätzliches Wachstum für das

Kerngeschäft Kfz-Versicherung zu generieren.

Schlussendlich entschied sich die Geschäftsleitung Anfang 2001 dazu, die Geschäftsidee

„Marktplatz für Gebrauchtwagen“ voranzutreiben.

Von Anfang an waren die Strategie und die innere Logik des neuen Geschäftsmodells

klar. Die ASSEKURANZ wollte die Stärke ihrer Marke und ihre Kompetenz in der

Kraftversicherung dazu nutzen, zum Betreiber des führenden Internetmarktplatzes für

Neu- und Gebrauchtwagen in Deutschland aufzusteigen. Zum damaligen Zeitpunkt gab es

noch keinen dominanten Anbieter auf diesem Markt, sondern nur einige sehr kleine Start-

ups, die sich den Markt teilten. Die ASSEKURANZ ging davon aus, durch ihre

Marktstellung und Bekanntheit die anderen Anbieter schnell zu überflügeln und zum

dominanten Anbieter aufzusteigen.

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Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 187

Die ursprüngliche Geschäftsidee sah vor, dass die ASSEKURANZ durch die Gründung

eines Gebrauchtwagen-Marktplatzes im Internet gezielt in den Gebrauchtwagenmarkt

einsteigen sollte, um sich so den direkten Zugang zu diesem Marktsegment zu sichern

bzw. aus erster Hand über die Intentionen der Kunden Kenntnis zu erlangen. Neben der

Absicherung bestehender Kunden erhoffte man sich darüber hinaus Impulse für das

Neugeschäft, da der ASSEKURANZ über den Marktplatz auch der Zugang zu

Fremdkunden und neuem Wachstum eröffnet wurde.

Darüber hinaus zielte das Projektteam darauf ab, die umfangreichen und weit gefächerten

Dienstleistungen rund um das Thema Mobilität zu bündeln und den Kunden bei seinem

Vorhaben, der Anschaffung eines Automobils, zu begleiten. Entsprechend den

verschiedenen Stationen im Beschaffungsprozess sollte versucht werden, jeweils

zielgerichtet die notwendige Information und Dienstleistung bereitzustellen und den

Kunden auf diese Weise bei der konkreten Entscheidungsfindung zu unterstützen. Der

Leitgedanke dahinter, nämlich durch zusätzliche Dienstleistungen und spezielle

Kooperationspartner einen Mehrwert für den Kunden zu schaffen und ihn dadurch stärker

an die ASSEKURANZ zu binden, war nicht neu.

Durch ein spezielles, auf die Bedürfnisse der Zielgruppe Autokäufer und -verkäufer

zugeschnittenes Leistungspaket bestehend aus einem Internetmarktplatz und

redaktionellen Beiträgen zum Thema Neu- und Gebrauchtwagenkauf sollte über die

Kernleistung Kfz-Versicherung hinaus die ASSEKURANZ als kompetenter Partner und

Lösungsanbieter rund um das Thema Mobilität positioniert werden.

Da sich die meisten Kunden bereits vor dem eigentlichen Autokauf eine Zeit lang mit dem

Gedanken tragen und umfassend informieren wollen, sollte durch ein interessantes und

umfassendes Informationsangebot über Neuwagen und neue Modelle der Kunde bereits

vor dem Autokauf auf das Internetportal der ASSEKURANZ gelockt werden. Der Vorteil

für den Kunden lag im Informationsangebot und der Möglichkeit, sich einen guten

Überblick über den Markt für Neu- und Gebrauchtwagen zu verschaffen. Sollte der

Kunde bereits konkreten Bedarf an einem Fahrzeug haben, konnte er auf dem Marktplatz

unter Tausenden Angeboten nach dem gewünschten Fahrzeug suchen und den

betreffenden Händler oder privaten Abgeber kontaktieren.

Gegenüber Kfz-Herstellern hatten die Versicherungsvertreter traditionell den Nachteil

gehabt, dass sie den Kunden nicht direkt am Point of Sale (POS) auf das Thema

Versicherung ansprechen konnten und daher gegenüber den Händlern aufgrund deren

Informationsvorsprungs die Nachsicht hatten. Durch den Internetmarktplatz sollte dieser

Nachteil wettgemacht werden.

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188 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz

Die ASSEKURANZ würde noch vor dem Händler darüber Kenntnis erlangen, welches

Fahrzeug der Kunde eigentlich sucht. Sie würde über die Wünsche des Kunden sogar

besser Bescheid wissen als der Autohandel selbst. Weiters sollte der Internetmarktplatz

allen Kunden und Internetnutzern, die beabsichtigten, ihr eigenes Fahrzeug zu verkaufen,

gratis offenstehen. Zusätzlich zum großen Angebot an Gebrauchtwagen wurde auch ein

vielfältiges Spektrum geldwerter Verbraucherinformationen rund um das Thema Auto

geboten, wie beispielsweise Checklisten, Tipps zum Gebrauchtwagenkauf, Urteile zum

Verkehrsrecht oder Erkenntnisse aus der Sicherheitsforschung. Hinzu kamen

verschiedene Serviceleistungen wie Fahrzeugbewertung, Routenplaner,

Musterkaufverträge und Versicherungsrechner. „Damit wollen wir einmal mehr die

Kompetenz der ASSEKURA9Z als Autoversicherer und Dienstleister unter Beweis

stellen“, begründete der zuständige Ressortvorstand die Initiative.

Diese ergänzenden Dienstleitungen wie das in Kooperation mit einem unabhängigen

Anbieter automobiler Marktdaten angebotene Schätzservice sollten dem Kunden einen

zusätzlichen Nutzen schaffen. Ziel war es, dem Kunden nicht nur beim Verkauf, sondern

entlang des gesamten Verkaufsprozesses, etwa auch bei der Wertermittlung des

Fahrzeugs, zu helfen.

Doch auch für die Vertreter der ASSEKURANZ sollte ein Mehrwert generiert werden.

Daher war von Anfang an eine starke Einbindung des Hauptvertriebswegs der

Ausschließlichkeitsorganisation angedacht. Neben einem Mehr an Information über die

Wünsche und den konkreten Bedarf der Kunden war es vor allem notwendig, die Kunden

in die Agenturen zu lotsen.

Die Vernetzung mit den lokalen Vertretern bot darüber hinaus auch einen Nutzen für den

Internetmarktplatz. Da DSL-Anschlüsse in privaten Haushalten noch nicht sehr verbreitet

waren, musste auch eine Lösung für Kunden gefunden werden, die zu Haus selbst über

keinen Zugang zum Internet verfügten. Die Lösung war die Einbindung der vielen

Agenturstandorte. Dort konnten Kunden ohne Internetanschluss die Leistungen des

Internetmarktplatzes in Anspruch nehmen, indem sie ihr Inserat über den lokalen

Agenturstandort abgaben oder dort nach einem neuen Fahrzeug suchten. Gleichzeitig

konnte auf diese Weise die Kundenfrequenz in den Agenturen gesteigert werden und der

Gebrauchtwagen-Marktplatz dazu beitragen, mehr Kunden in die Agenturen zu bringen,

um für die Vertreter zusätzliches Versicherungsgeschäft auszulösen und so einen

Mehrwert für die hauseigenen Vertreter zu schaffen.

Der Leitgedanke, zusätzlichen Nutzen für Kunden und Vertreter zu generieren, war somit

ein zentrales Element der Geschäftsidee und lag der ursprünglichen Konzeption des

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Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 189

Gebrauchtwagen-Marktplatzes zugrunde. Zusammengefasst kommt diese Logik in

folgenden Zielsetzungen zum Ausdruck:

� Die Marke und Kundenbasis sollten dazu genutzt werden, zu einem der

führenden Marktplatzbetreiber für Gebrauchtwagen zu werden.

� Das Markenimage sollte um das Attribut „umfassender Problemlöser“ erweitert

werden.

� Zusätzlicher Nutzen für die Kunden und die eigenen Versicherungsvertreter

sollte geschaffen werden.

Weiters muss darauf hingewiesen werden, dass im Jahr 2000 und Anfang 2001 vor dem

Hintergrund des andauernden Internetbooms und der konzernweiten Internetinitiative

solche Projekte intern noch sehr gut ankamen und aktiv gefördert wurden. Außerdem

passte dieser Ansatz vortrefflich in die Marketing- und Zielgruppenstrategie der

ASSEKURANZ. Man stieß daher im Haus auf wohlwollende Unterstützung, denn das

Unternehmen wollte sich in seinem Marktauftritt insgesamt stärker auf bestimmte

Zielgruppen konzentrieren, die Bedürfnisse dieser Kunden besser verstehen und

gemeinsam mit Partnern für den Kunden nicht nur ein breit gefächertes Angebot, sondern

eine umfassende Problemlösung zusammenstellen. Darüber hinaus war das Angebot des

Gebrauchtwagen-Marktplatzes als ein weiterer Absatzkanal zur Ansprache, Gewinnung

und Absicherung von Versicherungskunden zu verstehen.

13.3 Konkretisierung des Geschäftsmodells

Da das Auto für den Kunden nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern ein wesentlicher

Teil des sozialen Lebens ist, assoziiert der Kunde mit dem Begriff „Auto“ nicht nur ein

Fahrzeug, sondern auch Freiheit, Unabhängigkeit, Urlaub und Spaß. Schlussendlich ist für

viele Kunden ein Leben ohne Auto auch gar nicht mehr vorstellbar.574

Um den Kunden im Prozess der Anschaffung eines langlebigen Wirtschaftsguts wie eines

Kraftfahrzeugs begleiten zu können, war es notwendig, seinen konkreten Bedarf zu

kennen, um so dem Kunden ein passendes Angebot bzw. eine Lösung für sein Problem

anbieten zu können. Dazu waren einige Fragen wie zum Beispiel die folgenden zu klären:

� Warum soll das Auto angeschafft werden (z. B. Geburt eines Kinds, Unfall,

Erbschaft)?

� Welche Funktion soll es erfüllen (z. B. Mobilität, Freizeitvergnügen, Prestige)?

574 vgl. Hartmann, K. (2006), Schollenberger, R. (2002)

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190 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz

� Soll es ein Neu- oder Gebrauchtwagen sein?

� Wie wird die Anschaffung finanziert (Barzahlung, Leasing, Finanzierung)?

Unabhängig davon, ob für den Kunden beim Autokauf rationale oder emotionale Faktoren

den Ausschlag geben, ist es notwendig, eine Fülle an Informationen zu sammeln und zu

verarbeiten. Neben harten Faktoren wie Alter, Preis und Leistung des Fahrzeugs spielen

auch weiche Faktoren wie Prestige, Design, Form und Farbe oder auch das Image der

Marke eine Rolle. Somit stellt der Autokauf für den Kunden einen überaus komplexen

Auswahl- und Entscheidungsprozess dar. Da sich viele Kunden dabei selbst überfordert

fühlen, haben sie Bedarf an Unterstützung, Serviceangeboten und Informationsanbietern,

die zum Beispiel den Informationsbedarf abdecken helfen.

Neben dem direkten Besuch eines Händlers und den klassischen Medien wie Zeitschriften

oder TV-Beiträgen gewann das Internet als Informationsmedium hier zunehmend an

Bedeutung.

51%

14% 12% 9% 5% 5% 4%0%

20%

40%

60%

Inte

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Abbildung 43: Kontaktkanäle von Fahrzeuginteressenten575

So wird im Internet von Automobilherstellern, Gebrauchtwagenbörsen, Automobilklubs,

Medien und Finanzdienstleistungsunternehmen ein breites Spektrum an Informations- und

Serviceleistungen angeboten.

575 Eigene Darstellung in Anlehnung an Autoscout24 & EurotaxSchwacke Consumer Report, Frankfurt,

2001

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Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 191

Die Geschäftsidee des Gebrauchtwagen-Marktplatzes beruhte darauf, dieses umfassende

und weit gefächerte Angebot zum Thema Mobilität zu bündeln, um den Kunden bei

seinem Vorhaben, der Anschaffung eines Automobils, zu begleiten und alle

Informationen aus einer Hand anzubieten. Ziel war es, eine Symbiose von Online- und

Offlineinhalten bereitzustellen, um die Kunden in ihrem Entscheidungsprozess zu

unterstützen.

Entsprechend den verschiedenen Stationen im Beschaffungsprozess versuchte das

Projektteam, jeweils zielgerichtet die notwendige Information und Dienstleistung

bereitzustellen und den Kunden auf diese Weise bei der konkreten Entscheidungsfindung

zu unterstützen.

Zur Deckung des Kundenbedarfs in der Phase der unstrukturierten Meinungsbildung

sollten Inhalte wie Markt- und Trendberichte einen Überblick über die generelle

Entwicklung zum Thema Mobilität vermitteln. Für die Phase der gezielten

Informationsgewinnung waren Fahr- und Testberichte, eine Suchfunktion zur Sichtung

des reichhaltigen Angebots des Gebrauchtwagen-Marktplatzes und ein Rechner zur

Ermittlung der allgemeinen Betriebskosten wie Leasing- und Versicherungsprämien

sowie der Kosten der Kfz-Steuer gedacht. Sobald sich der Kunde zum Ankauf eines

Fahrzeugs entschlossen hatte, sollte er mit Checklisten für Käufer und Verkäufer,

Musterkaufverträgen, Tipps zum Zulassungsverfahren und konkreten Leasing- und

Versicherungsangeboten unterstützt werden.

Genauso wichtig wie die Identifikation des Kundenbedarfs ist es, den Markt und die

Interessen der Wettbewerber genauer zu betrachten und miteinander in Einklang zu

bringen. Daher versuchte das Projektteam bereits während der Konzeption des

Leitungsangebots, auch den Markt für Gebrauchtwagenbörsen und die einzelnen

Wettbewerber besser zu verstehen. Ziel war es, mögliche Partnerunternehmen zu suchen

bzw. zu bewerten.

Es gab auch konkrete Überlegungen, einen der bestehenden Anbieter zu übernehmen. Um

rasch auf dem Markt Fuß zu fassen, wurde als Alternative zur Gründung einer eigenen

Gesellschaft die Akquisition eines bestehenden Anbieters diskutiert. Die

Anbieterlandschaft war damals noch stark fragmentiert. Von den circa zehn relativ

kleinen Anbietern verfügte keiner über größere Bekanntheit oder Marktmacht.

Dazu fand ein regelrechter Beautycontest der einzelnen Anbieter statt. Während man zu

Beginn vor allem an der Zusammenarbeit mit einem Unternehmen interessiert war, das

auch technische Prüfstellen für Kraftfahrzeuge betrieb, entschloss man sich im weiteren

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192 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz

Verlauf, mehrere Unternehmen zu konkreten Gesprächen einzuladen. Schlussendlich

wurde von einer Übernahme Abstand genommen und man entschied sich stattdessen für

die Kooperation mit dem Betreiber eines Autoportals im Internet, da dieser auch mehrere

Onlinemarktplätze besaß, die heute von mehr als 37.000 Kfz-Händlern für den Zu- und

Verkauf von Fahrzeugen untereinander sowie für den Vertrieb an den privaten Autokäufer

genutzt werden.

Im Zuge der Vertragsverhandlungen, die in der zweiten Jahreshälfte 2001 stattfanden,

wurde das ursprüngliche Geschäftsmodell nochmals überarbeitet und in einigen Punkten

abgeändert, wobei die Geschäftsleitung des Partnerunternehmens ihre Erfahrungen aus

der Entwicklung des eigenen Geschäftsmodells mit einbrachte. Das überarbeitete Konzept

sah vor, dass der Gebrauchtwagen-Marktplatz zwar unter der Marke ASSEKURANZ

firmieren, aber nicht selbst betrieben werden sollte. Die Entwicklung und technische

Betreuung der Plattform wurden an den Kooperationspartner übergeben, der als

Application Service Provider auftrat. Die ASSEKURANZ wollte sich darauf

konzentrieren, das Portal redaktionell zu betreuen, den Abgleich der Adressdaten

durchzuführen und die Informationsweitergabe an die hauseigenen Vertreter

sicherzustellen.

Gleichzeitig bedeutete die Entscheidung, den Internetmarktplatz nicht selbst zu betreiben,

aber auch eine Änderung der Zielsetzung. Man wollte selbst nicht mehr zu einem der

führenden Betreiber aufsteigen, sondern sich auf die Funktion des Datenlieferanten

beschränken. Im Zentrum des Geschäftsmodells stand nur noch das Sammeln von

Inseraten, um Informationen für die eigene Außendienstorganisation zu sammeln. Damit

blieb man der ursprünglichen Geschäftsidee, der direkten Generierung von Wissen über

die Pläne des Kunden am POS, treu, reduzierte jedoch den Geschäftsumfang auf den

Weiterverkauf dieser Information an die hauseigenen Versicherungsvertreter, um so die

Kundenbindung und Wiederversicherungsquote zu steigern.

Alle Gebrauchtwagenverkäufer, die sich in dem Portal registrierten und dort ein Fahrzeug

zum Verkauf anboten, wurden mit den hausinternen Bestandsdaten verglichen. Bot ein

bestehender Versicherungskunde sein Auto zum Verkauf an, wurde sein Vertreter

innerhalb kürzester Zeit darüber per E-Mail informiert.

Der Auftrag an den Vertreter lautete, umgehend mit dem Kunden in Kontakt zu treten, um

den Kunden auf den geplanten Verkauf anzusprechen bzw. mehr über die aktuelle

Situation, Pläne und Wünsche des Kunden zu erfragen, um so das Folgegeschäft

anzubahnen.

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Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 193

„Was der Vertreter will, sind wenige hochqualitative Kundenadressen, um

zeitnah über die Pläne des Kunden im Bild zu sein und darauf reagieren zu

können.“576

Kurzzeitig stand zur Diskussion, selbst als Versicherungsvermittler aufzutreten, d. h.

direkt und ohne Einbindung der Vertreter Kfz-Versicherungen an die Nutzer des

Gebrauchtwagen-Marktplatzes zu vermitteln. Da diese Idee aber im Widerspruch zur

geplanten Einbindung der eigenen Vertriebsorganisation stand und der Gebrauchtwagen-

Marktplatz in direkte Konkurrenz zum eigenen Außendienst getreten wäre, der über

großen Einfluss verfügte und das gesamte Projekt hätte torpedieren können, wurde diese

Idee rasch wieder verworfen. Somit blieb der Verkauf der generierten Adressdaten über

die Käufer und Verkäufer von Gebrauchtwagen die einzige Einnahmequelle.

Point of Sale

Gebrauchtwagen-Marktplatz

Versicherungs-Vertreter

Vermittlungvon Kunden

Plattform-Partner

Kunde

ServicevertragEntgelt für Inserat

Kostenlose InserateSuchanfrageInformation

KooperationsvertragBetrieb der Plattform

Versicherungs-vertrag

Versicherungs-Unternehmen

LeistungsvertragVermittlungsvereinbarung

AgenturvertragProvision

AutohändlerAngebot an Gebrauchtwagen

Vermittlung von Käufern

Abbildung 44: Beschreibung des Geschäftsmodells Gebrauchtwagen-Marktplatz

13.4 Entscheidung

Wenige Monate vor dem Start des Gebrauchtwagen-Marktplatzes kam es in der

ASSEKURANZ zu einigen personellen Veränderungen in der Geschäftsleitung. Diese

Veränderungen in der Organisation und Führung hatten direkte Auswirkung auf den

576 Interviewpartner FB2

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194 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz

weiteren Verlauf des Projekts. Mit dem Wechsel von Herrn Robert Reich, der die

treibende Kraft hinter dem Projekt gewesen war, und dem Vorstand Herrn Ludwig

Lechner, der dem neuen Geschäftsmodell wohlwollend gegenüberstand, wechselten nicht

nur die Sponsoren, sondern die Initiative verlor auch ihren Initiator und einen wichtigen

Fürsprecher. Das Projekt wurde zwar nicht ganz eingestellt, jedoch wurden bereits vor

dem Wechsel der Sponsoren im Herbst 2001 wichtige Budgetmittel entzogen.

Die neue Führung stand dem Projekt zurückhaltend bis kritisch gegenüber. Wie einer der

Geschäftsführer berichtete, rief ihn der neue Sponsor bald zu einem persönlichen

Gespräch zu sich. Er begann die Unterredung mit den Worten „Was Sie da machen. Die

Sache ist doch zum Scheitern verurteilt?!“577. Nach 30 Minuten leidenschaftlicher

Präsentation, in denen Herr Karl Koch das Geschäftsmodell des Gebrauchtwagen-

Marktplatzes nochmals im Detail vorstellte, stimmte Herr Jürgen Jung der Fortführung

jedoch zu.

In erster Linie fehlte es an der Bereitschaft der Sponsoren, die benötigten Mittel zum

Aufbau eines „führenden Anbieters“ zur Verfügung zu stellen. Um schnell eine

dominante Stellung erobern zu können, wäre ein großzügiges Werbebudget nötig

gewesen. Zwar hätte sich die ASSEKURANZ aufgrund der starken Marke relativ

leichtgetan, den Marktplatz zu etablieren, jedoch wurde nur ein minimales Werbebudget

genehmigt. Da das Budget auch in den folgenden Jahren sehr gering blieb, war es nicht

möglich, die Plattform einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und als erste

Anlaufstelle für Gebrauchtwagenkäufer zu positionieren.

Man brauchte zwei Anläufe, um vom Vorstand schließlich grünes Licht für das Projekt zu

bekommen, wobei zwei Umstände die Realisierung des Vorhabens erleichterten:

� Das Projekt war klein genug, um im Haus nicht als Bedrohung wahrgenommen

zu werden.

� Es wurde kein offizielles Investitionsbudget benötigt, sondern das Projekt

wurde aus den Mitteln des Geschäftsbereichs finanziert.

Aus Angst vor internen Widerständen und zu viel Aufmerksamkeit versuchte man, das

Projekt als kleines, unauffälliges „Guerillaprojekt“ weiter voranzutreiben. Offizielle

Projekte wurden sofort wahrgenommen und zogen die Aufmerksamkeit der gesamten

Organisation auf sich bzw. standen unter besonderer Beobachtung. Im Grunde wollte der

Sponsor das Projektteam und sein Vorhaben durch diese diskrete Vorgehensweise

577 Interviewpartner FB2

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Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 195

schützen. So wollte das Team es tunlichst vermeiden, größere Aufmerksamkeit auf sich

zu ziehen oder gar von anderen Teilen der Organisation wie zum Beispiel dem eigenen

Vertrieb als Bedrohung wahrgenommen zu werden.

„Die Organisation hat scheinbar gelernt, dass mit offiziellen Projekten immer

auch bedeutende Absichten verfolgt wurden, die in weiterer Folge maßgebliche

Auswirkungen auf die Organisation hatten.“578

Um möglichen Vorbehalten in der Vertriebsorganisation vorzubeugen und die Ängste der

Hauptvertreter frühzeitig zu adressieren, suchte das Projektteam einerseits den direkten

Kontakt zu den Vertretern vor Ort. Mittels Interviews versuchte man, die Situation der

Agenturen sowie ihre Befindlichkeiten, Sorgen und Erwartungen an das Projekt zu

erheben. Zugleich wollte das Team in Einzelgesprächen für eine positive Wahrnehmung

des Projekts in der Vertretervereinigung sorgen.

13.5 Realisierung

Nachdem die Entscheidung zur Umsetzung gefallen war, wurde die Projektorganisation in

eine Linienorganisation übergeführt.

Der Aufbau und Betrieb des Gebrauchtwagen-Marktplatzes sollten in eine eigene

Tochtergesellschaft ausgegliedert werden. Einerseits sprachen rein formale Gründe dafür,

da es sich um kein versicherungstechnisches Geschäft handelte und es daher nicht

notwendigerweise als Teil der Versicherungsgesellschaft betrieben werden musste. Eine

eigenständige Gesellschaft brachte andererseits aber noch andere Vorteile: mehr

Flexibilität und Schnelligkeit bei internen Entscheidungen, einen größeren Spielraum bei

der Aufnahme von Personal, den Mietkosten sowie im Bürobetrieb und eine gewisse

Freiheit, Waren und Dienstleistungen extern zu beschaffen.

Die Gründung der GmbH erfolgte im März 2002. Zum selben Zeitpunkt wurde die

Kooperationsvereinbarung mit dem Plattformbetreiber geschlossen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der ursprüngliche Sponsor Herr Robert Reich die

Verantwortung für das Projekt bereits an seinen Nachfolger Herrn Hans Huber

übertragen. Herr Robert Reich, der Karriere gemachte hatte, blieb dem Projekt indirekt

erhalten, da er in den Aufsichtsrat der GmbH einzog.

578 Interviewpartner FB2

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196 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz

Da ein Großteil der Programmierung an den externen Partner ausgelagert war, schritt die

Umsetzung schnell voran. Das Umsetzungsteam konnte sich voll auf die Entwicklung der

notwendigen Schnittstellen konzentrieren, die für den Abgleich der Adressdaten mit der

Kundendatenbank benötigt wurden.

„Für das Data Warehouse mussten wir uns einiges überlegen, um die

Adressdaten möglichst zeitnah mit den internen Bestandsführungssystemen

abzugleichen. Am Anfang wurden die meisten privaten Pkws bereits nach vier

Tagen verkauft. Da mussten wir schnell sein, damit der Vertreter noch

rechtzeitig beim Kunden ist.“579

Knapp zwei Jahre nach Projektstart ging der Gebrauchtwagen-Marktplatz im Mai 2002 in

den Testbetrieb. Zwei Monate später wurde der offizielle Start des Echtbetriebs gefeiert.

Da der Betrieb der Plattform an den Application Service Provider ausgelagert wurde,

konnte die eigene Belegschaft klein gehalten werden. Heute besteht das Unternehmen aus

acht Personen. Neben den beiden Geschäftsführern werden nur sechs Mitarbeiter

beschäftigt. Eine Person kümmert sich um die Wartung und Pflege des Internetauftritts

und eine weitere um den Datenabgleich mit dem Bestandsführungssystem und der

Kundendatenbank. Um bei Fragen von Vertretern Antworten und Hilfestellungen zu

geben, arbeitet eine Person im Vertriebssupport. Das Rechnungswesen und die sonstige

allgemeine Administration werden von einer weiteren Person erledigt. In den letzten

Monaten wurde noch eine Stelle für hausinterne Werbung und PR geschaffen. Als

Ausdruck der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit wurden Büros an einem eigenen

Standort bezogen.

13.6 Erfolgsbeurteilung

Trotz aller Anstrengungen fällt die Erfolgsbeurteilung durchwachsen aus und wird in der

ASSEKURANZ sehr unterschiedlich wahrgenommen.

Seit Sommer 2002 werden nun Adressdaten von potenziellen Gebrauchtwagenkäufern

und -verkäufern mit dem eigenen Versicherungsbestand abgeglichen und daraus

erfolgreiche Geschäftsanbahnungen für den Vertrieb generiert.

Circa 40 % der Privatkunden, die ihr Fahrzeug über den Gebrauchtwagen-Marktplatz zum

Verkauf anbieten, sind auch Kunden der ASSEKURANZ, doch nicht alle haben eine Kfz-

579 Interviewpartner FB2

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Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz 197

Versicherung. Somit eröffneten sich für die Außendienstorganisation interessante Cross-

Selling-Möglichkeiten.

„In der Praxis zeigt es sich, dass wir Adressen von Kunden bekommen, die zwar

ihre Lebensversicherung oder Hausratversicherung bei der ASSEKURA9Z

haben ... wir den Pkw aber bisher nicht im Bestand hatten. Dort gibt es für den

Vertreter die tolle Gelegenheit zum weiteren Ausbau des Kunden.“580

Neben den bestehenden Kunden analysiert die ASSEKURANZ aber auch die Daten der

Fremdkunden, um zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen. In Summe werden

über 95 % der generierten Adressdaten per E-Mail an die rund 10.500 selbstständigen

Vertreter weitergegeben.

Wie sich zeigte, begann der Vertrieb nur sehr zögerlich damit, die Adressdaten zur

Stornovermeidung bzw. Anbahnung von Neugeschäft zu nutzen. Wie der Vergleich der

Wiederversicherungsquote mit und ohne Nutzung der generierten Kundendaten bewies,

wirkte sich die aktive Inanspruchnahme der Daten sehr positiv aus. Dort, wo E-Mails mit

Adressdaten an den Außendienst versendet wurden, konnte die Quote um circa 10

Prozentpunkte gesteigert werden.

Damit wurde aber bei Weitem nicht das volle Potenzial ausgeschöpft. In einem

Feldversuch mit den besten 200 Vertretern zeigte sich, dass die

Wiederversicherungsquote durch die aktive Nutzung der Adressdaten noch viel deutlicher

gesteigert werden konnte.

Daher hat das Team des Gebrauchtwagen-Marktplatzes in den letzten Jahren viel Zeit und

Anstrengungen darauf verwendet, die Nutzungsquote der zur Verfügung gestellten

Adressdaten weiter zu steigern, denn wie sich zeigte, hing der Erfolg des

Geschäftsmodells letztendlich von folgenden Erfolgsfaktoren ab:

1. Bekanntheitsgrad des Gebrauchtwagen-Marktplatzes bei Endkunden, d. h. den

potenziellen Gebrauchtwagenkäufern und -verkäufern

2. Bekanntheitsgrad und Akzeptanz der Geschäftsidee bei den Vertretern

3. Qualität der zur Verfügung gestellten Adressen

4. Nutzung der Adressdaten durch die Vertreter

Zurückblickend zog einer der Projektleiter folgendes Resümee: „Wir waren der Zeit

580 Interviewpartner FB2

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198 Fallstudie 1: Gebrauchtwagen-Marktplatz

einfach voraus. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass wir mit unserer

Geschäftsidee recht hatten. Wir waren nur zu früh dran.“581 Die Organisation war für die

Veränderung noch nicht bereit.

Außerdem darf man nicht vergessen, dass sich das Umfeld für Internetgeschäftsmodelle in

den darauffolgenden Jahren stark eintrübte. Es war nicht mehr modern, solche Projekte zu

fördern. Folglich fanden sich im Haus auch keine neuen Unterstützer.

„Die Geschäftsführer […] haben unter diesen widrigen Rahmenbedingungen

noch das Bestmögliche herausgeholt.“582

Letztendlich litt das Projekt an fehlender Unterstützung und dem Wechsel des Sponsors

und des Initiators. Beide verließen Anfang 2002 das Ressort und übernahmen neue

Aufgaben im Konzern. Aus Sicht der Sponsoren hatte sich das Projekt gelohnt, obwohl

die Initiative nie richtig zum Fliegen kam, was sie darauf zurückführten, dass die dazu

nötigen Investitionen nicht getätigt wurden.

Kategorie Indikator

Überleben

(objektiv)

(1) Überleben im

Untersuchungszeitraum

Ja

Markterfolg

(subjektiv)

(2) Akzeptanz und

Kundennutzen

Zögerlich (Ø = 2)

„Wir waren der Zeit einfach

voraus.“ (FB1)

„Der Vertrieb nutzte die Daten

nur sehr zögerlich.“ (FB2)

(3) Wachstum Moderat (Ø = 3)

„Die Wiederversicherungsquote

konnte um 10 % gesteigert

werden.“ (FB2)

Geschäftserfolg

(subjektiv)

(4) Ertrag Ausgeglichen (Ø = 3)

„Die Organisation ist auf

Effizienz ausgelegt und durch die

Einnahmen trägt sich die GmbH

selbst.“ (FB4)

Abbildung 45: Erfolgsbeurteilung des Gebrauchtwagen-Marktplatzes

581 Interviewpartner FB1 582 Interviewpartner FB3

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Fallstudie 2: Direktversicherung 199

14 Fallstudie 2: Direktversicherung

Wie sich im Rahmen des Strategieprojekts „Kraft-Strategie 2010“ zeigte, war auf dem

deutschen Versicherungsmarkt in den Jahren nach der Deregulierung ein neues

Marktsegment entstanden. Dabei handelte es sich um das Segment preissensibler Kunden,

die aktive Preisvergleiche anstellten, um auf dem Markt das günstigste Angebot zu

finden.583 Da diese Kunden über die traditionelle Außendienstorganisation nur schwer zu

erreichen waren bzw. aufgrund der vergleichsweise hohen Kosten dieses Vertriebswegs

nicht profitabel bedient werden konnten, musste ein neuer Weg gefunden werden, um am

überdurchschnittlichem Wachstum dieses Marktsegments zu partizipieren.

Während im Jahr 2000 der Markt bzw. die Nische für Internetanbieter, speziell für große

Unternehmen wie die ASSEKURANZ, noch zu klein und die zur Verfügung stehende

Technologie wenig ausgereift war, stellte sich die Situation Ende 2004 weitaus günstiger

dar. Der Bedarf an Onlineversicherungen war zunehmend gegeben und das Wachstum des

dazugehörigen Kundensegments hatte an Dynamik gewonnen. Auch aus taktischer Sicht

passte das Timing, denn es würde ohnedies einige Jahre dauern, den Markt genauer

kennenzulernen und für den großen Ansturm gerüstet zu sein.

Außerdem hatte die Wettbewerbsintensität auf dem Kfz-Versicherungsmarkt im Jahr

2004 abermals zugenommen. Mehrere Anbieter senkten die Prämien und waren mit sehr

attraktiven Angeboten in die jährliche Abwerbungsrunde gegangen. Gerade die

Direktversicherungen und neue Onlineanbieter traten auf dem Markt besonders aggressiv

in Erscheinung.

Vor diesem Hintergrund sollte im Rahmen der Multikanalaufstellung durch die

Entwicklung alternativer Geschäftsmodelle die drohende Gefahr eines zunehmenden

Bestandsabriebs abgewendet werden.

14.1 Projektorganisation

Nachdem der Auftrag zur Erarbeitung der Kraft-Strategie 2010 im Februar 2004 den

Vorstand passiert hatte, wurde ein Projektteam gebildet. Allen Beteiligten war klar, dass

es sich dabei um ein überaus wichtiges und vordringliches Projekt für die ASSEKURANZ

handelte, denn die Situation auf dem deutschen Kraftversicherungsmarkt stellte sich nicht

besonders vorteilhaft dar. Durch die starke Konkurrenz von Billiganbietern hatte die

583 Außerdem war zu diesem Zeitpunkt, vor dem Hintergrund der „Geiz-ist-geil“-Kampagne, die Thematik

Preis und preissensible Kunden ein sehr aktuelles und in der öffentlich diskutiertes Phänomen.

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200 Fallstudie 2: Direktversicherung

ASSEKURANZ über die letzten Jahre kontinuierlich an Marktanteil nach Stücken

verloren, wenngleich die Beitragseinnahmen noch relativ stabil waren. Der

Hauptvertriebsweg der ASSEKURANZ verlor am Gesamtmarkt jedoch immer mehr an

Bedeutung. Außerdem passte das Paradigma der „Waffengleichheit“584 nicht mehr in die

Landschaft des deutschen Kfz-Versicherungsmarktes.

Unter der Leitung von Martin Meier wurde der deutsche Kraftversicherungsmarkt bis ins

Detail durchleuchtet, um strategische Optionen für die zukünftige Strategie der

ASSEKURANZ im Kfz-Versicherungsgeschäft mit Privatkunden zu entwickeln. Die

Sponsoren des Teilprojekts „Direktversicherung“ waren Herr Jürgen Jung und Herr Hans

Huber.

Die Zusammenstellung des Projektteams erfolgte in erster Linie nach Maßgabe der für

den weiteren Projektverlauf benötigten Kompetenzen und Fähigkeiten sowie der

Einstellung der Mitarbeiter.

„Ausschlaggebend für unseren Erfolg war sicher das geniale Team. Das waren

alles Brainies und Leute, die offen für 9eues waren. Wir wollten nur solche

Leute, die selbst unternehmerisch dachten. Andere haben wir gar nicht

genommen.“585

Auf die Hereinnahme externer Consultants wurde verzichtet, denn es bestand begründete

Sorge, interne Daten und strategische Überlegungen könnten an Mitbewerber

weitergegeben werden. Lediglich bei der Marktforschung arbeitete man mit externen

Anbietern zusammen.

14.2 Strategiefindung und Geschäftsidee

Gemeinsam mit TNS Infratest wurde eine Kundenbefragung durchgeführt, die zu

folgenden Beobachtungen führte: Rund 20 % der befragten Kunden hatten ihren Pkw bei

einem Direktanbieter versichert und ca. 3 % bei Onlineanbietern. Auf dem Gesamtmarkt

lag der Anteil mit 32 % respektive 5 % deutlich höher.

Fast zwei Millionen Deutsche haben schon einmal eine Versicherung online über das

Internet abgeschlossen. Dazu kamen noch einmal knapp acht Millionen, die sich den

Onlineabschluss einer Versicherung zumindest gut vorstellen konnten. Für den

584 Das gleiche Produkt, zum gleichen Preis für jeden Kanal und jede Zielgruppe. 585 Interviewpartner FA2

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Fallstudie 2: Direktversicherung 201

Assekuranzsektor bedeutete dies, dass der Wettbewerb um den Kunden immer mehr auch

über den elektronischen Vertriebsweg ausgetragen wurde.586 Diese Untersuchung zeigte

nicht nur, welches Risiko, sondern auch welche Chance in dieser Entwicklung lag. Würde

die ASSEKURANZ auf die Verschiebung der Nachfrage nicht reagieren, lief sie Gefahr,

weiterhin Kunden an die neuen Anbieter zu verlieren. Durch eine aktive Bearbeitung

konnten hingegen wechselbereite Kunden von der Konkurrenz abgeworben werden. So

entstand die Geschäftsidee zur Gründung einer Direktversicherung.

