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GEORG BASELITZ DAMALS, DAZWISCHEN UND HEUTE

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G eo r G Bas e l i tzDa m a ls, Da z w i s c h e n u n D h e u t e

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Herausgegeben von Ulrich Wilmes

Mit Beiträgen von Georg Baselitz, Eric Darragon, Okwui Enwezor, Michael Semff, Katy Siegel und Ulrich Wilmes

GeorG BaselitzDamals, Dazwischen unD heute

PrEStEl    München · London · New York

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inhalt

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Okwui Enwezor

Vorwort

Georg Baselitz im Gespräch mit Okwui Enwezor

Ulrich Wilmes

tiefe dunkle Zeit

Katy Siegel

Doppelt positiv.

Nicht dafür, nicht dagegen, nicht nein – Georg Baselitz

Eric Darragon

Avanti passato!

Schwarze Skulpturen, Erinnerung, Hintergrundgeschichten

Michael Semff

Die dunkle Seite.

Gedanken zu neuen Gemälden von Georg Baselitz

Georg Baselitz

Damals, dazwischen und heute

Anhang

Werkliste

Biografie

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seit einigen Jahren widmet sich das Haus der Kunst einem ganz besonde-

ren Ausstellungsformat, das einen einzelnen Aspekt im Werk eines Künst-

lers untersucht, der bislang vielleicht übersehen wurde, wenig Beachtung fand

oder noch nicht umfassend erforscht worden ist. Wichtige Beispiele dieser Reihe

sind die Ausstellungen zu Robert Rauschenberg – Travelling ’70 –’76 (2008), mit

einem Schwerpunkt auf selten gezeigte Serien hauptsächlich aus Pappkarton

und Stoff, die das Ergebnis seiner persönlichen Reiseerlebnisse in den 1970er-

Jahren waren –, zu Gerhard Richter – Abstrakte Bilder (2009), ausschließlich mit

abstrakten Bildern des Künstlers seit der Mitte der 1970er-Jahre, in denen er sich

mit den Bedingungen der Malerei auseinandersetzte –, sowie zu Ellsworth Kelly –

Black & White (2011 / 12), die sich auf dessen schwarz-weiße Werke konzentrierte.

Die Überblicksausstellung zum Werk von Georg Baselitz wurde kuratiert

von Dr. Ulrich Wilmes, Hauptkurator im Haus der Kunst; sie verfolgt thematische

Leitlinien, gruppiert um Figuren, Motive und Ikonografien in Baselitz’ Malerei.

Die Ausstellung bietet einen tiefen Einblick in eine fünfzigjährige Schaffens-

zeit, sie zeigt anschaulich, wie sich Themen klar und unerschütterlich durch das

Werk ziehen, und analysiert aus ganz neuen Blickwinkeln die Tradition gegen-

ständlicher Malerei, die den Kern der Arbeit eines der konsequentesten Künst-

ler unserer Zeit bildet.

Erneuerung und kritische Reflexion des eigenen Tuns waren schon immer

ein bestimmendes Element der Kunst von Georg Baselitz. In den vergangenen

zehn Jahren hat die Neuinterpretation programmatischer Gemälde – vor einem

veränderten Zeithintergrund – einen immer breiteren Raum eingenommen. In

den Remix-Bildern kommt der Künstler in einem dynamischen Prozess zurück

auf frühere Werke, wie etwa Die großen Freunde oder Fingermalerei – Adler.

