Galerie Clairefontaine Gisele Freund Catalogue 2013
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Ausstellungskatalog zur Sammlung Marita Ruiter, Galerie Clairefontaine, Luxemburg
Gisèle Freund Portraits und Reportagen
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Ausstellungskatalog zur Sammlung Marita Ruiter, Galerie Clairefontaine, Luxemburg
Gisèle Freund Portraits und Reportagen
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Inhalt
Einführungstext 006Dr. Marita Ruiter
Reportagen 021Fotografien zum 1. Mai 1932 022
Der 1. Internationale Schriftsteller-Kongress zur 040Verteidigung der Kultur, 21. Juni 1935
Evita Perón, Reportage für LIFE Magazine, 1950 064
Diverse Reportagen 076
Portraits 101Schriftsteller und Künstler 102
Biographie 219
Register der abgebildeten Personen 224Selbstportrait mit Horst Schade, Paris, 1929
Titelbild: Selbstportrait mit Kamera, Mexiko, 1950
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faszinierender als das eines schöpferischen Menschen“, kommen-tierte sie ihr unersättliches Bedürfnis, dieses Album von Schrift-steller- und Künstlerportraits ein Leben lang zu vervollkommnen. Bereits 1939, ihrem fruchtbarsten Jahr, hatte sich die knapp Drei-ßigjährige mit den Portraits von André Breton, Jean-Paul Sart-re, Thornton Wilder, Marcel Duchamp, Victoria Ocampo, Peggy Guggenheim, André Malraux, Elsa Triolet, Louis Aragon, Stephen Spender, T.S. Eliot, Virginia Woolf, Sylvia Beach, Paul Valéry, Ro-main Rolland und vielen mehr ihren Platz im Olymp der Fotogra-fie gesichert. Nicht zuletzt die tiefe Wirkung ihrer Portraits über die Jahrzehnte hinweg belegt, wie sehr sie die Literaten und die Literatur liebte. Viele der einzigen Farbportraits der abgebildeten Schriftsteller, die uns heute so geläufig sind, stammen aus Gisèle Freunds Kamera, jener kleinen handlichen Leica, die ihr Vater ihr zum Abitur geschenkt hatte.
Die sorgfältige Vorbereitung ihrer Portraits, ihr Interesse am Werk ihrer intellektuellen Klienten, führte dazu, dass ihre Modelle ver-gaßen, dass sie vor einer Kamera saßen. Gerade daher rührt die Unmittelbarkeit, die Authentizität dieser Portraits. „Bevor ich Schriftsteller fotografiert habe, habe ich immer zuerst ihre Werke gelesen. Dadurch konnte ich mit jedem Menschen über das spre-chen, was ihn am meisten beschäftigte. Es war dies eine wirksame
„Ich kann nicht mehr Deutsch, ich kann nur noch Berlinern“, ant-wortete die kleine Dame mit dem durchdringenden Blick und der dunklen Stimme, als ich ihr in Paris vorgestellt wurde und sie mich fragte, in welcher Sprache ich mich am liebsten mit ihr unterhal-ten wollte. Möglich seien auch Französisch, Englisch und Spanisch. Freilich: gerade diese Sprachenvielfalt habe sie daran gehindert, ihren Traum von einer Schriftstellerkarriere zu verwirklichen, fügte sie hinzu. Am Ende habe sie keine der vier Sprachen gut genug be-herrscht, um sich darin so auszudrücken, wie sie es gewollt hätte. Ich sollte bald erfahren, dass Gisèle Freund nicht nur an sich selbst so strenge Maßstäbe anlegte.
Was Gisèle Freund nach eigenem Urteil mit Worten nicht ausdrü-cken konnte, ist ihr mit ihren Fotografien aufs Überzeugendste ge-lungen: Ihr PANTHEON GISÈLE ist nicht nur eine überwältigende Sammlung von Portraits der bedeutendsten Köpfe der damaligen Pariser Literatenwelt. Aus ihren Bildern spricht ein brennendes In-teresse und eine intime Vertrautheit mit der Geisteswelt der Ab-gebildeten, die verraten, wie sehr sich die Fotografin mit den Lei-denschaften ihrer Modelle identifizierte. Durch Vermittlung ihrer Freundin Adrienne Monnier, der Schriftstellerin und Besitzerin der Buchhandlung „Maison des Amis des Livres“, war sie in diese Welt eingedrungen und hatte sie alsbald durchdrungen. „Kein Gesicht ist
Zeitzeugin, Humanistin und Künstlerin wider WillenErinnerungen an die Fotografin Gisèle Freund
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Gisèle Freund vor ihren Bildern in der Berliner Festspielausstellung, 1996
Methode, um ihr Vertrauen zu gewinnen: ich wollte, dass sie un-gehemmt über ihre Gedanken und Gefühle erzählen und darüber meinen Fotoapparat vergessen. Das war dann der Moment, den ich einzufangen versuchte. Sobald ein Portrait gemacht ist, muss der Fotograf hinter das Bild zurücktreten. Vorrangig ist die Aufnahme und nicht die Person, die hinter der Kamera steht. So gesehen ist der Fotograf kein Künstler, sondern eine Art Übersetzer. Ich habe nie ein Bild gestohlen“1, erläutert die Fotografin ihre Arbeit und ihre Position.
Gisèle Freund blieb zeitlebens unterwegs, immer begierig, sich neue Horizonte zu erschließen und dazu zu lernen. Nach Jahren eigener Schwarz/Weißfilm-Entwicklung in improvisierten Dunkelkammern, stürzte sich die Autodidaktin, die nur aus der Notwendigkeit Foto-grafin geworden war, als aus Deutschland geflüchtete Jüdin in der Fremde ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, sogleich auf den Farbfilm, als er 1938 auf den Markt kam. Exorbitante Kosten und erhebliche technische Schwierigkeiten nahm sie in Kauf: „Das war für mich eine Offenbarung. Das Wunder, alle subtilen und sich verändernden Rot-, Grün- und Gelbschattierungen festzuhalten, die Transparenz einer weißen Haut um das Blau eines Auges herum. Die
1 Freund Gisèle: Gespräche mit Rauda Jamis. München – Paris – London: Schirmer- Mosel 1993, S. 70-71
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thèque Nationale, bemerkt in der anerkennenden Rezension von Gisèle Freunds Dissertation „La photographie en France au dix-neuvième siècle“ in der Zeitschrift für Sozialforschung 1938 unter dem Titel „Lehrstück in materialistischer Dialektik“: „Die Frage, ob die Fotografie eine Kunst sei, wurde (nach der Erfindung der Fo-tografie) mit dem leidenschaftlichen Anteil eines Lamartine, Dela-croix, Baudelaire verhandelt, die Vorfrage wurde nicht erhoben: ob nicht durch die Erfindung der Fotografie der Gesamtcharakter der Kunst sich verändert habe“.
