Funktionentheorie · 2018. 12. 20. · Funktionentheorie Prof. Dr. Michael Struwe Zusammenfassung:...
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Funktionentheorie
Prof. Dr. Michael Struwe
Zusammenfassung:Emmanuel Bauer & Michele Reho
20. Dezember 2018
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Inhaltsverzeichnis
1 Der Körper C der komplexen Zahlen 11.1 Der n-dim. euklidische Raum Rn . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Komplexe Zahlen C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
2 Komplexe Differenzierbarkeit 22.1 Differenzierbare Funktionen Rn → Rl . . . . . . . . . . . . . . 22.2 Komplex differenzierbare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . 22.3 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32.4 Holomorphe Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.5 Harmonische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
3 Der Cauchysche Integralsatz 53.1 Kurvenintegrale in C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53.2 Der Satz von Goursat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63.3 Der Cauchysche Integralsatz auf einem Ball . . . . . . . . . . 73.4 Cauchysche Integralformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
4 Residuenkalkül 104.1 Pole und wesentliche Singularitäten . . . . . . . . . . . . . . . 104.2 Meromorphe Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124.3 Das Argumentprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
5 Der allgemeine Cauchysche Integralsatz 155.1 Homotopien, einfache zshg. Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . 155.2 Der komplexe Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155.3 Ganze Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165.4 Die Gamma-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185.5 Die Riemannsche Zeta-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
6 Der Riemannsche Abbildungssatz 206.1 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206.2 Der Riemannsche Abbildungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . 20
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1 Der Körper C der komplexen Zahlen
1.1 Der n-dim. euklidische Raum Rn
Definition 1.1.1 (Rn, kanonische Basis, euklidische Norm, Metrik). klar
1.2 Komplexe Zahlen C
Definition 1.2.1. Auf R2 können wir durch(xy
)·(uv
):=
(xu− yvxv + yu
)eine Multiplikation einführen, welche assoziativ und kommutativ ist, undfür die das Distributivgesetz gilt.
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2 Komplexe Differenzierbarkeit
2.1 Differenzierbare Funktionen Rn → Rl
Seien Ω ⊂ C offen und f = (fk)1≤k≤l : Ω→ Rl, x0 ∈ Ω.
Definition 2.1.1. f ist diffbar an der Stelle x0, falls eine lineare AbbildungA = df(x0) : Rn → Rl existiert mit
limh→0
f(x0 + h)− (f(x0) +Ah)|h|
= 0.
Die Abbildung A = df(x0) heisst Differential von f an der Stelle x0 oderAbleitung von f .Äquivalent können wir schreiben
f(x) = f(x0) + df(x0)(x− x0) + o(x− x0),
wobei o(h)|h| → 0 für 0 6= h→ 0. df(x0) die Koordinatendarstellung
df(x0) =
∂f1∂x1
(x0) · · · ∂f1∂xn (x0)...
. . ....
∂fl∂x1
(x0) · · · ∂fl∂xn (x0)
.2.2 Komplex differenzierbare Funktionen
Definition 2.2.1. Eine Funktion f = u+ iv : Ω→ R2 = C heisst komplexdifferenzierbar (C-diffbar) an der Stelle z0, falls f an der Stelle z0 (reell)differenzierbar ist mit C-linearer Ableitung
df(z0) =
(ux uyvx vy
)(z0) : R2 = C→ R2 = C,
wo ux =∂u∂x , etc.
Satz 2.2.1 (Cauchy-Riemann Gleichungen). Sei f = u + iv : Ω → R2 = Can der Stelle z0 ∈ Ω reell diffbar. Dann ist f am Punkt z0 C-diffbar genaudann, wenn gilt
ux = vy, uy = −vx. (2.2.1)
Satz 2.2.2. Seien Ω ⊂ C offen und f : Ω → C am Punkt z0 ∈ Ω C-diffbar.Dann existiert
f ′(z0) = limz→z0
f(z)− f(z0)z − z0
∈ C, (2.2.2)
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und es gilt
f ′(z0) =∂f
∂x(z0) = −i
∂f
∂y(z0). (2.2.3)
Satz 2.2.3. Seien f : Ω ⊂ R2 = C → R2 = C an der Stelle z0 ∈ Ω (reell)diffbar, und es gelte (2.2.1), (2.2.3) oder es existiere f ′(z0) wie in (2.2.2).Dann ist df(z0) C-linear, f also C-diffbar am Punkt z0.