Darin findet Baselitz für die Motive einen ganz anderen formalen Ansatz, der

Okwui Enwezor

Vorwort

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praktisch im Widerspruch zu den bestimmenden Merkmalen der ursprünglichen

Fassungen steht. Dem einst kraftvollen Duktus der gesättigten, opaken Farben

steht die luzide Transparenz des Farbdrippings entgegen, das die Motive zu ver-

flüssigen und in ihren Konturen aufzulösen scheint. Diese Leichtigkeit der Heran-

gehensweise befreit die Darstellung von Inhalt und Bedeutung, was dem Denken

und Schaffen des Künstlers eine zeitgenössische Seite verleiht. Damit erschei-

nen die Schwarzen Bilder, die seit Ende 2012 entstanden sind, als eine logische

Konsequenz; lag der Schwerpunkt der durchdringenden Analyse zuvor auf der

Beschäftigung mit dem eigenen Handeln, so schwingt das Pendel nun in die

andere Richtung, und es steht die Beschäftigung mit dem eigenen Dasein im

Mittelpunkt. In seiner Symbolkraft und tieferen Bedeutung scheint das Adler-

motiv – das seit den frühen 1970er-Jahren ein fester Bestandteil der Arbeiten

von Georg Baselitz ist – wie kein anderes Motiv dafür bestimmt zu sein, diesen

geheimnisvollen Prozess nachzuzeichnen.

Die Ausstellung im Haus der Kunst präsentiert diese neuen Werkreihen

neben monumentalen Bronzeskulpturen, die im selben Zeitraum entstanden

sind. Die formale und inhaltliche Erneuerung, der Baselitz sein Werk immer wie-

der unterzieht, wird rückblickend anhand von miteinander in Beziehung stehen-

den und sich ergänzenden Beispielen von 1965 bis heute gezeigt.

Es ist eine große Ehre für das Haus der Kunst, diese Ausstellung in enger

Zusammenarbeit mit Georg Baselitz durchführen zu können. Unser tief empfun-

dener und herzlicher Dank geht an den Künstler selbst für die Begeisterung und

Hingabe, mit der er in den Dialog mit uns getreten ist, sowie für die Großzügig-

keit, die seine enge Verbundenheit mit unserem Haus unterstreicht. Ein ebenso

großer Dank gilt auch Elke Baselitz , sie hat dieses Projekt ebenso in jeder Phase

inspirierend begleitet.

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o k w u i e n w e z o r V o r w o r t

Im Atelier des Künstlers ließen uns Detlev Gretenkort und Julia Westner

stets an ihrem umfassenden Wissen teilhaben und waren unverzichtbare Men-

toren des Projektteams. Ihr hochgeschätzter Rat half sehr bei der konzeptio-

nellen Planung und der Einrichtung der Ausstellung. Unser großer Dank geht

zudem an alle institutionellen und privaten Leihgeber der Werke für die Ausstel-

lung, ohne deren Bereitschaft, sich für eine gewisse Zeit von ihren Werken zu

trennen, keine Ausstellung realisiert werden könnte.

Darüber hinaus danken wir unseren Autoren Katy Siegel, Eric Darragon und

Michael Semff für ihre außerordentlich kundigen und bereichernden Beiträge,

die dieses Projekt zu einem wichtigen Teil der Forschung über das Werk von

Georg Baselitz machen.

Außerordentlich dankbar sind wir der Galerie Thaddaeus Ropac, der

Gagosian Gallery sowie White Cube, die das Werk von Georg Baselitz weltweit

vertreten und die sich nicht nur finanziell in beträchtlichem Umfang beteiligten,

sondern uns auch darin unterstützten, alle für die erfolgreiche Durchführung

der Ausstellung notwendigen Informationen zu erhalten. Namentlich danken

wir Thaddaeus Ropac, Arne Ehmann, Stefan Ratibor, Andrea Schliecker und Jay

Joplin für ihre Geduld, unseren endlosen Fluss an Fragen zu beantworten.

Darüber hinaus geht unser Dank an Prof. Roland Berger und Bangke Chen,

Ratsmitglied des Instituts für Auswärtige Angelegenheiten des Chinesischen

Volkes, die uns halfen, die Kooperation mit der Powerstation of Art in Shang-

hai und deren Direktorin Gong Yan aufzubauen. Wir wissen es sehr zu schätzen,

dass eine der herausragendsten chinesischen Einrichtungen für zeitgenössische

Kunst diese Ausstellung zeigen wird.