André Malraux, langjähriger Freund und Förderer Gisèle Freunds, dessen Leben sie über Jahrzehnte dokumentierte, antwortete auf die Frage, ob er Fotografie als Kunst ansähe: „Es gibt zwei Mög-lichkeiten, einen Gegenstand zu betrachten. Ein Fotograf kann ein guter Handwerker oder ein Künstler sein. Ein Handwerker ist, wer seine Arbeit ordentlich und technisch korrekt ausführt. Wenn er aber mit seinen Fotos Gedanken vermittelt und neue Sehweisen, dann ist er ein Künstler: Das Werk entsteht in seiner Zeit und aus seiner Zeit, aber es wird zum Kunstwerk, wenn es ihr entkommt“.2 Die Portraits bedeuteten für Gisèle Freund Vergnügen, die Repor-tagen Arbeit und Brotberuf. Ihre Karriere als Fotoreporterin fiel in eine Periode, die als goldene Ära des Fotojournalismus in die Anna-
2 Ibid. S. 184
Zeit, in der man die Dinge in Licht oder Schatten sah, war vorbei“.Trotz früher Erfolge dauerte es noch drei Jahrzehnte bevor sich eine breite Öffentlichkeit und die Kunstwelt - allen voran Museen und Galerien - für Gisèle Freunds Arbeit zu interessieren begannen. Die Fotografie hatte sich inzwischen ihren Stellenwert in der Kunst erobert. Erstaunt über die Entwicklung auf dem Kunstmarkt und die neue Rezeption ihres fotografischen Werkes, vor allem der Por-traits, antwortete Gisèle Freund auf die Frage, ob Fotografie Kunst sei, einmal mehr, dass sie nie dieser Meinung gewesen sei. Ihr Leb-tag hatte sie sich dagegen gewehrt, als Künstlerin angesehen zu werden. Manche Leute hielten das für falsche Bescheidenheit.
Tatsächlich blieb es ihre tiefe Überzeugung, dass Fotografie nicht Kunst sei, außer in wenigen Ausnahmefällen, wie beispielsweise den Arbeiten von Felix Nadar. Wie nahe sie diesem hervorragenden Portraitisten aus den Anfängen der Fotografie mit manchen ihrer Portraits gekommen ist, zeigt das gleichermaßen durchgeistigte wie anrührende Portrait des Philosophen und Freundes Walter Ben-jamin. Selbstredend widerspricht es wie viele andere ihrer Meister-portraits der allzu bescheidenen Selbsteinschätzung der Fotografin.Die Frage nach dem Wesen der Fotografie beschäftigte auch ihre Modelle: „Walter Benjamin, wie Gisèle dem Nazi-Deutschland ent-flohener Emigrant in Paris und wie sie Dauerbesucher der Biblio-
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len einging. Als sie bei LIFE begann, war der „photographer-hero cult in high gear“3, so John G. Morris, picture editor der Agentur Magnum, deren einziges weibliches Gründungsmitglied sie - außer der administrativen Leiterin Maria Eisner - 1947 wurde.
Von einem Fotoreporter erwartete man nicht nur, so Klaus Honnef, dass er ein „Missionar der Wirklichkeit“ sei, sondern er benötigte für seine Arbeit auch ein beachtliches Hintergrundwissen, dazu eine gehörige Portion Zivilcourage, ganz gleich ob er für eine Il-lustrierte oder ohne Auftraggeber arbeitete. Oft begab sich Gisèle Freund ohne Auftrag aus eigenem Interesse an eine Reportage, für die sie auch selbst die Texte schrieb. Das wache Auge der studier-ten Soziologin war allgegenwärtig, wenn sie in Bildern erzählte, wie Menschen sich in den unterschiedlichsten Situationen verhalten, als Demonstranten auf der Straße, als Kongressteilnehmer, als Bör-senspekulanten oder gar als Arbeitslose in ihren Elendsquartieren: „Concerned photography“, wie man heute sagen würde, war ihr ein lebenslanges Anliegen.Soziologische Beobachtungen betrieb Gisèle Freund selbst noch in einem Alter, als ihr die Beine schon den Dienst versagten und sie nur mehr mit Mühe und großen Schmerzen am Stock gehen
3 Morris, John G.: Get the picture; A personal history of photojournalism; Random House Inc., New York 1998, S. 9Gisèle Freund und Marita Ruiter, Galerie Clairefontaine, Luxemburg, 1994
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weise seine Pforten schließen, so dass die Besucher nur nach und nach in kleinen Gruppen eingelassen werden konnten. Gisèle war besonders glücklich über den großen Teil junger Leute, die oftmals von weit her gekommen waren, um sie kennen zu lernen. Begeis-tert diskutierte sie mit ihnen über „Photographie und bürgerliche Gesellschaft“, die deutsche Überarbeitung ihrer Dissertation, heu-te ein Standardwerk der Fotografiegeschichte.
