GEISTLICHE MUSIK KRITIK IN KÜRZE LKZ 03.04.2018 Nahezu ...

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Altmeisters Schwanen GEISTLICHE MUSIK Nahezu Londoner Verhältnisse Karfreitagskonzert mit Dvoráks „Stabat mater“ begeistert in der Ludwigsburger Stadtkirche rund 550 Zuhörer denen Konstellationen – vom So- lo über Duette bis zum Quartett, im Wechsel oder gemeinsam mit dem Chor – dem (hier lateini- schen) Text lebendige Gestalt verleiht. Ohne größere erkennba- re Anstrengung bewältigen Diana Schnürpel (Sopran), Martina Langenbucher (Alt), Timo Schna- bel (Tenor) und Philipp Meierhö- fer (Bass) ihre Partien. Insbeson- dere die sängerischen Leistungen beider Damen beeindrucken, waren doch sowohl Schnürpel als auch Langenbucher, die eher über einen Mezzosopran als eine Altstimme verfügt, kurzfristig eingesprungen. Aber auch Meierhöfers profun- der, sonorer Bass verdient Res- pekt, während Schnabels Timbre anfangs noch etwas eng geführt ist. Ein geistliches Werk persönli- cher Trauerarbeit erfordert ande- re Register als das Heldenfach ei- ner Wagner-Oper. Im Verlauf der Aufführung findet er aber immer besser in die Partie hinein. Auch und gerade, dass keiner der Solisten allzu großen Glanz verbreitet, wirkt stimmig: Wichti- ger als herausragende Spitzenko- loraturen sind t hier eine gewisse Geschlossenheit und Harmonie des Solistenensembles, bei dem weder nach oben noch nach un- ten einzelne Stimmen allzu sehr herausstechen. Tröstung und Zuversicht, her- vorgegangen aus Leid und Schmerz der Gottesmutter, ste- hen am Ende des eineinhalb- stündigen Werks, das am Karfrei- tag mit dem Läuten der Glocken erst in andächtiger Stille aus- klingt, bevor Wöhrle und seine Musikerschar den wohlverdien- ten Beifall des Publikums entge- gennehmen. VON HARRY SCHMIDT LUDWIGSBURG. Das mittelalterli- che Versgedicht „Stabat mater“ hat, beginnend mit Desprez und Palestrina in der Renaissance über Scarlatti, Haydn, Rossini, Liszt und Verdi bis hin zu zeitge- nössischen Komponisten wie Ar- vo Pärt oder Wolfgang Rihm, vie- le Tonsetzer zu Werken angeregt. Für Antonín Dvorák wurde das „Stabat mater“, das er unter dem Eindruck des Verlusts seiner drei Kinder zwischen 1876 und 1877 geschrieben hat, auch zu einer persönlichen Schlüsselstelle im Lebenslauf. Als das monumenta- le Chorwerk 1884, vier Jahre nach der Uraufführung in Prag, schließlich in der Londoner Roy- al Albert Hall vor mehr als 8000 Zuhörern aufgeführt wurde, mar- kierte das Großereignis auch Dvoráks Durchbruch als fürder- hin international bekannter, an- erkannter und gefragter Kompo- nist. Verglichen mit der seinerzeit 800-köpfigen Sängerschar mag sich die Besetzung des um den Ludwigsburger Motettenchor verstärkten Chors der Stadtkirche mit rund 70 Sängerinnen und Sängern zwar bescheiden aus- nehmen. Setzt man dies jedoch ins Verhältnis zum Publikumszu- spruch, ergibt auch die Auffüh- rung des „Stabat ma- ter“ (Op. 58) am Kar- freitag in der Lud- wigsburger Stadtkir- che ein durchaus ähnliches Bild: Fast zehnmal größer als der Chor die Anzahl der Besu- cher: Über 550 Menschen aller Altersgruppen, auch viele Fami- lien, füllen die Reihen – nahezu Ausgezeichnet einstudiert war die Aufführung von Dvoráks „Stabat mater“. Foto: Holm Wolschendorf Londoner Verhältnisse also. In- haltlich reflektieren die zehn Strophen des „Stabat mater“, je- de aus zwei Dreizeilern beste- hend, die Figur der Maria, die als Mutter mit ansehen muss, wie ihr Sohn Jesus am Kreuz stirbt. Ungekürzt übernimmt Antonín Dvorák den mittelalterlichen Wortlaut, dessen Au- torschaft nicht gesi- chert überliefert ist. Mit zehn Kantaten- sätzen folgt er zwar der äußeren Form des Gedichts, be- leuchtet in den in Länge und Be- setzung unterschiedlich gestalte- ten Teilen jedoch auch ganz ver- schiedene emotionale Gehalte: „Stabat mater Dolorosa“ – „Es stand die Mutter schmerzerfüllt“ beginnen die Männerstimmen im Piano, noch ganz zögerlich zunächst ob der erschütternden Ereignisse. Fast explosiv dann der folgen- de Ausbruch im Unisono – ein kollektiver Aufschrei, kolossal eindrücklich realisiert durch den von Fabian Wöhrle ausgezeich- net einstudierten und von den 40 Musikern des Orchesters der Stadtkirche unterstützten Chor. Bereits in der ausgedehnten Or- chestereinleitung organisiert Wöhrle die romantischen Klang- massen mit feinem Gespür für die heikle Balance zwischen Transparenz und symphonischer Verdichtung, die Dvoráks geistli- ches Werk, das über weite Stre- cken einer Art Passionsmeditati- on gleicht, auszeichnet wie ein- fordert. Kein Zweifel, dass sich seine zugewandte, überzeugende Körpersprache auf die Musiker überträgt: Mal streichelt er den böhmischen Schmelz mit dem Taktstock aus dem Streicherap- parat, mal fordert er nachdrück- lich mit der Linken Vibrato, be- vor er sich bei den Kulminations- punkten energisch aufrichtet und auf die Zehenspitzen steigt. Wie in Passionen und Oratori- en von Händel oder Bach ergänzt auch bei Dvorák ein Solisten- quartett die Chor- und Orches- terdarbietungen, das in verschie- Fast zehn Mal so viele Zuhörer wie Sänger in der Stadtkirche. Von Euphorie und Verzweiflung