Den Mitarbeitern aller Abteilungen im Haus der Kunst gebührt ein beson-

derer Dank für ihren unermüdlichen Einsatz während aller Phasen der Reali-

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sie rung dieser Ausstellung. Ein herzlicher Dank geht auch an den Prestel

Verlag, insbesondere an Katharina Haderer, Gabriele Ebbecke, Cilly Klotz, Florian

Frohnholzer , Sophie Reinhardt und Leina Gonzalez für ihre äußerst professio-

nelle und angenehme Zusammenarbeit bei der Erstellung dieser hervorragenden

Publikation.

Abschließend sei einmal mehr dem Freistaat Bayern, der Schörghuber

Unternehmensgruppe sowie der Gesellschaft der Freunde Haus der Kunst für

ihr langjähriges Engagement bei der Unterstützung der Arbeit des Hauses der

Kunst gedankt.

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en w e z o r  Meinem Eindruck nach sind eigentlich alle Fragen, die ich stellen

werde, bereits ausführlich in den vielen Veröffentlichungen über Ihr Werk

und Ihre Arbeit als Künstler behandelt worden, daher möchte ich mit den jüngs-

ten Projekten und Ausstellungen beginnen. Letzten Winter gelang Ihnen das

Unglaubliche: Georg Baselitz in London. Es gab drei große Ausstellungen, die

zum einen Ihr Werk und zum anderen Ihre Interessen als Sammler thematisier-

ten. Die eine Ausstellung im British Museum, Germany divided. Baselitz and his

generation, zeigte Zeichnungen von deutschen Nachkriegskünstlern. Im Mittel-

punkt der zweiten Ausstellung, in der Royal Academy, stand Ihre Sammlung an

Druckgrafik aus der Zeit des Manierismus zusammen mit ähnlichen Bildern aus

der Sammlung der Albertina in Wien; und die dritte Ausstellung schließlich war

Farewell Bill in der Gagosian Gallery mit neuen Bildern, die Sie als Hommage an

Willem de Kooning gemalt haben. Diese unterschiedlichen Ausstellungen fan-

den große Beachtung bei der Kritik, worin sich auch deutlich die Anerkennung

Ihrer Rolle als einer der wichtigsten Künstler Ihrer Generation zeigt. Hinzu kommt

nun im Herbst eine große Gesamtschau Ihrer Bilder, zusammen mit Ihren neue-

ren monumentalen Skulpturen, im Haus der Kunst, die sowohl Ihr Schaffen der

vergangenen fünfzig Jahre als auch viele neuere Bilder zeigen wird. Es sieht ganz

danach aus, dass Sie unglaublich beschäftigt sind. Im Moment scheinen Sie nicht

aufzuhalten zu sein. Was treibt Georg Baselitz an?

Ba s e l i t z  Es kulminiert. Ich beschäftige mich zunehmend mit meiner Vergangen-

heit, denn es gibt sehr viele Ausstellungen, in denen ich feststellen muss, dass

meine Bilder schon mehr als fünfzig Jahre alt sind. Das ist teilweise erschreckend,

aber es ist gleichzeitig auch sehr irritierend, denn in den vielen Jahren ist viel

passiert. Ich dachte, in England sei ich nicht sehr bekannt, doch jetzt muss ich

GeorG Baselitz im Gesprach mit okwui enwezor

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G e o r G B a s e l i t z i m G e s p r ä c h m i t o k w u i e n w e z o r

feststellen, dass ich sehr wohl bekannt bin. Ich hatte meine erste Galerieausstel-

lung in London 1982, und meine erste Museumsausstellung in der Whitechapel

Art Gallery fand schon 1980 statt. Die Ausstellungen wurden seit dieser Zeit kon-

tinuierlich mehr, vieles habe ich dann aus den Augen verloren. Was die alte Grafik

betrifft, ist zu sagen, dass ich seit 1965 wie ein professioneller Sammler sammle,

ohne groß zu berücksichtigen, dass ich auch selbst künst lerisch arbeite. Ich bin

also jemand, der etwas haben will. Diesen Wunsch haben alle Sammler. Interes-

sant ist London hier deswegen, weil es in England zur Zeit der Renaissance kei-

nen Clair-obscur-Holzschnitt gab. Doch das nur nebenbei. Zurück zu Ihrer Frage:

Was mich umtreibt oder antreibt, ist, dass ich nach wie vor unzufrieden bin mit

dem, was ich bisher gemacht habe, und dass ich dachte, das kann es doch nicht

gewesen sein. Denn als Student bin ich ja angetreten zu einer Zeit, in der man

sagte: Die Malerei ist am Ende, das Tafelbild ist tot. Ich habe daran zwar nicht

geglaubt, doch habe ich tatsächlich in den nachfolgenden Jahren kaum Bilder

gesehen. Jetzt gibt es wieder viel Malerei, viele Bilder von der ganz jungen Gene-

ration, und ich bin immer neugierig, ob ich in diesen Bildern vorkomme, so wie

etwa de Kooning bei mir vorkommt, was er nicht mehr sehen kann, da er ja längst

tot ist. Und diese prüfende Neugier oder dieses Spiel ist für mich sehr spannend,

weil ich immer davon ausgegangen bin, dass ich etwas mache, was es nicht gibt.

Also, es gibt keine Gruppe, es gibt keinen Stil, es gibt keine Generation, so bilde

ich mir ein, in die ich hineinpassen würde. Und jetzt prüfe ich die ganze Zeit, ob

denn mein Ziel damals, die Malerei voranzubringen oder die besten politischen

Bilder malen zu wollen, ob das denn wirklich eine gute Idee war. Denn ich habe

in der Zwischenzeit immer deutlicher bemerkt, dass es dieses allgemeine Vor-

wärts, diese allgemeine Gültigkeit gar nicht gibt, dass es Subjektivität nicht gibt

usw. usw. Und jetzt merke ich, dass es dieses und jenes gibt und mich noch dazu.

Georg Baselitz, Mein well reum richt macht, 2013

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e n w e z o r  Sie decken ein ziemliches Spektrum ab. Sie bie-

ten einen Überblick, und Sie geben gleichzeitig Einblick in Ihre

Anfänge und Ihre deutliche Unzufriedenheit mit den Darstel-

lungsweisen, mit der Malerei und mit Ihrem Arbeitsprozess. Und

dieser ist sehr stark geprägt von der beständigen Suche nach

der Bedeutung von Form in Ihren Bildern. Aber ich möchte noch

einmal zurück zu den Anfängen Ihres Schaffens, vor allem da

Sie bereits über Ihre Beziehung zur zeitgenössischen Kunst

heute gesprochen haben, denn Sie sind ja ein zeitgenössischer

Künstler. Sie haben sich ganz zu Anfang Ihres Schaffens defi-

nitiv als ein zeitgenössischer Künstler positioniert, was ich als eine bewusste

Abkehr von der vorherrschenden reinen Lehre der abstrakten Kunst betrachte,

die damals in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren die internationale

Kunstwelt beherrschte. Wobei man auch sagen kann, dass Künstler wie Jasper

Johns oder Robert Rauschenberg in dieser Zeit ja ebenfalls auf ihre Weise die

abstrakte Kunst sehr stark hinterfragten. Im Rückblick auf diese Zeit, glauben Sie

weiterhin, dass eine solche Dichotomie zwischen abstrakter und gegenständ-

licher Kunst heute aufrecht erhalten werden kann, insbesondere angesichts des

Umstands, dass in der zeitgenössischen Kunst praktisch keine einzelnen Stile

mehr definiert werden können?