Um durchzuspielen, wie sich bestimmte Entscheidungen auf die zukünftige

Marktanteilsentwicklung auswirken würden, wurde ein Decision-Support-Modell

(DSM)587 zur Simulation und quantitativen Analyse der strategischen Handlungsoptionen

entwickelt.

Die Datenbasis für diese Simulationen bildeten umfangreiche Erhebungen der

Ausgangssituation und Wettbewerbsverhältnisse auf dem deutschen Versicherungsmarkt.

Durch die Vernetzung der Daten mit den verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten

(Fortschreibung des Status quo, Tarifsenkung, Gründung eines Direktanbieters etc.)

lieferte das Modell umfangreiche Szenarien über die Auswirkung dieser Entscheidungen

auf die zukünftige Entwicklung der Versicherungsbestände und Marktanteile.

„Es stellte sich heraus, dass das interne Team eine fundierte und hervorragende

Analysequalität geliefert hat, die auch mit externer Unterstützung nicht hätte

besser sein können.“588

Die Ergebnisse dieser Simulationen bildeten die Grundlage zur Evaluierung der

möglichen strategischen Optionen. Ziel war es, Erfolg versprechende

Handlungsempfehlungen zu identifizieren und eine Entscheidungsvorlage für den

Vorstand zu erarbeiten. Die Simulation lieferte darüber hinaus auch die Zahlenbasis für

den Businessplan. So konnten die einzelnen strategischen Handlungsoptionen auch

quantifiziert werden.

586 vgl. TNS Infratest 2003 587 Entscheidungsunterstützungssysteme wie das DSM, das Anfang der 1970er-Jahre entwickelt wurde, sind

Tools zur operativen und strategischen Unterstützung des Managements mit Hilfe von EDV-

Anlagen. In Decision-Support-Systemen sind Modelle und Methoden hinterlegt, um den Ausgang

von Entscheidungen a priori durch Simulationen (u.a. Monte-Carlo-Simulationen) zu überprüfen. In

diesem Fall waren es Conjoint-Analysen mit nachgelagertem multinomialen Logitmodell zur

Szenarienanalyse. 588 Interviewpartner FA2

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202 Fallstudie 2: Direktversicherung

„Eines unserer ersten Ziele war es, zu zeigen, wie sich der Direktversicherer

rechnet und mit welchem Returnzeitraum kalkuliert werden muss.“589

Um sich einen Überblick über die Anbieter zu verschaffen, analysierte das Projektteam

deren Geschäftsmodelle. Insgesamt waren elf Anbieter mit 18 verschiedenen Kfz-Tarifen

im Onlinedirektsegment tätig. Schnell stellte sich heraus, dass die Gesellschaften sehr

unterschiedlich auf dem Markt agierten und die Unternehmen sehr unterschiedliche

Strategien und Zugänge verfolgten.

Um einen strukturierten Vergleich der einzelnen Anbieter vorzunehmen, wurden

bestimmte Aspekte ihres Geschäftsmodells im Detail betrachtet. Die Gegenüberstellung

erfolgte in den folgenden Kategorien: Anzahl und Art der Vertriebskanäle, Produkt- und

Preisgestaltung, Markenstrategie und Funktion des Callcenters.

Während ein Teil im Vertrieb ausschließlich auf das Internet setzte, verfügten andere über

einen hybriden Vertriebsansatz, wobei der Vertriebskanal Internet um stationäre

Vertriebseinheiten in Ballungszentren oder die Nutzung von Callcentern für den

Telefonverkauf ergänzt wurden. Ein weiterer Aspekt, der gesondert untersucht wurde, war

die Produkt- und Preisgestaltung. Große Unterschiede traten auch in der Markenpolitik (z.

B. White Labelling von Asstel, einer Tochter der Gothaer Versicherung, für Tchibo oder

DA Direkt, einer Tochter der Zürich Versicherung, als White-Label-Partner für die C&A

Autoversicherung), in der Strategie gegenüber Preisvergleichsmaschinen im Internet und

Affiliate Marketing sowie in der Ausrichtung des Callcenters (outbound/inbound) zutage.

„In der Direktversicherung ist das Pricing eine der wichtigsten

Kernkompetenzen. Die HUK war im Pricing hier mit am intelligentesten und

fortschrittlichsten.“590

Auf Grundlage der Analyse des Internetdirektmarkts und unter Berücksichtigung der

Besonderheiten dieses Geschäftsfelds skizzierte das Projektteam den Rohentwurf eines

Geschäftsmodells für die Direktversicherung der ASSEKURANZ und entwickelte dazu

einen Businessplan. Man versuchte, sich bewusst von der Konkurrenz abzugrenzen bzw.

das Angebot zu differenzieren und eigene Stärken zu nutzen.

589 Interviewpartner FA2 590 Interviewpartner FA2

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Fallstudie 2: Direktversicherung 203

14.3 Entscheidung

Die Entscheidungsvorlage, neben den bestehenden Vertriebswegen einen neuen Kanal

Direktversicherung auf dem Markt zu etablieren, beruhte auf einigen Kernthesen

hinsichtlich der aktuellen Situation 2004 und weiteren Entwicklung des deutschen Kfz-

Versicherungsmarkts.

� Das interne Wachstum des deutschen Kfz-Versicherungsmarkts ist nur noch

sehr gering. Ausgehend vom aktuellen Gesamtbestand von 42 Mio. privaten

Kraftfahrzeugen wird ein jährlicher Zuwachs von circa 1 % erwartet.591

� Demgegenüber entwickelt sich der Teilmarkt für Direktanbieter mit derzeit 15

% per anno weitaus dynamischer und hat mittlerweile ein Niveau von circa 6 %

des Gesamtmarkts erreicht, was einem Bestand von circa drei Mio. Fahrzeugen

entspricht.

� Bei einem angenommenen Wachstum von 15 % per anno wird der Direktmarkt

im Jahr 2012 bereits 15 % des Gesamtmarkts repräsentieren.

� Ohne die aktive Erschließung dieses Wachstumspotenzials auf dem Teilmarkt

der Direktversicherungen läuft die ASSEKURANZ Gefahr, nicht an dieser

dynamischen Entwicklung teilzuhaben. In Folge würde der Marktanteil

aufgrund der zunehmenden Abwanderung der Kunden aus den traditionellen

Kanälen weiter sinken.

Der Vorstand folgte der Empfehlung und gab Ende 2004 den Auftrag zur Gründung einer

Direktversicherung. Gleichzeitig wurde der Auftrag zur Umsetzung des Teilprojekts

„Direkt-Kanal“ erteilt.

„Das war ein fortlaufender [Prozess]. Wir haben unsere Ergebnisse im Herbst

2004 immer wieder im Vorstand präsentiert. Bis zum letzten Tag waren wir uns

nicht sicher, wie viel von den Vorschlägen der Kraft-Strategie 2010 am Ende in

die Umsetzung gelangen würde, da die Vorschläge einer hausinternen

Kulturrevolution gleichkamen.“592

Die Genehmigung der Direktversicherung war nicht selbstverständlich, da sich dagegen

bereits im Vorfeld massiver Widerstand unter den Vertretern der Außendienstorganisation

geregt hatte, die fürchteten, durch ein attraktives Direktangebot kannibalisiert zu werden.

591 Das jährliche Geschäftsvolumen resultiert aus ca. 3 Mio. Neuzulassungen, 5-6 Millionen

Fahrzeugwechsel pro Jahr und 4 Mio. Versicherungswechsel die traditionell gegen Jahresende

stattfinden. Damit werden ca. 30% der Bestandsverträge pro Jahr umgewälzt. 592 Interviewpartner FA2

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204 Fallstudie 2: Direktversicherung

„Die ASSEKURA9Z war durch die Ereignisse am Markt reif für Veränderung.

Die Option ‚9ichtstun‘ hätte zwar eine gewisse Sicherheit über die weitere

Entwicklung der Bestände gebracht, aber eben auch die Gewissheit, dass die

Bestände sinken würden. Die Option der Kraft-Strategie war bei allen Risiken

für den Vorstand die bessere Alternative, weil in den vorgeschlagenen Punkten

auch große Chancen bestanden.“593

Gleichzeitig gab es vonseiten des Stammvertriebs begründete Sorge und rationale Gründe

dafür, dem Projekt ablehnend gegenüberzustehen, die da waren:

� Die Befürchtung der Kannibalisierung der Bestände der eigenen

Stammorganisation, dadurch eine interne Wertvernichtung und die Schwächung

der Gruppe

� Sorge hinsichtlich negativer Reaktionen und Auswirkungen des Internetkanals

auf die Leistungsbereitschaft und Loyalität der Außendienstorganisation

Trotzdem hat das Projekt im Vorstand breite Unterstützung gefunden, obgleich der

Vertriebsvorstand bei seiner ablehnenden Haltung blieb. Er meldete begründeten

Vorbehalt an und glaubte nicht an den Erfolg der Initiative. Letztlich wurde der Einstieg

in das Direktgeschäft auch als Chance gesehen, ein neues, interessantes Kundensegment

für die ASSEKURANZ zu erschließen. Mit einem eigenen Direktkanal wollte man den

bestehenden Direktanbietern Konkurrenz machen und aktiv am dynamischen Wachstum

dieses aufstrebenden Marktsegments partizipieren.

„So konnte man einmal einen Fuß in den Direktmarkt bekommen und

überprüfen, wie sich die Internetversicherung entwickelte. Für den Vorstand

war das ein überschaubares Investment und überschaubares Risiko.“594

Das Projektteam erachtete den Projektauftrag zur Umsetzung des Internetkanals als

logisch nachvollziehbare, weitgehend rational motivierte und begründete Entscheidung

des Vorstands. Auch im Rückblick war der Zeitpunkt dafür richtig gewählt: Ein früherer

Einstieg hätte die Diskussion mangels Sichtbarkeit des Potenzials erschwert, ein späterer

Einstieg hätte die Gefahr mit sich gebracht, dass der Wettbewerb sich bereits fast

uneinholbar etabliert hätte.

593 Interviewpartner FA2 594 Es war also ein Versuchsballon, den man einmal steigen lassen wollte. Erst die ersten Ergebnisse würden

darüber entscheiden, mit wie viel zusätzlichen Investments man das Projekt fortsetzen würde.

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Fallstudie 2: Direktversicherung 205

„[Der] Entschluss ist in erster Linie als langfristig orientierte unternehmerische

Entscheidung des Vorstands zu sehen.“595

Nun sollte das im Rahmen des Vorprojekts „Kraft-Strategie 2010“ aufgezeigte

Wachstumspotenzial für Direktanbieter rasch erschlossen werden. Aufgrund der im

Vorprojekt erhobenen Mengengerüste wurde eine dynamisch steigende Zahl an

Versicherungsnehmern erwartet, die Bereitschaft zum Abschluss der Kraftversicherung

über das Internet zeigen.

14.4 Konkretisierung des Geschäftsmodells

Herr Martin Meier, der die Konzeption als Projektleiter maßgeblich mitgestaltet und die

Multikanalstrategie auf den Weg gebracht hatte, gab die Leitung des Projekts Ende 2004

ab. Das ursprüngliche Projektteam, das die Strategie und Geschäftsidee für den

Direktvertrieb entwickelt hatte, löste sich auf und eine neue Projektgruppe wurde

zusammengestellt. Nach einem kurzen Interregnum übernahm im April 2005 Herr

Friedrich Frei die Verantwortung für die Umsetzung des neuen Vertriebskanals, d. h. die

Konkretisierung und die Realisierung des neuen Geschäftsmodells.

Das Projektteam rund um den Projektleiter Herrn Friedrich Frei wurde beauftragt, bis zur

jährlichen Abwerbungsrunde im September 2005 eine Internetlösung für den

Onlineabschluss von Kfz-Versicherungen zu konkretisieren, zu bauen und zum Fliegen zu

bringen, d. h. den im Dezember 2004 beschlossenen Internetkanal zu implementieren.

Das Kernteam des Projekts bestand neben dem verantwortlichen Projektleiter Herrn

Friedrich Frei aus Herrn Peter Paulus, der bereits am Strategieprojekt „Kraft-Strategie

2010“ mitgearbeitet hatte. Aus einer früheren Tätigkeit in der Marketingberatung brachte

dieser auch besondere Kompetenzen und Erfahrungen in diesem Bereich mit. Weiters

konnte Herr Siegfried Stern für das Projekt gewonnen werden, der technisches Know-

how, gute Kontakte zur Konzern-IT und Erfahrungen in der Umsetzung von IT-Projekten

ins Team einbrachte. Herr Emil Ende verfügte über Erfahrungen im Finanzbereich, der

Unternehmensberatung und im Business Development.

Gleichzeitig hatten aber mehrere Kandidaten aus dem Vorprojekt „Kraft-Strategie 2010“

ihre Teilnahme an der operativen Umsetzung des Projekts abgesagt.

„Den meisten war das Risiko einfach zu groß, dass das Projekt doch noch

595 Interviewpartner FA5

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206 Fallstudie 2: Direktversicherung

gestoppt wird oder selbst scheitern könnte, weil die Idee für das Haus damals

recht revolutionär war.“596

Auf die Einbindung externer Berater wurde auch diesmal verzichtet, da sich das Team

einerseits imstande sah, das Projekt mit internen Ressourcen umzusetzen, und andererseits

im Haus entsprechendes eigenes Know-how aufgebaut werden sollte. Da das

Umsetzungsteam relativ klein war, versuchte man, sich zu helfen, indem man auf

zusätzliche Ressourcen im Konzern zugriff. Dazu suchte das Team in allen Bereichen

nach internen Kooperationspartnern, um so auf die im Konzern vorhandenen

Kompetenzen und Ressourcen zuzugreifen und für das Projekt nutzbar zu machen.

Um diese kurzfristig zur Verfügung gestellt zu bekommen, musste die Unterstützung der

anderen Bereiche teilweise erst gewonnen werden. Hilfreich waren in diesem

Zusammenhang neben der ohnehin da und dort vorhandenen Begeisterung für die

Geschäftsidee die Unterstützung und der Rückhalt durch die jeweils zuständigen

Ressortvorstände.

Der Projektauftrag des Umsetzungsprojekts und die im Projekt „Kraft-Strategie 2010“

geleisteten Vorarbeiten waren noch vage und in vielen Aspekten unklar, boten dafür aber

den Vorteil eines größeren Gestaltungsspielraums.

Den teilweise noch geringen Detaillierungsgrad des im Rahmen des Vorprojekts

skizzierten Geschäftsmodells führt Herr Emil Ende teilweise auf den Umstand zurück,

dass die Teammitglieder lange Zeit nicht davon ausgehen konnten, dass die Geschäftsidee

Direktversicherung überhaupt die Zustimmung des Vorstands finden würde. Außerdem

sei zu beachten, dass sich bei einem derart umfassenden Projekt zwangsläufig viele

Detailfragen erst im Lauf der Feinspezifikation bzw. Umsetzung ergeben. So bestand für

das Team die Möglichkeit, die vorhandenen Lücken nach eigenem Ermessen und Bedarf

zu füllen.

Im Frühjahr 2005 begann das Team damit, das vorhandene Konzept für den „Direktkanal“

nochmals im Detail zu untersuchen und alle Aspekte hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit und

Realisierbarkeit zu durchleuchten. Die zentrale Frage war, wie die Direktversicherung

rasch implementiert und fristgerecht zur Abwerbungsrunde 2005 starten konnte.

Zu den Aspekten, die einer erneuten Analyse, Konkretisierung oder gänzlichen

Neudefinition unterzogen werden mussten, gehörten:

596 Interviewpartner FA2

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Fallstudie 2: Direktversicherung 207

� Die Frage der Markenentscheidung

� Die USP, Farb- und Bildwelt

� Die Value Proposition: „gewohnte Qualität, direkt und günstig“

� Die IT-Architektur und Schnittstellen zu den Konzernsystemen

� Callcenter und Prozesse

� Produktangebot

� Rechtliche Aspekte und die Unternehmensform

� Die tatsächlichen Preispunkte

� Besonderheiten des Internetvertriebs und des Onlinemarketings

� Businessplan

Eine der vordringlichsten Fragen war, unter welcher Marke die neu zu gründende

Direktversicherung firmieren sollte. Gemeinsam mit einer Marktforschungsagentur

wurden verschiedene Namen evaluiert. Zur Auswahl standen mehrere Kunstnamen, durch

die sich der neue Anbieter klar von der Muttergesellschaft abgegrenzt hätte, oder ein

Name, der an die Marke ASSEKURANZ angelehnt war.

Die Entscheidung für ASSEKURANZ 24 fiel schlussendlich aufgrund der hohen

Bekanntheit der Marke ASSEKURANZ, die auch im Direktgeschäft Sicherheit und

Reputation ausstrahlten sollte. Der Zusatz „24“ wurde gewählt, da die Zahl 24 auf dem

deutschen Markt als Synonym für Online- bzw. Direktanbieter stand. Die ASSEKURANZ

24 war daher am Markt klar als der Direktanbieter der ASSEKURANZ erkennbar. Ein

kleiner Schwachpunkt war laut Herrn Peter Paulus, dass die neue Tochtergesellschaft

nicht nur die positiven Eigenschaften, sondern auch das „teure Image“ der Mutter geerbt

hat.

Die Zwischenergebnisse und unmittelbar anstehende Entscheidungsvorlagen wurden den

Sponsoren und dem Vorstand mit der Bitte um Entscheidung zeitnah kommuniziert. In

den Gremien fanden dann immer wieder intensive Verhandlungen statt.

Aufgrund des überaus ambitionierten Zeitplans wurden wo möglich rasche und

pragmatische Lösungen angestrebt, die ein schnelleres Vorankommen ermöglichten. In

einigen zentralen, aber umstrittenen Fragen wie der Markenentscheidung hielt das Team

aber unbeirrt am begründeten Standpunkt fest, da das Team davon überzeugt war, dass in

diesen kritischen Fragen ein Kompromiss bzw. ein Abrücken von dem durch Fakten

untermauerten Entscheidungsantrag den Erfolg des gesamten Projekts gefährdet hätte.

Das harte Ringen in einigen existenziellen Fragen war für Emil Ende ein normales und

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208 Fallstudie 2: Direktversicherung

erwünschtes Phänomen im Prozess arbeitsteiliger Entscheidungsfindung.

Die Value Proposition wurde unter Berücksichtigung der Eigenschaften der Dachmarke

als „gut“ bzw. in Übereinstimmung mit dem anvisierten Preispunkt als „und günstig“,

definiert. Auch hier gab es deutliche Änderungen im Vergleich zum ursprünglichen

Konzept, das auf eine andere Farb- und Bildsprache gesetzt hätte.

Die Produktpalette der ASSEKURANZ 24 wurde zum Start auf die Produkte Kraft-

Haftpflicht- und Kasko-Versicherung beschränkt. Um attraktive Konditionen und die

angestrebte Zielgröße einer kombinierten Schaden-Kosten-Quote von unter 100 %

miteinander in Einklang zu bringen, wurde das Angebot auf Versicherungsnehmer mit

einem Mindestalter von 23 Jahren eingegrenzt. Jüngere Fahrzeuglenker bergen für

Versicherungen ein höheres Risiko, da sie in den ersten Jahren als noch unerfahrene

Lenker einen vielfach höheren Schadenbedarf aufweisen als ältere Versicherungskunden.

Eine Einschränkung im Tarif betraf die Zahlweise. So konnte die Versicherungsprämie

nur im Weg des Lastschriftverfahrens bezahlt werden, denn aktuelle Untersuchungen

hatten ergeben, dass Kunden, die ihre Prämien abbuchen lassen, auch einen besseren

Schadenverlauf aufweisen. Gleiches gilt für Kunden, die jährlich oder halbjährlich zahlen,

im Gegensatz zu Kunden, die eine monatliche Zahlweise bevorzugen. Folglich wurde eine

monatliche Prämienzahlung ausgeschlossen. Auf Grundlage der restriktiven

Annahmepolitik und der erhofft guten Risikoselektion wurde trotz des niedrigen

Prämienniveaus ein Zielschadensatz von 70 % angepeilt.

Eine schlanke Organisation – das Callcenter für Vertrags- und Schadenerledigung wurde

in die Muttergesellschaft ausgelagert – sollte dazu beitragen, dass auch der Kostensatz

deutlich unter dem traditioneller Anbieter lag.

Um nicht in direkte Konkurrenz zu den bestehenden Vertriebswegen zu treten, wurde bei

der Tarifgestaltung auf den traditionell starken Agenturvertrieb Rücksicht genommen. Der

Tarif wurde regional auf die Marktverhältnisse und den Marktanteil des Agenturvertriebs

abgestimmt. In Regionen, wo die ASSEKURANZ über die Agenturen bereits über einen

hohen Marktanteil verfügte, wurden geringere Preisnachlässe gewährt als in Gegenden

mit geringem Marktanteil, wo man auf die Kosten der Konkurrenz wachsen konnte.

Ebenfalls aus Rücksicht auf die bestehenden Vertriebswege, insbesondere um die

Agenturen, die den neuen Direktanbieter kritisch beobachteten, nicht zu verärgern, wurde

auf eine offensive Bewerbung des Direktangebots verzichtet. Die Werbung beschränkte

sich auf reine Onlinewerbung im Internet.

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Fallstudie 2: Direktversicherung 209

Stattdessen setzte man auf die Möglichkeiten des Internets, um das Angebot auf dem

Markt zu verbreiten. Jeweils ein gutes Drittel der Abschlüsse kommen durch die

Vermittlung von Preisvergleichsmaschinen im Internet, über Marketing in Suchmaschinen

oder indem Kunden direkt die Internetseite anwählen zustande. Ein kleinerer Teil der

Kunden schließt infolge von Onlinewerbung auf großen Portalseiten oder bei

Affiliatenetzen ab.

Internet-Versicherung

KundenserviceSchadenabwicklung

Servicevertrag

SuchmaschinenPortale

Online-Werbung

KundeEinlösung desLeistungsversprechens

Versicherungs-vertrag

Point of Sale

Information, PreisvergleichSuchkostenreduktion

Abbildung 46: Beschreibung des Geschäftsmodells Direktversicherung

Einen weiteren wesentlichen Unterschied zum traditionellen Geschäftsmodell stellen die

Vertriebskosten dar, die sich in erster Linie auf die Kosten der Kundengewinnung

reduzieren. Für Kunden, die direkt über die Internetseite eine Versicherung abschließen,

fällt im Gegensatz zum traditionellen Versicherungsvertrieb keine laufende

Provisionszahlung an. Dafür wird an die Werbe- und Kooperationspartner ein einmaliges

Erfolgshonorar (Cost per Order, kurz CPO) pro vermittelten Vertrag gezahlt.

14.5 Realisierung

Die Frage des organisatorischen Setups wurde zu Beginn des Umsetzungsprojekts vom

Team nochmals kritisch überprüft. Geprüft wurden die Vor- und Nachteile einer

vollständigen Integration bzw. Separation der neuen Geschäftseinheit. Auf Grundlage der

Analysen entschied sich das Team schließlich für den Mittelweg eines hybriden

Organisationsmodells.

Obwohl in der Konzeptionsphase über eine Greenfield-Lösung nachgedacht wurde,

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210 Fallstudie 2: Direktversicherung

verfolgte das Projektteam einen etwas abgewandelten Ansatz.

„Unsere Strategie war es, das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen.

Daher empfahl es sich, das Projekt im Hause der ASSEKURA9Z zu starten und

kurze Wege zu garantieren.“597

Eine eigene Tochtergesellschaft bildete den rechtlichen Mantel und fungierte als

Risikoträger für die neu zu gründende Direktschiene. Alle Mitarbeiter des neuen

Geschäftsbereichs blieben aber Angestellte der Muttergesellschaft.

Das Wertschöpfungssystem der Direktversicherung ist mit anderen Konzernfunktionen

hochgradig vernetzt und es werden nur solche Aktivitäten selbst erbracht, die aufgrund

des besonderen Charakters des Internetgeschäfts spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten

verlangen und im Konzern in dieser Qualität nicht anderenorts günstiger verfügbar sind,

erbracht oder erlernt werden können.

Die Schaden- und Vertragsbearbeitung wiederum wurden im Weg eines Servicevertrags

an die Stammorganisation „extern“ ausgelagert. Für andere Funktionen wie das Marketing

und den Vertrieb, wo es wenig Anknüpfungspunkte zur Muttergesellschaft gab und

spezifisches Know-how wie beispielsweise für Internetmarketing und den Direktvertrieb

notwendig war, da dieser einfach anders funktionierte, wurden eigenständige

Organisationseinheiten aufgebaut.

Während die Vergabe der Schaden- und Vertragsbearbeitung sowie der Betrieb des

Callcenters intern vergeben wurden und sich die deutschen Standorte dafür bewerben

konnten, war es gleichzeitig gestattet, die Programmierung des Internetportals mit

Ausschreibungsverzicht an externe Unternehmen zu vergeben, die schon zuvor mit der

ASSEKURANZ zusammengearbeitet hatten.

Die technische Umsetzung wurde extern an zwei kleine Unternehmen vergeben, mit

denen Herr Stern bereits früher zusammengearbeitet hatte. Angesichts des Zeitplans war

klar, dass ein kompletter Greenfield-Ansatz zu lange gedauert hätte. Folglich setzte das

Team eine hybride IT-Architektur auf. Diese bestand aus einem modernen

Internetfrontend, das auf Open-Source-Basis extern entwickelt und über Schnittstellen in

das bestehende Backend, das Hostsystem zur Vertrags- und Schadenverarbeitung,

eingebunden wurde. Für die Programmierung der diversen Schnittstellen zu externen

Partnern setzte man ebenfalls auf Open-Source-Software, da dadurch ein hohes Maß an

597 Interviewpartner FA5

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Fallstudie 2: Direktversicherung 211

Offenheit und Interoperabilität mit den IT-Systemen der Partner sichergestellt werden

konnte.

Da der Erfolg des ganzen Vorhabens in hohem Maß an der raschen Entwicklung und

Vernetzung des IT-Systems hing, erwiesen sich Herrn Lichtenbergs frühere Kontakte zu

externen IT-Firmen und zur eigenen Konzern-IT als wertvoll. Er brachte es zuwege, im

Haus die Genehmigung für Schnittstellen zur Nutzung der hausinternen Bestands- und

Schadensysteme zu bekommen und das Internetfrontend extern entwickeln zu lassen.

„Hätten wir alles im Haus machen lassen, hätte das einfach zu lange gedauert.

Dann hätten wir nie im September 2005 starten können.“598

Dennoch gab es im Sommer 2005 Probleme mit der EDV-Plattform. Es war klar, dass die

laut Projektantrag geforderte Funktionalität nicht bis zum geplanten Marktstart im

September fertiggestellt werden konnte. Wollte man mit der vollen Funktionalität starten,

musste der Termin nach hinten verlegt werden. Sollte der Termin September gehalten

werden, müsste auf einen Teil der Funktionen zu Beginn verzichtet werden. Da das

Geschäft mit Kfz-Versicherungen im Herbst durch die Abwerbungsrunde traditionell

stark ist, wollte sich das Team keine Verzögerung beim Markteintritt leisten und

entschied sich dafür, mit eingeschränktem Funktionsumfang fristgerecht zu starten.

Aufgrund des großen Zeitdrucks musste immer wieder mit Sonderlösungen auf Basis von

Einzelfallentscheidungen gearbeitet werden und teilweise von der im Haus üblichen

Standardvorgehensweise abgewichen werden. Die Voraussetzung und Grundlage dafür

bildeten das Mandat und die politische Rückendeckung der Sponsoren und des

Konzernvorstands, der diese Ausnahmen jeweils billigte.

Die Projektkultur wurde als zielorientiert, engagiert, unternehmerisch und rational

handelnd beschrieben. Der Tatsache folgend, dass ein neuer Markt mit einem neuen

Vertriebskanal erschlossen werden sollte, war vor allem das vertriebliche Vorgehen

jedoch vielfach noch als explorativ zu charakterisieren. Man betrat hier in vielen

Bereichen Neuland und musste erst schrittweise lernen, wie der Direktvertrieb

funktionierte.

Die Idee der Internetversicherung begeisterte auch viele Kollegen in anderen Bereichen,

die willig und bereit waren, das Projekt nach besten Kräften zu unterstützen, was

angesichts des ambitionierten Zeitplans, der Notwendigkeit, pragmatische Lösungen zu

598 Interviewpartner FA5

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212 Fallstudie 2: Direktversicherung

finden, und der knappen Personalressourcen im Umsetzungsteam für das weitere

Vorankommen sehr entscheidend war.

„Wir haben schon unsere Eigenständigkeit betont. Ja, wir haben uns schon so

wie das kleine gallische Dorf gefühlt. Eher noch als Speerspitze der

Veränderung.“599

Als eigenständiges Versicherungsunternehmen nahm die ASSEKURANZ 24 im Konzern

eine Sonderstellung ein. Einerseits wurde die Entwicklung vom Stammhaus unterstützt,

andererseits aber auch etwas argwöhnisch beobachtet. Es bestand laufend die Gefahr, das

Projekt könnte im eigenen Haus torpediert und durch die vielen Kritiker behindert

werden.

„Dazu brauchten wir Temperaturfühler im Haus, um die Stimmung beurteilen

zu können.“600

Die gute Vernetzung mit der Konzernholding – Herr Emil Ende hatte aus seiner früheren

Tätigkeit noch ausgezeichnete Kontakte dorthin – war für das Team dabei von großem

Nutzen.

In der Rekordzeit von zehn Monaten nach Auftragsvergabe und schneller, als es die

Kritiker erwartet hatten, konnte das Team der ASSEKURANZ 24 schließlich im

September 2005 den offiziellen Marktstart feiern. Zwar erfolgte der Start nur mit

eingeschränkter Funktionalität, dafür aber rechtzeitig zur Abwerbungssaison 2005.

Seit dem Start im September 2005 hat es laufend Anpassungen und Erweiterungen

gegeben. Der Schwerpunkt der Veränderungen hat sich mit der Zeit von radikalen, weil

großen Schritten zu kleinen, inkrementellen Anpassungen verschoben. Als Beispiele für

radikale Veränderungen nannte Emil Ende die forcierte und verbesserte Einbindung der

Außendienstorganisation und die Einbindung großer, neuer Kooperationspartner. Ein

Beispiel für eine inkrementelle Veränderung waren die tourlichen Anpassungen, zum

Beispiel anlässlich neuer Werbekampagnen.

Heute wird das Geschäft von 13 Mitarbeitern aus der Hauptverwaltung koordiniert.

Weitere Mitarbeiter sind im Callcenter für die Vertrag- und Schadenbearbeitung tätig.

Kurzfristig ist der Ausbau auf 22 Mitarbeiter in der Zentrale geplant.

599 Interviewpartner FA2 600 Interviewpartner FA2

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Fallstudie 2: Direktversicherung 213

Laut Friedrich Frei zeigt der Vergleich zur Konkurrenz, welches ungenützte Potenzial in

der Zusammenarbeit mit den hauseigenen Agenturen noch liegt. Während diese noch

immer viele Kunden an die Konkurrenz verlieren, hätten sie durch das Angebot der

ASSEKURANZ 24 die Möglichkeit, diese Kunden im Haus zu behalten. Dieses Potenzial

möchte er gerne durch die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Agenturen und die

Verschränkung der beiden Vertriebswege erreichen.

Die Koordination und Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Vertriebskanälen,

insbesondere mit der Ausschließlichkeitsorganisation, waren auch eines der zentralen

Elemente der 2004 beschlossenen Mehrkanalstrategie.

Durch die Aktivierung aller Vertriebskanäle zur Erschließung des Direktmarkts im

Rahmen einer offensiven Multikanalstrategie in Deutschland erscheint für die

Geschäftsleitung ein Marktanteil von 15 % erreichbar. Dies entspricht einem

Neugeschäftsvolumen von rund einer Mio. Kfz-Haftpflichtpolicen im Jahr 2012.

Neben der Verbreiterung der Vertriebskanäle besteht weiteres Wachstumspotenzial durch

den Zusatzverkauf von Insassenunfallversicherungen bzw. komplementären

Dienstleistungen wie dem Autoschutzbrief, Auslandsschutzbrief oder der Vermittlung von

Kunden zu Partnerwerkstätten, die sich auf die Behebung von Glasschäden spezialisiert

haben. Die Anbindung von komplementären Deckungen zur Grunddeckung der

Krafthaftpflicht ist in einigen Bereichen bereits sehr gut gelungen.

In einer zweiten Phase ist an die Erweiterung der Produktlandschaft um eine Verkehrs-

Rechtsschutzversicherung und ein Bündelprodukt aus Kfz-Versicherung und -

Finanzierung gedacht, denn bereits 60 % aller Gebrauchtwagenkäufe werden

fremdfinanziert. Die Provision pro Finanzierungsvertrag liegt zwischen 100 und 150

Euro. Weitere Ideen gehen in Richtung einer Krafthaftpflichtversicherung, die über

Selbstbedienungsgeräte abgeschlossen werden kann, und eines Zulassungsservice

gemeinsam mit einem Assistancepartner.

14.6 Erfolgsbeurteilung

Herrn Friedrich Frei war klar, dass die ASSEKURANZ 24 von Anfang an im Haus unter

starker Beobachtung stehen würde. Nach wie vor gab es einige interne Kritiker, die das

Experiment Direktvertrieb lieber heute als morgen wieder eingestellt hätten. Sollte die

ASSEKURANZ 24 in den ersten Monaten nur sehr wenig Geschäft machen, so wäre dies

Wasser auf den Mühlen der Kritiker gewesen, die den Bedarf und die Sinnhaftigkeit des

Vertriebskanals Internet infrage stellten. Sollte das Geschäft vom Start weg sehr gut

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214 Fallstudie 2: Direktversicherung

florieren, bestand die Gefahr, dass sich andere Vertriebswege über die große Konkurrenz

im eigenen Haus beschweren könnten.

Im Rückblick betrachtet würde Herr Emil Ende ein größeres Projektteam

zusammenstellen. Finanzielle Ressourcen standen in ausreichendem Maß zur Verfügung.

Auch die Mittel zum weiteren Ausbau wurden gewährt. Aufgrund des raschen Wachstums

waren zusätzliche Budgetmittel erforderlich bzw. musste der ursprüngliche

Budgetentwurf überarbeitet werden.

Obwohl sich im Verlauf der ersten Monate immer wieder Situationen ergaben, in denen

das Projekt in großer Gefahr war, zu scheitern, hat es dennoch überlebt und sich

mittlerweile im Konzern als eigenständiger Vertriebsweg etabliert. Auch im Unternehmen

wurde die Abteilung mittlerweile zu einem Fachbereich aufgewertet.

Trotz der schwierigen hausinternen Rahmenbedingungen und der restriktiven Bewerbung

des Onlineangebots hat sich die ASSEKURANZ 24 auf dem deutschen Direktmarkt

erfolgreich positionieren können. Binnen eines Jahres wurden über 10.000 Kunden

gewonnen.

Die oftmals befürchtete Kannibalisierung des Stammvertriebs ist nicht eingetreten. Der

Anteil der Kunden, die bereits zuvor bei der ASSEKURANZ versichert waren, ist relativ

zum Marktanteil gemessen gering. Der überwiegende Teil der neu gewonnenen

Versicherungsnehmer sind Neukunden bzw. Fremdkunden, die von der Konkurrenz

abgeworben bzw. zurückgewonnen werden konnten. Wie eine Analyse des

Wechselverhaltens zeigte, konnte rund ein Viertel der Neukunden von anderen

Direktanbietern abgeworben werden.

„Der Kunde bleibt also bei uns oder kommt zurück. Gleichzeitig generieren wir

auch 9eugeschäft bei Kunden, die bisher nicht bei der ASSEKURA9Z waren.

Das zeigt: Wenn der Preis im Vergleich mit anderen Direktangeboten passt,

bevorzugt der Kunde den Qualitätsversicherer unter den

Direktversicherern.“601

Mit der Direktversicherung sollten gezielt die internetaffinen Kundensegmente, die mit

den klassischen Vertriebswegen und Produktangeboten schwer erreichbar sind, angeboten

werden. Die Versicherung sollte direkt online abgeschlossen werden, war aber auch beim

Vertreter zu haben. Der Kunde sollte seine Verträge in Eigenregie online verwalten,

601 Unternehmensunterlagen

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Fallstudie 2: Direktversicherung 215

musste im Schadenfall aber nicht auf Qualität verzichten. Die Kostenvorteile durch den

Direktvertrieb sollten an den Kunden weitergegeben werden.

„Damit positionieren wir uns auch im Direktversicherungsbereich als

Premiumanbieter.“602

Direktversicherer 2005 2006

1 Unternehmen A 800.380 798.910

2 Unternehmen B 963.180 963.020

3 Unternehmen C 391.030 492.990

4 Unternehmen D 247.680 280.330

5 Unternehmen E 232.260 248.630

Direktversicherung gesamt 3.139.500 3.385.270

Markt (GDV-Mitglieder) 54.400.000 54.900.000

Marktanteil 5,8 % 6,2 %

Abbildung 47: Direktversicherer nach Anzahl der versicherten Kraftfahrzeuge603

Seit dem Start im September 2005 wurden bis Mai 2007 die avisierten Ziele erreicht.

Marktführer ist aktuell Unternehmen A, einer der Pioniere des Direktgeschäfts. Sie bietet

neben der Kfz-Versicherung auch die Sparten Unfall-, Haftpflicht- und

Hausratsversicherungen an. Auf das Kfz-Geschäft entfielen davon rund 800.000

Verträge.604

Auch die Entwicklung des Nettoergebnisses und der wichtigsten Kennzahlen ist

durchwegs erfreulich. Ziel ist es, auch weiterhin über dem Durchschnitt der

Direktanbieter zu wachsen, um bis ins Jahr 2012 einen Markanteil von 15 % im

Direktsegment zu erobern.

