Fremdsprache Deutsch Landeskunde Heft 6/1991

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Fremdsprache Deutsch 6 L ANDESKUNDE 2 Fremdsprache Deutsch Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts herausgegeben vom Vorstand des Goethe-Instituts und Hans-Jürgen Krumm Gerhard Neuner Hans-Eberhard Piepho im Verlag Klett Edition Deutsch, München Schriftleitung: Sigbert Latzel (Ref. 42, Informations- und Dokumentationsstelle des Goethe-Instituts) Redaktionsbeirat des Goethe-Instituts: Klaus Fischer, Hans-Jürgen Gierlich, Bernd Kast, Jörg Kuglin, Karl-Heinz Osterloh Korrespondierendes Mitglied: Diethelm Kaminski (Zentralstelle für das Auslandsschulwesen) Verantwortlicher Themenheftherausgeber: Andreas Pauldrach Verlagsredaktion: Eva-Maria Jenkins Satz und Gestaltung: Hans-Werner Klein Anzeigenleitung: Verlag Klett Edition Deutsch Druck: Ludwig Auer GmbH, Donauwörth Umschlag: Thomas Drechsel Themen der nächsten Hefte: Manuskriptabgabe: Erscheint: Heft 7: Hörverstehen 1.3.1992 Oktober 1992 Heft 8: Lerntechniken 1.9.1992 April 1993 Heft 9: Grammatik 1.3.1993 Oktober 1993 Sondernummer 1992: Fachsprache Sondernummern 1993: – Deutschunterricht mit Erwachsenen – Deutsch als Fremdsprache in der Bundesrepublik Deutschland (Institutionen, Informationen, Adressen) Seit 1992 gibt es zwei Jahresabonnements: Abonnement 1 umfaßt zwei reguläre Hefte pro Jahr zum Preis von DM 23,80 zuzüglich Versandkosten. Abonnement 2 umfaßt die beiden regulären Hefte wie in Abonnement 1. Dazu ein ebenfalls jährlich erscheinendes Sonderheft. Es kostet DM 37,80 zuzüglich Versandkosten. Die Hefte können auch einzeln bestellt werden. Einzelhefte kosten DM 14,80 zuzüglich Versandkosten. © Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Auch unverlangt eingesandte Manuskripte werden sorgfältig geprüft. Unverlangt eingesandte Bücher werden nicht zurückgeschickt. Die als Arbeitsblatt oder Material bezeichneten Unterrichtsmittel dürfen bis zur Klassen- bzw. Kursstärke vervielfältig werden. Adresse der Schriftleitung: Dr. Sigbert Latzel, Goethe-Institut, Referat 42, Gollierstraße 4, D-8000 München 2 (Tel.: 0 89/41868415) Verlagsadresse: Klett Edition Deutsch GmbH, Karlsplatz 5, D-8000 München 2, (Tel.: 0 89/59 62 74; Telefax 089/59 45 24) ISBN 3-12-675511-9 IMPRESSUM An unsere Leserinnen und Leser Landeskunde im Deutschunterricht – das ist Lan- deskunde der deutschsprachigen Länder, nicht nur der Bundesrepublik Deutschland. Doch Österreich und die deutschsprachige Schweiz haben in die- sem Heft keinen Platz mehr gefunden: Im Jahr 2 nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten sollten Autoren aus den neuen Bundesländern zu Wort kommen und die Veränderungen in Deutsch- land einen deutlichen Schwerpunkt bilden. Den anderen deutschsprachigen Ländern wird einmal ein eigenes Heft zu widmen sein. Aufmerksam machen möchten wir Sie auf den Beitrag von Vridhagiri Ganeshan aus Indien, der in der neu eröffne- ten Rubrik „Meinungen“ sehr engagiert seinen Standpunkt zum Thema „Landeskunde im Deutschunterricht“ vertritt. Was meinen Sie dazu? – In dieser Rubrik wollen wir künftig auch extreme Ansichten zu verschiedenen Bereichen und Themen des Deutschunterrichts veröffentlichen. Also: Nutzen Sie die Chance, sagen auch Sie uns einmal deutlich Ihre Meinung! Doch nicht nur Ihre Meinung ist gefragt, sondern auch Ihr Wissen und Ihre Erfahrungen aus der Unterrichtspra- xis, in Form eines Beitrags in FREMDSPRACHE DEUTSCH, z.B. in Heft 8: „Wie mache ich es, daß meine Schüler Deutsch verstehen, sprechen, schreiben lernen? Wie brin- ge ich sie dazu, Grammatikregeln anzuwenden, neue Wör- ter und Wendungen nicht gleich wieder zu vergessen? Wie mache ich sie zu neugierigen, selbständigen, aktiven Ler- nern, die nicht nur wiederkäuen, was ihnen vorgesetzt wird? Welche Tips kann ich meinen Schülern für das selbständige Lernen zu Hause geben? Wie kann ich ihre Lerngewohnheiten ändern? Welche Rolle spielt die Motiva- tion? Gibt es Lernhilfen, Lerntechniken, die ich meinen Schülern vermitteln kann?“ Solche und ähnliche Fragen bewegen Lehrerinnen und Lehrer überall auf der Welt, und diese Fragen stellen wir auch in Heft 8 von Fremdsprache Deutsch, das dem Thema „Lerntechniken“ gewidmet ist. Wenn Sie zu diesem Thema etwas zu sagen haben, wenn Sie mit bestimmten Lerntechniken besonders gute Erfahrungen gemacht haben, von denen auch andere pro- fitieren könnten, dann schicken Sie Ihren Beitrag bis zum 30. 9. 92 an den Themenheftherausgeber: Peter Bimmel, Stichts End 17, 1244 Ankeveen / Niederlande. Der Beitrag sollte nicht zu lang sein, er darf theoretisch und praktisch, aber auch nur praktisch sein. Auch kleine „Tips und Tricks“ sind willkommen. (Hinweise für das Schreiben von Manuskripten finden Sie auf Seite 68.) Wenn Sie sich allerdings mehr für die Rolle der Gram- matik in einem zukunftsweisenden Deutschunterricht interessieren, dann denken Sie jetzt schon an Ihren Beitrag für Heft 9 zum Thema „Grammatik“. Ihre Schriftleitung E D I T O R I A L

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DaF, Methodik DaF, Fremdsprachnunterricht

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Fremdsprache Deutsch 6

L A N D E S K U N D E2

Fremdsprache DeutschZeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts

herausgegeben vomVorstand des Goethe-InstitutsundHans-Jürgen KrummGerhard NeunerHans-Eberhard Piepho

im Verlag Klett Edition Deutsch, München

Schriftleitung: Sigbert Latzel (Ref. 42, Informations- und Dokumentationsstelle desGoethe-Instituts)

Redaktionsbeirat des Goethe-Instituts: Klaus Fischer, Hans-Jürgen Gierlich, Bernd Kast, Jörg Kuglin, Karl-Heinz Osterloh Korrespondierendes Mitglied: Diethelm Kaminski (Zentralstelle für dasAuslandsschulwesen)

Verantwortlicher Themenheftherausgeber:Andreas Pauldrach

Verlagsredaktion: Eva-Maria JenkinsSatz und Gestaltung: Hans-Werner KleinAnzeigenleitung: Verlag Klett Edition DeutschDruck: Ludwig Auer GmbH, Donauwörth

Umschlag: Thomas Drechsel

Themen der nächsten Hefte: Manuskriptabgabe: Erscheint:Heft 7: Hörverstehen 1.3.1992 Oktober 1992Heft 8: Lerntechniken 1.9.1992 April 1993Heft 9: Grammatik 1.3.1993 Oktober 1993Sondernummer 1992: FachspracheSondernummern 1993: – Deutschunterricht mit Erwachsenen

– Deutsch als Fremdsprache in der BundesrepublikDeutschland (Institutionen, Informationen, Adressen)

Seit 1992 gibt es zwei Jahresabonnements:Abonnement 1 umfaßt zwei reguläre Hefte pro Jahr zum Preis von DM 23,80zuzüglich Versandkosten.Abonnement 2 umfaßt die beiden regulären Hefte wie in Abonnement 1. Dazu einebenfalls jährlich erscheinendes Sonderheft. Es kostet DM 37,80 zuzüglichVersandkosten.Die Hefte können auch einzeln bestellt werden. Einzelhefte kosten DM 14,80zuzüglich Versandkosten.© Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Auchunverlangt eingesandte Manuskripte werden sorgfältig geprüft. Unverlangteingesandte Bücher werden nicht zurückgeschickt. Die als Arbeitsblatt oder Material bezeichneten Unterrichtsmittel dürfen bis zurKlassen- bzw. Kursstärke vervielfältig werden.

Adresse der Schriftleitung: Dr. Sigbert Latzel, Goethe-Institut, Referat 42, Gollierstraße 4, D-8000 München 2 (Tel.: 0 89/41868415)Verlagsadresse: Klett Edition Deutsch GmbH, Karlsplatz 5, D-8000 München 2, (Tel.: 0 89/59 62 74; Telefax 089/59 45 24)ISBN 3-12-675511-9

I M P R E S S U MAn unsere Leserinnen und LeserLandeskunde im Deutschunterricht – das ist Lan-deskunde der deutschsprachigen Länder, nicht nurder Bundesrepublik Deutschland. Doch Österreichund die deutschsprachige Schweiz haben in die-sem Heft keinen Platz mehr gefunden: Im Jahr 2nach der Vereinigung der beiden deutschen Staatensollten Autoren aus den neuen Bundesländern zuWort kommen und die Veränderungen in Deutsch-land einen deutlichen Schwerpunkt bilden. Denanderen deutschsprachigen Ländern wird einmal

ein eigenes Heft zu widmen sein.Aufmerksam machen möchten wir Sie auf den Beitrag

von Vridhagiri Ganeshan aus Indien, der in der neu eröffne-ten Rubrik „Meinungen“ sehr engagiert seinen Standpunktzum Thema „Landeskunde im Deutschunterricht“ vertritt.Was meinen Sie dazu? – In dieser Rubrik wollen wir künftigauch extreme Ansichten zu verschiedenen Bereichen undThemen des Deutschunterrichts veröffentlichen. Also:Nutzen Sie die Chance, sagen auch Sie uns einmal deutlichIhre Meinung!

Doch nicht nur Ihre Meinung ist gefragt, sondern auchIhr Wissen und Ihre Erfahrungen aus der Unterrichtspra-xis, in Form eines Beitrags in FREMDSPRACHE DEUTSCH,z.B. in Heft 8: „Wie mache ich es, daß meine SchülerDeutsch verstehen, sprechen, schreiben lernen? Wie brin-ge ich sie dazu, Grammatikregeln anzuwenden, neue Wör-ter und Wendungen nicht gleich wieder zu vergessen? Wiemache ich sie zu neugierigen, selbständigen, aktiven Ler-nern, die nicht nur wiederkäuen, was ihnen vorgesetztwird? Welche Tips kann ich meinen Schülern für dasselbständige Lernen zu Hause geben? Wie kann ich ihreLerngewohnheiten ändern? Welche Rolle spielt die Motiva-tion? Gibt es Lernhilfen, Lerntechniken, die ich meinenSchülern vermitteln kann?“

Solche und ähnliche Fragen bewegen Lehrerinnen undLehrer überall auf der Welt, und diese Fragen stellen wirauch in Heft 8 von Fremdsprache Deutsch, das dem Thema„Lerntechniken“ gewidmet ist.

Wenn Sie zu diesem Thema etwas zu sagen haben,wenn Sie mit bestimmten Lerntechniken besonders guteErfahrungen gemacht haben, von denen auch andere pro-fitieren könnten, dann schicken Sie Ihren Beitrag bis zum30. 9. 92 an den Themenheftherausgeber: Peter Bimmel,Stichts End 17, 1244 Ankeveen/Niederlande. Der Beitragsollte nicht zu lang sein, er darf theoretisch und praktisch,aber auch nur praktisch sein. Auch kleine „Tips undTricks“ sind willkommen. (Hinweise für das Schreiben vonManuskripten finden Sie auf Seite 68.)

Wenn Sie sich allerdings mehr für die Rolle der Gram-matik in einem zukunftsweisenden Deutschunterrichtinteressieren, dann denken Sie jetzt schon an Ihren Beitragfür Heft 9 zum Thema „Grammatik“.

Ihre Schriftleitung

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Landeskunde

4 ANDREAS PAULDRACH

Eine unendliche GeschichteAnmerkungen zurSituation derLandeskunde in den90er Jahren

16 HANS-JÜRGEN KRUMM

Bilder im KopfInterkulturellesLernen undLandeskunde

20 EINE ARBEITSGRUPPE IN INDONESIEN

Deutschlandknigge für IndonesierAnregungen fürdie landes-kundlicheProjektarbeit

25 HANS WEBER

Erkundungs-gänge durchdrei GedichteLandeskunde mit Literatur

32 ANDREAS PAULDRACH

Bücher und Aufsätze zum Thema

34 BEIRAT DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE DES

GOETHE-INSTITUTS

25 Thesen zur Sprach- undKulturvermittlung

36 BERND KAST

Ein deutscher Herbst und was daraus wurde:Schüler- und handlungsorientiert –geht das überhaupt?

39 BERND KAST

Das Wort des Jahres ’91

40 IRENE VRIGNAUD

Deutschland-Puzzle: Landeskundezum AnfassenVariationen zueinem Thema

44 KATRIN DRECHSEL

So sehen wir das!Schülertexte ausOst und West

48 ULRICH ZEUNER

Reisen – Wie war das damals? Wie istes heute? Wie könnte es werden?Eine Dokumentation

56 DAGMAR BLEI / EVA-MARIA JENKINS

Momentaufnahme:Vereinigungsglossar von A–Z

58 ACHIM MAIBAUM

Zeit|Worte Ein Geschichts-projekt für denSprachunterrichtstellt sich vor

Rubriken

23 Meinungen

55 Materialien: Deutschland 1989–1992

64 Zeitschriften stellen sich vor

65 Aktuelles Fachlexikon

66 Gewußt wie … erklärt warumUnsere Sprachecke

67 Termine

68 Unsere Autorinnen und Autoren

68 Hinweise zur Gestaltung vonManuskripten

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I N H A L T H E F T 6J u n i 1 9 9 2

Vergleich

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Fremdsprache Deutsch 6

1. Einleitung: Deutsche Einheit und

Landeskunde„Wie ist das denn mit dem Schulsystemin den neuen Ländern, gibt’s da nicht einFaltblatt?“

„Haben Sie Material über diese Berli-ner Treuhandgesellschaft, das man imUnterricht in der Gymnasialschule(=Sekundarstufe II) einsetzen kann?“

„,Ossi‘ – ,Wessi‘ – ,Besserwessi‘ –Könnten Sie uns bitte einen kleinen Vor-trag halten über die Veränderungen imWortschatz seit der deutschen Wieder-vereinigung und wie sich das imBewußtsein der Leute ausgewirkt hat?“

Seit dem Fall der Berliner Mauerkönnen die im Ausland tätigen Mittler-organsisationen deutscher Kultur sichkaum mehr vor Anfragen dieser Art ret-ten. Gut zweieinhalb Jahre nach denMontagsdemonstrationen in Leipzigund den anderen Großstädten der ehe-maligen DDR ist festzuhalten, daß diedeutsche Einheit und deren Folgennicht nur die Menschen, sondern auchdie „Landeskunde“ im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht überraschthat und noch immer überrascht. EinZustand, der sich wohl so schnell nichtändern wird. Und das hat – so vermu-ten wir – auch etwas mit den Besonder-heiten der „Landeskunde“ zu tun, dieman an diesem einmaligen histori-schen Prozeß „deutsche Einheit“besonders gut studieren kann.

Die meisten Materialien, die 1990hier und dort oft als „Momentaufnah-men“ verfertigt wurden, sind von derweiteren politischen und ökonomi-schen Entwicklung schlicht überrollt

worden (z.B. „Operation Deutschland“,Hueber 1990), es sei denn, sie habensich auf die Darstellung der neuenTopographie Deutschlands beschränkt(z.B. „Deutschland in den neuen Gren-zen“, Klett 1991). Es kommt also, unddas zeigen diese Beispiele, auch aufdie Auswahl des Stoffes an.

Die „richtige“ Auswahl zu treffenaus dem unendlichen Meer von Fak-ten, ist das Geschäft der Didaktik.Nicht der für den Augenblick vielleichtbesonders eindrucksvolle „Schnapp-schuß“ ist gefordert, sondern Materia-lien und Darstellungsweisen werdengebraucht, die über einen längerenZeitraum hinweg „aktuell“ bleiben,weil an ihnen die gesellschaftlichenEntwicklungen und Verhältnisse„exemplarisch“ studiert werden kön-nen. Am Beispiel der deutschen Ein-heit wird insofern das Problem der„Didaktik der Landeskunde“ beispiel-haft sichtbar.

Nach dem Jahr 1990 z.B. habenoder hätten gerade die Texte überlebt,in denen besonders von den politisch-ökonomischen und den menschlichenSchwierigkeiten der deutschen Vereini-gung die Rede war. Natürlich lassensich solche Forderungen immer leich-ter im nachhinein erheben undbegründen. Und ebenso verständlichist es, daß im Gefühlsüberschwangvon Gedanken- und Reisefreiheit, vonDM-Kaufkraft und deutscher Einheitdie Kosten dieser Freiheit nicht oderzu wenig beachtet wurden und alsoauch die entsprechenden landeskund-lichen Texte und Materialien zu wenigoder gar nicht davon handelten. Undaußerdem wollen wir nicht vergessen,daß gerade bei der Darstellung undBehandlung des landeskundlichenPhänomens „deutsche Einheit“ derpolitische Standort des Lehrers, desLehrwerkautors und des Verlages, wel-

cher Materialien produziert, eine nichtzu unterschätzende Rolle spielt. Dasalles rechne ich zu dem wichtigenKapitel „Ideologische Komponente vonLandeskunde“ (siehe Abschnitt 6).

1992 sind die Auswirkungen derdeutschen Einheit schon deutlicherkennbar. Es darf also vermutet wer-den, daß landeskundliche Materialien,die heute produziert werden, einen län-geren Atem haben werden, da sie not-gedrungenerweise von einer realisti-scheren und das heißt hier wörtlich,wirklichkeitsnäheren‘ Einschätzungder deutsch-deutschen Entwicklungausgehen.

Daß die richtige Auswahl desUnterrichtsmaterials eine erheblicheKompetenz dessen, der da auswählt,voraussetzt, weiß jede Lehrerin undjeder Lehrer. Betrachten wir nochmalsdie drei eingangs vorgestellten Bitten,so wird sogleich klar, daß diese gefor-derte Kompetenz sich auf sehr unter-schiedliche Wissens- bzw. Wissen-schaftsbereiche bezieht (Volkswirt-schaft, (Schul)Politik, Linguistik und(Sozial)Psychologie). Und auch darinliegt ein Hauptproblem von „Landes-kunde“, wie noch zu zeigen sein wird.

2. „Landeskunde“ – was ist das?

Vielleicht stellen wir uns hier eineunnötige Frage. Denn wir haben uns jagerade mit einem Gegenstand landes-kundlicher Provenienz befaßt (deut-sche Einheit), und jeder Lehrer hat tag-täglich, wenn er Unterricht vorbereitetoder durchführt, mit landeskundlichenFragen zu tun. Trotzdem oder bessergerade wegen der Alltäglichkeit undSelbstverständlichkeit dieser Praxis ist

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Eine unendliche GeschichteAnmerkungen zur Situation der Landeskunde in den 90er Jahren

Von Andreas Pauldrach

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Ulrich Hofmann

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ein genauerer Blick vielleicht nichtunangebracht.

So heißt es in einem modernen,umfangreichen Kompendium zumFremdsprachenunterricht:

„Landeskunde meint alle Bezügeauf die Gesellschaften, deren Spracheim Fremdsprachenunterricht gelerntwird. Solche soziokulturellen Bezügetreten im fremdsprachlichen Curriculumimmer dann auf, wenn den Lernendendie fremde Sprache in ihrem ursprüngli-chen Verwendungszusammenhang vor-gestellt wird“ (Buttjes 1989, 112, Her-vorhebung von AP).

Diese Beschreibung scheint nichtallzu weit entfernt von einem 15 Jahreälteren Definitionsversuch, in dem„Landeskunde als Kontextwissen“gefaßt wurde. Wobei Kontext zu verste-hen ist als „Gesamt der politischen,sozio-ökonomischen und kulturel-len Gegebenheiten, die für die Produk-tion und Rezeption sprachlicherÄußerungen maßgeblich sind / waren“(Schmidt, 1973, zit. 1980, 290, Hervorh.von AP).

Dieser moderne Landeskunde-begriff umfaßt also alle Äußerungeneiner Gesellschaft und beschränkt sichnicht auf solche einer wie auch immerdefinierten „hohen Kultur“ – das wirdwichtig, wenn wir von „Alltagskultur“und „Leutekunde“ reden werden.

Was diese Begriffsbestimmungunter dem Aspekt von Lern- und Lehr-barkeit so schwierig macht, ist freilichihre Grenzenlosigkeit.

Um diesem Dilemma auszuwei-chen, hat die Landeskundedidaktik inden letzten Jahren im Zusammenhangmit der „Lernerorientiertheit des Unter-richts“ einen anderen – offenbar weni-ger beschwerlichen – Weg eingeschla-gen: Was unsere Schülerinnen undSchüler wirklich interessiert, sollGegenstand des Unterrichts sein.

Freilich kommt man um den Steindes Anstoßes, die Auswahl der Unter-richtsthemen, auch dabei nicht herum:Zum einen fordert der Lehrplan in allerRegel zumindest einen Extrakt aus derFülle landeskundlicher Gegenstände(etwa Geographie der deutschsprachi-gen Länder, Informationen über Regie-rungssystem, Arbeitswelt, Sitten undGebräuche etc.), zum anderen müssenwir uns fragen, ob die Schülerinnnenund Schüler wirklich interessiert, was

Lehrer und Lehrbuchautoren dafürhalten und ob das viel zitierte „Interes-se“ häufig nicht ein durch die Erwach-senenwelt „fremdgesteuertes“ ist. Mandenke nur an den Einfluß von Werbungund die Rolle, die heute die fast durch-weg von Erwachsenen geschriebeneund vermarktete Popmusik im Lebender Jugendlichen spielt.

Was also ist Landeskunde? Ein „Un-fach“ (Picht und S. J. Schmidt 1973 und1980), ein „Buch mit sieben Siegeln“(Delmas/Vorderwülbecke 1982), ein„unmögliches Fach aus Deutschland“(Gürttler/Steinfeld 1990)?

3. Probleme in derLehrerausbildung und

LehrerfortbildungImmer wieder wird beklagt, daß diefremdsprachliche Landeskunde, an-ders als die gleichsam klassischenSchuldisziplinen, keine genau aus-machbare Bezugswissenschaft besitze.Häufig hat man der Landeskunde des-halb mangelnde wissenschaftliche Fun-dierung überhaupt vorgeworfen.

Auch die Landeskunde der ehemali-gen DDR stand vor diesem Problem,auch wenn die Bezugswissenschaftendort „Grundlagenfächer“ hießen (vgl.z. B. Bettermann 1989, Uhlemann1982).

Wie aber kann unter diesen Bedin-gungen universitäre Lehrerausbildung

betrieben werden? So ist die Fremd-sprachenlehrerausbildung zwar immernoch hauptsächlich philologisch aus-gerichtet, aber immerhin sehen in-zwischen verschiedene Deutsch-als-Fremdsprache-Curricula „Landeskun-de“ vor (vgl. dazu Henrici 1989,besonders 35 und 45). An der Univer-sität existieren für dieses Fach aller-dings keine Spezialisten, es gibt keine„Rundumwissenschaftler“ (Deutsch-mann 1982), so daß sich das Problemder ,überschaubaren‘ und damit seriöslehrbaren Bezugswissenschaftenerneut stellt. Möglicherweise bieteteine Art „Projektorientiertheit der Aus-bildung“ (mit der Befragung /Einschal-tung von einschlägigen Experten dergerade benötigten Spezialdisziplin)einen Ausweg aus diesem Dilemma(Picht 1982). Auch im Ausland sieht indieser Hinsicht die Ausbildungssituati-on noch nicht erfreulicher aus.

Was in der Ausbildung versäumtwird, muß später „nachgeholt“ wer-den. Zwei Wege werden in dieser Bezie-hung besonders häufig beschritten: a) der Weg der Fortbildung (auf diesem

Gebiet sind zahlreiche Institutionensowohl in der BRD wie auch imjeweiligen Ausland tätig);

b) zusätzliche Lehrmaterialangeboteder verschiedensten Institutionen(siehe S. 55).

Am Beispiel der Landeskundeseminaredes Goethe-Instituts soll kurz ein Kon-zept solcher Lehrerfortbildung vorge-

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Deutschlandbilder

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stellt werden. Dabei müssen wir immerim Auge behalten, daß derartige inter-nationale Fortbildungsseminare, dievon deutschen Institutionen veranstal-tet werden, selbst wieder (unter demStichwort ,Methodenexport‘) einennicht unkomplizierten Gegenstandinnerhalb der Diskussion um das Kon-zept interkultureller Kommunikationabgeben (Krumm 1986, Baumgratz1988).

In diesen mehrwöchigen Seminaren„Erlebte Landeskunde“ wird dem Teil-nehmer „nicht ein fertiges Wissen durchReferenten vermittelt, sondern er wirddurch bestimmte Aufgaben in vielfältigeSituationen als Beobachter oder alsInterviewer versetzt, die es ihm ermögli-chen, sich durch Einholen verschiedenerMeinungen zu einem Thema und durchBenutzung verschiedener Quellen ,einBild zu machen‘. Wir benutzen hierfürden journalistischen Begriff der Recher-che (...)“ (Rösch 1989, 3f).

Sicherlich ist die Lage im nicht-deutschsprachigen Ausland schwieri-ger, wenn es um die Herstellung au-thentischer Kommunikationssituatio-nen außerhalb des Klassenzimmersgeht. Unmöglich ist es jedoch keines-falls, sie aufzuspüren bedarf nur etwas

mehr Phantasie des Lehrers. MöglicheZiele solcher ,Recherchen‘ sind deut-sche Industrieunternehmen, deutscheEmigranten, Kulturinstitutionen,Deutschabteilungen von Hochschulen,Repräsentanten deutscher Verkehrs-unternehmen, deutsche Restaurantsetc. Viele Anregungen für solche pro-jektorientierte „Spurensuche“ bietetdas Heft 4/1991 von FREMDSPRACHEDEUTSCH zum Thema „Unterrichtspro-jekte“.

4. Statt einer Geschichteder Landeskunde:

Die drei Ansätze derLandeskunde

Es mag schon verwundern, daß seitdem Bändchen von Erdmenger/Istel(1973) keine „Didaktik der Landeskun-de Deutsch als Fremdsprache“ mehrerschienen ist, obleich sich auf demFelde der Landeskunde seitdem eini-ges getan hat. Auch gibt es bis heutekeine „Geschichte des Faches Deutschals Fremdprache“ und also auch keineder Landeskunde Deutsch als Fremd-sprache. Die Fremdsprachendidaktik

allgemein befindet sich seit V. Raddatzmaterialreicher Untersuchung „Fremd-sprachliche Landeskunde in Unterrichtund Forschung – Eine Bilanz seit 1945“(1989) in einer besseren, überschauba-reren Situation.

Günter Weimann und WolframHosch vom Deutschen Institut fürFernstudien (DIFF) in Tübingen schla-gen in Anlehnung an die „vier Lehr-werksgenerationen“ (Götze 1990)folgende Klassifizierung der verschie-denen „Herangehensweisen“ der Lan-deskundemethodik vor. Sie unterschei-den zwischen dem• kognitiven• kommunikativen Ansatz • interkulturellen

Mit Recht merken sie dabei an, daßdiese Ansätze „in der Praxis ... selten inihrer ,reinen Form‘ vorkommen.“

Zum kognitiven Ansatz: Auf der Ebene der Lerninhalte stehenRealien, Institutionenkunde, Geschich-te und Kultur im Vordergrund. DerLernprozeß zielt dabei vor allem aufdie Aneignung von Wissen, Daten undFakten (siehe Abb. 1). Die Themen wer-den von den jeweiligen Bezugswissen-schaften wie Politologie, Soziologie,Geschichte, Geographie oder Literatur-wissenschaft abgeleitet. Landeskundli-ches Lernen ist in diesem Ansatz demsprachlichen Lernen meist nachgeord-net und findet oft erst im Unterrichtmit Fortgeschrittenen statt. Im Hinter-grund steht die Vorstellung, die Aufga-be der Landeskunde sei es, „ein bezie-hungsreiches, zusammenhängendesSystem deutscher Wirklichkeit zu vermit-teln“ (Delmas / Vorderwülbecke 1982,202).

Bei allem enzyklopädischem An-spruch, die Zielkultur in ihrer Gesamt-heit zu erfassen, stehen die Lehrendensowohl aufgrund der im Sprachunter-richt zur Verfügung stehenden Zeit fürlandeskundliches Lernen als auch auf-grund der mangelnden sprachlichenKompetenz der Lernenden vor derQual der Auswahl.

Auch die theoretischen Überlegun-gen zur Rolle und Aufgabe der Landes-

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Didaktisches Konzept

Didaktischer Ort

Übergeordnetes Ziel

Inhalte

Kognitiver Ansatz

Eigenes Fach/selbständigeUnterrichtseinheit

Wissen: SystematischeKenntnisse über Kultur undGesellschaft aufbauen

Soziologie

Politik

Wirtschaft

Kultur

Geschichte

LANDESBILD

Kommunikativer Ansatz*

Im Fremdsprachenunterricht

Kommunikative Kompetenz:In der Lage sein, sich ohneMißverständnisse zu ver-ständigen

Wie Leute wohnenWie Leute sich erholenWie Leute miteinander inVerbindung treten

Wie Leute am Gemeinwesenteilnehmen

Wie Leute sich versorgenWie Leute arbeiten/ ihrenLebensunterhalt sichern

Wie Leute sich bilden(kulturelle Tradierung)

ALLTAGSKULTUR/GESPRÄCHSTHEMEN

Interkultureller Ansatz/kulturbezogenes Lernen

Im Fremdsprachenunterricht

Kommunikative undkulturelle Kompetenz: sichund andere besser verstehen

Alle Repräsentationen derZielkultur im Unterricht: IhreBedeutung innerhalb derZielkultur und für dieLernenden

FREMD-/KULTURVERSTEHEN Abb.1: Tabelle nach Weimann und Hosch* Die Inhalte des kommunikativen Ansatzes ent-sprechen den von Gerhard Neuner entwickeltenKategorien.

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Fremdsprache Deutsch 6

kunde im Sprachunterricht, wie sie indem Konzept „Landesbild der DDR“zum Ausdruck kamen, sind einemkognitiven Ansatz zuzurechnen. DasLehrprogramm LK-DDR, das 1982 inKraft trat, enthielt beispielsweise dieZielstellung, „ausländischen Germa-nistikstudenten systematisch ein lebens-nahes Bild von Gegenwart, Geschichteund Perspektive der Deutschen Demo-kratischen Republik zu vermitteln“ und„die Vertiefung eines wissenschaftlichfundierten Geschichtsbewußtseins zu för-dern“ (Arndt 1985, 144). (Letzteresweist auf die ideologische Kompo-nente der Landeskunde, siehe dazuAbschnitt 6.)

Zum kommunikativen Ansatz: Mit der kommunikativ orientiertenDidaktik erfahren auch die landeskund-lichen Lerninhalte eine Neubestim-mung: Sie werden jetzt nicht mehranhand der „Gegenstände“ der Zielkul-tur gewonnen, im Vordergrund stehenvielmehr die Erfahrungen, Kenntnisseund Einstellungen der Lernenden. Anihren Interessen und Bedürfnissen ori-entiert sich die Auswahl landeskundli-cher Inhalte. Die „Themen“ werden z.B.anhand sogenannter „Grunddaseins-funktionen menschlichen Lebens“(Neuner 1979, 128) oder „Grundbedürf-nisse“ (Bausinger 1985, 6) gewonnen,von denen man annimmt, daß sie vonallgemeinem Interesse sind (Abb. 2).Die Landeskunde ist im kommunikati-ven Fremdsprachenunterricht sowohlinformations- als auch handlungsbezo-gen konzipiert und soll in beiden Fällenvor allem das Gelingen sprachlicher

Handlungen im Alltag und das Verste-hen alltagskultureller Phänomeneunterstützen. In der Aneignung landes-kundlichen Wissens wird eine wesentli-che Bedingung für eine adäquateSprachverwendung gesehen, dennSprachenlernen wird als Bedeutungs-lernen konzipiert. Die Landeskundehat in diesem Ansatz eher eine dienen-de Funktion. Die Lernziele beziehen

sich vor allem auf Handlungsfähigkeitin der Zielkultur und Einstellungengegenüber der Zielkultur. Fragen nachden Bezugswissenschaften bzw. curri-culare Entscheidungen treten dabei inden Hintergrund. Bausinger stellt z. B.fest: „Es gibt in der Tat kaum geordnetesund erschlossenes Material, man mußsich das im allgemeinen selber zusam-mensuchen“ (Bausinger 1985, 7).

Zum interkulturellen Ansatz: Angesichts der Tatsache, daß Verstän-digungsfähigkeit nicht auf die korrekteVerwendung eines zunächst fremdarti-gen sprachlichen Systems reduziertwerden kann, rückte in der Fremdspra-chenforschung (vor allem in der Eng-lischdidaktik) in den 80er Jahren dieInterdependenz von sprachlichem undkulturellem Lernen verstärkt in dasBlickfeld. Das hatte zur Folge, daß diekommunikative Didaktik zu einer inter-kulturellen erweitert wurde (sieheAbb. 3). Doch nicht nur aus sprachdi-daktischer, sondern auch aus politi-scher Sicht wird heute verstärkt füreine Verbindung von fremdsprachli-

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Abb. 1: Lernziel Deutsch 1, S.194: Kognitiver Ansatz

Abb. 2: Deutsch Aktiv IA (alt), S.92: Kommunikativer Ansatz

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chem und kulturbezogenem Lernenplädiert. Im Zuge weltweiter Wande-rungsbewegungen, die multikulturelleGesellschaften entstehen lassen, undübernationaler Zusammenschlüsse(z.B. der EG-Binnenmarkt) sieht sichder Fremdsprachenunterricht nebenanderen Fächern neuen Zielsetzungenund Anforderungen gegenüber: „Ideal-ly, intercultural education begins at theelementary level and continues throughadult education.“ (Fantini 1991, 17)

Damit erfuhr die Landeskunde eineAufwertung: Neben die kommunikativefremdsprachliche Kompetenz tritt Kul-tur- bzw. Fremdverstehen als gleichbe-rechtigtes Lernziel. Mit Hilfe exemplari-scher Themen sollen die Lernendenbefähigt werden, die eigene und frem-de Kultur besser zu verstehen. Ein

interkulturell ausgerichteter Sprach-unterricht will deshalb nicht in ersterLinie „Informationen“ vermitteln, dennes geht vor allem um die Entwicklungvon Wahrnehmungs- und Empathie-fähigkeiten sowie um die Entwicklungvon Fähigkeiten, Strategien und Fertig-keiten im Umgang mit fremden Kultu-ren und Gesellschaften (vgl. ABCD-Thesen). Ethnozentrische Sichtweisensollen relativiert und Vorurteile abge-baut werden, indem die eigene Lebens-welt vor dem Hintergrund der fremden– und umgekehrt – gedeutet wird. DasGlobalziel der interkulturellen Kommu-

nikation soll darüber hinaus einen Bei-trag zur Völkerverständigung leisten. (Weimann G./Hosch.W, unveröffent-lichtes Manuskript 1992)

5. Praktisches Beispiel:Thema ,Arbeit‘ imAnfängerunterricht

Mit Bedacht habe ich dieses Aller-weltsthema gewählt: Es gehört zumStandard-Angebot fast jedes Deutsch-lehrwerks und ist durchaus vorurteils-beladen.

Das Beispiel (siehe Abb. 3) stammtaus dem Deutschlehrwerk SPRACH-BRÜCKE I, mit dem man etwa ab demAlter von 16 Jahren in nicht deutsch-sprachigen Ländern arbeiten kann. Beidiesem Hörtext (den man auch als LVnutzen kann) handelt es sich um einInterview, in welchem eine Deutsche,Frau Klinger (aus Nürnberg), von zwei,einheimischen‘ Studenten (deren Her-kunftsland ,Lilaland‘ unbestimmt blei-ben soll, daher auch die Kunstnamen)zum Thema Arbeit/Freizeit befragtwird. Der thematische Ausgangspunktist ein verbreitetes (Vor)Urteil, „wo-nach die Deutschen die Japaner Euro-pas seien, mithin Ameisen.“ (Süddeut-sche Zeitung 1991, Zitat E. Cresson,ehemalige französische Ministerpräsi-dentin). Textstruktur und Lexik sinddem Kenntnisstand von Anfängernnach ca. 100 bis 120 Stunden Deutsch-unterricht angeglichen.

Die Struktur des Dialogs zwischenden beiden Studenten (Frau Boto undHerrn Alga aus ,Lilaland‘, in deren Rol-len die jeweiligen ,konkreten‘ Schüle-rinnen und Schüler schlüpfensollen/können,) ist nun so angelegt,daß es Schritt für Schritt zu einerDemontage der Ausgangsbehauptung„Die Deutschen arbeiten viel“ kommt.Nun könnte man einwenden, das seieine unbewiesene Behauptung eines,Kunsttextes‘ aus einem Lehrwerk. Die-sem Einwand begegnen die authenti-schen Materialien (Grafiken, Zahlenta-bellen), die diesem Dialogtext zugeord-net sind und die mit ihm zusammenbehandelt werden sollen. Ob man alle,durchnimmt‘, sollte dem Interesse derKlasse an der Arbeit mit solchen Text-

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Abb. 3: Sprachbrücke 1, S.104: Interkultureller Ansatz

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sorten überlassen bleiben. Methodi-sche Wege, die den allzu eingefahre-nen Weg der ,W-Fragen‘ vermeiden hel-fen, werden eingeschlagen, z.B.: • die ,Übersetzung‘ der Tabellen in

einen Lückentext,• für interaktive Partnerarbeit: das

Löschen bestimmter Daten aus derStatistik des einen Schülers, die die-ser dann von seinem Partner, derüber alle Informationen verfügt,erfragen muß (Arbeitsbuch) oder

• die Erstellung entsprechender Ta-bellen für das eigene Land.

Verfährt man in der hier vorgeschla-genen Weise, dann ist Landeskundekein isolierter Teil des Deutschunter-richts: Das landeskundliche Themawird organisch in den Prozeß desSpracherwerbs integriert und erhält ineinem interaktiven Lernprozeß seinensicheren Platz im Unterricht.