2.3 Ableitungsregeln
Satz 2.3.1. Seien Ω ⊂ C offen und f : Ω→ C komplex diffbar an der Stellez0 ∈ Ω. Dann ist f an dieser Stelle stetig; d.h. es gilt
limz→z0
f(z) = f(z0).
Satz 2.3.2. Seien Ω ⊂ C offen und f, g : Ω → C an der Stelle z0 ∈ CC-diffbar. Dann gilt:
i) Die Funktion f + g : Ω→ C ist an der Stelle z0 C-diffbar mit
(f + g)′(z0) = f′(z0) + g
′(z0);
ii) die Funktion f ·C g : Ω→ C ist an der Stelle z0 C-diffbar mit
(f · g)′(z0) = f ′(z0)g(z0) + f(z0)g′(z0);
iii) falls g(z0) 6= 0, so ist die Funktion f/g : Ω \ {z : g(z) = 0} → C an derStelle z0 C-diffbar mit
(f/g)′(z0) =f ′(z0)g(z0)− f(z0)g′(z0)
g(z0)2.
Satz 2.3.3. Seien U ,V ⊂ offen, f : U → C mit f(U) ⊂ V an der Stellez0 ∈ U komplex diffbar, und sei g : V → C an der Stelle w0 = f(z0) ∈ Vkomplex diffbar. Dann ist
(g ◦ f)′(z0) = g′(f(z0))f ′(z0).
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2.4 Holomorphe Funktionen
Definition 2.4.1.
i) f heisst analytisch, falls f in jedem Punkt z0 ∈ Ω komplex diffbarist.
ii) f heisst holomorph, falls f analytisch und die Funktion f ′ : z → f ′(z)auf Ω stetig ist (d.h., falls f analytisch und von der Klasse C1).
Satz 2.4.1. Sei f : Ω ⊂ C → C holomorph, und sei f ′(z0) 6= 0 für einz0 ∈ Ω. Dann gibt es offene Umgebungen U von z0, V von f(z0) =: w0 undeine holomorphe Funktion g : V → C mit
(g ◦ f)(z) = z, z ∈ U ,
(f ◦ g)(w) = w,w ∈ V,
undg′(f(z)) = 1/f ′(z), z ∈ U ,
g′(w) = 1/f ′(g(w)), w ∈ V.
2.5 Harmonische Funktionen
Sei Ω ⊂ R2 offen, u ∈ C2(Ω;R).
Definition 2.5.1.
i) u heisst harmonisch, falls in Ω gilt
∆u :=∂2u
∂x2+∂2u
∂y2= 0.
ii) ∆ = ∂2
∂x2+ ∂
2
∂y2heisst Laplace-Operator.
Definition 2.5.2. Harmonische Funktionen u, v ∈ C2(Ω;R) heissen kon-jugiert harmonisch, falls f = u+ i · v : Ω→ C holomorph ist.
Definition 2.5.3. Seien Ω,Ω′ ⊂ C offen. Eine holomorphe Funktion f : Ω→Ω′ heisst bi-holomorph, falls f bijektiv ist mit holomorpher Umkehrfunk-tion f−1 : Ω′ → Ω.
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3 Der Cauchysche Integralsatz
3.1 Kurvenintegrale in C
Sei Ω ⊂ C offen γ ∈ C1([0, 1]; Ω) eine Kurve in Ω mit γ̇(t)=dγdt (t), 06t61.
Definition 3.1.1. Die Länge von γ ist die Zahl
L(γ) :=
∫ 10|γ̇(t)|dt.
Weiter sei f ∈ C0(Ω;C).
Definition 3.1.2. Das Wegintegral von f längs γ ist∫γf(z)dz :=
∫ 10f(γ(t)) · γ̇(t)dt ∈ C
Lemma 3.1.1. Für f ∈ C0(Ω;C), γ ∈ C1([0, 1]; Ω) gilt
|∫γf(z)dz| 6 max
06t61|f(γ(t))| · L(γ).
Bemerkung 3.1.1. Wege γ1, γ2 ∈ C1([0, 1]; Ω) mit γ2(0) = γ1(1) könnenwir zu einem Weg
γ(t) =
{γ1(2t), 0 6 t 6 12 ,
γ2(2t− 1), 12 6 t 6 1
zusammenhängen, welcher stückweise von der Klasse C1 ist, γ =: γ1 + γ2 ∈C1pw([0, 1]; Ω). Für f ∈ C0(Ω;C) definieren wir in diesem Fall∫
γf(z)dz =
∫γ1+γ2
f(z)dz =
∫γ1
f(z)dz +
∫γ2
f(z)dz
und können auf diese Weise das Wegintegral von f längs beliebiger Kurvenγ ∈ C1pw([0, 1]; Ω) erklären.