602 Interviewpartner FA1 603 vgl. wissenschaftlichen Datenbank „wiso-net“, Oktober 2007, Quelle: Unternehmensangaben, Autor-

Recherchen. 604 vgl. Abbildung 47

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216 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

Kategorie Indikator

Überleben

(objektiv)

(1) Überleben im

Untersuchungszeitraum

Ja

Markterfolg

(subjektiv)

(2) Akzeptanz und

Kundennutzen

Gut angenommen (Ø = 3)

„Der Kunde bleibt also bei

uns oder kommt zurück.“

(FA1)

(3) Wachstum Hohe Wachstumsraten (Ø = 4)

„Die Wachstumsraten liegen

bei über 20 % p. a.“ (FA3)

Geschäftserfolg

(subjektiv)

(4) Ertrag Anlaufkosten belasten (Ø = 3)

„Aufgrund des Wachstums

musste der ursprüngliche

Budgetentwurf überarbeitet

werden.“ (FA5)

Abbildung 48: Erfolgsbeurteilung der Direktversicherung

15 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

Die Zusammenarbeit mit Automobilherstellern hat bei der ASSEKURANZ eine lange

Tradition. Lange bevor andere Versicherungen die Möglichkeit des Verkaufs von

Finanzdienstleistungen im Autohaus erkannten und als das Leasing von Fahrzeugen noch

von untergeordneter Bedeutung war, nutzte die ASSEKURANZ ihre guten Kontakte zu

den Automobilkonzernen, um abseits der klassischen Versicherungssparten wie der

Feuer-, Haftpflicht- und Transportversicherung auf dem rasch wachsenden Markt für Kfz-

Versicherungen zu expandieren. In den Nachkriegsjahren gründete man Joint Ventures

mit großen Automobilherstellern, um den Angestellten der Konzerne günstige

Versicherungen zu bieten und den Absatz von Kfz-Versicherungen über die

Vertragshändler der Automobilhersteller aufzubauen. Seither hat sich dieses

Geschäftsfeld kontinuierlich entwickelt.

Infolge der internationalen Expansion der ASSEKURANZ kamen in den 1980er- und

1990er-Jahren im Ausland Kooperationen mit Automobilherstellern bzw. -importeuren

hinzu und das erfolgreiche Modell der Kooperation mit der Automobilwirtschaft wurde

nach deutschem Vorbild auf weitere Länder übertragen. Im Jahr 2003 unterhielt die

ASSEKURANZ in Deutschland aber auch international Kooperationen mit einigen

namhaften Automobilkonzernen.

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Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 217

Trotz dieser Erfolge stand der Vertrieb über Autohändler stets im Schatten der eigenen

Außendienstorganisation und wurde im Konzern als Sondervertriebsweg angesehen.

„Die Kooperation mit Automobilherstellern war ehrlich gesagt innerhalb der

ASSEKURA9Z immer ein bisschen schräg aufgehängt […] ganz schön

erfolgreich [...] aber auch so ein Heikelthema.“

Unter anderem lag es an der geteilten Zuständigkeit. Die Verantwortung für die

Kooperation mit Automobilherstellern und -importeuren war dezentral angesiedelt.

Geleitet wurde dieser Geschäftsbereich von Herrn Gustaf Glück, der seit vielen Jahren die

treibende Kraft hinter der Kooperation mit den Automobilherstellern war. Auch der

Vertrieb und die operative Abwicklung des Geschäfts erfolgten dezentral.

Für die einheitliche Gestaltung und Tarifierung der Produkte war die Zentrale zuständig,

um für einen fairen Wettbewerbung und Waffengleichheit zwischen allen

Vertriebsformaten zu sorgen. Auch die Ergebnisverantwortung für das Geschäft mit den

Automobilherstellern lag in der Zentrale, doch dort hatte man sich des Themas

Kooperation mit der Automobilwirtschaft lange Zeit nicht spezifisch angenommen.

15.1 Projektorganisation

Das änderte sich 2003 im Zuge der strategischen Initiative „Kraft-Strategie 2010“. Herr

Hans Huber, der für das private Kraftversicherungsgeschäft verantwortlich zeichnete, gab

den Auftrag, sich grundlegende Gedanken über die Strategie und das Geschäftsmodell der

ASSEKURANZ auf dem deutschen Kfz-Versicherungsmarkt zu machen, indem er fragte:

„Was machen wir hier eigentlich in der Kraftversicherung? Machen wir das überhaupt

richtig?“605 Was folgte, war ein mehrmonatiges Strategieprojekt. „Im Rahmen dieses

Projektes ist man dann in die einzelnen Kanäle gegangen.“606

Da die Zusammenarbeit mit der Automobilwirtschaft einerseits als renovierungsbedürftig,

aber andererseits auch als sehr interessant und entwicklungsfähig galt, wurde die

Thematik der Kooperation mit der Automobilwirtschaft als strategisches Handlungsfeld in

den Projektauftrag „Kraft-Strategie 2010“ aufgenommen. Gleichzeitig standen

Vertragsverhandlungen mit einem großen Automobilhersteller an und die Partner

verlangten mehr Initiative, mehr Aktivität und Flexibilität, zum Beispiel bei der

Produktentwicklung.

605 Interviewpartner SK3 606 Interviewpartner FC1

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218 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

„Irgendwo war es ein stagnierendes Geschäft, weil die Anzahl der

Automobilhersteller gleich geblieben ist und sich Anzeichen mehrten, dass die

Hersteller unzufrieden sind und auch über eigene Wege nachdenken.

Andererseits war es perspektivisch ein Wachstumsmarkt.“607

Um die Projektarbeit zu strukturieren, wurden einzelne Arbeitsgruppen eingerichtet, die

jede für sich ein Themenfeld aufarbeiten wollte. Schnell war klar, dass das Segment

„Versicherung über Autohäuser“ stark wachsen wird – egal ob man dabei war oder nicht.

Da die Autohändler den Großteil der Neuwagen und neuer Gebrauchtwagen verkauften,

waren sie eine absolut notwendige Ergänzung zu den anderen Vertriebswegen, um an

dieses Kundensegment heranzukommen. Ein Teilprojekt sollte sich daher intensiv den

Fragen im Geschäftsfeld Automobilwirtschaft widmen.

Anfänglich gestaltete sich die Projektarbeit aufgrund der unterschiedlichen

Interessenlagen zwischen der Zentrale und den dezentralen Einheiten aber recht schwierig

und konnte erst Ende des Jahres 2004 voll beginnen.

Ziel war es, die zukünftige Strategie für das Geschäftsfeld Automobilwirtschaft zu finden

und dazu ein passendes Geschäftsmodell zu entwerfen. Wie sollte man vorgehen, um von

der durch die langjährige Kooperation mit Autoherstellern ohnehin guten

Ausgangsposition ausgehend am Wachstum dieses Segmentes voll teilzunehmen? War

die Zusammenarbeit mit den Vertriebsdiensten noch der richtige Ansatz oder würde ein

anderes Geschäftsmodell in Zukunft besser geeignet sein?

Für die Rolle des Projektleiters wurde Herr Andreas Adler gewonnen, der aufgrund seiner

bisherigen Tätigkeit Erfahrung in der Durchführung von Strategieprojekten mitbrachte.

Seine erste Aufgabe bestand darin, die Kernfragen des Projekts zu identifizieren, um die

Arbeitsgruppe richtig aufzusetzen. Die folgenden drei Motive waren für die

Zusammenstellung des Projektteams ausschlaggebend:

� Es sollten alle Interessen vertreten sein; d. h., unterschiedliche Persönlichkeiten

sollten verschiedene Erfahrungen und Perspektiven einbringen.

� Die Projektmitarbeiter mussten die benötigten Fähigkeiten und das richtige

Handwerkszeug mitbringen.

� Besonderer Wert wurde auf Kreativität und Offenheit gelegt.

607 Interviewpartner ST2

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Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 219

Um für die gewünschte Vielfalt zu sorgen, holte er Experten der verschiedenen Standorte

und aus unterschiedlichen Abteilungen in die Projektgruppe. Vonseiten des

Kompetenzzentrums Automotive wurden Herr Norbert Norton und Herr Volker Voss in

die Projektgruppe entsendet. Beide waren für die Betreuung der Kooperationspartner in

der Automobilwirtschaft zuständig und wussten, wie diese funktionierten. Herr Tobias

Traun sollte sein Wissen und seine Erfahrungen in der Produktgestaltung einbringen.

Daneben wurden weitere Mitarbeiter mit besonderen Fähigkeiten wie zum Beispiel

Aktuare eingebunden, die Tarife kalkulieren und den Businessplan erstellen konnten.

Zusätzlich wurde ein Berater engagiert, mit dem Herr Andreas Adler bereits in früheren

Projekten gut zusammengearbeitet hatte, der eine kritische externe Perspektive einnehmen

und dem Projekt wo nötig Struktur geben sollte. Bald hatte der Projektleiter ein

hervorragendes Entwicklungsteam von gerade einmal zwölf Personen zusammen, das

überschaubar war und daher vernünftig arbeiten konnte.608

Zunächst versuchte das Projektteam, die wichtigsten Fragestellungen auszusortieren und

aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten bzw. bestehendes Wissen kritisch zu

hinterfragen. In erster Linie wollte das Teilprojekt „Automotive“ folgenden Kernfragen

nachgehen:

� Was sind die Anforderungen der Kunden?

� Was erwarten sich die Kooperationspartner?

� Was ist an der Kooperation mit der Automobilwirtschaft zu ändern?

Die bisherige Kooperation auf den Prüfstand zu stellen, war neu. Obwohl sich der

Automobilmarkt in den letzten Jahrzehnten markant von einem Verkäufer- zu einem

Käufermarkt gewandelt hatte, war das Grundkonzept der Kooperationen mit den

Automobilherstellern, d. h. das Geschäftsmodell „Kooperation mit der

Automobilwirtschaft“, seit vielen Jahren unverändert geblieben. Die im Lauf der Jahre

neu geschlossenen Kooperationen folgten stets demselben Muster.

Nach Zustandekommen der Kooperationsvereinbarung mit einem Automobilhersteller

oder Importeur gründet dieser eine Tochtergesellschaft, mit dem primären

Geschäftszweck der Vermittlung von Kfz-Versicherungen. Diese Konstruktion weist

Ähnlichkeiten mit Captivelösungen auf, wie sie in der Industrieversicherung üblich sind.

Eine Captive ist eine Gesellschaft, die ausschließlich für einen bestimmten Zweck

gegründet wird. Beispielsweise kann eine Captive zur Versicherung bzw.

Rückversicherung bestimmter Risiken eines Industrieunternehmens dienen. Im Fall der

608 Interviewpartner FC3

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220 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

Kooperation mit der Automobilwirtschaft war der wesentliche Geschäftsgegenstand der

eigens gegründeten Tochtergesellschaften die Versicherung der Neuwagenkäufer eines

bestimmten Automobilherstellers. Dabei fungiert die Captivegesellschaft selbst nicht als

Risikoträger, sondern vermittelt die Risiken an eine Versicherung oder Rückversicherung,

indem sie mit einem Versicherungsunternehmen einen Agenturvertrag abschließt und für

die Vermittlung von Versicherungsprodukten im Gegenzug dafür eine

Vermittlungsprovision erhält.

Versicherungs-unternehmen

Automobil-Hersteller

Captive-Gesellschaft(Intermediär)

AgenturvertragProvision

Autohändler

Sub-Agentur-VertragProvision

KundeVermittlung vonVersicherungen

Versicherungs-vertrag

Point of Sale

Abbildung 49: Geschäftsmodell der Kooperation mit Automobilherstellern609

Die Gestaltung der Versicherungsprodukte, -tarife und -bedingungswerke obliegt allein

der Versicherung. Der Kooperationspartner wiederum ist für die Koordination der

Vertriebsorganisation und die Vermittlung der Produkte an Endkunden zuständig. Dazu

greift die Captivegesellschaft auf das Vertriebsnetz des Automobilherstellers zurück,

wobei die Vertragshändler vor Ort als Subvermittler auftreten.

Als Tochterunternehmen des Automobilherstellers oder Importeurs fungiert die Captive

als Intermediär zwischen der Versicherung und den Vertragshändlern vor Ort, die

609 vgl. Eigene Darstellung in Anlehnung an Präsentationsunterlagen der ASSEKURANZ

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Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 221

ihrerseits einen Subagenturvertrag abschließen und für die Vermittlung von

Versicherungsprodukten Anspruch auf eine Vermittlungsprovision erwerben. Letztendlich

sind es die Autohändler vor Ort, die den Endkunden die Produkte des bevorzugten

Versicherungspartners anbieten. Allerdings treten sie nur als Vermittler auf, denn der

eigentliche Versicherungsvertrag wird zwischen dem Kunden und der Versicherung

geschlossen.

15.2 Strategiefindung und Geschäftsidee

Der Auftrag an das Projektteam lautete, zu überprüfen, ob dieses Geschäftsmodell fit für

die Zukunft war, und gegebenenfalls ein besseres Geschäftsmodell als das bisherige zu

finden. Man begann damit, die Bedürfnisse und Anforderungen der einzelnen Akteure auf

dem Automobilmarkt zu verstehen. Dazu führte das Team eine Kundenbefragung und

eine Stakeholderanalyse durch. Weiters versuchte man, das Umfeld und die Segmente des

deutschen Automobilmarkts zu analysieren. Auf Ebene des Gesamtmarkts für Kfz-

Versicherungen hatte man bereits eine ganze Menge an Zahlen gesammelt. Doch es stellte

sich die Frage, welcher Markt für dieses Projekt interessant war.

„Handel? Wovon reden wir denn eigentlich. Es gibt da ja x verschiedene

Formen, über die Autos gehandelt werden […] welche Trends ergeben sich

denn im Handel […] zum Beispiel das ganze Thema Megadealer […] Man

musste verstehen, wie laufen die Trends des Automobilverkaufs, um zu

verstehen, was bedeutet das für mein Geschäft.“610

Wie sich bald zeigte, genügte es nicht, den Markt für Kfz-Versicherungen zu betrachten,

sondern man musste den gesamten Automobilsektor in Deutschland analysieren. Hier

werden pro Jahr etwa drei Mio. Neuwagen verkauft und sechs Mio. Gebrauchtwagen

wechseln den Besitzer. Rund sechs Mio. Transaktionen finden über den Autohandel statt.

Doch um diesen Markt zu verstehen, musste man auch den Herstellermarkt und die

Strategie der einzelnen Automobilhersteller kennen. Weiters galt es, eine Reihe an Fragen

zu beantworten: Wie sieht die Marktstruktur aus? Wer sind die einzelnen Akteure?

Welche Durchführungsformen des Automobilverkaufs gibt es? Was erwarten die

Kunden? Welche Trends gibt es beim Automobilverkauf? Welche Trends zeichnen sich

bei der Autofinanzierung und im Leasing ab? Das Team musste lernen, wie die Zukunft

der Automobilhersteller und des Absatzes von Pkws aussieht, um die zukünftige

Geschäftsstrategie zu finden.

610 Interviewpartner FC3

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222 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

So ergab die Analyse des Händlermarkts in Deutschland, dass das traditionelle

Geschäftsmodell der Autohäuser aufgrund aktueller Marktentwicklungen selbst in Gefahr

geraten war, denn der deutsche Autohandel war mit einer Umsatzrendite von lediglich 0,5

% kaum profitabel. Der Grund dafür liegt in den dichten Niederlassungsnetzen und der

niedrigen Produktivität im Autohandel. Mit im Schnitt 160 verkauften Neuwagen sind die

deutschen Autohändler zu klein. Folglich müssen sich viele Vertragshändler in größere

Dimensionen entwickeln bzw. werden zu reinen Servicestützpunkten umfunktioniert.

85%

15%

50-60%

~ 20%

> 20%

< 5%< 5%

0%

20%

40%

60%

80%

100%

2000 2010

Internet

Supermarkt

Megadealer (Multi / Single Brand)

OEM direkt

traditionellerEinmarkenhandel

57%

19%

14%

10%

~50%

20%

10%

15%

5%

0%

20%

40%

60%

80%

100%

2000 2010

Zulieferer

Fast-Fit-Ketten

freie Werkstätten

Do it yourself

traditionelleVertragswerkstätten,Megadealer

Abbildung 50: Marktanteilsprognose für den

�euwagenhandel in Deutschland611

Abbildung 51: Marktanteilsprognose für

Reparatur und Service in Deutschland612

Während die Zahl der Händlerstützpunkte laufend sinkt, wandelt sich gleichzeitig die Art

der Händler. Die Ursache dieses Wandels sind neue rechtliche Rahmenbedingungen wie

die Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) der Europäischen Union (EU), die

weitreichende Neuerungen für das Geschäft mit Neuwagen wie auch für die Bereiche

Reparatur und Service mit sich brachte.

Die GVO begünstigt die Entfaltung neuer Vertriebsformate wie Megadealer und

Autohändlerketten, die im Gegensatz zu den traditionellen, an einen Konzern gebundenen

Vertragshändlern Marken von mehreren Automobilherstellern anbieten. Es sind diese

herstellerunabhängigen Handelsunternehmen, mit denen die Automobilhersteller in

Zukunft verstärkt rechnen müssen. Daneben sind gänzlich neue Vertriebskanäle

entstanden. Vereinzelt werden Autos bereits als Aktionsware in Supermärkten angeboten.

Das Internet wird als Vertriebskanal, allerdings primär für Gebrauchtfahrzeuge, relevant

und dient als Informationsmedium beim Neuwagenkauf.

611 vgl. Mercer (2002) 612 vgl. Ibid.

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Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 223

Mit der teilweisen Abkehr vom Einmarkenhändler und der Konsolidierung der

Händlernetze verändert sich auch die Werkstättenlandschaft. Service und Verkauf werden

häufiger getrennt angeboten. Im Servicegeschäft (Werkstatt, Teile, Zubehör) erwächst den

traditionellen Vertragshändlern durch Werkstattketten und Kfz-Zulieferer neue

Konkurrenz. Unternehmen wie ATU oder Pit-Stop bieten günstige Serviceleistungen für

preissensible Kundensegmente an und auch die neuen Multimarkenhändler versuchen,

Reparatur- und Servicegeschäfte an sich zu ziehen. All das geht zulasten der traditionellen

Einmarkenhändler.

Dort, wo das Händlernetz ausgedünnt wird, geht auch der Neuwagenabsatz zurück. Daher

haben die Automobilhersteller großes Interesse daran, das Überleben ihrer Autohändler zu

sichern, denn der Verlust von gebundenen Vertragshändlern heißt, Kundennähe und

Marktmacht zu verlieren. Wollen die Automobilhersteller den Fortbestand der

flächendeckenden Vertriebsorganisation wahren, müssen sie die Effizienz der

Autohändler erhöhen und neue Ertragsquellen aufzeigen, denn profitabel wird es im

Automobilsektor dann, wenn die nachgelagerten Dienstleistungen rund um das Auto und

den Kunden beginnen.

Um die Rentabilität zu verbessern, sind die Automobilhersteller und ihre Händler

gefordert, den Kunden über den gesamten Produktlebenszyklus zu begleiten, denn das

gesamte Umsatzpotenzial über den Lebenszyklus eines Fahrzeugs beträgt in etwa das

Dreifache des Neuwagenpreises. Die Spanne der ertragreichen Geschäfte reicht vom

Leasing über Versicherungen, Zubehör und Service bis hin zum Flottenmanagement.

Diese Leistungen erwirtschaften zusammen – mit Umsatzrenditen zwischen 4 und 8 % –

mehr als die Hälfte der im Automobilsektor insgesamt erzielbaren Gewinne.

Die Zukunft des Automobilvertriebs liegt daher in der nachhaltigen Stärkung des

Absatzes, besonders des Verkaufs nachgelagerter Dienstleistungen. Gleichzeitig sind

umfangreiche Investitionen in Personal und IT-Infrastruktur notwendig, um effiziente,

durchgängige Kundenprozesse zu ermöglichen. In beiden Bereichen muss der

Automobilhersteller weitreichende Vorleistungen für den Automobilhandel erbringen,

denn die Kosten für Personalentwicklung und IT stellen für kleine Werkstätten

zunehmend unüberbrückbare technologische und finanzielle Barrieren dar.

Durch diese Marktanalyse erkannte das Projektteam, dass sich die Anforderungen der

Kooperationspartner über die Jahre verändert haben. Um integrierte Leistungspakete rund

um das Thema Mobilität anzubieten, erwarteten sich die Automobilhersteller vom

Versicherungspartner mehr Flexibilität und Mitsprache bei der Produktgestaltung. Um die

Komplexität dieser neuen integrierten Leistungskonzepte zu bewältigen, forderten die

Page 240: Gesch ftsmodellinnovation : Theorie und Praxis der ......St. Gallen und Zürich, die mich auf dem Weg begleitet haben, mir in diesen Jahren mit liebevoller Geduld und vorbehaltloser

224 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

Kooperationspartner von ihren Versicherungspartnern einfache Produkte und schlanke,

vernetzte Prozesse.

Die Stakeholderanalyse zeigte, welchen Nutzen die einzelnen Akteure aus der

Kooperation ziehen konnten. Im Vorfeld der Vertragsverhandlungen mit einem großen

Partnerunternehmen waren die Ergebnisse von besonderem Wert. Wie sich zeigte, war die

Automobilwirtschaft in erster Linie am Absatz ihrer Kernleistung interessiert. Egal ob

Automobilhersteller, Importeure oder Autohändler – alle wollen den Fahrzeugabsatz

steigern. Auch die Erweiterung des klassischen Leistungsangebots um komplementäre

Finanzprodukte wie Finanzierung, Leasing und Versicherung zielt in erster Linie darauf

ab, den Fahrzeugabsatz zu fördern.

Beispiele für Aktionen zur Förderung des Fahrzeugabsatzes sind das 1%-Leasing oder die

1-Jahr-Gratiskasko, d. h. ein Paket aus Leasingfinanzierung und Versicherung, wobei dem

Kunden beim Kauf eines Neuwagens die Kaskoversicherung im ersten Jahr gratis

angeboten wird. Diese Strategie hatten die Automobilhersteller in den letzten Jahren

durch die Gründung eigener Leasing- und Finanzierungsgesellschaften konsequent

umgesetzt. Bei den meisten Automobilherstellern bildete das Versicherungs- und

Finanzgeschäft eine organisatorische Einheit bzw. war in einer Tochtergesellschaft

zusammengefasst.

Wie die Kundenbefragung bestätigte, fanden diese Bündelprodukte rund um das Thema

Mobilität beim Endkunden keine Gegenliebe, denn der Kunde will in erster Linie ein

Auto kaufen, einsteigen und losfahren. Finanzierung und Versicherung werden als

notwendiges Übel betrachtet. Die genaue Analyse des Kaufverhaltens zeigte, dass zum

Zeitpunkt des Autokaufs im Kopf des Kunden andere Prozesse ablaufen als bei reinen

Versicherungskunden. Für die Kaufentscheidung ist nicht nur der Preis ausschlaggebend,

sondern es spielen auch Aspekte wie das Image des Herstellers, der Preis des Fahrzeugs

und das Erlebnis des Autokaufs eine Rolle. Im Paket mit Finanzierung oder Leasing

gestaltet sich der Verkauf der Versicherung einfacher. Zum Beispiel erhält der Kunde eine

1,9%-Finanzierung nur im Paket inklusive Versicherung, wodurch der ansonsten häufig

stattfindende Preisverkauf unterdrückt wird.

„Kunden haben erzählt, dass sie gerade das totale Schnäppchen gemacht haben

[...] Es war dieselbe Prämie, für die Kunden aber eine andere Empfindung.“613

Schnell wurde aber auch klar, dass der Autoverkäufer kein Versicherungsexperte ist und

613 Interviewpartner FC3

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Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 225

der Verkauf in Autohäusern anders als über den Vertreter funktioniert. Ins Autohaus

kommt der Kunde, weil er ein Auto will. Und dann redet er auch noch gerne über die

Finanzierung, damit er sich das Auto auch leisten kann. Die Konfiguration des Autos

dauert dann schon mal zwei Stunden und am Schluss sollte der Verkäufer dann noch eine

Autoversicherung verkaufen. Aber auch wenn sich der Verkaufsprozess schwierig anhört,

liegt der Vorteil ganz klar beim Verkäufer, denn der Kunde will mit seinem Auto schnell

losfahren. Da kann man die Versicherung leichter noch dazuverkaufen.

Daneben fand das Projektteam in den Autohäusern weitere Unterschiede zur

herkömmlichen Denkweise im Versicherungsvertrieb. Konträr zu den klassischen

Außendienstorganisationen der Versicherungen, die von der Vermittlungsprovision leben,

stellen die Einnahmen aus der Vermittlung der Versicherungsprodukte für die

Automobilwirtschaft lediglich einen Zusatzverdienst dar. Autohändler konnten damit die

geringen Margen im Fahrzeugverkauf aufbessern, denn die Captivegesellschaften geben

einen Gutteil der erhaltenen Provisionen an die Autohändler im Rahmen der

Subagenturvereinbarungen weiter. Aus der Differenz müssen alle laufenden

Aufwendungen der Gesellschaft und die Kosten der Vertriebsorganisation bzw.

Verkaufsunterstützung für die Autohändler vor Ort beglichen werden.

Die Marktanalyse brachte wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der Zukunft des

Versicherungsvertriebs im Autohaus. Um den Verkauf ihrer Produkte über die

Autohäuser zu intensivieren, musste die ASSEKURANZ den Herstellern klare

Nutzenargumente liefern, zum Beispiel indem sie half, die Anzahl der Vertragshändler zu

stabilisieren. Dazu war es notwendig, neue Ertragsquellen aufzuzeigen, denn gerade das

flächendeckende Vertriebsnetz und der einzigartige Zugang zum Endkunden machen die

Automobilhersteller zu attraktiven Kooperationspartnern. Im Gegensatz zur eigenen

Außendienstorganisation verfügt der Autohandel über einen ganz entscheidenden

Wettbewerbsvorteil: den direkten Kundenkontakt am Point of Sale (POS) des zu

versichernden Fahrzeugs.

Wie die Untersuchung der Wertschöpfungskette in der Automobilwirtschaft ergab, war

gerade das Servicegeschäft (Werkstatt, Teile, Zubehör) für die gebundenen

Vertragshändler aufgrund der höheren Margen in diesem Bereich der Wertschöpfung ein

zunehmend bedeutsamer Ertragsbaustein, doch das Geschäft war aufgrund neuer Anbieter

in Gefahr. Hier konnte die Versicherung helfen, indem sie Versicherungskunden zur

Reparatur unfallbedingter Schäden am Fahrzeug gezielt in die Werkstätten der

Vertragshändler steuerte und so eine wichtige Einnahmequelle der Vertragshändler

absicherte. Der sich daraus ergebende Mehrbedarf an Originalersatzteilen stellt wiederum

ein ertragreiches Geschäftsfeld für die Automobilhersteller und -importeure dar.

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226 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

Aufbauend auf dieser Erkenntnis entwickelte das Projektteam die Geschäftsidee, die

Versicherung als Bindungsinstrument einzusetzen, um die Käufer von Neu- und

Gebrauchtwagen über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs an die

Vertragswerkstätten der Automobilhersteller zu binden.

Eine weitere Erkenntnis aus der Projektarbeit war, dass die Autohändler wenig Erfahrung

im Verkauf von Versicherungsprodukten hatten. Die Verkaufszahlen der

Kooperationspartner offenbarten große Produktivitätsunterschiede. Detailanalysen

ergaben eine starke Wechselwirkung zwischen Geschäftsaufkommen und Maßnahmen der

Vertriebsunterstützung. Ein geringes Geschäftsvolumen konnte in hohem Maß auf eine

mangelnde Betreuung und Verkaufsunterstützung zurückgeführt werden. Das Projektteam

kam daher zu dem Ergebnis, dass das Vertriebsergebnis der Kooperationspartner nur

durch eine verbesserte Unterstützung und Betreuung der lokalen Autohäuser nachhaltig

gesteigert werden konnte; d. h., es musste die Produkt- und Verkaufskompetenz von

Versicherungsprodukten der lokalen Autoverkäufer verbessert werden. Folgende

Hypothese wurde aufgestellt: „Es ist nicht wichtig, wer den Vertrieb hat, sondern wer den

Vertriebssupport hat.“614

Den Kooperationspartnern fehlte es an spezifischem Know-how, der richtigen

Incentivierung und der Erfahrung im Verkauf von Versicherungen. Ein Grund dafür liegt

in der Organisation. Oft führt die Versicherung neben Finanzierung und Leasing ein

Schattendasein, weshalb das vorhandene Potenzial nur zum Teil ausgeschöpft wird.

Teilweise erfolgt die Vertriebsunterstützung für den Versicherungsverkauf durch

Außendienstmitarbeiter, die auf Leasing und Finanzierung spezialisiert sind. Aufgrund

des umfangreichen Leistungsspektrums ist die Kompetenz dieser Mitarbeiter in

Versicherungsfragen mitunter nur schwach ausgebildet.

„Die Versicherung ist bei diesen Banktöchtern teilweise das fünfte Rad am

Wagen.“615

Diese Beobachtungen und Analysen des Projektteams bildeten die Grundlage für ein

weiteres Element der Geschäftsstrategie im Marktsegment Automobilwirtschaft: die

verstärkte Nutzung der eigenen Erfahrung und Kompetenz im Verkauf von

Versicherungsdienstleistungen. Die ASSEKURANZ wollte den Kooperationspartnern

ihre langjährige Erfahrung und Kompetenz im Verkauf von Versicherungsprodukten, der

614 Interviewpartner SK3 615 Interviewpartner FC1

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Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 227

Verkaufsbetreuung und -unterstützung zugänglich machen, um gemeinsam das volle

Potenzial im Absatz von Versicherungsprodukten zu heben.

15.3 Konkretisierung des Geschäftsmodells

Die Ergebnisse aus der „Kraft-Strategie 2010“ und dem Teilprojekt „Automotive“

brachten einige wichtige Weichenstellungen für die Neugestaltung der Zusammenarbeit

mit den Automobilherstellern. Das gesamte Geschäftsfeld sollte auf Wachstum und

Effizienz getrimmt werden. Für das Geschäftsmodell Kooperation mit der

Automobilwirtschaft ergab sich daraus eine Reihe bedeutsamer Konsequenzen.

Folgende vier strategische Zielsetzungen für die zukünftige Zusammenarbeit mit der

Automobilwirtschaft kristallisierten sich heraus:

� Mehr Flexibilität in der Produkt- und Tarifgestaltung

� Verbesserte Effizienz und Schnelligkeit durch die Integration des Vertrags- und

Schadenprozesses in die Prozesse im Autohaus

� Weitergabe der Kompetenz im Verkauf von Versicherungsprodukten als Hebel

für mehr Wachstum

� Kontinuierliche Überprüfung der Entwicklungen auf dem Automobilmarkt, um

schneller neue Trends zu registrieren und Geschäftschancen zu nutzen

Gleichzeitig waren die Ergebnisse des Strategieprojekts eine wichtige Orientierungshilfe

für die weitere Arbeit der Projektgruppe, da sie Antworten auf die zentralen

Fragestellungen im Geschäft mit der Automobilwirtschaft gaben.

„[…] jetzt haben wir den Markt verstanden, und zwar in allen Facetten, jetzt

haben wir die Kunden verstanden, jetzt haben wir die Captives verstanden, jetzt

wissen wir […] was wir mal bauen müssen.“616

Umgelegt auf das neue Geschäftsmodell ergaben sich daraus die folgenden konkreten

Handlungsfelder:

� Neue Produkte bzw. Produktvarianten, die flexibel aus einem standardisierten

Baukasten konfigurierbar sind

� Überarbeitete, einfachere Geschäftsprozesse vom Kunden bis zum Backoffice

� Man muss ein Tool zur Verfügung stellen, das in die Softwarelandschaft der

616 Interviewpartner FC3

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228 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

Autohäuser hineinpasst und auf die Bedürfnisse im Autohaus zugeschnitten ist.

� Die Vertriebsunterstützung ist zu verbessern.

� Ein kontinuierlicher Managementprozess zur tourlichen Überprüfung von

Marktumfeld, Strategie und Geschäftsmodell ist zu implementieren.

Die Entscheidung, die Einproduktstrategie aufzugeben, ermöglichte es, der Forderung der

Kooperationspartner nach flexiblen, auf den jeweiligen Bedarf abgestimmten

Leistungsangeboten nachzukommen. Anstelle des starren Einheitstarifs war es fortan

möglich, aus Produktbausteinen für jeden Kooperationspartner individuelle Produkte zu

konfigurieren.

Ein weiteres Element der neuen Strategie bildete eine Abwicklungsplattform, das

Automotive Portal. Durch diese IT-Lösung konnten die Geschäftsprozesse Vertrag- und

Schadenbearbeitung mit den Abläufen und EDV-Systemen der Vertragshändler und

Werkstätten gekoppelt werden. Einerseits führte die technische Integration der einzelnen

Systeme zu einer deutlichen Senkung der Prozesskosten in der Vertrags- und

Schadenbearbeitung. Neben mehr Effizienz in der Abwicklung brachte die automatisierte

elektronische Anbindung der Händler an die Systeme des Versicherungsunternehmens

andererseits aber auch weitere wesentliche Vorteile. Neue Tarife und Aktionen konnten

um ein Vielfaches schneller ausgerollt werden.

„Etwas überspitzt ausgedrückt sind die Angebotsunterlagen für eine

Vertriebsaktion beim letzten Händler erst angekommen, wenn die Aktion schon

wieder vorbei war. Mit dem Automotive Portal können wir einen neuen Tarif

freischalten und Minuten später steht er flächendeckend allen Partnern zur

Verfügung. Damit ist uns ein Quantensprung in puncto Schnelligkeit und

Flexibilität gelungen.“617

Um das vermutete Potenzial des Autohandels beim Verkauf von Versicherungen voll

auszuschöpfen, sollte die Kompetenz der Partner im Verkauf von Versicherungsprodukten

verbessert werden. Dazu setzte das Projektteam auf eine verbesserte Unterstützung und

Betreuung der Verkäufer im Autohaus.

Die bisherige Aufgabenteilung zwischen dem Versicherer und den Vertriebspartnern sah

jedoch vor, dass die Verantwortung für die Vertriebsunterstützung und -betreuung bei den

Tochtergesellschaften der Automobilhersteller lag. Folglich hatte die ASSEKURANZ

darauf keinen direkten Einfluss. Wenngleich sie selbst durch die eigene

617 Interviewpartner FC1

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Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 229

Außendienstorganisation über umfangreiche Erfahrung im Verkauf von Versicherungen

verfügte, konnte sie dieses fundierte Wissen nicht direkt an die Verkäufer in den

Autohäusern weitergeben.

Indem die ASSEKURANZ nun ihre Kompetenz und Erfahrung im Vertrieb und Verkauf

von Versicherungsprodukten in die bestehenden Partnerschaften mit der

Automobilwirtschaft einbrachte, wollte sie die Kooperation für beide Seiten erfolgreicher

gestalten und langfristig absichern. Die Kooperationspartner konnten vom Know-how und

der langjährigen Erfahrung der ASSEKURANZ profitieren. Durch effektive

Vertriebsunterstützung konnten der Vertriebserfolg und die Rentabilität des

Händlernetzwerks verbessert und das vorhandene Potenzial der Vertragshändler

größtmöglich ausgeschöpft werden. Somit konnte durch den Austausch von Erfahrungen

und Fähigkeiten für beide Kooperationspartner eine Win-win-Situation geschaffen

werden.

Daneben wollte die ASSEKURANZ ihre spezielle Kompetenz auch dazu einsetzen, den

Kreis der Kooperationspartner über die Hersteller und Importeure auf das neue

Marktsegment der herstellerunabhängigen Autohändler und kleinen Autohändler vor Ort

auszudehnen. Dazu wurde neben dem bestehenden Modell der indirekten Kooperation

über die Automobilhersteller und -importeure auch das neue Geschäftsmodell der direkten

Kooperation mit Autohäusern entwickelt.

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230 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

Versicherungs-unternehmen

AgenturvertragProvision

KundeVermittlung vonVersicherungen

Versicherungs-vertrag

Point of Sale

Autohändler

Schulung & Betreuung zurVerkaufsunterstützung

Abbildung 52: Geschäftsmodell der direkten Kooperation mit Autohändlern

Um das Geschäftsmodell zu entwerfen, wurde der Prozess der Wertschöpfung untersucht

und dann eine passende Wertschöpfungskette aufgezeichnet.

„Das Geschäftsmodell hängt für mich immer von einem Kunden ab, der was

haben will, bis er es bekommen hat. Vom Kunden bis zum letzten

Schräubchen.“618

Diese neue Kooperationsform folgt nicht nur dem Trend zu Mehrmarkenhändlern und

herstellerungebundenen Autohändlern, sondern eröffnet auch den Zugang zu den

Händlernetzwerken von Autoproduzenten, die nicht mit der ASSEKURANZ, sondern mit

anderen Versicherungsunternehmen kooperieren.