Exkurs: Wie aktualisiere ich einLehrbuch – oder: die leidige Fra-ge der Informationsbeschaffung

Da Lehrbücher im Augenblick ihresErscheinens stets auch landeskundli-ches Material präsentieren, welchesbereits „veraltet“ ist – diese Erkenntnistrifft natürlich besonders auf statisti-sche Angaben zu – folgt hier ein weite-rer produktiv umzusetzender Einwand:„Aber die Zahlen in den Tabellen stam-men ja aus der Mitte der 80er Jahre“.

Bei drei der abgedruckten Tabellenhandelt es sich um unveränderte oderleicht gekürzte Wiedergaben von GLO-BUS-Kartendienst-Blättern. Nun kannman zum Beispiel beim Globus-Karten-dienst (siehe Adresse S. 55) nachfra-gen, ob es aktuellere Blätter zum jewei-ligen Thema gibt, was in der Regel derFall ist.

Unternehmen wir also einmalexemplarisch den Versuch, die imLehrbuch schon seit fünf oder mehrJahren fixierten Informationen zuaktualisieren. Wir wenden uns an einenInformationsdienst, blättern in ver-schiedenen deutschen Zeitungen,sofern öffentlich zugängliche Bibliothe-ken (der Hochschulen, der Stadt oderdes nächsten Goethe-Instituts) sie

bereithalten oder schreiben direkt aneine sogenannte Primärquelle, wobeizu beachten ist, daß die meisten kom-merziellen Informationsdienste nichtkostenlos tätig werden.

Wir haben in den neueren GLOBUS-Lieferungen geblättert (siehe Abb. 4).Dieses Schaubild habe ich deshalb ausder Fülle des angebotenen Materialsausgewählt, weil es die Lehrbuchstati-stiken nicht einfach in die Gegenwartfortschreibt, sondern auf einen Aspektdes Themas aufmerksam macht, wel-chen wir bislang mit dem vorliegendenMaterial überhaupt nicht erfaßt haben(der vielleicht 1985 auch noch garnicht so bedeutend war). „Die Deut-schen“, die in kleinen selbständigenBetrieben arbeiten, aber auch eineerhebliche Anzahl von Beamten undAngestellten, arbeiten auch am Wo-chenende (und an Feiertagen). Zu ver-muten steht, vor allem wenn man diejahrelangen Initiativen der deutschenArbeitgeber um die Flexibilisierung derArbeitszeit hinzunimmt, daß dieserTrend anhält.

Ein Resultat des Bemühens, veralte-te Informationen zu ersetzen, bestehtalso auch darin, daß wir ein differen-zierteres Bild vom Thema „Arbeit inDeutschland“ erhalten, ein Bild welchesnicht eindeutig ist und welches sichkaum in wohlfeile Schlagworte oderSlogans vom Typ „Die Deutschen sindfleißig/arbeiten zu viel etc.“ pressen

läßt. Dieses Verfahren kann man auchdie Darstellung von „Brechungen inder Zielsprachenkultur“ nennen.

Die ,Methode‘, durch den Lehrer(allein) Informationen auf den neue-sten Stand zu bringen, ist aber nichtbloß wegen des damit verbundenenArbeitsaufwandes nur die zweitbeste.Im modernen Fremdsprachenunter-richt denken wir ja auch darüber nach,wie die Schülerinnen und Schüler zuselbständigem, autonomem Lernenbefähigt werden können. D.h. wir Leh-rer überlegen uns, wie wir sie mit rela-tiv einfachen Hilfsmitteln in die Lageversetzen können, sich ohne unsereHilfe bei der Lösung von fremdsprach-lichen Problemen zurechtzufinden. Diesprachlichen Mittel und landeskundli-chen Kenntnisse, die man braucht, umsich neue oder aktuellere Informatio-nen zu beschaffen, sind nicht allzukompliziert. Man sollte sie sobald alsirgendmöglich – und immer wieder –zum Gegenstand von Unterrichtmachen.

Im Briefbeispiel (Abb. 5) geht es umLöhne und Preise, ein im landeskundli-chen Vergleich stets interessantes –aber selten differenziert genug abge-handeltes – Thema. Dazu eine Listevon Adressen, die bei der Informati-onsbeschaffung nützlich sein können.

6. Die ideologischeKomponente von

Landeskunde: Der Streitum das ,richtige‘Deutschlandbild

An diesem Beispiel stoßen wir auf eineelementare Schwierigkeit beim Um-gang mit Landeskunde und der Ver-mittlung von landeskundlichen „Fak-ten“, die ich die „ideologische Kompo-nente“ der Landeskunde nennenmöchte. Es sind ja in aller Regel keine„Fakten“, wie wir sie aus dem Umgangmit Technik und Natur kennen (wobeiwir nicht übersehen wollen, daß auchdiese revidiert und umgestoßen wer-den). Landeskundliches Wissen istvielmehr gesellschaftliches Wissen. Esist darum interpretierbar, abhängigvon den Interessen der Informations-

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Abb. 4: Thema „Arbeit“

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quellen, die ich gerade benutze, seineVermittlung ist per se nie abgeschlos-sen.

Bereits im Anfängerunterricht soll-te man versuchen, diese Schwierigkeitzu thematisieren. Dies ist im übrigendann der Ort, wo in homogenen Grup-pen die Muttersprache unserer Schüle-rinnen und Schüler zu ihrem Rechtkommt. In unserem Beispiel geschiehtdie Problematisierung, indem Informa-tionsquellen angegeben werden, diedas in Frage stehende Thema unteranderem einmal aus der Sicht der Indu-strie, einmal aus der Sicht der Gewerk-schaften beleuchten.

Man kann ziemlich sicher sein, daßein Verfahren, das möglichst viele –auch gegensätzliche – Aspekte einesSachverhaltes zur Sprache bringt, füralle landeskundlichen Gegenständeangemessen ist, handle es sich nun umdie Themen Ökologie, Religion, Sport,Arbeit oder Anredekonventionen(Pauldrach 1987).

Für die Deutschlehrerinnen undDeutschlehrer im Ausland ist das Pro-blem der Informationsbeschaffung oft

in einer besonderen Weise zugespitzt.Natürlich gibt es Institutionen, die sichgleichsam von Amtes wegen mit derAufgabe befassen, die Öffentlichkeit(die inländische wie die ausländische)mit Informationen und Materialienüber den gesamten Umfang des gesell-schaftlichen Lebens in der Bundesre-publik zu versorgen. In unserem Bei-spiel wird das Presse- und Informati-onsamt der Bundesregierung genannt.Andere Institutionen sind z. B. INTERNATIONES oder die Zentralstelle fürdas Auslandsschulwesen (ZfA). In derRegel ist man als Deutschlehrer sehrdankbar für die Materialien, die dieseInstitutionen – meist auch noch kos-tenlos – zur Verfügung stellen. Nur einsmuß man auch wissen: Diese Stellenvermitteln keine ,objektiven‘ Informa-tionen, auch sie sind im KonfliktfallPartei, soll heißen, sie vertreten beikontroversen Fragen – je nachdem, wieabhängig sie institutionell, personelloder finanziell sind – eine bestimmteMeinung.

Wem dies alles zu abstrakt undwirklichkeitsfern klingt, der sei an jeneinnenpolitische Diskussion in der Bun-desrepublik (zwischen CSU und FDP)erinnert, an der sich eine Auseinander-setzung um die „Ausgewogenheit“ desDeutschlandbildes entzündete. Zumselben Zeitpunkt wurden aber auchnicht unbeträchtliche Summen ausdem Bundeshaushalt zur Bekämpfungdes Bildes vom „häßlichen Deutschen“zur Verfügung gestellt:

„Das Deutschlandbild ist ins Geredegekommen. Gemeint ist nicht das Bild,das sich das Ausland von Deutschlandmacht, sondern die Art und Weise, wiesich die Bundesrepublik Deutschlandselbst gegenüber dem Ausland darstellt“(Ammer 1988, 1).

Im Verlaufe dieser Kontroverse, inder es um eine möglichst positive Dar-stellung der Bundesrepublik Deutsch-land ging und die sich zunächst undhauptsächlich auf die Kulturprogram-me des Goethe-Institutes richtete, tratdie damalige Bundesregierung an dasGoethe-Institut mit der Bitte heran, ein-mal zu prüfen, welches Deutschland-bild eigentlich die gebräuchlichenDeutsch-als-Fremdsprache-Lehrwerkevermitteln. Das Goethe-Institut reichte

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Abb. 5: Sprachbrücke 1, S.167: Informationen beschaffen

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diese Frage an ein Gremium renom-mierter Professoren, den BeiratDeutsch als Fremdsprache, weiter. Die-ser Beirat wies zunächst das Ansinnen,„Zensurkriterien zu entwickeln“, wasmanche hinter dieser Anfrage vermute-ten, weit von sich. Schließlich wurdenLeitlinien entwickelt, die bei künftigerLehrwerkproduktion von den verschie-denen Beteiligten (Autoren, Verlegern)beherzigt werden sollten: „Texte inLehrwerken des Deutschen als Fremd-sprache. 34 Maximen“ (JahrbuchDeutsch als Fremdsprache 1987).

Wahrscheinlich gibt es neben derdeutschen kaum eine Nation , die sichso intensiv um ihr ,Image‘, welchesman im Ausland von ihr hat (die Ste-reotypenforschug nennt dies ,Fremd-bild‘), kümmert oder gar kümmernmuß. Es nimmt darum nicht wunder,daß gerade der Prozeß der deutschenEinigung sogleich zu entsprechendenFragestellungen Anlaß gab. Und sokommt eine Untersuchung mit demsprechenden Titel „Die häßlichenDeutschen? Die Deutschen im Spiegelder westlichen und östlichen Nach-barn“ zu dem für den Fragestellererfreulichen Resultat:

„Das Deutschland-Bild der Nachbarnhat sich im Laufe von vier Jahrzehntenverbessert oder normalisiert. KonstanteÄngste vor einem aggressiven deutschen,Nationalcharakter‘ oder vor dem Rück-fall der deutschen Nachkriegsdemokra-tie in ein autoritäres Regime habenbeträchtlich abgenommen. Geblieben istjedoch die plausible Furcht vor der wirt-schaftlichen und politischen Stärke derBundesrepublik in Europa und auf demWeltmarkt. Nicht mehr singuläre Ereig-nisse der deutschen Geschichte, sondernuniverselle Motive politischer Konkur-renz zwischen Nationen und Staatenprägen heute das Deutschlandbild derinternationalen Öffentlichkeit“ (Traut-mann 1991, 8).

Offensichtlich widersprechen sichauf dieser ganz allgemeinen Ebene dasDeutschlandbild als ,Eigenbild‘ (derdamaligen Bundesregierung, muß maneinschränkend sagen) und die ,Fremd-bilder‘ (d.h. die untersuchten Deutsch-landbilder in anderen Staaten) inerheblichem Ausmaß. Diese in der Vor-

urteilsforschung bekannte Erschei-nung vereinfacht die Situation des Leh-rers nicht: weder die eine noch dieandere Seite der Betrachtung ist,objektiv‘. Vielmehr bedarf der Riß zwi-schen beiden der Verdeutlichung und –wenn möglich – der Erklärung.

7. InterkulturelleLandeskunde – neuePerspektiven, neue

Themen, neueVerfahren

Konnte man vor Jahren noch die „inter-kulturelle Kommunikation“ als „dasZauberwort der Fremdsprachendidak-tik“ bezeichnen (Müller 1986, 33), so istmittlerweile fast zu befürchten, daßaus dem Zauberwort von ehedem einSchlagwort geworden ist, das schlichtdazu mißbraucht wird, in der fachdi-daktischen Auseinandersetzung zu zei-gen, daß man sich auf der Höhe derDiskussion befindet.

Immerhin gibt es inzwischen mit„Sprachbrücke“ und „Sichtwechsel“zwei ,interkulturelle Lehrwerke‘, wiedie vierte Generation der (bundesrepu-blikanischen) Lehrwerke genannt wird,und die Landeskunde befindet sichebenfalls, wie wir gesehen haben, inihrer ,interkulturellen Phase‘.

Kritik an diesem Konzept, welchesletzlich den hohen Zielen von Völker-verständigung und allgemeiner Tole-ranz verpflichtet ist, wird nur noch sel-ten geübt, obwohl es schon nochAnlaß dafür gäbe:

„Toleranz gegen Humanismus: sokönnte man das Paradox einer Kritikdes Ethnozentrismus zusammenfassen,die dazu führt, jedes Individuum auf sei-ne Ethnie zu zentrieren. Von Kultur nurim Plural zu sprechen, bedeutet näm-lich, den Menschen verschiedener Epo-chen oder entfernter Zivilisationen dieMöglichkeiten zu verweigern, über denk-bare ... Werte, die über ihren Entste-hungsbereich hinausgehen, miteinanderin Verbindung zu treten (...)“ (Finkiel-kraut 1989, 107 ff).

Zwar ist dieser Einwand auf philo-sophischer Ebene formuliert – es gehtunter anderem um eine Diskussion desHerderschen Kulturbegriffs –, aber erhält den Widerspruch fest zwischen

universaler Humanität (z.B. in Formder Menschenrechte) und Toleranzgegenüber allen fremden (und eige-nen!) kulturellen Äußerungen (dieauch barbarisch sein können).

Auf fachimmanenter Ebene werdenEinwände, soweit zu sehen ist, nurnoch gelegentlich und dann als Ausein-andersetzung um die Konstituierungeiner „Interkulturellen Germanistik“erhoben (Zimmermann 1989).

Aspekte einer interkulturellverfahrenden LandeskundeWas aber sind nun die Merkmale inter-kultureller Kommunikation im allge-meinen, die uns dabei behilflich seinkönnen, die praktischen Schwierigkei-ten bei der Umsetzung ,herkömmli-cher‘ Landeskundekonzeptionen zuverringern.

• „Konfrontative Semantik“ (Müller1981)

Dieses Verfahren schließt die gängigenMethoden der Semantik (Übersetzen,Paraphrasieren, Bedeutungsanalyseetc.) nicht aus, es ergänzt sie vielmehrdurch die Erkenntnis, daß sich derwirkliche Bedeutungsumfang fremd-sprachlicher Texte erst dann ergibt,wenn man die „hinter“ den Wörternstehende gesellschaftliche Wirklich-keit, den Kontext, ihre Funktion undAbhängigkeit von und in der gesell-schaftlichen Praxis miterarbeitet.

Beispiel „VATER“ (waagrecht: ,klas-sisches‘ Wortfeld der Verwandtschafts-beziehungen und Komposita – senk-recht: soziale Bedeutung):

• Erweiterung des Gegenstand-bereichs der Landeskunde um dasFeld „Alltagskultur“ und „Leutekun-de“ (Krumm 1988)

Gemeint ist damit, daß z.B. Be-grüßungs- und Verabschiedungsritua-

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Mutter – Kind – Großvater – Onkel – Bruder – Nichte VATER

Vaterland – Vaterschaft – Doktorvater -väterlich – Vater unser

AutoritätFamilienvorstandGeldverdienerAktiv in (Vereins-)PolitikSpielkamerad am Wochenende („Samstags gehört Pappi mir“)(nach Müller, B.D. 1985, 132)

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le, Anredekonventionen (du/Sie),Schönheitsvorstellungen, verschiede-ne Bewertung der Farbsymbolik etc.mindestens ebenso wichtige Gegen-stände der Landeskunde sind wie dieKenntnis der Verfassungsinstitutionenoder der Wirtschaftsstruktur der Ziel-sprachengesellschaft.

Zudem besitzen diese Themen dengroßen Vorteil, daß sie oft unmittelbardem Erfahrungs-, Gefühls- und Kennt-nishorizont unserer Schülerinnen undSchüler zugänglich sind. Das kannauch bedeuten, daß sich die Akzentedieses Landeskundeunterrichts vonden (kognitiv bestimmten), durch denLehrer vermittelten Wissensinhaltenzu den (mehr affektiv besetzten)Erwartungshorizonten der Schüler ver-schieben (vgl. den Deutschlandkniggeund die Beiträge von H.J. Krumm undH. Weber in diesem Heft).

• Fremdperspektive (Pauldrach 1987u. a.)

Die meisten Lehrwerke für denDeutschunterricht wurden bislang –soweit es sich um deutsche Publikatio-nen handelt – aus der ,Nabelschau‘ derBundesrepublik (oder der DDR) konzi-piert und geschrieben, also aus derPerspektive dessen, der die deutsch-sprachigen Länder von innen sieht unddiese Perspektive auch vermitteln will.Daß dieses Verfahren ,Deutschlandkennenlernen mit deutschen Augen‘eigentlich nicht funktionieren kann,hätte uns die (Ethno)Psychologieschon lange sagen können, hätte dieDeutsch-als-Fremdsprache-Didaktik sienur gefragt. Das Neue, das andere, dasFremde sehen wir zunächst, und dasscheint eine der wenigen anthropologi-schen Konstanten zu sein, fast aus-nahmslos durch den Interpretations-filter des uns Vertrauten, an dem dasandere ,gemessen‘ wird. Insofern ist esauch ganz ,normal‘, auf dieses Fremdemit Erstaunen, Befremden, meist mitgemischten Gefühlen, häufig zu negativ(Kulturschock) und selten über-schwenglich positiv zu reagieren.Fremdperspektive aufnehmen heißt indiesem Sinne also auch, vor allem denAusgangspunkt des Lernenden ernst-nehmen. Das bedeutet zugleich, daßwir als Fremdsprachenlehrerinnen und

-lehrer die Stereotype und Vorurteileunserer Schüler (von unseren eigenenganz abgesehen!) als vorhandene unddas Fremdbild bestimmende Faktorenwahrnehmen und akzeptieren müssen(vgl. auch „Aktuelles Fachlexikon“ indiesem Heft).

• Rückbezüglichkeit des Blickes aufdas Fremde. Konsequenzen für dasEigenbild

So könnte man eine weitere Leistunginterkulturell verfahrender Landeskun-de bezeichnen. Das soll nichts anderesheißen, als daß die intellektuelle undemotionale Arbeit am Verstehen derfremden Sprache, Kultur und Gesell-schaft auch produktive Auswirkungenhaben sollte auf das Verständnis voneigener Sprache und Kultur. (Ihekwea-zu 1988) (vgl. dazu die Beiträge vonDrechsler, Weber und den Deutsch-landknigge in diesem Heft).

Praktisch werden diese Überlegun-gen in Form der Lehrmaterialienpro-duktion etwa seit Mitte / Ende der80er Jahre relevant. Seitdem wird derErstellung sogenannter regionalerLehrwerke (oder zumindest regionalerAdaptationen deutscher Lehrwerke)erhöhte Aufmerksamkeit und Unter-stützung zuteil (mit gemischten Auto-renteams, die die beiden Pole desinterkulturellen Verständigungspro-zesses repräsentieren, z.B. in Chile,Indonesien, Westafrika, Spanien, Däne-mark etc.). Andere Lehrwerke (vorallem der sogenannten vierten Gene-ration) werden zwar zu einem erheb-lichen Teil noch einsprachig deutschproduziert, finden aber ihre Ergänzungin sprach- und kulturkontrastiven Ar-beitsbüchern (z. B. „Sprachbrücke“).

Die Methode der Landeskunde:Der Vergleich?Interkulturelle Landeskunde ist also„in“ und ihr beliebtestes Verfahren istder Vergleich: „...weder im eigenkultu-rellen noch im interkulturellen Bereich(kommt) man um das Vergleichen her-um. Der Vergleich stellt eine, wenn nichtdie kognitive Operation zur Erkenntnis-gewinnung dar: Neues, Fremdes wirdauf der Vergleichsgrundlage des bisherErfahrenen integriert“ (Müller, B.D.1986, 37, Hervorhebung von AP).

Dieser Feststellung wäre sofortzuzustimmen, wenn sie „nur“ eine

Beschreibung alltäglichen Denkverhal-tens wäre, welches auch und vor allemim Fremdsprachenunterricht stattfin-det. Bernd Müller und viele andereFremdsprachendidaktiker sehen aberim Vergleich durchaus mehr. Er sollein, wenn nicht das Mittel der Erkennt-nisgewinnung im interkulturellenFremdsprachenunterricht sein. Unddiese Behauptung ist schon einernäheren Überprüfung wert, wie unszunächst und ganz banal der Volks-mund lehrt, demzufolge ja alle Verglei-che hinken.

DER GROSSE DUDEN führt zurTätigkeit des „Vergleichens“ aus:„1a) prüfend nebeneinanderhalten,gegeneinander abwägen, um Unterschie-de oder Übereinstimmungen festzustel-len“ und2) „sich vergleichen, sich mit jmd. mes-sen...“ (Duden, Bd.6, 2747).Es lohnt in diesem Zusammenhang,sich der sprachlichen und kognitivenMittel des Vergleichs zu erinnern.Dabei handelt es sich um die Tätig-keiten:• Identifizieren, also Gleichheit fest-

stellen,• Differenzieren, also Unterschiede,

d.h. Nichtgleichheit feststellen –und

• Komparation, also Verschiedenheitin der Gleichheit messen.

Da die Komparation stets nur ein,mehr‘ oder ,weniger‘ eines Aspekts,einer Eigenschaft an zwei unterschie-denen Gegenständen feststellt, kannsie in der Regel nur quantifizierend ver-fahren.

Mit diesem ,mehr‘ oder ,weniger‘ istaber allzu häufig eine Bewertung ver-bunden, so daß daraus sehr schnellein ,besser‘ oder ,schlechter‘ wird. Unddamit sind wir bei zwei Paradekatego-rien des Vorurteils angelangt.

Dieses wertende Vergleichsverhal-ten, welches unser Alltagslebenbewußt und unbewußt (vgl. etwa die„Überzeugungsstrategien“ von Wer-bung) beherrscht, hat seinen Ursprungoffenbar in den Leistungs- und Konkur-renznormen entwickelter Industriege-sellschaften und ist selber wieder nur

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in seiner Kultur- und Gesellschaftsge-bundenheit zu verstehen.

Auch auf der Ebene wichtigerBezugswissenschaften der Landeskun-de (z. B. der Politikwissenschaft, woder Vergleich insgesamt eine sehr vielbedeutsamere Rolle spielt als in ande-ren Sozialwissenschaften), stellt sichdie methodische Situation nicht sehrviel beruhigender dar (Beyme 1988, 58).

Der ,alltägliche‘, ,normale‘ Ver-gleich – so wäre dieser Exkurs zusam-menzufassen – kann kein Instrumentder Erkenntnisgewinnung sein, er setztvielmehr die (Er)Kenntnis der vergli-chenen Gegenstände voraus.

Der ,interkulturelle Vergleich‘ dage-gen, dem die genannten Mängel nichtanhaften, setzt also – und nun kehrenwir auf die Ebene des Unterrichtszurück – auch allerhand voraus, sowohlauf der Seite des Lehrers wie auf Seitendes Schülers. Vielleicht sollte man die-se Einsicht curricular so formulieren:Der Vergleich beherrscht zwar unserAlltagsdenken und ist insofern auchpraktische Voraussetzung von Fremd-sprachenunterricht, er sollte abergerade nicht als Methode zur Erkennt-nisgewinnung behauptet werden. Erhat vielmehr seinen Platz am Ende desVerstehens- und Verständigungspro-zesses zwischen zwei Gesellschaftenund Kulturen, er ist sein Ziel.

Ein Ergebnis einer solchen reflek-tierten (und nicht vorschnellen) Ver-gleichsdidaktik wird dann auch die

Erkenntnis sein, daß viele Erscheinun-gen in anderen Kulturen/Gesellschaf-ten eben – im alltäglichen Wortsinne –nicht vergleichbar, sondern anderssind: Das Fremde wird als Fremdeserkennbar und bleibt – fremd undanziehend zugleich (Krusche/Wierla-cher/Kristeva 1990).

Praktischer Exkurs: Anmerkun-gen zu ,Arbeit‘ und ,Kommunika-tionsstrategien‘ im inter-kulturellen Vergleich

Ein paar Beispiele unterschiedlicherHerkunft sollen belegen, wie verschie-den ganz alltägliche Begriffe auch zwi-schen nicht weit entfernten Gesell-schaften verstanden und empfundenwerden. Diese Beispiele mögen auchverdeutlichen, daß es im interkulturel-len Vergleich nicht darum geht zu wer-ten, sondern daß in einem fortschrei-tenden Prozeß (zunächst und ober-flächlich) Ähnlichkeiten und dann (jemehr man in die fremde Materie ein-dringt) Unterschiede herausgearbeitetwerden müssen. Dies geht, wie die Bei-spiele zeigen, nicht ohne eine MengeWissen und Erfahrung über zweiGesellschaften oder Kulturen – zumin-dest auf seiten des Lehrers.

Kehren wir noch einmal zu unse-rem eingangs erwähnten Thema,Arbeit‘ zurück. Wir veranstalten einekleine Wortfeldanalyse (im Sinne der„Konfrontativen Semantik“), die auchBegriffe umfaßt, die eng mit dem Zen-tralbegriff ,Arbeit‘ zu tun haben.

Es werden Verhältnisse in der Bun-desrepublik Deutschland und inSchweden interkulturell verglichen.• In Schweden gab es bis vor wenigen

Jahren Arbeit für alle (Prinzip derVollbeschäftigung), Arbeitslosigkeitspielte (fast) keine Rolle. 1992 wirddie Arbeitslosigkeit auf über 4% stei-gen, das gilt als Zeichen einer ern-sten wirtschaftlichen Krise.

• In (West)Deutschland (in der Stati-stik heißt dies: in den alten Bundes-ländern) haben sich die Leute späte-stens seit Beginn der 80er Jahredaran „gewöhnt“, mit Arbeitslosig-keitszahlen von um die zwei Millio-nen, d.h. zwischen 7% und 10% zuleben, ein Sinken unter 6% gilt alsenorme wirtschaftspolitische Lei-stung.

• Die schwedische Inflationsrate, d.h.die Steigerung der Verbraucherprei-se betrug lange Zeit mehr als 10%,was den meisten Leuten aber keinallzu großes Kopfzerbrechen berei-tete, sie hatten ja Arbeit und ent-sprechende Lohnsteigerungen.

• In Deutschland droht seit langer Zeitwieder einmal eine Inflationsratevon mehr als 4%. Die Bundesbankund der sogenannte Mann auf derStraße halten dies für ein ernstesKrisenzeichen.

• Die Löhne und Gehälter in Deutsch-land und in Schweden differierenerheblich. Dennoch ist Schweden(fast noch mehr als Deutschland)für seinen hohen Lebensstandardbekannt.

• In Schweden waren in den 80er Jah-ren mehr als 80% der erwerbsfähi-gen Frauen berufstätig , was auchals Zeichen ihrer Emanzipiertheitgilt.

• In Deutschland arbeiten etwas mehrals 50% der Frauen.

• Die tarifliche Jahresarbeitszeit warin Schweden 1990 erheblich höher(1800 Stunden) als in Deutschland(1648 Stunden).

• Die Deutschen hatten zudem einenlängeren Jahresurlaub (30 Arbeitsta-ge) als die Schweden (25).

• 1989 waren die industriellen Arbeits-kosten (Lohnkosten plus Lohnne-benkosten) weltweit in der Bundes-republik am höchsten.

• Schweden liegt in dieser Statistik aufPlatz drei.

• In Schweden ist man öfter krank/wird man öfter krankgeschrieben alsin Deutschland.

• In der durchschnittlichen Lebenser-wartung liegt Schweden in Europaund weltweit an der Spitze.

(Quellen: Sverige fakta 1991. Jahrbuch der Bundesrepu-blik Deutschland 1991/1992, Globus-Kartendienst 1990und 91)

Diese Aufzählung ist trotz derDatenfülle selbstverständlich subjektivund unvollständig, sie könnte nocheine ganze Zeitlang fortgesetzt und,verfeinert‘ werden. Was mit ihr ver-deutlicht werden sollte, ist nur dies:Daß ,die gleichen Phänomene‘ (Arbeits-losigkeit, Inflation, Frauenarbeit,

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Vergleich

Ulrich Hofmann

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Lebensstandard, Lebensqualität etc.)aufgrund unterschiedlicher Erfahrun-gen, unterschiedlicher Geschichte etc.,sehr verschieden bewertet, verstan-den, empfunden werden können. Daßdarum auch die Wörter, die diese Phä-nomene bezeichnen, auch wenn sie imWörterbuch als Übersetzung angege-ben werden, oft etwas sehr Verschiede-nes bedeuten.

8. Alltagskultur alsAusdruck gesell-

schaftlicher ErfahrungEin Gebiet, welches die interkulturelleLandeskunde sehr schnell für sicherobert hat, ist das der unterschiedli-chen Kommunikationsverhalten. Sinddiese kulturbedingten Unterschiedenicht bekannt, so werden häufigMißverständnisse auftauchen, die min-destens Vorurteile nicht abbauen hel-fen und im schlimmsten Falle zumAbbruch von Kommunikation führenkönnen.

Wenn es ums Geschäft geht, hat dasfür beide Partner negative Folgen. Des-halb waren die Handelsleute unter denersten, die nach entsprechenden Ver-haltenskodizes („Knigge“) verlangtenund solche erstellten oder erstellenließen. Daß es dabei nicht ohne grobeVereinfachungen (im Sinne von Natio-nalklischees) abgeht, die eher der Ver-breitung als dem Abbau von Vorurtei-len dienen, darf nicht verschwiegenwerden. So heißt es in einem deut-schen Leitfaden „Zehn Ratschläge fürdie Anbahnung von Geschäften inSchweden“:

„Als Faustregel kann gelten, daß dieschwedische Mentalität der britischenam ähnlichsten ist ... Der Schwede ist imallgemeinen außerordentlich höflich...Der Schwede liebt es nicht, von Besu-chern überfallen zu werden...“ (Aus-landskurier 1980).

Neben derartigen, offensichtlichsehr gefragten und verbreiteten Hand-reichungen gibt es natürlich auch eineMenge seriöser und inhaltsreicherUntersuchungen (vor allem im Hoch-schulbereich) zu den Unterschiedenim Kommunikationsverhalten bei auf

den ersten Blick sehr nah beieinanderliegenden Gesellschaften.

Für die Kommunikation zwischenDeutschsprachigen und Skandinaviern(in Sonderheit Finnen) sind z.B. folgen-de Differenzen wesentlich:• Schweigen und Sprechpausen sowie

nonverbales Verhalten haben eineandere Funktion.

• Verbal Geäußertes hat bei Finneneine größere Verbindlichkeit undbirgt größere Verpflichtung zur Ein-haltung.

• Die deutsche Einstellung zu (Selbst-)Kritik ist für Finnen schwer nach-vollziehbar.

• Insgesamt unterscheidet sich dasArgumentationsverhalten in beidenLändern sehr; verbale Leistungenzählen in Mitteleuropa viel mehr alsin Finnland (Schröder 1990).

In einem Aufsatz mit dem sprechendenTitel „So nah und doch so fern“beschreibt H. Kothoff unterschiedlicheKommunikationsmuster für das deut-sche und US-amerikanische Hoch-schulmilieu. Sie behandelt dabei diefolgenden „Interaktionsrituale“:• Begrüßungen: Die angenehmen

Floskeln z. B. „pleased to meet you“haben im Amerikanischen nichtannähernd die Potenz, die sie imDeutschen haben würden.

• Verabschiedungen scheinen in Kali-fornien und an der Ostküste herzli-cher auszufallen als in Deutschland.

• Komplimente erhält man in den USAweit öfter als in Deutschland; jeman-den zu verletzen nimmt man inDeutschland eher in Kauf als in denUSA, da ist die Tendenz umgekehrt.

• Debattieren: Deutsche Männerbevorzugen diesen Diskurstyp beifast jeder Gelegenheit, in den USAist es wichtig, Alltagserlebnisse sodarzubieten, daß sie eher Gelächterals eine Debatte auslösen.

• Kritik (mit ähnlichen Ergebnissenwie beim finnischen Beispiel) ist inden USA beziehungsorientierter,motivierend, in Deutschland sach-orientiert, gelegentlich sogar verlet-zend.

• Raumverhalten: Amerikaner erlebenDeutsche häufig als reserviert/distanziert mit einem erheblichenBedürfnis nach Privatsphäre.

• Vorträge, wissenschaftliche Texte:Möglichst freies Sprechen, linearer

Aufbau, mit Humor (USA) – Ablesenvon Texten, degressiver Aufbau,trockener (Deutschland) (Kothoff1989).Im Bereich der Sozialwissenschaftenwerden etwa vier dominante „intellek-tuelle Stile“ unterschieden, nämlich• die saxonische (angelsächsische,

mehr pragmatische),• die teutonische (deutsche, osteu-

ropäische, mehr theoretisch-deduk-tiv orientierte),

• die gallische (für die romanischenLänder) und

• die nipponische (=japanische) Denkweise (nach Beyme 1988).

Bei all diesen Interaktionsritualen (mitAusnahme der explizit nur im Hoch-schul- und Intellektuellenmilieu auftau-chenden „Denkstile“) handelt es sichauch um Themen der sogenannten All-tagsskultur oder der „Leutekunde“.

Wir sind damit auf Themenbereichegestoßen, die dem Erfahrungshorizontunserer Schülerinnen und Schüler gele-gentlich aus unmittelbarer Anschau-ung der deutschen Gesellschaft bereitsauf irgendeine – meist unreflektierteWeise – angehören und insofern ,be-kannt‘ sind. Darum eignen sich dieseThemen besonders gut für die Behand-lung im landeskundlichen Deutschun-terricht.

Dabei gilt aber gerade für die The-men der Alltagskultur, daß sie „garnicht leicht zu fassen und zu begreifen(...sind ). Alltagskultur ist eine Art Blind-feld, in dem man sich sicher bewegt,über das man aber nicht reflektiert. Inso-fern ist es mühsam, den Alltag zu erken-nen und zu verstehen“ (Bausinger 1988,157).

Auch mit Themen aus der Ge-schichte läßt sich im Deutschunter-richt ,leichter umgehen‘, wenn wir siein der Form aufnehmen, wie sie sich inder Alltagskultur präsentieren. Dennunbestritten gehört die Geschichte zuden wichtigen Themen der Landeskun-de, andererseits geht die Landeskunde-didaktik – schon um die Fülle des Mate-rials zu begrenzen – normalerweisevon der Gegenwart als Bezugspunktdes Fremdsprachenunterrichts aus.

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Zuallererst bietet sich natürlich der,Eigenbezug‘ unserer Schülerinnen undSchüler bzw. deren Eltern und Ver-wandten zur deutschen Geschichte an.Der zweite Weltkrieg und seine Folgenstellen nicht nur innerhalb Europas,wo die Deutschen in fast allen Ländernunauslöschliche Spuren hinterlassenhaben, immer noch aktuelle Anknüp-fungspunkte dar (man denke z.B. andie Geschichte der Anne Frank in denNiederlanden oder die Rolle der zwi-schen den beiden Kriegen oder nach1945 nach Südamerika ausgewander-ten Deutschen).

Ein sehr probates und einfachesMittel, den ,scheinbaren‘ Widerspruchzwischen dem Heute und der deut-schen Vergangenheit aufzulösen, istdie Darstellung vergangener Zeiten inden Spuren, die diese in der Gegenwarthinterlassen haben. Das kann z. B. sogeschehen, daß man bei der ,Behand-lung‘ des deutschen Geldes die auf denGeldscheinen dargestellten Frauen undMänner in ihrem geschichtlichen Kon-text zur Sprache kommen läßt. Dabeiwird dann von Maria Sybilla Merian(500 DM-Schein) bis zu Annette vonDroste-Hülshoff (20 DM -Schein) derganze Umfang neuerer deutscherGeschichte geboten (Weimann/Hosch1991).

Ein anderer, interessanter Weg,Geschichte im Landeskundeunterrichteinzufangen, wird mit der Ausstellung„Zeit|Worte“ des Goethe-Institutsbeschritten. Diese war eigentlich zumJubiläum des 40-jährigen Bestehensder Bundesrepublik geplant und wurdedann von der deutsch-deutschen Ein-heit ebenso überrascht wie die gesam-te Landeskunde (siehe dazu den Bei-trag von Achim Maibaum in diesemHeft).

9. SchlußSo wären wir am Ende wieder bei unse-rem Anfangsthema angelangt, den Pro-blemen, die die deutsche Einheit derLandeskunde im Deutschunterrichtstellt. Letzte Antworten waren nicht zuerwarten, denn immer bleibt ein Über-schuß an Fragen. Das betrifft die realenVerhältnisse ebenso wie ihre Vermitt-lung im Unterricht.

Insofern ist die Landeskunde einerder schwierigsten Bereiche des Deut-schunterrichts. Sie kommt nie an einEnde, und nie ist man fertig mit ihr. Sieumfaßt immer den eigenen Ausgangs-punkt und das fremde Ziel, weswegenwir sie interkulturell nennen. Und bei-de Pole verändern sich permanent (obwir es wahrnehmen wollen oder nicht).Auch das unterscheidet sie von ande-ren Unterrichtsbereichen wie Gramma-tik oder Phonetik. Wenn es abergelingt, Lehrer wie Schüler auf dieseskomplizierte Verhältnis aufmerksam zumachen, was nichts anderes heißt, alssie dafür (und damit für ihre eigenenVorstellungen davon) zu interessieren,ist schon viel gewonnen.

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Von Hans-Jürgen Krumm

Die Bilder, die einer vom fremden Landhat, haben oft mehr mit dem eigenenKopf zu tun als mit der fremden Wirk-lichkeit. Der folgende Beitrag enthältpraktische Vorschläge, wie Schülerin-nen und Schüler lernen können, daseigene kulturelle Vorverständnis zuerkennen und zu relativieren.

Ausgangsthesen

1. Jeder, der Deutsch lernt, bringt schon Vor-stellungen über die Deutschen und die

deutsche Sprache in den Unterricht mit, Erfah-rungen (z.B. mit deutschen Touristen), Ängste(vor der „schweren“ Sprache), Klischees undVorurteile (wie sie z.B. der französische Stu-dent Fabien Didier in der Karikatur unten fest-gehalten hat).

2. Deutschunterricht ist immer und vonAnfang an „Landeskunde“, insofern er die

erste systematische Begegnung des Lernenden

mit der fremden Sprache und Kultur darstelltund vorhandene Vorstellungen verstärkt, ver-ändert oder durch neue ersetzt: Lehrbücher,Lehrer und Lehrerinnen verstärken zum Bei-spiel Vorurteile oft unabsichtlich, etwa durchKarikaturen im Lehrbuch, die nicht relativiertwerden (wie etwa in den Lehrbüchern„Deutsch aktiv“ und „Deutsch konkret“), durcheinseitige Auswahl von Texten und Themen, oftaber auch durch unbedachte Äußerungen (L: „Ja, bei ihnen in Italien stehen die Zügeimmer, da ist immer Streik, bei uns fahren dieZüge ...“).