1995 begannen wir mit einer Wanderausstellung ihrer Fotos durch die Goethe-Institute und die Instituts Français in Deutschland und Frankreich. Thema war der Schriftsteller-Kongress in Paris im Jahr 1935, “Regard sur l’intellectuel, 1er Congrès des Ecrivains pour la Défense de la Littérature, Photographies 1933-1940“. Bei der Vorbereitung des Katalogs fand ich mich vor unerwartete Probleme gestellt, als Gisèle nach der Entwicklung der Fotos aus ihren alten Negativen feststellte, dass sie eine ganze Reihe der abgebildeten Literaten nicht mehr identifizieren konnte. Nach langen, erfolglo-sen Recherchen beschlossen wir, diese Portraits von Schriftstel-lern, damals in der Blüte ihrer Jugend, manche vielleicht zum ersten Mal portraitiert, trotzdem auszustellen. Zu unser aller freudigen Überraschung fanden sich bereits während der Vernissage im Pa-riser Goethe-Institut Besucher, die das Geheimnis um die Identität einiger Kongressteilnehmer lüften konnten.
konnte. Ich erinnere mich an einen meiner zahllosen Besuche bei ihr in Paris während meiner Arbeit an der Dissertation über ihr Le-ben und Werk, als wir nach dem Essen nahe ihrer Wohnung in der Nachmittagssonne saßen. Gisèle, ermüdet vom mühsamen Gehen schien ermattet vor sich hinzudösen, als sie mich plötzlich auf ei-nen Clochard aufmerksam machte, den sie erspäht hatte. Sofort begann sie, leidenschaftlich und kompromisslos, die Problematik der „Sans-Abris“ zu diskutieren. Man konnte unschwer erahnen, was für eine Energie und Durchschlagskraft sie als junge Studentin in Frankfurt gehabt haben musste, als sie dort für ihre linke Stu-dentengruppe politisch aktiv war.
Ihr Engagement von damals war auch deutlich zu spüren als wir 1995, nach einer ersten Ausstellung in meiner Galerie in Luxem-burg, eine Ausstellung im Museum Moderner Kunst in Frankfurt planten und die Fotos dafür aussuchten. Das Thema der Ausstel-lung waren die Demonstrationen der verschiedenen politischen Gruppen am 1. Mai 1932 in Frankfurt am Main. Bittere Erinne-rungen an ihre abenteuerliche Flucht vor den Nazis kurz nach der Entstehung dieser Aufnahmen kamen unweigerlich während der Auswahl der Bilder hoch. Die alte Bitterkeit wurde indes durch den überschwänglichen Empfang in Frankfurt gemildert. Während der Eröffnung musste das Museum wegen zu großen Andrangs zeit-
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G. Freund und M. Ruiter bei der Verleihung des Titels „Ehrenprofessor der Stadt Berlin“ im Roten Rathaus, Berlin, 1996, © Alfred Raschke
G. Freund vor dem Portrait ihres Vaters von Max Slevogt, Berlin, 1996,© Alfred Raschke
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res Besuchs in der alten Heimat blieben indes ihre privaten Unter-nehmungen, wie ihr Besuch im Grunewald, wo Gisèle das berühmte gleichnamige Lied mit Inbrunst schmetterte. Als den Höhepunkt ihres Berlinbesuches bezeichnete sie später die Rückbenennung „ihrer“ Straße in Berlin-Schöneberg, die während des DDR-Regimes in Nördlinger Straße umbenannt worden war, in Haberlandstraße. Gisèle Freund hatte ihren Frieden mit der Vergangenheit gemacht.
Gisèle Freund, die Zeugin des 20. Jahrhunderts, die leidenschaft-liche Humanistin, Künstlerin wider Willen, Fotografin, Journalistin, und last, but not at all least Schriftstellerin, verließ die Bühne der Welt nach einem Leben, das sich so spannend liest wie ein Aben-teuerroman, abwechslungsreich und voller unerwarteter Wendun-gen. Es war ihr nicht an der Wiege gesungen worden, dass sie, die behütete Tochter aus großbürgerlichem Berliner Haus als politischer Flüchtling ein kafkaeskes Dasein würde führen müssen: Als sie, schon weit in den Achtzigern, nach einem Familienfest von Kanada nach New York fliegen wollte, verweigerte ihr der ameri-kanische Zoll die Einreise, erzählte ihr Neffe Tony an ihrer Urne. Die Begründung: eine Eintragung in die „black list“ aus den dunklen Ta-gen der MacCarthy-Ära, der zufolge Gisèle „persona non grata“ in den USA war. Der Eintrag war eine Reaktion auf die politischen Ver-stimmungen zwischen den USA und Argentinien nach dem Erschei-
Gisèle Freunds zwiespältige Beziehung zu Deutschland verbesserte sich in ihren letzten Lebensjahren, nicht zuletzt durch die zuneh-mende Anzahl von Ausstellungen im deutschsprachigen Raum, mit dessen Betreuung sie mich beauftragt hatte. Ich hatte das Glück, auch die Berliner Festspielausstellung 1996 für sie zu organisieren und sie nach Berlin zu begleiten. Als ich sie allerdings nach mona-telangen Vorbereitungen wie verabredet zum Flug nach Berlin ab-holen wollte, während draußen das Taxi wartete, saß sie in ihrer „Robe de Chambre“ trotzend hinter ihrem berühmten Schreibtisch und weigerte sich, mitzukommen. Es bedurfte aller meiner Überre-dungskünste, bevor wir am Ende ein paar Kleidungsstücke in eine kleine Tasche warfen und gerade noch die Air France erreichten, bevor sie in Richtung Berlin abhob. Die deutsche Hauptstadt, ihre Geburtsstadt, empfing sie mit offenen Armen und offenem Herzen.
Als man ihr die Ehrenprofessur der Stadt Berlin antrug, verkündete sie vor laufenden Kameras, dass derartige Ehrungen ihr nichts be-deuteten. Gleichwohl war sie überwältigt vor Freude und zu Tränen gerührt, als sie sah, dass die Stadtverwaltung für die Zeremonie im Roten Rathaus das von Max Slevogt gemalte Portrait ihres Va-ters aus dem Museum ausgeliehen hatte. Ein dichtes Programm von Empfängen, darunter einer bei Bundespräsident Herzog in der Villa Bellevue, an Konzerten und Interviews folgte. Die Krönung ih-
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Reportagennen von Gisèle Freunds entlarvender Reportage über Evita Perón im LIFE Magazine, 1950. Nach der Intervention des US-Konsulats klärte sich die Situation auf – ein veraltes Computerprogramm am Flughafen Ottawa war daran schuld gewesen. Betroffenheit, meh-rere Stunden der Verunsicherung, der angstvollen Erinnerungen: Was mag vorgegangen sein in der Psyche der vom Terror lebenslang traumatisierten alten Dame? Die offizielle Entschuldigung des US-Konsuls konnte sie sicher nicht dafür entschädigen. Gisèle Freunds Leben blieb bis zuletzt Stoff für das Drehbuch eines Action-Thril-lers, dessen Autorin sie zu einem guten Teil selbst war.