„Es gibt immer einzelne Händler, die mit dem Angebot und der Betreuung

durch die zwischengeschaltete Captive nicht zufrieden sind. Im Rahmen der

direkten Kooperation bieten wir diesen Händlern nicht nur unsere

Versicherungsprodukte, sondern auch unsere Erfahrung im Verkauf von

Versicherungsprodukten und eine erstklassige Betreuung an.“619

618 Interviewpartner FC3 619 Interviewpartner FC1

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Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 231

Da in diesem Geschäftsmodell kein Kooperationspartner zwischengeschaltet ist, der die

Betreuung und Unterstützung der Händler übernimmt, erbringt die ASSEKURANZ diese

Tätigkeiten selbst. Im Gegensatz zum bisherigen Geschäftsmodell besteht hier eine

direkte Vertragsbeziehung zwischen der ASSEKURANZ als Versicherungsanbieter und

den Autohändlern vor Ort. Aufgrund der hier für die Betreuung und

Vertriebsunterstützung zusätzlich anfallenden Kosten ist die Provision im neuen

Geschäftsmodell, dem direkt betreuten Modell, geringer als im indirekten Modell über die

Tochtergesellschaften der Automobilhersteller.

Um die Betreuung und Unterstützung der Händler vor Ort sicherzustellen, wurde die

Abteilung von Herrn Volker Voss um Accountmanager erweitert, die neben den

Herstellern und Importeuren nun auch die lokalen Autohändler direkt betreuen sollten.

Für die Qualifizierung und Unterstützung der Händler wollte man ein

Schwesterunternehmen beauftragen, das über eine flächendeckende Organisation zur

Partnerbetreuung verfügte und langjährigen Kontakt zu lokalen Autohändlern pflegte.

15.4 Entscheidung

Im Juni 2005 legte das Projektteam dem Vorstand die Entscheidungsvorlage vor, die die

folgenden Empfehlungen beinhaltete:

� Neugestaltung der Kooperation mit den Automobilherstellern und -importeuren

� Umsetzung des neuen Geschäftsmodells, das auf die direkte Betreuung lokaler

Autohändler zugeschnitten war

Obwohl einige Grundsatzentscheidungen wie die Aufgabe der Einproduktstrategie bereits

im Rahmen des Vorprojekts „Kraft-Strategie 2010“ Ende 2004 gefallen waren, gab es

erneut heftige Diskussionen, aufgrund derer sich der Prozess weiter hinzog, denn die

anstehenden Neuerungen wurden von der Außendienstorganisation als Bedrohung

empfunden. Aktionen wie die Gratiskasko sowie oftmalige Missverständnisse und Fehler

in der Kommunikation hatten den Konflikt immer wieder angeheizt. Das Team versuchte

daher, sein Vorhaben begreiflich zu machen: „Warum tun wir das […] wir tun das nicht,

um irgendjemandem wehzutun, sondern weil der Markt sich verändert hat und weil sich

das Verhalten der Kunden verändert hat.“620

620 Interviewpartner FC3

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232 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

Als Königsargument wurde angeführt:

„[…] wenn wir nichts tun, weil uns diese Kuh zu heilig ist, dann macht es halt

die Pfefferminzia, aber das macht es auch nicht besser. Diese Erkenntnis

entwickelte sich relativ schnell aus den ganzen Untersuchungen heraus.“621

Da sich der Wandel in kleinen Schritten vollzieht, ist er für den einzelnen Vertreter im

Tagesgeschäft nicht ersichtlich. Dazu ist es notwendig, längere Zeiträume zu betrachten.

Noch vor zehn Jahren war für 98 % der Kunden der Vertreter in Versicherungsfragen die

erste Anlaufstelle. Heute ist die Zahl der Möglichkeiten für den Kunden viel größer. Eine

davon ist das Autohaus. Perspektivisch werden die Vertreter an den Neuwagen- und auch

an den Gebrauchtwagenmarkt nicht mehr herankommen. Wenn die Versicherung im

Paket mit dem Auto verkauft wird, sehen sie die Kunden nie wieder im Büro.

„Das heißt, lieber Vertreter, dein Problem, dass du diese Klientel gar nie mehr

sehen wirst, kannst du nur lösen, indem du ein Autohaus gründest, Punkt. Das

will die Automobilwirtschaft und das will der Kunde, Punkt.“622

Im Juni 2005 wurde die Strategie im Vorstand schließlich beschlossen und die Umsetzung

konnte beginnen. Dieser Entscheidung waren lange Diskussionen vorausgegangen, bis

man sich darauf verständigte, statt Waffengleichheit in Zukunft von Chancengleichheit zu

sprechen. Das eigentliche Feindbild zu diesem Zeitpunkt war aber die Direktversicherung,

die wenige Monate später starten sollte.

15.5 Realisierung

Mit dem Übergang zur Umsetzungsphase wechselte auch die Projektleitung. Das

bisherige Projektteam, das unter der Leitung von Herrn Andreas Adler gestanden hatte,

löste sich auf und ein neues Projektteam sollte folgende Ziele in die Tat umsetzen:

� Die technische Umsetzung und Hebung der vermuteten Effizienzpotenziale im

bestehenden Geschäftsmodell in Kooperation mit Automobilherstellern

� Die Schaffung einer Vertriebs- und Betreuungsmannschaft für das neue direkt

betreute Geschäftsmodell

� Die Reorganisation des Geschäftsbereichs und die Schaffung der

innerbetrieblichen Strukturen und Prozesse für die operative Steuerung

621 Interviewpartner FC3 622 Interviewpartner FC3

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Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 233

Zuerst mussten die notwendigen Strukturen geschaffen und parallel dazu musste mit der

Umsetzung der IT-Plattform und der Angebotssoftware begonnen werden. Anfang 2006

wurde die Projektstruktur in eine Linienstruktur übergeführt und die notwendigen

organisatorischen Strukturen wurden geschaffen.

Die für den operativen Betrieb und die zentrale Geschäftsabwicklung zuständigen

Abteilungen blieben dezentral. Die Abteilung D wurde aufgestockt, da sie neben dem

Keyaccountmanagement nun auch für die Betreuung bzw. aktive Vertriebsunterstützung

der Kooperationspartner zuständig war. Gleichzeitig war sie für die Umsetzung der neuen

strategischen Stoßrichtung, d. h. den Ausbau des direkt betreuten Händlerkanals,

verantwortlich.

Organigramm ab 2006

Abteilung A

� Policierung

� Bestands-

führung

Abteilung B

Schaden-

abwicklung

Abteilung C

� Produkt

� Strategie

� IT

Abteilung D

� Keyaccount-

management

� Regionale

Betreuung

Tabelle 12: �eue Aufbauorganisation des Bereichs623

Die Abteilung C ist für Strategie, Produktgestaltung und das IT-System zuständig. Sie

stellt auch die Schnittstelle zu anderen Konzernfunktionen dar. Eine der ersten Aufgaben

war die Koordination der technischen Umsetzung der IT-Plattform, die im Oktober 2006

in Betrieb ging. Diese Plattform dient als Basis

� für flexible Produkte,

� für die schnellere Umsetzung von Aktionen und

� zur Abdeckung von Basisprozessen in der Vertrag- und Schadenabwicklung

Die neue IT-Plattform sollte die Abwicklung revolutionieren. Zwar gab es bereits

Programme zur Angebotserstellung, doch jeder Händler hatte seine eigene Software. So

war die schnelle Verbreitung neuer Tarife unmöglich. Stattdessen sollte eine zentrale IT-

Plattform entstehen, die jeder Automobilhersteller in die Programme für seine

Autohändler integrieren konnte.

Auch der Verkaufsprozess von der Auswahl des Fahrzeugs über die Finanzierung bis zur

623 Eigene Darstellung laut Information von Interviewpartner FC1

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234 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

Versicherung wurde dadurch einfacher. Viele der zur Tarifierung nötigen Daten wurden

aus der Software der Autohändler direkt in das Angebot übernommen. Früher hatten die

Autohäuser einen Stapel von Formularen und wussten nicht, ob diese noch aktuell sind.

Zwar gab es weiterhin Papieranträge, aber der Anteil ging zurück, denn durch das Portal

ist jedes Autohaus mit der ASSEKURANZ elektronisch vernetzt und an die Vertrags- und

Schadenabteilung angebunden, wo die weitere Verarbeitung erfolgt.

Diese Form der Verarbeitung ist günstiger, senkt die Prozesskosten und führt zu einer

deutlichen Effizienzsteigerung. Da die Margen in der Kooperation mit der

Automobilwirtschaft sehr knapp bemessen sind, ist es notwendig, die Organisation auf

Effizienz zu trimmen, um profitabel zu wirtschaften.

Die Entwicklung der IT-Plattform erfolgte gemeinsam mit der Konzern-IT unter

Einhaltung aller Konzernstandards. Neben der vollen Integration in das bestehende

Bestandsführungssystem wurden spezielle Vertrag- und Schadenprozesse entworfen.

Doch dabei kam es zu Verzögerungen. Parallel zum Start der Implementierung Anfang

2006 fand in Deutschland eine große Umstrukturierung statt, wodurch IT-Ressourcen

knapp waren. Schon bei der Erstellung der Fachkonzepte und der Abstimmung mit der IT

gab es Probleme. Indem man den Funktionsumfang immer mehr zusammenstrich, konnte

das Team schließlich ganz gut in der Zeit bleiben und auch das Budget einhalten, musste

allerdings auf die gewünschte Funktionalität verzichten.

Auch die Umsetzung mit den Kooperationspartnern verlief schwieriger als erwartet. Eine

Zeit lang sah es sehr schlecht aus. Ein Problem waren die vielen Ansprechpartner, ein

anderes die Programmierung der Schnittstellen. Schließlich setzte man sich mit den

Partnern zusammen und versuchte, das Vorhaben besser zu strukturieren. Für die

Abstimmung und Koordination mit den Kooperationspartnern wurde ein Teilprojekt mit

eigenem Projektleiter gegründet. Dadurch konnte der Zeitplan annähernd eingehalten

werden. Während die Umsetzung mit einigen Partnern rasch und unkompliziert verlief,

gab es mit anderen mehr Abstimmungsbedarf. Um diesen Prozess zu unterstützen, wurde

eine Beratungsfirma verpflichtet, die über große Erfahrung in der Automobilwirtschaft,

sowohl mit Automobilherstellern als auch mit deren Vertriebsgesellschaften, verfügte und

dabei half, die Prozesse der Automobilhersteller zu verstehen.

Allerdings war die Umsetzungsarbeit mit der Fertigstellung der IT-Plattform nicht getan,

sondern ging weiter. Der Schwerpunkt verlagerte sich von großen strukturellen Würfen

hin zu kleinen kontinuierlichen Verbesserungen, zum Beispiel in der tagtäglichen

Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern. Im Gegensatz zur Realisierung der IT-

Infrastruktur waren das Redesign und die Verbesserung der operativen Abläufe zur

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Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft 235

Steigerung der Effizienz ein langwieriger Prozess, der bei den beteiligten Personen die

Bereitschaft zur Veränderung voraussetzte bzw. ihnen teilweise die Abkehr von lieb

gewonnenen Gewohnheiten abverlangte.

„Wir policieren jetzt elektronisch […] drucken es nicht mehr aus. Jetzt gibt es

natürlich viele Händler, die [die Anträge] noch ausdrucken und uns schicken,

und wir geben sie dann eben wieder ein.“624

15.6 Erfolgsbeurteilung

Rückblickend betrachtet wurde die Neuausrichtung vom Markt positiv aufgenommen. Die

ersten Reaktionen der Partner nach Bekanntgabe der Entscheidung waren durchwegs

positiv: „Toll, dass ihr euch unserer Bedürfnisse annimmt, haben alle gesagt.“625

In mancherlei Hinsicht kam die neue Strategie vielleicht zwei Jahre zu spät, da die

Umsetzung vor dem Hintergrund eines tief greifenden Konzernumbaus stattfand. Dadurch

fehlten die notwendigen IT-Ressourcen, um alle Pläne und Ankündigungen in die Tat

umzusetzen, was wiederum bei den Kooperationspartnern teilweise Ernüchterung

auslöste. So konnte die anfängliche Euphorie nur partiell genutzt werden bzw. ist der

Normalität gewichen.

Zusätzlich zur Ressourcenknappheit und der Verzögerung infolge der groß angelegten

Reorganisation des Versicherungsgeschäfts in Deutschland war die Umsetzung

schwieriger als gedacht und konnte nicht mit der geplanten Funktionalität realisiert

werden.

Demgegenüber hatte sich seitens der Vertreterschaft kaum interner Widerstand gebildet.

Zwar gibt es im Tagesgeschäft immer wieder kleinere Spannungen zwischen

Autohändlern und Vertretern, jedoch handelt es sich dabei um die sprichwörtlichen

Einzelfälle, die es auch früher schon gab.

Ein Projektteilnehmer beurteilte das Ergebnis wie folgt: „Ich würde sagen ,jetzt‘

erfolgreich, aber noch nicht erfolgreich genug. Es dauert, bis der Tanker wendet.“626

Einen Beleg dafür, dass die Entscheidung strategisch richtig war, liefern die

Vertriebsergebnisse. So setzen sich die beobachteten Trends weiter fort. Während die 624 Interviewpartner FC3 625 Interviewpartner FC1 626 Interviewpartner FC2

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236 Fallstudie 3: Kooperation mit der Automobilwirtschaft

Außendienstorganisation weiterhin leicht an Stück und Beitrag verliert, setzt sich die

positive Tendenz im Geschäftsfeld Automobilwirtschaft weiter fort; d. h., der

Vertriebsweg gewinnt gegen den Trend des Gesamtmarkts sowohl an Stück als auch

insgesamt an Bestand.

Kategorie Indikator

Überleben

(objektiv)

(1) Überleben im

Untersuchungszeitraum

Ja

Markterfolg

(subjektiv)

(2) Akzeptanz und

Kundennutzen

Sehr hohe Akzeptanz (Ø = 4)

„Toll, dass ihr euch unserer

Bedürfnisse annimmt […]“

(FC1)

(3) Wachstum Überdurchschnittliches

Wachstum (Ø = 5)

„Der Vertriebsweg gewinnt

gegen den Trend

überdurchschnittlich viel

Beitrag.“ (FC2)

Geschäftserfolg

(subjektiv)

(4) Ertrag Stabile Ergebnisse (Ø = 3)

„Die 9euausrichtung ist ein

Erfolg. Das volle Ausmaß wird

sich aber erst in den nächsten

Jahren einstellen.“ (FC2)

Abbildung 53: Erfolgsbeurteilung der Kooperation mit der Automobilwirtschaft

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Wege zur Geschäftsmodellinnovation 237

TEIL IV: ERKE��T�ISSE ZUR

GESCHÄFTSMODELLI��OVATIO�

Wie bereits in Kapitel 8.2 ausgeführt wurde, ist es für viele Unternehmen von

existenzieller Bedeutung, die Kompetenz Innovation erfolgreich zu realisieren.627 Dies

gilt insbesondere auch für Innovationen in Bezug auf die Strategie („strategische

Innovation“) bzw. das Geschäftsmodell („Geschäftsmodellinnovation“).628

Dennoch haben viele etablierte Großunternehmen nach wie vor Schwierigkeiten, solche

Innovationsprojekte erfolgreich zu meistern. Sie haben Schwierigkeiten, technologische

Innovationen629 zu nutzen, neue Märkte und Kundensegmente zu erschließen630, ihre

mentalen Modelle631 und Verhaltensweisen632 entsprechend anzupassen und aus ihren

Erfahrungen zu lernen.633

“What the literature prescribes and what most firms do are miles apart.”634

Die Fortdauer dieser Probleme deutet darauf hin, dass der Prozess der Theoriebildung hier

noch nicht beendet ist. Ziel dieses Abschnitts ist es, die Erkenntnisse hinsichtlich der

erfolgreichen Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen darzulegen und so einen

Beitrag zur Theoriebildung zu leisten.

16 Wege zur Geschäftsmodellinnovation

Aufbauend auf dem in Kapitel 8.1 entwickelten Verständnis strategischer Innovationen

wird Geschäftsmodellinnovation als einen verschiedene Aktivitäten umfassenden Prozess

von der Generierung bis zur Realisierung einer neuen Geschäftsidee verstanden. Die

Fokussierung auf die erfolgreichen Praktiken und Aktivitäten im Prozess der

Geschäftsmodellinnovation beschränkt zwar die Generalisierbarkeit der Erkenntnisse,

erlaubt es aber auch, die spezifischen Eigenschaften, Mechanismen, die zugrunde

liegenden Ereignisse und Akteure dieser Spielart von Innovation im Kontext von

627 vgl. Jelinek, M. und Schoonhoven, C. B. (1990), Zahra, S. A. und Covin, J. G. (1993), Hage, J. T. (1999) 628 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2003), Chesbrough, H. (2007), Teece, D. J. (2010) 629 vgl. Romanelli, E. und Tushman, M. L. (1986), Tushman, M. L. und O'Reilly, C. (2002) Christensen, C.

M. (1997) 630 vgl. Christensen, C. M. und Bower, J. L. (1996), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (2005) 631 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1986) 632 vgl. Hannan, M. T. und Freeman, J. H. (1984), Burgelman, R. A. (2002) 633 vgl. Van de Ven, A. H., et al. (1999) 634 vgl. Cooper, R. G. und Kleinschmidt, E. J. (1996)

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238 Wege zur Geschäftsmodellinnovation

mehreren in enger zeitlicher Abfolge durchgeführten Projekte eines großen,

multidivisionalen Versicherungsunternehmens zu studieren.

Im Gegensatz zu früheren Arbeiten, die sich auf Geschäftsmodellinnovation in Start-

ups635 und Technologieunternehmen konzentrieren636, gilt mein Interesse großen,

etablierten, komplexen und multidivisionalen Unternehmen, da ‟not all large, complex

organisations are successful with innovation […] in fact complex organisations have

difficulties with innovation”.637

Doch warum haben komplexe Unternehmen Schwierigkeiten,

Geschäftsmodellinnovationen zu realisieren? Welche Widerstände und Barrieren gilt es,

zu überwinden, und welche organisationalen Prozesse und Routinen helfen dabei, das Ziel

zu erreichen?

Es gilt, die zentrale Forschungsfrage dieser Arbeit zu beantworten, nämlich wie

Großunternehmen im Rahmen ihrer Wachstumsstrategie auf der Ebene von

Geschäftseinheiten durch die organisationale Kompetenz der Geschäftsmodellinnovation

einen positiven Beitrag zur Realisierung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile und somit zu

profitablem Wachstum leisten können.

Aus der vergleichenden Untersuchung der drei Fallstudien „Gebrauchtwagen-

Marktplatz“, „Direktversicherung“ und „Kooperation mit der Automobilwirtschaft“

können folgende Schlüsse gezogen werden:

� Es besteht ein wahrnehmbarer Unterschied in der Art, wie erfolgreiche und

weniger erfolgreiche Geschäftsmodellinnovationen gehandhabt wurden.

� Es ist ein Muster erkennbar, wie erfolgreiche Projekte strukturiert wurden und

welche Prozesse und Routinen als erfolgsrelevant einzustufen sind.

Die in den Daten gefundenen Muster, die zueinander in Wechselbeziehung stehen,

werden zu erfolgsrelevanten Prozessen und Routinen verdichtet und in den nachfolgenden

Kapiteln genauer definiert und herausgearbeitet.

Wie die empirische Untersuchung gezeigt hat, sind für eine erfolgreiche

Geschäftsmodellinnovation mehrere Aspekte vorab zu klären:

635 vgl. Doganova, L. und Eyquem-Renault, M. (2009) 636 vgl. Chesbrough, H. und Rosenbloom, R. S. (2002) 637 vgl. Hage, J. T. (1999)

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Ebenen der Geschäftsmodellinnovation 239

� Auf welcher Ebene die Geschäftsmodellinnovation stattfindet

� Die Wahl der Vorgehensweise, d. h. die Gestaltung des Innovationsprozesses,

der Aktivitäten und Entscheidungen von der Formulierung einer Geschäftsidee

bzw. Strategie bis zur Realisierung des passenden Geschäftsmodells

� Welche Aktivitäten in den einzelnen Phasen des Innovationsprozesses

notwendig sind

� Welche Routinen und Prozesse für die Durchführung der Aktivitäten

erfolgsrelevant sind

17 Ebenen der Geschäftsmodellinnovation

In der Literatur wird bisweilen verabsäumt, genauer zwischen den verschiedenen Ebenen,

auf denen Geschäft stattfindet, d. h. der Ebene der Branche, des Gesamtunternehmens,

einzelner Geschäftsfelder bzw. Marktsegmente, zu differenzieren.638

17.1 Auf der Ebene der Branche

Auf der Ebene der Branche beschreibt das Geschäftsmodell die dominante Logik639 bzw.

die vorherrschende Struktur der Wertschöpfung. Für die Versicherungsbranche war dies

über lange Jahre das Modell des Allbranchenanbieters, der über seine

Vertriebsorganisation mit gebundenen Versicherungsagenten den Markt bediente. Die

Geschäftsmodellinnovation auf der Ebene der Branche setzt hier an, indem sie die

bisherige Logik der Geschäftserbringung infrage stellt und die gesamte Struktur der

Wertschöpfung neu ordnet. Ein Beispiel dafür ist Apples iPod, der in Verbindung mit dem

iTunes-Musikstore die Spielregeln in der Musikbranche neu definiert hat, oder der

Onlinebuchhändler Amazon, der den traditionellen Buchhandel revolutioniert hat.

Geschäftsmodellinnovation bedeutet hier, sich vom traditionellen Bauplan der

Geschäftserbringung abzuwenden und ein innovatives Geschäftsmodell zu entwerfen, das

gegenüber der herkömmlichen Wertschöpfungsstruktur ein vorteilhaftes Nutzenprofil

aufweist bzw. die Bedürfnisse der Kunden in einer besseren Weise befriedigen kann als

die traditionellen Geschäftsmodelle.

17.2 Auf der Ebene des Gesamtunternehmens

Auf der Ebene des Gesamtunternehmens geht es um die Frage der

Diversifikationsstrategie und der Zusammensetzung des Portfolios der

Geschäftseinheiten, d. h. in welchen Geschäftsfeldern und auf welchen Märkten das 638 vgl. Abell, D. F. (1980) 639 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1986)

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240 Ebenen der Geschäftsmodellinnovation

Unternehmen tätig ist. Das Geschäftsmodell eines Gesamtunternehmens muss

beschreiben, wie auf Ebene des Gesamtunternehmens, durch die Kombination der

einzelnen Geschäftssegmente Wert geschaffen wird und warum das Geschäftsmodell des

Unternehmens mehr als nur die Summe seiner Teile ist.

In den letzten Jahren tauchte in der Praxis bei großen, diversifizierten Unternehmen der

Begriff des „Corporate Business Model“ auf, der sich auf das Geschäftsmodell auf der

Ebene des Gesamtunternehmens bezieht. Das Corporate Business Model dient dabei zur

Konkretisierung der Unternehmensstrategie, d. h. der Corporate Strategy, die aufzeigt,

wie das Gesamtunternehmen durch die Konfiguration der Geschäftsfelder, die

Koordination des Aktivitätensystems und durch die Interaktion mit wichtigen

Anspruchsgruppen Wert schafft.640

„One Firm“ – das integrierte Geschäftsmodell der UBS

Ein Praxisbeispiel eines Corporate Business Model findet sich etwa bei der UBS, die den

One-Firm-Gedanken als Kernelement ihres globalen Geschäftsmodells gewählt hat.

Die UBS ist davon überzeugt, dass sie mit diesem integrierten Geschäftsmodell sowohl

für den Kunden als auch die Aktionäre einen Mehrwert erzielen kann, der größer ist als

die Summe sämtlicher Erfolgsbeiträge aus isoliert agierenden Einheiten.

Um durch das integrierte Geschäftsmodell der UBS Mehrwert zu schaffen, wird versucht,

die Grenzen der einzelnen Geschäftssegmente zu verwischen und durch die Bündelung

der Ressourcen und Fähigkeiten sowohl neue Geschäftschancen zu eröffnen, um so

zusätzliche Ertragsquellen zu erschließen, als auch durch die Zentralisierung von

Aktivitäten die Effizienz im Konzern zu erhöhen. Dieser Ansatz eines integrierten

Geschäftsmodells gibt dabei zugleich Aufschluss darüber, wie zusätzliches Wachstum bei

einer gleichzeitigen Verbesserung der operativen Exzellenz erreichbar ist, d. h. nachhaltig

profitables Wachstum erzielt werden kann.

Da sich bei der Umsetzung einer Strategie ein breites Spektrum möglicher, jedoch auch

divergierender und sich teilweise widersprechender Handlungs- und Gestaltungsoptionen

eröffnet, ist es notwendig, eine in sich konsistente und sich selbst verstärkende

Kombination zu finden, die es ermöglicht, insgesamt Mehrwert zu schaffen. Das

Geschäftsmodell beschreibt, welche Entscheidungen getroffen wurden und wie die

individuelle Konfiguration der Geschäftsfelder und des Aktivitätensystems ausgestattet

640 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 277.

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Ebenen der Geschäftsmodellinnovation 241

ist, wie sie koordiniert werden und welche Synergien zwischen den einzelnen

Geschäftsfeldern bestehen. Gleichzeitig beschreibt es, wie die einzelnen Elemente

miteinander in Einklang gebracht wurden, welche Aspekte wesentlich sind und wie sie

ineinander greifen, welche Wechselwirkungen zwischen den Teilsystemen bestehen und

wie durch ihre spezielle Ausgestaltung ein Beitrag zum Erfolg des Gesamtunternehmens

geleistet wird.

Diese Betrachtungsweise baut auf dem aus der Corporate-Strategy-Diskussion bereits

länger bekannten Grundgedanken auf, dass durch die intelligente Verbindung und

Bündelung der Geschäftsfelder ein Mehrwert geschaffen werden kann, d. h., dass ein

integrierter Konzern mehr Wert (Added Value) schaffen kann als die Summe seiner Teile.

Sinngemäß muss das Konzerngeschäftsmodell beschreiben, worin der Mehrwert durch die

Bündelung einzelner Geschäftsfelder konkret liegt bzw. wie er geschaffen wird. Es

konkretisiert daher nicht die Strategie eines Geschäftsfelds, sondern die übergeordnete

Unternehmens- bzw. Konzernstrategie, d. h. die Corporate Strategy.

17.3 Auf der Ebene von Geschäftsfeldern

Daraus folgt, dass ein Gesamtunternehmen nicht nur über ein Geschäftsmodell verfügt,

sondern vielmehr aus einem Bündel bzw. Portfolio aus unterschiedlichen operativ tätigen

Geschäftsfeldern besteht, die jedes für sich betrachtet ebenfalls über ein oder mehrere

Geschäftsmodelle verfügen. Einen weiteren Anknüpfungspunkt für die

Geschäftsmodelldiskussion stellt daher die Ebene einzelner Geschäftsfelder dar.

Auf der Ebene einzelner Geschäftsfelder geht es darum, die jeweiligen Produkt-Markt-

Kombination641 zu beschreiben, d. h. welches Angebot diese Geschäftseinheit auf

welchen Märkten anbietet. Gleichzeitig dient es zur Konkretisierung der

Geschäftsstrategie. Hier geht es um die Definition des Leistungsangebots für einzelne

Märkte bzw. Marktsegmente und den Entwurf einer entsprechenden

Wertschöpfungsorganisation. In gleicher Weise wie auf der Ebene von Geschäftsfeldern

kann das Konzept auch auf einzelne Geschäftseinheiten, Produktlinien oder

Marksegmente angewendet werden. Hier geht die Betrachtung wiederum eine Ebene

tiefer und konzentriert sich auf eine einzige Produkt-Markt-Kombination bzw. Produkt-

Marktsegment-Kombination.642

641 vgl. Shapiro, B. (1977), S. 3. 642 vgl. Kotler, P. (1975), S. 185.

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242 Ebenen der Geschäftsmodellinnovation

Zumeist werden Segmentierungs- und Positionierungsentscheidungen in Bezug auf eine

der Ebenen getroffen, ohne einen integrativen oder ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen,

der sowohl die Perspektive einer Geschäftseinheit darstellt als auch die Verbindung zum

Gesamtunternehmen herstellt.643 In der Forschung wird einerseits nach dem richtigen

Geschäftsmix eines Gesamtunternehmens gesucht und andererseits der Frage

nachgegangen, in welchen Geschäftsfeldern es tätig sein will. Jeweils eigenständige

Forschungsstränge adressieren die Frage, wie ein Unternehmen auf den einzelnen Ebenen

sein Geschäft erfolgreich gestalten kann.

Ein möglicher Grund für die unterschiedlichen Sichtweisen von Geschäftsmodellen und

die mangelnde Klarheit mag darin begründet liegen, dass das eigene Geschäftsmodell in

hohem Maß von der individuellen Situation des Unternehmens (Anzahl der Produkte bzw.

Märkte) und der Organisationsstruktur (Abteilungen, Bereiche, Divisionen) abhängt.

Somit ist die Frage, auf welcher Ebene die Beschäftigung mit

Geschäftsmodellinnovationen sinnvoll und notwendig ist, für jedes Unternehmen

individuell zu beleuchten und zu entscheiden.

Zusammenfassend lässt sich jedoch festhalten, dass die Beschäftigung mit dem eigenen

Geschäftsmodell und somit der Prozess der Geschäftsmodellinnovation auf jeder Ebene

möglich und nützlich ist. Auf Grundlage des empirischen Befunds lässt sich das

Geschäftsmodell als Gestaltungs- und Optimierungsrahmen grundsätzlich auf allen

Ebenen eines Unternehmens anwenden, auf denen strategische Entscheidungen zu treffen

und diese in operatives Handeln umzusetzen sind, denn es kann dabei auf jeder Ebene

einen wirksamen Beitrag zur Formulierung, Konkretisierung und Realisierung

strategischer Innovationen leisten.

In Abhängigkeit davon, ob es sich bei einem Vorhaben zur Entwicklung oder

Überprüfung der Gesamtunternehmensstrategie (Corporate Strategy), eines Geschäftsfelds

oder der Strategie einer einzelnen Geschäftseinheit bzw. eines Geschäftsbereichs, d. h. der

Geschäftsstrategie (Business Strategy) handelt, können die Ansatzpunkte zur Gestaltung,

d. h. die Vorgehensweise der mit der Aufgabe betrauten Akteure und

Organisationseinheiten und die Inhalte bzw. die als wesentlich erachteten Aspekte, zwar

divergieren, in den grundlegenden Fragen der Geschäftsmodellinnovation folgt die

Vorgehensweise jedoch stets derselben Logik.

In der vorliegenden Arbeit war diese differenzierte Betrachtungsweise notwendig, da

innerhalb des Geschäftsfelds Schaden- und Unfallversicherung auf der Ebene des

643 vgl. Hofer, C. W. (1976)

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Phasen des Innovationsprozesses 243

Geschäftsbereichs der privaten Kraftfahrzeugversicherung mehrere Geschäftsmodelle, die

auf spezifische Teilmärkte bzw. Kundensegmente abzielen, untersucht wurden.

Die Geschäftsmodelle dienen dabei als Entscheidungs- und Gestaltungsrahmen für die

operative Ausgestaltung der Geschäftstätigkeit auf der Ebene einer einzelnen

Geschäftseinheit, die ein oder mehrere Geschäftsfelder bedient. Diesem Verständnis nach

fungiert das Geschäftsmodell dabei als Hilfsinstrument, um die Strategie eines

Geschäftsfelds operativ wirksam werden zu lassen, d. h. in Ergänzung der

Geschäftsstrategie die strategische Positionierung eines Geschäftsfelds auf dem Markt in

ein kohärentes System aus operativen Strukturen und Prozessen überzuleiten, die

beschreiben, wie das intendierte Geschäft wirtschaftlich sinnvoll betrieben werden kann

und gesellschaftlichen Nutzen stiftet.

18 Phasen des Innovationsprozesses

Die strategische Innovation bzw. die Geschäftsmodellinnovation stellt eine neue Spielart

organisationaler Erneuerung dar. Sie steht in einem engen Zusammenhang mit Fragen, die

im Bereich der Organisationstheorie und Strategieforschung schon länger diskutiert

werden, denn die Veränderung bzw. Transformation von Unternehmen als Reaktion auf

die unterschiedlichsten Veränderungskräfte, die auf Unternehmen einwirken, stellt in

diesen Disziplinen seit jeher ein wichtiges Forschungsfeld dar.

Da die Veränderung von Unternehmen immer auch einen nachhaltigen Einfluss auf die

langfristige strategische Zukunftssicherung einer Unternehmung ausübt, wird dieses

Phänomen in der Literatur nicht nur als Organizational Change, sondern vielfach auch

unter dem Oberbegriff „strategischer Wandel“ (Strategic Change) behandelt.644

Strategische Erneuerung, egal welchen Typs und Inhalts, braucht ein Rahmenkonzept, das

wie eine Blaupause bzw. ein Architekturmodell die Problemfelder des Wandels

strukturiert und zueinander in Beziehung setzt.645 Dieses am General Management

Navigator (GMN) orientierte Prozessmodell unterteilt den Prozess der

Geschäftsmodellinnovation in vier Arbeitsschritten: Initiierung, Definition des Geschäfts,

Konfiguration des Aktivitätensystems und Innovation als fortlaufender Prozess plus dem

Optimierungsfeld Nutzen und Effizienz. Es handelt sich dabei um die abstrakte

Darstellung der einzelnen in den Fallstudien ermittelten Phasen im Prozess der

Realisierung von Geschäftsmodellinnovationen.

644 vgl. Rüegg-Stürm, J., et al. (2004) 645 vgl. Krüger, W. (2006), S. 21.

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244 Phasen des Innovationsprozesses

Abbildung 54: Prozessmodell zur Strukturierung einer Geschäftsmodellinnovation646

Die empirischen Erkenntnisse weisen darauf hin, dass diesem Prozess ein evolutionäres

bis teleologisches647 Prozessmodell648 zugrunde liegt. Infolge einer Opportunität oder der

Notwendigkeit, zum Beispiel eines veränderten Marktumfelds, wird ein gewünschter

zukünftiger Zustand angestrebt. In einer sich wiederholenden Abfolge werden Ziele

formuliert und implementiert, der Erfolg wird gemessen und auf Abweichungen wird

durch Modifikation reagiert, bis der angestrebte Zustand erreicht und die Vision

umgesetzt ist.

Obwohl das Management nicht den Anstoß zur Veränderung verordnet, spielt es dennoch

eine wichtige Rolle in der Initiierung, indem es einen konkreten Projektauftrag bzw. Ziele

definiert, Ressourcen bereitstellt und den Prozess koordiniert. Der angestrebte Zustand

wird durch soziale Konstruktion in die Tat umgesetzt. Der Übergang von einem Zustand

in den nächsten vollzieht sich bisweilen episodisch, aber vorwiegend als fortlaufender

Prozess inkrementeller Veränderungen durch Variation, Selektion und Retention.649

Variation findet kontinuierlich statt, doch es werden nicht alle Veränderungen

beibehalten, sondern ein Teil wird auch wieder verworfen. Die Selektion erfolgt im harten

Überlebenskampf um knappe Ressourcen. Erweist sich eine Variation dem bisherigen

646 Eigene Darstellung in Anlehnung an den General-Management-Navigator (GMN) von Müller-Stewens,

G. und Lechner, C. (2005) 647 von griech. teleos: Ziel, Zweck 648 vgl. Van de Ven, A. H. und Poole, M. S. (1990), Van de Ven, A. H. und Poole, M. S. (1995) 649 vgl. Nelson, R. R. und Winter, S. G. (1982)

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Phasen des Innovationsprozesses 245

Zustand gegenüber als überlegen und können beharrende Kräfte überwunden werden,

wird die Variation beibehalten und der Prozess setzt sich fort.

Da in den untersuchten Innovationsprojekten sehr wohl ein rationales, zielorientiertes

Verhalten der Akteure und ein klares Vorgehensmodell erkennbar waren, stehen die

empirischen Ergebnisse zumindest teilweise im Widerspruch zu früheren Arbeiten. So

beschreiben Cheng und Van de Ven (1996) den Innovationsprozess von Organisationen

als chaotische, nicht lineare Abfolge von Ereignissen. Im Gegensatz dazu wurde in der

vorliegenden Arbeit ein Prozessmuster identifiziert, das als „zielorientiert, […]

rational“650 zu charakterisieren ist und von der Genese der Geschäftsidee bis zur

Realisierung des Geschäftsmodells einige Phasen durchläuft, die durch wiederkehrende

Aktivitäten und Praktiken gekennzeichnet sind.

Der Grund dafür mag im unterschiedlichen Branchenkontext liegen. Während die zitierte

Studie auf Beobachtungen von Biotechnologieunternehmen beruhte, stützen sich meine

Erkenntnisse auf Fallstudien in der Versicherungswirtschaft. Allerdings weisen auch

Arbeiten, die sich mit der Veränderung von Geschäftsmodellen in der

Biotechnologiebranche beschäftigen, auf einen episodischen Verlauf von

Innovationsprozessen hin.651

Das zuvor beschriebene evolutionär-teleologische Prozessmodell liefert daher gute

Anhaltspunkte zum Verlauf der von mir untersuchten Innovationsprozesse und kann der

Strukturierung der Vorgehensweise dienen. In den nachfolgenden Kapiteln werden die

einzelnen Arbeitsschritte näher beschrieben und zueinander in Beziehung gesetzt.

18.1 Initiierung

Der Innovationsprozess kann sowohl exogen wie auch endogen induziert sein. Mögliche

Gründe im Umfeld von Unternehmen können unter folgenden Schlagwörtern

zusammengefasst werden: Deregulierung von Branchen, Wettbewerbsdruck,

Globalisierung, steigende Kundenerwartungen und neue, diskontinuierliche

Technologien.