Definition 3.1.3. Der Weg γ ∈ C1pw([0, 1]; Ω) heisst geschlossen, fallsγ(1) = γ(0).
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3.1.1 Zusammenhang und Wegzusammenhang
Sei Ω ∈ C offen, Ω 6= ∅.
Definition 3.1.4.
i) Eine Teilmenge ∅ 6= U ⊂ Ω heisst Zusammenhangskomponentevon Ω, falls U sowohl offen als auch (relativ) abgeschlossen ist.
ii) Ω heisst zusammenhängend (zshg.), falls Ω genau eine Zusammen-hangskomponente hat.
Definition 3.1.5. Sei k ∈ N0. Ω ist Ck-wegzshg. falls gilt:
∀z0, z1 ∈ Ω∃γ ∈ Ck([0, 1; Ω) : γ(0) = zo, γ(1) = z1
Lemma 3.1.2. Für ∅ 6= Ω ⊂ C offen gilt:
Ω zshg.⇔ ∀k ∈ N0 : Ω ist Ck-wegzhg.
Satz 3.1.1. Für f ∈ C0(Ω;C) sind äquivalent:
i) ∃F ∈ C1(Ω;C) : F holomorph, F ′ = f ;
ii)∫γ f(z)dz ist für γ ∈ C
1pw([0, 1]; Ω) nur abhängig von γ(0) und γ(1);
iii)∫γ f(z)dz = 0 für jede geschlossene Kurve γ ∈ C
1pw([0, 1]; Ω).
3.2 Der Satz von Goursat
Sei Ω ∈ C offen, D = D ∈ Ω ein abgeschlossenes Dreieck mit Rand ∂D. Wirkönnen ∂D durch eine geschlossene Kurve γ ∈ C1pw([0, 1]; Ω) parametrisieren,wobei wir γ so orientieren, dass D beim Durchlaufen von γ stets links liegt.
Satz 3.2.1 (Goursat). Sei D ∈ D ∈ Ω wie oben. Falls f ∈ C0(Ω;C) analy-tisch, so gilt ∫
∂Df(z)dz =
∫γf(z)dz = 0.
Korollar 3.2.1. Sei Q = Q ∈ Ω ein Rechteck mit orientierem Rand ∂Q, f ∈C0(Ω;C) analytisch. Dann gilt∫
∂Qf(z)dz = 0.
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3.3 Der Cauchysche Integralsatz auf einem Ball
Betrachte Ω = BR(z∗) ⊂ C. Der Satz von Goursat liefert das folgende Re-sultat.
Satz 3.3.1. Sei f ∈ C0(Ω;C) analytisch, wobei Ω = BR(z∗) eine Kreisschei-be. Dann existiert F ∈ C1(Ω;C) holomorph mit F ′ = f .
Satz 3.3.2 (Cauchy). Sei Ω = BR(z∗) ⊂ C, f ∈ C0(Ω;C) analytisch undγ ∈ C1pw([0, 1]; Ω) geschlossen. Dann gilt∫
γf(z)dz = 0.
Korollar 3.3.1. Sei Ω ⊂ C offen, f : Ω→ C analytisch, und sei U ⊂ U ⊂ Ωbeschränkt mit ∂U ∈ C1pw. Dann gilt∫
∂Uf(z)dz = 0.
3.4 Cauchysche Integralformel
Satz 3.4.1. Sei Ω ⊂ C offen und f : Ω → C analytisch, B ⊂ B ⊂ Ω eineKreisscheibe. Dann gilt
∀z ∈ B : f(z) = 12πi
∫∂B
f(ζ)
ζ − zdζ.
Korollar 3.4.1. Sei Ω ⊂ C offen und f : Ω → C analytisch. Dann ist fglatt; insbesondere ist f holomorph. Genauer gilt:
i) f ist im Innern jedes Balles B = BR(z0) ⊂ B ⊂ Ω beliebig oft C-diffbarmit
∀z ∈ B, n ∈ N0 : f (n)(z) =n!
2πi
∫∂B
f(ζ)
(ζ − z)n+1dζ.
ii) f lässt sich lokal um jeden Punkt z0 ∈ Ω durch seine Taylorreihe
f(z) =∞∑n=0
f (n)(z0)
n!(z − z0)n
darstellen.