Geblieben ist der Nachwelt ihr Werk und ihr fotografisches Credo: Für mich ist Fotografie vor allem ein Dokument. Gewiss wird sie manchmal zum Kunstwerk, aber selten. Das kann man an der emo-tionalen Wirkung erkennen, die sie hervorruft, und am Grad der Ab-solutheit, mit der das Gedächtnis sie festhält. Wenn eine Fotografie in die Tiefen der Seele vordringt, dann hat sie etwas mit Kunst zu tun. Es sind nur wenige Bilder, die ich im Lauf meines Lebens so behalten habe, unauslöschlich und lebendig, obwohl viel Zeit ver-gangen ist. Diese Bilder sprechen noch immer zu mir.“4
Dr. Marita Ruiter, Galerie Clairefontaine, Luxemburg
4 Ibid. S. 18
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Schupos, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
Fotografien zum 1. Mai 1932
Am 1. Mai 1932 riefen die Sozialdemokratische Partei, die Ge-werkschaften, die Kommunistische Partei und verschiedene Arbei-terorganisationen zum Protest gegen die Regierung auf. Die Linke hatte bei den letzten Landtagswahlen viele Stimmen an die Nati-onalsozialisten verloren. Gisèle Freund, die seit 1930 beim Frank-furter Soziologen Karl Mannheim am Institut für Sozialforschung studierte und selbst in einer linken Studentengruppe aktiv war, machte mit ihrer Leica historische Aufnahmen von den Aufmär-schen und Straßenkämpfen.
Am Morgen des 30. Mai 1931 warnte ein Beamter des Stadtprä-sidiums, dem Gisèle Freund immer die Plakate zum Abstempeln vorgelegt hatte, bevor diese aufgehängt werden durften, dass am darauf folgenden Tag die Gestapo ihre ganze Gruppe verhaften würde. Er riet ihr, Deutschland unverzüglich zu verlassen. Am sel-ben Abend bestieg sie den Zug nach Paris mit einem kleinen Koffer, ihrer Leica und den Filmen von den Demonstrationen. Nach einer SS-Kontrolle spülte sie einen Film die Toilette hinunter, den wich-tigeren zweiten Film trug sie am Körper: die Fotos der zusammen-geschlagenen Studenten wurden 1933 im „Braunbuch“ veröffent-licht, um den beginnenden Faschistenterror zu dokumentieren.
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Demonstration, Worms, 1. Mai 1932
Demonstration, Worms, 1. Mai 1932
Demonstration, Worms, 1. Mai 1932
Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
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Demonstration, Worms, 1. Mai 1932
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Demonstration, Worms, 1. Mai 1932
Demonstration, Frankfurt am Main 1. Mai 1932
Demonstration, Worms, 1. Mai 1932
Demonstration, Worms, 1. Mai 1932
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Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
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Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
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Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
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Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
Demonstration, Worms, 1. Mai 1932
Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
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Demonstration, Frankfurt am Main, 1. Mai 1932
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Bertolt Brecht, Paris, 1935
Der 1. Internationale Schriftsteller-Kongress zur Verteidigung der Kultur, 21. Juni 1935
Am Abend des 21. Juni strömen Tausende von Menschen zur “Maison de la Mutualité” in Paris, wo der “1. Internationale Schrift-steller-Kongress zur Verteidigung der Kultur” eröffnet wird. Der große Saal mit 3000 Plätzen ist überfüllt; draußen drängen sich Massen um die Lautsprecher, die aufgestellt worden sind, damit alle, die der Saal nicht fasst, wenigstens die Vorträge hören kön-nen. Der Eintritt ist nicht frei - das Publikum besteht zum großen Teil aus Schriftstellern und Intellektuellen, die den verschiedensten politischen Parteien und Geistesrichtungen angehören.
Fast 250 Schriftsteller aus 38 Ländern sind eingeladen worden; sie bilden das brillanteste Auditorium, das sich jemals hier versammelt hat. Und sie treffen sich fünf Tage lang um drei Uhr nachmittags und um neun Uhr am Abend. Auf dem Podium befinden sich André Gide, E.M. Foster, Julien Ben-da, Robert Musil, Jean Cassou, E.E. Kisch, Jean Guéhenno, Edouard Dujardins und André Malraux. Mit ihren so verschiedenen politi-schen, philosophischen und literarischen Ansichten verkörpern sie optimal das Anliegen dieses historischen Treffens: Die Freiheit des Geistes soll gegen den drohenden Krieg und gegen den Faschismus verteidigt werden.
Gisèle Freund
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Der 1. Internationale Schriftsteller-Kongress, Paris, 1935
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E. M. Forster, Paris, 1935
Ilja Ehrenburg, Paris, 1935
Michael Gold, Paris, 1935
Eugène Dabit, Paris, 1935
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Anna Seghers und Gustav Regler, Paris, 1935
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André Malraux - Filmstreifen, Paris, 1935
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André Malraux, Paris, 1935
Dieser Kongress, bei dem die französische Delegation natürlich zahlenmäßig die größte war, wurde im Wesentlichen von einem Redner organisiert, der die Zuhörer mit seiner rhetorischen Be-gabung und seiner Begeisterungsfähigkeit am meisten faszinierte: André Malraux.
“Es war André Malraux, der mich zum Fotografieren während des Schriftstellerkongresses eingeladen hatte. Diese Einladung hatte jedoch keinen professionellen oder offiziellen Charakter: mein In-teresse an dem Kongress war ganz persönlicher Natur - ich hatte die Bücher vieler Kongressteilnehmer gelesen und fotografierte sie, weil sie mich interessierten. Erst als ich viel später gefragt wurde, ob ich von dem einen oder anderen ein Foto hätte, kam ich auf den Gedanken, diese Fotos zu veröffentlichen.