Wie im empirischen Teil dieser Arbeit beschrieben wurde, hat sich nach der

Deregulierung des Kfz-Versicherungsmarkts die Branchenstruktur deutlich verändert,

weil neue Anbieter in den Markt eingetreten sind und sich das Verhalten der Kunden

650 Interviewpartner FA5 651 vgl. Broglie, C. (2004)

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246 Phasen des Innovationsprozesses

geändert hat. Die neue Realität in der Versicherungsbranche und die Zunahme des

Wettbewerbsdrucks haben die ASSEKURANZ dazu gezwungen, sich aktiv mit dem

eigenen Geschäftsmodell zu beschäftigen. Zugleich eröffnen sich dadurch auch neue

Chancen, zum Beispiel für neue Anbieter. Der Fortschritt im Bereich der

Informationstechnologie liefert die Grundlage für neue Formen der Wertschöpfung. Etwa

die Idee, eine Direktversicherung zu etablieren, wäre ohne die Möglichkeiten des

Internets und des neu entstandenen Marktsegments preissensitiver Kunden nicht

weiterverfolgt worden.

Darüber hinaus weisen Müller-Stewens und Lechner (2005) auch auf die Bedeutung des

Faktors Mensch hin. Durch Änderungen im Topmanagement, eine andere Ausbildung und

Wertehaltung nehmen Manager die Realität anders wahr, wodurch sich die Prioritäten

verschieben und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, steigt, denn schlussendlich sind es

die Menschen, die den Prozess initiieren und die notwendigen Überlegungen anstellen.

Besondere Bedeutung kommt dabei dem mittleren Management zu, denn die

Geschäftsmodellinnovation ist nicht nur als geplanter Top-down-Prozess denkbar.

Genauso wichtig ist die Initiative der operativ verantwortlichen Manager, die nahe am

Geschäft und Markt sind und somit neue Geschäftschancen als Erste wahrnehmen.

Doch um ein Innovationsprojekt auf den Weg zu bringen, sind einige Vorbereitungen zu

treffen. Folgende Punkte sind dabei von besonderer Bedeutung:

1. Die Unterstützung zumindest eines Mitglieds des Managementteams zu

gewinnen, der als Sponsor des Vorhabens fungiert

2. Geeignete Mitarbeiter zu finden, die das nötige Know-how und die richtige

Einstellung mitbringen

3. Die Vorgehensweise grob zu strukturieren und einen Projektauftrag zu

formulieren

4. Gemeinsam mit dem Sponsor Spielregeln festzulegen, um den Zugang zu

Ressourcen zu regeln und die Zuständigkeiten im Projekt zu klären

Im Grunde handelt es sich dabei um generische Vorbereitungsarbeiten, wie sie am Beginn

jedes Projekts stehen sollten und in der Projektmanagementliteratur beschrieben werden.

Dennoch sind einige Besonderheiten zu berücksichtigen. Da es sich hier um einen

strategischen Innovationsprozess handelt, sind entsprechende Vorkenntnisse bzw. eine

entsprechende Ausbildung zu Fragen des strategischen Managements unerlässlich, denn

entsprechende Grundkenntnisse erleichtern die Kommunikation zwischen den

Projektteilnehmern und unterstützen durch einschlägige Managementtools und Konzepte

den Prozess der Strategiefindung. Da die Geschäftsmodellinnovation ein überaus

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Phasen des Innovationsprozesses 247

komplexes Vorhaben darstellt und sich ganzheitlich mit dem Geschäft eines

Unternehmens befasst, ist es ratsam, Mitarbeiter aus verschiedenen Funktionsbereichen

und mit durchaus konträren Ansichten für das Projektteam zu gewinnen.

Weitere Praktiken, die zur erfolgreichen Gestaltung eines Innovationsprozesses beitragen,

werden in Abschnitt 19 vorgestellt.

18.2 Definition des Geschäfts

Sobald das Innovationsprojekt aufgesetzt wurde, kann in der zweiten Phase mit der

genauen Analyse des Unternehmensumfelds begonnen werden, um aufbauend auf den

Erkenntnissen der Umfeldanalyse eine entsprechende Geschäftsdefinition festzulegen. Es

handelt sich dabei um die konkrete Beschreibung einer Geschäftsidee. Für Abell (1980)

ist die Definition des Geschäfts ‟the starting point for strategic planning”. Die Strategie

ist wiederum eine wesentliche Voraussetzung für den Entwurf des dazu passenden

Geschäftsmodells eines Unternehmens.

Produkte

Märkte Abbau der Produkte Gegenwärtige Produkte �eue Produkte

Abbau der Märkte

Rückzug: Stufenweiser Abbau der gegenwärtigen Produkte und der gegenwärtigen Märkte

Produktkonstante Marktverdichtung: Marktrückzug, Abbau der Abnehmerschichten und/oder Abbau der Distributionskanäle

Progressive Marktdurchdringung: Abbau der gegenwärtigen Märkte verbunden mit dem Angebot von neuen Produkten auf den verbleibenden Märkten

Gegenwärtige

Märkte

Marktkonstante Produktverdichtung: Abbau der Produktpalette, die auf den gegenwärtigen Märkten angeboten wird

Marktdurchdringung: Intensivierung der Marktbearbeitung, Relaunch, Imitation, Kosten- und Preissenkung, Unbundling

Produktentwicklung: Neue Produkte, neue Produktlinien, neue Dienstleistungen und/oder Problem- und Systemlösungen

�eue Märkte

Progressive Produktverdichtung: Abbau der gegenwärtigen Produktpaletten verbunden mit dem Angebot der verbleibenden Produkte auf neuen Märkten

Marktentwicklung: Marktausweitung, neue Abnehmerschichten, neue Distributionskanäle, neue Verwendungszwecke

Diversifikation: Neue Produkte für neue Märkte

Abbildung 55: Produkt-Markt-Strategien652

652 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 257.

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248 Phasen des Innovationsprozesses

Um das Geschäft eines Unternehmens zu definieren, ist ein konzeptioneller Rahmen

nötig, um die Art und den Umfang eines Geschäfts zu beschreiben. Traditionell wird in

der Literatur ein zweidimensionaler Bezugsrahmen angeboten, um den Geschäftsumfang

eines Unternehmens entlang der Dimensionen Produkte und Märkte zu

konzeptionalisieren. Die Frage nach dem Umfang beantwortet aber noch nicht die Frage

nach der Art und dem Wesen eines Geschäfts. Stattdessen zeigt die auf Ansoff

zurückgehende Produkt-Markt-Matrix653 lediglich, auf welchen Märkten ein Unternehmen

mit welchen Produkten tätig ist, bzw. gibt Orientierung, welche Wachstumsstrategien

durch eine zukünftige Differenzierung und Diversifikation der Produkt-Markt-

Kombination möglich sind.

Unabhängig davon, welche strategischen Manöver654 tatsächlich realisiert werden, d. h.

bei der Einführung neuer Produkte, der Erschließung neuer Märkte, der Diversifikation

oder der Ausschöpfung bestehender Märkte, stellt sich, zumindest implizit, jedes Mal aufs

Neue die Frage nach der Art, dem Umfang und dem eigentlichen Gegenstand des

Geschäfts. Da nach jeder Modifikation mit einer potenziell neuen Geschäftsdefinition zu

rechnen ist, macht jegliche Veränderung der Produkt-Markt-Kombination die neuerliche

Überprüfung der Geschäftsdefinition erforderlich.

Obwohl Veränderungen bisweilen lediglich als inkrementell gesehen werden, können sie

das Wesen, den Charakter und damit auch die Definition des Geschäfts grundlegend und

dauerhaft verändern. Unterbleiben die notwendige Überprüfung und potenzielle

Neudefinition des Geschäfts, so ergibt sich der gefährliche Zustand einer zunehmenden

Diskrepanz zwischen der optimalen und tatsächlichen Geschäftsdefinition, die zu einer

Fehlausrichtung des Unternehmens führt.

„Das Produkt-Preis-Serviceangebot der ASSEKURA9Z passte nicht mehr zu

den am Markt nachgefragten Kombinationen und durch den einseitigen

Vertriebskanalmix fehlte der Zugang zu den Kundensegmenten, wo Wachstum

passierte.“655

Umso wichtiger ist es daher, das eigene Geschäft klar zu definieren und die Definition

laufend an die Veränderungen der Produkt-Markt-Strategie des Unternehmens

anzupassen. Neben der klassischen zweidimensionalen Systematisierung und

Beschreibung eines Geschäfts werden in der Marketingliteratur weitere Ansätze der

653 vgl. Ansoff, I. (1957) 654 vgl. Abbildung 55 655 Interviewpartner ST1

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Phasen des Innovationsprozesses 249

Sinndeutungen656 des Geschäftsbegriffs entwickelt, die anhand des Beispiels der Swatch

AG verdeutlicht und einander gegenübergestellt werden:

� Unternehmen, die in einem Geschäft tätig sind, erfüllen für Kunden eine

bestimmte Funktion. Im Einklang mit der klassischen Marketinglehre kann das

Geschäft anhand der Funktion beschrieben werden, die ein Unternehmen für

Kunden übernimmt.657 Swatch zum Beispiel erfüllt den Kundenbedarf nach

günstigen Instrumenten zur Zeitmessung und den Bedarf nach ästhetischen

Designerstücken.

� Daneben wird Geschäft auch als bestimmte Kompetenz oder Fähigkeit

konzeptionalisiert. Diese Sichtweise, obwohl bereits deutlich früher entwickelt,

weist viele Anknüpfungspunkte mit aktuellen Überlegungen im Bereich des

fähigkeiten- und kernkompetenzorientierten Managements von Unternehmen

auf. Wird diese Sichtweise auf Swatch übertragen, so ist das Unternehmen im

Geschäft der kostengünstigen Herstellung qualitativ hochwertiger und

ansprechend gestalteter Lifestyleartikel tätig.

� Versteht man dasselbe Geschäft hingegen nicht als Fähigkeit, sondern als

Programm von Aktivitäten und bedienten Märkten, so ist Swatch im Geschäft

zur Herstellung von Uhren und Schmuck für den Weltmarkt engagiert. Wobei

hinzuzufügen ist, dass sich das Unternehmen in den letzten Jahren aus einigen

Produktkategorien wie Schnurlostelefonen, Pagern und Brillen zurückgezogen

und dadurch die Geschäftsdefinition fokussiert hat.

Diesen theoretischen Überlegungen folgend kann das Geschäft eines Unternehmens als

das Programm von Aktivitäten verstanden werden, die dazu nötig sind, um durch den

Einsatz von Fähigkeiten und Ressourcen für bestimmte Kundengruppen eine Funktion zu

erfüllen bzw. Leistung zu erbringen. Das Geschäftsmodell wiederum ist als die

strukturgleiche vereinfachte Abbildung dieses Geschäfts zu sehen. Um ein

Geschäftsmodell zu entwerfen, ist es daher unabdingbar, zuvor die Konzeption und

Definition des Geschäfts durchzuführen und zu konkretisieren.

Abell (1980) bzw. Abell und Hammond (1979) haben dazu einen Bezugsrahmen

vorgeschlagen, der sich an den Bedürfnissen der potenziellen Abnehmergruppen

orientiert, um eine in sich logisch-konsistente Kombination aus angebotenen Leistungen,

bedienten Markt- und Kundensegmenten und Absatzsystem zu finden und den weiteren

strategischen Innovationsprozess zu unterstützen.658 656 vgl. Abell, D. F. (1980), S. 11f. 657 vgl. Levitt, T. (1960), Kotler, P. (1975), Levitt, T. (2006) 658 vgl. Abbildung 56

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250 Phasen des Innovationsprozesses

potenzielleAbnehmergruppen

alternativeTechnologien

Kundenbedürfnis und -funktion

Abbildung 56: Bezugsrahmen zur Abgrenzung von Geschäftsdefinitionen659

Zwischen folgenden drei Dimensionen ist hier zu unterscheiden:

� Kundenbedürfnis und -funktion (Was?)

� Potenzielle Kundengruppen (Wer?)

� Alternative Technologien (Wie?)

Selbst wenn das Unternehmen keine explizite Definition des Geschäfts vorgenommen hat,

ist sie dennoch implizit vorhanden. Anhand der bedienten Kundengruppen, der für diese

Kunden erbrachten Funktionen und der Art und Weise, wie Kundenbedürfnisse befriedigt

werden, lässt sich die Geschäftsdefinition rekonstruieren, denn genauso wie jedes

Unternehmen ein Geschäftsmodell hat, muss jedes Unternehmen ein Geschäft betreiben

und es lässt sich folglich eine Geschäftsdefinition herleiten.

Müller-Stewens und Fontin (2003) zufolge hat „jedes Unternehmen […] ein

Geschäftsmodell, aber gerade in der ,Old Economy‘ wird das nur selten explizit

wahrgenommen und aktiv bearbeitet“.660

Durch die Definition ihres Geschäfts wählt das Unternehmen implizit oder explizit eine

659 vgl. Abell, D. F. und Hammond, D. (1979), S. 392., Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 164. 660 vgl. Müller-Stewens, G. und Fontin, M. (2003), S. 4.

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Phasen des Innovationsprozesses 251

strategische Erfolgsposition oder Nische aus und positioniert sich im weiteren Markt-

oder Branchenkontext. Die Geschäftsdefinition ist daher gleichsam als das Ergebnis der

strategischen Positionierung und als Fundament der Wettbewerbsstrategie zu verstehen.

Der Erfolg einer realisierten Geschäftsdefinition ist von einer Reihe situativer Faktoren

abhängig, die sich nach Abell (1980) in vier Kategorien zusammenfassen lassen:661

1. Dem Bedarf und Kaufverhalten der Kunden

2. Den Differenzierungsvorteilen im Marketing, in der Produktion, Forschung und

Entwicklung etc., die sich aus der Segmentierung des Markts ergeben

3. Der Kostenfunktion und Kostenstruktur

4. Den zur Verfügung stehenden Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens

Diese Liste exkludiert Faktoren wie zum Beispiel die wirtschaftliche Attraktivität der

bedienten Marktsegmente in Bezug auf Wachstum und Rentabilität bzw. die anhand des

Marktanteils gemessene Marktmacht. Weiters fehlt die Beurteilung des Fit zwischen der

identifizierten Geschäftschance auf dem Markt und den zur Realisierung dieser

Geschäftsidee zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kompetenzen, denn um mit der

gewählten Geschäftsdefinition im Wettbewerb langfristig erfolgreich zu bestehen, muss

sich das Unternehmen möglichst optimal an die Erfordernisse der gewählten

Marktposition oder Nische anpassen, d. h. für eine hohe Übereinstimmung662 (Fit)

zwischen den Bedingungen und Erfordernissen des externen Marktumfelds und den

internen Prozessen der Erstellung, Vermarktung und Verteilung der angebotenen

Leistungen zur Befriedigung der Kundenbedürfnisse sorgen. Daher hat dieser

Anpassungsprozess (Fitting Process) einen entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung

der Struktur und Organisation der internen Aktivitäten und wertschöpfenden Prozesse des

operativen Tagesgeschäfts.663

“Heterogeneous customer needs (or products) can lead to differences in

manufacturing, marketing, R&D, service, and distribution requirements.”664

In Übereinstimmung mit Abells (1980) Auffassung verstehe ich die Geschäftsdefinition

nicht nur als Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen im strategischen

Innovationsprozess, sondern auch als ein wesentliches Instrument zur konsistenten

Überleitung der Geschäfts- und Wettbewerbsstrategie in ein passendes Geschäftsmodell,

661 vgl. Abell, D. F. (1980), S. 21. 662 vgl. Aldrich, H. (1979) 663 vgl. Frazier, G. L. und Howell, D. R. (1983), S. 60. 664 vgl. Abell, D. F. (1980), S. 19.

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252 Phasen des Innovationsprozesses

damit strategische Entscheidungen in Form operativer Geschäftsprozesse und -strukturen

im Tagesgeschäfts wirksam werden können.

Gleichzeitig muss die Geschäftsdefinition spezifisch sein, um als detaillierte Grundlage

für die Strategie zu dienen. Strategie verstehe ich dabei wie Mintzberger als Plan (plan),

auf welchen Märkten das Unternehmen mit welchen Produkten tätig sein will, wie es sich

auf diesen Märkten positioniert (position), wie es sein Umfeld wahrnimmt (perspective)

und die Wettbewerber ausmanövriert (ploy), als das Muster (pattern) oder Gebilde

durchwegs komplexer Entscheidungen – unabhängig davon, ob diese Entscheidungen ein

bewusstes und intendiertes strategisches Handeln beschreiben oder sich die realisierte

Strategie unbewusst und emergent daraus ergibt, solange sie für die Organisation von

besonderer Bedeutung sind.665

Strategie ist damit primär ein retrospektives Konstrukt666, um die realisierten Strukturen

zu beschreiben und die Genese der Strategie durch die Interaktionsmuster im Handeln der

Akteure zu erklären: ‟a pattern in a stream of decisions”.667 Im Detail gibt die

Geschäftsstrategie darüber Auskunft, wie sich ein Unternehmen auf dem Markt

positioniert, auf welchen Märkten und in welchen Geschäftsfeldern es tätig sein will und

welche Produkte und Dienstleistungen welchen Kunden angeboten werden sollen.

Obgleich der Strategiebegriff verschiedene Bedeutungen hat, kann jedoch mit Sicherheit

ausgeschlossen werden, dass es sich bei einer Strategie schon um ein Geschäftsmodell

handelt. Vielmehr handelt es sich bei einer Geschäftsstrategie (Business Strategy) und

einem Geschäftsmodell um zwei eigenständige, voneinander abzugrenzende Begriffe, die

gleichzeitig in einer starken Wechselbeziehung zueinander stehen, denn die

Geschäftsstrategie und die strategische Intention eines Unternehmens müssen sich im

eigenen Geschäftsmodell widerspiegeln.

Einen wesentlichen Entscheidungsinhalt der Strategie stellt der Geschäftsumfang, genauer

gesagt die Produkt-Markt-Kombination dar, wobei sich diese Überlegungen auf

unterschiedlichen Betrachtungsebenen668 wie auf ein einzelnes Geschäftsfeld oder auch

das Gesamtunternehmen beziehen können.669 Das Geschäftsmodell wiederum beschreibt

die konkrete Ausgestaltung der Aktivitäten und Koordinationsmechanismen zur

Erbringung der Leistung bzw. Bedienung der Zielmärkte.

665 vgl. Mintzberg, H. (1978), S. 945. 666 vgl. Schreyögg, G. (1984), S. 148. 667 vgl. Mintzberg, H. (1978), S. 935. 668 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 33ff. 669 vgl. Bourgeois, L. J. (1980), S. 30.

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Phasen des Innovationsprozesses 253

Business Model Business Strategy

Definition

A structural template of how a

focal firm transacts with

customers, partners, and

vendors. It captures the pattern

of the firm’s boundary spanning

connections with factor and

product markets.

Pattern of managerial actions that

explains how a firm achieves and

maintains competitive advantage

through positioning in product

markets

Main questions

addressed

� How to connect with factor

and product markets

� Which parties to bring

together to exploit a business

opportunity, and how to link

them to the focal firm to

enable transactions (i.e.,

what exchange mechanisms

to adopt?)

� What information or goods

to exchange among the

parties, and what resources

and capabilities to deploy to

enable the exchanges?

� How to control the

transactions between the

parties, and what incentives

to adopt for the parties?

� What positioning to adopt

against rivals

� What kind of generic strategy to

adopt (i.e., cost leadership

and/or differentiation)?

� When to enter the market?

� What products to sell?

� What customers to serve?

� Which geographic markets to

address?

Unit of Analysis � Focal firm and its exchange

partners

� Firm

Focus � Externally oriented: focus on

firm’s exchanges with others

� Internally/externally oriented:

focus on firm’s activities and

actions in light of competition

Tabelle 13: Abgrenzung von Geschäftsmodell und Produkt-Markt-Strategie670

670 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2004)

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254 Phasen des Innovationsprozesses

Stehen die Geschäftsstrategie und das Geschäftsmodell, d. h. die Produkt-Markt-

Kombination und Positionierung einerseits und die Ausgestaltung der operativen Prozesse

und Aktivitäten andererseits, nicht miteinander im Einklang, so hat dies negative

Auswirkungen auf den unternehmerischen Erfolg. Folglich sind die Geschäftsstrategie

und das Geschäftsmodell als die zwei Seiten derselben Medaille zu verstehen671, denn es

muss hinzugefügt werden, dass letztendlich weder die marktseitige Positionierung noch

die Ausgestaltung der Wertschöpfungsorganisation für sich allein genommen

erfolgsentscheidend ist, sondern die Fähigkeit des Unternehmens, seine Positionierung

und Wertschöpfung in Wert und Nutzen für den Kunden und die relevanten

Anspruchsgruppen umzusetzen. Die erfolgreiche Realisierung einer Strategie hängt damit

in einem hohen Maß von der Fähigkeit ab, die Positionierungs- und

Wertschöpfungsstrategie so umzusetzen, dass das Unternehmen damit Geld verdient und

für alle Stakeholder Nutzen stiftet.

Im Rahmen der empirischen Untersuchung zeigte sich, dass eine gute Verzahnung von

Geschäftsstrategie und Geschäftsmodell den Unternehmenserfolg nachhaltig positiv

beeinflussen kann. Durch die konsequente Umsetzung der strategischen Zielsetzungen in

Form eines passenden Geschäftsmodells können strategische Chancen genutzt und

Wettbewerbsvorteile begründet werden. Dieses Ergebnis bestätigt frühere Studien, welche

die Wechselwirkungen zwischen Geschäftsstrategie und Geschäftsmodell bereits genauer

untersucht haben.672

Wie in Kapitel 7.3.2 beschrieben wurde, stellt das Geschäftsmodell in Abhängigkeit von

der jeweiligen Funktion die strukturgleiche, jedoch vereinfachte Abbildung, Beschreibung

und Erklärung der wesentlichen Aspekte geschäftlicher Tätigkeit dar. Genauso kann es als

Hilfsinstrument dienen, um komplexe Sachverhalte zu durchleuchten und so konkrete

Entscheidungen und wirksames Handeln zu unterstützen.

Osterwalder und Pigneur verstehen “a business model as the conceptual and architectural

implementation of a business strategy and as the formation for the implementation of

business processes”.673 Es handelt sich dabei um die Realisierung einer Strategie, die in

Form des operativen Geschäftsmodells wirksam wird.

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass zwar die richtige Strategie entwickelt

wird, sie aber aufgrund einer mangelhaften Umsetzung im Tagesgeschäft nicht operativ

671 vgl. Tabelle 13. 672 vgl. Amit, R. und Zott, C. (2004), Amit, R. und Zott, C. (2008) 673 vgl. Osterwalder, A. und Pigneur, Y. (2002)

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Phasen des Innovationsprozesses 255

wirksam werden kann. Das Geschäftsmodell kann als das Bindeglied zwischen der

Strategie und dem Tagesgeschäft, d. h. den operativ wirksamen Prozessen und Strukturen

eines Unternehmens, verstanden werden.674 Für Petrovic et al. ist das Geschäftsmodell

jedoch nicht nur die Beschreibung eines komplexen sozialen Systems mit all seinen

Akteuren, Beziehungen und Prozessen, sondern erklärt auch die dahinter liegende Logik,

warum Geschäftsprozesse so gestaltet sind und welche Überlegungen dazu geführt haben.

‟The business model gives sense to the various business processes by

describing why certain processes are designed the way they are.”675

Geschäftsprozesse und -Strukturen

Geschäftsmodell

Strategie

NormativeEbene

KonzeptionelleEbene

OperativeEbene

Abbildung 57: Gestaltungsebenen des Geschäfts676

Als wertvolles Hilfsinstrument der Strategiearbeit leistet das Geschäftsmodell nicht nur

die Funktion, mögliche strategische Handlungsoptionen und deren Inhalte wie zum

Beispiel in Bezug auf die Länge und Tiefe der eigenen Wertschöpfungskette zu

beschreiben und die Abhängigkeiten zwischen den vielfältigen Optionen zu analysieren,

sondern hilft auch dabei, konkurrierende Gestaltungsoptionen zu evaluieren,

Entscheidungen vorzubereiten, auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen und die getroffenen

Annahmen zu fundieren, um letztlich die beste Handlungsalternative auszuwählen. Das

Geschäftsmodell ist eine Konkretisierung der Strategie. Es hilft dabei, die operative

Umsetzung der Strategie transparent zu beschreiben und leichter transportierbar bzw.

kommunizierbar zu machen.

674 vgl. Ackermann, W. und Lang, D. (2004) 675 vgl. Petrovic, O., et al. (2001) 676 Eigene Darstellung in Anlehung an Ibid., S. 2. und Osterwalder, A. und Pigneur, Y. (2002), S. 2.

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256 Phasen des Innovationsprozesses

“While a business model does facilitate analysis, testing, and validation of a

firm’s strategic choices, it is not itself a strategy.”677

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Prozess der Formulierung einer

Geschäftsidee bzw. -strategie daher einerseits die Wahrnehmung der Umwelt, das

Sammeln von Marktdaten sowie die Analyse und Interpretation der Daten beinhaltet.

Schlussendlich geht es um das Muster, das sich hinter der getroffenen Entscheidung

verbirgt: auf welchen Märkten das Unternehmen tätig sein will, welche Produkte es

welchen Kunden anbietet, wie es sich auf diesen Märkten positioniert, wie es

Mitbewerber ausmanövriert. Das Geschäftsmodell wiederum ist die Beschreibung der

operativen Ausgestaltung und Umsetzung der Geschäftsidee bzw. -strategie. Es dient

dazu, die Handlungs- und Gestaltungsoptionen zu evaluieren, die sich in Abhängigkeit

von bzw. aus der zuvor formulierten oder parallel dazu getroffenen Strategiewahl

ergeben.

18.3 Konfiguration des Aktivitätensystems

Heute reicht es nicht mehr aus, eine Geschäftsidee oder -strategie zu haben, die

beschreibt, auf welchen Märkten das Unternehmen mit welchen Produkten tätig sein

möchte und wie es sich dort gegenüber den Mitbewerbern und Kunden positioniert.

Genauso wichtig ist es, vorhandene Ressourcen und Fähigkeiten auf solch eine Art und

Weise zu kombinieren, dass daraus eine effiziente Wertschöpfungsorganisation entsteht,

und Produkte und Dienstleistungen anzubieten, wie sie vom Kunden benötigt und erwartet

werden bzw. für ihn von größtmöglichem Nutzen sind. Kurzum: Es reicht nicht aus, eine

Strategie zu haben, sondern es ist genauso wichtig, diese in Form eines passenden

Geschäftsmodells zu realisieren und wirksam werden zu lassen.

Das Geschäftsmodell beschreibt die wesentlichen Aspekte des operativen Geschäfts eines

Unternehmens. Es gibt an, welche Art von Geschäft betrieben wird, welche Markt- und

Kundensegmente angesprochen werden sollen und worin die Leistung und der Nutzen für

die Kunden bestehen. Es beschreibt, welche Aktivitäten und Transaktionsbeziehungen

notwendig sind, um die gewünschte Leistung zu erstellen bzw. zu erbringen. Für das

Unternehmen ist es jedoch nicht zwingend notwendig, alle Aktivitäten intern selbst zu

erbringen, sondern es sollte sich auf die Aktivitäten fokussieren, die den größten

Wertbeitrag bringen, bzw. auf solche, in denen es dem Unternehmen möglich ist, durch

Alleinstellungsmerkmale nachhaltig wirksame Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen

Marktteilnehmern, d. h. Partnern und Mitbewerbern, aufzubauen. Welche Teile der

677 vgl. Shafer, S. M., et al. (2005), S. 203.

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Phasen des Innovationsprozesses 257

Wertschöpfung dabei selbst erbracht und welche Teile an Wertschöpfungspartner wie

zum Beispiel Lieferanten, Kooperationspartner oder sogar Kunden übertragen werden, ist

Teil des Entscheidungsprozesses, der zum neuen Geschäftsmodell führt. Genauso muss

beschrieben werden, worin im Geschäft die Ertragsquellen liegen, wie das Unternehmen

im Tagesgeschäft Gewinn erzielt und wie der Mechanismus der Gewinnerzielung genau

funktioniert.

Eine neue Geschäftsidee oder -strategie ist daher immer auch mit der Realisierung eines

passenden Geschäftsmodells verbunden. Auf den Punkt gebracht ist eine neue

Geschäftsidee nichts anderes als eine grobe, unspezifizierte Definition eines Geschäfts,

die es weiter zu konkretisieren, zu plausibilisieren und in Form eines Geschäftsmodells zu

realisieren gilt.

Neben der Beschreibung der Inhalte dient das Geschäftsmodell in diesem Prozess nicht

nur als Gestaltungsrahmen zur vereinfachten Abbildung und Konkretisierung einer

Geschäftsidee oder Geschäftsstrategie, sondern gibt auch Orientierung, da es eine klare

Zweckorientierung aufweist. Bei richtiger Anwendung kann es nicht passieren, dass im

Verlauf der Strategiediskussion der Inhalte der Zweck unternehmerischer Tätigkeit, d. h.

die gesellschaftliche Nutzenstiftung, die Gewinnerzielung und die nachhaltige

Absicherung der Wettbewerbsposition, aus den Augen verloren wird.

Neben der Frage, wie unter der Nutzung von Geschäftschancen und der Verfolgung einer

bestimmten Geschäftsstrategie auf dem Markt für alle Anspruchsgruppen Wert geschaffen

wird, muss das Geschäftsmodell auch erklären, wie diese Zielsetzung erreicht werden soll.

Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie die wertschöpfenden Aktivitäten des

Unternehmens ausgestaltet und Wettbewerbsvorteile geschaffen werden.

Um in der Praxis strategische Themen wie Kundenorientierung oder Kostenführerschaft

in die Tat umzusetzen, bedarf es eines ausgeklügelten Systems an Aktivitäten. Es ist das

Zusammenspiel der verschiedenen Aktivitäten, die eine Strategie zum Leben erweckt,

denn die Realisierung einer Strategie bedingt die Durchführung von Aktivitäten und das

Zusammenwirken der einzelnen Teilelemente, d. h. die Kombination der Aktivitäten.678

Sich von anderen Marktteilnehmern zu differenzieren, heißt, andere Aktivitäten zu setzen

oder einzelne Aktivitäten anders durchzuführen oder anders zu kombinieren.679

Die Neukonfiguration von Ressourcen und Fähigkeiten bzw. die Neuorganisation des

678 vgl. Porter, M. E. (1996a), Porter, M. E. (1996b), Porter, M. E. und Siggelkow, N. (2008) 679 vgl. Porter, M. E. (1996b), Porter, M. E. und Siggelkow, N. (2008)

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258 Phasen des Innovationsprozesses

Aktivitätensystems hat aber auch soziale Implikationen. Wandlungsfähigkeit setzt

Veränderungsbereitschaft voraus. Menschen müssen erlernte Routinen und

Verhaltensweisen ändern und sich gegebenenfalls neues Wissen aneignen bzw. neue

Routinen lernen. Es geht nicht allein um das Management von Ressourcen, sondern auch

um das Management der Kultur und der mentalen Modelle der Menschen, zum Beispiel

indem Mitarbeiter von der Notwendigkeit der Veränderung überzeugt werden. Eine

besondere Rolle kommt der Kommunikation und dem Führungsverhalten der Manager zu,

denn nur so können Widerstände überwunden und die Neuausrichtung kann

bewerkstelligt werden.680

Das Geschäftsmodell bietet sich als Gestaltungsrahmen an, um die externe Positionierung

in ein kohärentes System operativ wirksamer Strukturen und Prozesse überzuführen. Die

Ressourcen und Fähigkeiten sind dabei die kleinsten Bausteine, auf denen das

Wertschöpfungssystem ruht. Durch die intelligente Kombination der Ressourcen und

Fähigkeiten werden Aktivitäten ermöglicht, die durch ein entsprechendes Angebot

größtmöglichen Kundennutzen, eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt,

langfristiges Wachstum und nachhaltige Rentabilität sicherstellen sollen.

Daran schließt die Frage an, welche Aktivitäten durch das Unternehmen selbst erbracht

werden und welche an externe Wertschöpfungspartner übertragen werden. Das

Geschäftsmodell beschreibt das gesamte interorganisationale Aktivitätensystem und wie

das Unternehmen die Transaktionsbeziehungen zu seinen Partnern gestaltet. Dabei geht es

um Fragen der Koordination und Verknüpfung der einzelnen Aktivitäten und

Wertschöpfungsschritte. Porters Modell zur Analyse der Wertkette kann dabei gute

Dienste leisten, indem es dem Unternehmen festzulegen hilft, welche Aktivitäten es selbst

durchführen wird und welche ausgegliedert werden.

680 vgl. Kapitel 19.5

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Phasen des Innovationsprozesses 259

Finanz- und Rechnungswesen

Informationstechnologie

Personalmanagement

Vertrags- undSchadenservice

Produkt-Entwicklung

Vertriebs-steuerung

VertriebKey-AccountManagement

VertriebsdienstUnternehmen

RW

Informationstechnologie

Personal

RW

Personal

Vertragshändler

Abbildung 58: Wertkette der Kooperation mit der Automobilwirtschaft

Wie den Fallstudien zu entnehmen ist, hat keines der Unternehmen alle Aktivitäten selbst

erbracht, sondern auf ein Netzwerk von Wertschöpfungspartnern gesetzt.

Der „Gebrauchtwagen-Marktplatz“ hat einen Großteil der Informationstechnologie an das

Partnerunternehmen ausgelagert. Die Direktversicherung hat die gesamte Vertrags- und

Schadenbearbeitung wie auch die Informationstechnologie und Teile des

Rechnungswesens an eine andere Konzerngesellschaft ausgelagert. Für die

Onlinewerbung und die Kundenansprache hat sich das Unternehmen auf

Vergleichsportale und Onlinewerbenetze verlassen. Wesentliche Kernaktivitäten der

Direktversicherung waren die Produktentwicklung und das Marketing sowie die Wartung

des Internetauftritts. Zur Durchführung der Kooperation mit der Automobilwirtschaft

wurden nur die Vertrags- und Schadenbearbeitung, die Produktentwicklung und das

Keyaccountmanagement selbst durchgeführt. Die Aktivitäten Vertriebssteuerung und

Vertrieb wurden durch die Partnerunternehmen, d. h. die Versicherungsdienste und die

Vertagshändler der Automobilhersteller, durchgeführt.681

Besondere Bedeutung kommt der Informationstechnologie zu, die dafür sorgen muss, die

einzelnen Aktivitäten zu verbinden, damit der arbeitsteilige Prozess der Wertschöpfung

effizient und reibungslos funktionieren kann.

18.4 Innovation als fortlaufender Managementprozess

Die Geschäftsmodellinnovation im Sinne der Realisierung neuer Geschäftsideen in Form 681 vgl. Abbildung 58

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260 Phasen des Innovationsprozesses

innovativer Geschäftsmodelle verlangt nach einem neuartigen Managementprozess, der

seiner Natur und seinem Inhalt nach durch ein hohes Maß an Flexibilität und Dynamik

gekennzeichnet ist.682

“The business model has to be managed and developed over time. This is how

the process perspective is included.”683

Dieser Prozess beinhaltet neben rationalen Entscheidungsmechanismen und der

Gestaltung der inhaltlichen Dimensionen eines Geschäftsmodells im Zeitablauf auch die

Einbeziehung sogenannter „weicher Faktoren“, wie beispielsweise die Überwindung

kultureller Vorbehalte und politischer Hemmnisse.

‟These [management] processes include the bridging of cognitive, cultural and

political obstacles, and are issues managers deal with on a regular basis, for all

components of the [business] model, and claims that we need all three

[perspectives: content, context and process] in order to understand the factors

of success and failure.”684

Von den Managern werden neben unternehmerischem Denken und Handeln auch

Kreativität und Offenheit verlangt, um die bisherige dominante Geschäfts- und

Branchenlogik zu überwinden685 und die Chancen, die sich aus der Unsicherheit und

Dynamik des Wettbewerbsumfelds ergeben, zu nutzen.686

“The central tasks of managers are in the discovery or creation of new business

opportunities, accumulation of distinct resources, and the successful

exploitation of the two.”687

Das Management liefert dann einen wertvollen Beitrag zum Unternehmenserfolg, wenn es

die Umwelt im Blick behält, sich ergebende Chancen nutzt und Gefahren abwendet.688

Wooldridge und Floyd (1990) sehen die Rolle des mittleren Managements darin, die

organisationale Fähigkeit des Unternehmens dazu einzusetzen, Geschäftschancen zu

682 vgl. Bresser, R. K., et al. (2000) 683 vgl. Hedman, J. und Kalling, T. (2003), S. 54. 684 vgl. Ibid. 685 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1986), Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1995) 686 vgl. McGrath, R. G. und MacMillan, I. (2000), S. 1, Shane, S. und Venkataraman, S. (2000), Stopford, J.

(2001) 687 vgl. Chakravarthy, B., et al. (2003b), S. 233. 688 vgl. Barney, J. B. (1991), Mahoney, J. T. (1995)

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Phasen des Innovationsprozesses 261

identifizieren, entsprechende strategische Initiativen zur Realisierung dieser

Geschäftsmöglichkeiten zu ergreifen und dafür zu sorgen, dass die organisationalen

Fähigkeiten dahin gehend weiterentwickelt werden, dass sich bietende Chancen auch

genutzt werden können.

Die Geschäftsmodellinnovation ist somit eine Antwort auf die seit einigen Jahren in der

wissenschaftlichen Literatur erhobene Forderung, wonach die Gestaltung der

strategischen Prozesse in Unternehmen einem unternehmerischen Ansatz folgen sollte689,

wodurch strategisches Management und Entrepreneurship zu einer Strategic

Entrepreneurship690 oder Corporate Entrepreneurship691 integriert werden würden.692

Ein verbindendes Element dieser Forschungsströmungen ist die Innovation. Im

Entrepreneurshipfeld, das in der Tradition von Schumpeter steht, zeichnet sich agiles

Unternehmertum vor allem durch das Vorantreiben von Innovationen aus.693 Innovation

wird als der entscheidende Faktor und Motor des unentwegten Strebens nach Wert- bzw.