3. In den Deutschunterricht integrierte Lan-deskunde erfordert einen interkulturellen

Unterricht, der die Kultur der Zielsprache inAuseinandersetzung mit den Normen der eige-nen Kultur zum Thema macht. Das fängt bereitsbei den einzelnen Wörtern an: schon Wörtersind Träger spezifischer kultureller Normenund Werte.

4. Interkulturelles Lernen und Verstehenentwickeln sich beim Sprachenlernen

nicht automatisch mit, vielmehr bedarf es einesgezielten Wahrnehmungstrainings, um das Spe-zifische einer fremden Kultur sehen zu lernen.Die Fähigkeit, das eigene kulturelle Vorver-ständnis zu relativieren, ist sogar durch dieNotwendigkeit der Auswahl und Typisierung imSprachunterricht gefährdet – auch hier könnendie Texte und Illustrationen von Lehrbüchernoft ungeahnte Folgen haben. Wenn z.B. in einemLehrbuch Herr Hartmann nach einem leichtenUnfall einen Neuwagen kauft1, oder wenn imLehrbuch „Themen“ bunte Bilder von Schlös-sern und Domen den ersten Eindruck bestim-men, so hat dies immer auch Konsequenzen fürdie im Kopf eines Lernenden entstehenden„Landesbilder“.

Landeskunde als„Leutekunde“

Wenn der Deutschunterricht einen Beitragdazu leisten soll, genau hinzuschauen, zuerkennen, daß unsere Bilder von einem Landoft mehr mit uns selbst als mit objektiven Gege-benheiten zu tun haben, so muß er bei den vor-handenen Vorstellungen anfangen, diesebewußt machen und relativieren. Dabei sind

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Bilder im Kopf • Interkulturelles

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Vorstellungen über ein Land meist Vorstellun-gen über die Menschen. Nicht die abstraktenRegelungen (Gesetze, Wirtschaft, Politik), son-dern deren konkrete Auswirkungen auf einzel-ne Menschen sind daher ein sinnvoller undmotivierender Einstieg in die Landeskunde.

Beispiel 1: Bewußtmachen undRelativieren von Vorverständnissen2

Den Kursteilnehmern werden Äußerungen vonAusländern über die Deutschen mit der Bittevorgelegt, zu entscheiden, aus welchem Landsie stammen. Durch Vergleich der Äußerungen(z. B. mit der Frage: Wer hat denn nun recht ?)kann deutlich werden, wie relativ pauschaleÄußerungen über die Bevölkerung eines Lan-des sind.

Text ADie Deutschen leben freier. In Deutschland kannman das Nachtleben genießen. Die Deutschensind viel sinnlicher, heiterer und lustiger als wir.

In Deutschland ist es nicht sauber. In Deutschlandriecht es schlecht. Die Deutschen sind Zwiebel-fresser ...

Text BDie Deutschen befolgen das Gesetz. Sie sind kaltund zurückhaltend. Sie gehen früh zu Bett. DieDeutschen sind sauber und fleißig und planenalles. Sie sind ausgeruhter und ruhiger als ande-re Menschen. Sie sind in ihrer Lebensweise zukompliziert.Die deutschen Männer riechen nach Schweiß,die Frauen sind behaart.

Aus welchem Land stammen die ÄußerungenA:_______________________B:_______________________Wer hat recht ?

Assoziogramme können helfen, vorhandeneVorstellungen in der Klasse explizit zu machenund – bezogen auf aktuelle politische Ereignis-se – das vorhandene Wissen der Lernenden zuerschließen.

Beispiel 2: Assoziogramm „deutsch-deutsch“Die geographische Nähe zu Deutschland, dieErfahrungen mit dem Deutschen Reich spiegelnsich deutlich in den Assoziationen der Italiener

unmittelbar nach der Vereinigung: Sorgen voreinem neuen „Großdeutschland“ waren damalsverstärkt in der europäischen Presse artiku-liert. Aus der brasilianischen Ferne dagegen istder Blick auf Deutschland 1991 eher sachlich;nach einer kurzen Phase 1990, in der auch inden brasilianischen Medien ausführlich überdie Entwicklung in Deutschland berichtet wur-de, ist die Berichterstattung über Europa imOktober 1991 wieder auf ein Minimum gesun-ken. Die spezifischen Probleme der Vereinigungtauchen hier gar nicht auf.

Beide Aufgaben eignen sich sowohl zusprachlicher wie landeskundlicher Vertiefung:die erste Aufgabe, primär rezeptiv, schon ineinem frühen Lernstadium, in dem evtl. auchdie Lernenden selbst gebeten werden können,Zeichnungen/Karikaturen anzufertigen oder zusammeln und mitzubringen sowie eigene Vor-stellungen über die Deutschen auszutauschen.Eine produktive Phase kann sich hier anschlie-ßen, z. B. eine Befragung von im Lande anwe-senden Deutschen darüber, was sie denn ihrer-seits von den Menschen in diesem Land halten.

Die zweite Aufgabe eignet sich als Aus-gangspunkt für produktive Schreibaufgabenoder für eine (evtl. in der Muttersprache ge-führte) Diskussion über aktuelle Entwick-lungen.

„Landeskunde“ steckt also in den Köpfenschon drin, und zwar einmal als Vorstellungüber Deutschland, zum andern aber auch inForm der eigenen Normen und Werte, die jeder

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Lernen und Landeskundea) Norditalien, Herbst 1990 b) Brasilien, Herbst 1991

– Großdeutschland – WiedervereinigungDeutsches Reich BRD-DDREnde des 2. WeltkriegsHitler – CDUAngst – Die Grünen

– Ende des Sozialismus – Deutschland/Schweiz/offene Grenze ÖsterreichMauerimmer nur Probleme – Industrie

unrentabel– viele Möglichkeiten

– Profit– Geld arm-reich

KapitalismusMarktwirtschaft – Norddeutschland/Ausverkauf DDR Süddeutschland

– arm-reich – Vielfalt, DialekteTrabbi-Mercedes

– Goethes Sprache

Beispiel 2: Assoziogramm „deutsch-deutsch“

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aus der eigenen Kultur ganz unhinterfragt alsMaßstab an die Zielkultur heranträgt – Landes-kunde im Deutschunterricht bedeutet dann,das scheinbar schon Gekannte und Normale zurelativieren. Dies gilt dann aber auch für diedeutschen Lehrbuchautoren, für Lehrer undLehrerinnen: Landeskunde als das Gegenteilvon nationaler Selbstbespiegelung und ethno-zentrischem Denken, als eine Form des inter-kulturellen Lernens, um Selbst- und Fremdbil-der zu überprüfen. Dabei können zum Beispielauch Erfahrungsberichte helfen, die von Aus-tauschschülern, Besuchsreisen u.ä. mitge-bracht und im Unterricht diskutiert werden.Die Französin Anne-Marie Thiesse z.B.beschreibt Unterschiede zwischen Deutsch-land und Frankreich:

„Wer in Deutschland eines Samstags um 14Uhr festgestellt hat, daß der Kühlschrank leer ist,weiß, daß er bis zum nächsten Montag fastenoder wenigstens hungern muß: schnell merktman, daß die Tankstellen, die Rettungsstationender Durstigen, am Wochenende für Bier und Ben-zin zuständig sind. Ärgerlich erfahren Ausländer,daß die Öffnungszeiten der Läden in Deutsch-land besonders kurz sind. ...

Wie Gewerkschaften, Kirchen und Traditionhier der freien Marktwirtschaft und der städti-schen Modernität Widerstand leisten, wie die fürihren Fleiß weltweit berühmten Deutschen durch-schnittlich kürzere Arbeitszeiten als die Arbeit-nehmer anderer Nationen haben, war eigentlichnicht meine Frage. Sie lautete eher: Was tun denndie Deutschen am Feierabend ? Da ich direkt aneinem Wald wohnte, konnte ich wenigstens dieFreizeittätigkeit am Wochenende schnell identifi-zieren: es wird gewandert.

Wandern heißt aber nicht, leichtsinnig undwillkürlich Freiheit und Natur zu genießen. Eswird ordentlich gewandert! ...“

Ein anregendes Beispiel dafür, die Schüler„Leutekunde“ auch außerhalb Deutschlandspraktisch erfahren zu lassen, hat Peter Groene-wold mit seinem Modell „Erfinde einen Deut-schen“ vorgelegt: Groenewold läßt die Schülersich einen Deutschen oder eine Deutsche aus-denken und mit einer Biographie ausstatten.Dafür sind intensive landeskundliche Recher-chen erforderlich, schließlich müssen derWohnort und Beruf, die dafür erforderlicheBerufsausbildung etc. herausgefunden werden,d.h es wird untersucht, welcher Zusammen-hang zwischen den politisch-sozialen, den geo-graphischen u.a. Fakten und dem realen Lebender Menschen in Deutschland besteht.

SprachbezogeneLandeskunde

Mit dem Lehrwerk „Sichtwechsel“ und demKonzept der Bedeutungsrecherche (Müller1981) hat die Erkenntnis in den Deutschunter-richt Eingang gefunden, daß schon viele Einzel-wörter kulturelle Bedeutung tragen.

Für den Begriff „Familie“ liefert das Lehr-werk „Sprachbrücke“ (Bd. 1, S. 52) ein schönesBeispiel. Hier zeigen Interviews ein ganz unter-schiedliches Verständnis von Familie. Die Lehr-buchinterviews machen deutlich, daß jüngereDeutsche sich oft, wenn sie von ihrer Familiesprechen, nur auf diejenigen beziehen, mitdenen sie zusammenwohnen (Dialog 2). Der invielen Ländern übliche Familienbegriff (Familie= alle, die miteinander verwandt sind, Dialog 1)gilt nur noch in bestimmten Kontexten: „Weih-nachten trifft sich die ganze Familie“. Auch dieGrafik „Von der Großfamilie zur Kleinfamilie“unterstützt diese Verwendung des Begriffs„Familie“: Sie will ja nicht sagen, daß 65% derDeutschen keine Eltern, Großeltern, Geschwi-ster oder Kinder mehr hätten, sondern deutetfür 1990 nur an, daß die Zahl der allein oder zuzweit lebenden Menschen in Deutschland zuge-nommen hat. Die Grafik sagt also eigentlichnichts über die Größe von Familien im Sinnevon Verwandtschaft, sondern nur über dieGröße der „Haushalte“ (= Zahl der Menschen,die in einer Wohnung gemeinsam leben).

In ihrem „Tübinger Modell einer integrati-ven Landeskunde“ haben Paul Mog u.a. unter-sucht, wie sich solche Selbst- und Fremdwahr-nehmungen entwickeln. So zeigen sie z.B., wiesich die „deutsche Raumerfahrung“ aus histo-

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Haben die Deutschen keinenSinn mehr fürs Familien-leben? Tatsache ist, daß derAnteil der Großfamilien inden letzten Jahrzehntendrastisch abgenommen, jenerder Kleinfamilien oder garEinpersonenhaushaltedagegen kräftig zugenom-men hat. Im Jahr 1990lebten noch in 44 von je 100Haushalten jeweils fünfPersonen und mehr. Heutehaben nur noch fünf von 100Haushalten eine derartigeGröße.

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risch-sozialer Kleinräumigkeit wie auch gegen-wärtiger Siedlungsdichte entwickelt und Begrif-fe und Vorstellungen vom Urlaub und Reisen,aber auch von Heimat prägt:

„Die eng begrenzten Lebenshorizonte wurdenin Deutschland bis zur Industriellen Revolutionvon außen her kaum durchbrochen. Es gab vielePhasen massierter Auswanderung; es gab aucheine Reihe von Einwanderungswellen (...) undeine oft unterschätzte Binnenwanderung. Die alsReflex der Kleinstaaterei entstandene Mentalitätder Seßhaftigkeit wurde durch diese historischeEntwicklung kaum umgeformt. „Ortsfestigkeit“bleibt die Norm. ...“

Die deutsche Vereinigung führt zu aktuellenWortprägungen, die gleichfalls Elemente deut-scher „Geschichte“ tradieren. Das folgende Bei-spiel soll das illustrieren.

Beispiel: Assoziationen zu einer GarnrolleDeutschlerner, die nicht regelmäßig deutsch-sprachige Zeitungen lesen, assoziieren hier:– Garnrolle – Faden abschneiden, ausrollen,aufrollen, abrollen – nähen

Beim Ausfüllen der leeren Sprechblasenwerden hier die Rollen von den Lernenden kei-

neswegs eindeutig alspositiv-negativ charakteri-siert: Die volle Rolle kannzwar herablassend sagen„Ich bin mehr wert“, aberdurchaus auch neidischauf die leere sein: „Dumachst Diät“, „Du bistaber sehr schlank“, wieauch umgekehrt die leereRolle mitleidig sagen kann:„Du bist aber dick“ oder„Du Arme, ich bin schonfertig.“

Die originale Karikaturist dagegen eindeutig: DasWort „abwickeln“, bisdahin in der Geschäfts-sprache durchaus neutralzu verwenden (Wahrig:ein Geschäft ordnungs-gemäß erledigen), hat sei-ne Unschuld verloren, essteht für die Prozedur der„Abwicklung“ von Firmenund Institutionen der ehe-maligen DDR durchBehörden der Bundesre-publik oder die Treuhand

und meint meist nichts anders als: schließen,auflösen – „abgewickelte Menschen“ sindarbeitslos. Das Wort ist mittlerweile so proble-matisch geworden, daß mit Hilfe eines Preis-

ausschreibens ein „harmloseres“ Wort gesuchtwurde: der akzeptierte Vorschlag heißt „rekon-struieren“.

Die deutsch-deutsche Vereinigung liefertzahlreiche Beispiele dafür, daß Wörter auf ein-mal nicht mehr „naiv“ gebraucht werden kön-nen oder sich politische Entwicklungen in Neu-schöpfungen manifestieren wie etwa der „Bes-ser-Wessi“ und „Mecker-Ossi“.

Stichworte zur UnterrichtspraxisFür nicht muttersprachliche Deutschlehre-

rinnen und -lehrer ist es freilich nicht leicht,hier auf eigene Faust Beispiele zu finden und zunutzen.

Die folgenden Zugangsweisen erleichternes, der Landeskunde im Deutschunterricht eineinterkulturelle Orientierung zu geben:a) Gezieltes Wahrnehmungtraining und Sensi-

bilisierung für eigenkulturelle Prägungen(Lehrwerke „Sichtwechsel“, „Sprachbrücke“);

b) Bewußte Konfrontation/Bewußter Vergleicheigenkultureller Prägungen und Manifesta-tionen mit den kulturellen Manifestationender deutschsprachigen Länder (Lehrwerk„Sprachbrücke“);

c) Bedeutungsrecherchen und Bedeutungs-collagen (Beispiele in „Sichtwechsel“ u. a.);

d) Kulturkontrastive Erfahrungen sammeln:eigene Erfahrungsberichte von Lehrern undSchülern, Gäste aus Deutschland einladen;

e) Vorwissen aktivieren: Assoziogramme, mut-tersprachliche Informationsquellen nutzen(z.B. Zeitungen, Fernsehen);

f) Recherchen (vgl. Heft 4/1991 von FREMD-SPRACHE DEUTSCH).

Anmerkungen: 1) In Braun/Nieder/Schmoe: Deutsch als Fremdsprache, aus dem

dieses Beispiel stammt (Bd. 1, Lektion 8), ist in der Neubear-beitung der Neuwagenkauf durch eine Reparatur ersetzt, beider auch nach den Kosten gefragt wird.

Vgl. allgemein Ammer 1988.2) Die Anregung zu dieser Übung verdanke ich einer Arbeitsgruppe

am Goethe-Institut Stockholm. Der Text A stammt aus dem GIStockholm, der Text B aus einem von mir im Oktober 1991durchgeführten Seminar am Goethe-Institut Salvador daBahia/Brasilien.

Literaturhinweise:Ammer, Reinhard: Das Deutschlandbild in den Lehrwerken für

Deutsch als Fremdsprache. iudicium, München 1988.Ehlers, Swantje: Sehen lernen. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdspra-

che 14 (1988), S. 171 – 197.Groenewold, Peter: Simulationen für interkulturelles Lernen. In:

Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 14 (1988), S. 259 – 281.Müller, Bernd-Dietrich: Bedeutungserwerb. Ein Lernprozeß in Etap-

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Thiesse, Anne-Marie: Erlebnis Deutschland. In: Alexander von Hum-boldt Stiftung, Mitteilungen Nr. 58, 1991, S. 63 – 69.

Trautmann, Günter (Hg): Die häßlichen Deutschen? Wissenschaftli-che Buchgesellschaft, Darmstadt 1991.

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Freiherr von Knigge (1752–1796) ist heutenur noch durch sein Buch „Über den

Umgang mit Menschen“ bekannt. FindigeKöpfe haben daraus die Gattung der„Benimm-Bücher“ entwickelt, in denenbeschrieben wird, wie man sich etwa beieinem offiziellen Essen oder Empfang zubenehmen hat. Inzwischen gibt es auch

„Knigges“ für Reisende, die beschreiben,wie man sich im Ausland benehmen muß,

um nicht unangenehm aufzufallen. Der„Indonesien-Knigge“* hat uns auf die Idee

gebracht, doch auch für Indonesier, die nachDeutschland reisen, einen solchen „Knigge“zu schreiben. Im Rahmen eines Seminars

haben sich 1989 indonesische Deutsch-Dozenten an die Arbeit gemacht.Denkbar ist aber auch, daß eine Klasse

einen solchen Deutschland-Knigge für das eige-ne Land schreibt, z. B. nach einer Klassenreise,oder wenn ein Austauschschüler zurückkehrtund Auskunft geben kann. Die „Alltagskultur“der Deutschen läßt sich so, aus der spezifi-schen Sicht eines bestimmten Landes, mit Hilfeeigener Erfahrungen, Befragungen, eventuellauch nach der Korrespondenz mit einer deut-schen Partnerklasse, beschreiben – und sicherlesen andere Schüler solche Texte lieber alsmanchen sterilen Lehrbuchtext.

Die folgenden Hinweise spiegeln die Erfah-rungen indonesischer Deutschlandbesucher,

d. h. sie beschreiben, was ihnen in Deutschlandaufgefallen ist. Die Liste ist nicht vollständig,sie soll nur Anregungen geben. Manches ist fürden, der noch nie in Deutschland war, sicherunverständlich – aber hier kann sich ein Ge-spräch mit dem Lehrer oder Informanten odereine Nachfrage bei einem Deutschen ergeben.

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Deutschlandknigge für Indonesier

Anregungen für die landeskundliche Projektarbeit

Von Anthony Barbo (Bandung), Irene Risakotta (Surabaya), SitiSuasa Simaremare (Medan) und Ot Kakerissa (Ambon)

in Zusammenarbeit mit Hans-Jürgen Krumm

„Typisch deutsch”- gibt’s das überhaupt? Auf jeden Fall muß maneine Menge über den deutschen Alltag (von den Tischsitten bis

zur Intimhygiene) wissen, wenn man als Besucher aus fernen Län-dern nach Mitteleuropa kommt.

Tischsitten undMahlzeiten

Gibt es ein Essen mit mehreren Gängen(dann liegt meist mehr Besteck auf demTisch), werden die Gänge nicht gleichzeitiggenommen und angefangen – also nichtschon bei der Vorspeise sattessen. Übrigensdarf man ruhig ablehnen, wenn die Gast-geber ständig weiter Essen und Trinkenanbieten.

Beim Essen darf/ soll man reden.Die Hände gehören auf den Tisch, doch

sollte man nicht die Arme auflehnen.Beim Essen keine Haustiere streicheln

oder füttern.Es gehört sich nicht zu schmatzen oder

zu schlürfen oder Reisberge auf dem Telleranzuhäufen.

Fleisch ist recht billig. Die meisten Wür-ste, Aufschnitt und Fleischgerichte in Imbiß-stuben sind aus Schweinefleisch gemacht.Vorsichtshalber in einem türkischen LadenHammel- und Lammfleisch kaufen; nur Zie-genfleisch gibt es kaum.

Zitronen- und Apfelsinenschalen darfman nicht zur Essenszubereitung verwen-den, weil sie meist mit Chemikalien behan-delt sind.

WichtigeFamilienereignisse

Geburtstag: Es ist üblich zu gratulieren.Guten Bekannten überreicht man auch einGeschenk (in jedem Fall, wenn man zurGeburtstagsfeier eingeladen wird).

Hochzeit: Man gratuliert dem Brautpaar.Ein Hochzeitsgeschenk ist üblich. Zur Feierwird man eingeladen. Man kann sich beimBrautpaar erkundigen, was für ein Geschenkgewünscht wird.

Geburt: Vor einem Besuch einen Terminvereinbaren und den Besuch kurz halten.Bei guten Bekannten kann man Kinderklei-dung oder Babyspielzeug mitbringen.

Todesfall: Man sollte sein Beileid aus-drücken; meistens macht man das bei derTrauerfeier unmittelbar am Grab. Zur Trau-erfeier wird man nicht extra eingeladen. Esist üblich, dunkle Kleidung zu tragen.

Indonesischer Garuda

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Besuch

Es ist in Deutschland üblich, daß man zujemandem nach Hause eingeladen wird.Wird man zum Essen eingeladen, kann mander Gastgeberin einen Blumenstrauß (aberkeine roten Rosen) mitbringen.

Wenn sich Deutsche vorstellen, so sagtder Familienname nichts über ihre Herkunft(Stamm, Insel, Religion) aus.

Bei einem Antritts- oder Abschiedsbe-such in einer Schule, Universität oder Firmasollte man keine Geschenke mitbringen,stattdessen ist es sehr freundlich, wennman Kollegen, den Rektor oder Professor zueiner kleinen Abschiedsfeier einlädt.

Bei einem Besuch im Krankenhaus dage-gen kann man Blumen, Früchte oder etwaszu lesen mitbringen.

Unangemeldeter Besuch zu Hause istnur bei sehr guten Freunden üblich.

Und wie lange darf man bleiben ? Wennman zum Nachmittagskaffee eingeladenwird, sollte man sich rechtzeitig vor demAbendessen verabschieden. Nach demEssen sollte man nicht sofort gehen, son-dern noch zu einem Gespräch bleiben.

Gespräche

Das Wetter ist in Deutschland für das Wohl-befinden wichtiger als in Indonesien, wohlweil es so wechselhaft ist. Deshalb ist dasWetter nicht nur ein unverbindliches Ge-sprächsthema, sondern paßt fast überall.

Über das eigene Wohlbefinden und dasder Familie wird beim ersten Kontakt nursehr allgemein gesprochen. Probleme wer-den nicht direkt erzählt.

Politische Themen werden bei neuenBekanntschaften nur zurückhaltend ange-sprochen, sonst aber darf man auch ganzspontan reagieren und sollte spontaneReaktionen der Gesprächspartner („das istaber schlimm“, „da bin ich ganz andererMeinung“) nicht übelnehmen.

Verhalten in der Öffentlichkeit

An den Kassen von Supermärkten, im Kino, Theater oder der Postschimpfen die Leute, wenn man sich vordrängt; es ist besser zu war-ten, bis man an der Reihe ist.

Als gut erzogen gelten Männer, die in öffentlichen Verkehrsmittelnihren Sitzplatz einer Frau, alten Menschen oder Behinderten anbie-ten.

Fahrkarten muß man entweder vor der Fahrt auf dem Bahnsteigoder zu Beginn der Fahrt in Bus oder Straßenbahn in einem Automa-ten entwerten. Mehrfachfahrkarten, Gruppen- oder Wochenkartensind erheblich billiger als Einzelfahrkarten.

Es ist üblich, vor einer roten Fußgängerampel zu warten und dieStraße nach Möglichkeit auf dem Zebrastreifen zu überqueren.

Abfälle sollten in die Papierkörbe geworfen werden. Spucken aufdie Straße ist nicht erlaubt.

Wenn das Rauchen verboten ist, ist das Verbot ernst gemeint. BeiPrivatbesuchen ist es sinnvoll, vorher zu fragen, ob man rauchenkann.

Freunde und Bekannte darf man umarmen, auch auf der Straße.Zärtlichkeit auf der Straße ist nicht unmoralisch.

Alle Geschäfte schließen an Sonn- und Feiertagen sowie samstagsab 12-14 Uhr.

Wohnen zur UntermieteMan darf keine Aufnahme in die Familie oder persönliche Betreuungerwarten, diese kann sich zwar entwickeln, ist aber nicht die Regel.

Die Telefonnummer der Vermieter nur an gute Bekannte weiterge-ben. Zu oft sollte man sich nicht anrufen lassen.

Mittagsruhe ist zwischen 13 und 15 Uhr; ab 22 Uhr muß manRadio und Fernsehen leise stellen.

Türen stets schließen, nicht zuschlagen.Federbetten benutzt man zum Zudecken, nicht zum Drauflegen;

nachts wird es manchmal ziemlich kalt.

Preußischer Adler

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Fremdsprache Deutsch 6

L A N D E S K U N D E22

Krankheit und Arztbesuch

Vor dem Arztbesuch einen Termin vereinbaren (Telefon); bei Schmer-zen kann man direkt zum Arzt gehen. In dringenden Fällen gibt esauch einen Bereitschaftsdienst, wenn die Arztpraxis geschlossen ist.Wenn man die Nummer 112 (Feuerwehr) anruft, kommt ein Kranken-wagen.

Wenn man einen Arzt aufsucht, braucht man einen Kranken-schein, für den Besuch beim Facharzt eventuell eine Überweisungvom Hausarzt (fragen).

Wenn manInformationen oder

Hilfe brauchtDie Leute im Verkehrsverein sind oft unhöf-lich, nervös und nehmen sich wenig Zeit.Günstig ist es, junge Leute oder Rentneranzusprechen.

Wenn die Deutschen nicht sofort bei derKontaktaufnahme lächeln, heißt das nichtunbedingt, daß sie jetzt unfreundlich sind.

Als indonesische junge Frau sollte manmit dem Lächeln bei Männern sparsamersein als zuhause; Männer könnten das höf-lich gemeinte Lächeln leicht anders inter-pretieren.

„Sichtwechsel“-ÜbungDie hier zusammengestellten Hinweise sollenIndonesiern in Deutschland die Unsicherheitnehmen, sie sagen etwas über „typisch deut-sche“ Verhaltensweisen - aus der Sicht vonIndonesiern. Damit sagen sie aber zugleichauch etwas über die Verhältnisse in Indonesienselbst. Wenn Indonesiern als „ungewöhnlich“auffällt, daß die Deutschen sich zum Geburts-tag gratulieren, so darf man daraus schließen,daß dies in Indonesien nicht so üblich ist. Ausden Knigge-Hinweisen läßt sich also eineUmkehr-Übung machen, die viel Spaß macht,gleichzeitig den Lernenden aber auch deutlichmacht, daß diese „typisch deutschen“ Verhal-tensweisen nicht völlig verallgemeinert werdendürfen, ebensowenig, wie das Gegenteil immerund überall in Indonesien zutrifft:

Die Deutschen baden nicht jeden Tag.Die Indonesier baden jeden Tag. (?)

In Deutschland soll man nicht schmatzen undschlürfen.

In Indonesien darf man schmatzenund schlürfen. (?)

In Deutschland soll man nicht sofort nach demEssen gehen.

In Indonesien soll man sofort nachdem Essen gehen. (?)

Dadurch, daß der Umkehrschluß in dieserAllgemeinheit nicht stimmt, soll den Schülerin-nen und Schülern verdeutlicht werden, daßauch der Deutschland-Knigge manchmal sehrstark verallgemeinert. Da die indonesischenSchüler wissen, daß in Indonesien auch nichtalle Menschen jeden Tag duschen, fällt es ihnenvielleicht leichter einzusehen, daß auch inDeutschland manche Menschen täglichduschen, daß auch für die Deutschen dieRegeln so starr nicht sind, daß es Unterschiedezwischen Schülern, Studenten und älteren Men-schen, zwischen Stadt und Land, Nord und Südgibt. Auch der Deutschland-Knigge eignet sichalso für interkulturelles Lernen, so wie umge-kehrt der Indonesien-Knigge benutzt werdenkann, um zu sehen, welche Unterschiede dieDeutschen zu Indonesien sehen.

Anmerkung:*Draine, C. / Hall, B.: Kultur-Knigge Indonesien. Verlag Simon &

Magiera, Nördlingen 1988.

Körperpflege

Baden ist bei den Deutschen nur 1–2 mal inder Woche üblich, Duschen nur 1 mal amTag. Zu viel Baden und Duschen schadet derHaut.

Duschvorhänge in die Innenseite desBeckens ziehen, Haare aus dem Wasch-becken entfernen (in die Toilette werfen).

Auf das Klo sollte man nicht mit denFüßen steigen, sondern sich auf die Toilet-tenbrille setzen. Nicht zu viel Papier benut-zen (Gefahr der Verstopfung).

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Fremdsprache Deutsch 6

Wenn man von den Erforschungen in den letzten40 Jahren in bezug auf die Vermittlung der Lan-deskunde im Deutschunterricht einerseits und

den Ereignissen im deutschsprachigen Raum in den letz-ten zwei Jahren andererseits ausgeht, dann könnte manmeinen, daß auch „Landeskunde im Deutschunterricht“eine Wende braucht, besonders in den Ländern der soge-nannten „Dritten Welt“, eigentlich der „Zweidrittelwelt“.

In den fünfziger Jahren ging es den Deutschen ausden deutschsprachigen Ländern darum, sich selbstdraußen in der Welt als glaubwürdige Partner darzustel-len. Diese Art Selbstdarstellung war nicht frei von ideolo-gischem Hintergrund. Hinzu kam, daß es möglich war,den Ausländern in Form von Arbeitsplätzen und Stipen-dien das Zielsprachland zugänglich zu machen. DieseTendenz hielt auch in den sechziger Jahren an. Konse-quenterweise boten auch die Lehrbücher Texte mit lan-deskundlichem Inhalt an, darunter auch Dialoge, für diedie Situationen, mitdenen der Ausländer imdeutschsprachigen Raum„fertig werden“ sollte, alsBasis dienten. Die Weltdes Adressaten bliebdabei völlig außer Acht.Anders gesagt, währendder Ausländer, in unse-rem Fall der Inder, Inhalteaus dem deutschsprachi-gen Raum kennenlernteund schon zu Hause imRahmen einer zu erden-kenden und erdachtenWelt (das Schlagwort„erlebte Landeskunde“war noch in der Gebärmutter der Wissenschaftler, diejedes Jahr neue Begriffe zur Welt bringen!) dialogischeSituationen im Ausland überlebte, bot ihm der Deutsch-unterricht nicht viel für ein besseres Leben im eigenenLand. Das Überleben in der fremdsprachigen Umgebungin den wenigen Fällen, wo der Ausländer es doch schaff-te, in ein deutschsprachiges Land zu kommen, war mitbösen Überraschungen verbunden, denn der Ausländerkonnte in Deutschland zeigen, daß er von zu Hause ausschon viele landeskundliche Informationen mitgebrachthatte und sich mit den Deutschen über Deutschlandunterhalten konnte. Aber wenn es darum ging, über daseigene Land oder die eigene Kultur auf deutsch Auskünf-te zu geben, wurde er sehr verlegen, was jedoch seinetotale Integration in die deutsche Welt begünstigte undbeschleunigte. Wenn es dazu kam, daß der Ausländernach Möglichkeit Deutschland nicht verlassen wollte,wunderten sich die Deutschen „warum?“.

Sobald man diesen Widerspruch erkannte, hieß esdann, wir müßten kontrastive Landeskunde machen. AmAnfang dieser Phase sah das dann so aus, daß am Endeder „Fragen zum Text“, egal welches Thema der Text

zum Inhalt hatte, die obligatorische, wohlgemeint wißbe-gierige und neugierige Frage stand: Wie ist das in Dei-nem/Ihrem Land? Damit sollte der Schüler endlich dieMöglichkeit erhalten, über das eigene Land etwas zusagen. Aber dazu fehlte den Schülern immer noch Wort-schatz. Kein Wunder, daß die Schüler in den Prüfungensich dahingehend äußerten, daß sie zu Mittag Kuchenoder Wurst gegessen und Bier getrunken haben. DieSchüler haben phantastische Erzählungen geliefert überdas, was sie in ihrer eigenen Welt, in der eigenen Umge-bung machen: Der Inhalt war weiterhin deutsch, nur dieNamen waren einheimisch, also mehr Dichtung als Wahr-heit, die die deutschen Kollegen (wenn man „Experten“sagt, werden manche gleich böse) zu der irrigen Annah-me führte, die Welt werde klein und die Lebensweise uni-versal einheitlich europäisch.

In den siebziger Jahren kam mit der Ölkrise eine Wen-de. Die Deutschen merkten plötzlich, daß sie nur dann

ausschließlich unterLandsleuten sind, wennsie Urlaub machen, aberzu Hause doch von zu vie-len Ausländern belagertwerden. Arbeitsmöglich-keiten und sogar Studien-möglichkeiten für Auslän-der gingen schlagartigzurück. Der Ausländersollte daheim bleiben,aber trotzdem tüchtigDeutsch lernen. Nun ginges nicht mehr um dasÜberleben im Ausland,sondern um ein besseresLeben im eigenen Lande

mit Deutschkenntnissen als zusätzliche Qualifikation.Irgendwie haben die Ausländer die deutsche Vereini-

gung im Geiste vorangetrieben. So war es gang und gäbe,daß ein indischer Wissenschaftler, der sich um einDAAD-Stipendium bewarb, der Auswahlkommission klarmachte, daß er in Dresden studieren wollte. Dafür sagteein anderer, der sich für ein Stipendium aus der DDRinteressierte, er wolle unbedingt am Max-Planck-Institutseine Forschung machen. Soviel hatte die Landeskundeim Deutschunterricht schon bewirkt.

In den achtziger Jahren hat die Fachwelt in lautemTon über den adressatenorientierten Unterricht gespro-chen, ohne den Adressaten zu fragen, was er/sie will. Fürdie deutschen Kollegen ist es sehr schwer, in einem Landwie Indien mit den eigentlichen Adressaten in ein vonHemmungen nicht beeinträchtigtes Gespräch zu kom-men. Auch wenn solche Gespräche stattfinden, dann istder indische Gesprächspartner mit seinem deutschenGast so behutsam, daß der Deutsche mehr Dichtung alsWahrheit vorgesetzt bekommt. Oft ist es so, daß für vieleausländische Deutschlehrer selbst „erlebte Landeskun-de“ nur ein kurzer, sich nicht wiederholender Deutsch-

23

M E I N U N G E N

Landeskunde nach der Wende– Was will der

Kunde des Landes?Vorschläge eines indischen Deutschlehrers

Von Vridhagiri Ganeshan

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Fremdsprache Deutsch 6

landaufenthalt ist, daß sie sehr froh und dankbar sind,wenn die Lehrbücher „neueste“ landeskundliche Informa-tionen liefern, an denen sie sich so ergötzen, daß sie aufalles, was vom Ausland angeboten wird, nur positiv reagie-ren. Daher glauben die Lehrbuchautoren im deutschspra-chigen Raum dann, daß sie wirklich für einen Sichtwechselsorgen.

Nun ist die Wende in Deutschland vollzogen. Deutsch-land möchte europäisiert werden, aber doch den Auslän-derzustrom regeln. Das heißt, daß 98% der Ausländer auseinem Land wie Indien kaum Chancen haben werden, nachDeutschland zu kommen. Es wäre schon angebracht, wennDeutschland sich selbst fortan in den Ländern der DrittenWelt als ein keineswegs paradiesisches Land vorstellenwürde. Vielleicht sollten die landeskundlichen Materialien,die Deutschland liefern will, eher die Probleme der Deut-schen in den Vordergrund stellen als die Leistungen. Mansollte ruhig ein Deutschlandbild anbieten, aus dem hervor-geht, wie die Deutschen für ihren Wohlstand hart habenarbeiten müssen und wie sie heute trotz des Wohlstandesmit gewissen Lebensängsten zu tun haben, Ängste, die dieArmen in den Ländern der Dritten Welt gar nicht haben.Die zwischenmenschlichen Probleme in Deutschland soll-ten auch viel mehr bekannt gemacht werden als bisher.

Zum anderen sollte man dafür sorgen, daß der Auslän-der im Deutschunterricht Inhalte seiner eigenen Welt aufdeutsch vorgestellt bekommt, damit er langsam lernt, seinLand in der Zielsprache zu beschreiben, seine eigenenBelange und die seines Landes angemessen auf deutsch

auszudrücken, damit Begegnungen mit den Deutschen imeigenen Lande interkulturell sinnvoll werden.

Wir brauchen eine kontrastive Landeskunde, in der dasbetreffende Partnerland als Ausgangskultur und Deutsch-land als Zielkultur eine Rolle spielen. Dies würde heißen,wir müßten unsere Betrachtungsweise ändern. Zwei Bei-spiele:

1. Man sollte als Deutschlehrer mit den indischen Stu-denten das Straßenbild in Indien besprechen und sich fra-gen (lassen), warum dieses Straßenbild den deutschenBesucher in Indien nervös macht und warum diesesStraßenbild in Indien aus umgekehrten Gründen aucheinen Inder unruhig machen könnte!

2. Man sollte mit den indischen Studenten zunächstdas Phänomen „Freizeitbeschäftigung am Arbeitsplatz“(Jeder, der als Europäer in Indien gewesen ist, versteht,was ich meine!) besprechen und dann die Aufteilung inDeutschland: Arbeitszeit contra Freizeit.

In einem Zeitalter, wo wir alle als Vermittler zwischenzwei Kulturen, als Multiplikatoren agieren wollen und zwarwirkungsvoll, wäre es angebracht, daß wir über unserenFachwelthorizont hinausblicken und bereit sind, nur sol-che Themen in der Landeskunde stärker zu berücksichti-gen, die der Kunde des Landes, der Lerner, will und nichtnur die Themen, die das Land für die eigene Selbstdarstel-lung für wichtig hält.

Die Deutschen sollten den ausländischen Lerner in sei-ner Andersartigkeit erkennen statt ihn nur anzuerkennen.Dazu gehört auch, daß dieser Beitrag abgedruckt wird!

L A N D E S K U N D E24

Das Deutsche Institut für Fern-studien an der UniversitätTübingen (DIFF), die Gesamt-hochschule Kassel (GhK) unddas Goethe-Institut Münchengeben gemeinsam Fernstu-dienbriefe zur Deutschlehrer-aus- und -fortbildung heraus. Folgende Titel sind in Arbeitund werden 1992 bzw. 1993im Langenscheidt Verlag ver-öffentlicht. (Im folgenden wird kurz derInhalt der einzelnen Studien-briefe angedeutet.)

