Früh, wenn Tal, Gebirg und...
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Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten Goethe und die drei Dornburger Schlösser bei Jena
von Gunter Grimm
Wer durch das Saaletal nach Jena fährt, sieht nahe beim Städtchen Dornburg auf luftiger Höhe
drei Schlösser stehen, die ihre Berühmtheit eigentlich ausschließlich dem Dichter Goethe
verdanken. Jedes der drei Bauwerke hat einen eigentümlichen Charakter.
Das „Alte Schloss“ ist, wie schon sein Name sagt, von den drei Gebäuden das älteste und geht
bis in die Zeiten Kaiser Ottos I. zurück, der hier mehrmals geweilt hat. Nach wechselvollen
Schicksalen wurde die Burg 1451 bis auf wenige Überreste zerstört. Aus der Zeit nach dem
Wiederaufbau war der Kroateneinfall im Dreißigjährigen Krieg von besonderer Dramatik.
Dornburgs Bürger griffen selbst zu den Waffen und warfen die Eindringlinge den Steilabhang
hinunter. Nach dem schweren Brand von 1717, dem auch das städtische Amtshaus zum Opfer
fiel, wurde die landesfürstliche Verwaltung ins Schloss gebracht. Das Amt Dornburg zählte
im 18. Jahrhundert vierzehn Gemeinden, und Goethe notierte sich bei einem Kurzaufenthalt
1779 den guten Zustand der „Handelsbücher“, dem Grundbuch der damaligen Zeit.
Das mittlere Schloss hingegen, das sogenannte „Rokokoschloss“, war bereits zu des jungen
Goethes Zeiten wohnlich hergerichtet. Am 4. März 1777 schreibt er an Charlotte von Stein:
„Auf meinem Schlösschen ist's mir sehr wohl, ich habe recht dem alten Ernst August gedankt,
dass durch seine Veranstaltung an dem schönsten Platz, auf dem bös'ten Felsen eine warme
gute Stätte zubereitet ist.“ Doch zwei Jahre später, als er an der „Iphigenie“ arbeiten will,
verdirbt ihm das Elend der Strumpfwirker in Apolda die poetische Stimmung: „Hier will das
Drama gar nicht fort, es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein
Strumpfwürker in Apolde hungerte.“ Im Gegensatz zum Mittelalterschloss nannte man das
Rokokoschloss, das jüngste der drei Gebäude, auch das „Neue Schloss“.
Erbaut wurde es zwischen 1736 und 1740 auf Geheiß von Herzog Ernst August, der seit 1723
Sachsen-Weimar regierte. Seinem Charakter als Sommer-Lustschloss entsprechend diente es
der fürstlichen Repräsentation, als Zentrum für Jagdpartien und „Feldlager“. Der Baumeister
Gottfried Heinrich Krohne legte das Schloss so raffiniert am Hang an, dass es von der
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Eingangsseite wie ein größeres Landhaus, von der Bergseite dagegen wie ein
mehrgeschossiger Prachtbau wirkt. Seit 1817 diente es der fürstlichen Familie als
Sommerresidenz. Noch heute bestrickt das schwungvoll gestaltete Innere des Schlosses, vor
allem der zentral gelegene Saal, dessen große nach Südosten gelegene Fenster einen
prächtigen Blick übers Saaletal gewähren.
DIE DORNBURGER SCHLÖSSER, kolorierte Umrissradierung von unbekanntem Künstler, um 1800
Freudig trete herein ...