Profitgenerierung angesehen.

Genauso wie die Geschäftsmodellinnovation steht dieses Entrepreneurial Strategizing für

den Prozess des kreativen Entdeckens und konsequenten Ausnutzens von bislang nicht

genutzten Geschäftsideen. Es steht auch für das Aneignen, Entwickeln und das

Neukonfigurieren der zur Erbringung der Wertschöpfung erforderlichen Ressourcen und

Fähigkeiten, d. h. durch die einzigartige Konfiguration der wertschöpfenden Aktivitäten

innovative Geschäftsmodelle zu entwerfen, die im Wettbewerb mit anderen Unternehmen

möglichst nachhaltige Vorteile bieten.

Hinter dem Modus des Entrepreneurial Strategizing steht ein spezifisches

unternehmerisches Denken, das die Chance bietet, in konstruktiver Weise Veränderungen

im Kontext des Unternehmens zu nutzen. Nach Schumpeter kann diese kreative

Zerstörung der bestehenden Regeln des Geschäfts einer neuen unternehmerischen Idee

zum Durchbruch verhelfen.694

689 vgl. McGrath, R. G. und MacMillan, I. (2000) 690 vgl. Hitt, M. A., et al. (2001) 691 vgl. Burgelman, R. A. (1983) 692 vgl. Prahalad, C. K. und Hamel, G. (1994) 693 vgl. Schumpeter, J. A. (1912) 694 vgl. Ibid.

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262 Phasen des Innovationsprozesses

Mit dem Entrepreneurial Strategizing ist auch eine spezifische Art der Prozessgestaltung

in einem sehr instabilen und unsicheren Umfeld verbunden.695 Nach bisherigem Stand der

Forschung folgen inkrementelle Innovationen wie zum Beispiel Produktinnovationen

einem klar definierten Projektplan, der eine lineare Abfolge von Design- und

Entscheidungsphasen darstellt.696 Im Gegensatz dazu sind Projekte, die einer neuen

Geschäftsidee zum Durchbruch verhelfen sollen, von einem hohen Maß an Unsicherheit

und kleinen Anpassungsschritten geprägt. Der Innovationsprozess ist nur grob

strukturiert, nicht linear, sondern iterativ, teilweise inkrementell, teilweise stochastisch

und durch die Initiative der mitwirkenden Personen geleitet.

Spiegelbildlich zur Dynamik des Umfelds müssen die Gestaltung, Implementierung und

Veränderung der Geschäftsstrategie und Organisation als kontinuierlicher Prozess

verstanden werden, der die Wandlungsfähigkeit sicherstellt und Innovationen vorantreibt.

“In these circumstances, stable end-states are illusory and the re-thinking of

strategy and form of organisation becomes more or less continuous.”697

Whittington, Pettigrew et al. veranlasst dies vor dem Hintergrund dieses neuen

Managementprozesses, die Nomen Organisation und Strategie über Bord zu werfen und

stattdessen in der aktiveren Sprache der Gerundien von Strategieren („Strategizing“) und

Organisieren („Organizing“) zu sprechen.698 Damit rücken neben den konkreten Inhalten

neu formulierter Geschäftsstrategien und Geschäftsmodelle auch der gesamte

Entstehungs- und Veränderungsprozess mit ins Blickfeld. Dazu gehören alle Aktivitäten,

Entscheidungen und Akteure, die auf den verschiedenen Ebenen der Organisation, in den

Prozess der Formulierung und Realisierung von Geschäftsstrategien und

Geschäftsmodellen eingebunden sind.

Schon Penrose (1959) betonte in diesem Zusammenhang die Rolle des mittleren

Managements, denn es ist die ‟[…] experience of management [that] will effect the

productive services that all resources are capable of rendering […]”.699 Obwohl im RbV

nicht explizit ausgesprochen sind es die Manager, denen die Auswahl und die

Kombination der Ressourcen und Fähigkeiten obliegen und die folglich für die

695 vgl. Leifer, R. und Rice, M. (1999) 696 vgl. dazu das Stage-Gate-Modell nach Cooper, R. G. (1990) wie auch Cooper, R. G. und Kleinschmidt,

E. J. (1996) 697 vgl. Pettigrew, A. M. und Fenton, E. M. (2000), S. 16, Pettigrew, A., et al. (2002) 698 vgl. Whittington, R., et al. (1999) 699 vgl. Penrose, E. (1959), S. 5.

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Phasen des Innovationsprozesses 263

Wertgenierung im Unternehmen verantwortlich zeichnen.700 In der Form eines

prozessualen Strategieverständnisses hat diese Perspektive in den letzten 20 Jahren auch

Einzug in die wissenschaftliche Diskussion gehalten, wie die stetig wachsende Literatur

im Forschungszweig der Strategieprozessforschung701 dokumentiert. Im Gegensatz zur

traditionellen Sicht wird Strategiearbeit dabei nicht nur als formaler, intendierter Prozess

der Formulierung und Implementierung einer Strategie durch die Geschäftsleitung

begriffen, sondern als Prozess kollektiver Anstrengung vieler Akteure auf

unterschiedlichen Ebenen der Hierarchie.

“The shaping, implementing, and changing of strategies requires the

paradoxical blend of top-down and bottom-up efforts, planned and emergent

actions, autonomy and collectivism in both decision-making and action

taking.”702

Um sich an die rasch verändernden Gegebenheiten im Unternehmensumfeld anzupassen,

bedarf es schneller und radikaler Richtungsänderungen. Fundamentale Veränderungen des

Geschäftsmodells bedingen nicht nur Anpassungen im Angebot, d. h. von Produkten und

Dienstleistungen, sondern auch neue Wege im Ertragsmodell, den

Organisationsstrukturen und den Geschäftsprozessen, der Kultur und der mentalen

Modelle im Kopf der im Unternehmen tätigen Menschen.703

„Eine der Lehren aus dem Strategieprojekt ist gewesen: Man muss so etwas

regelmäßig machen. Jetzt schauen wir uns regelmäßig an, welche Trends den

Automarkt, die Autoindustrie und die Kfz-Versicherung prägen, und entwickeln

daraus Produktideen. Das wollen wir jetzt kontinuierlich weiterpflegen, damit

wir wissen, was auf uns zukommt. Wir machen dazu in der Abteilung

Workshops, wo wir versuchen, die einzelnen Trends, die in der

Automobilwirtschaft, im Markt und bei Kunden entstehen, zu identifizieren und

die Auswirkungen für unsere beiden Geschäftsmodelle zu bewerten. Da muss

man sich die Bewegungen fünf Jahre zurück und fünf Jahre voraus ansehen, um

die Bewegungen zu sehen. Im Alltag hat man dazu gar keine Zeit.“704

700 vgl. Wooldridge, B. und Floyd, S. W. (1990), Makadok, R. (2001) 701 vgl. Doz, Y. L. und Prahalad, C. K. (1987), Chakravarthy, B. S. und Doz, Y. L. (1992), Mintzberg, H.

und Lampel, J. (1999), Chakravarthy, B. und White, R. E. (2001), Chakravarthy, B., et al. (2003b) 702 vgl. Chakravarthy, B., et al. (2003a) 703 vgl. Forge, S. (1993) 704 vgl. Interviewpartner FB2

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264 Phasen des Innovationsprozesses

Je nach der Umweltdynamik können sich diese Anpassungen einerseits kontinuierlich-

evolutionär, aber andererseits zeitweise auch sprunghaft und diskontinuierlich vollziehen,

denn wie die Untersuchung der Fallstudien gezeigt hat, weisen die verschiedenen Phasen

im Lebenszyklus eines Geschäftsmodells unterschiedliche Modi auf. Phasen sprunghafter

und diskontinuierlicher Veränderung wechseln sich mit Phasen inkrementeller,

evolutionärer Anpassungsschritte ab. In Übereinstimmung mit früheren Arbeiten ist mit

zunehmender Reife des Geschäftsmodells eine Verringerung der

Geschäftsmodellinnovationen zu registrieren.705

Jedoch lassen die Ergebnisse den Schluss zu, dass ein Zustand der Stabilität vermieden

werden sollte und die Anpassungsgeschwindigkeit zumindest die Veränderungsrate des

Unternehmensumfelds widerspiegeln sollte, da sonst die Gefahr der Versteinerung und

der Lähmung unternehmerischer Initiative droht. Außerdem muss davor gewarnt werden,

den Prozess der Geschäftsmodellinnovation mit zunehmender Reife des Geschäftsmodells

versanden zu lassen, da gerade gegen Ende des Lebenszyklus eines Geschäftsmodells

Gefahr durch neue Anbieter oder alternative Geschäftsdesigns droht.

Um diese Aussage zusätzlich zu unterstreichen, sei darauf hingewiesen, dass sich der

Lebenszyklus von Geschäftsmodellen zunehmend verkürzt. Geschäftsmodelle veralten im

heutigen dynamischen Umfeld viel schneller als in der Vergangenheit, als ein

Geschäftsmodell durchaus mehrere Jahrzehnte Bestand haben konnte.706 Aktuelle Studien

deuten darauf hin, dass ein Geschäftsmodell bereits nach zwei bis drei Jahren seine

Reifephase erreicht hat und sich der durchschnittliche Lebenszyklus auf fünf bis sieben

Jahre verkürzt hat.707 Daher sollte das Management fortlaufend, spätestens jedoch alle

drei Jahre überlegen, ob das aktuelle Geschäftsmodell zu modifizieren ist, denn die Arbeit

am Geschäftsmodell bzw. der Prozess der Geschäftsmodellinnovation ist nie

abgeschlossen. Nur durch ständige Innovation kann sich ein Unternehmen gegenüber

Mitbewerbern abheben und so überdurchschnittliches Wachstum und

überdurchschnittliche Ertragskraft sicherstellen.

18.5 �utzen- und Effizienzmaximierung

Nachhaltige Wettbewerbsvorteile können auf einer starken Wettbewerbsposition, einem

überlegenen Angebot für den Kunden oder der effizienteren Konfiguration und

Koordination der dazu nötigen Ressourcen und Fähigkeiten beruhen. Folglich bietet sich

das Geschäftsmodell als Ordnungs- und Gestaltungsrahmen zur ganzheitlichen 705 vgl. Meinhardt, Y. (2002), S. 354. 706 vgl. Slywotzky, A. J. (1997) 707 vgl. Mercer (2004)

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Phasen des Innovationsprozesses 265

Optimierung dieser unterschiedlichen Werttreiber an, um so die konkurrierenden, jedoch

für den wirtschaftlichen Erfolg eines jeden Unternehmens entscheidenden Determinanten,

nämlich die wirtschaftliche Effizienz und die Nutzenstiftung für alle wichtigen

Stakeholder, in Einklang zu bringen und auf diese Weise nachhaltig profitables Wachstum

zu realisieren. Die empirischen Ergebnisse lassen hier den Schluss zu, dass es hinsichtlich

des Inhalts und der Gestaltung von Geschäftsmodellen zwei vordergründige

Optimierungskriterien gibt: Nutzen und Effizienz.708

Effizienz

NutzenDefinition des

Geschäfts(Produkt/Markt)

Konfiguration desAktivitätensystems

Ertragslogik

Erlöse

Kosten

nachhaltigprofitablesWachstum

Effizienz

NutzenDefinition des

Geschäfts(Produkt/Markt)

Konfiguration desAktivitätensystems

Ertragslogik

Erlöse

Kosten

nachhaltigprofitablesWachstum

Abbildung 59: Das Geschäftsmodell als Optimierungsrahmen709

Während Amit und Zott (2001) mit Novelty, Lock-in, Complementarity und Efficiency

vier Werttreiber für den Erfolg eines Geschäftsmodells ausgemacht haben, bin ich der

Meinung, dass Effektivität, Effizienz und Kohärenz des Geschäftsmodells für den

wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg, ausgedrückt durch Nutzen, Rentabilität

und Wachstum des Geschäftsmodells, ausschlaggebend sind. Letztendlich entscheidet

sich der Erfolg und Misserfolg des Geschäftsmodells eines Unternehmens in diesen drei

Kriterien.

1. Die Effektivität entscheidet darüber, wie viel Nutzen bzw. Mehrwert für die

relevanten Anspruchsgruppen, in erster Linie natürlich die Kunden des

Unternehmens, aber auch Partner, Lieferanten und Eigentümer, geschaffenen

wird. Nutzen ergibt sich dabei durch eine möglichst gute Übereinstimmung

zwischen den externen Gegebenheiten des Markts, den Erwartungen sowie

Bedürfnissen der Kunden und den angebotenen Produkten und Leistungen. Die

Neuartigkeit, Einzigartigkeit und Effektivität der angebotenen Leistungen

708 vgl. Abbildung 59 709 Eigene Darstellung

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266 Phasen des Innovationsprozesses

können die Effektivität und damit den generierten Nutzen des gesamten

Geschäftsmodells erhöhen.

2. Das Kriterium der Effizienz bezieht sich für mich vor allem auf die

Ausgestaltung der wertschöpfenden Strukturen und Prozesse. Je effizienter die

externen Erwartungen befriedigt werden können, desto weniger Nutzen bzw.

Mehrwert geht verloren. Entscheidend sind hierfür die Art und Weise, wie die

Wertschöpfungsorganisation konfiguriert und koordiniert wird, welche

Aktivitäten selbst oder gemeinsam mit Partnern erbracht werden. Es genügt also

nicht allein, das richtige Angebot bereitzuhalten, sondern genauso wichtig ist,

wie die Leistung erbracht wird, ob der Prozess der Wertschöpfung

wirtschaftlich ist und Gewinnerzielung erlaubt.

3. Für den Mechanismus der Gewinnerzielung ist die Kohärenz zwischen dem

nach dem Kriterium der Effizienz ausgestalteten Wertschöpfungssystem und

dem nach dem Kriterium der Nutzenmaximierung ausgestalteten

Leistungsangebot entscheidend. Die Kohärenz zwischen den Elementen

determiniert, wie viel Nutzen bzw. Wert sich das Unternehmen nach Abzug

aller Aufwendungen als ökonomischen Gewinn aneignen kann. Für Kohärenz

zu sorgen, heißt, einen guten und logischen Zusammenhalt zwischen den

einzelnen Elementen herzustellen bzw. die eigentliche innere Logik des

Geschäfts zu bestimmen, d. h. die richtige Abwägung zwischen

Nutzenmaximierung und Effizienzmaximierung zu treffen und ein nachhaltig

funktionierendes Geschäftsmodell zu konzipieren. Ein weiterer Aspekt ist die

zeitliche und externe Kohärenz, die darüber entscheidet, ob das

Geschäftsmodell längerfristig ertragreich ist.

Um den Erfolg eines Geschäftsmodells zu erklären, reicht es nicht aus, nur einen der

beiden Faktoren Nutzen oder Effizienz zu optimieren bzw. in Einklang zu bringen.

Vielmehr besteht zwischen beiden Konstrukten eine Beziehung und es müssen Nutzen

und Effizienz in möglichst optimaler Weise miteinander verknüpft werden. Es gilt, ein

möglichst optimales Maß an Konsistenz zu erzielen und vor allem auch zu erhalten. Die

Konfiguration aus nutzenstiftenden Elementen bei gleichzeitiger Berücksichtigung eines

Höchstmaßes an Effizienz im Prozess der Leistungserbringung bildet die Essenz, die

letztlich darüber entscheidet, ob die gewählte Geschäftslogik erfolgreich ist oder nicht.

Nach dem Primat ökonomisch sinnvollen Handelns sind zwei Varianten denkbar, wie

unter Verfolgung der Zielkriterien Nutzen und Effizienz eine möglichst optimale interne

Logik des Geschäfts bewerkstelligt werden kann. Entsprechend handelt es sich bei der

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Phasen des Innovationsprozesses 267

Gestaltung eines Geschäftsmodells im Kern um ein Optimierungsproblem, wobei eine

wirtschaftlich sinnvolle Kombination aus dem marktseitig wirkenden Angebot für

bestimmte Markt- und Kundensegmente, der Ausgestaltung und Koordination der eigenen

und fremden Wertschöpfungsaktivitäten und der Erwartungen aller wichtigen

Anspruchsgruppen zu finden ist.

Einerseits kann von den Bedürfnissen und der Nutzenerwartung der Kunden, Partner,

Lieferanten und anderen wichtigen Anspruchsgruppen ausgehend nach der effektivsten

Form des Wertschöpfungssystems gesucht werden, indem definiert wird, welche

Ressourcen und Fähigkeiten im Unternehmen und im bestehenden Netzwerk aus Partnern

und Lieferanten vorhanden sind. Der Zugang zu allen fehlenden Produktionsfaktoren

muss unter Erweiterung des Wertschöpfungsnetzwerks im Rahmen neuer Partnerschaften

oder Lieferantenbeziehungen sichergestellt oder vom Unternehmen selbst geschaffen oder

erlernt werden. Darüber, welcher der beiden Wege zielführender ist und gegangen werden

soll, entscheidet das Zielkriterium der Effizienz. Im Sinne des ökonomischen Prinzips,

vereinfacht ausgedrückt, ist in diesem Fall nach dem Minimumprinzip vorzugehen, das

besagt, dass der angestrebte Nutzen mit möglichst geringen Mitteln, d. h. mit einem

möglichst geringen Einsatz von Ressourcen und Fähigkeiten unter Ausnützung einer

möglichst effizienten Architektur der Wertschöpfung, erzielt werden soll.

Andererseits ist auch die umgekehrte Vorgehensweise denkbar. Ausgehend von

bestehenden Kunden-, Lieferanten- und Partnerbeziehungen und der gegebenen

Ausstattung mit Ressourcen und Fähigkeiten kann nach Wegen gesucht werden, die zu

einer effizienteren Strukturierung führen. Dadurch werden Nutzen- und Wertpotenziale

freigesetzt, die nach Ermessen des Unternehmens unter den verschiedenen

Anspruchsgruppen (Kunden, Partnern, Lieferanten, Mitarbeitern) aufgeteilt oder für die

Eigentümer einbehalten werden. Diese Vorgehensweise lässt sich mit dem

Maximumprinzip beschreiben, welches besagt, dass aus einem bestehenden Input und mit

gegebenen Mitteln ein Maximum an Nutzen und Wert für die am Prozess der

Wertschöpfung beteiligten Akteure710 geschaffen werden soll. Es muss aber hinzugefügt

werden, dass ein vermeintlich besseres Leistungsangebot, das aber womöglich mit

zusätzlichen Kosten verbunden ist, für den Kunden nicht immer von größerem Nutzen

sein muss.711 Die Konzeption des Angebots sollte sich daher in erster Linie an den

Bedürfnissen der Kunden und nicht an Effizienzüberlegungen des Unternehmens

orientieren.

710 Zu denen, im Sinn der durchgehenden Wertschöpfungskette, auch die Kunden gezählt werden. 711 vgl. Christensen, C. M. (1997)

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268 Phasen des Innovationsprozesses

Abbildung 60: Wertkurve von Billigfluglinien712

Um den Prozess der Nutzen- und Effizienzoptimierung dahin gehend zu unterstützen,

bietet sich die von den Professoren Kim und Mauborne am INSEAD in Fontainebleau

beschriebene Methodik der Wertkurve als strategisches Entwicklungswerkzeug an.713

„Diese gibt bildlich wieder, auf welche Art und Weise eine Firma oder die

ganze Branche ihr Angebot an die Käufer gestaltet. Sie zeigt die

Marktergebnisse eines Angebots in Relation zu Alternativangeboten und

bewertet die Differenz nach den jeweiligen Erfolgsfaktoren in der betreffenden

Branche bzw. Produktkategorie.“714

Es kann dabei helfen, ein innovatives, marktfähiges Angebot zu konzipieren, das für den

Kunden gegenüber alternativen Leistungskonzepten ein überlegenes Preis-Leistungs-

Verhältnis aufweist. Der Schlüssel zur Entwicklung einer neuen Wertkurve liegt

prinzipiell in der Beantwortung der nachfolgenden vier Fragestellungen:

1. Reduzieren: Welche Merkmalsausprägungen sollten deutlich unter die

Branchennorm gesenkt werden?

712 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (2002), S. 7. 713 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1997) 714 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 404.

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Phasen des Innovationsprozesses 269

2. Eliminieren: Welche der Merkmale sollten wegfallen, die in der Branche

bislang als unentbehrlich galten?

3. Anheben: Welche Merkmale sollten deutlich über den Branchenstandard

angehoben werden?

4. Kreieren: Welche Merkmale sollten neu entwickelt werden, die bislang in der

Branche noch nicht geboten wurden?

Auf Basis der empirischen Erkenntnisse sind in Bezug auf den tatsächlichen, real

gegebenen Verlauf der Geschäftsmodellierung einige Einschränkungen zu machen.

Wie bereits festgehalten wurde, würden die empirischen Ergebnisse der Annahme

vollkommen rationalen Handelns widersprechen. Vielmehr ist es zutreffend, ein bedingt

rationales (bounded rational715), opportunistisches Agieren zu unterstellen. Darüber

hinaus sind gar nicht alle Informationen, Ressourcen und Fähigkeiten zu jeder Zeit

vollständig vorhanden und mobil, die zum Erreichen eines optimalen Zustands nötig

wären. Das Ergebnis der Maximierung muss daher als in einem gewissen Maß

kontextabhängig betrachtet werden.

Wie anhand der Fallstudien gezeigt werden kann, wird in der Praxis das Geschäftsmodell

als heuristischer Gestaltungs- und Optimierungsrahmen eingesetzt, der dazu gedacht ist,

den Versuch zu unternehmen, sich in Richtung eines optimalen Zustands zu bewegen, der

aber nie dauerhaft erreicht werden kann.

Neben der Abhängigkeit von einem bestimmten räumlichen Kontext finden

Geschäftsmodellinnovationen nicht in einem statischen, sondern in einem dynamischen

Umfeld statt, in dem die Bedingungen und Strukturen des Wettbewerbs wie auch die

Verfügbarkeit und der Zugang zu Ressourcen und Fähigkeiten steten Veränderungen

unterliegen.

Da sich die internen und externen Inputfaktoren der Maximierungs- und

Optimierungsheuristik im Zeitablauf laufend verändern, kann auch das Ergebnis, d. h. das

Geschäftsmodell des Unternehmens, nicht als konstanter Gleichgewichtszustand

betrachtet werden, sondern bedarf einer ständigen Anpassung und Überarbeitung. Sobald

sich nur einer der zugrunde liegenden Faktoren wie zum Beispiel die Erwartungshaltung

der Kunden oder der Preis einer Ressource verändert, muss das gesamte System überprüft

und gegebenenfalls so schnell wie möglich angepasst, d. h. optimiert, werden, wenn die

daraus resultierende Veränderung ein gewisses Maß übersteigt.

715 vgl. zur Annahme bedingt rationaler Akteure vgl. Simons, H. (1959)

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270 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

19 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

Durch die vergleichende Analyse der drei Fallstudien „Gebrauchtwagen-Marktplatz“,

„Direktversicherung“ und „Kooperation mit der Automobilwirtschaft“ konnten mehrere

Praktiken und Prozesse identifiziert werden, von denen anzunehmen ist, dass sie einen

positiven Beitrag zur erfolgreichen Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation leisten

können. Gleichzeitig werden diese erfolgskritischen Prozesse als die übergeordnete

organisationale Kompetenz zur Geschäftsmodellinnovation verstanden, die aus

verschiedenen hierarchisch organisierten Subprozessen und Subroutinen besteht.

Es wird aufgezeigt, welche Probleme sich in den einzelnen Phasen einer

Geschäftsmodellinnovation ergeben und durch welche Maßnahmen diese Hürden und

Widerstände erfolgreich genommen werden können. Die verschiedenen Fähigkeiten sind

eng miteinander verwoben und stehen zueinander in Wechselbeziehung. In den

nachfolgenden Kapiteln wird gezeigt, wie die einzelnen Faktoren zusammenhängen und

welche kumulativen Auswirkungen sie auf den Prozess der Geschäftsmodellinnovation

haben.

Ein zentrales Charakteristikum dieses Prozesses ist, dass es sich dabei um ein komplexes

Vorhaben handelt, das mit viel Unsicherheit behaftet und nur teilweise strukturiert ist.

Gleichzeitig stellt dieser Prozess das fehlende Glied zwischen der Makroebene des

strategischen Managements und der Mikroebene der praktischen Durchführung

strategischer Inhalte dar. Außerdem stellt der Prozess hohe Anforderungen an die

Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft von Unternehmen und ist nur schwierig zu

managen. Im Mittelpunkt stehen der Aufbau und die Weiterentwicklung eines Bündels

besonderer „immaterieller Assets“ und Kompetenzen (distinct competences).

19.1 Aneignung von Fähigkeiten

Für die erfolgreiche Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation muss eine Vielzahl

benötigter Ressourcen und Fähigkeiten in entsprechender Qualität und Quantität

vorhanden sein. Besondere Bedeutung kommt dabei den Humanressourcen, d. h. den am

Innovationsprozess mitwirkenden Menschen, zu. Qualität ist hier eine Funktion des

Wissens bzw. des Know-how (Fähigkeiten) und der persönlichen Einstellung der

Mitarbeiter im Unternehmen.

Wie in Kapitel 6.3.2 gezeigt wurde, ist Wissen nicht nur eine Ressource, sondern kann im

Sinne von Know-how auch eine organisationale Fähigkeit darstellen. Wissen stellt also

per se noch keinen Erfolgsgaranten dar. Erst durch die Anwendung des Wissens, etwa

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 271

indem neue Kombinationen von Ressourcen und Fähigkeiten gefunden und dadurch

bestehende Aktivitäten verbessert oder neue Aktivitäten ermöglicht werden, kann das

Wissen in Wettbewerbsvorteile verwandelt werden.

Wie sich gezeigt hat, setzt die erfolgreiche Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation

ein besonderes Wissen, genauer gesagt ein spezifisches Know-how oder organisationale

Fähigkeit, voraus, die Winter (2003) wie folgt definiert:

“An organizational capability is a high-level routine (or collection of routines)

that together with its implementing input flows, confers upon an organization’s

management a set of decision options for producing significant outputs of a

particular type.”716

Die organisationale Kompetenz zur erfolgreichen Geschäftsmodellinnovation stellt daher

das spezifische Know-how zur Durchführung der notwendigen Aktivitäten im

Innovationsprozess dar wie zum Beispiel die Definition des Geschäfts, die

Konkretisierung des Geschäftsmodells und die Konfiguration des

Wertschöpfungssystems. Das zu organisationalen Routinen verdichtete kollektive Wissen

einer Organisation gibt ihr die Fähigkeit, ihr kollektives Wissen bzw. die vorhandenen

organisationalen Routinen an sich dynamisch verändernde Rahmenbedingungen

anzupassen.

In der Lage zu sein, eine Geschäftsidee oder -strategie zu realisieren, bedingt, dass die

Organisation bzw. das Projektteam die verlässliche Fähigkeit besitzt, diese gewollten

Handlungen durchzuführen.717 Die Fähigkeit stellt somit die Brücke zwischen der

Intention und dem gewünschten Ergebnis dar.718

Wenn die Organisation diese Fähigkeiten noch nicht besitzt, kann sie die dazu nötigen

Prozesse und Aktivitäten erlernen. Eine fundierte Ausbildung zu Fragen des strategischen

Managements erscheint hier als besonders hilfreich. So fällt auf, dass zwei der

Projektleiter719 unmittelbar vor dem Projekt im Rahmen ihrer Führungsausbildung an

Fortbildungsprogrammen teilnahmen, die die Grundlagen eines strategischen

Managements lehrten. Ein weiterer Projektleiter wurde ausgewählt, weil er bereits zuvor

Strategieprojekte geleitet hatte und entsprechendes Know-how mitbrachte.720 Diese

716 vgl. Winter, S. G. (2003) 717 vgl. Funder, J. (2002), S. 4. 718 vgl. Dosi, G., et al. (2000), S. 2. 719 Interviewpartner ST1 und FB2 720 Interviewpartner FC3

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272 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

Projektleiter konnten daher bereits auf ein gewisses Grundwissen zurückgreifen und

dieses Know-how im Lauf der Projekte weiterentwickeln.

Da organisationale Fähigkeiten aber nicht auf das Wissen einzelner Personen, sondern das

kumulative kollektive Wissen einer Organisation abstellen, ist die Ausbildung einzelner

Personen nur ein erster Schritt, um diese Kompetenz in der Organisation aufzubauen.

Entscheidender ist es, diese zur kontinuierlichen Geschäftsmodellinnovation notwendigen

Prozesse und Routinen im Unternehmen zu etablieren und zu verankern, sodass sie Teil

des organisationalen Wissensstands werden.

Dabei stellt jeder neue Versuch, eine Innovation zu realisieren eine weitere Lernschleife

dar.721 Erst durch die mehrmalige Wiederholung dieses Vorgangs und den Übergang zu

kontinuierlichem Lernen (double-loop learning) können die Routinen und Praktiken im

Prozess der Geschäftsmodellinnovation weiterentwickelt und verfestigt werden. Diese

von Masons (1996) als strategisches Lernen definierte Heuristik beschreibt “the process

by which an organization makes sense of its environment in ways that broaden the range

of objectives it can pursue or the range of resources and actions available to it for

processing these objectives”722, denn auch die Verbesserung bestehender Fähigkeiten

kann zu neuen und besseren Kombinationen der Ressourcen und Fähigkeiten eines

Unternehmens führen und eine überlegene Wettbewerbsposition ermöglichen.

Vor dem Hintergrund der Fallstudien bieten sich kontinuierliches Lernen und die

Investitionen in die Fortbildung der Mitarbeiter als besonders lohnende Strategien an.

Auch in der Literatur ist der Wert kontinuierlichen Lernens gut dokumentiert.723

These 1a: Die Organisation kann die dynamische Kompetenz zur

Geschäftsmodellinnovation erlernen, indem sie sich spezifisches Know-how

(Fähigkeiten) aneignet. Dazu ist es notwendig, in der Organisation den Prozess

kontinuierlichen Lernens zu implementieren.

Das Merkmal der Anschlussfähigkeit ist daher von besonderer Bedeutung. Wenn eine

hohe Anschlussfähigkeit zu bestehenden Fähigkeiten gegeben ist, wie dies zum Beispiel

bei der inkrementellen Weiterentwicklung bestehender Fähigkeiten der Fall ist, fällt das

Erlernen neuer Fähigkeiten relativ leicht. Im Gegensatz dazu erscheint das Erlernen neuer,

diskontinuierlicher Fähigkeiten sehr zeitintensiv und im schlimmsten Fall ein mit

Fehlschlägen und Rückschlägen gepflasterter Weg systematischen Ausprobierens zu 721 vgl. Senge, P. M. (1990) 722 vgl. Mason, R. M. (1996) 723 vgl. McGrath, R. G. (2001), Zollo, M. und Winter, S. G. (2002)

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 273

sein.724 So dauerte es einige Zeit, bis die Direktversicherung die nötige Kompetenz im

Onlinemarketing und Onlinevertrieb von Versicherungsprodukten aufgebaut hatte,

obwohl einige Teammitglieder über einschlägige Erfahrungen im Offlinevertrieb und

Marketing verfügten. Der Grund dafür lag in der relativ geringen Anschlussfähigkeit

dieses Wissens an den Onlinevertrieb.

Aneignen von Fähigkeiten Empirischer Befund

Gebrauchtwagen-Marktplatz Zur Unterstützung des kleinen Projektteams wurde

ein externer Berater engagiert. (FB1)

Anfangs war der Zugang zu IT-Ressourcen

schwierig. Man fand eine Lösung, indem die neue

Gesellschaft als Drittkunde deklariert wurde. (FB2)

Die IT-Entwicklung wurde weitgehend an externe

Partner ausgelagert. (FB1)

Direktversicherung Man betrat hier in vielen Bereichen Neuland und

musste erst schrittweise lernen, wie der

Direktvertrieb funktioniert. (FA5)

Es würde ohnedies einige Jahre dauern, den Markt

genauer kennenzulernen. (FA5)

Im Haus sollte entsprechendes eigenes Know-how

aufgebaut werden. (FB5)

Kooperation mit der

Automobilwirtschaft

Das Team musste lernen, wie die Zukunft der

Automobilhersteller und des Absatzes von Pkws

aussieht. (FC3)

Somit würde durch den Austausch von Erfahrungen

und Fähigkeiten für beide Kooperationspartner eine

Win-win-Situation geschaffen. (FC2)

Tabelle 14: Aneignen von Fähigkeiten

Während das Erlernen neuer Fähigkeiten einen schwierigen und langwierigen Prozess

darstellt, erscheint es viel einfacher, die benötigten Fähigkeiten in der notwendigen

724 vgl. Tushman, M. L. und Anderson, P. W. (2002)

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274 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

Qualität durch Kooperation und Vernetzung zu erwerben. Beispiele dafür finden sich in

allen drei Fallstudien. Im Fall des Gebrauchtwagen-Marktplatzes sollten externe Berater

ihr Know-how einbringen, die Direktversicherung nutzte bestehende Fähigkeiten in

anderen Konzernbereichen wie zum Beispiel der Schadenabteilung. Für das Projekt

Kooperation mit der Automobilwirtschaft holte man sich externe Berater, die über

spezifisches Know-how in der Automobilwirtschaft und der Systemintegration verfügten.

Dieser empirische Befund deckt sich mit früheren Untersuchungen, die auf die Bedeutung

von Kooperationen und Allianzen zur Beschaffung kritischer Ressourcen und

Kompetenzen hinweisen.725

These 1b: Die Erlangung neuer Fähigkeiten ist daher als Integrations-,

Koordinations- und Lernprozess zu sehen, wobei die Genese neuer Fähigkeiten

als das Produkt der Verknüpfung und Anwendung bestehenden Wissens und

Know-how bzw. vorhandener Fähigkeiten zu verstehen ist.

Die Evolution der Fähigkeiten wird durch das aktuelle soziale Beziehungsgeflecht im

Unternehmen bestimmt. Dieser Prozess kann sowohl exogen wie auch endogen induziert

sein und geplant wie emergent sein. Daher ist es auch möglich, bereits antizipativ

entsprechende Bündel an Fähigkeiten zu erlernen, um sich auf mögliche zukünftige

Umweltverhältnisse einzustellen und präventiv die organisationale Kompetenz zur

Geschäftsmodellinnovation zu verbessern.726

Folglich werden durch gezielte Rekrutierung, ein aktives Human Resources Management

und Kooperationsverhalten der Erwerb und die Entwicklung neuer Fähigkeiten

unterstützt. Allerdings sollte darüber keinesfalls die Weiterentwicklung bestehender

Fähigkeiten vernachlässigt werden.727

19.2 Projektorganisation

Weiters konnten im Rahmen der empirischen Untersuchung zwei Praktiken erfolgreicher

Projektorganisation als wichtige Erfolgstreiber identifiziert werden, nämlich die Auswahl

der Projektmitarbeiter und die Zusammenstellung des Projektteams.

So hat die Analyse der Daten ergeben, dass die Qualität der Mitarbeiter einen der

kritischen Erfolgsfaktoren im Prozess darstellt. 725 vgl. Teece, D. J. (1992), Gulati, R. (1999) 726 vgl. Loasby, B. J. (1998) 727 vgl. Hamel, G. (1991)

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 275

„Ausschlaggebend für unseren Erfolg war sicher das geniale Team. Das waren

alles Brainies und Leute, die offen für 9eues waren. Wir wollten nur solche

Leute, die selbst unternehmerisch dachten. Andere haben wir gar nicht

genommen.“728

Hinsichtlich der gewünschten Einstellung der Mitarbeiter weisen die einzelnen

Fallstudien große Übereinstimmungen auf. Neben der bereits thematisierten

Lernbereitschaft waren folgende Eigenschaften besonders gefragt: Offenheit für neuen

Ideen, die Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen, kreatives unternehmerisches

Denken, freies Assoziieren und Neugier. Wie in Tabelle 15 dargestellt legte jeder

Projektleiter besonderen Wert auf die Offenheit, Kreativität und Einsatzbereitschaft der

Projektteilnehmer.729

These 2a: Die Chance, neue Geschäftsideen und Geschäftsmodelle zu

entwickeln und erfolgreich zu implementieren, steigt mit der Qualität der

Mitarbeiter, d. h. ihrem Wissen bzw. praktischen Know-how und ihrer

persönlichen Einstellung zu Innovationen.

Doch damit die Mitarbeiter ihr volles Leistungsvermögen entfalten können, müssen auch

die Rahmenbedingungen passen. Sowohl das Klima in der Projektgruppe als auch die

Spielräume, Freiheiten und Kompetenzen des Projektteams sind dabei von Relevanz. Wie

in Kapitel 19.5 noch gezeigt wird, kommt dem Management dabei eine entscheidende

Rolle zu.

Projektorganisation Empirischer Befund

Gebrauchtwagen-Marktplatz Offenheit, Kreativität und Innovation wurden nicht

nur zugelassen, sondern aktiv gefördert und

eingefordert. (FB2)

Es wurden unternehmerisch denkende Mitarbeiter

gesucht. (FB1)

Innovationsbereitschaft und Unternehmertum

waren wichtige Kriterien bei der Auswahl der

728 Interviewpartner FA2 729 vgl. Tabelle 15

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276 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

Mitarbeiter. (FB2)

Direktversicherung Eigenständig arbeitende Mitarbeiter, die an Neuem

interessiert waren. (FA1)

Engagierte Leute, die an das Projekt glaubten.