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Bemerkung 3.4.1. Mit Korollar 3.4.1 i) erhalten wir insbesondere dieCauchy-Ungleichungen
∀n ∈ N : |f (n)(z0)| 6n! max∂BR(z0) |f |
Rn
für jedes z0 ∈ Ω und jedes R > 0 mit BR(z0) ⊂ Ω.
Korollar 3.4.2 (Identitätssatz). Sei Ω ⊂ C offen und zshg. und seienf, g : Ω→ C analytisch. Weiter gelte für ein z∗ ∈ Ω
∀n ∈ N : f (n)(z∗) = g(n)(z∗).
Dann ist die Funktion f − g konstant.
Korollar 3.4.3 (Nullstellen sind isoliert). Sei Ω ⊂ C offen und zshg.,f : Ω → C analytisch und nicht konstant. Sei weiter z0 ∈ Ω mit f(z0) = 0.Dann gibt es ε > 0 mit
∀z ∈ Bε(z0) \ {z0} : f(z) 6= 0.
Korollar 3.4.4 (Liouville). Sei f : C→ C analytisch. Falls C > 0 existiertmit |f(z)| 6 C für alle z ∈ C, so ist f konstant.
Korollar 3.4.5 (Fundamentalsatz der Algebra). Sei p(z) = a0 + a1z+ ...+anz
n ein nicht konstantes Polynom. Dann hat p (mindestens) eine Nullstelle.
Korollar 3.4.6 (Weierstrass). Sei Ω ⊂ C offen, (fk)k∈N ⊂ C1(Ω;C) eineFolge holomorpher Funktionen mit fk
k→∞−−−→ f in C0loc(Ω,C); d.h., für jedeskompakte K ⊂ Ω gelte
supz∈K|fk(z)− f(z)| → 0 (k →∞).
Dann ist f holomorph und f(n)k
k→∞−−−→ f (n) in C0loc(Ω;C) für jedes n ∈ N.
Korollar 3.4.7 (Maximumsprinzip). Sei Ω ⊂ C offen, beschränkt und zshg.,f ∈ C0(Ω;C) analytisch in Ω. Dann gilt
M := maxz∈Ω|f(z)| = max
z∈∂Ω|f(z)|
und falls für ein z0 ∈ Ω gilt |f(z0)| = M , so gilt f ≡ f(z0).
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3.4.1 Hebbare Singularitäten
Unter gewissen Annahmen kann man analytische Funktionen in isoliertenAusnahmestellen ihres Definitionsbereichs zu holomorphen Funktionen fort-setzen.
Satz 3.4.2. Sei Ω ⊂ C offen, a ∈ Ω, f ∈ C1(Ω \ {a};C) holomorph mit
limz→a
(z − a)f(z) = 0.
Dann gibt es f̃ ∈ C1(Ω;C) holomorph mit f̃ = f auf Ω \ {a}.
Satz 3.4.3 (Das Schwarzsche Lemma). Sei B = B1(0), f : B → C analytischmit f(0) = 0 und |f(z)| 6 1 für alle z ∈ B. Dann gilt
|f ′(0)| 6 1,∀z ∈ B : |f(z)| 6 |z|.
Falls |f ′(0)| = 1 oder |f(z)| = |z| für ein z ∈ B, so ist f(z) = cz linear, wobeic ∈ C mit |c| = 1.
Korollar 3.4.8. Sei f : B = B1(0) ⊂ C → B analytisch. Dann gelten füralle z, z0 ∈ B die Ungleichtungen
| f(z)− f(z0)1− f(z0)f(z)
| 6 | z − z01− z0z
|
sowie|f ′(z)|
1− |f(z)|26
1
1− |z|2
Korollar 3.4.9. Sei f : B → B biholomorph. Dann gibt es z0 ∈ B und θ ∈ Rmit
f(z) = eiθz − z01− z0z
, z ∈ B
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4 Residuenkalkül
4.1 Pole und wesentliche Singularitäten
Sei Ω ∈ C offen, a ∈ Ω, und sei f : Ω \ {a} → C holomorph.
Definition 4.1.1. Die Stelle a ∈ Ω heisst
i) hebbare Singularität, falls
limz→a
(z − a)f(z) = 0;
ii) Pol von f , fallslimz→a|f(z)| =∞;
iii) wesentliche Singularität von f , andernfalls.