Die Aufregung, unter so vielen berühmten Menschen zu sein und der Versuch, möglichst alles festzuhalten, bescherte mir eine Men-ge unterbelichteter und unscharfer Aufnahmen. Ich machte auch - ohne es zu wollen - Solarisationen im Stil von Man Ray. Damals war ich noch Amateur! Was hätte ich alles fotografieren können, wenn ich mehr Erfahrung gehabt hätte! So habe ich höchstens zwei Fil-me verknipst - ohne Blitzlicht - und die Hälfte der Bilder waren unbrauchbar.”
Gisèle Freund
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Henri Barbusse, Paris, 1935
Henri Barbusse, Alexej Tolstoi, Boris Pasternak, Paris, 1935
Alexej Tolstoi, Vladimir Kirschon, Vsevolod Ivanov, Paris, 1935
Julien Benda, André Gide, André Malraux, Paris, 1935
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Aldous Huxley, Paris, 1935
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Robert Musil, Edouard Dujardin, Jean Cassou, Paris, 1935
Waldo Frank und Gustav Regler, Paris, 1935
Claire Gold, Benjamin Cremieux, Paris, 1935
Jean Lurçat, Michael Gold, Paris, 1935
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Paul Nizan, André Gide, Paris, 1935
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Julien Benda, André Gide, André Malraux, Paris, 1935
Zwei Schriftsteller, Paris, 1935
Jean-Richard Bloch, Heinrich Mann, Paris, 1935
Jean-Richard Bloch, Heinrich Mann, Paris, 1935
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Schriftsteller, Paris, 1935
Charles Vildrac, Paris, 1935
Jean Guéhenno, Paris, 1935
Anna Seghers, Paris, 1935
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Evita Perón, Buenos Aires, 1950
Evita Perón, Reportage für LIFE Magazine, 1950
Evita Perón, die Gattin des argentinischen Präsidenten Juan Perón, gründete soziale Hilfswerke und setzte sich für das Frauenwahl-recht ein, doch sie war gleichzeitig eine ungeheure Verschwende-rin. Von Gisèle Freund ließ sie sich einen ganzen Tag lang begleiten und fotografieren. Evita, Kind armer Leute, gab in ihrem Ministe-rium für soziale Hilfe gerne den Armen, vorausgesetzt, diese wa-ren auch Mitglieder der Peronistischen Partei. Gisèles entlarvende Reportage über den „Schutzengel der kleinen Leute“ und über das Perón-Regime wurde 1950 von LIFE publiziert und löste einen di-plomatischen Zwischenfall zwischen Washington und Buenos Aires aus.
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Evita Perón, Buenos Aires, 1950 Evita Perón, Nationalfeiertag, Buenos Aires, 1950
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Evita Perón, Nationalfeiertag, Buenos Aires, 1950
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Evita Perón, Buenos Aires, 1950 Evita Perón, Nationalfeiertag, Buenos Aires, 1950
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Evita Perón, Buenos Aires, 1950 Evita Perón, Buenos Aires, 1950
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Evita Perón, Buenos Aires, 1950
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Liebespaar, Deauville
Diverse Reportagen
Nach sieben Jahren Zusammenarbeit löste Magnum 1954 den Vertag mit Gisèle Freund, mit dem Hinweis auf ihre Schwierigkei-ten in den USA während der McCarthy-Ära (sie konnte ihr Visum in die USA nicht mehr erneuern), und den politischen Skandal um die Evita Perón Reportage.
Abgesehen von wenigen Übersee-Reisen wurde sie daraufhin als unabhängige Fotografin in Paris sesshaft, und stellte sich ihre eige-nen Reportage-Themen: mit vier Reportagen pro Monat hatte sie ein gutes Auskommen und fand auch noch die Zeit, Schriftsteller und Künstler zu porträtieren, die sie interessierten.
Sie lernte den Freundeskreis um Sartre und Beauvoir kennen, und fotografierte Colette, Jacques Prévert, Pierre Reverdy, etc. Eine langjährige Freundschaft entwickelte sie zu Henri Michaux, dessen malerisches Oeuvre sie besonders schätzte. Einige seiner Bilder zierten bis zuletzt die Wände ihrer Wohnung, in der sie 50 Jahre lang lebte, „gleich um die Ecke von der Rue Daguerre“, dem Erfin-der der Fotografie in Frankreich.
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Straßenmädchen, Frankfurt am Main, 1929 Kirche, Frankfurt am Main, 1931
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Newcastle upon Tyne, 1935 Kind eines Arbeitslosen, Newcastle upon Tyne, 1935
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Wahrsagerin, Paris, 1955 Madame Méliès, 1957
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Egon Erwin Kisch, „Der rasende Reporter“, um 1930
Peter Ustinov
Richard Condon, Paris, 1961
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Phillip Roth
Schriftstellerin Schriftsteller
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Bäume, Nahuel-Huapi-See, Patagonien, 1942 Schaufenster eines Friseurs, erstes Farbfoto von G. Freund, Paris, 1938
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Central Park, New York, um 1970
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Beaubourg vor Beaubourg, Paris, 1950
Im Rotlichtviertel, Frankfurt am Main, 1932
Teeren einer Straße, Paris, 1933
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Der Ball der Quat‘z‘Arts, Paris, 1932
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Rue de Rivoli, Paris, 1956
14. Juli, rue Daguerre, Paris, 1958
Menschengruppe
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Feuerland, Patagonien, 1944
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PortraitsZitate von Gisèle Freund
Für den Fotografen ist das technische Können das Wenigste; was er vor allem lernen muss ist: zu sehen!
Der Fotograf muss in einem Gesicht lesen wie in einem Buch. Er muss auch das entschlüsseln, was zwischen den Zeilen steht.