Das wichtigste der Dornburger Schlösser ist das sogenannte „Renaissancehaus“, das aus der
Mitte des 16. Jahrhunderts stammt und um 1600 vom Dornburger Amtsschosser Wolfgang
Zetzsching erworben und renoviert wurde. 1608 waren die Bauarbeiten abgeschlossen; ein
lateinisches Distichon im Giebel des Portals hält das Ereignis fest: „Gaudeat ingrediens,
laetetur et aede recedens, His qui praeter eunt det bona cuncta Deus. 1608.“ Goethe hat bei
seinem Aufenthalt auf diesem Schloss die Verse übertragen: „Freudig trete herein und froh
entferne dich wieder! Ziehst du als Wandrer vorbei, segne die Pfade dir Gott.“
Die Familie Zetzsching blieb über vier Generationen im Besitz des Schlosses, erweiterte
sogar im 18. Jahrhundert das Bauwerk um einen Anbau, musste es jedoch 1739 aus
finanziellen Gründen dem Herzog Ernst August überlassen. 1755 wurde es auf Drängen der
Gläubiger versteigert und kam zunächst an die Familie Stohmann-Planer, die den Besitz vor
allem für landwirtschaftliche Zwecke nutzte. Herzog Karl August erwarb es 1824 und richtete
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es sich als Wohnsitz ein. Er ließ zum Beispiel eine breite Treppe einbauen, die oberes und
unteres Stockwerk bequem miteinander verband. 1921 ging der großherzoglich-sächsische
Besitz in Staatseigentum über, 1923 wurden Renaissance- und Rokokoschloss der
Goethegesellschaft als Geschenk überlassen. Seit 1928 sind beide Schlösser und die
Gartenanlagen der Öffentlichkeit zugänglich. Da eine neuerlich notwendige Restaurierung die
finanziellen Kräfte der Goethegesellschaft überstiegen hätte, beschloss die
Mitgliederversammlung 1954 die Rückgabe an den Staat.
Die Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in
Weimar, die seitherigen Rechtsträger, haben beide Schlösser und die Gartenanlagen gründlich
erneuert und am 28. August 1962 wiedereröffnet. Für die Restaurierung gab in Zweifelsfällen
der „Geist Goethes“ den Ausschlag, d.h. es wurde der Zustand zu Goethes Zeit
wiederhergestellt. Das gilt etwa für die Treppenkonstruktion. Man ersetzte die von Karl
August angelegte Treppe durch die ursprüngliche Wendeltreppe. Ebenfalls im ursprünglichen
Zustand befinden sich der Backstein-Fußboden und die gekehlten Balkendecken.
Für die Literaturgeschichte ist dieses Schlösschen unlösbar mit Goethes Aufenthalt von 1828
verbunden. Nachdem er bereits früher mehrmals in Dornburg eingekehrt war und an
archäologischen Funden reges Interesse gezeigt hatte, diente ihm das Renaissanceschloss im
Sommer 1828 als Refugium, nachdem ihn die Nachricht vom plötzlichen Tode des
Großherzogs Karl August erreicht hatte. Wie immer bei schweren seelischen Erschütterungen
zeigte sich auch Goethe diesmal nicht in der Lage, an den Trauerfeierlichkeiten für den am
14. Juni verstorbenen Freund teilzunehmen. Der Dornburg-Aufenthalt war nichts anderes als
eine Flucht vor der Konfrontation mit dem Tod.
Goethe kam am 7. Juli nach Dornburg; er hatte ursprünglich vor, nur wenige Tage zu bleiben,
doch wirkte sich die ruhige Umgebung, die schönen Gärten und Weinberge, so wohltuend auf
seine psychische Verfasstheit aus, dass aus den wenigen Tagen ein Aufenthalt von fast zehn
Wochen wurde. Am 11. September erst kehrte Goethe nach Weimar zurück. Sein Domizil
schlug er im Obergeschoss auf, wo er von seinem Zimmer aus eine „wunderliebliche Aussicht
in das herrliche Saaletal“ genoss, wie der spätere Weimarer Hofgärtner Sckell erwähnt, der
damals die Dornburger Gärten betreute, Goethe selbst berichtete nach zwei Wochen seiner
Schwiegertochter Ottilie: „Hier auf diesem alten Schlösschen finde ich alles, wonach ich mich