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3. APRIL 201814 Kultur WWW.LKZ.DE ■■■■■■DIENSTAG

FragwürdigeRekonstruktionAndreas Fischers Fassung von Bachs„Markus-Passion“ aufgeführt.

VON DIETHOLF ZERWECK

STUTTGART. Neben den berühmtenbeiden großen Passionen von Jo-hann Sebastian Bach gibt es einedritte, die Bach mit Sicherheit amKarfreitag 1731 und 1744 aufge-führt hat, deren Musik freilichverschollen ist: von seiner „Mar-kus-Passion“ ist nur das LibrettoPicanders in zwei Drucken erhal-ten. Da man vermutet, dass Bachdazu Musik aus anderen Kantatenim Parodieverfahren zusammen-gefügt hat, gibt es seit einem hal-ben Jahrhundert Versuche, diesesWerk in seinem Geist zu rekonst-ruieren. Als Stuttgarter Erstauf-führung stellte nun am KarfreitagJörg-Hannes Hahn in der BadCannstatter Lutherkirche mitdem Bachchor Stuttgart und demMain-Barockorchester FrankfurtFassung des Kantors der Hambur-ger Katharinenkirche Andreas Fi-scher von 2016 vor. Nicht nur dieeindrucksvollen Choräle und Tur-ba-Chöre, sondern auch die Rezi-tative und Arien hat Fischer ausanderen Bachwerken übernom-men und mit dem PassionstextPicanders verknüpft. Problema-tisch scheint vor allem die Ge-samtauswahl, bei der es den An-schein hat, als wolle Fischer eineVielzahl komplexer Stücke in ei-nen verdichteten Zusammenhangstellen. Die Tücken häufiger Har-moniewechsel waren sowohl beiden Evangelisten-Rezitativen wieauch bei manchen Arien intona-torisch unüberhörbar.