Die Schriftsteller haben mit den Filmstars nur eins gemein, die Be-rühmtheit. Von den Ersten verlangt man nicht, schön zu sein, son-dern intelligent auszusehen. Von den Zweiten verlangt man nur, schön zu sein. Nun erklären Sie mir, warum Schriftsteller immer wie Filmstars fotografiert werden wollen, und Letztere immer wie Schriftsteller.
Nichts ist so irreführend wie der Glaube, die Kamera sei ein objek-tives Mittel zur Wiedergabe unserer Persönlichkeit. Jeder Fotograf wird von Ihnen ein unterschiedliches Bild machen, wie zwei Maler Sie eben malen, jeder auf seine eigene Weise.
Kein Gesicht ist faszinierender, als das eines schöpferischen Men-schen. Ich wollte immer schon Schriftsteller und Künstler fotogra-fieren.
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Simone de Beauvoir, Paris, 1952
Für „Les Mandarins“ erhielt Simone de Beauvoir den Prix Goncourt, zog sich jedoch vor der Presse zurück. Gisèle fand sie schließlich bei ihrer Mutter und macht eine exklusive Serie von der Preisträ-gerin, die sich mit den Worten gefügt haben soll: „Wenn es denn sein muss, dann habe ich zu Ihnen am meisten Vertrauen.“
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Simone de Beauvoir, Paris, 1952
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Simone de Beauvoir am Tag der Verleihung des Prix Goncourt, Paris, 1954Simone de Beauvoir
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Sylvia Beach und Adrienne Monnier mit einer Kundin, Paris, 1938
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Adrienne Monnier, Paris, 1938Sylvia Beach, Paris, 1938
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James Joyce, Sylvia Beach und Adrienne Monnier, Paris, 1938
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James Joyce mit Enkelsohn, Paris, 1938James Joyce, Titel des TIME Magazine, 1939
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Die Hände von James Joyce, Paris, 1938
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James Joyce, Sylvia Beach und Adrienne Monnier, Paris, 1938
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Victoria Ocampo, Paris, 1939 Romain Rolland, Paris, 1940
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Redaktionssitzung, Mitarbeiter von Mesures, Ville d‘Avray, 1937: S. Beach, B. Church, V. Nabokov, A. Monnier, G. Paulhan, H. Church, H. Michaux, J. Paulhan, M. Leiris
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Colette, Paris, 1939 Colette, Paris, 1939
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Walter Benjamin, Paris, 1937
Walter Benjamin, Paris, 1937 Walter Benjamin, Paris, 1938
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Adrienne Monnier, Paris, 1935
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Der Arbeitstisch von Virginia Woolf, Sussex, 1965
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Virginia Woolf, London, 1939Virginia Woolf, London, 1939
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Virginia Woolf, London, 1939Virginia Woolf, London, 1939
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André Breton, Paris, um 1957
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André Breton, Paris, 1939
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Prinzessin Marie Bonaparte, Paris, 1939Vita Sackville-West, Sissinghurst Castle, Kent, 1939
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Jean Cocteau, Paris, 1939Jean Cocteau, Paris, 1939
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Elsa Triolet, Paris, 1939 Louis Aragon, Paris, 1939
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André Malraux, Paris, 1935
André Malraux wandte sich für ein Portrait in der Neuauflage sei-nes 1933 mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten „La Condition Humaine“ an mich. Während das berühmte Foto mit dem wehen-den Haar und der Zigarette im Mund entstand, fragte ich ihn, ob er Fotografie für eine Kunst halte, um ihn von der Kamera abzulenken:
„Es gibt zwei Möglichkeiten, einen Gegenstand zu betrachten. Ein Fotograf kann ein guter Handwerker oder ein guter Künstler sein. Ein Handwerker ist, wer seine Arbeit ordentlich und korrekt aus-führt. Wenn er aber mit seinen Fotos Gedanken vermittelt und neue Sehweisen, dann ist er ein Künstler: Das Werk entsteht in seiner Zeit und aus seiner Zeit, aber es wird zum Kunstwerk, wenn es ihr entkommt“.
Gisèle Freund
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Paul Valéry, Paris, 1938André Malraux, Paris, 1938
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Jean-Paul Sartre, Paris, 1939
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Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, Paris, 1964
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Thornton Wilder, Paris, 1939Marcel Duchamp, Paris, 1939
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Samuel Beckett, Paris, 1964 Samuel Beckett, Paris, 1964
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Stefan Zweig, London, 1939
So, wie die Fotografie dem Augenblick Ewigkeit zu verleihen ver-mag, so verändert sie Gegenwärtiges in Vergangenes, Seiendes in Gewesenes, Lebendiges in Totes. Indem sie Zeugnis ablegt von et-was Geschehenem, heißt fotografieren auch, Bedeutung verleihen: Zeugnis ablegen einerseits, und andrerseits Zeugen auffordern, sich von ihrer Warte auf das Spiel einzulassen, das der Fotografier-te mit dem Fotografen eingegangen ist. Der Abgelichtete posiert, sein Blick ins Objektiv bewirkt unwillkürlich ein Pathos, eine Feier-lichkeit, die im Gegensatz steht zu der Offenheit und Spontaneität, die der Fotografierte darzubieten willens ist. Am Betrachter liegt es, zu beurteilen, wie weit diese Absicht gelungen ist.