• Kees van Eunen/Henk Lettink:Landeskunde im Anfangsunterricht– Was ist Landeskunde?– Lehrwerkanalysen unter dem Aspekt der

Landeskunde– Tips und Ideen zur Unterrichtspraxis

• Rainer Wicke:Kontakte knüpfen– Interkulturelles Lernen in Kontakten mit der

Zielkultur in und aus der Ferne (Brieffreund-schaften, Audioletter, Videobriefe, Rund-funk, Recherchen im eigenen Land usw.)

• Bernd–Dietrich Müller–Jacquier:Wortschatz und Bedeutungsvermittlung– Sprachvermittlung und Landeskundever-

mittlung– Kulturspezifische Wortschatzvermittlung

(Wortrecherchen, Bedeutungserklärungen,Verstehenskontrollen, Lernerorientiertheitusw.), didaktische Konsequenzen, Unter-richtsbeispiele

• Hans Sölch:Landeskunde mit der Zeitung– sich schnell in einer Zeitung orientieren– landeskundlich interessante Informationen

entschlüsseln– sinnvoll Artikel aus der Zeitung für den

Unterricht auswählen– Zeitungsartikel didaktisieren– die Arbeit mit der Zeitung in den Unterricht

integrieren

• Dominique Macaire:Bilder in der Landeskunde– Arbeit mit landeskundlichen Bildern im

Anfänger– und Fortgeschrittenenunterricht

– Auswahlkriterien und Einsatzmöglichkeitenvon Bildern

– Unterrichtsmodelle für die Grund– und Mit-telstufe

• Monika Bischof/Viola Kessling/Rüdiger Kre-chel:Landeskunde und Literaturdidaktik – Literarische Texte im Sprachunterricht und

im Landeskundekontext– integrierte Landeskunde– Unterrichtsvorschläge am Beispiel von

literarischen Landeskundetexten

• Heinz-Helmut Lüger:Routinen und Rituale in der Alltagskommu-nikation– Interpretation sprachlicher Handlungen

und kulturabhängiger Verhaltensnormen

• Iris Bork-Goldfield/FrankKrampikowski/Gunther Weimann: Geschichte im Deutschunterricht– Deutschland und die Deutschen aus der

Außenperspektive– Vergangenheit in der Gegenwart– Geschichte im Deutschunterricht als Teil

der Landeskunde (Auswahl und Vermitt-lung)

– Unterrichtsbeispiele

F e r n s t u d i e n b r i e f e z u r L a n d e s k u n d e

Page 24: Fremdsprache Deutsch Landeskunde Heft 6/1991

Fremdsprache Deutsch 6

Landeskunde als„Leutekunde“

In der Landeskunde geht es, einfachgesagt, darum, Land und Leute besserkennenzulernen – vor allem auch dieLeute. Das braucht Zeit und bleibtdoch immer widersprüchlich undbruchstückhaft. Die Schülerinnen undSchüler begegnen Menschen ausdeutschsprachigen Ländern seltenerin der Realität, dafür um so häufiger inUnterrichtsmaterialien, in Texten man-nigfaltigster Art, in Fernsehsendungen,Filmen etc. Im Laufe der Zeit legen siesich Verallgemeinerungen zurecht, z.B.über die Verhaltensweisen und Einstel-lungen dieser Menschen. Der Annähe-rungsprozeß, das weiß jeder aus Erfah-rung, kommt jedoch niemals zumAbschluß. Die aus den unterschied-lichsten Quellen gespeisten Vorstellun-gen werden bestätigt oder widerlegt,Bilder und Ansichten wandeln sich,

werden angereichert, revidiert oderauch gelöscht.

Damit sind die an die Landeskundeals „Leutekunde“ geknüpften Erwar-tungen umschrieben (vgl. FREMDSPRA-CHE DEUTSCH, Heft 3, 1990: 60-61). Daßdiese Erwartungen sich im Deutschun-terricht nicht immer erfüllen, istbekannt. Dafür gibt es einen wesentli-chen Grund: Bei ihrem Bemühen, mitden fremden Denkweisen und Gewohn-heiten zurechtzukommen, werden dieSchüler unvermeidlich von Anschau-ungen geleitet, die ihnen aus ihrer eige-nen Lebenswelt geläufig sind. Aberauch das schon vorhandene landes-kundliche Wissen kommt ins Spiel.

Das geschieht natürlich auch, wennsie literarische Texte, etwa unsere dreiGedichte, vor sich haben. Sie lesen sieals Angehörige einer anderen Kultur,

betrachten die darin vorkommendenFiguren und Situationen von ‘außen’.Um sie zu verstehen, rufen sie unwill-kürlich vertraute Auffassungen undBegriffe ab. Das kann zu Mißverständ-nissen führen. Was im Wortlaut nichtzu den mitgebrachten Vorstellungenpaßt, wird leicht übersehen oderzurechtgebogen.

Vielleicht ist es nötig, die Schülerfür literarische Texte überhaupt erstempfänglich zu machen. „Um auf einenText reagieren zu können, müssenmich seine Signale erreichen“, wieSwantje Ehlers einleuchtend feststellt(Ehlers 1988, 175). Gedichte teilenihren landeskundlichen Gehalt nichtohne weiteres mit. Sie brauchen Leserals aktive Mitspieler. Für die Schülerkann die ihnen zugedachte Rolle unge-wohnt sein. Sie müßten lernen, mitGedichten umzugehen, wären also z.B.anzuleiten, Angedeutetes auszufüllenund Ungesagtes von sich aus beizu-steuern.

Wir beschränken uns bei unserenBeispielen auf drei thematisch ver-knüpfte Gedichte1. Sie sind, mit IvarSagmo zu sprechen, ausgewählt als„Teile eines Gesprächs, das eineSprachgemeinschaft über Themen undFragen führt, die ihr die jeweiligeGegenwart aufgegeben hat“ (Sagmo1987, 285). Ihnen liegt jedesmal dasSpannungsverhältnis zwischen persön-lichen und gesellschaftlichen Belan-gen, privaten Wünschen und kollekti-ven Ansprüchen zugrunde. Wir stoßenauf Lösungsversuche, die man auchnicht nur dort kennt, woher die Textestammen: in der (alten) Bundesrepu-blik (Rainer Malkowski), der ehemali-gen DDR (Sarah Kirsch) und derSchweiz (Kurt Marti). Die in denGedichten auftretenden Figuren entzie-hen sich dem angedeuteten Konfliktdurch die Flucht. Dieser (tatsächlichoder nur in Gedanken) gewählte Aus-weg wird hier verkürzt als Eskapismusbezeichnet. Landeskundlich interes-sant sind sowohl die Erscheinungsfor-men des Fluchtverhaltens als auch sei-ne poetischen Spiegelungen. Diese Ein-sichten sind aber, wie gesagt, denGedichten nicht einfach zu entnehmen,sondern sie bilden sich im Umgang mitihnen erst heraus. Das macht sie um soeinprägsamer.

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Erkundungsgängedurch drei Gedichte

Landeskunde mit Literatur

Von Hans Weber

Gewöhnlich greift man im Deutschunterricht nicht zu Beispielenaus der Literatur, wenn es darum geht, landeskundliche

Kenntnisse und Vorstellungen zu vermitteln. Man nimmt Texteund Materialien, die das, was die Schülerinnen und Schüler über

die deutsche (schweizerische, österreichische) Wirklichkeiterfahren sollen, unmittelbarer zeigen.

Mit meinem Beitrag möchte ich Lehrerinnen und Lehrer dazuanregen, hin und wieder auch mit literarischen Texten auf

landeskundliche „Spurensuche“ zu gehen. Um das zuveranschaulichen, habe ich drei zeitgenössische Gedichte

ausgewählt. Ich möchte beschreiben, wie sich im behutsamfragenden Umgang mit den Gedichten die landeskundlichen

Einsichten allmählich herausbilden.

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Fremdsprache Deutsch 6

Flucht in die „Laube“(Rainer Malkowski: In der Lauben-kolonie)Eine Momentaufnahme aus dem(west)deutschen Alltag: Ein Mann istvor seinem Gartenhäuschen einge-schlafen und sitzt oder liegt nun da,das Gesicht mit einer Zeitung bedeckt.Wahrscheinlich ist er gerade mit demAnstreichen der „Laube“ fertig gewor-den. Er findet dort „Frieden“. In Klam-mern wird noch erwähnt, die Laube sei„hoffnungsvoll grün“ gestrichen.

Eine zufällig beobachtete Szene –was soll daran bemerkenswert sein?Die Schlußzeilen bringen einen darauf,daß dieser „Frieden“ nicht von Dauersein kann. Die Bedingung („wenn mandie Augen schließt“) ist nur vorüberge-hend zu erfüllen. Es wird auch klar, daß„Zeitung“ im Text nicht gegen einenanderen Sonnenschutz ausgetauschtwerden dürfte. Nur so begreift mannämlich, wovor sich der „Schläfer“flüchtet – doch wohl vor dem, was dieZeitungen täglich melden. Er will seine

Ruhe haben, von Krisen, Kriegen, Kata-strophen will er nichts wissen.Zugleich erkennt man, wie trügerischdie Flucht ist. Außerhalb der Idylleherrschen die friedlosen Zuständeunvermindert weiter.

Worauf will der Text hinaus? Ist ervorwurfsvoll gemeint? Weil ein solchesVerhalten die Wirklichkeit nicht ändertund obendrein illusionär ist? Oder sindeher Verständnis und Bedauern her-auszuhören? Weil die Verhältnisse nurerträglich sind, indem man sich,zumindest zeitweise, auf eine Insel wiediese „Laubenkolonie“ rettet?

Fragen über Fragen. Sie werdenteils vom Wortlaut angestoßen, teilsvon dem, was man als Zeitgenosseweiß – über den Lauf der Welt, überLebensgewohnheiten von Deutschen.Die entscheidende Frage ist natürlich,was das Gedicht für die „Leutekunde“im Deutschunterricht leisten kann. Diein wenigen Strichen eingefangeneSituation muß vor das geistige Augeder Schüler kommen.

Wie gehen sie an das Gedicht her-an? Doch wohl so, daß sie sichzunächst an der Textoberfläche ent-lang bewegen, in der zwei oder dreilexikalische Stolpersteine stecken2.Dabei werden Vorstellungen einesbestimmten deutschen Milieus hervor-gerufen (,Schrebergärten‘). Man kanndiese Freizeitkulisse durch Bilder ver-gegenwärtigen: Lauben, kleine Rasen-stücke, Blumen, trennende Hecken/Zäune nicht zu vergessen. Wenn keineFotos zur Hand sind, kann man denSchülern eine mündliche Beschrei-bung geben – vielleicht können sie dar-aufhin die Szene zeichnen oder auch

spielen (zur Andeutung der soebenbeendeten Tätigkeit des Mannesgenügt ein Pinsel).

Wichtig wäre jedoch, daß sie sichdazu (fremd-)sprachlich äußern. Mankann den festgehaltenen Augenblickauch sogleich verbal, also ohne bildli-che/szenische Wiedergaben, schildernlassen. Verben sind hinzuzufügen (imText steht nur „schließt“). Etwa: ‘EinMann liegt/sitzt vor seiner Laube und

schläft. Er hat sie gerade grün/frischgestrichen. Auf seinem Gesicht liegteine Zeitung. Vielleicht ist er beimLesen eingeschlafen, und sie ist ihmauf das Gesicht gefallen. Oder er hatsie auf das Gesicht gelegt, um sich vorder Sonne zu schützen.’

Damit wäre ein Anfang gemacht.Das Deutschlandwissen der Schülerwird erweitert – um die Kenntnis sol-cher (hauptsächlich in städtischerUmgebung zu findenden) Kleingarten-Anlagen. Offen bleibt, wieweit sie mit-erfassen, was die „Laubenkolonien“ alsZufluchtsorte für die Menschen bedeu-ten. Man kann den Weg über die bishernoch nicht näher betrachtete zweiteZeile nehmen. Die Schüler können sieumschreiben, vielleicht so: „Übrigenswar die Laube grün gestrichen. Grünist in Deutschland die Farbe der Hoff-nung. Der Mann hoffte/war zuversicht-lich, dort ,Frieden‘ zu finden“. Es läßtsich ausmalen, was er nach der Ruhe-pause auf seiner Lauben-Insel tut: Blu-men gießen/ den Rasen schneiden/Unkraut entfernen, genießen, wie esdort blüht/ duftet/ wächst, ein Biertrinken etc. Die zuvor benutzten Fotos/Zeichnungen können der Phantasie aufdie Sprünge helfen.

Unnötig zu sagen, daß der landes-kundliche Gehalt damit nicht erschöpftist. Schon daß ein bundesrepublikani-scher Autor die Szene überhaupt fest-hält, ist bemerkenswert. Für RainerMalkowski kommt dort offensichtlichetwas Bezeichnendes zum Vorschein:der Rückzug ins Private. Das Gedichtentpuppt sich als Beitrag zu demerwähnten zeitgeschichtlichen „Ge-spräch“, auch wenn nicht klar ist, obdie Verhaltensweise des „Schläfers“nun kritisiert oder eher nachdenklich-mitfühlend betrachtet wird.

Bevor die Schüler auch dazu ihreAnsicht äußern, müssen sie diese zen-trale Bedeutungsebene erreicht haben.Ein Zugang läßt sich gewinnen, indemsie die Zeilen 4 und 5 innerhalb desSituationsrahmens umformulieren:Sonnenschutz bieten z. B. auch eineheruntergezogene Mütze oder ein aus-gebreitetes Handtuch. Nur geht damitein unentbehrliches Signal verloren –es muß tatsächlich die „Zeitung“ sein,vor der der Mann „die Augen schließt“.Vom Doppelsinn dieser sprachlichenWendung aus öffnet der Text sich wei-

L A N D E S K U N D E26

Rainer MalkowskiIN DER LAUBENKOLONIE

Vor seiner frischgestrichenen Laube(hoffnungsvoll grün)der Schläfer:die entfaltete Zeitungauf dem Gesicht.

FriedenFrieden,wenn man die Augen schließt.

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Fremdsprache Deutsch 6

ter: der Mann hat zweifellos die Augenzu, solange er schläft, aber er ver-schließt sie auch im übertragenen Sinn– vor dem, was in der Zeitung steht:vor Krieg und Gefahren, Elend undGewalt. Das macht die Szene erst zumSinnbild. Der „Schläfer“ flüchtet vorder Wirklichkeit. Diese Haltung ist weit-verbreitet. Sie tritt einem aber dort aufbesonders einprägsame Weise entge-gen.

Bleibt das gleichfalls doppelsinnigeWort „Frieden“. Sicherlich findet derMann in der „Laubenkolonie“ Ruhe/Erholung/ Geborgenheit. Daß er den-noch einer Täuschung erliegt, wirddurch den „wenn“- Satz angezeigt. Wer„die Augen schließt“ vor dem, was inder Welt geschieht, gewinnt damit kei-nen „Frieden“.

Die Schüler müssen sich nun fra-gen: Gibt es solche Fluchtwünsche alsReaktion auf den Druck der Verhältnis-se bei ihnen auch? Wie werden siebefriedigt? Oder ist ihnen das eskapi-stische Verhalten fremd? Es käme dar-auf an, sich in die eigentümlich deut-sche Spielart hineinzudenken, dieihnen in der „Laubenkolonie“ begeg-net. Je deutlicher sie das Gemeinteerfassen, desto spürbarer werden auchGefühle und Urteile einfließen. Wieberührt es sie, daß jemand seine Lau-be „hoffnungsvoll grün“ streicht,während es ringsum so unfriedlichzugeht wie eh und je? Sind sie innerlichempört, weil sie vielleicht hautnaherleben, was dieser deutsche „Schlä-fer“ anscheinend nicht einmal als Zei-tungsnachricht erträglich findet? Oderkommt ihnen die Einstellung verständ-lich vor? Weil der Mann ja nicht ohneGrund dorthin flüchtet und das (Wo-chenend-)Glück vermutlich ‘verdient’hat (auch das übrigens ein doppeldeu-tiges Wort: er kann es sich leisten undes steht ihm zu)?

Die Schüler können Namen undAnschrift erfinden und dem Mann Brie-fe schreiben. Darin teilen sie ihm mit,was ihnen angesichts des Schnapp-schusses aus seiner „Laubenkolonie“durch den Kopf geht. Vielleicht weisensie ihn auf Tatsachen hin, vor denen ersich abzuschirmen sucht, fragen, war-um die „Laube“ für ihn so wichtig ist,gehen darauf (im Rollentausch, alsoaus der Sicht des deutschen Briefpart-ners) in Antwortbriefen selber ein.

So kann der auf den ersten Blickunscheinbare Text wohl einen Beitragzur „Leutekunde“ leisten. Mentalitäts-züge werden erkennbar: kein betrieb-samer Deutscher tritt auf, auch wenndie Leute in einer „Laubenkolonie“gewiß nicht untätig sind. Da ist die mitfrischer Farbe versehene „Laube“. Daist die künstlich geschaffene und sorg-fältig gehegte „Natur“. Da ist aber vorallem diese Fluchtreaktion.

Das Gedicht wird zu einem auf-schlußreichen landeskundlichen Doku-ment, obwohl es in seinen wenigen Zei-len eigentlich nur Stichwörter liefert.Erstaunlicherweise veranlaßt es dieSchüler, um mit Dietrich Krusche zusprechen, „weitere Lese-Wege zugehen“ (Krusche 1985, 139) und dieEinsichten, die es anzubieten hat, sel-ber herzustellen. Aber gerade dieserUmgang mit dem Text kann bewirken,daß die Bilder sich um so tiefer einprä-gen.

Zwiespältiges Glück

(Sarah Kirsch: Im Sommer; Gedicht sie-he nächste Seite)Die Verse lesen sich wie Tagebuchnoti-zen von einem Aufenthalt auf demLande. Signale, daß wir uns in der ehe-maligen DDR befinden, werden amdeutlichsten am Anfang übermittelt.Hinzuweisen wäre noch auf das Jahrder Veröffentlichung (1976) und dendamaligen Wohnsitz der Autorin (Ost-Berlin).

Eine allgemeine Bemerkung vor-weg: Deutschunterricht findet nicht imgeschichtsfreien Raum statt. Sicherlichgibt es Unterschiede des Informations-standes (auch unter Deutschen), aberdie Bilderfluten und Nachrichtenschü-be der letzten Jahre (Fall der BerlinerMauer/ Wiederherstellung der staatli-chen Einheit) sind mit einiger Wahr-scheinlichkeit weltweit zur Kenntnisgenommen worden. Wir unterstellenjedenfalls, daß auch die Schülerinnenund Schüler solche Kenntnisse mit-bringen und daß sie darauf zurückgrei-fen, wenn es darum geht, mit demGedicht von Sarah Kirsch zurechtzu-kommen.

Damit der Lesevorgang in Bewe-gung bleibt, sind Wort- und Sacher-klärungen wieder unerläßlich3. Daßman aber einen Text nicht schon ver-steht, wenn der Wortlaut lückenloserfaßt ist, liegt auf der Hand. Der Sinndes Gedichts bildet sich, wie bei unse-rem ersten Beispiel, im Umgang her-aus.

Das spielt sich in jeder Lerngruppeanders ab. Wo hakt (wenn die lexikali-schen Hindernisse weggeräumt sind)die Aufmerksamkeit der Schüler ein?Falls sie Malkowskis „Laubenkolonie“vorher gelesen haben, sticht ihnen viel-leicht der Beginn der dritten Stropheins Auge („Wenn man hier keine Zei-tung hält/ ist die Welt in Ordnung“). DieZeilen erinnern an den „Schläfer“, der„Frieden“ sieht, indem er vor der Wirk-lichkeit „die Augen schließt“. Der Ein-druck, die „Welt“ sei in einem angeneh-men Zustand, hat auch hier zur Voraus-setzung, daß man den Blick in dieZeitung vermeidet. Diese Bedingung istjedoch, wie die Schüler wissen, kaumzu erfüllen.

Man kann, von diesen beiden Ver-sen ausgehend, die „Welt“ genauerbetrachten, wie sie von Sarah Kirschdargestellt ist. Das läuft auf eine Art‘Erkundungsgang’ durch das Gedichthinaus. Wir entwerfen im folgendeneinen solchen Erkundungsgang. Selbst-verständlich sind auch andere Einstie-ge und Abläufe möglich. Und – welche„Lese-Wege“ man hier auch einschlägt– sie werden bei diesem Text längersein.

Unsere Leitfrage lautet wieder, wasdie Schüler, sozusagen im Text unter-wegs, über Land und Leute erfahrenkönnen.

Auch dies noch vorweg: Sie können„Im Sommer“ natürlich auch als auto-biographisches Dokument auffassen,als Niederschlag von Erfahrungen deretwa 40jährigen Sarah Kirsch beieinem Besuch in ländlicher Umgebung(Brandenburg?/Mecklenburg?).

Unser Erkundungsgang wird uns zuweiteren Fragen führen.

Einleitend wird festgestellt, dasLand sei „dünnbesiedelt“. Das besagtnoch nicht viel. In Zeile 2 ist von „riesi-ge(n) Felder(n) und Maschinen“ dieRede: das ist als Verweis auf die soziali-stische Bodenreform kaum zu verfeh-

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Fremdsprache Deutsch 6

len. Mit der Präposition „trotz“ wirdjedoch auch ein Gegensatz hervorge-hoben: hier die kollektivierte Landwirt-schaft, dort die „Dörfer schläfrig inBuchsbaumgärten“. Die Schüler kön-nen den Zusammenhang auch andersausdrücken: „Obwohl/Obgleich die Fel-der und Maschinen riesig sind, liegen(...)“. Damit werden Überlegungenangestoßen: Ist die Besucherin derMeinung, dort sollte es weniger idyl-lisch zugehen? Kommt ihr die Abge-schiedenheit rückständig vor? Woraufwill sie hinaus? Vermißt sie spielendeKinder/junge Leute, die „die Katzen“mit einem „Steinwurf“ vertreiben wür-den? So aufgefaßt, hat die erste Stro-phe einen enttäuschten, wenn nichtvorwurfsvollen Ton (‘Eigentlich solltedie Gegend anders/nicht wie ausge-storben aussehen’).

Der Erkundungsgang führt weiterzur zweiten Strophe. Angenommen,das Bild des „durch unvergiftete Wie-sen“ schreitenden Storches (Zeilen 8-9)bleibt besonders deutlich haften. (Beipraktischen Versuchen ist das öfter sogewesen – vielleicht, weil ökologischeSorgen weltweit verbreitet sind). Es istjedenfalls erstaunlich, daß die Betrach-terin die Wiesen gerade als „unvergif-tet“ kennzeichnet (und nicht etwa als„üppig blühend“/„windgewellt“). DieSchüler können Zeile 9 probeweise so

(oder anders) abwandeln. Auch vonder „Graugans“ heißt es, sie fliege„noch“ – also zwar weiterhin, aber viel-leicht nicht mehr lange?

Hier spricht offenbar jemand, derspürt, was heraufzieht / was sichankündigt: Eines Tages werden auchSeen und Teiche vergiftet sein. Fotos(der brandenburgischen / mecklenbur-gischen Landschaft und der beidenVogelarten) sollten die Vorstellungs-kraft der Schüler unterstützen. Wieempfinden sie das Bild der „Wolken“,die „wie Berge (...) über die Wälder flie-gen“? Vielleicht gelingen ihnen, je nachTalent, Zeichnungen der in der erstenund zweiten Strophe eingefangenenländlichen „Welt“. Können sie be-schreiben, wie ihnen die Stimmungdieses Sommertages vorkommt?

Wir schlagen vor, die Aufmerksam-keit nun dem Anfang der Strophe zuzu-wenden. Die Schüler müßten bemer-ken, daß in den Zeilen 6 und 7 Erschei-nungen aufgeführt sind, auf dieMenschen entweder keinen Einflußhaben (Sternschnuppen) oder die dieUmwälzung nach 1945 überdauerthaben (der Brauch, den Beginn derJagd mit Hornsignalen anzuzeigen).Soweit diese Tradition unbekannt ist,wäre sie als landeskundliche Tatsache

hier aufzunehmen. Auch die Gewohn-heit, sich beim Anblick von Stern-schnuppen etwas zu wünschen und andie Erfüllung zu glauben, muß wahr-scheinlich erwähnt werden.

Natürlich kann man danach zurdritten Strophe weitergehen. Man kannaber auch die Schüler nochmals zurersten Strophe zurückführen, und zwarin der Erwartung, daß ihnen diese Zei-len inzwischen in einem anderen Lichterscheinen. Das wäre eine wichtigeLeseerfahrung. Es hat sich nämlichgezeigt, daß die Besucherin in derzweiten Strophe keineswegs Eindrückefesthält, die auf ein sozialistischesLand schließen lassen. Vielmehrspricht sie von dem, was in Natur undGesellschaft unverändert geblieben ist:von kosmischen Vorgängen („ImAugust fallen Sterne“), geschichtlichgewachsenen Bräuchen („Im Septem-ber bläst man die Jagd an“), von Tierenin ihrer („noch“) unzerstörten Umge-bung. Erscheinen nun die „Buchs-baumgärten“ nicht eher anheimelnd?Genießt die Betrachterin nicht die Stil-le? Die Annahme, das Gedicht seigegen die Menschen in den abseits lie-genden Dörfern gerichtet, erweist sichals voreilig. Nicht mehr kritischesErstaunen kommt dort zum Ausdruck,sondern ein Gefühl der Geborgenheitund des Wohlbefindens.

Darüber darf allerdings nicht in Ver-gessenheit geraten, daß in beiden Stro-phen auch an historische Sachverhalteerinnert wird: an den politisch-ökono-mischen Umbruch (Kollektivierung)wie an ökologische Bedrohungen. Aufdiese Spannung stoßen die Schülerdann unübersehbar in der dritten Stro-phe. Einerseits heißt es, „die Welt“ seidort „in Ordnung“. Die „Pflaumenmus-kessel“ stehen wieder für Praktikenaus alten Tagen. Die Früchte werden inherkömmlicher Weise (in Töpfen überdem Holzfeuer) zu Mus verkocht.Andererseits bleiben aber auch dieZeitumstände gegenwärtig. Die Mei-nung, alles sei aufs beste geordnet,kann nur entstehen, sofern man „hierkeine Zeitung hält“, solange man alsoaus dem Bewußtsein ausblendet, wasin der „Welt“ geschieht, genauer: waseine linientreue Presse, etwa ein Par-teiblatt wie „Das Neue Deutschland“,darüber schreibt.

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Sarah KirschIM SOMMER

Dünnbesiedelt das Land.Trotz riesiger Felder und MaschinenLiegen die Dörfer schläfrigIn Buchsbaumgärten: die Katzen

5 Trifft selten ein Steinwurf.

Im August fallen Sterne.Im September bläst man die Jagd an.Noch fliegt die Graugans, spaziert der StorchDurch unvergiftete Wiesen. Ach, die Wolken

10 Wie Berge fliegen sie über die Wälder.

Wenn man hier keine Zeitung hältIst die Welt in Ordnung.In PflaumenmuskesselnSpiegelt sich schön das eigne Gesicht undFeuerrot leuchten die Felder.

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Der Zwiespalt tritt nun sogarbesonders scharf hervor. Bei genauemHinsehen erscheinen nämlich die„Pflaumenmuskessel“ in einem zwei-deutigen Licht. In ihnen „spiegelt sich“,wie man liest, „schön das eigneGesicht“. Wer solche selbstbezogenenEmpfindungen auskostet, verdrängtdie aktuellen Verhältnisse, deren „Spie-gel“ die Zeitung ist. Der in den Zeilen 13und 14 mitschwingende Tadel wirdeinem besonders bewußt, wenn mandie (regional verbreitete) Redensart„aus dem Mustopf kommen“ kennt: Siebesagt, daß jemand einfältig und vonaktuellen Ereignissen unberührt imLeben steht.

Einmal nachdenklich geworden,sollte man den Lese-Weg auch erneutzu den „Buchsbaumgärten“ einschla-gen (Zeile 4). Der Buchsbaum wirdplötzlich zum vielsagenden Symbol: erblüht nicht, nimmt nicht teil am Wech-sel der Jahreszeiten, wirkt steril, wirdhäufig auch als Dekoration bei bürger-lichen Begräbnissen verwendet. Vorallem sind diejenigen, die sich hinterdie Hecken in die „schläfrigen“ Dörferzurückziehen, von den gesellschaftli-chen Entwicklungen abgeschnitten.Insofern scheint sich der ursprüngli-che Eindruck doch noch zu bestätigen:Sarah Kirsch betrachtet die Idylle derersten Strophe offenbar (auch) mitzweifelndem Blick.

Brechen wir den Erkundungsganghier ab. Was das Gedicht als landes-kundliche Quelle anzubieten hat, isterkennbarer geworden. Soweit es denpolitischen Hintergrund vergegenwär-tigt und das bereitliegende Wissen derSchüler aktiviert und vertieft, soweitauch Natur- und Landschaftsbilderhervorgerufen werden, kann dasbereits die Lektüre lohnen. Im Mittel-punkt steht aber unverkennbar dasFluchtthema, das „Im Sommer“ mit der„Laubenkolonie“ gemeinsam hat.

Sarah Kirsch durchlebte den Kon-flikt zwischen inneren Bedürfnissenund gesellschaftlichem Bewußtsein,zwischen elementaren Wünschen undabstrakten Hoffnungen in den Jahrenvor ihrer Übersiedlung nach West-Ber-

lin (1977). In unserem Gedicht ist dieseSpannung in poetische Bilder über-setzt. Die Heimwehtöne unter dem Ein-fluß (spät)sommerlicher Erlebnissesind unüberhörbar. Aber das ersehnteund vorübergehend gefundene Glückerscheint zwiespältig. Die Verse bezeu-gen, daß die Autorin das in der DDRaufgestaute Verlangen nach politik-und ideologiefernen Inselaufenthaltenteilt. Aber sie ist sich auch der bedenk-lichen Seiten eines solchen Rückzugsins Private bewußt.

So gelesen, wird „Im Sommer“ zumZeugnis eines Dilemmas, das vor der‘Wende’ millionenfach erfahren wurdeund das bei der persönlichen Aufarbei-tung der Vergangenheit noch langeweiterwirken wird.• Rainer Malkowski führt an einemwestdeutschen Zeitgenossen den Eska-pismus als (trügerische) Lösung vor.• Sarah Kirsch gestaltet Flucht undVerweigerung als beunruhigendes per-sönliches Problem.

Der Text entläßt uns mit der Chiffreder „feuerrot“ leuchtenden (und ebennicht mehr nur „riesigen“) Felder. Dasmag jedoch hier auf sich beruhen blei-ben.

Für die Schüler können diese lan-deskundlich bedeutsamen Erfahrun-gen nachvollziehbar(er) werden,indem sie die Bilder nacheinander auf-zufassen, zu verbinden, auszulegensuchen. Wie immer beim Umgang mitpoetischen Texten (und erst recht inder fremden Sprache) bewegen siesich langsamer voran, als das etwa beieinem Landeskundetext im Lehrbuchder Fall wäre, springen vor und zurück,entdecken Signale und überlegen, wasdiese besagen.

Wir haben das an einem (als Anre-gung gemeinten) Erkundungsganggeschildert. Um es zu wiederholen: Erkann auch ganz anders verlaufen. Inder zweiten Strophe beginnen dieSchüler ihn vielleicht bei den „Sternen“statt beim „Storch“. Was erscheintihnen ohne weiteres eingängig? In denZeilen 11 und 12 ist der Konflikt amgriffigsten formuliert (“Wenn man hierkeine Zeitung hält/ist die Welt in Ord-nung“). Das gilt besonders dann, wenndas Malkowski-Gedicht bekannt ist.Was wirkt dagegen merkwürdig/ ver-wirrend/verschlüsselt? An der Doppel-deutigkeit der „Buchsbaumgärten“ und

der „Pflaumenmuskessel“ führt keinWeg vorbei. Auch dort können dieSchüler auf die ‘Problemspur’ stoßen –immer vorausgesetzt, das Problem deszwiespältigen Glücks ist für sie nach-vollziehbar.

Als Nicht-Deutsche betrifft es sienicht unmittelbar. Oder gibt es dort,wo sie leben, ähnliche Konflikte? DieZugriffe machtgestützter Institutionenwerden ihnen nichts Neues sein (auseigener Erfahrung oder aus anderenQuellen, z. B. aus Büchern / Filmen /Fernsehsendungen). Auch der Wunschnach Zufluchtsorten, um diesen Zugrif-fen zu entgehen, ist ihnen sicherlichvertraut. Entscheidend wäre nur, daßsie auch die Bedenken gegen eineAbkapselung von den öffentlichenAngelegenheiten verstehen, wie sie inSarah Kirschs Versen zum Ausdruckkommen.

Und noch ein Vorschlag: liegen las-sen, was sich nicht sogleich erschließt.Bilder, Situationen, auch sprachlichePrägungen nisten sich ein und bleibenaufgehoben – für spätere Gelegenhei-ten. Sie gehen einem buchstäblichnicht aus dem Kopf. Man knüpft an dasan, was man schon kennt, wenn manihm wiederbegegnet – im selben Textoder in anderen Darstellungen oder inder Realität.

Aussteigen als Ärgernis

(Kurt Marti: Leichenrede, Gedicht siehenächste Seite)Auch hier wieder einige Hinweise vor-weg, um das Einlesen zu erleichtern.Dieser Text spricht sich deutlicher aus.Der Lebenswandel eines Mannes wirdgeschildert, die Einstellung des Spre-chers kommt unmißverständlich zumAusdruck. Man kann sich diesen Spre-cher als einen Pfarrer vorstellen, dereine Grabrede hält. Der Schweizer KurtMarti war bis Anfang der 80er Jahreselber als Pfarrer tätig. In den „Lei-chenreden“ (1976) legte er einem er-fundenen Amtsbruder in den Mund,was er über seine Landsleute zu sagenhatte.

Das kann das Gedicht für dieSchüler im Sinne der „Leutekunde“

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ergiebig machen. Auf die Kleinschrei-bung müßten sie wohl hingewiesenwerden. Was den Wortschatz betrifft,so ist der Bedarf an lexikalischenHandreichungen hier insgesamt wahr-scheinlich größer4.

Die Schüler müßten sich allerdingsauch über die hinzuzudenkende Situa-tion im klaren sein. Der Brauch, einenVerstorbenen vor einer Trauergemein-de durch den Vertreter einer religiösenGemeinschaft würdigen zu lassen, istin deutschsprachigen Ländern üblich.Das wäre also nötigenfalls wieder zuerläutern – mit den Einschränkungen,

die bei derartigen Kulturphänomenenunaufhebbar bleiben.

Wie immer, läßt sich der Einstiegmethodisch verschieden gestalten.Man kann z.B. mit den Schülern, bevorsie den Text zu Gesicht bekommen, einBild des darin geschilderten Typs ent-werfen, also eines Mannes, der nichtgern arbeitet, der es in einer Stelle nielange aushält, dem seine freie Zeitwichtiger ist. Wie verbringt so einerseine Tage? Irgendwann stirbt er. Werkommt zu seiner Beerdigung? Ist ein

Pfarrer dabei, um eine Grabrede zu hal-ten? Was sagt er?

Schwer zu sagen, wieweit ein sol-cher Versuch gelingt. Er zielt darauf ab,Vorstellungen und Urteile und vorallem auch Sprachmittel der Schüler zumobilisieren. Man kann sich aber auchohne eine solche Vorbereitung so-gleich der ersten Strophe zuwenden.Da ist davon die Rede, daß der Verstor-bene „nicht tüchtig“ und „nicht fleißig“war, daß er „oft die stelle (wechselte)“und „(nur) arbeitete, sofern es nichtanders ging“. Es liegt nahe, dagegenzu-stellen, was den geltenden Verhaltens-regeln eher entsprochen hätte: guteArbeit zu leisten/zielstrebig undpflichtbewußt zu sein/einem Berufregelmäßig nachzugehen etc. Mankann die Strophe in die Lobrede aufeinen ‘normalen’ Zeitgenossen umwan-deln (etwa: ‘welche wohltat/auch hierwieder sagen zu dürfen: ja er war sehrtüchtig/und wechselte nie die stelle/jaer war stets fleißig/und arbeitete vonfrüh bis spät’).

Auf diese Weise kommt auch derlandeskundliche Gehalt des Gedichtsin den Blick. Obwohl der Tote aus derArt geschlagen war, widmet der Spre-cher ihm einen freundlichen Nachruf.Die Schüler müßten (nach der vorge-schlagenen Kontrastübung) wahrneh-men, daß hier eine Gegenfigur zubestimmten gesellschaftlichen Leitbil-dern gezeichnet ist, und zwar in derAbsicht, diese Leitbilder in Zweifel zuziehen. Man kann sich die Reaktion vie-ler bürgerlicher Leser in der Schweizund anderswo leicht ausmalen: siewerden den Text als Schlag ins Gesichtempfinden. Doppeltes Ärgernis sogar:Nicht nur dieser Mann setzte sich überdas hinweg, was für schicklich gehal-ten wird, sondern auch derjenige, deraus seiner Sympathie kein Hehl macht.

Unser Thema tritt in einer neuenVariante auf: ein Aussteiger, der sichbürgerlichen Lebensformen entzieht –Eskapismus als Außenseitertum. Wiekommen die Schüler mit einemzurecht, der seine Tage derart ent-schlossen ‘alternativ’ zubrachte? Dasschon vertraute Zeitungsmotiv tauchtauch hier wieder auf: Er las „lieberSPORT oder PLAYBOY“ (Zeile 9), alszur Arbeit zu gehen oder, wie manwohl ergänzen darf, als Tageszeitungenmit politischen Nachrichten zu lesen.

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Kurt MartiLEICHENREDE

welche wohltateinmal auch sagen zu dürfen:nein er war nicht tüchtigund wechselte oft die stelle

5 nein er war nicht fleißigund arbeitete nursofern es nicht anders ging

sonst aberlas er lieber SPORT oder PLAYBOY

10 setzte sich nachmittags schon ins kino(EDDI CONSTANTINE war sein liebling)schlürfte cognac in straßencafésmeditierte die anmut der frauenoder die tauben am turm

15 im frühling fuhr erdurch zart- und frechgrünes landden sommer verlag ergut geölt und behaglich im schwimmbadspäter im herbst dann streifte er

20 manchen stillen waldrand entlangehe er für den wintereine beschäftigung suchteund eine freundinweil er die festferientage

25 nicht allein zu verbringen liebte

welche wohltatin einer weltdie vor tüchtigkeitenaus den fugen gerät:

30 ein mann der sich gute tagezu machen wußteehe nach einigen bösenjetztder letzte tag für ihn kam

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Ehrgeiz, Strebsamkeit, Verantwor-tungsgefühl waren dem Mann offen-sichtlich fremd. War er, ohneUmschweife gesagt, faul? Oder kommteher ein empfindsamer Zeitgenossezum Vorschein, der seine Lebens-führung, wie die dritte Strophe zeigt,dem Gang der Jahreszeiten anpaßte?