Bewundernswert war, wie dervon Jörg-Hannes Hahn impuls-reich geleitete Bachchor vom Er-öffnungschor bis zum Schluss-choral mit konzertierendem Or-chester seine anspruchsvolle Auf-gabe meisterte.

Altmeisters SchwanengesangDer 90-jährige Saxofonist Lee Konitz beeindruckt bei den Theaterhaus Jazztagen

VON DIETHOLF ZERWECK

STUTTGART. Es ist ein besonderesErlebnis,als der 90-jährige Saxo-fonist Lee Konitz bei den Stutt-garter Theaterhaus Jazztagen amKarfreitag auf die Bühne kommt.„Stella by Starlight“ ist nur einerder Klassiker, die er in der fol-genden guten Stunde mit seinemaktuellen Quartett in Erinnerungrufen wird, und doch ist der Vic-tor-Young-Song von 1944 ebensowie das im selben Jahr von The-lonius Monk aus der Taufe geho-bene „Round Midnight“ eine ArtErkennungsmelodie für diesengroßen Jazzmusiker, der dannvier Jahre später beim „Birth ofthe Cool“ beteiligt war.

In Baseball-Cap, Schlabberho-sen und beigem Mantel sitzt erzwischen George Schuller amSchlagzeug und dem PianistenFlorian Weber auf dem Podium.Und Jeremy Stratton liefert amKontrabass die harmonischenLeitplanken. Es ist bewunderns-wert, wie der zwei Generationenjüngere Florian Weber auf dieminimalistischen Themenfrag-mente von Konitz eingeht, seineGedanken weiterspinnt und wi-derspiegelt.

Und Lee Konitz bläst nicht nurmit aphoristischer Klarheit insein Altsaxophon, im Scatgesangerhalten Songs wie „What’s ThisThing Called Love“ oder „Bodyand Soul“ eine berührende Pati-na.

Diese gute Stunde mit Konitzhat eine ganz eigene, unver-gleichliche Qualität, ist Schwa-nengesang und Hommage einesgroßen Künstlers an längst nurnoch in der Erinnerung lebendi-ge Zeitgenossen wie Lennie Tris-tano („317 E. 32nd Street“) undMiles Davis („Solar“).

Während vor dem Auftritt von

Musiker seiner Projekte undBands versammelt, die im flie-ßenden Wechsel als „Kartmann-Kollektiv“ auftreten. Im Duettmit Nico Hutter an der Bassklari-nette gibt die Vokalistin LisaTuyala ihre gerappten „RandomWords of Wisdom“ zum Besten,und beim Stück „Sylva (Wald)“legt sich die Sängerin SandraHartmann mit einer vom Kollek-tiv in die Länge und Breite zer-dehnten Version von „Someti-mes I Feel Like A MotherlessChild“ ins Zeug.

Da hatte das New Yorker JazzCollective mit seinem Septettdort lebender europäischer Mu-siker im T 1 doch attraktivere Fa-cetten zu bieten. Jeder Musikerwar mit einem eigenen Stück be-teiligt, jeweils eingeleitet von ei-ner originellen improvisatori-schen Einleitung.

Fünf erfolgreiche Tage

Der Schweizer Harmonika-spieler Gregoire Maret legte sei-ne silbrigen Kantilenen über dieGitarren-Riffs des Schweden La-ge Lund. Der österreichischeKontrabassist Hans Glawischnigfand zwischen dem französi-schen Perkussionisten Mino Ci-nelu und dem ungarischenSchlagzeuger Ferenc Nemeth dieharmonischen Pfade. Der Jazz-sänger Theo Bleckmann mischteelektronische Gimmicks undPerformance auf spektakuläreWeise.

Ausgeheckt hatte dieses Pro-jekt der Geiger Gregor Hübnerzusammen mit dem Theater-haus-Chef Werner Schretzmeier.Am Ende der 31. TheaterhausJazztage am gestrigen Ostermon-tag konnte Schretzmeier nachfünf abwechslungsreichen Aben-den auf ein erfolgreiches Festivalzurückblicken.