B a s e l i t z  Ich bin ja ausgegangen von dem, was ich vorfand. Und das, was

ich vorfand als Student, war eine große Dominanz zunächst der französischen

und dann gleich danach der amerikanischen abstrakten Malerei. Diese Dominanz

der amerikanischen Malerei war so überzeugend und traf so sehr meine Zustim-

mung, dass ich sagen musste: Ihr habt nicht nur den Krieg gewonnen, sondern

ihr habt uns total fertiggemacht, was die Kultur betrifft. Wenn ich brav gewesen

Ausstellungsplakat, Georg Baselitz: Model for a Sculpture, the White­chapel Art Gallery, london, 1980 / 81

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Die großen Freunde, 1965

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G e o r G B a s e l i t z i m G e s p r ä c h m i t o k w u i e n w e z o r

wäre, wäre ich zur Schule gegangen und sicherlich ein guter Schüler geworden.

Vor allem, weil ich dem nicht widersprochen hätte, was ich gesehen habe, ich

habe das ja alles fantastisch gefunden und war vollkommen unkritisch. Wenn

ich heute ein Bild sehe von Baziotes, wenn ich ein Bild sehe von Frankenthaler ,

von Gottlieb, von de Kooning, von Sam Francis, von Pollock usw., sage ich

bravo, bravo, das war meine Zeit. Nur, ich war eben nicht brav, ich musste etwas

anderes machen. Deshalb habe ich mich besonnen auf eine vielleicht dumme,

aber auf keinen Fall intelligente Art der Antwort und habe etwas gemacht, wovon

mein Lehrer sagte: Das ist anachronistisch, hören Sie damit auf, das geht so

nicht! Ich habe es aber gemacht und mache es bis heute so. Und heute gibt es

Referenzen und Zitate, das heißt, ich anerkenne all das, was ich gesehen habe,

indem ich es zitiere. Aber meine eigene Sache hat sich so manifestiert, dass ich

mich nicht mehr verkaufen muss.

e n w e z o r  Es ist sehr interessant, dass Sie die Kritik Ihres Lehrers an Ihrer als

anachronistisch empfundenen Malerei erwähnen, insbesondere zu einer Zeit,

da sie sich deutlich von derjenigen unterschied, die Clement Greenberg als

»Malerei auf amerikanische Art« bezeichnete, die auch international in so vie-

len Künstlerkreisen der 50er- und zumindest auch der frühen 60er-Jahre vor-

herrschte. Der deutsche Kunsthistoriker und Kunstkritiker Benjamin Buchloh

verurteilte in seinem Aufsatz »Figures of Authority, Ciphers of Regression« die

Rückkehr zur gegenständlichen Kunst in der europäischen Malerei insbeson-

dere in den 70er- und frühen 80er-Jahren. Er sah diese Rückkehr zur gegen-

ständlichen Kunst als symptomatisch für eine Rückkehr zu einer gewissen

konservativen Haltung. Sie sehen das vielleicht ganz anders, mit Blick auf den

doktrinären Konformismus der abstrakten Kunst, der für Sie die Macht Amerikas

und die weltweite Dominanz der amerikanischen Kultur ausmacht. Meine Frage

Georg Baselitz, Der Soldat, 1965

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in diesem Zusammenhang: Ist es heute im Vergleich zu damals besser mög-

lich, eine differenziertere Haltung zur Verwendung der Begriffe abstrakt und

gegenständlich in der Malerei einzunehmen? Ab wann spaltete diese Untertei-

lung in gegenständlich und abstrakt die Gemüter? Und warum war es aus Ihrer

Sicht notwendig, so lautstark zu versuchen, die abstrakte Kunst zu negieren,

ins besondere auf eine so polemische Art und Weise, wie Sie es in Ihrer ersten

Einzelausstellung getan haben, in der das für Ihre weitere Karriere so wichtige

Bild Die große Nacht im Eimer zu sehen war, und natürlich in Ihrem Zweiten Pan-

dämonischen Manifest?