(FA2)

Die Auswahl der Mitarbeiter erfolgte entsprechend

den benötigten Fähigkeiten. (FA5)

Kooperation mit der

Automobilwirtschaft

Auf Kreativität und Offenheit wurde Wert gelegt.

Engstirnige Leute konnte man da nicht brauchen.

(FC3)

Gutes Projektmanagement heißt, gute Mitarbeiter

auszuwählen. (FC2)

Wir haben die Leute ganz bewusst auch konträr

gestafft. (FC3)

Tabelle 15: Projektorganisation

Ebenfalls von großer Bedeutung sind die Art und Weise, wie die Zusammenstellung des

Projektteams erfolgt. Die detaillierte Betrachtung der einzelnen Fallstudien offenbart hier

wesentliche Unterschiede:

� Für den Gebrauchtwagen-Marktplatz wurde das Team bewusst klein gehalten

und auf Mitarbeiter aus dem Funktionsbereich Kraftfahrzeugversicherung

beschränkt. Um dennoch eine „externe“ Perspektive zu integrieren, wurde zur

Unterstützung des Innovationsprozesses eine Beratungsfirma beauftragt.

� Im Fall der Internetversicherung war es zeitweise schwierig, Mitarbeiter für das

Umsetzungsprojekt zu finden, da einige nicht an den Erfolg des Projekts

glaubten. Sie hatten Angst, durch das Projekt ihre Zukunft bzw. Karriere zu

verbauen. Auf externe Berater wurde bewusst verzichtet. Erst durch den

persönlichen Einsatz des Sponsors gelang es, Mitarbeiter zu gewinnen, die über

die richtige Einstellung, wichtiges Know-how und gute Kontakte verfügten.

� Im Projekt „Kooperation mit der Automobilwirtschaft“ erfolgte die Auswahl

der Mitarbeiter ganz gezielt durch den Projektleiter. Wo nötig wurden externe

Berater engagiert. Konträre Ansichten waren willkommen.

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 277

Exemplarisch wird hier die Vorgehensweise der gezielten Rekrutierung und

Zusammenstellung des Projektteams für das Teilprojekt „Kooperation mit der

Automobilwirtschaft“ beschrieben, da diese besonders zweckmäßig wirkt.

Einerseits wurde darauf geachtet, dass unterschiedliche Funktionsbereiche und

Sichtweisen im Projektteam repräsentiert waren, denn die verschiedenen funktionalen

Abteilungen eines Unternehmens stellen eigene „Denkwelten“ dar und bringen ihre

gewohnten Denk- und Arbeitsweisen in das Projekt mit ein.730 Die Aufgabe des

Projektmanagements ist es, diese verschiedenen Teilsysteme zu integrieren, damit sie in

einem multifunktionalen Projektteam zusammenarbeiten und gemeinsam Probleme

lösen.731

Darüber hinaus achtete der Projektleiter darauf, dass alle nötigen Fähigkeiten im Team

vorhanden waren. Mitarbeiter wurden nicht nur nach machtpolitischen, sondern auch rein

praktischen Kriterien, d. h. ihrem Know-how, rekrutiert. Um sich darüber hinaus für den

Fall abzusichern, dass im Lauf der Projektarbeit je nach Aufgabenstellung zusätzliche

Ressourcen aus anderen Bereichen kurzfristig abgerufen werden konnten, wurden mit

dem Sponsor entsprechende Spielregeln festgelegt und seine Unterstützung eingeholt.

Letztlich war die Zusammensetzung aber auch durchaus politisch motiviert, damit jede

Fraktion ihre Interessen im Projektteam vertreten sah, denn Projekte können schnell zum

Schauplatz politischer Fehden um Macht und Einfluss konkurrierender Abteilungen

werden.732 Deshalb wurden mit dem Sponsor bereits im Vorfeld Spielregeln für das

Projekt festgelegt, die den Zugang zu Ressourcen, den Entscheidungsprozess und die

Kompetenzverteilung zwischen Projektleitung und Lenkungsausschuss regelten. Indem

bereits im Vorfeld wichtige Weichenstellungen erfolgten und mögliche

Konfliktpotenziale von vornherein reduziert wurden, konnte das Projektrisiko insgesamt

verringert werden. Hier offenbart sich ein weiterer Aspekt, nämlich die Nutzung des

Beziehungsgeflechts einzelner Projektteilnehmer, um internen Konflikten vorzubeugen

und den Zugang zu wichtigen Ressourcen zu erleichtern.

These 2b: Durch die gezielte, opportunistische Zusammenstellung des

Projektteams können die Qualität der Umfeldanalyse und somit die Konsistenz

des Geschäftsmodells verbessert, der Zugang und die Aneignung von

Ressourcen können erleichtert und internen Konflikten kann vorgebeugt

werden, was insgesamt die Projektrisiken reduziert und die Chance auf eine 730 vgl. Dougherty, D. (1992), Dougherty, D. und Heller, T. (1994) 731 vgl. Clark, K. B. und Fujimoto, T. (1991), Dougherty, D. (1992) 732 vgl. Eisenhardt, K. M. und Bourgeois, L. J. (1988)

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278 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

erfolgreiche Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation erhöht.

19.3 Analyse des Unternehmensumfelds

Der Prozess der Geschäftsmodellinnovation beginnt mit der sorgfältigen Analyse des

Marktumfelds und den dort herrschenden Wettbewerbsbedingungen, denn wie die

empirische Untersuchung gezeigt hat, setzt die erfolgreiche Anpassung an neue

Wettbewerbsbedingungen die Kenntnis und ein detailliertes Verständnis der

Ausgangssituation und der Einflusskräfte der Umwelt voraus. Daher stehen die

Umfeldanalyse und die Interpretation der externen Veränderungskräfte am Anfang des

Prozesses. Es geht darum, die Bedingungen und Veränderungen im Unternehmensumfeld

zu registrieren, sorgfältig zu interpretieren und so Chancen und Risiken zu identifizieren.

Die sich daraus ergebenden Anpassungen müssen sich schließlich in der neuen

Geschäftsmodellkonfiguration manifestieren, denn sein Geschäft definieren zu können,

setzt voraus, den Markt zu verstehen.

Um abschätzen zu können, wie eine Organisation ihr Umfeld wahrnimmt und zu einem

Verständnis des Markts kommt, sind vier Aspekte entscheidend:733

1. Der Prozess umfasst mehrere Subroutinen wie Datensammeln, -analysieren,

Wissenskonstruktion und Entscheidungsfindung.

2. Der Prozess wird von der dominanten Logik der Branche und den mentalen

Modellen im Unternehmen beeinflusst.

3. Es handelt sich dabei nicht um einen geplanten, sondern explorativen

Suchprozess.

4. Die Wissenskonstruktion erfolgt an verschiedenen Stellen in der Organisation.

Erstens muss berücksichtigt werden, dass die Art und Weise, wie ein Unternehmen sein

Umfeld bzw. den Markt analysiert, als Prozess zu verstehen sind, der wiederum mehrere

Subprozesse bzw. -routinen umfasst und es sich dabei nicht um einen einzelnen Akt

handelt, ‟instead it arises from a sequence of actions through time”.734

Um den Markt analysieren zu können, müssen zuerst Daten gesammelt werden. Wie in

den Fallstudien beschrieben wurden dazu zum Beispiel umfangreiche Marktstudien,

Kundenbefragungen, Interviews und Stakeholderanalysen durchgeführt, Daten und

Statistiken vom Kraftfahrzeugmeldeamt (KFA) und Verbandsdaten (GDV) abgerufen

733 vgl. Christensen, C. M. (1997), Christensen, C. M. und Raynor, M. E. (2003) 734 vgl. Gilbert, X. und Strebel, P. (1998), S. 79.

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 279

oder auf die Daten von Beratungsunternehmen zurückgegriffen. Im nächsten Schritt

wurden diese Daten gesichtet, analysiert und interpretiert, bevor konkrete Entscheidungen

hinsichtlich der Produkt-Markt-Strategie und Positionierung getroffen wurden.

Dieser Prozess ist einer ganzen Reihe potenzieller Störeinflüsse ausgesetzt und durch den

organisationalen Kontext beeinflusst. Weder handelt es sich bei dem Umfeld von

Unternehmen um eine objektiv erkennbare und messbare Realität noch ist die Annahme

zulässig, dass die mit der Aufgabe betreuten Akteure rein rational handeln, denn die Art

und Weise, wie Mitarbeiter und Manager im Unternehmen ihre Umwelt wahrnehmen und

welche Daten sie überhaupt als relevant ansehen, sind durch ihre individuelle und

kollektive Überzeugung (shared beliefs)735 und ihre mentalen Modelle geleitet,736 die von

Bettis und Prahalad (1986) als die dominante Logik eines Unternehmens oder auch einer

gesamten Branche bezeichnet werden. Im Grunde handelt es sich dabei um kognitive

Barrieren737, die die Wahrnehmung der Umwelt trüben und zum Festhalten an überholten

Geschäftsmodellen und Strategien führen.738

Die wiederkehrenden Konflikte zwischen den neuen Geschäftsmodellen und dem

Stammvertrieb der ASSEKURANZ sind Ausdruck solcher rivalisierenden Denkwelten,

da ein Teil der Organisation am traditionellen Geschäftsmodell

„Ausschließlichkeitsorganisation“ (AO) festhält und gleichzeitig an anderen Stellen im

Unternehmen an der Zukunft und an neuen Geschäftsmodellen gearbeitet wird.739 Dieses

Problem scheint gerade in großen, etablierten Unternehmen besonders ausgeprägt zu sein,

während Start-ups in dieser Hinsicht einen Vorteil haben.740 Henderson und Clark (1990)

sprechen in diesem Zusammenhang von der ‟burden of legacy”.

Um diese internen Widerstände zu überwinden, empfiehlt es sich, die Arbeit an neuen

Geschäftsmodellen sowohl räumlich als auch organisatorisch vom bestehenden Geschäft

zu trennen, um die neue Geschäftsidee in einem geschützten Rahmen zu entwickeln und

von störenden externen Einflüsse abzuschirmen. Besondere Bedeutung hat dabei das

Management der Schnittstelle zwischen der Stammorganisation und der neuen Einheit.741

Auch das Führungsverhalten des Managements spielt bei der Überwindung von

Widerständen und Barrieren eine entscheidende Rolle. Doch mehr dazu in Kapitel 19.5.

735 vgl. Schwaninger, M. (2004) 736 vgl. Whipp, R., et al. (1989) 737 vgl. Tripsas, M. und Gavetti, G. (2000) 738 vgl. Chesbrough, H. (2010) 739 vgl. Markides, C. (1998), Markides, C. und Charitou, C. D. (2004) 740 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1995) 741 vgl. Heller, T. (1999), Schmid, T. (2004)

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280 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

Wie die Analyse der Daten ergeben hat, ist auch die Auswahl der Mitarbeiter wie in

Kapitel 19.2 beschrieben von unmittelbarer Bedeutung.

These 3a: Je offener für 9eues, kreativer, neugieriger und lernbereiter die am

Innovationsprozess mitwirkenden Personen sind, desto leichter fällt es, die

dominante Logik hinter sich zu lassen, Veränderungen im Umfeld zu

registrieren und sich neu ergebende Geschäftschancen zu nutzen.

Die Analyse der einzelnen Fallstudien hat verdeutlicht, dass es sich bei der

Umfeldanalyse nicht um einen formal strukturierten Prozess handelt, sondern um einen

Prozess sozialer Wahrnehmung und Wissenskonstruktion sowie kollektiven Lernens,

denn die Umweltanalyse ist nicht Aufgabe einer spezialisierten Funktionsabteilung,

sondern ein Prozess emergenter Wissensakkumulation, Analyse und kollektiver

Meinungsbildung, in den viele Funktionen und Akteure eingebunden sind. Dieser Befund

deckt sich mit den Ergebnissen von Pettigrew (1998), der zu dem Schluss kommt, dass

‟strategy creation tends to emerge from the way a company, at all levels, processes

information about its environment”.742

So beschäftigten sich verschiedene Funktionsbereiche im Unternehmen mit den für sie

relevanten Ausschnitten der Umwelt. Während sich der Vertrieb und das Marketing vor

allem für das Verhalten und die Bedürfnisse der Kunden interessieren, sind für den

Einkauf die Bedingungen auf dem Beschaffungsmarkt und für die Finanzabteilung ist die

Situation auf dem Kapitalmarkt relevant. Um zu einem ganzheitlichen Bild des Umfelds

zu gelangen, ist es daher notwendig, die Funktionsbereiche im Unternehmen zu vernetzen

und die verschiedenen Perspektiven zu integrieren. Wie bereits in Kapitel 19.2 gezeigt

wurde und in Kapitel 19.5 noch diskutiert werden wird, sind dabei verschiedene Praktiken

wie die gezielte Zusammenstellung des Projektteams oder die Mediatorfunktion des

Managements hilfreich, da dadurch die interne Vernetzung erhöht und eine kollektive

Wissenskonstruktion erleichtert wird.

Im Grunde handelt es bei der Umfeldanalyse um den von Weick (1995) beschriebenen

Prozess des ‟sensemaking of organisations”, wobei ‟people give meaning to

experience”.743

742 vgl. Whipp, R. (1991), S. 174. 743 vgl. Weick, K. E. (1995)

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 281

Abbildung 61: Das Unternehmen-Umwelt-Verhältnis744

Ziel dieses Prozesses der Wissenskonstruktion ist es, die nötigen Fakten zu sammeln, um

einen Entscheidungsprozess einzuleiten, der zu folgenden Fragen Antworten liefern muss:

� Welche Märkte sollen bedient werden?

� Welche Bedürfnisse haben die Kunden?

� Welche Produkte sollen angeboten werden?

� Wer sind die relevanten Wettbewerber?

� Wer sind mögliche Partner?

� Welche Wettbewerbsstrategie soll verfolgt werden?

� Wie soll sich das Unternehmen auf dem Markt positionieren?

Es handelt sich dabei um Fragen, die mit der Geschäftsdefinition745, der

Geschäftsstrategie und dem Geschäftsmodell eines Unternehmens in Verbindung gebracht

744 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), S. 26. 745 vgl. Abell, D. F. (1980)

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282 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

werden746, denn obwohl die Geschäftsstrategie und das Geschäftsmodell unterschiedliche

Konstrukte sind, so sollten beide auf die eben gestellten Fragen Antworten geben.747 Je

fundierter und umfassender die Geschäftsidee und die Geschäftsdefinition ausgearbeitet

sind, desto mehr reduziert sich dadurch die Unsicherheit und desto eher wird die

Geschäftsidee die Unterstützung des Managements und der Organisation gewinnen.

Analyse des

Unternehmensumfelds

Empirischer Befund

Gebrauchtwagen-Marktplatz Man versuchte, den Markt für

Gebrauchtwagenbörsen besser zu verstehen und

die einzelnen Akteure bzw. Wettbewerber zu

analysieren. (FB1)

Um die Bedürfnisse des Stammvertriebs zu

verstehen, wurden Interviews geführt. (FB2)

Direktversicherung Detaillierte Analysen im Vorfeld und während des

„Going-live“ (FA2)

Es würde ohnedies einige Jahre dauern, den Markt

genauer kennenzulernen. (FA5)

Kooperation mit der

Automobilwirtschaft

Die Qualität der Analysen. (FC3)

Das Team musste lernen, wie die Zukunft der

Automobilhersteller und des Absatzes von Pkws

aussieht. (FC3)

Tabelle 16: Analyse des Unternehmensumfelds

Die Qualität der Umfeldanalysen und die sorgfältige Darlegung der Fakten wurden von

mehreren Interviewpartnern748 als wesentlicher Faktor für die Annahme der Kraft-

Strategie 2010 und der Direktstrategie gewertet. So waren zum Beispiel die Widerstände

gegen die Mehrkanalstrategie für das deutsche Kfz-Versicherungsgeschäft relativ gering,

da der Entwurf auf einer umfangreichen Kundenbefragung, Markt- und

Stakeholderanalyse sowie den Berechnungen von Aktuaren beruhte. Sehr hilfreich war

die eindeutige Definition der Zielsegmente, die sich gut mit der neuen Strategie des

Unternehmens auf dem Kfz-Versicherungsmarkt ergänzte und somit ein schlüssiges Bild 746 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005), Kapitel 3: Positionierung 747 vgl. Magretta, J. (2002) 748 Interviewpartner ST1, FA2, FC3, ST3

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 283

über die strategische Ausrichtung und die weitere Entwicklung des Kfz-

Versicherungsgeschäfts bot.

Den Skeptikern im Haus konnten genaue Mengengerüste und Wachstumsprognosen

entgegengehalten werden. Dadurch war die Idee belegbar und sehr glaubwürdig. Die

Transparenz und Klarheit der Strategie waren für den Projektleiter eines der

Erfolgsgeheimnisse des gesamten Vorhabens.749 Diese empirischen Erkenntnisse lassen

sich zu folgenden Thesen verdichten:

These 3b: Je besser die verschiedenen Perspektiven und Funktionsbereiche im

Unternehmen vernetzt werden und die unterschiedlichen Wahrnehmungen der

Umwelt zu einem gemeinsamen Verständnis integriert werden, desto höher ist

die Qualität der Umfeldanalyse.

These 3c: Je höher die Qualität der Umfeldanalyse und je klarer die daraus

abgeleitete Strategie formuliert ist, desto leichter lassen sich die Ergebnisse

kommunizieren und latente Widerstände abbauen.

Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass viele gute, weil überzeugend

ausgearbeitete Geschäftsideen schlussendlich abschlägig beurteilt werden.750 Somit sind

die Qualität der Analysen und der Inhalt der Konzepte nicht allein für den Erfolg der

Projekte verantwortlich, sondern lediglich Einflussfaktoren. Folglich ist der Erfolg eines

Projekts a priori nicht an einem Kriterium wie der Qualität der Analysen ablesbar,

sondern ist immer von mehreren Faktoren beeinflusst. Ein solides Konzept ist aber

sicherlich als ein wichtiger Erfolgsfaktor zu werten. Der Erfolg ist letztendlich auch von

anderen Faktoren wie der lückenlosen und exakten Umsetzung des Entwurfs abhängig.

19.4 Herstellen von Konsistenz

Wie bereits in Kapitel 7.5 thematisiert wurde, wirkt sich eine hohe Kohärenz zwischen

der Geschäftsstrategie und dem Geschäftsmodell sowie zwischen dessen einzelnen

Teilmodellen positiv auf den Geschäftserfolg aus. Es gilt daher, einen möglichst guten Fit

zwischen den Ebenen Strategie und Geschäftsmodell zu finden und für die konsistente

Realisierung des Geschäftsmodells zu sorgen.

749 Interviewpartner ST1 750 Interviewpartner ST2

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284 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

These 4a: Je besser das Geschäftsmodell im Einklang mit seiner Umwelt, d. h.

den Bedürfnissen des Markts und den diversen Stakeholderinteressen steht und

laufend an die sich verändernde Umwelt angepasst wird, desto erfolgreicher

und nachhaltiger ist das Geschäftsmodell.

Zweifelsohne handelt es sich dabei um eine komplexe Aufgabe, die in einzelne

Subroutinen unterteilt werden kann. In gewisser Weise handelt es sich dabei um eine Art

Qualitätskontrolle:

1. Erstens gilt es, zu überprüfen, ob die gewählte Geschäftsstrategie im Einklang

mit dem Wettbewerbsverhalten, der Branchenstruktur und den Bedürfnissen der

Kunden steht, d. h. frei von Widersprüchen ist.

2. Zweitens ist zu prüfen, ob sich die Geschäftsstrategie in der Geschäftsdefinition

widerspiegelt und somit korrekt übergeleitet wurde.

3. Drittens muss sichergestellt werden, dass die einzelnen Elemente des

Geschäftsmodells in einer sinnvollen Weise kombiniert wurden und eine innere

Logik erkennbar ist, die es dem Unternehmen erlaubt, nachhaltige

Wettbewerbsvorteile und Gewinne zu erzielen.

4. Viertens muss der Entwurf mit den gegebenen Mitteln realisierbar sein.

5. Entscheidend ist letztlich aber die Frage, inwiefern das realisierte

Geschäftsmodell dem ursprünglichen Bauplan entspricht und die innere Logik

des Modells in der Praxis funktioniert.

Der Prozess der operativen Umsetzung weist sowohl Charakteristika eines geplanten wie

auch emergenten Prozesses auf. Zwar werden einerseits im Vorhinein bestimmte Ziele

und Meilensteine formuliert und ein Projektplan wird erstellt, andererseits hat sich in allen

drei Fallstudien gezeigt, dass aufgrund verschiedener Gründe, die unter den Kategorien

Ressourcenknappheit und Zeitdruck zusammengefasst werden können, die tatsächlich

realisierten Geschäftsmodelle von der ursprünglichen Konzeption und Zielsetzung mehr

oder weniger abweichen. Wie in den Kapiteln 7.5 und 18.5 gezeigt wurde, können solche

Abweichungen vom ursprünglichen Bauplan sehr negative Auswirkungen auf die innere

Konsistenz und den Erfolg des Geschäftsmodells haben.

Aufgrund der Größe und Komplexität der Projekte ist es kaum möglich, im Vorhinein alle

Anforderungen und Risiken genau abzuschätzen.751 Gerade die Risiken werden

systematisch unterschätzt.752 Dies mag auch die Ursache dafür sein, dass viele Erfolg

751 vgl. Van de Ven, A. H., et al. (1999) 752 vgl. Kanter, R. M., et al. (1992)

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 285

versprechende strategische Neuerungen zwar angekündigt werden, aber aufgrund

unerwarteter Schwierigkeiten in der Umsetzung scheitern und niemals operativ wirksam

werden.753

Wie am Beispiel der „Kooperation mit der Automobilwirtschaft“ zu sehen ist, können

Probleme in der Umsetzungsphase durch ein effizientes Projektmanagement aber

durchaus gemeistert werden. Trotz widriger Bedingungen wie Ressourcenknappheit und

einer anfangs nur eingeschränkten Funktionalität ist es hier gelungen, ein erfolgreiches

Geschäftsmodell zu implementieren.

„Wer in der Umsetzungsphase ,weich‘ wird, hat schon verloren.“754

Die empirischen Ergebnisse geben Grund zur Annahme, dass es besser ist, auf

Funktionalität zu verzichten und das Umsetzungstempo wenn nötig an die

Ressourcenfungibilität anzupassen, als vor dem Hintergrund von Umsetzungsproblemen

Veränderungen am ursprünglichen Bauplan vorzunehmen, denn solche Anpassungen sind

mit viel Risiko verbunden, da dadurch die innere Konsistenz des Geschäftsmodells und

der langfristige Erfolg in Gefahr geraten.

These 4b: Je genauer der intendierte Bauplan bei der Realisierung des

Geschäftsmodells eingehalten wird, desto größer sind die Erfolgschancen.

Anpassungen während der Umsetzung sind nur dann zulässig, wenn sich

zwischenzeitig das Umfeld verändert und der Entwurf nochmals auf seine

Konsistenz hin überprüft wird.

Sind Adaptionen dennoch notwendig, muss das gesamte Geschäftsmodell nochmals

hinsichtlich der Konsistenz der einzelnen Elemente Value Proposition, Architektur der

Wertschöpfung und Ertragsmodell überprüft und gegebenenfalls solange adjustiert

werden, bis die innere Logik und die Markttauglichkeit (externer Fit) des Modells wieder

gegeben sind. Wenngleich die Orientierung am Möglichen die Umsetzung verzögern mag,

rechtfertigt dieser Umstand keineswegs das Risiko einer inkonsistenten Umsetzung.

Gleichzeitig deckt sich diese Vorgehensweise mit den Aussagen mehrerer

Projektteilnehmer, die eine pragmatische Vorgehensweise befürworten, solange in

essenziellen Fragen keine Kompromisse zu gelassen werden.755

753 vgl. Müller-Stewens, G. und Lechner, C. (2005) 754 Interviewpartner FC3 755 Interviewpartner FA5, FA1, FC3, FC2

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286 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

„Es dauert, bis der Tanker wendet. Die 9euausrichtung ist ein Erfolg. Das volle

Ausmaß wird sich aber erst in den nächsten Jahren einstellen.“756

Die kumulative Wirkung vieler kleiner Schritte und inkrementeller Verbesserungen kann

in Summe zu besseren Ergebnissen führen als eine rasche, aber fehlgeleitete

Implementierung, obgleich der Erfolg einer solchen Strategie erst in Nachhinein und mit

der Zeit erkannt wird.

Herstellen von Konsistenz Empirischer Befund

Gebrauchtwagen-Marktplatz Aus Furcht vor internen Gegnern und um das

Projekt zu retten, wurden inhaltliche Anpassungen

und Abstriche gemacht. (ST1)

Die eingeschränkte Realisierung bedeutete eine

Verschlechterung der Qualität und führte zu

Inkonsistenz und internen Widersprüchen. (FB3)

Direktversicherung Aufgrund des überaus ambitionierten Zeitplans

wurden wo möglich rasche und pragmatische

Lösungen angestrebt, die ein schnelleres

Vorankommen ermöglichten. (FA1)

In einigen zentralen, aber umstrittenen Fragen hielt

das Team aber unbeirrt am begründeten

Standpunkt fest, da in diesen kritischen Fragen ein

Kompromiss den Erfolg des gesamten Projekts

gefährdet hätte. (FA5)

Kooperation mit der

Automobilwirtschaft

Qualität ist, dass man das dann auch genauso

konsequent, wie man das geboren hat, umsetzt.

Weil da machen wir oft ein paar Fehler. (FC4)

Adaptionen zuzulassen, ist einer der großen Fehler,

den wir immer wieder machten. Wir erkennen in

der Konzeptionsphase sehr viel, aber schade, dass

wir es nicht immer durchhalten. (FC3)

Tabelle 17: Herstellen von Konsistenz

756 Interviewpartner FC2

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 287

19.5 Führungsverhalten des Managementteams

Wenn ein Unternehmen eine neue Geschäftsidee realisiert oder ein neues Geschäftsfeld

aufbaut, führt dies für gewöhnlich zu Konflikten mit dem traditionellen Kerngeschäft.757

Interne Widerstände, Konkurrenz um knappe Ressourcen, Konflikte um die Ziele und

Eingriffe in das Geschäft durch Vertreter der Stammorganisation sind wahrscheinlich.758

Das bestehende Geschäftsmodell stellt eine Hürde für das neue dar.759 Um diese internen

Widerstände zu überwinden und ein neues Geschäftsmodell zum Erfolg zu führen, ist die

Unterstützung seitens des leitenden Managements von entscheidender Bedeutung. Die

empirischen Ergebnisse bestätigen hier frühere Arbeiten760, die die Bedeutung der

strategischen Führung und die Rolle der Geschäftsleitung als Strategic Investors

betonen.761

“Leading change involves linking action by people at all levels of the

business.”762

Der Manager fungiert gleichzeitig als Mediator und Koordinator zwischen den

Handlungen und Wahrnehmungen der einzelnen Akteure, als Mittler zwischen

verschiedenen Organisationsebenen und Funktionsbereichen. Da das Know-how

innerhalb eines Unternehmens auf viele Orte verteilt ist, kommt dem mittleren

Management die Rolle des Mittelsmanns zwischen den horizontalen und vertikalen

Informationsströmen zu. Da Wissen nicht einfach und ohne Kosten innerhalb des

Unternehmens übertragbar ist, ist die Absorptive Capacity“ des mittleren Managements,

d. h. die Fähigkeit, Wissen aufzunehmen und mit bestehendem Wissen zu kombinieren,

entscheidend. Manager beurteilen Probleme und wählen, integrieren und reichern

Information an, um zu verstehen und Lösungen zu entwickeln.

Für Floyd und Lane (2000) ist das mittlere Management geradezu prädestiniert dazu, die

Bedeutung einer Information für das Unternehmen zu evaluieren. Das Know-how, wie

Information auszuwählen, zu interpretieren und zu integrieren ist, um daraus nützliches

Wissen zu generieren, stellt selbst eine wertvolle organisationale Fähigkeit dar.763 Jedoch

757 vgl. Markides, C. und Charitou, C. D. (2004) 758 vgl. Maritan, C. A. (2001), Gilbert, C. und Bower, J. L. (2002) 759 vgl. Christensen, C. M. (1997), Christensen, C. M. und Raynor, M. E. (2003) 760 vgl. Schmid, T. (2004) 761 vgl. Day, D. L. (1994), Christensen, C. M. und Overdorf, M. (2000) 762 vgl. Pettigrew, A., et al. (1992) 763 vgl. Teece, D. J., et al. (1997)

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288 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

ist dieses Talent stark vom organisationalen Kontext, der „dominanten Logik“764 im

Unternehmen und „mentalen Modellen“765, d. h. “[…] the set of concepts and

relationships through which an individual comprehends the world around him or her

[…]”766, abhängig.

Gerade das mittlere Management ist in der Position, zwischen der Makrostrategie und der

operativen Mikroebene, der kollektiven Unternehmenssicht und der Meinung der

Individuen, zu vermitteln und darüber zu entscheiden, was ist und was sein soll.767 Daher

obliegt es dem Management, eine Atmosphäre und Rahmenbedingungen zu schaffen, in

denen kreativer Austausch und Kommunikation zwischen Funktionsbereichen stattfinden

können bzw. sogar ermutigt werden. Hier kann das Management Akzente setzen, zum

Beispiel indem Innovationen explizit gefordert und honoriert werden. Besonders

interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Frage nach der richtigen

Anreizsetzung und wie Innovation dadurch gezielt gefördert werden kann. Ohne selbst

aktiv zu entscheiden, kann das Management so den Boden für Innovationen und die aktive

Beschäftigung mit dem eigenen Geschäftsmodell bereiten und zu einem

innovationsfreundlichen Klima beitragen.

„Die Sponsoren des Projektes ließen es einfach zu. Sie ließen uns einfach

machen. Diese Konstellation war entscheidend für den Erfolg. Sie standen

absolut hinter der Initiative und stärkten uns im weiteren Verlauf den

Rücken.“768

Da das Problem der richtigen Anreizsetzung im Kontext der Geschäftsmodellinnovation

noch nicht thematisiert wurde, stellt diese Frage einen interessanten Anknüpfungspunkt

zukünftiger Forschung dar. Beispiele für die gezielte Steuerung der Wahrnehmung

anderer Abteilungen finden sich in den Fallstudien zur „Kooperation mit der

Automobilwirtschaft“ und dem „Gebrauchtwagen-Marktplatz“. Das wichtigste Instrument

zur Mediation zwischen Funktionsbereichen und rivalisierenden Sichtweisen ist die

Kommunikation. Da zum Beispiel der Konflikt zwischen den Autohäusern und dem

Stammvertrieb durch falsche Kommunikation immer wieder angeheizt wurde, versuchte

das Team, sein Vorhaben dem eigenen Vertrieb begreiflich zu machen:

764 vgl. Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1986)Ibid, Bettis, R. A. und Prahalad, C. K. (1995), Von Krogh,

G. und Roos, J. (1996) 765 vgl. Kapitel 7.3.1 und Schwaninger, M. (2004) 766 vgl. Weick, K. E. und Quinn, R. E. (1999) 767 vgl. Nonaka, I. (1994), S. 32. 768 Interviewpartner ST1

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 289

„Warum tun wir das […] wir tun das nicht. um irgendjemandem wehzutun,

sondern weil der Markt sich verändert hat und weil sich das Verhalten der

Kunden verändert hat.“769

Das Team des „Gebrauchtwagen-Marktplatzes“ wiederum versuchte es, tunlichst zu

vermeiden, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder gar im Haus von anderen

Abteilungen wie zum Beispiel der eigenen Vertriebsorganisation als Bedrohung

wahrgenommen zu werden. Aus Angst vor internen Widerständen und zu viel

Aufmerksamkeit versuchte man, das Projekt als kleines, unauffälliges „Guerillaprojekt“

voranzutreiben. Um Vorbehalten in der Vertriebsorganisation vorzubeugen und die

Ängste der Hauptvertreter frühzeitig zu adressieren, suchte das Projektteam den direkten

Kontakt zu den Vertretern vor Ort, denn umso radikaler ein neue Geschäftsidee ist, d. h. je

grundlegender sie die bisherige Logik des Geschäfts verändert bzw. je geringer die

Anschlussfähigkeit an das traditionelle Geschäftsmodell ist, desto höher wird im

Unternehmen das damit verbundene Risiko eingeschätzt, denn jede Veränderung bringt

Chancen, aber auch Risiken mit sich.

Mit dem Versuch, das Kerngeschäft eines Unternehmens tief greifend zu verändern, geht

die Gefahr einher, die bestehende Organisation zu destabilisieren. Sollte sich das

Vorhaben als Fehlschlag erweisen, steht im schlimmsten Fall das gesamte Unternehmen

auf dem Spiel. Doch auch Veränderungen abseits des Kerngeschäfts, etwa die

Erschließung neuer Märkte oder Marktsegmente, bergen Risiken. Einerseits kann abseits

des Kerngeschäfts das Verständnis des Markts und der spezifischen Kundenbedürfnisse

fehlen. Andererseits kann es an spezifischen Ressourcen oder Fähigkeiten fehlen, die für

den Erfolg in diesem neuen Geschäftsfelds nötig wären.770

These 5a: Je höher das Risiko eingeschätzt wird bzw. geringer die

Anschlussfähigkeit ist, desto größer ist der Widerstand und umso

entscheidender ist es, sich einer möglichst breiten Unterstützung im

Managementteam zu versichern.

Risiken werden tendenziell leichter eingegangen, wenn die Verantwortung dafür im Kreis

des Managements geteilt wird, d. h. im Management Konsens und breite Zustimmung zur

Entscheidung herrscht oder sich das Management aufgrund anderer dringlicher Umstände

(zum Beispiel auf das Drängen der Aktionäre oder Analysten hin) dazu gezwungen sieht,

radikale Maßnahmen zu ergreifen.771 So stellte die Schaffung eines Marktplatzes für 769 Interviewpartner FC3 770 vgl. Leonard-Barton, D. (1990), Christensen, C. M. (1997) 771 vgl. Van de Ven, A. H. und Poole, M. S. (1995)

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290 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

Gebrauchtwagen ursprünglich eine radikale Geschäftsidee dar. Ein völlig neues

Geschäftsfeld sollte eröffnet werden, das kaum Gemeinsamkeiten mit dem

Versicherungsgeschäft aufweist. Die Idee wurde vom zuständigen Leiter des Kfz-

Versicherungsgeschäfts initiiert und vom Vorstand mitgetragen. Als beide in neue

Positionen wechselten, verlor das Projekt seine wichtigsten Fürsprecher und hatte in Folge

Probleme beim Zugang zu wichtigen Ressourcen und Budgetmitteln.772 Es wurde von der

Organisation als zu radikal und nicht notwendig erachtet.

These 5b: Inkrementelle, schrittweise Veränderungen werden als geringeres

Risiko wahrgenommen, da die Anschlussfähigkeit höher ist.

Hier kann es bereits ausreichen, wenn das mittlere Management oder nur der direkt

verantwortliche Leiter des Geschäftsbereichs die Initiative unterstützt. In diesem

Zusammenhang sollte aber nur dann von Innovation oder Erneuerung gesprochen werden,

wenn die Veränderungen wirklich die Umsetzung neuer Ideen beinhalten und nicht nur

die Optimierung oder Verbesserung bestehender Strukturen als Zielsetzung haben.

Beliebte Managementkonzepte wie das Total Quality Management (TQM), das Lean

Management oder der vom japanischen Kaizen abgeleitete kontinuierliche

Verbesserungsprozess (KVP) sind Ausdruck dieser Veränderungsart.773 In Summe und

über die Zeit betrachtet können aber auch viele kleine Schritte den Charakter eines

Geschäfts grundlegend verändern.

„Zwischen Optimierung und Erneuerung besteht ein fließender Übergang.

9achhaltige Optimierung kann mit der Zeit zur Erneuerung führen.“774

Es wäre aber gefährlich, inkrementelle Veränderungen als alleinige Strategie zur

langfristigen Absicherung und Steigerung des Unternehmenserfolgs zu erachten.

Einerseits können viele kleine Schritte auch nur die Scheinsicherheit vermitteln, dass

etwas zur Verbesserung der Wachstums- und Ergebnissituation im Unternehmen getan

wird – dann nämlich, wenn die unternommenen Schritte in Summe alle zu klein sind, um

wirklich zu einer nachhaltigen Verbesserung der Gesamtsituation beizutragen. In diesem

Zusammenhang sei auf das von Voelpel, Leipold et al. (2005) als Red-Queen-Effekt

bezeichnete Phänomen hingewiesen, bei dem durch die inkrementelle Fortschreibung

bestehender Geschäftslogiken der Verwitterungsprozess der Wettbewerbsfähigkeit nicht

gestoppt, sondern nur durch diskontinuierliche Sprünge überwunden werden kann. 772 Interviewpartner FB3 773 vgl. Rüegg-Stürm, J., et al. (2004), S. 224f. 774 vgl. Ibid., S. 223.

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 291

Andererseits darf bezweifelt werden, dass durch ein Aufbrechen großer

Transformationsvorhaben in viele kleine Veränderungsschritte das Gesamtrisiko

tatsächlich reduziert wird, da gleichzeitig der Koordinationsbedarf zunimmt und ein

systematisches, nicht weiter diversifizierbares Restrisiko bleibt, da die einzelnen Schritte

beispielsweise durch Kontinuität in der Projektleitung und eine wohl kommunizierte

Vorgehensweise miteinander systematisch vernetzt sind.