Die Schüler bewegen sich nach die-sem methodischen Vorschlag in ähnli-cher Weise durch den Text, wie wir dasbei den anderen Gedichten beschrie-ben haben. Manches mag rätselhaftbleiben, z.B. daß der Verstorbene sichfür den Kinostar Eddie Constantinebegeisterte (Zeile 11). Vielleicht läßtsich ein Foto finden. „Eddie“, eine Kult-figur der 50er und 60er Jahre, war mei-stens der in Schlägereien verwickelteEinzelkämpfer. Fühlte er sich ihm ver-wandt, weil er ebenfalls ein Außensei-ter war? Das Urteil der Schüler überden Mann (und auch über den Pfarrer)wird zweifellos stark von den in dereigenen Lebenswelt herrschenden Ver-hältnissen und Anschauungen mitbe-stimmt. Weibliche Leser reagieren übri-gens erfahrungsgemäß strenger alsmännliche. An den „festferientagen“,also zum Jahresende, mußte diesemPLAYBOY-Leser „eine freundin“ dasAlleinsein vertreiben. Und so einer hät-te nachsichtige Worte verdient?• Die Schüler können aus dem Text

zusammenstellen, was sie an der vonKurt Marti gezeichneten Figur gut/schlecht finden, und ihre Ansichtenerläutern.

• Sie können (kürzere) Nachrufe ent-werfen – auf wirkliche oder erfunde-ne Personen oder (warum nicht?) aufsich selbst.

Für unser Hauptanliegen, Landes-kunde als „Leutekunde“, ist auch hierdavon auszugehen, daß die Schülermit der Schweiz und ihren Bewohnernschon bestimmte Vorstellungen ver-binden. Welche Produkte der Schwei-zer Industrie und Landwirtschaft ken-nen sie? An welche (vielleicht im Fern-sehen oder auf Plakaten gesehene)Landschafts- oder Städtebilder erin-nern sie sich? Welche Eigenschaftensprechen sie den Schweizern zu?

Das unterschiedlich reichhaltigeund unterschiedlich geordnete Wissenwird bei der Erkundung dieser „Lei-chenrede“ in Anspruch genommenund verändert. Die Schüler stoßen aufkritische Töne, die in der offiziellenSelbstdarstellung des Landes und inder Tourismuswerbung erklärlicher-weise fehlen. Die Bedenken gegenübereinem ungetrübt positiven Bild derSchweiz werden zu Beginn der viertenStrophe am deutlichsten geäußert (Zei-len 26 bis 29). Dort wird das wohlwol-lende Urteil über den Verstorbenenbegründet: die Welt „(gerät) vor tüch-tigkeiten aus den fugen“. Deshalb, soder Pfarrer, sei es eine „wohltat“, ein-mal einen Mann würdigen zu können,der ausstieg und der folglich keinenAnteil hatte an dem, was „tüchtigkei-ten“ anzurichten pflegen. Es ist schwervorherzusagen, wie konkret dieSchüler das füllen können, ob sie etwaChemie- und Waffenfirmen nennenoder auf die Umweltprobleme hinwei-sen, die durch Autoverkehr und Win-tersport in der Alpenregion verursachtwerden.

Kurt Marti äußerte sich in den „Lei-chenreden“ im übrigen auch alsempörter Christ. Das kann ein weitererfruchtbarer Ansatzpunkt sein. UnserText bekennt sich zu verschüttetenTugenden wie Nachsicht und Duldsam-keit, auch gegenüber einem Menschen,der von den meisten wohl abschätzigals „Tagedieb“/ „Herumtreiber“/ „Faul-pelz“ bezeichnet würde. Indem derAutor (durch die Figur des Pfarrers)ihn nicht nur nicht verdammt, sondernseine Darstellung ausdrücklich als„wohltat“ bezeichnet, werden Ge-schäftsgeist und Erwerbstrieb als frag-würdige Maßstäbe für das eigeneLebensprogramm wie für das nationaleSelbstgefühl bloßgestellt.

Daraus läßt sich noch eine weitereAufgabe gewinnen:• Die Schüler können dem Pfarrerschreiben – anerkennende Briefe (fürseinen Mut bei der Würdigung einesIndividualisten, der sich den landläufi-gen Konventionen nicht unterwarf)oder entrüstete (weil in seiner „Lei-chenrede“ kein Wort der Kritik fällt).• Und sie können (in der Rolle desPfarrers) auf diese Briefe reagieren.

Landeskunde mit literarischen Tex-ten möchte den Schülern Aufschlüsse

über reale Gegebenheiten vermitteln.Unnötig zu sagen, daß Leitbilder undWertbegriffe und ihr widersprüchli-ches Echo maßgebliche Bestandteileder zu verstehenden fremden Realitätsind. Kurt Martis „Leichenrede“ kann,wie auch Rainer Malkowskis „Lauben-kolonie“ und Sarah Kirschs „Sommer“,den Schülern zu augenöffnenden Ein-sichten verhelfen.

Anmerkungen:1) Die Gedichte sind entnommen aus:

Rainer Malkowski: Zu Gast. Suhrkamp Verlag.Frankfurt/M. 1983. Sarah Kirsch: Rückenwind.Aufbau-Verlag, Berlin-Weimar 1976. Kurt Marti:Leichenreden. Luchterhand Literaturverlag,Frankfurt/M.1976.Vgl. auch Weber, Hans (Hg.): Vorschläge. Litera-rische Texte für den Unterricht Deutsch alsFremdsprache. Textband mit Lesehilfen. Lehrer-band mit Folien. Cassetten. INTER NATIONES,Bonn, 2. Aufl. 1991 (1990).

2) Welche Wörter erklärt werden müssen, läßt sichnicht allgemein entscheiden. Deshalb beschrän-ken wir uns hier auf Hinweise zu wenigen landes-kundlich bedeutsamen Wörtern.

Laubenkolonie: Stück Land (meistens in städtischerUmgebung), mit kleinen Gartenhäuschen undsorgfältig gepflegten Gärten (Schrebergärten).Bild- und Textmaterial zum Thema „Schrebergär-ten“ enthält das beim Goethe-Institut erhältlicheVideoprogramm: Deutschlandspiegel. Video 3.Textheft 3. Bestellnr.: 41 00 04 V und 41 00 04 B.

3) Buchsbaum: immergrüner Zierstrauch, meist alsHecke verwendet.

die Jagd anblasen: den Beginn der Jagd mit Hornsigna-len anzeigen.

Pflaumenmuskessel: Topf, in dem Pflaumen zu einemMus (=Brei) zerkocht werden.

4) Festferientage: die Zeit um Weihnachten und Neu-jahr.

Literaturhinweise:Ehlers, Swantje: Sehen lernen. Zur ästhetischen Erfah-

rung im Kontext interkultureller Literaturver-mittlung. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdspra-che, Band 14. iudicium Verlag, München 1988.

FREMDSPRACHE DEUTSCH Heft 2/1990, 63: Texte ver-stehen: datengeleitet oder schemageleitet?

FREMDSPRACHE DEUTSCH Heft 3/1990, 60-61: ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutsch-unterricht.

Krusche, Dietrich.: Lese-Unterschiede. Zum interkultu-rellen Lesergespräch. In: D. Krusche: Literaturund Fremde. iudicium Verlag, München 1985.

Sagmo, Ivar: Was kann der Auslandsgermanist in seinenLiteraturkursen von deutscher Wirklichkeiteigentlich vermitteln? In: A. Wierlacher (Hg.):Perspektiven und Verfahren interkultureller Ger-manistik. iudicium Verlag, München 1987.

Weber, Hans: Textverarbeitung im fremdsprachlichenLiteraturunterricht. In: DIE NEUEREN SPRACHEN,Band 89, Heft 6.

Westhoff, Gerard J.: Didaktik des Leseverstehens. Stra-tegien des voraussagenden Lesens mit Übungs-programmen. Hueber, München 1987.

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Bücher Reinhard Ammer: Das Deutsch-landbild in den Lehrwerken fürDeutsch als Fremdsprache. Diss,iudicium, München 1988.

Die materialreiche und dennochgut lesbare Dissertation von R.Ammer (330 S.)untersucht den lan-deskundlichen Inhalt der wichtig-sten Deutschlehrwerke, die in derBRD zwischen 1955 und 1985erschienen sind. Das bedeutetauch, daß die Lehrwerke der soge-nannten vierten oder „interkulturel-len“ Generation unberücksichtigtbleiben. Äußerer Anlaß dieserUntersuchung war die Tatsache,daß die christdemokratisch-libera-le Bundesregierung verstärkt ver-suchte, Einfluß auf die auswärtigeKulturpolitik zu nehmen im Sinneeiner positiven Darstellung derBundesrepublik Deutschland imAusland. Die Prognose für das „Eigenbild“,welches die Lehrwerke der 90erJahre vermitteln werden, siehtnach Ammer dann auch nicht allzuausgewogen aus: „in erster Linie(werden) die positiven Seiten derBundesrepublik D. und erst in zwei-ter Linie ihre problematischen undkritikablen Aspekte“ präsentiertwerden (286).

Gisela Baumgratz/ Rüdiger Step-han(Hg).: Fremdsprachenlernenals Beitrag zur internationalenVerständigung. iudicium, München1987.

Diese immer noch aktuelle Aufsatz-und Referatsammlung (164 S.) gehtauf die 1983 von der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart veranstalteteKonferenz zum Thema „Landeskun-de in der Lehrerfortbildung“zurück. In allen Beiträgen geht esum die Verbreitung/Verbesserungdes Konzepts der „transnationalenKommunikationsfähigkeit“. Dieseswird in enger Verbindung mit derFrage der Lehrerqualifikation gese-hen. Hier wiederum steht derAspekt der Lehrerfortbildung imZentrum, da aufgrund restriktiverFinanzpolitik in fast allen europäi-schen Ländern in dem diskutiertenZeitraum (Anfang/Mitte der 80erJahre) kaum mehr junge Lehrer ein-gestellt wurden.

Beyme, K.v: Der Vergleich in derPolitikwissenschaft. Piper, 1988.

In dieser Aufsatzsammlung (398 S.)werden grundlegende Arbeiten imBereich der Politikwissenschaft(einer der wichtigsten Bezugswis-senschaften der fremdsprachlichenLandeskunde) zusammengefaßt.K.v. Beyme versteht dabei – indurchaus kritischer Manier – denVergleich nicht als ein Untergebietder Politikwissenschaft, sondernals Ansatz, der in allen Bereichen,von der Theorie bis zur internatio-nalen Politik zur Anwendung

gelangt. Sehr zu empfehlen ist die-ses Buch, gegliedert in die Kapitel„Theoretische Ansätze“, „PolitischeInstitutionen“, „Politisches Verhal-ten“ und „Politikfeldanalyse“ vorallem den Landeskundedidaktikernund Lehrmaterialproduzenten, dieden Vergleich als Erkenntnismittelim Landeskundeunterricht etablie-ren möchten.

Manfred Erdmenger/Hans-WolfIstel: Didaktik der Landeskunde.Hueber, Ismaning 1973.

Erste und wohl bislang einzige Lan-deskunde-Didaktik. Das Bändchen(96 S.), welches 1978 in zweiter Auf-lage erschien, geht weder auf diebesonderen Aspekte der Landes-kunde in Deutsch als Fremdspra-che noch auf die methodischenund didaktischen Entwicklungenseit Mitte der 70er Jahre ein.

Julia Kristeva: Fremde sind wir unsselbst. edition Suhrkamp, Frank-furt/Main1990 (Paris 1988)

Eine ideengeschichtliche, 213 S.lange Reise, angefangen bei dergriechischen und jüdischenGeschichte, über die frühe Neuzeit(Dante, Montaigne) bis hin zurRomantik und französischen Revo-lution, die mit den Mitteln der Psy-choanalyse einen zentralen Begriffder interkulturellen Landeskunde-diskussion umkreist: Das Fremde(in uns selbst). Wichtig für alle, dieein wenig über den Tellerrand vonunmittelbarer Unterrichtsvorberei-tung und didaktischer Fachdiskus-sion hinausblicken möchten.

Dieter Krusche/Alois Wierlacher(Hg.): Hermeneutik der Fremde.iudicium, München 1990.

13 Aufsätze , die die Entwicklungdes Faches Deutsch als Fremdspra-che in den 80er Jahren auf knapp300 Seiten exemplarisch dokumen-tieren. Daß es dabei hauptsächlichum das „Nachdenken über dasFremde“ geht, macht diesen Sam-melband gerade auch für die Positi-onsbestimmung von Landeskundeim Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht wichtig.

Jacques Leenhardt/Robert Picht(Hg.): Esprit/Geist. 100 Schlüssel-begriffe für Deutsche und Franzo-sen. Piper, München 1990 (2. Aufl.).

Eine beispielhafte Sammlung von100 Essays (oft kürzer als fünf Sei-ten) zu Begriffen, die die Wörter-bücher gleichsetzen, die in Wirk-lichkeit aber meist Unterschiedli-ches meinen. Das Ergebnis ist einekleine deutsch-französische Kultur-geschichte, eingefangen in Schlüs-selbegriffen des Denkens und derpolitischen Kultur und Alltagswirk-lichkeit.

Walter Lippmann: Public Opinion.New York 1922 (dt.: Die öffentlicheMeinung. München 1964).

Mit seiner Unterscheidung von„World outside“ und „Pictures inour Heads“ gelang dem Publizistenein Klassiker, was das Thema „Ste-reotype“ anlangt.

Bernd-Dietrich Müller(Hg.):Konfrontative Semantik. Weil derStadt 1981

Immer noch lesenswerte Studieüber die Ausweitung des Seman-tikbegriffs in eine Richtung, die ihnunmittelbar relevant macht für eineinterkulturell verfahrende Landes-kunde. Die Quintessenz der Unter-suchung: Die „hinter“ den Wörternstehende gesellschaftliche Wirk-lichkeit verschiedener Kulturenmacht die Bedeutungsunterschiede„gleicher“ Wörter aus. Liebe istnicht dasselbe in Indonesien undDeutschland. Und Arbeit bedeutetetwas anderes in Brasilien undDeutschland.

Gerhard Neuner(Hg.): Kulturkon-traste im DaF-Unterricht. iudicium,München 1986.

Eine sehr lesenswerte Sammlungvon 15 Aufsätzen (auf 280 S.) diesich mit den Problemen befaßt, diean den Schnittpunkten von sehr„nahen“ und sehr „fernen“ Kulturendurch das Aufeinandertreffenunterschiedlicher Verhaltenserwar-tungen entstehen. Grundsatzfragen(Bezugswissenschaften usw.) wer-den ebenso behandelt, wie konkre-te Fallstudien und Unterrichtsbe-richte vorgestellt werden.

Günter Trautmann: Die häßlichenDeutschen? Deutschland im Spie-gel der westlichen und östlichenNachbarn. WissenschaftlicheBuchgesellschaft, Darmstadt 1991.

Die deutsche Einheit stellt die Lan-deskunde im Fach Deutsch alsFremdsprache vor mannigfaltige,jedoch oft gar nicht so neue Proble-me! Wieder einmal und mit zwei-felnder Stimme wird aus deutscherSicht die Frage nach der Beschaf-fenheit des Fremdbildes gestellt:„Welches Image haben die Deut-schen im Ausland und: Ist ein Wan-del des Deutschlandbildes festzu-

stellen?“ In 25 Aufsätzen versuchenauf 337 S. ausländische und deut-sche Wissenschaftler, Lehrer undJournalisten aus den unterschied-lichsten Blickwinkeln der Welt(Israel, Polen, ehemalige Sowjetuni-on, Dänemark, Niederlande, Groß-britannien, Frankreich, Italien,Ungarn, Finnland und USA) eineAntwort auf diese Frage zu geben.Auch wenn die Einzelantworten, jenach Betroffenheit durch deutscheGeschichte und Politik unter-schiedlich ausfallen, verrät der Her-ausgeber bereits im einleitendenArtikel, „daß die älteren Feindbil-der und Vorurteile des ‘häßlichenDeutschen’ vier Jahrzehnte nachder Befreiung Deutschlands vomNS-Regime stark verblaßt sind. DieSympathiewerte der Deutschen imAusland haben dagegen zugenom-men.“ ANDREAS PAULDRACH

Die Deutschen in ihrer Welt.Tübinger Modell einer integrati-ven Landeskunde. Herausgegebenvon Paul Mog in Zusammenarbeitmit Hans-Joachim Althaus. Langen-scheidt Verlag, Berlin/ München1992, 264 S.

„Mehr als die Hälfte aller Bundes-bürgerinnen und Bundesbürgersind in cirka 200.000 Vereinen orga-nisiert. Wandern, Singen, Kegeln,Skatspielen, Turnen, Schwimmen,Radfahren, Schießen, Religion,Zierfische und Taubenzucht, keinInteresse, das hierzulande nichtsogleich eine organisierte Vereins-form annimmt“ (S.102) – diesesZitat könnte einen jener unendlichzahlreichen Aspekte thematisieren,die sich unter dem Stichwort „Lan-deskunde der Alltagskultur“ auf-führen lassen. Doch mit einer sol-chen Feststellung allein sind zen-trale Fragen der Landeskunde nochnicht beantwortet: Wie wichtig istdieses Phänomen „Vereine“ in derdeutschen Gegenwartskultur ? Undwichtiger noch: Wie läßt sich diese(typisch deutsche ?) Vereinsmeie-rei erklären ?

Mit dem „Modell einer integrativenLandeskunde“ werden Antwortenauf genau diese Fragen gesucht.Das Buch zeigt beispielhaft, wiesich solche Tatbestände wie die„Vereinsmeierei“ in größereZusammenhänge einordnen und in

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ihnen sozialgeschichtlich verste-hen lassen. Das Zitat etwa findetsich in dem Kapitel „Zum Verhält-nis von privat und öffentlich“, indem die Rolle von Familie, Freund-schaft und Vereinen als charakteri-stischen Ausformungen des Ver-hältnisses von Privatem und Öffent-lichem erörtert werden. Es geht –an ausgewählten Beispielen wieRaumerfahrung, Zeiterfahrung,Lebensstilen, politischer Kultur u.a.– um die Darstellung von „Grund-mustern der sozialen und politi-schen Verfaßtheit der Bundesrepu-blik und der deutschen Mentalität“.In dem Tübinger Projekt haben zudiesem Zweck Politologen, Soziolo-gen, Historiker und Kulturwissen-schaftler mit Sprachpraktikernzusammengearbeitet – integrativeLandeskunde meint hier immer bei-des: Integration von Sprachunter-richt und Landeskunde und: inter-disziplinäre Betrachtung zentralerThemen der Landeskunde. Den füreine solche Betrachtung notwendi-gen kulturkontrastiven Aspektgewinnen die Autoren durch einebesondere Fokussierung auf denKontrast Deutschland- Amerika; sowird etwa die spezifische deutscheForm des Privaten an dem Kontrastzu dem Verhältnis von Privatheitund Öffentlichkeit in den USA her-ausgearbeitet.

Dennoch ist dies kein Buch, dassich primär an diejenigen wendet,die mit Amerikanern Deutschunterrichten. Es ist zunächst ein-mal (übrigens auch für Deutsche)eine spannende Reise ins Inneredeutscher Mentalität, und es istauch ein empfehlenswertes Lese-buch für alle Deutschlehrer und-studenten. Durch seine historischeund soziokulturelle Perspektivehilft es, viele isolierte Einzelphä-nomene von Alltagskultur in einemZusammenhang von „Mentalitäts-mustern“ zu verstehen; es trägtdazu bei, unserem Verständnis vonLandeskunde (wieder) eine histori-sche Perspektive zu geben und das

schreibung“, „Landeskunde in derGeschichte des Fremdsprachenun-terrichts“, „Forschungsgegenstandund Forschungsstand der Landes-kunde-Didaktik“ „Ziele/Inhalte desCurriculums“ und „InterkulturellesLernen und landeskundliche Lehr-verfahren“. Im letztgenanntenAbschnitt kommt auch dieDeutsch-als-Fremdsprache-Landes-kunde ausführlicher zu Wort.

Josef Gerighausen/Peter C. Seel:Der fremde Lerner und die frem-de Sprache. Überlegungen zurEntwicklung regionalspezifischerLehr- und Lernmaterialien fürLänder der Dritten Welt. In: Jahr-buch Deutsch als Fremdsprache10/1984, 126-162.

Wichtiger, umfangreicher Aufsatz,welcher sich die Mühe macht, dieEinwände gegen das Konzept der„interkulturellen Kommunikation“zusammenzustellen, als diesesKonzept sich anschickte, die Didak-tik des Faches Deutsch als Fremd-sprache und vor allem die Diskussi-on um die weitere Entwicklung derLandeskunde zu beherrschen.Besonderer Wert wird dabei auf dieFremdsprachensituation in Län-dern der sogenannten Dritten Weltgelegt.

Josef Gerighausen/Peter C. Seel(Hg.): Aspekte einer interkulturel-len Didaktik. München (Goethe-Institut, Werkstattgespräche) 1987.

In diesem Band sind sieben Refera-te (samt der dazugehörenden Dis-kussionsbeiträge) zusammenge-stellt (228 S.), die sich unter demleitenden Gesichtspunkt der inter-kulturellen Kommunikation mit derSituation von Deutsch als Fremd-/Zweitsprache in der BRD, mit DaFim fernen Ausland und mit DaF inden Nachbarländern der BRD aus-einandersetzen. Ein weitererSchritt in der Reihe „Werkstattge-spräche des Goethe-Instituts“ zurKlärung der Frage, was eigentlichinterkulturell ist an der Kommuni-kation in den Fremdsprachen.

Hans-Jürgen Krumm: Zur Ein-führung. Kulturspezifische Aspek-te der Sprachvermittlung Deutschals Fremdsprache. In: JahrbuchDeutsch als Fremdsprache 14/1988,121-126

Wer sich ganz schnell (auf fünf Sei-ten) über den Stand der didakti-schen Diskussion Ende der 80erJahre auch auf dem Gebiet der Lan-deskunde (Stichwort „interkulturel-les Lernen) informieren möchte,der möge zu dieser Einleitung inden thematischen Teil des Jahr-buchs 1988 greifen.

Dietrich Krusche: Zur Hermeneu-tik der Landeskunde. In: Jahrbuch

Deutsch als Fremdsprache 15/1989,15 –29.

Einer der grundlegenden, nichtsehr leicht eingängigen Artikel desAutors zur näheren Bestimmungdes Landeskundebegriffs. Dabeivertauscht er – „provokativ“zunächst den Begriff Landeskundemit dem der belasteten Kulturkun-de. Auf diese Weise möchte er zueiner funktionalen Beziehung zwi-schen Kultur im engeren und Kul-tur im weiteren Sinne gelangen(etwa im Sinne eines erweitertenKulturbegriffs).

Bern-Dietrich Müller: Interkultu-relle Verstehensstrategien – Ver-gleich und Empathie. In: GerhardNeuner.(Hg.): Kulturkontraste imDaF-Unterricht. iudicium München1986 , 33 – 85.

Eine umfangreiche (52 Seiten), mitBeispielen gespickte Abhandlungüber die Methode des Landeskun-deunterrichts, den Vergleich.Der Autor geht von der richtigenBeobachtung aus, daß in interkul-turellen Situationen schon immerverglichen wird. Er versteht seineUntersuchung als „ersten Schritt inRichtung auf eine profunde Analysedes Vergleichs“, die allerdings bisheute noch nicht vorliegt.

Andreas Pauldrach: Landeskundein der Fremdperspektive – Zurinterkulturellen Konzeption vonDeutsch-als-Fremdsprache-Lehr-werken. In: ZIELSPRACHEDEUTSCH IV/1987, 30 – 4.

In diesem Aufsatz versucht derAutor zunächst, die kritischen Ein-wände gegen das Konzept derinterkulturellen Kommunikation zusammeln. In einem zweiten Teilwerden am Beispiel des LehrwerksSPRACHBRÜCKE die vor allem fürden Landeskundeunterrichtbrauchbaren Einzelmomente die-ses Ansatzes vorgestellt.

Robert Picht: Kultur- und Landes-wissenschaften. In: Karl-RichardBausch. u.a. (Hg.): HandbuchFremdsprachenunterricht. GunterNarr, Tübingen 1989, 54 – 60.

Sehr informativer Handbuchartikelüber die Probleme der (Bezugswis-senschaften der) Landeskunde,was man dem Titel nicht unmittel-bar ansieht. Da der Fremdspra-chenlehrer nie bloßer „Sprachinge-nieur“, sondern immer auch – ob erwill oder nicht – „Mittler zwischenden Kulturen“ ist, nimmt er aucheine eminent politische Aufgabewahr. Dieses Betätigungsfeld wirdin den Abschnitten „Alltag: aberwas ist das“; „Perspektiven derFremdheit“, „Lernziel transnationa-le Kommunikationsfähigkeit“ und„Bildung für die internationaleZusammenarbeit“ knapp, aber mitBlick auch auf die Unterrichtspra-xis analysiert. ANDREAS PAULDRACH

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zu einem bloßen Schlagwort ver-kommene „interkulturelle Lernen“mit Leben zu erfüllen, auch undgerade in dem Kapitel zu denLebensstilen, wo deutlich wird, daßWohnen, Essen, Trinken keines-wegs banale Themen unserer All-tagskultur, sondern Schlüssel zumVerstehen deutscher Mentalitätsein können.

Das Buch ist sicherlich für Nicht-muttersprachler eine dichte,schwierige Lektüre – aber sicherauch die spannendste Lektüre zumThema Landeskunde seit langem.Für mich ist dies ein gelungenesBeispiel interdisziplinärer Grundla-genarbeit für die Landeskunde, undzugleich so konkret, daß es hilft,eigene Vorstellungen über dieFunktion von Landeskunde imDeutschunterricht zu überprüfenund zu erweitern. Ich bin gespanntauf den angekündigten zweitenBand, der dann didaktische Model-le enthalten soll. H.-J. KRUMM

Aufsätze Hans Bausinger: Stereotypie undWirklichkeit. In: Jahrbuch Deutschals Fremdsprache. 14/1988,157–170.

Der Tübinger Kulturwissenschaft-ler gibt hier auf 13 Seite eine knap-pe, inhaltsreiche Einführung überdie Bedeutung und „Leistung“ vonStereotypen. Insofern ist dieserAufsatz immer noch ein „Muß“ fürden Landeskundedidaktiker und-praktiker, vor allem auch deshalb,weil anhand eines kleinen Projektsdie Relevanz von alltagskulturellenThemen für den Landeskundeun-terricht sinnfällig vorgeführt wird.

Dieter Buttjes: Landeskunde-Didaktik und landeskundlichesCurriculum. In: Karl-RichardBausch u.a. (Hg.): HandbuchFremdsprachenunterricht.GunterNarr, Tübingen 1989, 112 –119 .

Dem Charakter eines Handbuchsentsprechende knappe und ver-dichtete Darstellung von „Begriffs-bestimmung und Aufgabenbe-

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Fremdsprache Deutsch 6

Beirat Deutsch alsFremdsprache desGoethe- Ins t i tu t s

25 Thesen zur Sprach-und Kultur-vermittlungim AuslandDie folgenden 25 Thesen wur-den zunächst für das Goethe-Institut erarbeitet. Darüber hin-aus möchte sie der BeiratDeutsch als Fremdsprache alsDiskussionsangebot an alle inder Kulturvermittlung Tätigenund an eine interessierte Öffent-lichkeit verstanden wissen. DieThesen wollen eine Diskussiondes in vielen Bereichen der Kul-turvermittlung scheinbar selbst-verständlichen „erweiterten Kul-turbegriffs“ anregen. Davonausgehend soll auch über dieVerbindung von Kultur, Spracheund Sprachunterricht öffentlichnachgedacht werden.

1. Offener Kulturbegriff

Ein „erweiterter Kulturbegriff“, der sei-ne Grenzen nicht kennt und keinerleiKorrektiv gegen Beliebigkeit enthält,ist als Grundlage der auswärtigen Kul-turpolitik nicht geeignet. An seine Stel-le sollte ein „offener Kulturbegriff“ tre-ten, der ethisch verantwortet, histo-risch begründet und ästhetischakzentuiert ist.

2. Politischer Kulturbegriff

Der Antagonismus „Kultur/Zivilisati-on“ ist veraltet. Gleichfalls veraltet istder Antagonismus zwischen „affirmati-ver“ und „kritischer“ Kultur. Der Kul-turbegriff der auswärtigen Kulturpoli-tik sollte jedoch unter allen Bedingun-gen eine politische Komponenteenthalten. Diese darf nicht im Sinneeiner Parteipolitik verstanden werden.

3. Interkulturelle Komponente

Die auswärtige Kulturpolitik der Bun-desrepublik Deutschland braucht kei-nen separaten Kulturbegriff, der sichvom allgemeinen – meistens kontro-versen – Diskurs über kulturelle Fra-gen in der Öffentlichkeit unterschei-det. Eine interkulturelle Komponentehinsichtlich des Auslandes und derAusländer in Deutschland gehörtjedoch heute zu seinen spezifischenMerkmalen. Der Kulturbegriff der aus-wärtigen Kulturpolitik Deutschlandskann im übrigen nicht für die ganzeWelt der gleiche sein.

4. Deutschlandbild

Es ist kein vorrangiges Ziel der auswär-tigen Kulturpolitik, ein bestimmtesDeutschlandbild zu entwerfen und zuverbreiten. Vorrangig ist vielmehr, dieLebendigkeit der Kultur und den Pro-zeß der Zivilisation zu erhalten und zubefördern, und zwar gerade durch dieVerbindung mit dem Ausland. Einegenerelle Beschönigung der inDeutschland bestehenden Verhältnis-se ist diesem Ziel nicht förderlich.Andererseits kann es nicht Ziel derauswärtigen Kulturpolitik sein, durchständigen Kritikexport die Problemeunseres eigenen Landes anderenSchultern aufzubürden.

5. Partnerschaft

Die Kultur im Rahmen der auswärtigenKulturpolitik ist kommunikativ undkooperativ zu verstehen. Sie bestimmt

ihre Themen partnerschaftlich mit denAdressaten der auswärtigen Kulturpo-litik und ist als Beitrag zur Interaktionvon Kulturen aufzufassen. Eine einzel-ne Kultur repräsentiert sich dabeinicht nur durch die Antworten, die siegibt, sondern auch durch die Fragen,die sie stellt.

6. Kulturelle Vielfalt

Unabhängig von Ressortverteilungenin der Bundesregierung gehören dieKulturen der in Deutschland lebendenAusländer zu den Aufgabenbereichender auswärtigen Kulturpolitik. Die aus-wärtige Kulturpolitik beginnt im eige-nen Land. Zur Bewältigung mehrspra-chig und mehrkulturell geprägter Situa-tionen beizutragen, ist Aufgabe derSprachvermittlung im Inland wie imAusland.

7. Anstrengungen

Ein Kulturbegriff, dessen Repräsentan-ten nur Geburts- und Machteliten sind,ist historisch überholt. Der Zugang zurKultur muß grundsätzlich allen offen-stehen. Diese Öffnung verlangt jedochspezifische Anstrengungen.

8. Kanon

Kultur kann nicht ohne verbindlichenKanon vermittelt werden. Sie darf nichtmit einem starren Kanon vermitteltwerden.

9. Kulturmanagement

Kultur, insoweit sie von öffentlichenInstitutionen vermittelt wird, ist not-wendig auf Administration angewie-sen. Deren Strukturen müssen jedochselber Ausdruck politischer Kultursein und setzen eine entsprechendeQualifikation der in Verwaltung undManagement Tätigen voraus.

10. Qualifikationskriterien

Bei der Auswahl und Ausbildung vonPersonen, die im auswärtigen Dienstund in anderen Funktionen der auswär-tigen Kulturarbeit tätig werden sollen,verdient kulturelles Wissen und Inter-

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Fremdsprache Deutsch 6

esse der Bewerber besondere Auf-merksamkeit. Bei Personalentschei-dungen soll dieses Kriterium hochran-gig berücksichtigt werden.

11. Sprachkultur

Für die Kultur im Sinne der auswärti-gen Kulturpolitik ist die Sprachkulturzentral. Unter den Künsten, verstan-den als ausgezeichnete Äußerungender Kultur, hat die Literatur in diesemRahmen einen besonderen Stellenwert,da sie der Sprachkultur näher steht alsandere Künste. Aber auch der Sprach-gebrauch außerhalb der Literatur, bei-spielsweise in den Fachsprachen, stehtunter dem Postulat der Sprachkultur.

12. Kultursprache

Nicht die Verbreitung der deutschenSprache schlechthin, sondern die Ver-breitung der deutschen Sprache alsKultursprache ist vorrangiges Ziel derauswärtigen Kulturpolitik.

13. Regionale Vielfalt

Der deutsche Sprachraum ist sprach-lich und kulturell reich gegliedert. Kul-tur muß mit Respekt vor dieser Vielfaltvermittelt werden.

14. Umgangsformen

Die verschiedenen Kulturen könnennur im Modus der Diskretion und Höf-lichkeit miteinander verkehren. DieseFähigkeit muß im Sprachunterrichtgelehrt und gelernt werden.

15. Pädagogische Verbindungsarbeit

Die „Pädagogische Verbindungsar-beit“, die sich in der Praxis bewährthat, soll als eine kulturelle Verbin-dungsarbeit aufgefaßt oder in diesemSinne erweitert werden. Sie umfaßtdaher nicht nur Kontakte zu Lehrper-sonen und deren Institutionen, son-dern auch zum Beispiel zu Schriftstel-lern und Künstlern.

16. Programmarbeit/Spracharbeit

Eine organisatorische Trennung von„Programmarbeit“ und „Spracharbeit“ist problematisch. Allemal sind beideBereiche gleichrangige Formen derKulturarbeit. Eine Bevorzugung dereinen oder der anderen Form der Kul-turarbeit in Verbindung mit leitendenFunktionen ist nicht gerechtfertigt.Eine möglichst weitreichende Inte-gration von „Programmarbeit“ und„Spracharbeit“ ist anzustreben.

17. Deutsch als Fremdsprache

Das Fach Deutsch als Fremdsprache andeutschen Hochschulen beschäftigtsich in Forschung und Lehre nicht nurmit der Vermittlung der deutschenSprache, sondern schließt immer auchkulturelle Komponenten im Sinne desoffenen Kulturbegriffs ein.

18. Spracharbeit als Kulturarbeit

Jede Form von Spracharbeit mit jedwe-der Adressatengruppe ist immer auchKulturarbeit. Die Begegnung mit derfremden Kultur beginnt in der erstenStunde des Sprachunterrichts. Vondaher ist eine Abtrennung der Sprach-arbeit von der Kultur nicht angemes-sen. Vielmehr muß die Verschränkungvon Kultur und Sprache Konsequenzenhaben für die Entwicklung von Vermitt-lungsmethoden und Lernkonzeptensowie für Lehrmaterialien.

19. Sprachkultur im Sprachunterricht

Es kann nicht Sinn des Deutschunter-richts im Rahmen der auswärtigen Kul-turpoitik sein, die deutsche Sprachenur instrumentell zu lehren. Wenn diedeutsche Sprache, wie es rechtens ist,mit Sprachkultur gelehrt wird, verdientsie auch als Ziel der auswärtigen Kul-turpolitik anerkannt zu werden.

20. Kultureller Mehrwert

Subventionierter Sprachunterricht imRahmen der auswärtigen Kulturpolitikder Bundesrepublik Deutschland legiti-

miert sich durch einen kulturellenMehrwert gegenüber ausschließlichpraktischen Zielen der Sprachlernerund Gesichtspunkten bloßer Nützlich-keit.

21. Kulturerfahrung

Der Sprachunterricht verwirklicht sei-ne kulturelle Dimension in erster Liniedurch die Einstellungen, Verhaltensfor-men, Fähigkeiten und Kenntnisse desLehrers. Auch die Sprachform desUnterrichts ist dabei Ausdruck der Kul-tur unseres Landes. Diese Dimensionmuß vom Lehrer in der Aus-, Fort- undWeiterbildung erfahren werden, damitsie im Unterricht wirksam werdenkann.

22. Lebendigkeit

Der Sprachunterricht steht immer ineinem Spannungsfeld privaten undöffentlichen Kulturverständnisses. Ausdieser Spannung erhält er seine Leben-digkeit.

23. Erwartungen

Die Erwartungen der Ausländer an dendeutschen Sprachunterricht sind häu-fig nicht nur zweckrational, sondernauch subjektiv und emotional geprägt.Dem sollte auch der SprachunterrichtRaum geben.

24. Intellektualität

Ein Sprachunterricht, der nur trivialeAlltagskommunikation im Blick hat,unterfordert die Lernenden. Der Kul-turbegriff ist so auszulegen, daß er dieIntellektualität der Lernenden vonAnfang an herausfordert. Dies gilt füralle Lern- und Altersgruppen.

25. Zum Schluß

Kultur im Sprachunterricht heißtimmer auch: Heiterkeit, Leichtigkeit,Neugierde, Phantasie, Entdeckerfreude.

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Fremdsprache Deutsch 6

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Die politischen Ereignisse inDeutschland zwischen Anfang1989 (Ungarn macht den Eiser-nen Vorhang durchlässiger,viele DDR-Bürger fliehen in dieBRD) und heute sind ein wichti-ges und beliebtes Thema imfremdsprachlichen Deutsch-unterricht und werden es wohlauch noch einige Zeit langbleiben. So aufregend die Ereignisseselbst sind, so schwierig ist esandererseits, sie interessantaufzubereiten. Das Dilemma,vor dem Lehrerinnen und Lehrerstehen, ist ebenso einfach wieverzwickt: Sie würden dasThema gerne schüler- undhandlungsorientiert in ihremUnterricht zur Sprache bringen,das sind ja immerhin die Forde-rungen, die die Pädagogik undDidaktik an sie stellen, aberwie ist das möglich mit einemStoff, der den Schülern weitge-hend unbekannt ist und derzudem sprachlich und inhaltlichäußerst komplex ist? Bleibt dawirklich nichts übrig als derberühmte Lehrervortrag mit allseinen Nachteilen?Daß dies nicht so sein muß,zeigen die beiden folgendenBeispiele.

Proteste und „Wende“-Transparente

Dieser und der folgende Unter-richtsvorschlag wurden angeregtdurch zwei Beiträge in der in den USAerscheinenden Deutschlehrerzeit-schrift „Treffpunkt“ (Nr. 1/1991, S. 8 ff,Goethe-Institut New York). Beide Mög-lichkeiten eignen sich für eine relativfrühe Stufe des Deutschunterrichts.