B a s e l i t z  Ich glaube, das ist ein Missverständnis. Diese Art von Malerei, die

ich betrieben habe, war völlig unabhängig von dem, was man damals sonst so

sah. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, ein Modell zu benutzen, egal wel-

cher Art, ob Figur oder Landschaft, oder Stillleben, sondern ich habe alles das,

was ich gemacht habe, erfunden. Bis zur Umkehrung 1969 habe ich Bäume und

Tiere gemalt, aber das waren Monster, und erst nach der Umkehrung waren die

erkennbar, realistisch. Es gab ja einen Bruch, und dieser Bruch – ich glaube,

1910 hat der stattgefunden, von mir aus mit dem Dadaismus –, dieser Bruch,

den Sedlmayr, der Münchner Professor, mit dem Verlust der Mitte beschreibt.

Und dieser Verlust der Mitte war, dass die Welt verloren gegangen ist. Das

heißt, der moralische, ästhetische Mittelpunkt. Zum Beispiel die Antikriegs-

bilder, von Dix und anderen Deutschen, sie entstanden alle, bevor die Diskus-

sion begann, ob man abstrakt oder realistisch malen solle. Als ich in Berlin

studierte, wurde diskutiert über abstrakt und gegenständlich, über Karl Hofer

und Will Grohmann. Es ging darum, ob man, wenn man abstrakt malt, unmora-

lisch ist, oder wenn man gegenständlich malt, moralisch. Zum Glück wurde

uns der ganze gegenständliche Part im Westen abgenommen, weil der Osten

Georg Baselitz, Pandämonisches Manifest II, 1962

Ausstellungsplakat, Baselitz: Zeich­nungen und Radierungen, Staatliche Graphische Sammlung München, 1972

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G e o r G B a s e l i t z i m G e s p r ä c h m i t o k w u i e n w e z o r

gegenständlich-realistisch-sozial malte. Und von dort kam ich. Deshalb kam für

mich diese Art von Spaltung gar nicht infrage. Ich bin sozusagen in den Unter-

grund abgetaucht und habe mich beschäftigt mit Fantastik, mit Ungeheuern,

mit Träumen, mit verrückten Dingen, mit Geisteskranken-Kunst, mit Outsider-

Kunst. Das war zwar nicht angenehm, aber hat mich gut isoliert, immer im Hin-

blick darauf, dass ich Pollock den Größten fand.

e n w e z o r  Ich möchte noch einmal Buchlohs kritische Haltung aufgreifen

und die Tatsache, dass er die Rückkehr zum Gegenständlichen in den 70er-

und 80er-Jahren einer gewissen Rückkehr zu einer konservativen Haltung

zuschreibt. Und ich möchte dies vom Standpunkt Ihres radikalen Bruchs mit

der abstrakten Kunst, Ihrer bewussten Abkehr von dieser konformen Haltung

aus betrachten, die ja im Deutschland der Nachkriegszeit in den 50er- und

60er- Jahren vorherrschend war. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der

dortigen Tradition der Avantgarde zu sehen. Das Manifest und die bewusste

Abkehr wurden als Form gesehen, wie der Künstler mit einer bestimmten Rea-

lität bricht, einer Realität, in der die Beziehung zur Kultur mit einer Suche nach

neuen Formen zusammenfällt. Es scheint, dass Sie damals in Ihren Bildern nach

ganz neuen Möglichkeiten suchten. Aber während Ihre Bilder für Sie zu die-

ser bestimmten Zeit radikal waren, konnte man sie in den 60er-Jahren nicht

als Avantgarde einstufen. Haben Sie darin einen Widerspruch gesehen, dass

gegenständliche Kunst nicht Avantgarde sein kann? Und vielleicht hätten Sie

am Ende sogar fast wie ein reaktionärer Maler gewirkt als wie ein Künstler, der

die gängige Ästhetik infrage stellen will. Gehörten diese Gedanken zu jener

Denk- und Kulturwelt, die ganz allgemein Ihre eigene, ganz besondere Bezie-

hung zur zeitgenössischen Kunst in den 60er-Jahren beeinflusste, als Sie zu die-

sen neuen Ausdrucksformen fanden?