Über die Befindlichkeit eines zu Fotografierenden, der sich auf die Aufnahme vorbereitet, berichtet Roland Barthes in „Die helle Kammer“: „Ich beschließe also, auf meinen Lippen und in meinen Augen ein leichtes Lächeln „spielen zu lassen“, das „undefinierbar“ wirken und mit den mir eigenen Qualitäten zugleich zum Ausdruck bringen soll, dass ich das ganze fotografische Zeremoniell amüsiert über mich ergehen lasse: ich gehe auf das Gesellschaftsspiel ein, ich posiere, weiß, dass ich es tue, will, dass ihr es wisst, und doch soll diese zusätzliche Botschaft nicht im mindesten das kostbare Wesen meiner Individualität verfälschen...“
Roland Barthes, La Chambre Claire, note sur la photographie, Les Cahiers du cinéma, Gallimard, Paris, 1980
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George Bernard Shaw, London, 1939 T.S. Eliot, London, 1939
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Peggy Guggenheim und Herbert Read, Paris, 1939 André Gide, Paris, 1939
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Arthur Koestler, London, 1967 Arthur Koestler, Paris, 1940
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Norbert Elias, Paris, 1934
Von Karl Mannheims Assistent, Norbert Elias, sagte Gisèle Freund, dass sie ihm alles verdanke. Elias, der sie immer mit der Kamera in der Hand sah, weil sie sogar die Professoren im Hörsaal fotogra-fierte, sprach sie eines Tages an: „Wenn Sie sich so für Fotogra-fie interessieren, wollen Sie nicht einmal der Frage nach dem Bild nachgehen?“ Bei einem nachmittäglichen Spaziergang erklärte er ihr kurz darauf genau, wie sie vorgehen könnte, und setzte sie da-mit auf die richtige Bahn. Was ihre Dissertation betraf, war dies die einzige Hilfe, die Gisèle jemals von einem ihrer Professoren erfuhr – weil sie nichts von Fotografie verstanden und weil sie diese auch nicht ernst nahmen.
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Hermann Hesse, Montagnola, 1962 Paul Celan, Paris, 1970
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Pierre Bonnard, Le Cannet, 1946 Pierre Bonnard, Le Cannet, 1946
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Pierre Bonnard, Le Cannet, 1946
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Henri Matisse, Paris, 1948 Henri Matisse, Paris, 1948
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Henri Michaux, Paris, 1972 Jacques Prévert, Vence, 1953
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Maria Elena Vieira da Silva, Paris, 1972 Max Ernst, Paris, 1968
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Le Corbusier, Paris, 1961
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Le Corbusier, Paris, 1961
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Man Ray, Paris, 1967Alberto Giacometti, Paris, 1966
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Anouk Aimée, Paris, 1962Henry Miller, Paris, 1961
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Robert Lowell, Paris, 1964 Ralf Hochhuth
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Mary McCarthy, Paris, 1964Robert Lowell, Paris, 1964
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Josephine Baker, ParisJosephine Baker, Paris
194 195
Christopher Fry Christopher Isherwood, London, 1963
196 197
Herbert Marcuse Martin Buber, Paris, 1958
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Marguerite Duras, Paris, 1965
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Alexander Solschenizyn, Paris, 1975 Ivan Illich, Mexiko, 1974
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Saint-John Perse, Presqu’île de Giens, 1966
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John Steinbeck, Paris, 1961 Iris Murdoch, Oxford, 1959
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Eugène Ionesco, Paris, 1971
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Zsazsa Gabor, Deauville, 1954 Simone Signoret, Paris, 1963
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Frida Kahlo mit Arzt, Mexiko, 1951 Frida Kahlo, Mexiko, 1951
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Katherine Anne Porter, Maryland, 1971 Tennessee Williams, Paris, 1959
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Richard Wright, Paris, 1959
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Claude Simon, 1967 Willy Brandt, um 1970
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Biografie
1908 Gisèle Freund wurde am 19.12.1908 in Berlin-Schöneberg als Tochter des Textilkaufmanns Julius Freund und seiner Frau Clara geboren.
1925-29 Julius Freund schenkt seiner Tochter ihren ersten Fotoapparat, eine Voigtländer 6 x 9. Zum bestandenen Abitur erhält sie eine Leica.
1931 Studium der Soziologie und Kunstgeschichte in Freiburg und Frank-furt/Main, u.a. bei Theodor W. Adorno, Karl Mannheim und Nor-bert Elias.
1933Beteiligung am Kampf gegen den Nationalsozialismus, entgeht der Verhaftung durch Flucht nach Paris am 30.05.1933.Fortsetzung des Studiums an der Sorbonne.
1936 Promotion an der Sorbonne: Doktorarbeit über „Die Photographie im Frankreich des 19. Jahrhunderts“, verlegt von Adrienne Monnier.
1938 Als erste Fotografin in Frankreich benutzt sie ab Herbst 1938 den Selbstportrait im Spiegel, Paris, 1935
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1950 LIFE Magazine publiziert ihre Reportage von Evita Perón, was dip-lomatische Verwicklungen zwischen den USA und Argentinien zur Folge hat. G. Freund lebt und arbeitet zwei Jahre lang in Mexiko, wo sie eine Freundschaft zu Frida Kahlo und Diego Riviera aufbaut, wie auch zu Alfaro Siqueiros und José Louis Orozco. Ihre Reporta-gen erscheinen in Weekly Illustrated, Picture Post und Look.
1953Sie verlegt ihren Wohnsitz nach Paris.
1954 G. Freund verlässt Magnum. Ihre geplante Reportage über die USA wird nicht realisiert, da sie vom FBI zur unerwünschten Person er-klärt wird, u.a. wegen der Evita Perón Reportage.
1963 Erste Gruppenausstellung in der BRD: „Das französische Portrait im 20. Jahrhundert“.
1968 „Photographie und Gesellschaft“, die deutsche Erstausgabe ihrer überarbeiteten Dissertation, erscheint 1968 und leitet die Wie-derentdeckung Gisèle Freunds durch die Studentenbewegung ein.
1970 Fotoreportagen in Japan, dem Nahen Osten, in Europa, den USA,
35 mm Farbfilm für ihre Portraits. Am 8.5.1939 erscheint TIME mit einem farbigen Titelfoto von James Joyce.Sie macht Fotoreportagen für LIFE, Vu, und Weekly Illustrated. Durch Heirat mit Leopold Blum erhält sie die französische Staats-bürgerschaft.
1940 Flucht nach Süden ins Departement Lot, lebt im Untergrund.
1942 Einladung nach Buenos Aires von Victoria Ocampo, Leiterin der li-terarischen Zeitschrift Sur. G. Freund führt ihre Arbeit als Journa-listin und Fotoreporterin fort, und wird Kulturbotschafterin für das Informationsministerium des freien Frankreich.
1946 G. Freund gründet das Hilfskommittee „Solidaridad con los escrito-res franceses“, und kehrt mit 3 Tonnen gesammelter Lebensmittelfür Schriftsteller und Journalisten zurück nach Frankreich.