Auf den berühmt gewordenen Mon-tagsdemonstrationen in Leipzig tauch-ten zum erstenmal Transparente aufmit Losungen, die immer deutlicher,immer fordernder, immer kreativerund wichtiger wurden. Die Schriftstel-lerin Christa Wolf meinte, „wir drehenalte Losungen um, die uns gedrücktund verletzt haben, und geben siepostwendend zurück“. Und vollerRespekt und Bewunderung nennt siedas, was auf den Transparenten zulesen ist „literarisches Volksvermögen“(Reden im Herbst. Berlin 1990).

Viele Losungen sind nur bei sehrguten Sprachkenntnissen und einerintimen Kenntnis der Verhältnisse undder politischen Situation zu verstehen(„Trittbrettfahrer – zurücktreten!“,„Kein Artenschutz für Wendehälse“,„Rechtssicherheit spart Staatssicher-heit“, „Keine Privilegien für uns Berli-ner“, „Großmutter, warum hast du sogroße Zähne?“ – eine Anspielung andas Märchen „Rotkäppchen“ derGebrüder Grimm“, dazu eine Zeich-nung des als Großmutter verkleideten,im Bett liegenden Egon Krenz, desNachfolgers von Erich Honecker, derdurch ein besonders großes Gebiß auf-fällt).

Viele Transparente können auchausländische Schüler verstehen, stelltman ihnen das benötigte Kontextwis-sen zur Verfügung. Über die sprachli-che Kreativität hinaus ist die Beschäfti-gung mit den Transparenten auch des-halb interessant, weil sie auf diejenigengesellschaftlichen und politischen Ver-hältnisse und Situationen verweisen,gegen die protestiert wird.

Arbeitsweise und Aufgabe:

Ein deutscher Herbstuunndd wwaass ddaarraauuss wwuurrddee:: Schüler- und handlungsorientiert – geht das überhaupt?

Von Bernd Kast

Informationen zu denTransparenten BRDigung= BeErDigung = Beerdigung: Wer tot ist,wird beerdigt, begraben.

SED = Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, dieherrschende Staatspartei der ehemaligen DDR

den Laufpaß geben = jemanden wegschicken,fortjagen

übermüdet = sehr müde, überwacht = kontrolliert

Stasi = der Staatssicherheitsdienst: seine Aufgabewar die Sicherung der DDR durch totaleÜberwachung der Bürger

Karl Marx hat im „Kommunistischen Manifest“ dieArbeiterklasse aufgefordert: Proletarier aller Ländervereinigt euch!“

beseitigen = auf die Seite schieben, abschaffen

Von Lenin kommt der berühmte Satz: „Vertrauen istgut, Kontrolle ist besser.“

In der Friedensbewegung wurde der Traumbeschrieben: Stell dir vor, es ist Krieg und keinergeht hin!

Am 1. Mai gab es in den sozialistischen Ländern einegroße Parade, bei der militärische Macht gezeigtwurde und Soldaten und Arbeiter an der Führungvorbeizogen.

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Fremdsprache Deutsch 6

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Die Schüler erhalten zwei Arbeitsblät-ter. Eines mit den Protest-Transparen-ten, eins mit Informationen, die daszum Verständnis der Losungenbenötigte Kontextwissen anbieten. Die Aufgabe lautet, herauszubekom-men,• auf welche gesellschaftlichen und

politischen Verhältnisse sich dieLosungen beziehen (welche Ver-hältnisse „hinter diesen Losungenstehen“);

• welche Wünsche und Forderungenhier formuliert werden;

• welche Forderungen im Prozeß derWende und der Wiedervereinigungerfüllt wurden;

• welche unerfüllt blieben oder uner-füllbar sind (und auch nur symbo-lisch gemeint waren).

Schließlich kann eine Hitparade derdrei originellsten Losungen erstelltwerden (jeder Schüler kann x Losun-gen wählen, welche drei Losungenhaben die meisten Stimmen bekom-men?).

Interessant könnte in dem einenoder anderen Land auch die Überle-gung sein, welche der Losungen aufdie Verhältnisse im eigenen Land(noch) passen oder gepaßt hätten.

Eine Reise: Fünf neueLänder und Berlin

Nach einer Idee von Erika Broschek.Das Basismaterial stammt aus: „Die16 deutschen Länder“, Faltplakat,hrsg. vom Deutschen Bundesrat.

Arbeitsweise: Das Material enthält sechs Länderkar-ten mit einer Kurzbeschreibung derfünf neuen Bundesländer und Berlins,außerdem sechs Personenkarten mitder Beschreibung von sechs Schülernbzw. Studenten, die in die neuen Bun-desländer bzw. nach Berlin reisen (sie-he nächste Seite). Die Grundideebesteht darin, herauszufinden, wer inwelches Land (in welche Stadt) reist.

Um die Übung interaktiv anzule-gen, könnte man nun folgendermaßenvorgehen: Sie bilden Gruppen von jesechs Schülern (und eine bzw. zweimit weniger, wenn die Zahl der Schülernicht durch sechs teilbar ist) undkopieren die Länder- und Personen-karten.

Jede Gruppe bekommt zwei Stapelmit je sechs Länder- und sechs Perso-

nenkarten, die mit dem Text nachunten in der Mitte liegen. JederSchüler zieht je eine Karte aus den bei-den Stapeln und liest sie.

AUFGABE: Sechs Schüler und Studenten fliegennach Deutschland. In welche Bundes-länder/welche Städte reisen sie?

Dann beginnt ein Schüler einenanderen zu fragen:A: Meine Person ist ... und interessiert

sich für .... Kann sie zu dir fahren/ kommen?

B: Ja, bei mir ist/gibt es ...Nein, bei mir gibt es keine ...

Meine Person ist ...usw.Auf diese Weise, versuchen die

Schüler herauszubekommen, welchePerson wohin fährt. A darf B so langefragen, bis er sicher ist, daß seine Per-son (nicht) in das Land (die Stadt) vonB fährt.

Die informierte Leserin, der infor-mierte Leser wird gleich entdeckthaben, daß es sich hierbei um eineZuordnungsübung handelt, die aller-dings interaktiv angelegt ist: Jeder

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Fremdsprache Deutsch 6

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_______________ möchte ihre Ferienam Meer verbringen.Sie schwimmt gern, geht gerne amStrand spazieren und ißt gerne Fisch. Aber sie interessiert sich auch für alteStädte und ihre Sehenswürdigkeiten.

______________ hatte viele Jahre einenBrieffreund in der DDR, den er jetztzum zweiten Mal besuchen möchte.Das erste Mal war es sehr aufregend,mit Visum, Grenzkontrollen,Anmeldung bei der Polizei. Sie habendamals ein wunderschönesSommerschloß besucht, jetzt wollen siesich auch das Holländische Viertelansehen: Häuser wie in Holland.

______________ wandert gerne stun-denlang durch den Wald, mit einerFreundin aus Berlin will sie von Jugend-herberge zu Jugendherberge wandernund auf den Brocken klettern, obwohlsie Angst vor Hexen hat. In der Schulehat ihr die Lehrerin von Goethe und sei-nem bekanntesten Drama, dem „Faust“erzählt. Darin feiern die Hexen eine tol-le Party auf dem Brocken.

_______________ hat gerade seinExamen gemacht und möchte Kunst stu-dieren, gleichzeitig aber auch Deutschlernen. Deshalb möchte er seine Ferienin einer schönen Landschaft verbringen,sich Museen mit berühmten Bildern vongroßen Künstlern anschauen – und seinDeutsch verbessern.

_______________ ist richtig neugierigauf das, was ihn erwartet. Ob er nochdas findet, was er auf vielen Fotos gese-hen hat? Die Stadt ändert jeden Tag ihrGesicht, hat man ihm gesagt. Von demBauwerk, das die Stadt so berühmtgemacht hat, ist fast nichts mehr zusehen – es wurde Stück für Stück ver-kauft.

_______________ interessiert sich fürLiteratur und Philosophie. „Da gibt esfür dich die Stadt in Deutschland“, hatsein Deutschlehrer gesagt. Ja, hier hatNietzsche gelebt und Goethe, Schillerund viele andere berühmte Schrift-steller.

Schüler in der Gruppe weiß etwas, wasder andere nicht weiß. Dieses Wissenund Nicht-Wissen führt dazu, daßSchüler auf der Basis von Bedeutungenmiteinander sprachlich handeln, lan-deskundliches Wissen erfragen undmitteilen und gleichzeitig kommuni-kative Ziele realisieren.

Die Personen-Karten

Die Personen fliegen gemeinsam ausder Hauptstadt ihres Landes nach Ber-lin, von dort geht es dann mit dem Zugweiter. Um die Identifikation derSchüler mit den Personen zu erleich-tern, bekommen diese am besten diejeweilige Nationalität der Schüler undlandesübliche Namen. Die Schüler kön-nen auch die Identität der Personenübernehmen (Ich-Form).

Das Wort des Jahres ‘91Sicher kennen Sie Steffi.1 Und natür-lich, wenn auch wahrscheinlich nichtunter diesem Namen, Gorbi.2 Wohlweniger bekannt, wenn auch vielälter, ist Ötzi.3 Wenn sie mich nichtbeim Vornamen nennt, sagt sie Papizu mir, meine Tochter, selten zwar,dafür sagt sie immer Omi.4

Wir kommen zum Thema, müssenuns nur noch zwei Sätze mit dem i-Suffix beschäftigen, das der deut-schen Sprache so kreative Schöpfun-gen erlaubt. Es sind vor allem Perso-nenbezeichnungen – individuelleoder kollektive (Ami 5), Kinderspra-che oft (Mami), Koseformen meist(Michi), besonders produktiv in derJugendsprache, in der es den Grufti 6,Sponti 7 und eine Tussi 8 gibt, um nureinige zu nennen. Es sind meistabgekürzte Personenbezeichnungen,wie gesagt, aber nicht immer, denn esgibt auch den Trabi 9, und der ist –erinnern Sie sich? – ein Auto, es gibt

den Brummi 10 und den Hunni 11.Jetzt bin ich beim Thema, aber dieseVorbemerkungen waren nötig, umden Zoni zu verstehen und den Bun-di: den aus der (Sowjetischen Besat-zungs-) Zone und den aus der Bun-desrepublik. Beide gibt es schonnicht mehr, ihre Nachfolger sind derOssi und der Wessi. Der eine lebt imOsten, in den fünf neuen Bundeslän-dern, der andere im Westen, in deralten Bundesrepublik.

Inzwischen gibt es Mauer und Sta-cheldraht nicht mehr, Ossis und Wes-sis treffen sich und lernen sich ken-nen. Man redet miteinander undübereinander. Zwei Ossis zum Bei-spiel: „Kennst du den Unterschiedzwischen Gott und einem Wessi?“ –„Gott weiß alles, und ein Wessi weißalles besser.“ 12

Und mit dieser Feststellung wardas Wort des Jahres 1991 geboren.Eine Jury, einberufen von der Wiesba-dener Gesellschaft für deutsche Spra-che, kürt es jedes Jahr. 1991 blieb derJury keine andere Wahl, es mußtesich für Besserwessi entscheiden.13

Anmerkungen1 Die wohl bekannteste Steffi ist Steffi Graf, Wimble-

don-Siegerin und lange Zeit Weltranglisten-Erste im Damen-Tennis.

2 Viele Deutsche und die Massenmedien, allen vor-an die Bild-Zeitung, nennen den Präsidentender ehemaligen UdSSR einfach nur Gorbi.

3 Ötzi heißt der als archäologische Weltsensationgeltende, neuesten Messungen zufolgte etwa5300 Jahre alte Gletschermann, der 1991 ineinem Gletscher im Ötztal in 3200 m Höhe alsMumie gefunden wurde.

4 Papa ist ihr zu brav und betulich, und die Omi fühl-te sich zu jung, um Oma oder gar Großmutter(wie bei den Grimms) zu heißen.

5 Die Amerikaner, meist im Singular: der Ami.6 Das sind ältere Menschen (von Gruft). Belegstelle

in R. Brunos „In-Deutsch“: „Ralf, wir wollen zuOma und Opa fahren!“ - „Nö, fahrt nur allein zuden beiden Grufties!“.

7 Angehöriger undogmatischer linksgerichteterGruppen (Duden, Rechtschreibung), die mitspontanen Aktionen von sich reden machen.

8 Ein Blick in den Duden verrät: umgangssprach-lich, oft abwertend für Mädchen, Frau, Freun-din. Abgeleitet von Thusnelda.

9 Eigentlich heißt er Trabant: der Pkw, auf denOssis vor der Wende rund 13 Jahre wartenmußten und für den Wessis inzwischen Lieb-haberpreise bezahlen.

10 Lastwagen.11 Ein Hunderter, ein Hundertmarkschein.12 Es gibt Umfragen, z.B. von Emnid, die belegen,

daß die Ossis die Wessis so erfahren, wie Siesich oft geben, nämlich gönnerhaft, arrogant,scharf aufs Geld, wie ein Besatzer.

13 Übrigens gibt es auch ein „Unwort des Jahres1991“, das eine Jury auf Initiative des Frankfur-ter Linguisten Horst Dieter Schlosser wählte.Es lautet in Anlehnung an Suffixbildungen mit-frei wie atomwaffenfrei, staubfrei usw.: „aus-länderfrei“. Berndi

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Fremdsprache Deutsch 6

Seit vielen Jahren arbeite ich inFrankreich mit Kindern von 9bis 13 Jahren und bemühe mich,

möglichst schönes, buntes, abwechs-lungsreiches Material zu benutzen.Vergessen wir nicht, daß Heranwach-sende in Mitteleuropa heutzutage Kin-der- und Jugendbücher mit großemLesekomfort und hübschen Illustratio-nen gewohnt sind. Darf da die Schulemit häßlichen, oft kaum mehr entziffer-baren schwarz-weiß Fotokopien arbei-ten? Das gilt ganz besonders für dieLandeskunde: Menschen, Feste, Bräu-che, Landschaften, Jahreszeiten,Städte. – In modernen Lehrwerken fin-den wir zwar oft auch schon eine viel-farbige Bebilderung, aber häufig sinddie Texte zu schwierig und vor allemfür jüngere Kinder zu trocken. Deshalbplädiere ich für den Einsatz von selbstgesammelten Bildern, die man leicht inStädte- und Reiseprospekten oder inZeitschriften wie „Brigitte“, „Freundin“usw. findet. Besonders schöne undbrauchbare Fotos fand ich in denWand- und Tischkalendern, die dasGoethe-Institut herausgibt.

Die folgenden Vorschläge zum spie-lerischen Umgang mit deutscher Lan-deskunde habe ich alle in meinen Klas-sen ausprobiert. Sie sind oft so flexibelangelegt, daß sie mit Anfängern undFortgeschrittenen gespielt und endlosabgewandelt, erweitert werden kön-nen. Sie bilden eine lockere Folge, beider dieselben Themen immer neuvariiert werden, ein dem Alter der 9-12jährigen angemessenes Vorgehen.

1. Gestalt des Landes

Lernziele: Deutschland kennenlernen,Städte, Flüsse, Berge, Meere situieren,Bundesländer ...

Allgemeiner Einstieg: Brainstor-ming zum Thema „Deutschland: Wasfällt euch dazu ein?„

Geographische Gestalt In der Klasse hängt eine große, bunteDeutschlandkarte. Der Lehrer zeigt,von oben nach unten gehend, einigeGroßstädte, Hauptflüsse, nennt sie, dieSchülerinnen und Schüler sprechen imChor nach.

Gruppen bilden. Die Schüler bekom-men kleinere Deutschlandkarten (DinA 4-Format), die auf kartonierte Bögenaufgeklebt sind. Zu zweit je eine Karteanschauen: Städte, Berge und Flüssewiederfinden.

Die Karten werden herumgedreht,um das folgende Spiel etwas zuerschweren. Jede Gruppe bekommtdieselbe Karte, aber als Puzzle, sowieeinen Arbeitsbogen, auf dem nur dieUmrisse Deutschlands vorgegebensind. Deutschland wird aus demGedächtnis wieder zusammengesetzt(auch als Wettspiel möglich).

Herstellen der Puzzles: Landkartenauf leicht kartonierte Din A 4-Bögenaufkleben, in Stücke zerschneiden.Kleine, zu komplizierte Formen ver-meiden. Auf der Rückseite der Puzzle-Teile jedes Set anders markieren,damit man sie nach dem Spiel nicht

vermischt. In Plastikbeuteln aufbewah-ren oder mit Büroklammern zusam-menheften.

Politische Gestalt Eine politische Wandkarte mit den ver-schiedenfarbig markierten Bundeslän-dern aufhängen. Der Lehrer zeigt undnennt die einzelnen Bundesländer.

Jetzt bekommen die Schüler wiederPuzzle-Teile. Diesmal rekonstituierensie das politische Deutschland (vorund nach der Vereinigung). Spielendbegreifen sie, daß Deutschland einBundesstaat ist. Wer z.B. das Puzzle-Teil Bayern angefaßt und eingeordnethat, weiß, daß es das größte Bundes-land ist und im Süden liegt (sieheAbb.).

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Deutschland-Puzzle:

Landeskunde zum AnfassenVariationen zu einem Thema · Von Irene Vrignaud

Mit ihren Deutschland-Puzzles für Kinder zeigt I. Vrignaud schöneBeispiele für eine spielerische, kindgemäß konkrete und aktiveEinführung in die elementaren geographischen Gegebenheiten

des Zielsprachenlandes, die sowohl die motorischen Bedürfnisseals auch die Phantasie der Kinder anspricht.

Ebenso interessieren sich Kinder für Feste und kulturelle Beson-derheiten. Enttäuscht vom Angebot der Lehrwerke, plädiert die

Autorin für selbstgesammelte, farbenfrohe, zu Spielenaufbereitete Landeskundematerialien.

Aus schnöden Kostengründen mußten auch wir uns leider mit derWiedergabe einiger ihrer sehr schönen, bunten Unterrichtsbei-

spiele in Schwarz-Weiß begnügen.

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Deutschland und seine NachbarnJetzt hängt in der Klasse eine großegeographische Europa-Karte. DerLehrer malt mit dickem rotem Filzstifteinen Kreis oder ein Herz um Deutsch-land herum. Schülerreaktionen abwar-ten, auch in der Muttersprache akzep-tieren oder als Wortfetzen zulassen,eventuell helfende Fragen stellen.

Beispiele fürspontane Schü-leräußerungen,mit denen manrechnen kann:„liegt in der Mit-te, im Herzenvon Europa“ –„hat viele Nach-barn, wenigKüste“ – „hatnicht so vielehohe Berge,

nicht so vieleSeen ...“

Nachbarländer findenund benennen lassen:

Die Schüler bekommenpartnerweise ein Arbeits-

blatt, auf dem die europäi-schen Länder in ihrenKonturen abgebildetund mit ihren jeweili-

gen Autokennzeichen mar-kiert sind. Die Schüler lesenerst die Buchstaben derAutokennzeichen, nennen

dann das dazugehörige Land undschreiben den Namen dazu.

Ein anderes Mal kann diese Übungzur Wiederholung variiert werden:

Dieselben Arbeitsblätter, diesmaljedoch ohne Autokennzeichen. DieSchüler beschriften die Blätter mit dengesuchten Autokennzeichen und Län-dernamen.

2. Landschaften undStädte

Puzzle-Wettspiel mit PosternAls Ausgangsmaterial nimmt manPoster mit Landschaften oder Städten,wie sie z.B. in Goethe-Instituten undReisebüros erhältlich sind (nicht geeig-net sind Karikaturen, Witz-Collagenoder Poster ohne photografische Rea-lität).

Wir brauchen, je nach Klassenstär-ke, drei oder vier gleiche Poster. Einsist zur Anschauung gedacht, die ande-ren werden auf leicht kartoniertesPapier geklebt und in größere Puzzle-Teile zerschnitten. Gruppen von vierbis fünf Schülern setzen im Wettspieldas Posterbild (ohne Vorlage) wiederzusammen.

Dieses Spiel läßt sich auch aufFeste und Bräuche übertragen, je nach-dem welchen landeskundlichen Aspektman vertiefen möchte und welchePoster zur Verfügung stehen

Puzzle mit KalenderblätternAusgangsmaterial sind großformatige,bunte Kalenderblätter (z.B. derGoethe-Kalender „Deutsch lernen.Deutschland kennenlernen“). Blätterauf weiß kartoniertes Papier aufkle-ben. Die einzelnen Blätter in vier bisfünf relativ große Teile zerschneiden.

Spielanleitung: Vier bis fünf Schülerspielen zusammen. Jeder bekommt einBildstück, keiner darf sehen, was derandere hat. Wichtig ist, daß in jedemPuzzle-Set ein „Fremdkörper“ enthal-ten ist, ein Puzzle-Teil also, das nichtzum Gesamtbild paßt. Zuerst spielendie Schüler innerhalb einer Gruppe, siefragen, benennen, beschreiben und fin-den heraus, wer den „Fremdkörper“hat.

Ist dieser fremde Bildteil erkannt,wendet man sich an eine Nachbargrup-pe und versucht zu erfragen, ob dortdas fehlende Bildstück sitzt.Etwa: „Habt ihr Schnee?“ – Ja.

„Habt ihr Skiläufer?“ – Ja.„Ist da ein See drauf?“ – Nein.

Sobald eine Gruppe mit „Nein“ antwor-tet, darf sie weiterfragen (ähnlich wie

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Schülerinnen beim Puzzle-Spiel zur Gestalt desLandes

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Fremdsprache Deutsch 6

bei Quartett-Spielen). Es gewinntnatürlich die Gruppe, die zuerst ihrvollständiges Bild vorweisen kann.Eventuell stellt sie es vor, etwa: „Beiuns ist Winter. Wir sind in den Bergenund machen Skiferien etc...“.

Landschaften ratenAls Ausgangsmaterial eignen sich wie-der bunte, großformatige Kalender-blätter. Nur Bilder mit typischen Land-schaftsmerkmalen verwenden: Lüne-burger Heide, Ostseestrand mitStrandkörben, Alpenlandschaft, Braun-kohletagebau bei Leipzig usw.

Zunächst nur drei bis vier Bilderzeigen. Die Schüler stellen Vermutun-gen an, wo das sein könnte undbegründen, warum es da und nichtwoanders sein muß. Der Lehrer gibtInformationen, stellt weiterhelfendeFragen.

Spiel: Ein Schüler setzt sich vor dieKlasse mit einem Bild, das er sich aus-gesucht hat, das aber die anderenSchüler nicht sehen können. Er sagt:„Ich kenne einen Ort, den ihr nichtkennt.“ Die anderen müssen herausfin-den, wo er ist. Sie stellen Fragen, dienur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortetwerden.Z.B.: „Bist du am Strand?“ – „Nein.“

„In den Bergen?“ – „Nein.“„Ist da viel Wald?“ – „Nein.“

Das Spiel läßt sich beliebig variierenund auf andere Bereiche ausweiten:Städte, Feste, Sport, Ferienaktivitäten.

Rollenspiele können angeschlossenwerden, etwa: Im Reisebüro.

Kurze Texte können geschriebenwerden, etwa: eine Postkarte aus denFerien.

Leichte Verse können hinzugenom-men werden.Z.B.: Grün ist das Land

Rot ist die Kantweiß ist der Strand -das sind die Farben von Helgoland.

3. Feste, Bräuche, Spezi-alitäten und „typisch

deutsche“ DingeMotive sind z.B.: Kuckucksuhren,Nußknacker, Käthe Kruse-Puppe, Gar-tenzwerge, Knusperhäuschen, Christ-baumschmuck, Weihnachtsstollen,Adventskranz, Karnevalsmasken usw.

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Landestypische Dinge und Spezialitäten.Zuordnen von Texten und Bildern.■■ Gartenzwerg ■■ Käthe Kruse-Puppen

■■ Knusperhaus ■■ Kuckusuhr

■■ Nußknacker ■■ Lebkuchenherz ■■ Christstollen

Schreibt die richtige Nummer in dieKästchen oben.Beispiel: ■■5 Gartenzwerg

Das Kästchenspiel mit Bildkarten

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Fremdsprache Deutsch 6

Viele dieser Motive findet man inMemory-Spielen, auch kleinformatigePhotos aus Prospekten und Kalenderneignen sich.

Zuordnung: Wie heißt das?Die Bildmotive werden auf einemArbeitsblatt nebeneinandergruppiert;in einem Schüttelkasten liegen diedazugehörigen Bildunterschriften.

Texte und Bilder werden jetzt ein-ander zugeordnet.

KästchenspielDie Bilder des Arbeitsblattes gibt esjetzt noch einmal als Bildkärtchen.Handliches Format ist wichtig (etwa 7x 8 cm).

Herstellen der Kärtchen: Bilder aufleicht kartoniertes weißes Papier auf-kleben, unter dem Bild Platz lassen fürdie jeweilige Bildvokabel. Auf der Rück-seite können landeskundliche Informa-tionen stehen (z.B.: Kuckucksuhr ausdem Schwarzwald, der Kuckuck er-

scheint zur vollen oder halben Stundeund „sagt“ die Zeit an).

Pappkästchen mit mehrerenFächern anfertigen.

Zwei Schüler/Schülerinnen bekom-men ein Kästchen und spielen. Dereine zieht eine Karte so weit heraus,daß die Bildvokabel noch verdecktbleibt, die andere benennt das Motiv.Bei richtiger Antwort wandert die Kar-te weiter, bei falscher Auskunft bleibtsie im ersten Fach. Die Karten werdenmehrmals durchgespielt. Ziel ist, mitvielen richtigen Antworten die Kartenbis ins letzte Schubfach durchwandernzu lassen.

4. Deutschland-Collagen

Im Laufe des Schuljahres, in Sprachfe-rienkursen oder bei Thematagen einebunte Dokumentation zu einer Stadt,einer Gegend, einem Fest zusammen-tragen. Material wird von Schülern undLehrer mitgebracht, etwa: Postkarten,Photos, Prospekte, Kalenderblätter,Stadtpläne, Geldscheine usw. (Vielesist zu beziehen über Goethe-Institute,

Reisebüros, Deutsche Bundesbahn,Deutsche Bundesbank, Inter Nationesoder Verkehrsämter der einzelnenStädte).

In Gruppenarbeit Collagen anferti-gen lassen. Aufgabenstellung könntesein:

• Eine Reise durch Bayern• So sehen wir Deutschland• Berlin gestern und heute• Das ist Dresden

Jede Gruppe sucht aus der Fülle desAngebots die Bilder aus, die ihr gefal-len. Sie findet Überschriften, fülltSprechblasen, ergänzt durch Zeichnun-gen und Karikaturen. Auch die skuril-sten Souvenirs, z.B. Hutfedern undBierdeckel dürfen integriert werden.Der Phantasie sind keine Grenzengesetzt. Ist die Collage fertig, kommen-tiert jede Gruppe ihr Werk. Die anderenstellen Fragen. Dialoge entstehenerfahrungsgemäß ganz von allein. AlleCollagen werden im Klassenraum aus-gestellt.

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Bildcollage: Eine Reisedurch Bayern

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Fremdsprache Deutsch 6

1. „Wir sind verschieden“Betrachtet man derzeit die Praxis des Unter-

richts Deutsch als Fremdsprache, so erweistsich allerorten der Mangel an aktuellen landes-kundlichen Arbeitsmaterialien als großes Pro-blem. Nicht nur daß die landeskundlichenAbschnitte vieler Lehrbücher inzwischen ein-fach überholt sind und die Neubearbeitungennoch auf sich warten lassen; die Zeit ist auch soschnellebig, daß wirklich aktuelles Materialkaum mehr zu erarbeiten ist.

Durch Zufall stieß ich in dieser Situation aufden Band von Helga Moericke „Wir sind ver-schieden“1. Die Lehrerin aus West-Berlin nahmunmittelbar nach dem Fall der Mauer gemein-sam mit den Schülern des Friedrich-Engels-Gymnasiums in West-Berlin Kontakt zur gleich-namigen Erweiterten Oberschule2 in Ost-Berlinauf. Unter dem Eindruck dieser ersten, natür-lich für alle Beteiligten sehr spannenden Begeg-nung, entschloß sie sich, Schüler aus West undOst zu ihren Befindlichkeiten nach der Mau-eröffnung, ihren Lebensentwürfen und Zu-kunftsvorstellungen zu befragen. Die Ergebnis-se veröffentlichte sie 1991 im o.g. Band.

Nicht nur für Lehrer stellen dieseSchüleräußerungen eine interessante Lektüredar. Ich halte sie aus verschiedenen Gründenauch für den Deutschunterricht selbst für gutgeeignet. Zum einen kann mit ihrer Hilfe, diewest- und ostdeutsche Perspektive in denUnterricht eingebracht werden; eine Forde-rung, die mir unter den derzeitigen Bedingun-gen zwar nicht immer leicht realisierbar, aberdoch sehr wichtig erscheint. Zum anderen wirdin den Schüleräußerungen auf AlltagsproblemeJugendlicher Bezug genommen, die Vergleichezur Lebens- und Erfahrungswelt ausländischerAltersgenossen anregen. Nicht kurzlebigeDaten und Ereignisse stehen hier im Mittel-

punkt, sondern Befindlichkeiten, Sorgen undTräume 17-19jähriger. Es war gerade die Mög-lichkeit, Schüler zu Schülern über die komplexeThematik des deutschen Einigungsprozessessprechen zu lassen, die letztendlich diesen Bei-trag anregte.

Der folgende Unterrichtsvorschlag beziehtsich auf den Einsatz der Schülertexte imSekundarschulbereich; damit meine ich im wei-testen Sinne die Arbeit mit Jugendlichen, diebereits über fortgeschrittene Deutschkenntnis-se verfügen. Ich habe für diesen Beitrag dreiSchüleräußerungen ausgewählt und gekürzt.Bei der Arbeit mit diesen Texten solltengrundsätzlich die in ihnen potentiell angelegtenMöglichkeiten für einen Rückbezug zur Erfah-rungswelt der ausländischen Schüler produktivgemacht werden. Parallel dazu halte ich esjedoch für ebenso wichtig, die natürlicheDistanz, die möglicherweise vor allem zu denTexten der ostdeutschen Jugendlichen besteht,nicht gewaltsam überbrücken zu wollen. Auchdie Erfahrung von Distanz, die ja zugleich undvor allem eine Erfahrung von Fremde ist, kanngleichberechtigt als Ziel und Ergebnis derBetrachtung fremdsprachiger Texte im Unter-richt angesehen werden. Gerade bei interkultu-reller Betrachtungsweise muß Fremdsprachen-unterricht nicht Verstehen um jeden Preis for-dern. Andererseits können diese Texte auchdazu beitragen, Verständnis zu entwickeln undrein sachliche Informationen über die Situationin Deutschland nach der Vereinigung mit Lebenzu erfüllen.

Je nach Unterrichtssituation, Vorkenntnis-sen der Schüler und unter Berücksichtigungder räumlichen Distanz zum Schauplatz der Er-eignisse sollte die Arbeit mit diesen Texten ineine größere Unterrichtseinheit zum Thema„Situation in der ehemaligen DDR“ „HistorischeEntwicklung seit 1989“ eingebettet sein. Damit

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So sehen wir das!Schüler texte aus Ost und WestVon Katrin Drechsel

Gewiß! Die deutsche Vereinigung, das sind auch Daten und Fakten. Mehr als das aber interessiertjugendliche Deutschlernende, wie deutsche Jugendliche in Ost und West diese Veränderungen erleb-ten und wie sie darauf reagieren. Katrin Drechsel stellt ein Buch vor, in dem betroffene Schüler sichäußern, und sie zeigt an drei Texten, wie man damit im Unterricht arbeiten kann.

Page 44: Fremdsprache Deutsch Landeskunde Heft 6/1991

Fremdsprache Deutsch 6

wäre der Zugang zu den Texten, die etwa zwi-schen Mai und Juni 1990 entstanden, und ihrezeitliche Einordnung erleichtert. Als Nachschla-gewerke seien an dieser Stelle der „FischerWeltalmanach 1990. Sonderband DDR“3 undder Materialienband „Aufbrüche. Dokumentati-on zur Wende in der DDR.“4 empfohlen. Letzte-res kann auch über die Goethe-Institute im Aus-land bezogen werden.

2. Zur Arbeit mit den Texten

Ziel der Arbeit mit den Texten ist, daß die Schü-lerinnen und Schüler über die Textinhalte mit-einander ins Gespräch kommen und das Gele-sene mit den vermittelten Daten und Faktenlebendig verbinden. Eine wichtige Motivationzur Beschäftigung mit den Texten ist sicher derHinweis, daß in den Texten gleichaltrigeJugendliche aus West und Ost zu Wort kom-men, die vor dem Fall der Mauer kaum Gelegen-heit hatten, miteinander in Kontakt zu kom-men, und die von dem jeweils anderen eigent-lich recht wenig Konkretes wissen. DieSpannung, die in einer solchen ersten Begeg-nung liegt, kann herausgearbeitet und als Moti-vationsfaktor genutzt werden: Was denken sieübereinander? Wie ist ihr bisheriges Leben ver-laufen? Welche Erfahrungen haben sie mitein-ander gemacht?

Für die ganze Unterrichtseinheit empfehleich Arbeit in Gruppen von 3-5 Schülern.

Erster Schritt: Erschließen des TextinhaltsJeweils eine Schülergruppe erhält einenSchülertext mit der Aufgabe herauszufinden,woher der Verfasser/die Verfasserin stammtund diese Auffassung am Text zu begründen.Jede Gruppe stellt dann „ihren“ Autor denanderen kurz vor. Die Arbeit in Schülergruppenhat den Vorteil, daß die Lerner von Anfang andie Möglichkeit erhalten, sich untereinanderüber das Gelesene zu verständigen. Auchsprachliche Probleme können so zuerst einmalin der Gruppe diskutiert werden. Es ist sichersinnvoll, diese Phase zeitlich zu begrenzen unddamit die Schüler anzuhalten, sich beimErschließen des Inhalts auf das Wesentliche zukonzentrieren.

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Fabian M., 19 Jahre, West-BerlinVom Tellerwäscher zum Millionär

„Bei dem ersten Treffen mit Schülern von Friedrich-Engels-Ost haben die meisten von uns gedacht: Wiebitte, die sollen aus dem Osten kommen? ... Sie tru-gen Levis’ Jeans, hatten zum Teil gefärbte Haare,die wenigsten waren mit DDR-Schuhen unterwegs –wobei die DDR-Bürger normalerweise an den Schu-hen identifizierbar sind. Selbst vom Gesichtsaus-druck her wirkten sie nicht ‘ostmäßig’.

Einmal bin ich nach der Maueröffnung auf denAlexanderplatz gefahren, und die Menschen mach-ten, pauschal gesagt, den Eindruck als wären siegraue, blasse Arbeitermäuse, alle einheitlich. An denAugen sind die DDR-Bürger zu erkennen, oft guckensie verschreckt, eingeschüchtert, ja ungläubig in dieWelt. Das war bei den EOS-Schülern nicht so.

Auch von der Art der Argumentation her warensie ausdrucksstark, mir kamen sie durchweg inter-essierter und politisch viel gebildeter als die meistenunserer Schüler vor. Sie wußten – das muß manzugeben – selbst über unser RegierungssystemBescheid. ...

Darüber hinaus war ihnen die Anonymität unterden Westschülern fremd. Über letzteres habe ichvorher so nicht nachgedacht, muß ihnen aber rechtgeben. Von den neunzig Leuten meines Abiturjahr-gangs kenne ich vielleicht vier oder fünf ziemlichgenau, von den anderen weiß ich oft nicht einmalden Nachnamen. Die DDR-Schüler erzählten, daß siemehr oder weniger zwangsweise mindestens zweiNachmittage pro Woche in schulische Aktivitätenverwickelt gewesen seien. Beim Vorbereiten vonAusstellungen oder bei Sportwettkämpfen wird esetwas lockerer zugegangen sein, die Leute sind sichnähergekommen. Möglicherweise hat der Druck vonoben bewirkt, daß ein Zusammengehörigkeitsgefühlentstand.

Wer verbringt denn bei uns seine Nachmittage inder Schule? Sport läuft über den Verein, und dieIdentifikation von Schülern und Lehrern mit derSchule ist so gering, daß die wenigsten freiwillignachmittags etwas gemeinsam unternehmen. ... DieSchule fördert meines Erachtens selbständiges, kriti-sches Denken, Eigenständigkeit und Individualität.Für einen Gruppenzusammenhalt ist das nicht unbe-dingt förderlich. Vielleicht ließe es sich in einer gut-en Klassengemeinschaft – die gibt es bei uns kaumnoch – tatsächlich leichter lernen. Mag sein, daß eseinigen DDR-Leuten tatsächlich auf der menschlich-persönlichen Ebene besser ging als uns. Pauschal imSinne von schwarz-weiß, schlecht-gut, sollte man dieunterschiedlichen Schulsysteme nicht abtun.“ (S.56–58)

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WORTERKLÄRUNGEN:EOS: Erweiterte Oberschule: Schulen in der DDR, die zum

Abitur führten.

Friedrich-Engels-Ost: EOS „Friedrich Engels“ in Ost-Berlin.

Alexanderplatz: einer der größten und wichtigsten Plätze inOst-Berlin.

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Zweiter Schritt: Schlüsselbegriffe herausarbeitenUm die „Schlüsselbegriffe“, die nicht notwendi-gerweise im Text selbst genannt werden, her-auszufinden, können die Schülerinnen undSchüler zunächst von thematischen Schwer-punkten in den Äußerungen, die sie vielleichtbesonders interessant oder aber auch schwerverständlich finden, ausgehen. Die Gruppensollten versuchen, sich auf einen oder zweiBegriffe zu einigen. Möglich wären z.B.: „Gren-ze/Mauer“, „Freizeit“, „Heimat“, „Ehrlichkeit“,„Freundschaften“, „Begegnungen mit anderen“,„Konsum“ u.a. Anschließend werden dieseBegriffe im Plenum zusammengetragen. Alleinihre Vielfalt kann bereits in diesem Abschnittals Zeichen für die Komplexität der angespro-chenen Probleme bewußtgemacht werden.