Porträt Elke I, 1969

Georg Baselitz, Waldarbeiter, 1968

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G e o r G B a s e l i t z i m G e s p r ä c h m i t o k w u i e n w e z o r

B a s e l i t z  Ich denke, dass die Kunst, die Haltung, nicht sauber ist, dass das,

was in den Köpfen von Künstlern vorgeht, zunächst mal ziemlich schmutzig,

unsauber ist, und Analysen gar nicht stattfinden. Man reagiert auf das, was man

sieht. Was ich gesehen habe, der Hauptstrom, war École de Paris und Abstrak-

ter Expressionismus aus Amerika. Da waren nicht nur die Leinwände sauber, son-

dern auch das, was drauf war, war wunderbar sauber, ohne dekorativ zu sein.

Und das Ziel dieser Kunst war die Demonstration eines besseren Lebens, ohne

jede Philosophie. Die Philosophie bezog sich nur auf das, was ein Künstler leisten

kann. Meine Beispiele, meine Helden, waren ganz anderer Art. Wenn wir akzep-

tieren, dass Schönberg der avantgardistischste Musiker der Zwanzigerjahre war,

dann müsste man eigentlich auch akzeptieren, dass er auch der avantgardis-

tischste Maler der Zwanzigerjahre war, aber das tut niemand, nur ich tue das. Es

gibt viele Beispiele dieser Art, die man nennen könnte, um diesen Widerspruch

einfach darzustellen.

e n w e z o r  Das ist sehr interessant, denn ich denke, mit der Erwähnung der

Helden gehen wir zurück zu dem, was man als die prägenden Aspekte für Ihre

Karriere betrachten könnte. Ihre erste Ausstellung in London hätte eine Muse-

umsausstellung sein können. Sie fand 1982 in der Anthony d’Offay Gallery statt.

Gezeigt wurden Gemälde von 1966 bis 1969, in denen sämtliche Elemente, die

Sie in Ihre Bilder eingeführt hatten, im Mittelpunkt standen: Figuren, Landschaf-

ten, Tiere usw. Aber Sie hatten auch einen Malstil, die sogenannten Fraktur-

Bilder, eingeführt, mit dem Sie zeigten, dass es tatsächlich noch möglich war,

innerhalb des Rahmens sehr traditioneller Medien, wie beispielsweise der Male-

rei, radikal zu sein. Spürten Sie diese fast kritiklose Übernahme der abstrakten

Kunst, nach der die Künstler Ihrer Generation strebten, um der Beschäftigung

mit jenen Themen aus dem Weg zu gehen, die für Sie im Mittelpunkt standen,

Georg Baselitz, Drei Hunde aufwärts, 1968

Georg Baselitz, Geteilter Held, 1966

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weil Sie bis fast zu den Malern zurückgingen, die gerade der deutschen Roman-

tik entsprungen zu sein schienen? Versuchten Sie in den Gemälden Helden

und Neue Typen den Finger in die Wunde zu legen, die die abstrakte Kunst in

gewisser Weise nach dem Krieg zuzudecken suchte, indem Sie sich auf einen

gewissen deutschen Archetypus rückbezogen?