Lee Konitz bei einem Konzert 2015in Bad Mergentheim. Foto: Schorle/oh

Lee Konitz im großen Saal T 1das European New York Jazz Col-lective seine individuellen Eigen-arten pflegt, sind in den anderenRäumen des Theaterhauses ganzkonträre Jazz-Idiome am Werk.Das Julian & Roman WasserfuhrQuintett serviert klassischenHardbop mit melodiösen undrockigen Zutaten. Die beidenBrüder an Trompete und Pianoschaffen die Voraussetzungenfür eine Performance, bei der je-der Musiker genügend Zeit fürexzellente Improvisationen zurVerfügung hat: Besonders dievirtuosen Ausflüge des Saxofo-nisten Paul Heller sind rasantund atemberaubend. MarkusSchieferdecker am Bass powertnachhaltig, der SchlagzeugerOliver Rehmann gibt dazu einenfarbig variablen Beat.

Im T 3 auf der anderen Seiteder Treppe hat der PerkussionistDaniel Kartmann zum 20-jähri-gen Jubiläum seiner StuttgarterZeit – zwischen Studium, Jam-sessions und Late Night Show –ein Dutzend Musikerinnen und

GEISTLICHE MUSIK

Nahezu Londoner VerhältnisseKarfreitagskonzert mit Dvoráks „Stabat mater“ begeistert in der Ludwigsburger Stadtkirche rund 550 Zuhörer

denen Konstellationen – vom So-lo über Duette bis zum Quartett,im Wechsel oder gemeinsam mitdem Chor – dem (hier lateini-schen) Text lebendige Gestaltverleiht. Ohne größere erkennba-re Anstrengung bewältigen DianaSchnürpel (Sopran), MartinaLangenbucher (Alt), Timo Schna-bel (Tenor) und Philipp Meierhö-fer (Bass) ihre Partien. Insbeson-dere die sängerischen Leistungenbeider Damen beeindrucken,waren doch sowohl Schnürpel alsauch Langenbucher, die eherüber einen Mezzosopran als eineAltstimme verfügt, kurzfristigeingesprungen.

Aber auch Meierhöfers profun-der, sonorer Bass verdient Res-pekt, während Schnabels Timbreanfangs noch etwas eng geführtist. Ein geistliches Werk persönli-cher Trauerarbeit erfordert ande-re Register als das Heldenfach ei-ner Wagner-Oper. Im Verlauf derAufführung findet er aber immerbesser in die Partie hinein.

Auch und gerade, dass keinerder Solisten allzu großen Glanzverbreitet, wirkt stimmig: Wichti-ger als herausragende Spitzenko-loraturen sind t hier eine gewisseGeschlossenheit und Harmoniedes Solistenensembles, bei demweder nach oben noch nach un-ten einzelne Stimmen allzu sehrherausstechen.

Tröstung und Zuversicht, her-vorgegangen aus Leid undSchmerz der Gottesmutter, ste-hen am Ende des eineinhalb-stündigen Werks, das am Karfrei-tag mit dem Läuten der Glockenerst in andächtiger Stille aus-klingt, bevor Wöhrle und seineMusikerschar den wohlverdien-ten Beifall des Publikums entge-gennehmen.

VON HARRY SCHMIDT

LUDWIGSBURG. Das mittelalterli-che Versgedicht „Stabat mater“hat, beginnend mit Desprez undPalestrina in der Renaissanceüber Scarlatti, Haydn, Rossini,Liszt und Verdi bis hin zu zeitge-nössischen Komponisten wie Ar-vo Pärt oder Wolfgang Rihm, vie-le Tonsetzer zu Werken angeregt.Für Antonín Dvorák wurde das„Stabat mater“, das er unter demEindruck des Verlusts seiner dreiKinder zwischen 1876 und 1877geschrieben hat, auch zu einerpersönlichen Schlüsselstelle imLebenslauf. Als das monumenta-le Chorwerk 1884, vier Jahre nachder Uraufführung in Prag,schließlich in der Londoner Roy-al Albert Hall vor mehr als 8000Zuhörern aufgeführt wurde, mar-kierte das Großereignis auchDvoráks Durchbruch als fürder-hin international bekannter, an-erkannter und gefragter Kompo-nist.