Dritter Schritt: Bedeutungsmerkmalevon Begriffen konfrontierenMit Hilfe entsprechender Fragestellungen (z.B.:„Was verbindet sich für euch mit diesen Begrif-fen?“) können die Schüler aus ihrer, der mutter-sprachlichen/eigenkulturellen Sicht sogenann-te „Assoziogramme“ erarbeiten. Schön wäre es,wenn ihnen dafür Pinnwände oder zumindestgroße Blätter zur Verfügung gestellt werdenkönnten, so daß die Arbeitsergebnisse dereinen Gruppe auch für die anderen sichtbarsind. In anderer Farbe werden dann die mutter-sprachlichen Assoziogramme durch die Äuße-rungen der deutschen Schüler zu dem jeweili-gen Begriff/Thema ergänzt. Eine Diskussion imPlenum schließt diese Phase ab. Dabei kannjede Gruppe ihr Assoziogramm vorstellen, aufUnterschiede und/oder Gemeinsamkeiten beimErschließen des Begriffs hinweisen sowie Ver-mutungen über eventuelle Gründe für Differen-zen äußern und zur Diskussion stellen. Wichtigist dabei, daß die Ergebnisse der einzelnenGruppen für alle sichtbar sind. So wird es mög-lich, Querverbindungen zu ziehen und Verglei-che zwischen den Äußerungen west- und ost-deutscher Schüler anzuregen. Auch die Aus-wahl der Begriffe kann bereits Ansätze zuVergleichen bieten. Bei diesem Austausch vonMeinungen, der erfahrungsgemäß zu lebendi-gen Diskussionen führt, wird das Unterrichts-

Thorsten W., 18 Jahre, Ost-BerlinEs ging alles viel zu schnell!

„Insgesamt war mein erster Eindruck vom Westen,daß alles viel normaler ist, als ich gedacht hatte. Einzweiter Eindruck war, daß die Unterschiede zumOsten gewaltig sind und mein jetziger ist eineMischung daraus. Einerseits gibt es erstaunlicheGleichheiten: die gleichen Typen, die Karrieremachen. Andererseits sind die Grundlagen, die Vor-aussetzungen andere, einfach der Unterschied imReichtum.

Insgesamt fühlte ich mich nach meinen erstenBesuchen in West-Berlin völlig überfordert von denvielen Reizen, den Informationen, die an michgerichtet waren durch Werbung, durch Zeitungen,durch die ganze bunte, laute Stimmenwelt. Das ver-führt dazu, glaube ich, nicht mehr selbst auszusu-chen, sondern nur noch aufzunehmen, was einemrichtig präsentiert wird. So etwas kennen wir in derDDR nicht. ...

Dann habe ich noch festgestellt, daß ich zu West-deutschland keine Beziehung habe. Es interessiertmich nur wenig mehr als Polen oder Rußland. So ste-he ich der Wiedervereinigung gelassen gegenüber;ich habe mit diesem Land abgeschlossen, habe keinHeimatgefühl, glaube ich, ich habe es allerdings nieauf die Probe gestellt. Mein Heimatgefühl gilt meinerFamilie, meinen Freunden, meiner Wohnung, viel-leicht noch Berlin. ...

Zu West-Berlin habe ich eine starke Beziehung. Ichfreue mich jedesmal, wenn ich über einen Grenzü-bergang fahre, der zwei Straßen getrennt hat. MeineMutter durfte als Regisseurin ab und zu rüber,natürlich ohne uns Kinder, das war undenkbar. Sohatten wir viele Freunde in Westdeutschland undWest-Berlin, auch solche, die hier lebten und alsJournalisten für westdeutsche Zeitungen arbeiteten.Für mich gab es ständig die Konfrontation damit,daß jemand zu Besuch da war, der eben die Grenzeüberquert hatte und gleich wieder fahren würde, umdrüben einzukaufen. Alle Konsumartikel, die mirwichtig waren, habe ich aus dem Westen mitgebrachtbekommen, von Klamotten bis Radio. Außerdemhaben wir sowieso nur Westsender gehört und gese-hen.

Dadurch entstand eine ganz komische Situation,man hat einerseits eine starke Beziehung zu diesemWesten und andererseits eine absolut unnatürliche,weil man ihn nie mit eigenen Augen gesehen, nieberührt hat. Da baut sich eine Märchenwelt auf, undman stellt die merkwürdigsten Theorien über diesesunbekannte bekannte Land auf. Manchmal, wennich Zeit hatte, bin ich zum Brandenburger Tor spa-ziert, habe rübergeschaut und hatte ganz komischeGefühle dabei.“ (S.11/12)

WORTERKLÄRUNGEN:Westsender: im Sprachgebrauch der DDR Bezeichnung fürRadio- und Fernsehsender der Bundesrepublik.

Brandenburger Tor: Wahrzeichen von Berlin; wurde nach demBau der Berliner Mauer 1961 zum Symbol des geteiltenBerlin; am 22.12.1989 wieder geöffnet.

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ziel – über das Gelesene ins Gespräch zu kom-men – auf natürliche Weise erreicht: Nachdemsich die Schülerinnen und Schüler in den Grup-pen intensiv mit einer konkreten Schüleräuße-rung auseinandergesetzt haben, soll dasgemeinsame Gespräch an dieser Stelle nun hel-fen, die unterschiedlichen Eindrücke und Per-spektiven zu einem bunten Ganzen zusammen-zufügen.

Vierter Schritt: SchreibauftragZum Abschluß dieses Themenkomplexes könn-ten die Schülerinnen und Schüler z.B. „Briefe andie Jugendlichen“ schreiben. Dabei könnten sieFragen stellen, erzählen, was ihnen aufgefallenist, ihre Meinung zum Dargestellten äußern,ihre eigene Befindlichkeit darstellen. Jeder ein-zelne hätte damit noch einmal die Chance,selbst aktiv in den „Dialog“ einzutreten. Für denLehrer bietet sich hier die Möglichkeit, an denschriftlichen Äußerungen der Schüler weiterzu-arbeiten.

SchlußbemerkungDie Verbindung von Texterschließung mit derArbeit am Bedeutungsumfang von Begriffen istvor allem deshalb lohnend, weil den Schülernso die Beziehungen verdeutlicht werden kön-nen, die zwischen der Bedeutung eines Begrif-fes, seiner inhaltlichen Füllung also, und demjeweiligen gesellschaftlichen Kontext, auf dener sich bezieht, bestehen. Die Erkenntnis, daßSprache nicht losgelöst von der Wirklichkeitexistiert, in die sie eingebettet ist, daß Begriffelandeskundliche Inhalte transportieren, ist fürdas Erlernen einer Fremdsprache von zentralerBedeutung. Mein Vorschlag will dazu ermuti-gen, den Zugang zu fremder Wirklichkeit auchauf diese Weise, also vom Begriff ausgehend, zuversuchen.

Anmerkungen:1) Moericke, Helga (Hg.): Wir sind verschieden. Lebensentwürfe von

Schülern aus Ost und West. Luchterhand 1991. Frankfurt/M.Wer weitere Schülertexte sucht, dem sei auch der folgende Band

empfohlen: Ich weiß nicht, ob ich froh sein soll. Kinder erle-ben die Wende. Verlag Metzler, 1991.

2) Erweiterte Oberschule (EOS): Schulen in der DDR, die zum Abiturführten.

3) Fischer Weltalmanach: Sonderband DDR. Fischer TaschenbuchVerlag, Frankfurt/M. 1990.

4) Angermann, H./Drechsel, K./Kröber, H./Müller, B.-D./ Schmidt, H.-W.: Aufbrüche. Dokumentation zur Wende in der DDR.Goethe-Institut, München 1991.

Georgia F., 18 Jahre, Ost-BerlinIch war das FDJ-Vorzeigekind

„In der 8. Klasse habe ich mich mit Elke, einer Klas-senkameradin angefreundet, die mir eigentlich überviele Jahre sehr fremd gewesen war. Ich hatte sienie verstanden, sie war jemand, die nachhakte, diefragte und laut eine andere Meinung vertrat. Mit ihrhabe ich viel gesprochen, und ganz allmählich fingich an, selbst nachzudenken, nicht mehr alles, wasvorgesetzt wurde, zu schlucken. Elke blieb die offen-sivere, aber nach und nach wurden wir ein einge-spieltes Team. Sie hob den Finger, und alle wußtenschon, jetzt kommt wieder: Ich sehe das ganzanders. Ich konnte sie unterstützen, und so habenwir viele Diskussionen provoziert. ...

Der Widerspruch zwischen dem, was gelehrt undgesagt wurde, und dem was man täglich erlebt hat,war riesengroß. Es war gut für mich, darüber wenig-stens in Ansätzen zu sprechen. Gelehrt wurde uns:Im Mittelpunkt steht der Mensch! Das hat mich auszweierlei Gründen gestört, bei uns stand nicht derMensch im Mittelpunkt, sondern die papierene Müh-le der Bürokratie. Darüber hinaus fand ich den Den-kansatz falsch: Für mich steht im Mittelpunkt dieNatur mit Menschen, Tieren und Pflanzen alsGesamtheit, nicht allein der Mensch, der eigentlicheVerursacher der Weltprobleme. ...

Zugespitzt hat sich die Situation durch die Ausrei-sewelle. Auch ich ertappte mich bei dem Gedankenrüberzugehen. In der 5. Klasse war ich bei einerKlassenkameradin zum Geburtstag eingeladen, beiihr standen Berge von Spielzeug rum, und sie hatuns aufgefordert, uns davon etwas auszusuchen, dasie nach München gehe und unmöglich alles mitneh-men könne. Da ist für mich eine Welt eingestürzt,eine Schulkameradin ist einfach weg, es war fürmich beinahe so, als wäre sie gestorben. ÜberAusreiseanträge, über Heirat sind immer wiederFreunde und Bekannte aus meinem Leben ver-schwunden. Das hat Narben hinterlassen und eineständige Unruhe in mir. ...

Mein derzeitiges Tagebuch beginnt mit einem Aus-spruch von Bernard Shaw: Wir müssen davon ausge-hen, daß das Wertvollste, was wir besitzen, dieZukunft ist. Wir werden nicht durch die Erinnerungan unsere Vergangenheit weise, sondern durch dieVerantwortung für die Zukunft. Nach diesem Leit-satz möchte ich mein Leben einrichten.“ (S.120–123)

WORTERKLÄRUNGEN:FDJ: Freie Deutsche Jugend; sozialistische

Jugendorganisation der DDR; in ihr waren die meistenJugendlichen der DDR organisiert.

rübergehen <umgangsspr.>: eigentlich: hinübergehen; in derDDR verwendet für: ausreisen; die DDR verlassen.

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Auch nach dem Beitritt der DDR zurBundesrepublik Deutschland sind diegroßen Unterschiede zwischen demWesten und dem Osten Deutschlandsnicht einfach aus der Welt geschafft.Das betrifft nicht nur wirtschaftlicheVerschiedenheiten oder sogar Gegen-sätze, sondern mehr noch unterschied-liche Befindlichkeiten der Menschen –die Herkunft „DDR“ wird sicher nochgeraume Zeit Gefühle und Lebensweiseder Menschen im Osten der Bundesre-publik Deutschland kennzeichnen. Das

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R E I S E NWie war das damals?

Wie ist es heute? Wie könnte es werden?Eine Dokumentation von Ulrich Zeuner

Das Thema „Reisen/Ausreisen“ war einzentrales Thema, das die Menschen in derehemaligen DDR bewegte und in Konflikt zuden Regierenden brachte. Der Sehnsucht derMenschen, Grenzen zu überschreiten und zureisen, dem Drang, die eigenen, beengtenVerhältnisse wenigstens vorübergehend zuverlassen, setzten diese restriktive Reisebe-stimmungen, eine 1378 km lange, verminte,streng bewachte Westgrenze und 107 kmBerliner Mauer entgegen. Dieselbe Sehnsuchtläutete 28 Jahre später, als Hunderttausendeauf die Straße gingen und Zehntausendeflüchteten, das Ende der DDR ein. Wie war das damals? Wie ist es heute? Wiekönnte es werden? Ulrich Zeuner aus Dresdenhat zu diesen Fragen Materialien und Informa-tionen zusammengestellt. Einige der Materialien kann man auch gut imUnterricht verwenden.

Abb 1: Aus: Dietmar Gohl: Deutsche Demokratische Republik. Eine aktuelleLandeskunde. Fischer TB 1986

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stisch wenig erschlossen war: Hier gabes fast ausschließlich Campingplätze.Wintersport wurde besonders imThüringer Wald und im Erzgebirgebetrieben.

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Gefühl des Eingesperrtseins, dasNichtreisenkönnen, die plötzliche Frei-heit des Reisendürfens nach Öffnungder Grenzen im November 1989 undder Umgang mit dieser neuen Freiheit– all dies kann Momente solcherBefindlichkeiten verdeutlichen.

1. Reisen, wohin derStaat es will

Urlaub und Reisen in der DDRAugust ´61: Unsere Bewegungsfreiheitim Urlaubsort Zinnowitz war drastischeingeschränkt, es herrschte Quarantänewegen Ruhr auf dem benachbarten Zelt-platz. Wir durften Zinnowitz nicht ver-lassen. In diese beklemmende Situationhinein traf DIE NACHRICHT. Am 13.August. Eingesperrt. Durch eine Mauer.Ein Ring legte sich um unser Denkenund Fühlen. Das wird nicht lange dau-ern, hofften wir. Es dauerte 28 Jahre ...(Erinnerung. In: Die Union, Dresden 11. 11. 1989)

Der Spielraum für die Mobilität derMenschen war in der DDR sehr einge-schränkt. Erholung und Freizeit wur-den von der herrschenden Ideologieals ein Hauptbereich „sozialistischerKultur“ angesehen, die wie alles imLand „planmäßig“ zu entwickeln war.Planmäßig hieß zum Beispiel auch,daß die Menschen ihre Urlaubspla-nung sehr zeitig abschließen mußten –für einen Zeltplatz in einem Hauptrei-segebiet war eine Anmeldezeit voneinem Jahr erforderlich.

Eine freie Entscheidung über dasReiseziel war in vielen Fällen nichtmöglich. Der DDR-Bürger als Touristmußte sich vor allem auf Inlandszieleeinstellen. Dabei boten allerdings dieErholungslandschaften mit ihrenNaturschönheiten und Städte wieDresden, Potsdam, Berlin (Ost),Erfurt, Leipzig, Weimar und Eisenachviele Möglichkeiten für Erholung undBildung. Der größte Teil des Urlauber-verkehrs in der DDR war gesellschaft-lich organisiert, über die Hälfte derFerienplätze wurde durch die Staats-gewerkschaft FDGB (Freier DeutscherGewerkschaftsbund) über deren Feri-endienst in den Betrieben vergeben(zweiwöchig und durch hohe Subven-tionen sehr billig).

Eine wichtige Rollespielten Ferienheime undCampingeinrichtungen.Etwa ein Viertel derUrlauber war auf denüber 500 staatlichenCampingplätzen zu fin-den, denn das Angebotan Privat- und Hotelun-terkünften war begrenzt.

An erster Stelle derReiseziele innerhalb derDDR stand die Ostseekü-ste mit etwa einem Drit-tel aller möglichen Feri-enplätze. Trotzdem warsie selten erreichtesWunschziel vieler Urlau-ber. Für über ein Drittelhieß OstseeurlaubUrlaub auf dem Zeltplatz.Der Thüringer Wald mitFriedrichsroda als zweit-größtem Ferienort derDDR und die SächsischeSchweiz (Elbsandstein-gebirge) nahmen imUrlauberverkehr denzweiten und dritten Platz nach derOstseeküste ein. Auch im Harz und imMecklenburger und BrandenburgerSeengebiet wurde gern Urlaubgemacht, wobei das letztere touri-

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Reisen ins AuslandDie Auslandsreise war die stille Sehn-sucht der meisten DDR-Bürger. Einerestriktive Reisegesetzgebung (siehe„Verordnung über Reisen …“ auf S. 50sowie „Reiseantrag“ und „Ablehnung“auf S. 49) ließ hier jedoch besonderswenig Spielraum. Wichtigste Reiselän-der wurden nach 1972 (Wegfall desVisumzwangs) die damalige C̆SSR (heu-te C̆SFR) und Polen. Der Reiseverkehrmit Polen wurde allerdings nach 1981aus Furcht vor Solidarnosc-Einflüssenbis auf einen organisierten Jugend-austausch wieder weitgehend unter-bunden.

Immer problematischer wurde esauch, eine Privatreise ins Ausland zufinanzieren, da die DDR-Mark als reineBinnenwährung außerhalb des Landesnichts wert war und nur sehr begrenz-te Tagessätze der jeweiligen Landes-währung getauscht werden konnten.Man mußte sich also reichlich mit Ver-pflegung von zu Hause eindecken undeinen möglichst billigen Zeltplatz fin-den, um z. B. zehn Tage Urlaub inUngarn finanzieren zu können.

2. Der Durchbruch: 9./10. November 1989

... Es dauerte 28 Jahre. Ab gestern nachtnun ist dieses Bauwerk nach beiden Sei-ten durchlässig. Die Menschen, die sichmitten in der Nacht aufmachten, umbloß mal hinüber – und wieder herüberzu gehen, kommen mir wie Kinder vor,die vorsichtig probieren, ob das Eis trägt,die blinzeln, ob der Mitspieler beimHimmel- und Hölle-Hüpfen nicht hin-schaut, wenn sie den Strich übertreten.Sie waren voll von ganz ursprünglicherFreude: Etwas ist geschafft. Ihre Füße aufden Straßen unserer Städte haben esgeschafft: ein Stück Normalität ...(Erinnerung. In: Die Union, Dresden 11. 11. 1989)

Die Nachricht(Agenturmeldung)

VÖLLIG ÜBERRASCHEND MACHTE SED-POLITBUERO-MITGLIED GUENTER SCHA-BOWSKI IN EINER INTERNATIONALEN PRESSEKONFERENZ AM DONNERSTAGABEND IN OST-BERLIN DIE SENSATIONELLE MITTEILUNG. (WORTAUSZÜGE)SCHABOWSKI. „MIR IST SOEBEN MITGETEILT WORDEN, PRIVATREISEN NACHDEM AUSLAND KOENNEN OHNE VORLIEGEN VON VORAUSSETZUNGEN,REISEANLAESSEN UND VERWANDTSCHAFTSVERHAELTNISSEN BEANTRAGTWERDEN ... DIE AUSREISEN KOENNEN UEBER ALLE GRENZUEBERGANGSSTEL-LEN DER DDR UND BRD ERFOLGEN....“FRAGE: „WANN?“SCHABOWSKI: „NACH MEINER KENNTNIS SOFORT, UNVERZÜGLICH..“ FRAGE. „SIE HATTEN AUCH BRD GESAGT.“SCHABOWSKI: „ ... HAT DER MINISTERRAT BESCHLOSSEN, DASS BIS ZUMINKRAFTTRETEN EINER ENTSPRECHENDEN GESETZLICHEN REGELUNG DURCHDIE VOLKSKAMMER DIESE ÜBERGANGSREGELUNG IN KRAFT GESETZT WIRD...“FRAGE: „ GILT DAS AUCH FUER BERLIN WEST?“SCHABOWSKI: „ JA, ALLE GRENZUEBERGANGSSTELLEN DER DDR ZUR BRDBZW. ZU BERLIN WEST ...“

Der Trabant (volkstümlich „Trabi“) war das in der DDRmeistgefahrene Auto – ein technisch veralteterKleinwagen mit Zweitaktmotor, auf den man bis zu 13Jahre warten mußte. Andere umgangssprachlicheSynonyme waren Asphaltblase, (eine Anspielung aufdie Kleinheit und Unscheinbarkeit des Autos), diePappe (die Karosserie besteht aus einempappeähnlichen Plastikgemisch) oder Kugelporsche(Anspielung auf die rundlichen Formen des Autos).

Mauerbild der East Side Gallery: Ein Stück Mauer wurde von verschiedenen Künstlern bemalt.

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3. Im Osten viel Neues

Der recht hohe Reiseverkehr hatte dieDDR zu einem der bedeutendsten Reis-ziele innerhalbder sozialistischen Staa-ten gemacht. Ihre Attraktivität als Rei-seland verdankte sie vor allem den kul-turhistorischen Sehenswürdigkeitenihrer Städte und vielen, in ihrer Schön-heit einmaligen und zum Teil noch rela-tiv unberührten Landschaften. DieMehrzahl der „Ausländer“ waren aller-dings seit dem Einreisestopp für polni-sche Bürger 1981 Besucher aus derBundesrepublik Deutschland. Dabeimachten sich zum Teil schon vor derVereinigung Deutschlands Kapazitäts-probleme in den Hotels bemerkbar,denn die DDR gehörte auf dem Hotel-sektor zu den nachholebedürftigstenLändern Europas. Eine internationaleHandelsstadt wie Leipzig besaß z.B.nur 27 Hotels, während es in einer ver-gleichbaren Stadt wie z.B. Stuttgart inder alten Bundesrepublik 140 Hotelsgibt. Auch Mängel in der Infrastrukturwie fehlende Gaststätten, Restaurantsund Einkaufsmöglichkeiten behinder-ten den Tourismus.

Mit der Öffnung der DDR-Grenze am9. 11. 1989, der Einführung der D-Markam 1. 7. 1990 und dem Beitritt der fünfneuen Bundesländer zur Bundesrepu-blik Deutschland am 3. 10. 1990 verän-derten sich dann die Reisegewohnhei-ten der DDR-Bürger radikal. Millionennutzten die neue Reisefreiheit, um daserste Mal in ihrem Leben in den West-teil Deutschlands und nach Westeuro-pa zu fahren. Dadurch kam es in dentraditionellen Feriengebieten an derOstseeküste plötzlich zu einem drama-tischen Rückgang der Besucherzahlenund zu Einkunftseinbußen. Auch diebisherigen Reiseländer in Osteuropavermißten den Besucherstrom ausOstdeutschland. Mit der Auflösung desFDGB verschwand auch der gewerk-schaftliche Feriendienst; seine letztenUrlauber verließen Ende Dezember1990 die Erholungsheime der Staatsge-werkschaft. Die vorhergesagten Besu-cherströme aus Westdeutschland blie-ben im ersten freien Reisesommer1990 vielfach aus: Hohe Preise und imVergleich zum westlichen Standardgeringer Komfort schreckten viele ab.

Vor allem die Mängel in der Ver-kehrsinfrastruktur wirken sich hem-

mend auf den Tourismus, aber auchauf die gesamte Wirtschaft, aus. DasVerkehrswegenetz entspricht in gro-ßen Teilen noch dem Stand vor demZweiten Weltkrieg und ist über weiteStrecken in einem sehr schlechtenZustand (Abb. 2).

Das gilt sowohl für den Eisenbahn-verkehr, wie auch für das Straßennetz.Die Gleisanlagen wurden in den letztenvierzig Jahren nur sehr langsam ausge-baut und erneuert, so daß die Zügenicht so schnell fahren können. Wäh-rend zum Beispiel eine Fahrt mit demInter-City von Hamburg nach Münchenheute nur noch etwa sechseinhalbStunden dauert, dauert eine Fahrt vonHamburg nach Leipzig 7 Stunden. Auchdas Straßennetz wurde kaum erweitertund wenig renoviert. Insbesondereaber gibt es infolge der Teilung noch zuwenig Querverbindungen von Ostnach West/von West nach Ost (Abb. 3).

Auch das Tankstellennetz ist, vergli-chen mit Westeuropa, zu gering ausge-baut (in einer Großstadt wie Erfurt gabes nur sechs Tankstellen). So sieht manimmer noch Autoschlangen an denTankstellen. Mit der Einführung derD-Mark hat die Autodichte im OstenDeutschlands stark zugenommen – vie-le Menschen erfüllten sich nach den inder DDR üblichen Wartezeiten aufeinen PKW von 12 bis 15 Jahren schnellihren Wunsch nach einem eigenenAuto. So stieg die Zahl der PKWs in nureinem Jahr von 4,8 Mio (Ende 1990) auf6,3 Mio (Ende 1991) und die Zahl derUnfälle um 60%.

Die Konsequenz ist, daß dieschlecht ausgebauten Verkehrswegeden Autostrom in den Verkehrsspitzennicht mehr verkraften können.

Verstärkt wird dieser Verkehrsnot-stand noch dadurch, daß ein großerTeil der vorher von der Eisenbahndurchgeführten Transporte von derSchiene wieder auf die Straße verlagertwurde. In der DDR bewältigte die Deut-sche Reichsbahn etwa 70 % der gesam-ten Gütertransporte, im Sommer 1991betrug dieser Anteil der Bahn amGütertransport in den neuen Bundes-ländern nur noch 35 %.

Trotz mangelnder Infrastruktur undvergleichsweise schlechter Ausstat-tung der ostdeutschen Hotels und Pen-sionen belebt sich jedoch der Touris-mus in den neuen Bundesländern. Bun-

Abb. 2: Was schnell besser werden muß

Abb. 3 : Aus: ADAC motorwelt 3/92. Die Skizzezeigt auf einen Blick: die 10 Schienen- undKanalprojekte sowie die 7 Autobahnstreckenhaben eine Schlüsselfunktion für dasZusammenwachsen Deutschlands. Denn sieverknüpfen das Verkehrsnetz der altenBundesländer mit den Wirtschaftsregionenzwischen Rostock und Dresden.

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te Reiseprospekte werden gedruckt,und zahlreiche Reiseveranstalter bie-ten Urlaubsreisen nach Ostdeutsch-land an.

Vorausschauende Umweltschützersetzen sich zunehmend dafür ein, daßdie zum Teil einzigartigen Landschaf-ten (wie die Kreideküsten von Jas-mund auf Rügen, die Boddenland-schaft an der Ostseeküste oder dieSächsische Schweiz) nicht total ver-marktet, sondern durch sanften Touris-mus erhalten werden. Dazu werdenzunehmend geschützte Zonen geschaf-fen, und es wird versucht, den Massen-tourismus durch individuellere Ange-bote zu ersetzen.

600 Alleen aus Linden, Eichen, Kastanien,Platanen säumen die Straßen zwischen Ost-see und Thüringer Wald. Ihre Gesamtlängebeträgt 5400 km, einzelne Alleen sind bis zu

30 km lang. Doch nun sind die Alleen durchden wachsenden Verkehr bedroht. Einige sindschon Verkehrsplanern, die nur an die schnelleBeförderung von Waren denken, zum Opfer

gefallen. Der ADAC (Allgemeiner DeutscherAutomobil Club) startete die Aktion „Rettetdie Alleen“ (ADAC-motorwelt 2/92 und3/92)

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Zu diesem Ergebnis kommt derStarnberger Studienkreis für Tou-rismus in seiner ersten gesamt-deutschen Reiseanalyse 1990.10,7 Millionen Bürger der ehemali-gen DDR haben 1990 wenigstenseine fünftägige Urlaubsreise ge-macht und liegen damit mit 62,9Prozent nur knapp hinter denWestdeutschen (66,8 Prozent).Fundamental allerdings sind dieUnterschiede bei den Reisezielen.So ziehen 75 Prozent der Ostdeut-schen Reiseziele im Inland und 32Prozent dabei die kostensparendeUnterkunft bei Verwandten undBekannten vor; nur 25 Prozent der

Ostdeutschen fahren ins Auslandund dort am liebsten in die osteu-ropäischen Länder, nach Öster-reich oder in die Schweiz. Bei denWestdeutschen ist es genau umge-kehrt: 75 Prozent zieht es in derUrlaubszeit ins Ausland und 47Prozent verbringen die Nacht amliebsten im Hotel. Daß solche Unterschiede ganzkonkrete Ursachen haben, zeigtein Blick auf das Reisebudget:während es in Ostdeutschland proPerson 5o1 Mark beträgt, gibt einWestdeutscher 1370 Mark für sei-nen Urlaubsreise aus.

nach Zeitungsberichten

Ostdeutsche reisen andersOstdeutsche bleiben lieber im Lande, besuchen Verwandte undsind aktiv. „Sich sonnen“ und ähnliche passive Urlaubsmotive

sind dagegen typisch „westdeutsch“.

Das Thema „Reisen“

… ist auch interessant für Schülerinnen und Schüler, die etwas über dasLeben der Menschen in der ehemaligen DDR und in den neuenBundesländern erfahren möchten.

Wie könnte man die Dokumentation von Ulrich Zeuner oder Teile davon imUnterricht einsetzen? Welche Teile würden Sie im Unterricht verwenden,und wie könnte eine schüler- und handlungsorientierte Didaktisierungaussehen? Vielleicht haben Sie Lust, es selbst auszuprobieren?

Schicken Sie uns Ihre Didaktisierung (evtl. bereits mit Stundenergebnissen?)!Wir werden in den nächsten beiden Heften einige Vorschläge abdrucken.

Auf der Elbenach DresdenkreuzenDeutsche Kreuzfahrtregion wird indiesem Jahr zum ersten Male auch dieElbe sein. Fünf moderneKabinenschiffe sollen von Ende Märzbis Ende Oktober von Hamburg undLauenburg bis nach Bad Schandau undAussig fahren. Die ZEIT, 15.3.1991

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Aus der Fülle der Materialien kön-nen hier nur einige genannt werden.

1. GeographieTerra Länderhefte:Unser Land: Freistaat Sachsen Unser Land: ThüringenUnser Land: Sachsen-AnhaltUnser Land: BrandenburgUnser Land: Mecklenburg-Vorpom-mern

Ernst Klett Schulbuchverlag, Stutt-gart 1991. Diese Länderhefte(mitLänderkarte, Übungsseiten, statisti-schem Anhang) geben die wichtig-sten Informationen zu den neuenBundesländern.

Sehr informativ und ansprechendsind auch die Merian Länderhefte(Hoffmann u. Campe, Hamburg) zuden fünf neuen Bundesländern.

Schmid, G. F.: Kleine Deutschland-kunde. Ein erdkundlicher Über-blick. Ernst Klett Verlag, Stuttgart1992.

Die zweite veränderte Auflagebezieht nun die ganze Bundesrepu-blik ein. Themen: Landschaften, Kli-ma, Bevölkerung, Wirtschaft, Ver-kehr, Umwelt, Politik. Viele farbigeKarten.

2. Geschichte, Politik,Gesellschaft, Wirtschaft Feick, Jürgen/Uhl, Herbert: Aktua-litätendienst. Gesellschaft-Politik-Wirtschaft. Ausgabe 1991/92. ErnstKlett Verlag für Wissen und Bil-dung, Stuttgart/Dresden 1991.Wichtige und aktuelle Informatio-nen zu nationalen und internationa-len Themen. Schaubilder undTabellen. Der „Aktualitätendienst“bietet gutes Zusatzmaterial für denlandeskundlichen Unterricht, diewichtigsten Fachbegriffe werden ineinem Glossar erläutert.

Der Weg zur Einheit. ZurGeschichte der Berliner Mauer -ein historischer Rückblick. Video-cassette: 60 Minuten. Verlag fürDeutsch, Ismaning 1992.

Für Lerner mit Mittelstufenkennt-nissen. Eine zeithistorische Doku-mentation vom Bau der Mauer biszur Öffnung der Grenze.

„Wir sind das Volk“. Eine Doku-mentation zur politischen Wendein Deutschland. Videocassette: 58Minuten. Verlag für Deutsch, Isma-ning 1992.

Für Lerner mit Mittelstufenkennt-nissen. Die Ereignisse vor der Ver-einigung (Herbstdemonstrationen1989 bis zu den ersten freien Wahl-en) werden aus der Sicht der Bevöl-kerung der ehemaligen DDR darge-stellt.

3. TextbücherFür Lehrerinnen und Lehrer:

Imbke Behnken u. a. : Schülerstu-die ´90. Jugendliche im Prozeßder Vereinigung. (Jugendwerk derdeutschen Shell). Juventa Verlag,Weinheim/München 1991.

Die wichtigsten Ergebnisse einerSchülerbefragung werden vorge-stellt, in der Schüler aus Nordrhein-Westfalen und aus Sachsen-Anhaltim Juni 1990 zu den Themen Verei-nigung, Schule, Familie, Freizeit,Medien und zu ihren Wertvorstel-lungen befragt wurden. Ein zweiterBand erscheint 1992.

Michael Lukas/Hans-Joachim Maaz:Die Einheit beginnt zu zweit. Eindeutsch-deutsches Zwiegespräch.Rowohlt, Berlin 1991.

Das Buch stellt ein Experiment dar,das – auch wenn der Leser nicht inallen Punkten den Autoren folgenmöchte – doch interessante Ein-blicke ermöglicht in die „PsycheWest“ und „die Psyche Ost“: Einostdeutscher und ein westdeut-scher Psychotherapeut begebensich in ein öffentliches Zwiege-spräch über ihre Empfindlichkeitenund Befindlichkeiten und die vielerihrer Landsleute angesichts derdeutschen Vereinigung.

Für den Unterricht:

Kai-Axel Aanderud: Die eingemau-erte Stadt. Die Geschichte der Ber-liner Mauer. (Hg. von GuidoKnopp) Georg Bitter Verlag, Reck-linghausen 1991.

Die politischen Ereignisse in undum Berlin in den Jahren 1945 – 1990werden in verständlicher Sprache,z. T. in personalisierter Darstel-lungsform und mit zahlreichenFotos illustriert beschrieben.

Annegret Hofmann: Unterwegsnach Deutschland. Kinder im Nie-mandsland. Protokolle nachGesprächen. Aufbau Verlag, Berlin1992.

Kinder und Jugendliche zwischen 9und 17 Jahren sprechen über dieVorgänge in ihrem Land und wiesie die Wende erlebten.

Gudrun Leidecker/Dieter Kirchhö-fer/Peter Güttler: Ich weiß nicht obich froh sein soll. Kinder erlebendie Wende. Metzlersche Verlags-buchhandlung, Stuttgart 1991.

Das Büchlein enthält Texte, Fotos,Zeichnungen von Kindern und Ju-gendlichen aus der Zeit vor, wäh-rend und nach der Wende. Dabeiwerden die Brüche und innerenKrisensituationen im Vergleich zueiner scheinbar gesichertenZukunftsperspektive in den Textenvor und nach der Wende sichtbar.

Wolfgang Geisler (Hg.): Jugend inDeutschland Ost und West. Erzäh-lungen und Kurzprosa seit 1945.Diesterweg, Frankfurt 1991.

Einiges aus der Textsammlung zumThema „Aufwachsen im geteiltenDeutschland“ (für den Deutschun-terricht ab Klasse 10 an deutschenSchulen zusammengestellt) istauch für fortgeschrittene Deutsch-lernende geeignet. Themenkomple-xe sind: Erziehung in der Familie,Politische Sozialisation, Außensei-ter, Erwachsenwerden.

Materialien desGoethe-Instituts

Für Deutschlehrer und Fortgeschrit-tene:

Aufbrüche. Dokumentation zurWende in der DDR (Okt. 1989 –März 1990), 264 S. 1991. Von H.Angermann, K. Drechsel, H. Kröber,B-D. Müller-Jacquier, H.-W.Schmidt, J. Schweckendiek.

Der Veränderungsprozeß in derehemaligen DDR wird vor allemdurch DDR-Quellen zunächst chro-nologisch dargestellt, wichtige The-men werden in Form von Collagenpräsentiert. Glossar mit „DDR-deut-schen“ Begriffen und Abkürzungen.(DM 13,-)

Für Fortgeschrittene:

BRDDR 1990. Video (DM 25,-).Begleitheft ( 74 S.. DM 3,-). Von D.Arnsdorf, J. Schweckendiek.Zusammenstellung von Berichtenaus dem Deutschlandspiegel undanderen Reportagen vom Novem-ber 1989 bis Mai 1990. Hier findetman u. a. auch Zeittafeln zu denEreignissen.

Für Jugendliche ab 2./3. Lernjahr:

Das sind wir. Leipziger Schülerberichten. Schülerheft (48 S.DM 5,–) Hörkassette (DM 6,-) Video(DM 25,-). Von D. Meijer, M. vanKampenhout, E. Weiß, J.Schweckendiek.

Drei Leipziger Schüler berichtenüber ihr Leben im Herbst 1990 undwas sich seit der Wende darin ver-ändert hat.

Für jugendliche Fortgeschrittene:

Achtung Klappe: BrandenburgerTor. Sommer 1991. Video (DM 25,-).Begleitheft. Von Radio Bremen/J.Kuglin.

Vier Kinder machen eine Fernseh-reportage über das Wiederzusam-menwachsen der Stadt Berlin nachdem 3. 10. 1990.

Miterlebt: Die Wende in der Pen-ne. Sommer 1991. Video (DM 25,-).Hessischer Rundfunk/D. Arnsdorf.

Ungebahnte Wege: Junge Leutenach der Wende. Sommer 1991.Video (DM 25,-). Begleitheft. VonSüdwestfunk/D. Arnsdorf.

Portraits junger Leute aus den neu-en Bundesländern.

Für alle:

Transparentsatz für denOverheadprojektor: Die deutsch-sprachigen Länder. Neubearbei-tung 1991. (DM 5.-). Von U. Olsche-wski, J. Schweckendiek.

Vierfarbige, unbeschriftete, physi-sche Grundkarte, politische Gren-zen als Deckfolie.

Hier bekommt manInformationen: Globus KartendienstWandsbeker Zollstr. 5D-W-2000 Hamburg 70

Statistisches BundesamtGustav-Stresemann-Ring 11D-W-6200 Wiesbaden

Der Erich Schmidt Verlag in Berlin,Genthiner Str. 30 G, D-W-1000 Ber-lin 30, gibt Zahlenbilder in verschie-denen Serien mit monatlicher Nach-lieferung heraus. Man kann einenausführlichen Prospekt anfordern.

Das Sekretariat des Bundesrates,Bundeshaus, D-W-5300 Bonn 1,hat ein neues Faltplakat Die 16deutschen Länder herausgegeben.

Erscheint jedes Jahr im August inüberarbeiteter Form: Jahrbuch derBundesrepublik Deutschland (hg.von E. Hübner und H.-H. Rohlfs imdtv Taschenbuch Verlag). Enthält neue Daten und Fakten zu:Gesellschaft u. Sozialsystem, Infra-struktur, politische Institutionen,innenpolitsche Probleme und Kon-troversen, Außenpolitik. Jahre-schronik. Sehr datailliert, informa-tiv, nicht grafisch aufbereitet. emj.