Letztlich tragen erfolgreiche Innovationen zum Selbstbild einer erfolgreichen

Führungskraft bei, während Fehlschläge am Image kratzen. Manager werden daher große

Risiken tendenziell vermeiden und stattdessen inkrementelle, weniger riskante

Veränderungen favorisieren, denn Manager versuchen, sich durch den Erfolg ihres

eigenen Handelns zu profilieren.

Führungsverhalten Empirischer Befund

Gebrauchtwagen-Marktplatz Probleme bekam das Projekt erst durch den

Wechsel der Sponsoren. Das Projekt wurde dem

Umfang nach deutlich beschnitten und nur noch auf

Sparflamme weitergeführt. (FB3)

Die ursprüngliche Geschäftsidee konnte nicht wie

beabsichtigt umgesetzt werden. Es fehlte an Geld

und Unterstützung durch das Topmanagement.

(ST1)

Die neuen Sponsoren haben das Projekt zwar nicht

beendet, es aber nicht mehr forciert und keine

weiteren Budgetmittel zur Verfügung gestellt.

(FB2)

Direktversicherung Der Support durch den direkt zuständigen Vorstand

bzw. Sponsor (ST1)

Rückhalt erhöht das Durchhaltevermögen bei

existenziellen Fragen. (FA5)

Kooperation mit der

Automobilwirtschaft

Die gesamte Vorgehensweise muss die Deckung

der Sponsoren haben. Nur unter stabilen

Projektbedingungen können die inhaltlich richtigen

Entscheidungen entwickelt und getroffen werden.

(FC3)

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292 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

Wir hatten die richtigen Rahmenbedingungen, die

es uns ermöglicht haben, überhaupt einen guten Job

zu machen. Sonst hätten wir in diversen politischen

Schlachtfeldern geendet. (FC3)

Tabelle 18: Führungsverhalten

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass letztlich die Unterstützung durch

Mitglieder der Geschäftsleitung für den Erfolg des Vorhabens entscheidend ist. Nur

dadurch wird ein stabiles, sicheres Arbeitsumfeld geschaffen, der Zugriff auf benötigte

Ressourcen erleichtert, werden politische Hindernisse überwunden und es wird für die

nötige breite Zustimmung im Kreis der Geschäftsleitung gesorgt. Doch das Management

unterstützt ein Vorhaben nur dann, wenn damit eine bestimmte Chance verbunden ist, die

das Eingehen des damit verbundenen Risikos rechtfertigt. Dies ist dann der Fall, wenn das

Projekt für das Unternehmen wirtschaftlich oder strategisch sinnvoll, unbedingt

notwendig oder aber von Teilen des Managements als persönlich dienlich erachtet wird.

These 5c: Wie viel Risiko ein Manager letztendlich einzugehen bereit ist, ist

nicht nur ein Produkt objektiver Fakten und rationaler Überlegungen, sondern

wird auch durch subjektive Empfindungen wie die individuelle

Risikobereitschaft, den eigenen Ethos oder den persönlichen Ehrgeiz einer

Person bestimmt.

Darüber hinaus handelt es sich bei solchen Entscheidungen unter Unsicherheit um

komplexe soziale Prozesse, die durch den Kontext geprägt und gelenkt werden. Es handelt

sich dabei um kollektive Entscheidungsprozesse, die genauso durch kollektive

Wahrnehmung, politische Prozesse und Machtkonzentration beeinflusst werden. So fiel

die Entscheidung zugunsten der Gründung des Direktkanals aus, da sich das Management

aufgrund der Marktanteilsentwicklung zu handeln gezwungen sah. Außerdem wurde das

Risiko als überschaubar eingestuft, da das anfängliche Investment relativ gering war.775

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass gerade das mittlere Management im

Prozess der Geschäftsmodellinnovation eine wichtige Rolle spielt. Indem die direkt für

das Geschäft verantwortlichen Führungskräfte die aktive Auseinandersetzung mit dem

eigenen Geschäftsmodell fordern, fördern, koordinieren, gegebenenfalls schützen und die

organisationale Kompetenz zur Geschäftsmodellinnovation gezielt und kontinuierlich

775 Interviewpartner FA2 und FA5

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Erfolgskritische Praktiken und Prozesse 293

weiterentwickeln, können sie einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Realisierung

strategischer Innovation leisten.

Allerdings ist die Geschäftsmodellinnovation nicht als Aufgabe des Projektteams oder

eines Chief Innovation Officer zu verstehen, sondern als Aufgabe des gesamten

Managementteams, denn die Verantwortung für das eigene Geschäft respektive

Geschäftsmodell ist nicht delegierbar, sondern geht alle gleichermaßen an. Um das

Managementteam zu einen und um eine Common Vision776 zu versammeln, kann eine

Roadmap777 oder Agenda778 hilfreich sein, die wesentliche gemeinsame Ziele und

Verantwortlichkeiten festlegt, denn die Geschäftsmodellinnovation ist keine individuelle,

sondern eine kollektive organisationale Kompetenz. Die Erkenntnisse zum

Führungsverhalten des Managementteams lassen sich zu folgender These verdichten:

These 5d: Das Managementteam kann zum Erfolg der

Geschäftsmodellinnovation beitragen, indem es die kontinuierliche

Beschäftigung mit dem eigenen Geschäftsmodell aktiv fordert, fördert,

koordiniert, gegebenenfalls schützt und die dazu notwendigen Fähigkeiten

gezielt weiterentwickelt.

776 vgl. Tushman, M. L. und O'Reilly, C. (2002) 777 vgl. Laurie, D. L., et al. (2006) 778 vgl. Doz, Y. L. und Kosonen, M. (2010)

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294 Erfolgskritische Praktiken und Prozesse

TEIL V: SCHLUSSBETRACHTU�G U�D AUSBLICK

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, zu einem besseren Verständnis des Phänomens der

Geschäftsmodellinnovation beizutragen. Die nun folgenden Ausführungen sollen dazu

dienen, die Kernaussagen der Arbeit zusammenzufassen und mögliche Ansatzpunkte für

zukünftige Forschung zu definieren.

Vor dem Hintergrund einer sich immer schneller verändernden Welt, in der Unternehmen

dazu gezwungen sind, sich anzupassen, bisweilen sich sogar neu zu erfinden, um zu

überleben, rückt die Kompetenz zur erfolgreichen Realisierung von

Geschäftsmodellinnovationen in den Vordergrund.

Vor diesem Hintergrund hat es sich die vorliegende Arbeit zum Ziel gesetzt, etwas mehr

Licht in das aus Sicht der empirischen Managementforschung noch recht dunkle

Forschungsfeld der Geschäftsmodellinnovation zu bringen, indem die zentralen

Herausforderungen identifiziert sowie die Möglichkeiten und Grenzen der

Geschäftsmodellinnovation aufgezeigt werden.

Zu diesen Zweck baut das beschriebene Modell auf der aktuellen Literatur im Feld der

Organisationsforschung und des strategischen Managements auf, die das Unternehmen als

ein System aus Ressourcen, Fähigkeiten und Aktivitäten versteht, das einer bestimmten

inneren Logik folgend auf Wettbewerbsvorteile, Kundennutzen und Unternehmenserfolg

abzielt.779 Das Geschäftsmodell eines Unternehmens ist die zentrale Logik, wie eine

Organisation Ressourcen und Fähigkeiten kombiniert, um kontinuierlich die

grundlegenden Aufgaben und Aktivitäten der Organisation zu steuern und zu erfüllen.

Weiters wird davon ausgegangen, dass es die Kombination der Ressourcen und

Fähigkeiten ist, die es der Organisation ermöglicht, einzigartigen Wert zu schaffen, und

folglich einen Wettbewerbsvorteil gewährt.780

Wenngleich veränderte Rahmenbedingungen und der dynamisierte Wettbewerb nicht

jedes Unternehmen gleich hart treffen, muss jedes Unternehmen wachsam sein, laufend

den internen und externen Fit seiner Entscheidungen und Aktivitäten zu überprüfen und

gegebenenfalls anzupassen. Dazu empfiehlt sich das Geschäftsmodell als neue, holistische

Analyseeinheit, die eine integrierte Betrachtung der internen wertschöpfenden Aktivitäten

eines Unternehmens und die externe Positionierung seines Leistungsangebots gegenüber

Kunden und Mitbewerbern erlaubt, denn um langfristig erfolgreich im Wettbewerb

779 vgl. Levinthal, D. A. (1997), Porter, M. E. und Siggelkow, N. (2008) 780 vgl. Zott, C. und Amit, R. (2010)

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Implikationen für die Praxis 295

bestehen zu können, muss die Kombination der Ressourcen und Fähigkeiten stets an den

Bedingungen des Markts ausgerichtet werden und es müssen sowohl eine entsprechende

interne Konsistenz und ein externer Fit des Geschäftsmodells gegeben sein.781

Um diesen Fit laufend zu überprüfen und zu verbessern, sind sogenannte Metafähigkeiten

notwendig, die den Prozess der Modifikation und Konfiguration der Ressourcen,

Fähigkeiten und Aktivitäten leiten und somit den Bauplan für das neue Geschäftsmodell

liefern.

Die Geschäftsmodellinnovation wurde in dieser Arbeit als eine dynamische, da erlernbare

Metafähigkeit einer Organisation angenommen, die den Prozess der Kombination und

Integration von Ressourcen und Fähigkeiten steuert. Ziel ist es, Geschäftschancen zu

nutzen und neue Geschäftsideen zu realisieren, die im Vergleich zur bisherigen Logik

gegenüber Mitbewerbern Wettbewerbsvorteile bieten.

Im Rahmen dieser Arbeit wurde das Phänomen Geschäftsmodellinnovation auf der

Mikroebene einzelner Innovationsprojekte untersucht, um die Forschung hinsichtlich der

Mikropraxis der Geschäftsmodellinnovation voranzutreiben. Durch die Identifikation

erfolgsrelevanter Praktiken wurden der Praxis konkrete Hilfestellungen und

Gestaltungsempfehlungen zur erfolgreichen Realisierung von

Geschäftsmodellinnovationen angeboten.

20 Implikationen für die Praxis

Die vorliegende Arbeit untersuchte das Phänomen der Geschäftsmodellinnovation in

Großunternehmen anhand von drei Fallstudien aus der Versicherungswirtschaft. Aufgrund

der perspektivenreichen, aber inkonsistenten Literatur zu Geschäftsmodellen galt es

zunächst, einen geeigneten Bezugsrahmen zu entwickeln und das Konstrukt der

Geschäftsmodellinnovation zu systematisieren.

Den Kern dieser Arbeit bildete jedoch die empirische Untersuchung. Die im Rahmen der

Arbeit entwickelten Hypothesen zur erfolgreichen Gestaltung und Realisierung von

Geschäftsmodellinnovationen basieren auf den Ergebnissen der explorativen

Untersuchung mehrerer Innovationsprojekte im Geschäftsfeld der privaten

Kraftfahrzeugversicherung eines großen Versicherungsunternehmens in Deutschland.

Durch das induktive Forschungsdesign und die detaillierte empirische Untersuchung des

781 vgl. Siggelkow, N. (2002)

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296 Implikationen für die Praxis

Prozesses der Geschäftsmodellinnovation vor Ort gelang es, verschiedene Handlungs- und

Gestaltungsempfehlungen abzuleiten, indem relevante Fähigkeiten und Routinen

identifiziert, analysiert und bewertet wurden.

Besonderes Augenmerk wurde auf die operative Realisierung von

Geschäftsmodellinnovationen gelegt, da es in der Praxis immer wieder vorkommt, dass

gute Geschäftsideen aufgrund mangelhafter Umsetzung nicht operativ wirksam werden.

Dadurch konnte ein Beitrag zur Verbesserung der Strategieprozesse und zur Realisierung

intendierter Geschäftsideen bzw. -strategien geleistet werden, denn Unternehmer und

Manager sind gefordert, die Strategie und Organisation wandlungsfähig zu halten und

Innovation zu fördern. Die Gestaltung, Realisierung und Veränderung der

Wertschöpfungsarchitektur, die Positionierung des eigenen Leistungsangebots gegenüber

anderen Marktteilnehmern und die Suche nach strategischen Erfolgspositionen782 bzw.

strategischen Wettbewerbsvorteilen783 wird dabei als fortlaufender strategischer

Managementprozess verstanden.784

Aufgrund der Komplexität dieses Prozesses und der starken Vernetzung zwischen den

einzelnen Teilsystemen des Geschäftsmodells können die praktischen Empfehlungen zum

Management dieses Prozesses nicht auf eine kurze Checkliste reduziert werden. Obwohl

die Erkenntnisse dieser Arbeit kein genaues Rezept darstellen, enthalten sie praktische

Empfehlungen, wie Manager den Innovationsprozess gestalten sowie die organisationale

Kompetenz zur erfolgreichen Geschäftsmodellinnovation erlernen und weiterentwickeln

können.

Wenn die Fallstudien eines zeigten, dann dass es großer Anstrengungen bedarf, um

innovative Geschäftsmodelle auf den Weg zu bringen. Dabei gilt es, interne Widerstände

und Unwegsamkeiten zu überwinden und niemals das Ziel aus den Augen zu verlieren.

Den gesamten Prozess erfolgreich zu durchlaufen, verlangt dem Management viel ab:

Offenheit gegenüber neuen Ideen, die aufmerksame Beobachtung des Marktumfelds,

Kreativität, Einsatzbereitschaft und Lernbereitschaft sind genauso wichtig wie neue Ideen

aktiv zu fordern, zu fördern, ihren Ressourcenbedarf zu koordinieren, sie vor internen

Widerständen zu beschützen und die organisationalen Fähigkeiten des Unternehmens

weiterzuentwickeln. Es gilt die in den Kapiteln 19.1 bis 19.5 beschriebenen Techniken in

der Organisation zu implementieren bzw. zu erlernen und miteinander zu verknüpfen.

Darüber hinaus muss das Management für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen, 782 vgl. Pümpin, C. (1992) 783 vgl. Porter, M. E. (1985), Barney, J. B. (1991), Barney, J. B. und Zajac, E. J. (1994), Stabell, C. B. und

Fjeldstad, O. D. (1998) 784 vgl. Doz, Y. L. und Prahalad, C. K. (1987), Chakravarthy, B. S. und Doz, Y. L. (1992)

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Implikationen für die Praxis 297

damit kreative Geschäftsideen und Marktchancen identifiziert und realisiert werden

können.

Es gilt, die Organisation wandlungsfähig zu gestalten und die Innovationskraft zu stärken.

Genauer gesagt muss das Unternehmen fähig und bereit sein, kreative Zerstörung

zuzulassen und wenn nötig althergebrachte Einstellungen, Praktiken und Strukturen

niederzureißen, um Raum für neue Ideen, Fähigkeiten und Geschäftsmodelle zu schaffen.

Die Weiterentwicklung immaterieller Assets, d. h. des Wissens und Know-how des

Unternehmens, steht dabei ganz oben auf der Agenda, denn es lohnt sich auf jeden Fall, in

den Aufbau und die Weiterentwicklung der organisationalen Kompetenz zur erfolgreichen

Realisierung einer Geschäftsmodellinnovation zu investieren. Wie die Analyse der

erfolgreicheren Projekte dieser empirischen Studie gezeigt hat, kommt es auf den

Entwicklungsstand der dynamischen Fähigkeiten an, um sich erfolgreich den

Erfordernissen des Umfelds anzupassen und Bedrohungen in Chancen zu verwandeln.

Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Literatur, die vor allem den CEO in die Pflicht

nimmt und als obersten Innovator sieht785, weisen die empirischen Erkenntnisse dieser

Arbeit auf die Bedeutung des mittleren Managements als Motor der Veränderung hin. Die

Geschäftsmodellinnovation ist nicht nur als top-down geplanter, sondern auch bottom-up

induzierter emergenter Prozess zu verstehen. Während der CEO die Innovationsarbeit

fordern und fördern kann, muss die Realisierung auf der Ebene des mittleren

Managements bzw. einzelner Geschäftseinheiten erfolgen. Hier muss die entsprechende

Kompetenz aufgebaut werden.

Folglich ist der Prozess der Geschäftsmodellinnovation, d. h. die Kompetenz zur

Realisierung neuer Geschäftsideen in Form innovativer Geschäftsmodelle, als ein Teil des

strategischen Entwicklungsprozesses und somit auch als ein neuer, aber zunehmend

relevanter Teilbereich der Strategieprozessforschung zu verstehen, der auf der

Mikroebene einzelner Geschäftsbereiche abläuft und sich mit der betrieblichen Praxis der

Realisierung strategischer Innovation befasst.786

Schließlich handelt es sich dabei um Themen, die in der einschlägigen Prozessliteratur

schon länger diskutiert werden und als wichtige Bezugspunkte und Einflussfaktoren im

Prozess strategischer Entscheidungsfindung gelten.787 Taxativ seien an dieser Stelle einige

Fragestellungen genannt, die in der Praxis der Beschäftigung mit dem eigenen

785 vgl. Greiner, L. und Bhambri, A. (1989), Westphal, J. D. und Fredrickson, J. W. (2001), Kagermann, H.

und Österle, H. (2006) 786 vgl. Whittington, R. (1996), Chakravarthy, B. und White, R. E. (2001), Johnson, G., et al. (2003) 787 vgl. Schreyögg, G. (1984), S. 157ff.

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298 Ansatzpunkte für zukünftige Forschung

Geschäftsmodell von besonderer Bedeutung sind und die wesentlichen Erkenntnisse des

letzten Kapitels nochmals zusammenfassend wiedergeben:

1. Art und Abfolge der Vorgehensweise durch die Wahl eines Prozessmodells

2. Veränderungsbereitschaft und Lernfähigkeit

3. Zusammensetzung und Dynamik der wirkenden Akteure

4. Perzeption und Interpretation neuer und vorhandener Informationen

5. Wahrnehmung und Umgang mit Unsicherheit

6. Definition und Detaillierungsgrad des Geschäftsmodells

7. Rechtfertigung und Legitimation der Entscheidungen

8. Interessenlage und Konfliktverhalten der Akteure

9. Intra- und interorganisationales Interaktionsverhalten

10. Organisationsstruktur und Zugang zu Ressourcen

Gleichzeitig hat diese Aufzählung auch den Charakter eines Bezugs- und

Gestaltungsrahmens strategischer Innovationsprozesse und zeigt mögliche Ansatzpunkte

zur Variation, Steuerung und Kontrolle der Vorgehensweise sowie Handlungsoptionen

und Kontextbedingungen im Innovationsprozess auf.

Schlussendlich sollten sich Unternehmen durch die Empfehlungen in dieser Arbeit

gefordert fühlen, ihre eigenen Geschäftsmodelle zu überdenken, zumal es in ebengleicher

Weise gerade die innovativen und erfolgreichen Ansätze der Praxis sind, die die zentralen

Herausforderungen für die zukünftige Strategie- und Managementforschung definieren.

21 Ansatzpunkte für zukünftige Forschung

Der Themenkomplex der Geschäftsmodellinnovation ist aus Sicht des strategischen

Managements noch immer Neuland. Diese Arbeit versteht sich nicht als finale Erklärung

dieses Phänomens, sondern als beherzter Versuch, das Forschungsfeld für weitere

konzeptionelle Forschungen zugänglich zu machen bzw. den Grundstein für

weiterführende und vertiefende qualitative, vor allem aber auch quantitative

Forschungsvorhaben zu legen.

Offene Fragestellungen sind nach wie vor reichlich vorhanden. Deshalb ergeben sich in

verschiedener Hinsicht Ansatzpunkte für weiterführende Arbeiten. Damit das Thema

Geschäftsmodellinnovation für die Praxis und Forschung möglichst ganzheitlich

erschlossen wird, sind verschiedene Stoßrichtungen sinnvoll. Um zukünftigen

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Ansatzpunkte für zukünftige Forschung 299

Forschungsprojekten Orientierung zu geben, seien nachstehend einige aus meiner Sicht

besonders interessante Fragestellungen kurz angerissen.

Erste Ansatzpunkte ergeben sich aufgrund des gewählten Forschungsdesigns. Wenngleich

das Forschungsprojekt durch den Ansatz der Fallstudienforschung bzw. die speziellen

Anweisungen der Grounded Theory eng mit der betrieblichen Praxis und den

tatsächlichen Abläufen in Unternehmen vernetzt ist und die gesammelten Daten reich an

Informationsgehalt sind, der die situative, praktische Realität widerspiegelt, können die

Anweisungen nicht ohne Weiteres auf andere Unternehmen oder Problemstellungen

übertragen werden, da sie sich explizit auf die untersuchte Branchen- und

Unternehmenssituation beziehen. Der gewählte Betrachtungsausschnitt der empirischen

Untersuchung auf dem deutschen Kraftversicherungsmarkt bzw. die Fallstudien aus dem

Hause ASSEKURANZ erlaubt keine allgemeine Anwendbarkeit des beschriebenen

Prozesses der Geschäftsmodellinnovation.

Zwar wurde das Forschungsvorhaben bewusst breiter angelegt, indem mehrere Fallstudien

durchgeführt wurden, um unterschiedliche Vorgehensweisen und Lösungsansätze in

verschiedenen Situationen zu erfassen – denn erst so war es möglich, Aussagen

hinsichtlich des Erfolgs spezieller Vorgehensweisen und Praktiken zu treffen und ein

Modell zu entwickeln, das die zentralen Phasen, Problemstellungen und Entscheidungen

der Geschäftsmodellinnovation erfasst sowie geeignet ist, situative Gestaltungsansätze

aufzuzeigen –, jedoch ergeben sich durch dieses Untersuchungsdesign auch Nachteile. So

sind die Aussagen sehr situativ ausgerichtet, wodurch der Geltungsbereich der Aussagen

begrenzt ist.

Ein Ansatzpunkt für die zukünftige Forschung ist daher die situative Relativierung der

Forschungsergebnisse. Dazu erscheint es sinnvoll, das Phänomen der

Geschäftsmodellinnovation im Kontext anderer Branchen und Unternehmenssituationen

zu erforschen.

Folgende Branchen könnten sich nach heutigem Wissensstand und vor dem Hintergrund

der bisherigen Erkenntnisse für weitere Forschungsvorhaben als besonders ergiebig

erweisen:

1. Die Luftfahrtindustrie, da in dieser Branche in den letzten Jahren ein starker

Trend zu neuen, innovativen Geschäftsmodellen und eine deutliche

Wertverschiebung von den traditionellen Anbietern hin zum dynamisch

wachsenden Segment der Low-Cost- und No-Frill-Airlines zu verzeichnen

waren

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300 Ansatzpunkte für zukünftige Forschung

2. Die Automobilbranche, da wie in Kapitel 15.2 beschrieben die aktuelle

Wettbewerbssituation die Restrukturierung der Vertragshändlernetze erzwingt

und neue Anbieter wie Mehrmarkenhändler (Megadealer) und Fast-Fit-Ketten

neu in den Markt eintreten

3. Die Musik- und Medienbranche, da neue Technologien wie P2P-Netze

(Napster), das MP3-Format und neue Geschäftskonzepte wie Apples iPod bzw.

der iTunes-Musikstore die Spielregeln der gesamten Branche neu bestimmt

haben

Ferner sind die Ergebnisse dieser Arbeit sowohl aufgrund der frühen Phase des

Erkenntnisstands zum Thema Geschäftsmodellinnovation als auch der gewählten

Methodologie als vorläufige Hypothesen zu interpretieren. Um gesicherte Erkenntnisse

über die getroffenen Annahmen und Empfehlungen zu gewinnen, sind weiterführende

empirische Studien notwendig. Ein weiterer Ansatzpunkt für die zukünftige Forschung

sind daher quantitative Untersuchungen, die mithilfe statistischer Methoden nähere

Erkenntnisse über den Einfluss und die Relevanz einzelner Faktoren im Prozess der

Geschäftsmodellinnovation liefern könnten. Mit der Entwicklung und Konkretisierung

einzelner Kategorien und Dimensionen bzw. Hypothesen hinsichtlich möglicher

Wirkungszusammenhänge zwischen einzelnen Dimensionen wurde für derartige Arbeiten

bereits Vorarbeit geleistet. So ist es im nächsten Schritt nun möglich, die Ausprägungen

der einzelnen Dimensionen empirisch zu erfassen und ihre praktische Relevanz zu

überprüfen.

Neben den formalen Ansatzpunkten aufgrund des gewählten Forschungsdesigns ergeben

sich auch praktische Fragestellungen, die Gegenstand zukünftiger Forschung sein

könnten, denn diese Arbeit kann keineswegs den Anspruch erheben, alle Fragen, die sich

im Zusammenhang mit Geschäftsmodellinnovationen ergeben, allumfassend beantwortet

zu haben.

Wie in Kapitel 8.2 ausgeführt wurde, bietet das Geschäftsmodell mehrere Ansatzpunkte

für Innovationen. So wurden etwa Fragen der Wert-788 und architektonischen

Innovation789 in der Literatur bereits genauer beleuchtet. Vergleichsweise dünn sind

dagegen die Erkenntnisse hinsichtlich der Ertragsmodellinnovation. Zwar konnte in dieser

Arbeit gezeigt werden, welche Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Elementen des

Geschäftsmodells bestehen bzw. dass die Dimensionen des Ertragsmodells

788 vgl. Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1997), Kim, C. W. und Mauborgne, R. (1999), Kim, C. W. und

Mauborgne, R. (2005) 789 vgl. Henderson, R. und Clark, G. (1990), Galunic, D. C. und Eisenhardt, K. M. (2001)

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Ansatzpunkte für zukünftige Forschung 301

(Kostenstruktur und Erträge) wesentlich von der Value Proposition und der Architektur

der Wertschöpfungsaktivitäten bestimmt werden. Diese Zusammenhänge sollten aber

genauer untersucht und es sollte hinterfragt werden, welche Möglichkeiten sich dadurch

für die Neugestaltung des Ertragsmechanismus ableiten lassen.

Mehrfach wurde in der Arbeit der Konflikt zwischen einzelnen Vertriebswegen respektive

rivalisierenden Geschäftsmodellen thematisiert. Wie gezeigt wurde, kann es in großen,

multidivisionalen Unternehmen durchaus vorkommen, dass einzelne Geschäftsfelder bzw.

Marktsegmente über verschiedene Kanäle respektive Geschäftsmodelle bedient werden.

Besonders problematisch erscheint diese Dualität dann, wenn das Unternehmen

gleichzeitig eine Qualitäts- und Diskontschiene unterhält. Obwohl dieses Thema bereits

von Markides und Charitou (2004) diskutiert und die Strategie einer Phased Integration

empfohlen wurde, stellt sich die Frage, wie eine solche Integration zu bewerkstelligen ist

und welche Probleme und Widerstände hier zu überwinden sind.

Eine weitere daran anschließende Frage ist, wie die großen, multidivisionalen

Unternehmen die verschiedenen Geschäftsmodelle im Sinne einer Portfoliobetrachtung

managen, damit das Corporate Business Model mehr ist als nur die Summe seiner Teile.

In diesem Zusammenhang wäre es interessant, die Forschungsgebiete der Corporate

Strategy mit der Geschäftsmodellforschung zu verknüpfen. Mögliche Forschungsfragen

stellen sich zum Beispiel hinsichtlich der erfolgreichen Integration der

Aktivitätensysteme, der internen Kooperation, der Teilung von Ressourcen, des Transfers

von Wissen, der Koordination der einzelnen Teilsysteme oder der Nutzung von Synergien

zwischen Geschäftsmodellen.

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302 Anhang

A�HA�G

22 Fragenkatalog

Im Rahmen des Gesprächs möchte ich mit Ihnen einige der nachstehenden Fragen

diskutieren und Sie um Ihre Erfahrung und persönliche Meinung bitten. Unsere Befragung

folgt dabei einem explorativen Forschungsdesign, wodurch sich der Ablauf der Interviews

flexibel am Verlauf des Gesprächs orientiert und nicht alle Fragen beantwortet werden

müssen. Das Interview selbst wird etwa 1-2 Stunden Ihrer Zeit in Anspruch nehmen.

Zur Person des Interviewpartners (Wer?)

1 Darf ich Sie bitten, mir kurz Ihren Werdegang und Ihre damalige und heutige

Position zu beschreiben?

2 In welcher Funktion waren Sie am Projekt beteiligt und wie ist es dazu

gekommen?

Motivation und Zielsetzung des Projektes (Warum?)

3 Durch wen wurde das Projekt initiiert und wer waren die wesentlichen

Unterstützer? (Vorgeschichte, Auftraggeber, Sponsor, Kritiker)

4 Wie lautete der Projektauftrag und welche Ziele wurden verfolgt? (Wachstum,

Effizienz, Kundenorientierung, Nutzung neuer Technologien, Problemlösung)

5 Gab es darüber hinaus übergeordnete Ziele, Gründe, Problemstellungen oder

einen bestimmten Anlassfall (intern oder im Umfeld des Unternehmen) für die

Initiierung des Projekts?

Projektorganisation und –verlauf (Wie?)

6 Könnten Sie mir bitte die Projektorganisation (Sponsor, Projektleiter,

Mitarbeiter) beschreiben?

7 Wie wurde das Projektteam zusammengestellt (Kriterien/Ablauf)?

Wurde darüber hinaus mit externen oder internen Partner zusammengearbeitet

(Gründe dafür/Schnittstellen)?

8 Beschreiben Sie mir bitte den weiteren Ablauf im Projekt. Wurde dabei eine

bestimmte (strukturierte/unstrukturierte) Vorgehensweise gewählt?

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Anhang 303

9 Welche Studien/Analysen (Kunde/Markt/Technologie) wurden durchgeführt?

Welche Pläne und Konzepte (Inhalt, Arbeitsteilung, Diskussion) wurden

erarbeitet? Gab es einen Prototyp?

10 Können Sie mir bitte die Arbeitsweise (Kultur) im Projektteam beschreiben? Wie

würden Sie die Arbeitsweise und den Prozess (kreativ/formal) charakterisieren?

11 Wie verlief die Entwicklung der Geschäftsidee? Welche Kunden/Marktsegmente

wurden anvisiert? Wie lautete die Value Proposition? Gab es Änderungen zum

ursprünglichen Konzept?

12 Wie und an wen (Sponsoren, Gremien) wurden die Ergebnisse/Konzepte

kommuniziert?

13 Wie sah die Reaktion der Entscheidungsträger aus? Welche Kriterien/ Faktoren

bestimmten schlussendlich den Ausgang der Entscheidung?

14 Wurde das Projekt eher als Chance oder Gefahr gesehen? Was motivierte die

Befürworter/Gegner?

Umsetzungsphase bis zur Markteinführung

15 Gab es nach der Entscheidung Änderungen in der Projektorganisation? Aus wie

vielen Personen bestand das Umsetzungsteam bzw. waren insgesamt beteiligt?

16 Welches organisatorische Setup (Separation/Integration) sah der Umsetzungsplan

(gab es einen solchen?) vor? Was waren die Gründe dafür?

17 Können Sie mir bitte den weiteren Projektverlauf (Zeitplan/wichtige

Meilensteine) und die wesentlichsten Umsetzungsschritte kurz beschreiben?

18 Wie verlief die technische Umsetzung des Projektes? Gab es Änderungen?

19 Mussten Schnittstellen zu bestehenden Systemen oder Partnern geschaffen

werden? Was waren die wesentlichsten Geschäftsprozesse?

20 Waren die benötigten Ressourcen und Fähigkeiten in ausreichendem Maße

vorhanden? Gab es Engpässe? Wie wurde darauf reagiert? Wurden einzelne

Fähigkeiten erst neu erlernt?

21 Wie war die Stimmung im Umsetzungsteam? Entwickelte sich im Laufe der Zeit

eine eigene Projekt-/Organisationskultur? Gab es Probleme und wie reagierte das

Projektmanagements darauf?

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304 Anhang

Weitere Entwicklungsschritte

22 Konnte die Geschäftsidee vollständig realisiert werden und hat sie sich in der

Zwischenzeit im Unternehmen etabliert (Institutionalisierung)?

23 Welche Anpassungen/Erweiterungen gab es seit dem Launch? Sind noch weitere

Schritte (Änderungen/Erweiterungen) geplant?

24 Was waren aus Ihrer Sicht die wesentlichen Erkenntnisse und Lehren aus dem

Projekt? Haben sich daraus neue Geschäftsideen bzw. Projekte ergeben?

Erfolgsbeurteilung

25 Wie beurteilen Sie den Erfolg des Projektes (Projekt- / Markterfolg / KPIs)?

26 Was waren für Sie die wesentlichen Faktoren für den Erfolg / Misserfolg?

Erfolgsbeurteilung

Markterfolg

Akzeptanz und Kundennutzen

Geschäftserfolg

Wachstum

Ertrag

schlechter besser

als erwartet als erwartet

1 2 3 4 5

1 2 3 4 5

1 2 3 4 5

Vielen Dank für das Interview!

Alle erhobenen spezifischen Informationen werden selbstverständlich vertraulich

behandelt und werden nicht an Dritte weitergegeben. Die Daten werden aber zu

Forschungszwecken verwendet. Dadurch können Daten in aggregierter und

anonymisierter Form auch veröffentlicht werden.

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Anhang 305

23 Interviewpartner

Thema des Gesprächs Interviewpartner

Abteilung/Organisation

Gesprächsdatum

und Dauer

1 SK1 Strategischer Kontext

Abteilungsleiter

Unternehmensentwicklung

23.5.2005 (1h)

2 SK2 Strategischer Kontext

Mitarbeiter

Unternehmensentwicklung

23.5.2005 (1,5h)

3 SK3 Strategischer Kontext

Bereichsleiter

Privat Kraft

24.7.2007 (1,5h)

4 SK4 Strategischer Kontext

Fachbereichsleiter

Betriebsorganisation

24.7.2007 (1h)

5 ST1 Strategieprojekt

Abteilungsleiter

Betriebsorganisation

25.7.2007 (1h)

6 ST2 Strategieprojekt

Projektmitarbeiter

Privat Kraft Betrieb 2

21.8.2007 (2h)

7 ST3 Strategieprojekt

Vorstandsassistent

Ressort Privat

9.10.2007 (1,5h)

8 FA1 Fallstudie 1

Vorstand

Direkt-Versicherung

25.7.2007 (1,5h)

9 FA2 Fallstudie 1

Abteilungsleiter

Marketing und Vertrieb

21.08.2007 (2h)

10 FA3 Fallstudie 1

Projektleiter

Kfz Privat Betrieb 2

20.8.2007 (1,5h)

11 FA4 Fallstudie 1

Projektmitarbeiter

Vertrieb

8.11.2007 (1h)

12 FA5 Fallstudie 1

Abteilungsleiter

Finanzen und Controlling

26.2.2008 (1h)

13 FA6 Fallstudie 1 Projektmitarbeiter

IT

26.2.2008 (1h)

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306 Anhang

14 FB1 Fallstudie 2

Geschäftsführer

Gebrauchtwagen-Markt

28.9.2007 (1,5h)

15 FB2 Fallstudie 2

Geschäftsführer

Gebrauchtwagen-Markt

28.9.2007 (1,5h)

16 FB3 Fallstudie 2

Projektmitarbeiter

Privat Kraft Betrieb

9.10.2007 (1h)

17 FB4 Fallstudie 2

Fachbereichsleiter

Privat Kraft

29.11.2007 (1h)

18 FB5 Fallstudie 2 Projektleiter

Gebrauchtwagen-Markt

29.11.2007 (1h)

19 FC1 Fallstudie 3

Abteilungsleiter

Vertrieb

9.10.2007 (2h)

20 FC2 Fallstudie 3

Abteilungsleiter

Privat Kraft Betrieb 1

29.11.2007 (2h)

21 FC3 Fallstudie 3

Projektleiter

Betriebsorganisation

21.8.2007 (1,5h)

22 FC4 Fallstudie 3

Projektmitarbeiter

Privat Kraft Betrieb 2

21.8.2007 (2h)

23 FC5 Fallstudie 3 Projektmitarbeiter

IT

26.2.2008 (1h)

24 EX1 Fallstudie 3

Geschäftsführer

Kooperationspartner

18.3.2008 (1,5h)

25 EX2 Strategieprojekt

Universitätsprofessor 25.9.2007 (1,5h)

26 EX3 Geschäftsmodellierung

Unternehmensbereater 18.1.2008 (1,5h)

27 EX4 Geschäftsmodellierung Unternehmensberater

18.1.2008 (2h)

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Lebenslauf 337

LEBE�SLAUF

Andreas �emeth

Geburtsdatum: 12. November 1978 in Wien

Nationalität: Österreicher

Ausbildung:

2004 - 2010 Universität St. Gallen (HSG)

Doktoratsstudium (Dr. oec.)

2002 - 2002 Danubia Sommeruniversität in CEE

1997 - 2003 Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien)

Studium der Betriebswirtschaftslehre (Mag. rer. soc. oec.)

1989 - 1997 Bundesgymnasium Perchtoldsdorf

1985 - 1989 Volksschule Institut St. Christiana, Wien-Rodaun

Berufliche Tätigkeit:

2011 - UNIQA Versicherungen-AG

Bereichsleiter Group Planning & Controlling

2002 - 2010 Allianz-Elementar Versicherungs-AG

seit 2008 Bereichsleiter Vertriebscontrolling

seit 2005 Gebietsleiter Weinviertel

2002 - 2004 Assistent des Vorstandes

2000 - 2002 Erste Bank Gruppe

Produktmanager

1999 - 2000 CAIB Investment Bank AG

1999 - 1999 NCR Central & Eastern Europe

1998 - 1999 Netway Internet Services AG

1997 - 1998 NCR Central & Eastern Europe