Verglichen mit der seinerzeit800-köpfigen Sängerschar magsich die Besetzung des um denLudwigsburger Motettenchorverstärkten Chors der Stadtkirchemit rund 70 Sängerinnen undSängern zwar bescheiden aus-nehmen. Setzt man dies jedochins Verhältnis zum Publikumszu-spruch, ergibt auch die Auffüh-rung des „Stabat ma-ter“ (Op. 58) am Kar-freitag in der Lud-wigsburger Stadtkir-che ein durchausähnliches Bild: Fastzehnmal größer alsder Chor die Anzahl der Besu-cher: Über 550 Menschen allerAltersgruppen, auch viele Fami-lien, füllen die Reihen – nahezu

Ausgezeichnet einstudiert war die Aufführung von Dvoráks „Stabat mater“. Foto: Holm Wolschendorf

Londoner Verhältnisse also. In-haltlich reflektieren die zehnStrophen des „Stabat mater“, je-de aus zwei Dreizeilern beste-hend, die Figur der Maria, die alsMutter mit ansehen muss, wieihr Sohn Jesus am Kreuz stirbt.Ungekürzt übernimmt AntonínDvorák den mittelalterlichen

Wortlaut, dessen Au-torschaft nicht gesi-chert überliefert ist.Mit zehn Kantaten-sätzen folgt er zwarder äußeren Formdes Gedichts, be-

leuchtet in den in Länge und Be-setzung unterschiedlich gestalte-ten Teilen jedoch auch ganz ver-schiedene emotionale Gehalte:

„Stabat mater Dolorosa“ – „Esstand die Mutter schmerzerfüllt“beginnen die Männerstimmenim Piano, noch ganz zögerlichzunächst ob der erschütterndenEreignisse.

Fast explosiv dann der folgen-de Ausbruch im Unisono – einkollektiver Aufschrei, kolossaleindrücklich realisiert durch denvon Fabian Wöhrle ausgezeich-net einstudierten und von den 40Musikern des Orchesters derStadtkirche unterstützten Chor.Bereits in der ausgedehnten Or-chestereinleitung organisiertWöhrle die romantischen Klang-massen mit feinem Gespür fürdie heikle Balance zwischenTransparenz und symphonischer

Verdichtung, die Dvoráks geistli-ches Werk, das über weite Stre-cken einer Art Passionsmeditati-on gleicht, auszeichnet wie ein-fordert. Kein Zweifel, dass sichseine zugewandte, überzeugendeKörpersprache auf die Musikerüberträgt: Mal streichelt er denböhmischen Schmelz mit demTaktstock aus dem Streicherap-parat, mal fordert er nachdrück-lich mit der Linken Vibrato, be-vor er sich bei den Kulminations-punkten energisch aufrichtetund auf die Zehenspitzen steigt.

Wie in Passionen und Oratori-en von Händel oder Bach ergänztauch bei Dvorák ein Solisten-quartett die Chor- und Orches-terdarbietungen, das in verschie-

Fast zehn Mal soviele Zuhörer wieSänger inder Stadtkirche.

Von Euphorie und VerzweiflungSzenische Lesung im Theater in der Nussschale mit Briefen van Goghs

„Mancher hat ein großes Feuerin seiner Seele, und nie kommt je-mand, um sich daran zu wär-men“, beklagt er. Wenige Monatespäter antwortet er Theo optimis-tisch, er wolle nun gut Zeichnenlernen.

So geht es auch in den folgen-den Jahren weiter. Mal ist vanGogh wegen enttäuschter Liebebetrübt oder als Pfarrerssohn zor-nig auf die Religion, dann wiedermit neuen Pinseln und neuerFarbpalette in Aufbruchstim-mung.