Satz 4.1.1. Sei Ω ∈ C offen, z0 ∈ Ω, f : Ω \ {z0} → C holomorph mit einemPol an der Stelle z0. Dann gilt:
i) Es gibt genau ein n0 ∈ N und eine holomorphe Funktion g : Ω → Cmit g(z0) 6= 0, so dass
f(z) =g(z)
(z − z0)n0, z ∈ Ω \ {z0}
ii) Es gibt bk ∈ C, 1 6 k 6 n0, mit bn0 6= 0, wobei n0 wie in i), und eineholomorphe Funktion φ : Ω→ C, so dass
f(z) =bn0
(z − z0)n0+ ...+
b1z − z0
+ φ(z), z ∈ Ω \ {z0},
iii) für r > 0 mit Br(z0) ⊂ Ω gilt
φ(z) =1
2πi
∫∂Br(z0)
f(ζ)
ζ − zdζ.
Definition 4.1.2. Die Zahl n0 ∈ N in Satz 4.1.1 heisst Ordnung der Pol-stelle z0.
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Definition 4.1.3. Die Summe
P (z) =bn0
(z − z0)n0+ ...+
b1z − z0
heisst Hauptteil von f an der Polstelle z0,
b1 =: Resz0 f
heisst das Residuum von f an dieser Stelle.
Bemerkung 4.1.1.
i) Da alle Terme ausser dem Term b1z−z0 in der Entwicklung 4.1.1 von fStammfunktionen besitzen, gilt nach den Sätzen 3.1.1,3.3.2 und 3.4.1für r > 0 mit Br(z0) ⊂ Ω:
1
2πi
∫∂Br(z0)
f(z)dz =b1
2πi
∫∂Br(z0)
dz
z − z0= b1 = Resz0 f.
ii) Weitere Darstellungen des Residuums erhält man durch Multiplikation
(z−z0)n0f(z) = bn0+bn0−1(z−z0)+· · ·+b1(z−z0)n0−1+(z−z0)n0φ(z).
Es folgt:
Resz0 f = b1 = limz→z0
1
(n0 − 1)!
( ddz
)n0−1((z − z0)n0f(z)
).
Satz 4.1.2 (Residuensatz). Sei Ω ⊂ C offen, z1, ..., zk ∈ Ω, f : Ω \ {zk; 1 6k 6 K} → C holomorph mit Polstellen bei zk, 1 6 k 6 K. Dann giltfür jeden Kreis B = BR(z0), R > 0, mit BR(z0) ⊂ Ω und mit ∂BR(z0) ⊂Ω \ {zk; 1 6 k 6 K} die Gleichung
1
2πi
∫∂BR(z0)
f(z)dz =∑
zk∈BR(z0)
Reszk f.
Satz 4.1.3 (Casorati-Weierstrass). Sei Ω ⊂ C offen, f : Ω \ {z0} → C ho-lomorph mit einer wesentlichen Singularität an der Stelle z0 ∈ Ω. Danngilt
∀r > 0 : f(Br(z0) ∩ Ω) = C.
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Satz 4.1.4 (Laurent-Reihenentwicklung). Sei Ω ⊂ C offen, z0 ∈ Ω, f : Ω \{z0} → C holomorph, R > 0 mit BR(z0) ⊂ Ω. Dann gibt es Koeffizientenan, n ∈ Z, so dass für jedes z ∈ BR(z0) \ {z0} gilt
f(z) =∞∑
n=−∞an(z − z0)n,
wobei die Reihe lokal gleichmässig in BR(z0) \ {z0} absolut konvergiert. ImFalle, dass f bei z0 eine Polstelle hat der Ordnung n0 ∈ N, gilt zudem an = 0für n < n0.
4.2 Meromorphe Funktionen
Sei Ω ⊂ C offen.
Definition 4.2.1. f ist eine meromorphe Funktion auf Ω, falls es einehöchstens abzählbare Menge von Punkten (zk)k∈N0 ⊂ Ω ohne Häufungspunktin Ω gibt mit
i) f : Ω \ {zk; k ∈ N0} → C ist holomorph;
ii) f hat eine Polstelle bei zk, k ∈ N0.
Definition 4.2.2. Eine holomorphe Funktion f : C→ C heisst eine ganzeFunktion.
Definition 4.2.3. Eine Funktion f : C → C heisst meromorph auf C,falls für ein R > 0 gilt:
i) f |B2R(0) : B2R(0)→ C ist meromorph.
ii) f |C\BR(0) : C \ BR(0)→ C ist holomorph.
iii) F (z) = f(1z ) : B1/R(0) \ {0} → C hat eine hebbare Singularität odereinen Pol an der Stelle z0 = 0.