B a s e l i t z  Dieser Katalog, den Sie nennen, von der Londoner Ausstellung,

ist wirklich ein wunderbares Beispiel. Man kann zunächst mal sehen, dass ich

absolut keinen Humor habe. Und wenn man genauer hinschaut, kann man

sehen, dass der Inhalt dieser Bilder formal gesehen Londoner Schule ist. Mit

dieser Londoner Schule meine ich Bacon, Freud, Auerbach, Kossoff. Und nie-

mand hat bisher bemerkt, dass es eine Korrespondenz zwischen mir und diesen

Malern gibt, vor allem haben sie selbst es nicht bemerkt. Ich habe sozusagen

eine Offerte gemacht, ich habe einen Brief geschrieben, aber keine Antwort

bekommen. Das Ganze habe ich dieses Jahr gerade wiederholt mit meiner Aus-

stellung bei Gagosian. Jetzt gibt es ja sehr, sehr positive Kritik, erstaunlicher-

weise, aber es geht nicht darüber hinaus. Außer Grüßen aus der Ferne sagt

Frank Auerbach nicht: Junge, du hast recht! Wie sollte er das auch sagen, denn

ich habe ja immer gesagt, diese Londoner Schule ist Berliner Vergangenheit.

Das ist z. B. etwas, was man analysieren müsste. Wieso setzt sich in London

nach dem Krieg Berliner Malerei fort, von jungen Leuten gemacht, die als Kinder

aus Deutschland emigriert sind? Das ist doch wirklich ein geschichtlicher Ein-

bruch in die Stringenz der Kunstgeschichte. Man sagt, Engländer seien ohne-

hin von der Anlage her konservativ, aber diese Künstler, das waren, sind keine

genuinen Engländer. Wenn sie eines sind, dann sind sie deutsch. Vermutlich

kriege ich eins auf den Kopf, wenn ich das sage, aber ich sehe es so. Diese

Künstler haben nicht teilgenommen an den Avantgarde-Rennen, sondern sie

Georg Baselitz, Der neue Typ, 1965

robert rauschenberg, Canyon, 1959

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Ulrich Wilmes

Georg BaselitzDamals, dazwischen und heute

Gebundenes Buch, Pappband, 224 Seiten, 24,0 x 30,0 cm146 farbige Abbildungen, 7 s/w AbbildungenISBN: 978-3-7913-5401-9

Prestel

Erscheinungstermin: September 2014

„Jeder Künstler muss die vorhergehenden Bilder verwerfen.“ (Georg Baselitz) › Spannende Gegenüberstellung von älteren, vom Künstler neu überarbeiteten Bildern mitArbeiten, die in jüngster Zeit entstanden sind › Feinziselierte Strukturen in dunklen Tönen bilden eine so überraschende wie faszinierendeRichtung im aktuellen Werk des Künstler Eines der prägenden Merkmale im Schaffen von Georg Baselitz (geb. 1938) ist die kritischeReflexion des eigenen Werks vor einem veränderten Zeithintergrund. In den vergangenenzehn Jahren hat diese Selbstanalyse einen breiten Raum eingenommen. Baselitz unterziehtdarin die ursprünglichen Fassungen einem erneuerten Zugriff. Dem einst kraftvollen Duktusund gesättigten Farbauftrag stellt er in den "Remix"-Bildern die luzide Transparenz einesFarbdrippings gegenüber, das die Motive nachgerade verflüssigt und zeichnerisch auflöst.Diese Leichtigkeit der Herangehensweise wirkt wie eine Befreiung der Darstellung von Inhaltund Bedeutung, die das eigene Denken und Schaffen in eine zeitgenössische Tonart überführt.Die sogenannten Schwarzen Bilder, die seit Ende 2012 entstanden sind, erscheinen als einefolgerichtige Umkehrung dieses formalen Ansatzes, welche das abseitige Wesen in Baselitz'Schaffen aufruft. Die Publikation zeigt neben den neuen Werkreihen des Künstlers auchdie parallel dazu entstandenen schwarzen Bronze-Skulpturen. Die formale und inhaltlicheErneuerung, der Baselitz sein Werk immer wieder unterzieht, wird rückschauend anhand vonexemplarischen Beispielen seit Mitte der 1960er-Jahre hergeleitet.