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so lange gesehnt habe; bequeme heitere Wohnung, gute Hausleute, gesunden und
wohlschmeckenden Tisch.“
Die von Goethe als Wohn- und Schlafzimmer benutzte „Bergstube“ blieb in ihrer damaligen
Ausstattung erhalten; noch heute steht Goethes Schreibtisch darin. Übrigens war der Dichter
nicht auf dieses einzige Zimmer beschränkt. Die beiden davor gelegenen Räume dienten
Goethe als Speise- und Empfangsraum. Zeitweise zwang ihn auch der Sturm, der um die
Mauerecke pfiff, zur Verlegung seines Bettes in das ruhigere Gästezimmer. Dennoch überwog
die Ruhe, und er betonte mehrfach den guten Fortgang seiner zahlreichen, vom Tod des
Freundes unterbrochenen Tätigkeiten. Da hier, wie er an den Jenaer Wegebaukommissär
Johann Georg Götze, seinen früheren Diener, launig schrieb, Schmalhans Küchenmeister sei,
wolle er wenigstens seinen gewohnten guten Tropfen nicht entbehren:
Neue Kraft für den Dichter
Für den nach Seelenfrieden verlangenden Dichter bedeutete der Aufenthalt in den Gärten eine
besondere Erholung. Gerade der organische Übergang vom Schloss zu den Anlagen fand
Goethes Beifall. Im Tagebuch vermerkt er: „Ich bedachte mir die schönen Anlagen, ging sie
mit dem Hofgärtner durch, der mir die sehr geschickte und glückliche Verbindung der
Stohmannischen Besitzung mit den früheren fürstlichen erklärte“, und an den Kammerherrn
von Beulwitz hebt er rühmend die Anlage hervor, wo Zwischenräume und Terrassengänge
„zu einer Art von auf- und absteigenden Labyrinthe architektonisch auf das schicklichste
verschränkt“ seien. Die Gärten waren erst wenige Jahre vor Goethes Aufenthalt nach Plänen
von Karl August Sckell, dem Sohn des Weimarer Hofgärtners, angelegt worden. Die Gärten
passen sich dem unterschiedlichen Charakter der Schlösser an: symmetrische Formen beim
Rokokoschloss, ein englischer Landschaftspark beim Renaissancebau.
Zahlreiche Briefe belegen, welche neuen Kräfte Goethe in dieser Umgebung gewann; auch
die Tagebuchaufzeichnungen sprechen dieselbe Sprache. Indes sind es doch zwei in diesen
Tagen verfasste Gedichte, die seinen Spätaufenthalt in Dornburg verewigt haben. Das eine,
„Dem aufgehenden Vollmonde“ sandte Goethe zunächst an Zelter, später auch an Marianne
von Willemer. Das andere, ein Naturgedicht, nimmt eine Stimmung zum Anlass, die er bereits
am 8. Juli im Tagebuch notiert hat: „Früh in der Morgendämmerung das Tal und dessen
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aufsteigende Nebel gesehen. Bei Sonnenaufgang aufgestanden. Ganz reiner Himmel, schon
zeitig steigende Wärme.“ Am 18. August hält er dieses faszinierende Naturschauspiel
nochmals fest: „Vor Sonnenaufgang aufgestanden. Vollkommene Klarheit des Tales. Der
Ausdruck des Dichters: heilige Frühe ward empfunden. Nun fing das Nebelspiel im Tale
seine Bewegung an, welches mit Südwestwind wohl eine Stunde dauerte und sich außer
wenigen leichten Streifwolken in völlige Klarheit auflöste.“ Es ist interessant, wie das
unvergessliche Altersgedicht, das den Titel trägt, „Dornburg, September 1828“ und das diesen
Ort jedem Goethefreund lebendig und teuer macht, dieselbe Erfahrung zu gleichsam
kosmischer Gläubigkeit weitet.
Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten Nebelschleiern sich enthüllen Und dem sehnlichsten Erwarten Blumenkelche bunt sich füllen; Wenn der Äther, Wolken tragend, Mit dem klaren Tage streitet Und ein Ostwind, sie verjagend, Blaue Sonnenbahn bereitet; Dankst du dann, am Blick doch weidend, Reiner Brust der Großen, Holden, Wird die Sonne, rötlich scheidend, Rings den Horizont vergolden.
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Stuttgarter Zeitung vom 1. Juli 1988