Satz 4.2.1. Sei f : C→ C meromorph. Dann ist f rational; d.h., f = pq mitPolynomen p, q : C→ C.
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4.3 Das Argumentprinzip
Sei Ω ⊂ C offen, f : Ω → C holomorph, z0 ∈ Ω mit f(z0) 6= 0. Für z ∈ Ωnahe bei z0 ist dann
log f(z) = log |f(z)|+ i arg f(z)
bis auf ganzzahlige Vielfache von 2πi erklärt. Treffen wir eine Wahl fürarg f(z0), so können wir durch die Forderung der Stetigkeit für genügendkleine r > 0 eine holomorphe Funktion φ : Ω ∩ Br(z0)→ C erklären mit
φ(z) = log f(z), z ∈ Ω ∩ Br(z0),
und
φ′(z) =f ′(z)
f(z), z ∈ Ω ∩ Br(z0),
ist unabhängig von der Wahl des Arguments von f(z).
Satz 4.3.1 (Argumentprinzip). Sei Ω ⊂ C offen, f : Ω→ C meromorph, undsei U beschränkt mit U ⊂ Ω und so, dass f weder Polstellen noch Nullstellenauf ∂U besitzt. Dann gilt
1
2πi
∫∂U
f ′(z)
f(z)dz =
∑zk∈U
nk −∑zj∈U
mj ,
wobei zk die Nullstellen von f mit Ordnung nk ∈ N und zj die Polstellenvon f mit Ordnung mj ∈ N sind.
Satz 4.3.2 (Rouché). Sei Ω ⊂ C offen, f, g : Ω → C holomorph, und fürB = BR(z0) mit B ⊂ Ω gelte
∀z ∈ ∂B : |f(z)| > |g(z)|.
Dann haben f und die Funktion f + g dieselbe Anzahl Nullstellen (mitMultiplizität) in B.
Lemma 4.3.1. Sei Ω ⊂ C offen, z0 ∈ Ω, f : Ω → C holomorph, nicht kon-stant mit f ′(z0) = 0, w0 = f(z0). Dann gibt es r > 0 mit Br(z0) ⊂ Ωund δ > 0 so dass jedes w ∈ Bδ(w0) mindestens zwei verschiedene Urbilderz1, z2 ∈ Br(z0) besitzt.
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Korollar 4.3.1 (Offenheit holomorpher Funktionen). Sei Ω ⊂ C offen undzshg., f : Ω→ C holomorph und nicht konstant, U ⊂ Ω offen. Dann ist f(U)offen.
Korollar 4.3.2 (Biholomorphiesatz). Sei Ω ⊂ C offen, f : Ω → C holo-morph und injektiv. Dann gilt f ′(z) 6= 0 für jedes z ∈ Ω, und f ist einebiholomorphe Abbildung von Ω auf Ω̃ := f(Ω).
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5 Der allgemeine Cauchysche Integralsatz
5.1 Homotopien, einfache zshg. Gebiete
Sei Ω ⊂ C offen und seien γ0, γ1 ∈ C0([0, 1]; Ω) Wege mit γ0(0) = z0 = γ1(0)und γ0(1) = z1 = γ1(1).
Definition 5.1.1.
i) γ0 und γ1 heissen zu einander homotop (bei festen Endpunkten), fallsγ ∈ C0([0, 1]× [0, 1]; Ω) existiert mit
γ(0, t) = γ0(t), γ(1, t) = γ1(t), 0 ≤ t ≤ 1,
γ(s, 0) = z0, γ(s, 1) = z1, 0 ≤ s ≤ 1.
ii) Für γ0, γ1 ∈ Ck, k ∈ N heisst γ eine Ck-Homotopie, falls γ ∈ Ck;insbesondere gilt dann: ∀s ∈ [0, 1] : γs = γ(s, ·) ∈ Ck, s 7→ γs ∈ Ckstetig.
Satz 5.1.1. Seien Ω ⊂ C offen, f : Ω → C holomorph, und seien γ0, γ1 ∈C1([0, 1]; Ω) homotop bei festen Endpunkten. Dann gilt∫
γ0
f(z)dz =
∫γ1
f(z)dz.
Definition 5.1.2. Sei Ω ⊂ C offen. Dann heisst Ω einfach zusammen-hängend (1-zshg.), falls je zwei Kurven γ0, γ1 ∈ C0([0, 1]; Ω) mit denselbenEndpunkten zueinander homotop sind.