Rückkehr nach Argentinien als Abgesandte des Musée de l‘Homme und des Informationsministeriums, Reise nach Patagonien und Feuerland.
1947Eintritt in die neu gegründete Fotoagentur Magnum; Reisen nach Kanada, USA, Zentral-und Lateinamerika.
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Ausgewählte Einzelausstellungen
1988 Werkbund-Archiv, Berlin
1989 Galerie de France, Paris
1991/92 Musée national d‘Art moderne, Centre Georges-Pompidou, Paris
1994 Galerie Clairefontaine, Luxemburg
1995 Museum für Moderne Kunst, Frankfurt
1996 Berliner Festspielausstellung, BerlinGoethe-Institut, ParisSprengel Museum, Hannover
2008Galleria Carla Sozzani, Mailand
2011/12 Fondation Pierre Bergé-Yves St. Laurent, Paris
und Mexiko.„Le monde et ma camera“, ihre Autobiografie erscheint in engli-scher und französischer Sprache.
1977 Sie wird Präsidentin der „Fédération Française des Associations des Photographes Créateurs“, des franz. Fotografenverbandes.
1978 Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Fotografie.
1980Das französische Kulturministerium verleiht ihr den „Grand Prix National des Arts pour la Photographie“. Sie wird Mitglied des Ver-waltungsrates der „Fondation Nationale de la Photographie“.
1981 G. Freund wird beauftragt, das offizielle Portrait des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand anzufertigen. 1982-87Sie erhält höchste französische Auszeichnungen: „Officier des Arts et Lettres“ (1982), „Chevalier de la Légion d‘Honneur“ (1983) und „Officier du Mérite“ (1987).
1987-88Studienjahr in den USA auf Einladung der Getty-Foundation.
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Koestler, Arthur: 164, 165Le Corbusier: 180, 183Leiris, Michel: 122Lowell, Robert: 189, 190
Malraux, André: 48, 51, 52, 61, 147, 148Mann, Heinrich: 60Marcuse, Herbert: 197Matisse, Henri: 174, 175McCarthy, Mary: 191Méliès, Madame: 82Michaux, Henri: 122, 177Miller, Henry: 186Monnier, Adrienne: 108, 111, 112, 118, 122, 128Murdoch, Iris: 204Musil, Robert: 57
Nabokov, Vladimir: 122Nizan, Paul: 58
Ocampo, Victoria: 121
Pasternak, Boris: 53Paulhan, Jean: 122Paulhan, Germaine: 122Perón, Evita: 65-75Perón, Juan Domingo: 67, 69Perse, Saint-John: 202Porter, Katherine-Anne: 213Prévert, Jacques: 176
Ray, Man: 185Read, Herbert: 167Regler, Gustav: 46, 57Rolland, Romain: 120Roth, Phillip: 87Ruiter, Marita: 12, 17
Sackville-West, Vita: 140Sartre, Jean-Paul: 151, 152Seghers, Anna: 47, 62Shaw, G.B.: 160Signoret, Simone: 208Silva, Vieira da: 179Simon, Claude: 217Solschenizyn, Alexander: 200Steinbeck, John: 205
Tolstoi, Alexej: 52, 53Triolet, Elsa: 145
Ustinov, Peter: 84
Valéry, Paul: 149Vildrac, Charles: 63
Wilder, Thornton: 155Williams, Tennessee: 212Woolf, Virginia: 132-135Woolf, Virginia/Arbeitstisch: 131Wright, Richard: 214
Zweig, Stefan, 159
Aimée, Anouk: 187Aragon, Louis: 144
Baker, Josephine: 192, 193Barbusse, Henri: 53Beach, Silvia: 109, 110, 112, 118, 122Beauvoir, Simone de: 103, 104, 106, 107, 152Beckett, Samuel: 156, 157Benda, Julien: 52, 61Benjamin, Walter: 126, 127Bloch, Jean-Richard: 60Bonaparte, Marie: 141Bonnard, Pierre: 170, 171, 173Brandt, Willy: 216Brecht, Bertold: 41Breton, André: 136, 139Buber, Martin: 196
Cassou, Jean: 57Celan, Paul: 168Church, Henri: 122Church, Barbara: 122Cocteau, Jean: 142, 143Colette: 124, 125Condon, Richard: 84Cremieux, Benjamin: 56
Dabit, Eugène: 44Duchamp, Marcel: 154Dujardin, Edouard: 57Duras, Marguerite: 199
Ehrenburg, Ilja: 45Elias, Norbert: 167Eliot, T.S.: 161Ernst, Max: 178
Forster, E.M.: 45Frank, Waldo: 57Freund, Gisèle: 4, 9, 12, 16, 17, 218Fry, Christopher: 195
Gabor, Zsazsa: 209Giacometti, Alberto: 184Gide, André: 52, 58, 61, 162Gold, Claire: 56Gold, Michael: 44, 56Guéhenno, Jean: 62Guggenheim, Peggy: 163
Hesse, Hermann: 169Hochhuth, Ralf: 188Huxley, Aldous: 55
Illich, Ivan: 201Ionesco, Eugène: 206Isherwodd, Christopher: 194Ivanov, Vsevolod: 52
Joyce, James: 112-118
Kahlo, Frida: 210, 211Kirschon, Vladimir: 52Kisch, Egon Erwin: 85
Register der abgebildeten PersonenDie Ziffern bezeichnen die Seitenzahl
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Impressum
Diese Publikation erscheint anlässlich der Sonderausstellung „Gisèle Freund, Portraits und Reportagen“ zur Art Karlsruhe 2013
ISBN: 978-2-919881-98-7
Herausgeber: Editions Clairefontaine, LuxemburgKonzeption und Redaktion: Marita Ruiter, Galerie ClairefontaineGrafische Gestaltung: Céline Kerschen, Marita RuiterDruckerei: Imprimerie Centrale S.A., Luxemburg
© 2013 Galerie Clairefontaine, Luxemburg
Wenn nicht anders vermerkt, stammen die Zitate und die Angaben der Jahreszahlen dieser Publikation von Gisèle Freund.
www.gisele-freund.com
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