Ausdrucksstark vermittelt

Roman Tröster vermittelt diesesAuf und Ab zwischen Euphorieund Verzweiflung ausdrucksstark– vor allem in den Szenarien inSüdfrankreich. Van Gogh scheintbeflügelt von der Gegend umArles, hat ein Haus bezogen undist begeistert, dass der Maler PaulGauguin 1888 bei ihm einzieht. Ermalt jetzt vor allem in seinenLieblingsfarben Gelb und Blau.

„Ich male große Sonnenblu-men“, verkündet er im Sommer.Doch der Eigenbrötler verträgtsich nicht mit seinem ebenfallsschwierigen Mitbewohner Gau-guin. Schon nach zwei Monaten

VON CORNELIA WESEMANN

NUSSDORF. Das bereits für seineFreiluftinszenierungen bekannte„Eberdinger Sommertheater“ hatin der Halle der Kleintierzüchterin Nussdorf eine neue Spielstättegefunden und nun für Theater-zwecke hergerichtet. Das „Thea-ter in der Nussschale“ überrasch-te an Ostern mit einer Inszenie-rung über den Briefwechsel desniederländischen Malers Vincentvan Gogh (1853 bis 1890) mit sei-nem vier Jahre jüngeren BruderTheo, der von 1880 bis 1890 auchfür den Lebensunterhalt Vincentvan Goghs aufkam. Ina Wern-stedt, die als Autorin und Regis-seurin bei den Laienschauspie-lern mitwirkt, hat Auszüge ausdiesen unzähligen Briefen, dievan Gogh von 1880 bis zu seinemTod an den „teuren Theo“ ge-schrieben hat, für eine szenischeLesung ausgewählt.

Van Gogh war innerlich zerris-sen, haderte mit seiner Kunst undscheiterte immer wieder an zwi-schenmenschlichen Beziehun-gen, auch in der Liebe. In denwichtigsten zehn Jahren seineskünstlerischen Schaffens bliebsein Bruder Theo die einzige Kon-stante.

Wernstedt setzt mit einem mi-nimalistischen Bühnenbild ausweißen Papierbahnen den Fokusganz auf Roman Tröster, der nichtnur liest, sondern sich mit seinenblonden Haaren van Gogh auchoptisch annähert. Schon im ers-ten Brief vom Juni 1880 zeigt sich,dass es dem Künstler nicht gutgeht. Er bedankt sich für 50 Franc,die ihm Theo geschickt hat, undbetont gleichzeitig, in einem „tie-fen Schlamassel“ zu stecken. DasVerhältnis zur Familie sei ange-spannt, er sei von tiefer Mutlosig-keit ergriffen.

eskaliert ein Streit dermaßen,dass sich van Gogh einen Teil sei-nes Ohres abschneidet (es könnteauch Gauguin gewesen sein).

Blutverlust, Krankenhaus. An-fälle mit Wahnvorstellungen undDepressionen folgen. 1889 will ersich in einer Nervenheilanstalt inSaint-Remy auskurieren und malthier seine berühmte Sternen-nacht. „Auch wenn ich mich wie-der in die Arbeit stürze, ich bleibedoch verrückt“, bekennt er. Dar-steller Tröster unterstreicht dieseVerzweiflung, indem er ein Ohrund seinen Oberkörper mit blau-er Farbe verschmiert.

Im Mai 1890 sucht van GoghHilfe bei einem Arzt in Auvers. „Erempfiehlt mir, viel und tüchtig zuarbeiten.“ Doch wenige Monatespäter stellt er fest: „Mein Ver-stand ist bei der Arbeit zur Hälftedraufgegangen.“ Am 27. Juli 1890schießt sich van Gogh im Freieneine Kugel in die Brust. Ob esSelbstmord war, ist nicht ganz ge-klärt, auch ein Unfall ist denkbar.„Beschuldigen Sie Niemanden“,soll er gesagt haben. Sein Bruderist bei ihm, als er stirbt. Theoselbst bricht acht Wochen spätertot zusammen. Beide sind in Au-vers begraben.

Roman Tröster schlüpft in die Rolle als van Gogh. Foto: Holm Wolschendorf

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