Satz 5.1.2. Sei Ω ⊂ C offen, 1-zshg., f : Ω → C holomorph. Dann gibt eseine holomorphe Funktion F : Ω→ C mit F ′ = f .Korollar 5.1.1 (Cauchy). Seien Ω ⊂ C offen und 1-zshg., f : Ω→ C holo-morph, γ ∈ C1pw([0, 1]; Ω) geschlossen. Dann gilt:
∫γ f(z)dz = 0.
5.2 Der komplexe Logarithmus
Satz 5.2.1. Sei Ω ⊂ C offen, 1-zshg und mit 1 ∈ Ω,0 /∈ Ω. Dann gibt es eineeindeutig bestimmte holomorphe Funktion F (z) = logΩ(z), z ∈ Ω, mit:
i) eF (z) = z, z ∈ Ω,
ii) F (1) = 0.
Satz 5.2.2. Sei Ω ⊂ C offen, 1-zshg., f : Ω→ C\{0} holomorph. Dann gibtes g : Ω→ C holomorph mit
eg(z) = f(z), z ∈ Ω.
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5.3 Ganze Funktionen
Satz 5.3.1 (Jensen). Sei Ω ⊂ C offen, B = BR(0) ⊂ B̄ ⊂ Ω, f : Ω → Cholomorph mit f(z) 6= 0 für z ∈ ∂B, f(0) 6= 0.Dann gilt:
log |f(0)| =K∑k=1
log(|zk|R
) +1
2π
∫ 2π0
log |f(Reiθ)|dθ,
wobei z1, ..., zK die Nullstellen von f in B bezeichnet und jede Nullstelleentsprechend ihrer Multiplizität nk-mal in der Aufzählung erscheint.
Satz 5.3.2 (Mittelwerteigenschaft). Sei Ω ⊂ C offen und B = BR(0) ⊂ B̄ ⊂Ω, f : Ω→ C holomorph. Dann gilt
f(0) =1
2π
∫ 2π0
f(Reiθ)dθ.
Falls weiter f = u+ iv mit u = Re(f), so gilt
u(0) =1
2π
∫ 2π0
u(Reiθ)dθ.
Lemma 5.3.1. Sei a ∈ C mit |a| < 1. Dann gilt∫ 2π0
log |1− aeiθ|dθ = 0.
Definition 5.3.1. Für holomorphes f : C→ C, r > 0 sei
n(r) := nf (r) := #{z ∈ Br(0); f(z) = 0},
wobei jede Nullstelle mit ihrer Multiplizität gezählt wird.
Lemma 5.3.2. Für R > 0 gilt∫ R0n(r)
dr
r=
K∑k=1
log(R
|zk|),
falls f(0) = 0, wobei z1, ..., zK ∈ Br(0) die Nullstellen von f mit Multiplizitätbezeichnet.
Definition 5.3.2. Sei f : C→ C holomorph, ρ > 0.
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i) Die Funktion f hat Wachstumsordnung ≤ ρ, falls gilt
∃A,B > 0∀z ∈ C : |f(z)| ≤ Aexp(B|z|ρ).
ii) Die Ordnung des Wachstums von f ist dann
ρf := inf{ρ > 0; f hat Wachstumsordnung ≤ ρ}
Satz 5.3.3. Sei f ganz mit ρf < ρ. Dann gilt
i) ∃C,R > 0∀r > R : n(r) ≤ Crρ.
ii) Sind z1, z2, ... die Nullstellen von f mit Multiplizität, so gilt für jedess > ρ, dass
∞∑k=1
1
|zk|s 0, |θ| < π4 },und sei f ∈ C0(S̄;C holomorph in S mit ρf ≤ 1 und mit
|f(z)| ≤ 1 für alle z ∈ ∂S.
Dann gilt |f(z)| 6 1 für jedes z ∈ S.
Definition 5.3.3. Sei (an)n∈N ⊂ C. Das unendliche Produkt
∞∏n=1
(1 + an)
konvergiert, falls A := limN→∞∏Nn=1(1 + an) existiert, und
∏∞n=1(1 +
an) := A.
Lemma 5.3.3. Es gelte∑∞
n=1 |an|
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Satz 5.3.5. Sei Ω ⊂ C offen, fn : Ω→ C holomorph mit
∀z ∈ Ω : |fn(z)− 1| ≤ cn, n ∈ N,
für cn > 0 mit∑∞
n=1 cn < ∞. Dann konvergiert F (z) =∏∞n=1 fn(z) un-
abhängig von der Reihenfolge der Faktoren, und F : Ω→ C ist holomorph.Zudem gilt für z ∈ Ω mit fn(z) 6= 0, n ∈ N,
F ′(z)
F (z)=∞∑n=1
f ′n(z)
fn(z).
Beispiel 5.3.1 (Eulers Produktformel).
sin(πz)
πz=∞∏n=1
(1− z2
n2), z ∈ C.
Beachte, dass für jedes z ∈ C für fn(z) = 1− z2
n2gilt
|fn(z)− 1| ≤ cn =|z|2
n2,∑n6=0
cn
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Satz 5.4.1. Durch (5.4.1) wird eine holomorphe Funktion Γ für Re(s) > 0erklärt.
Lemma 5.4.1. Für Re(s) > 0 gilt
Γ(s+ 1) = sΓ(s);
insbesondere erhalten wir so Γ(n+ 1) = n! für n ∈ N0.
Satz 5.4.2. Es gilt für jedes s ∈ C die Identität
Γ(s)Γ(1− s) = πsin(πs)
∈ C̄.
Korollar 5.4.1. Es gilt Γ(12) =√π
Lemma 5.4.2. Für 0 < a < 1 gilt∫ ∞0
ra−1
1 + rdr =
π
sin(πa).
5.5 Die Riemannsche Zeta-Funktion
Bemerkung 5.5.1. Für reelles s > 1 konvergiert die Reihe
ζ(s) :=∞∑n=1
1
ns.
Satz 5.5.1 (Euler). Für Re(s) > 1 und P := {p ∈ N | p prim} gilt
ζ(s) =∏p∈P
1
1− (1/p)s.
Vermutung 5.5.1 (Riemannsche Vermutung). Alle Nullstellen s von ζ mit0 ≤ Re(s) ≤ 1 haben Re(s) = 12 .
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6 Der Riemannsche Abbildungssatz
6.1 Beispiele
Definition 6.1.1. Im folgenden nennen wir zwei Gebiete Ω, Ω̃ ⊂ C biho-lomorph, falls eine biholomorphe Abbildung f : Ω→ Ω̃ existiert.
6.2 Der Riemannsche Abbildungssatz
Satz 6.2.1 (Riemann). Sei ∅ 6= Ω ( C offen und 1-zusammenhängend,z0 ∈ Ω. Dann gibt es genau eine biholomorphe Abbildung f : Ω → D mitf(z0) = 0 und f
′(z0) > 0.
Korollar 6.2.1. Je zwei offene und 1-zshg. Gebiete ∅ 6= Ω, Ω̃ ( C sindzueinander biholomorph.
Definition 6.2.1. Eine Familie
F ⊂ {f : Ω→ C|f holomorph} =: H(Ω)
heisst
i) gleichgradig stetig auf K ⊂ Ω, falls gilt
∀ε > 0 : ∃δ > 0 : ∀f ∈ F : ∀x, y ∈ K : |x− y| < δ ⇒ |f(x)− f(y)| < ε,
ii) normal, falls jede Folge (fn)n∈N ⊂ F eine lokal (d.h. auf jeder kom-pakten Menge K ⊂ Ω) gleichmässig konvergente Teilfolge besitzt.
Lemma 6.2.1. Sei Ω ⊂ C offen. Dann gibt es kompakte Mengen Kn ⊂ Ω,n ∈ N, mit Ω = ∪∞n=1Kn, Kn ⊂ K̊n+1, n ∈ N.
Definition 6.2.2. Wir nennen eine Folge (Kn)n∈N wie im obigen Lemmaeine Ausschöpfung von Ω.
Lemma 6.2.2. Sei Ω ⊂ C offen, (Kn)n∈N eine Ausschöpfung von Ω, undsei K ⊂ Ω kompakt. Dann gibt es ein n ∈ N mit K ⊂ K̊n.
Satz 6.2.2 (Arzelà-Ascoli). Sei K ⊂ Rn kompakt, und sei (fn)n∈N ⊂ C0(K)gleichmässig beschränkt und gleichgradig stetig. Dann existiert eine TeilfolgeΛ ⊂ N und f ∈ C0(K) mit fn → f in C0(K) (n→∞, n ∈ Λ)
Satz 6.2.3 (Montel). Sei F ⊂ H(Ω) lokal beschränkt im Sinne, dass fürjedes kompakte K ⊂ Ω gilt
∃C > 0∀z ∈ K∀f ∈ F : |f(z)| ≤ C.
Dann ist F normal.
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