MATERIALIEN: Deutschland 1989–1992

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Fremdsprache Deutsch 6

L A N D E S K U N D E56

Altlast(en) – Das ökologische,politische, wirtschaftliche,gesellschaftliche Erbe dersozialistischen DDR, das denNeuanfang belastet.Abwicklung – Die oft mit Mas-senentlassungen verbundene„Umstrukturierung“ (➔) ost-deutscher Betriebe und Institu-tionen. Das Wort bekam einenso negativen Beiklang, daß esim offiziellen Sprachgebrauchder Treuhandanstalt durch dasWort „Rekonstruktion“ (➔)ersetzt werden soll.Alteigentümer – Frühere Besit-zer/ Eigentümer des unter demDDR-Regime enteigneten Pri-vateigentums (Grund, Immobi-lien, Betriebe usw.)Beschäftigungs- (und Qualifi-zierungs)gesellschaften –Staatlich geführte Gesellschaf-ten, die gegründet werden, um„arbeitslose“ Arbeitnehmer„von der Straße zu holen“ undihnen den Weg in die Markt-wirtschaft durch entsprechen-de Umschulungs- oder Qualifi-zierungsmaßnahmen zuerleichtern.Besserwessi – IronischeBezeichnung für Bürger/innenaus den alten Bundesländern,die gegenüber den Ostdeut-schen immer alles besser wis-sen wollen.Blockflöte Pejorative Bezeich-nung für (ehemalige) Mitgliederder sogenannten Blockparteien(CDU, LDPD, NDPD, DBP, diesich zu einem „Block“ zusam-

mengeschlossen hatten) in derDDR. DDRsch – Sammelbegriff füralles, was aus heutiger Sichttypisch für die DDR-Zeit, ihreMenschen, ihre Lebensweiseusw. war. Einigungsvertrag – Der Eini-gungsvertrag zwischen derletzten Regierung der DDR(auch „Regierung des RundenTisches“ genannt) unter Lotharde Maizière und der Bundesre-gierung vom 31. August 1990regelt die Modalitäten des Bei-tritts der DDR zur Bundesrepu-blik wie z.B. Aufgaben der Treu-hand (➔), „Rückgabe vor Ent-schädigung für Alteigentümer“(➔) usw. Einige Bestimmungen

des Einigungsvertrags, derunter Zeitdruck ausgehandeltwurde, werden aus heutigerSicht kritisch betrachtet. evaluieren – Einschätzen,beurteilen, bewerten; insbeson-dere bezogen auf die Einschät-zung des Leistungspotentials inder Wissenschaft (Lehre, For-schung usw.) der ehemaligenDDR durch westliche Gremienim Hinblick auf Neu- undUmstrukturierung (➔).Gauck-Behörde – StaatlicheBehörde zur Aufarbeitung derTätigkeit ehemaliger Mitarbei-ter der Staatssicherheit (STASI)in der DDR unter Leitung desSonderbeauftragten JoachimGauck.Gemeinschaftswerk Auf-schwung Ost – Programme,Konzepte und Anschubfinanzie-rungen (Startfinanzierungen)der Bundesregierung für denwirtschaftlichen Aufbau in denneuen Bundesländern.Identitätsverlust – Gefühl derDesorientierung ehemaligerDDR-Bürger und -Bürgerinnennach der Herstellung der deut-schen Einheit durch den Ver-lust der gewohnten Strukturen.IM – Häufig gebrauchte Abkür-zung für „Inoffizielle Mitarbei-ter“ der Staatsicherheit, dievon der STASI angeworbenwurden, um in ihrer Umgebung– unerkannt – Spitzeldienste zuleisten. Kurzarbeit Null – Um Arbeits-losigkeit zu vermeiden, kannein Unternehmen Kurzarbeit, d.h. eine generelle Verkürzungder Arbeitszeit anmelden. DieArbeitnehmer erhalten dann

Kurzarbeitergeld. KurzarbeitNull bezeichnet eine verdeckteArbeitslosigkeit in Ostdeutsch-land. Es bedeutet, daß zwarKurzarbeit angemeldet wirdund die Arbeitnehmer Kurzar-beitergeld erhalten, daß aberde facto keine Arbeit geleistetwird. Konversion – Umwandlungbisher militärisch genutzterStrukturen (Gelände, Kasernenusw. der Besatzungstruppen)für zivile Zwecke.Leihbeamte – Beamte aus denalten Bundesländern, die zeit-weise beim Aufbau neuer Ver-waltungsstrukturen in den neu-en Bundesländern helfen.Mauerspecht – Bezeichnungfür Personen, die nach derWende mit einem Hammereigenhändig Stücke aus derBerliner Mauer schlugen. Mauerschützenprozeß – Pro-zeß gegen Grenzsoldaten derehemaligen DDR, die beschul-digt werden, auf flüchtendeDDR-Bürger Todesschüsseabgegeben zu haben. Neu-Bundesbürger – Bezeich-nung für Bürgerinnen und Bür-ger der fünf neuen Bundeslän-der. NVA-Bestände – Ausrüstungder ehemaligen NationalenVolksarmee (z.B. Panzer, Uni-formen usw.). Ost-West-Pendler – Arbeitneh-mer, die in den neuen Bundes-ländern wohnen und in denalten arbeiten. Qualifizierungsgesellschaf-ten – Siehe Beschäftigungsge-sellschaften.

Momentaufnahme:Vereinigungsglossar von A bis ZZusammengestellt von Dagmar Blei undEva-Maria Jenkins

Die neuen politischen, gesellschaftlichen undwirtschaftlichen Verhältnisse in den erstenJahren nach der Vereinigung Deutschlandshaben in einer Vielzahl neuer Wörter oder in der„Umwidmung“ schon vorhandener Wörter ihrensprachlichen Ausdruck gefunden. Das Glossarbietet eine Auswahl besonders häufig gebrauch-ter Begriffe.

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„Es gibt kein Hüben und Drüben mehr“… hatte Kanzler Kohl den Deutschen am 4.10.1990 in der „Bildzeitung“ mitgeteilt. Dafür gibt es nun:

Im Osten Deutschlands: Im Westen Deutschlands:

die Ostländer die Westländerdie(Alt-) Bundesrepublik

die ostdeutschen Bundesländer die bisherigen Länder der Bun-die Ostgebiete desrepublikOstdeutschland Westdeutschlandder Ostteil Deutschlands der Westteil Deutschlandsdie neuen Bundesländer der bundesdeutsche Westendie O-Zone (Bundespost) die W-Zone (Bundespost)die fünf neuen Länder (die FNL) die alte Bundesrepublik

die Alt-BRDdas Gebiet der ehemaligen DDR das Altbundesgebietdie Ex-DDR die alte Bundesrepublik das Beitrittsgebietdie beigetretenen Länderdie Beitrittsländerdas Neubundesgebietdie ehemalige DDR

Und im (westdeutschen)Volksmund:Ossiland – Stasiland – der Wilde Osten – die Neufundländer Im ostdeutschen Volksmund: die BRD-Kolonie

Rekonstruktion – Nach einemWettbewerb von einer Juryausgewähltes Ersatzwort für„Abwicklung“ ; wird vor allemdann gebraucht, wenn diebetroffene Einrichtung in be-grenzter Form weiterbesteht. Rückübertragung/Rücküber-tragungsanspruch/Rückga-be vor Entschädigung – DenAlteigentümern (➔) vonGrundbesitz oder Immobilienmuß ihr Eigentum laut Eini-gungsvertrag bei entsprechen-dem Nachweis zurückgegebenwerden. Viele der etwa 1 Milli-on Rückgabeansprüche wirken

sich investitionshemmend aus,da die Anerkennungsverfahrenzum Teil sehr langwierig sind.Aber auch ganz normaleBewohner von Wohnungenoder Einfamilienhäusern inden neuen Bundesländernmüssen um ihre in der DDRerworbenen Besitz- undWohnansprüche fürchten. Servicegesellschaften – Vonder Treuhand gegründeteGesellschaften, die dazu die-nen, marktpolitische Rahmen-programme in den ostdeut-schen Bundesländern durchzu-setzen.(alte) Seilschaften – Bezeich-nung für Komplizenwirtschaft,d. h. für den Zusammenhaltehemaliger Staats-, Partei- undWirtschaftsfunktionäre derDDR in der jetzigen Zeit.STASI-Syndrom – Mit „Syn-drom“ bezeichnet man in derMedizin das Zusammentreffenverschiedener Symptome zueinem bestimmten Krankheits-bild. Am „STASI-Syndrom“ lei-det eine Gesellschaft, in derdie STASI als Verursacher zahl-reicher „symptomatischer Auf-fälligkeiten“ vermutet wird.Solidaritätszuschlag –Zusätzliche Steuer, die jede/rBundesbürger/in für das„Gemeinschaftswerk Auf-schwung Ost“ zu bezahlen hat.

Treuhand(anstalt) – Staatli-ches Unternehmen, das ge-gründet wurde, um die etwa8000 ehemals staatlichenBetriebe der DDR an die Markt-wirtschaft anzupassen, dasheißt: zu sanieren, zu privati-sieren oder „abzuwickeln“ (➔). Umstrukturierung – Euphemi-stische Umschreibung vonMaßnahmen, die dazu dienen,Arbeitsplätze aufzulösen. Vorfahrtsregelung (für Inve-storen) – „Wer investiert, kannals erster erwerben.“ Der inve-stitionshemmende Rückgabe-

anspruch (➔) der Alteigentü-mer soll durch diese Regelungaufgehoben werden. In diesemFalle wird der Alteigentümer(➔) entschädigt. Wohlstandsmauer (-graben)– Trennlinie zwischen denDeutschen in Ost und Westaufgrund des unterschiedli-chen Lebensniveaus.Warteschleife – Beendigungdes Beschäftigungsverhältnis-ses für Ostdeutsche (meistAkademiker), die eine Zeitlangweiter bezahlt werden undnoch nicht als Arbeitslose regi-striert sind. Während dieserZeit können sie sich um eineneue Stelle bemühen. (DerBegriff wurde ursprünglich fürFlugzeuge gebraucht, die beiÜberfüllung der Landebahnen„in der Warteschleife“ auf dieLandeerlaubnis warten.)Zwangsumgesiedelte – Bürgerder ehemaligen DDR, diegezwungen wurden, ihre grenz-nahen Wohnorte zu verlassen. Zusammenwachsen – Pro-grammatische Vorstellung(Metapher) von der Schaffungeiner Gesamtstaatlichkeit derbeiden deutschen Staatennach dem 3. 10. 1990 mit demZiel gleicher Lebensverhältnis-se in allen Teilen Deutsch-lands.

Angesichts dieser babylonischenSprachverwirrung hat eine Arbeits-gruppe im Ministerium des Innern eine„Orientierungsliste mit Empfeh-lungscharakter“ für „staatsrechtlichzutreffende und umgangssprachlichakzeptable Formulierungen mit ent-sprechenden Übersetzungshilfen“zusammengestellt (Mai 1991). Die indieser Liste vorgeschlagenen Bezeich-nungen haben ausdrücklich “Orientie-rungscharakter”; es handelt sich alsonicht um offiziell vorgeschriebeneBezeichnungen.

Für die Situation vor dem 3. Oktober1990:

Für den „Westen“: • Bundesrepublik Deutschland nach

dem Gebietsstand bis zum 3. Okto-ber 1990

Vermieden werden soll dagegen die Bezeich-nung „ehemalige Bundesrepublik“, da dieBundesrepublik Deutschland „nicht unterge-gangen“ ist.

Für den „Osten“: • Deutsche Demokratische Republik • DDR • ehemalige Deutsche Demokratische

Republik• ehemalige DDRKommentar der Arbeitsgruppe: Da die DDRuntergegangen ist, sei die Bezeichnung mitund ohne “ehemalig” eindeutig auf denGebietszustand vor dem 3. 10. 1990 bezogen;vermieden werden soll hingegen dieBezeichnung “frühere DDR”, da “früher” ein“später” suggeriere, es ein “später” wegendes Untergangs der DDR jedoch nicht gibt.Ebenfalls zu vermeiden sei die Bezeichnung“Ex-DDR” wegen des “pejorativen Anklangsim offiziellen Sprachgebrauch”.

Für die Situation seit dem 3. Oktober1990:

Für den „Westen“: • Gebiet der Bundesrepublik Deutsch-

land nach dem Stand bis zum 3.Oktober 1990

• die elf Bundesländer, die bereits vordem 3. Oktober 1990 der Bundesre-publik Deutschland angehörten

• die elf alten Bundesländer

Für den „Osten“ (ohne die Ostberli-ner Bezirke):• das in Artikel 1 Absatz 1 des Eini-

gungsvertrags bezeichnete Gebiet• die fünf neuen Länder• die neuen Bundesländer

Für den „Osten“ (inklusive die Ost-berliner Bezirke): • das in Artikel 3 des Einigungsver-

trags bezeichnete Gebiet• die fünf neuen Bundesländer zuzüg-

lich des Gebiets des früheren Berlin(Ost)

• beigetretener Teil Deutschlands• Beitrittsgebiet

Für den „Gesamtstaat“:• Bundesrepublik Deutschland• Bundesrepublik Deutschland nach

dem Gebietsstand seit dem 3. Okto-ber 1990

• Deutschland• D, BRDWährend das Kürzel BRD zur Zeit des KaltenKrieges nicht erwünscht war, werden nungegen die Abkürzungen (BRD, FRG, RFAusw.) keine Bedenken mehr erhoben, da sie„nach dem Untergang der DDR als Staat undder Herstellung der Einheit Deutschlandskeine ideologischen Gehalte mehr transpor-tieren.“Dagegen sei die Kurzbezeichnung “Bundes-republik” zu vermeiden, da sie “nur eine inMitteleuropa häufige Staatsformbezeich-nung, nicht aber die Bezeichnung eines kon-kreten Staates darstellt.”

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Das AusstellungskonzeptDie Ausstellung sollte in anschaulicherund lebendiger Form auf die Rezepti-onsgewohnheiten junger Leute einge-hen, Interesse wecken und zur selb-ständigen Weiterbeschäftigung mitdem Stoff animieren. Am Anfang standen zwei Fragen: • Soll der zu betrachtende Zeitraum

chronologisch bearbeitet werden? ...Bei Schülern ist dieses Verfahren nichtsehr beliebt, denn es endet häufig imAufzählen historischer Daten und Fak-ten. Politische Themen bekommenschnell ein Übergewicht, weil sich diegleichzeitige Behandlung geschichtli-cher und alltagskultureller Themen inein und und derselben „Abteilung“„beißen“ und deshalb vermieden wird. • Oder soll die Zeit in Einzelthemen

dargestellt werden?Das Problem dabei ist, daß die

Gleichzeitigkeit historischer Erschei-nungen und ihre Wechselwirkungennicht oder nur schwer anschaulichgemacht werden können.

Die Entscheidung fiel zugunsteneiner thematischen Ausstellung mitzwölf Abteilungen, die von einemVideo begleitet wird, das mit filmdra-maturgischen Mitteln (Bildschnitt,Musik, O- Ton) eine Auswahl der in derAusstellung präsentierten Themen inchronologischer Reihenfolge wieder-holt. Als Erinnerung an den Ausstel-lungsbesuch und zur Nachbereitunggibt es für jeden Besucher eine Zeit-schrift (über die Goethe-Instituteerhältlich), die wiederum thematischkonzipiert ist und ausgewählte Aspek-te eines Ausstellungsthemas in ver-schiedenen Textsorten reflektiert. EineDoppelchronik mit historischen Datenaus Deutschland und dem Auslanderlaubt die zeitliche Einordnung derangesprochenen geschichtlichen Er-eignisse.

Durch diese multimediale Vorge-hensweise wurden chronologischeund thematische Darstellungen mehr-fach miteinander verschränkt. Durchdie Wiederholungen in einem anderenMedium mit jeweils anderen, diesem

Medium adäquaten Darstellungsmit-teln sollte bei den jugendlichen Besu-chern der Ausstellung langsam ein Vor-stellungsbild heranreifen , das wenigerdurch kognitive Leistung als durchvisuelles, emotionales und intuitivesErfassen zustande kommt.

Wörter erzählenGeschichte

Die Ausstellung selbst hat ein unge-wöhnliches Konzept, denn ihr Themasind zeitgeschichtliche Begriffe. Wör-ter wie „Wirtschaftswunder“, „68er“oder „Waldsterben“ sind untrennbarmit der Geschichte Deutschlands ver-bunden. Man findet sie nicht nurimmer wieder in historischen Abhand-lungen oder in der Literatur. Sie lebenauch in der Gegenwart weiter, werdenwieder aufgegriffen und ggf. einer ver-änderten Situation entsprechend mitneuen Bedeutungsmerkmalen angerei-chert.

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Landeskunde fragt nicht nur nach der Gegenwart.Landeskunde fragt auch nach der Vergangenheit, zumBeispiel, um die Gegenwart zu verstehen. Aber: Deut-sche Geschichte – gehört das nicht in den Geschichts-unterricht? Und: Ist Geschichte häufig nicht ein ehertrockenes, langweiliges Fach, in dem Wissen einge-trichtert wird und Daten und Fakten gelernt werdenmüssen? Daß Geschichte doch etwas mit Sprachunterricht zu tun hat und in der Sprache selbst immer wieder

Geschichte zu finden ist, das zeigt eine Ausstellung zur Entstehung undGeschichte der Bundesrepublik Deutschland (1949 – 1989), die vomGoethe-Institut zusammen mit einem Team um Achim Maibaum für

Deutschlernende der Sekundarstufe II konzipiert und schonin vielen Ländern gezeigt wurde. Ursprünglich zum 40jährigen Jubiläum geplant, fiel derEndpunkt der Ausstellung mit dem Ende der alten Bundes-republik zusammen. Auch die Vorgeschichte wurde nichtausgeklammert: Die Ausstellung beginnt 1933, im Jahrder Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Achim Maibaum erläutert in seinem Beitrag das Ausstel-

lungskonzept und demonstriert am Beispiel einer Ausstel-lungsabteilung, die den „Trümmerfrauen” gewidmet ist,wie eine Bilderserie im Zusammenwirken mit kurzen,

sprachlich einfachen Texten geschichtliche Entwicklungenemotional ansprechend nachzeichnen kann.

Am Ende des Beitrags stehen einige Vorschläge für den Einsatz der Bilderserie im Deutschunterricht.

ZEIT

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Für den Deutschlerner sind solcheWörter und Begriffe sehr schwer zuverstehen und zu lernen, weil sich hin-ter den Begriffen kollektive Erfahrun-gen, Mythologisierungen und Identifi-kationsmuster verbergen. Ein Blick insWörterbuch hilft da wenig. Die Idee derAusstellung war es also, einige dieserBegriffe den Deutschschülern vorzu-stellen und die dahinterliegenden Vor-stellungsbilder deutlich zu machen.Folgende Auswahl wurde getroffen:Endsieg, Stunde Null, Trümmerfrauen,Persilschein, Wirschaftswunder,Halbstarke, Wiederbewaffnung, 68er,Ostpolitik, Waldsterben, Eurovisionund deutsch-deutsch.

Da das Studium von zu viel Text ineiner Ausstellung zeitraubend und

ermüdend ist, übrigens nicht nur fürSprachschüler, die ja zusätzlich mit derfremden Sprache zu kämpfen haben,sollte der Text nur sehr sparsamzugunsten nonverbaler Kommunikati-onsmittel eingesetzt werden. So wurdebei der Auswahl der Bilder immerstreng darauf geachtet, ob ein Bildauch möglichst viel zum Thema in sichselbst birgt. Auch auf umfangreicheTexttafeln wurde verzichtet.

Stattdessen wurde zu jedem Begriffeine räumliche Installation geschaffen,die eine visuelle Interpretation desjeweiligen „Zeitwortes“ liefert und sosinnlich erfahrbar macht. DieseRaumobjekte sind gleichzeitig Träger-medium für eine Vielzahl von Bildseri-en, die aus historischen Dokumentenwie Fotos, Illustrationen, Plakaten, Zei-tungsausrissen usw. zusammengestelltwurden. Mit „viel Bild“ und wenig Textwird auf diese Weise die Geschichteder Bundesrepublik wie im Fotocomicerzählt.

Anhand einiger ausgewählter Bilderaus der Ausstellungsabteilung „Trüm-merfrauen“ möchte ich auf den folgen-den Seiten zeigen, worauf es uns beider Zusammenstellung der Dokumenteankam und wie das dahinterliegendeThema über das Rollenbild der Frau inder bundesrepublikanischen Gesell-schaft entwickelt wurde. Dabei ist dieeine oder andere Überlegung auch aufandere Kontexte übertragbar.

„Trümmerfrauen“

Trümmerfrauen nannte der Volksmunddie Frauen, die nach dem Ende desZweiten Weltkrieges zur Räumung derzerbombten Städte eingesetzt wurden.

Später wirkten die „Hilfsarbeiterinnenim Baugewerbe“ wegen des Männer-mangels im Nachkriegsdeutschland(fast zwei Millionen Männer waren imKrieg gefallen) auch am Wiederaufbauder Städte mit. Trotz ihrer damaligenSelbständigkeit wurden die Frauen inden 50er Jahren ins Privatleben

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Ein Geschichtsprojekt für denSprachunterricht stellt sich vorVon Achim Maibaum

WORTE

Bild 1: 1938: Die Nationalsozialisten hatten dasFrauenbild des 19. Jahrhunderts staatlich festge-schrieben: Die Frau, die im Gebären und derErziehung der Kinder ihre Erfüllung findet.aus: R. Westphal: Die Frau im politischen Plakat. Berlin 1979

Bild 2: 1940: Die Wirklichkeit des Kriegesentsprach nicht dem propagierten Mutterideal:Weil die Männer zum Kriegsdienst eingezogenworden waren, wurden die Frauen systematischfür die Arbeit in der Rüstungsindustriezwangsverpflichtet.© Ullstein

Bild 3: Stunde Null: Nach dem Krieg stehenunzählige Frauen vor dem Nichts. Die Situation istschwieriger als vor dem Krieg.© Stadtarchiv Frankfurt a.M.

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Bild 4: Bei der Freiräumung der Städte mußten die Trümmerfrauen oft Schwerstarbeit leisten, dieeigentlich gesetzlich verboten war.© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bundesbildstelle

zurückgedrängt bzw. ordneten sichden Männern wieder unter. Erst Endeder sechziger Jahre mit der sogenann-ten neuen Frauenbewegung entstandallmählich ein breiteres Bewußtseinfür die Forderung, den Frauen mehrGewicht und Einfluß in allen gesell-schaftlichen Bereichen zu verschaffen.

In der ersten Abbildung sehen wirdie Frau als Gebärerin und Erzieherinihrer Kinder, ein ideologisches Frauen-bild, wie es vor allem im Nationalsozia-lismus (aber nicht nur dort!) propa-giert wurde. Dieses (gemalte) Propa-gandaplakat wird in Bild 2 mit einerSchwarzweißfotografie konfrontiert,die die schnöde Wirklichkeit vielerFrauen während des Zweiten Welt-kriegs dokumentiert. Das dritte Bildzeigt die Folgen von Ideologie undRüstung und steht symbolisch für dieSituation der deutschen Frauen amEnde des Krieges. Der Text wird dazugenutzt, den Begriff der „Stunde Null“,der bereits in einer eigenen Ausstel-lungsabteilung vorgestellt wurde, wie-

Bild 5: Zusätzlich zur harten Arbeit derTrümmerbeseitigung mußten die Frauen auch nochihre Familien versorgen. Der Rucksack war daswichtigste Utensil für die ➔Hamsterfahrten aufsLand.aus: Nürnberger Nachrichten. Sonderdruck „40 Jahre BundesrepublikDeutschland“

Bild 6: Trümmerfrauen lesen in der VOGUE.Christian Dior erfindet in Paris den New Look. DieFrauen sind ihr graues, androgynes Dasein leid.aus: Perlonzeit. Berlin 1985

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deraufzunehmen. Auch werden hierMetaphern wie „vor dem Nichts ste-hen“, „am Boden liegen“, „in Trüm-mern liegen“ assoziiert, auf die eben-falls in der Abteilung „Stunde Null“angespielt wurde.

Bild 4 zeigt die Arbeit von Trüm-merfrauen um 1946. Es ist das Bild, dasin der zugehörigen Bildunterschriftden Begriff zum ersten Mal vorstellt.Dieses Bild wurde ausgewählt, weil esdrastischer als vergleichbare dieSchwere der Arbeit illustriert. Bild Nr. 5wurde verwendet, um zu zeigen, daßneben der Arbeit auf dem Bau auch dieSorge für die Familie weiterhin imwahrsten Sinne des Wortes „auf denSchultern der Frauen“ lag. Ein ähnli-ches Bild von Frauen mit Rucksäckengibt es in der Abteilung „Stunde Null“.Mit solchen absichtlich gesetzten Bild-wiederholungen werden die histori-schen und gesellschaftlichen Bezügeund Vernetzungen zwischen den ein-zelnen Abteilungen sichtbar gemacht.Nur die Bildunterschriften sind je nach

Bild 7: Werbeanzeige für Spülmittel: Medien, Politik und Kirchen versuchen in den 50er Jahren, Frauen inihre klassischen Rollen zurückzudrängen. Viele Frauen akzeptieren dies. Sie sind froh, daß ihnen dieMänner Arbeiten abnehmen, die sie selbst als unweiblich empfinden.So verlieren die Frauen wieder ihreSelbständigkeit, die sie in den 40er Jahren erreicht hatten. Zwar wehren sich einige, doch der sozialeDruck in der restaurativen Ära der Wiederaufbaujahre ist sehr groß.aus: Perlonzeit. Berlin 1985

Bild 9: Trotzdem arbeiten Frauen, um den Lebensstandardder Familie zu verbessern. In der Industrie werden Frauenvorwiegend am Fließband oder bei anderen monotonenArbeiten eingesetzt. © Süddeutscher Verlag

Bild 8: 1954: Plakat zur Arbeitszeitverkür-zung. Für die Gewerkschaften war klar, daßVati das Geld verdient und Mutti sich um dieFamilie kümmert.© Archiv der sozialen Demokratie Friedrich-Ebert-Stiftung

Bild 10: „Männer und Frauen sindgleichberechtigt." Nur mit Mühe konnten einigeFrauen den Gleichheitsgrundsatz Artikel 3 desGrundgesetzes im Parlamentarischen Ratdurchsetzen. Im ersten deutschen Bundestag,dem westdeutschen Parlament, saßen neben373 Männern gerade einmal 29 Frauen.© Ullstein

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Bild 12: Vor allem die Ablehnung des Abtreibungsparagraphen(§ 218) führte zu einer bis heute nicht gekannten

Solidarisierung – aber auch Polarisierung – der Frauen.© Richard Grübling, Frankfurt a. M.

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Thema verschieden. Auf diese Weisewird deutlich, daß Bilder aufgrundihrer vielschichtigen Bedeutungenunterschiedliche Interpretationenzulassen, auf unterschiedliche Bezügeverweisen und eine Erklärung nichtdie einzig wahre sein muß. Pfeile vorden Begriffen wie hier bei „Hamster-fahrten“ verweisen auf die Querver-bindungen und regen zum Suchen derBegriffe in der Ausstellung an.

Bild 6 markiert einen neuen Zeitab-schnitt: Das Leben geht weiter.

Bild 7 ist wie Bild 1 ein Werbebildmit dem Unterschied, daß das damali-ge Rollenverständnis hier nicht direktbebildert wird, sondern sich indirektüber eine Produktwerbung vermittelt.Werbebilder können, da sie häufig ide-alisierte Wunschbilder zeichnen,besonders gut das Wertesystem einerEpoche veranschaulichen. Der Aus-gangstext unter diesem Bild ist unge-wöhnlich lang geraten, weil die Fakten,die hier vermittelt werden sollten, sichnicht unmittelbar über das Bilderschließen lassen.

Manchmal findet sich ein Foto wiein Bild 13, das sein Thema durch eineAufschrift auf einem Demonstrations-transparent benennt. Dagegen ist Bild11 mit dem Bild des ersten nur ausMännern bestehenden Regierungska-binetts für sich alleine genommennicht besonders aufregend. Erst in derText-Bild-Kombination gewinnt derInhalt eine gewisse Brisanz. In derKombination dieses Bildes mit Bild 14wird schließlich eine 40jährige Ent-wicklung sichtbar.

Reichlich Zündstoff enthält Bild 12.Dieses Bild wurde unter anderem aus-gewählt, weil es sicher auch heutenoch vielerorts provoziert und An-knüpfungspunkte für eine Diskussionüber die Situation im eigenen Landbietet. Das Thema Abtreibung wird janicht nur in Deutschland heiß disku-tiert und ist in vielen Ländern (noch)tabuisiert.

Alle diese Verfahren und damit ver-bunden die richtige Interpretation unddie Einordnung der Bilder in den histo-rischen Kontext setzen auch das Ver-

ständnis des Textes voraus. Dies istbei den unterschiedlichen Sprach-kenntnissen der Besucher nichtimmer gewährleistet. Als Hilfe fürSchüler und Lehrer gab es deshalb einBegleitheft mit Suchfragen für die Aus-stellung und Besucherführungen fürdas allgemeine Publikum.

Bilder und Geschichte:Die „Trümmerfrauen“im Deutschunterricht

Unterrichtsvorschläge von emj

Die meisten Lehrerinnen und Lehrerhaben keine Möglichkeit, die Aus-stellung, die nur in Goethe-Institu-ten und auch nicht in allen Ländernzu sehen ist, mit ihren Schülern zubesuchen. Aber vielleicht hat dereine oder die andere Lust, die hierabgedruckte Bilderserie im Rah-men einer Unterrichtseinheit „Deut-sche Nachkriegsentwicklungen/Nachkriegsgeschichte“ im Unter-

Bild 11: September 1949. Das erste Kabinett der neugegründetenBundesrepublik: obwohl die Frauen die Mehrheit der Bevölkerung stellen, sindsie in der Regierung nicht vertreten.© Ullstein

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Bild 14: 1988: Nach der Berliner Senatswahl stellt der neueBürgermeister seine Regierung vor, in der zum ersten Mal mehr Frauenals Männer vertreten sind.© Landesbildstelle Berlin

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richt zu verwenden. Dafür möchtenwir einige Anregungen geben. (ZurArbeit mit Bildern siehe FREMD-SPRACHE DEUTSCH, Heft 5: Das Bildim Unterricht)

Alle Arbeitsvorschläge sollten in Gruppenarbeitdurchgeführt werden. Zu beachten ist:

Die Bilder zeigen die Entwicklung der Frauenrol-le und des Frauenbildes in der alten Bundesre-publik Deutschland von 1933 bis 1990. Die Ent-wicklung in der ehemaligen DDR ist nach dernoch allen gemeinsamen Erfahrung bis 1945sowohl zeitlich als auch inhaltlich anders ver-laufen.

Option 1: Die Schüler erhalten eine chronologische Zeitta-fel zur deutschen Nachkriegsgeschichte in ihrerMuttersprache (in höheren Klassen eventuellauf deutsch) und die Bilderserie „Trümmerfrau-en“ ohne die Textteile.

Aufgabe: Die Schüler sollen versuchen, die Bil-der den historischen Daten zuzuordnen und ihreZuordnung begründen. Bei der Begründung kön-nen Parallelen/Kontraste zur Entwicklung desFrauenbildes und der Frauenrolle im eigenenLand besprochen werden.

Die Aufgabe wird sich vermutlich nicht für alleBilder lösen lassen. Auch wird den Schülernwahrscheinlich auffallen, daß die Geschichtevon Frauen in den üblichen historischen Zeitta-feln nicht vorkommt.

Option 2: Die Schüler erhalten die Bilder ohne die Textemit dem Hinweis, daß diese Bilder die Verände-rung der Frauenrolle in Deutschland seit demZweiten Weltkrieg zeigt.

Aufgabe: Die Schüler sollen versuchen, die Bil-der in eine chronologische Reihenfolge zu brin-gen und diese Reihenfolge begründen. Auch beidieser Aufgabe können Parallelen/Kontraste zurEntwicklung des Frauenbildes und der Frauen-rolle im eigenen Land besprochen werden.

Option 3: Diese Option kann sowohl in Verbindung mitden Optionen 1 und 2 als auch unabhängigdavon bearbeitet werden.

Die Schüler erhalten die Bilder ohne die Texte.Sie erfahren, worum es sich bei diesen Bildernhandelt.

Aufgabe: Die Schüler versuchen, die Bilder the-matisch zu erfassen d. h., einen Themenkatalogfür die Entwicklung der Frauenrolle aufzustellen.

Die Themen können auch in die Form vonSchlagworten oder Zeitungsüberschriften gefaßtwerden. Dann werden kurze Bildlegenden zuden einzelnen Bildern geschrieben. Die Ergeb-nisse werden später den originalen Bildunter-schriften gegenübergestellt

Option 4: Die Schüler erhalten die Bilder und die Texte mitden Daten, aber getrennt.

Aufgabe: Die Texte sollen den Bildern zugeord-net werden.

Option 5: Die Schüler erhalten nur ausgewählte Kontrast-bilder ohne Text, z.B.: Bild 1 – Bild 2 (Bild 3)/Bild 4 – Bild 6/ Bild 3 – Bild 10/ Bild 2 – Bild 7(evt. Bild 9)/ Bild 7 – Bild 8/ Bild 7 – Bild 13/ Bild11 – Bild 14/ Bild 9 – Bild 13/ Bild 1 – Bild 14

Aufgabe: Die Schüler sollen jeweils versuchen,den inhaltlichen Zusammenhang zwischen denbeiden Bildern herauszufinden und mündlichoder schriftlich zu beschreiben.

Option 6: Einzelbildbeschreibung. Diese Option kann imZusammenhang mit den Optionen 1 und 2gewählt werden. Die Schüler suchen sich einsder Bilder aus und beschreiben es detailliert imZusammenhang mit der historischen Situation,auf die das Bild sich bezieht.

Option 7: Zur Vertiefung und Vergegenwärtigung derLebenssituation von „Trümmerfrauen“ könntenTexte aus dem Buch: Trude Unruh (Hg.): Trüm-merfrauen. Klartext-Verlag, Essen 1987 herange-zogen werden (In der Zeitschrift zur Ausstellungist ein Text aus diesem Buch abgedruckt.)

Zum Lesen und Nachschlagen mit Abbil-dungen und Karten. Gut lesbar: DietherRaff: Deutsche Geschichte vom altenReich zum Vereinigten Deutschland.Neuausgabe. W. Heyne Verlag, München1992, Taschenbuchausgabe, 600 S., DM24,80.

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Bild 13: Die neue Frauenbewegung stellt die alten Rollenklischees in Frage undfordert eine angemessene Vertretung auch im nicht-privaten Bereich.aus: Der große Unterschied. Berlin 1988

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Fremdsprache Deutsch 6

„Mitteilungsorgan“ (über Sti-pendienmöglichkeiten, Lehr-materialien des Goethe-Insti-tuts, Seminarankündigungenetc.) mit mehr oder wenigerkurzen methodischen oderlandeskundlich-informati-ven Texten dazwischen. Inden letzten Jahren hat siesich jedoch mehr und mehrzu einer echten methodisch-didaktischen Fachzeitschriftfür Deutschlehrer allerSchularten gemausert. Fürein solches Organ besteht inSchweden auch mehr alsvielleicht anderswo Bedarf:Es gibt im Lande keine ver-gleichbare Publikation, wel-che die Deutschlehrer soumfangreich und kontinuier-lich mit „Stoff“ versorgt.

Konzept und GestaltungNatürlich ist der Informati-onsteil durch diese „Meta-morphose“ nicht weggefal-len. Seit geraumer Zeit gibt

es einen Neuerscheinungs-Besprechungsdienst. Dazutreten mehr oder wenigerumfangreiche Beiträge inden Sparten „Landeskunde“,„Methodisches“, „Sprache“,„Medien“ etc. Auch Abdruk-ke aus anderen Zeitungenund Zeitschriften, sofern sie„ins Programm“ der jeweili-gen Nummer passen undkostenlos abgedruckt wer-den dürfen, sind neuerdingsöfters zu finden. Die Spann-weite der Inhalte ist dabeibeträchtlich: Sie reicht vommehr theoretisch-didakti-schen Aufsatz etwa über dieAnredekonventionen imDeutschen bis hin zu (sehrgeschätzten) unterrichts-praktischen Beiträgen (mitAngabe der Klassenstufe, fürdie sie geschrieben sind),die der Lehrer fotokopiert indie Klasse mitnehmen kann.

AKTUELLES hat keineThemenhefte, auch wenn

die einzelnen Nummern oftum einen umfangreichenBeitrag zu einem bestimm-ten Thema herumgruppiertsind:• Nr. 11/12: BRDDR• Nr. 13: Bildungssystem in

Deutschland• NR. 14 Jugendbücher im

Deutschunterricht/Jugendbuchliste

• Nr. 15: Thema „Arbeit“ imLandeskundeunterricht

Der „Hauptartikel“ bestimmtoft auch das Titelbild. Unddarauf ist AKTUELLES schonein bißchen stolz: Es hatnämlich einen sogenanntenHausgrafiker (Ulrich Hof-mann) „zur Hand“, der dieTitelseiten gestaltet und deroft auch im Inneren des Hef-tes ordnend, karikierend,layoutend wirkt.

Wenn AKTUELLES denneine „Philosophie“ hat, danndie: Die Zeitschrift soll denLehrerinnen und Lehrernnützen (nicht nur unmittel-bar für den Unterricht, son-dern auch im Sinne der eige-nen Fortbildung) – und siesoll so aufgemacht sein, daßman gern in ihr blättert.

Nordische KooperationSeit ein paar Jahren gibt esauch ein AKTUELLES Nor-wegen und ein AKTUELLESFinnland. Die Redaktionender einzelnen Zeitschriftensind völlig unabhängig von-einander, was bei der Diffe-renziertheit der Region Nor-deuropa auch nicht Wundernimmt. Jedoch werden dieArtikel ausgetauscht undüberhaupt wird mehr koope-riert: Einmal im Jahr treffensich die Mitglieder derRedaktionen (meist in Stock-holm) zu einer Redaktions-besprechung AKTUELLES-Nordeuropa, in diesemHerbst erstmals auch mitden Fachberatern aus dendrei baltischen Staaten.

ANDREAS PAULDRACH

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Seit 10 Jahren:AKTUELLES in SchwedenIm Frühjahr wurde „AKTU-ELLES für den Deutschunter-richt“ zehn Jahre alt. DieseZeitschrift, die anfänglichgar keine sein wollte, gehörtalso zu den älteren unterden sogenannten PV-Zeit-schriften des Goethe-Insti-tuts. (PV = Pädagogische Ver-bindungsarbeit)

Für die Deutschlehreraller Schularten – Vonder Uni Uppsala undvom Goethe-InstitutSie war zunächst als reinesInformationsorgan für dieschwedischen Deutschleh-rerinnen und Deutschlehrerin der Oberstufe der neun-jährigen Grundschule, derdreijährigen Gymnasialschu-le und in der Erwachsenen-bildung gedacht. Herausge-geben wird sie von der Fort-bildungsabteilung derUniversität Uppsala unddem Goethe-Institut inStockholm. Von beiden Insti-tutionen wird sie auch finan-ziert. Wichtig in diesemZusammenhang: Noch ge-lingt es den Herausgebern,die Zeitschrift kostenlosanzubieten.

Mittlerweile pendelt dieAuflage um 3500 herum(wobei mit dieser Auflagen-höhe noch lange nicht allepotentiellen Abnehmererreicht werden). Die Steige-rung der Auflage in letzterZeit hängt damit zusammen,daß seit 1992 auch dieDeutschlehrer in Island undin Estland Interesse an die-ser Zeitschrift gezeigthaben.

Vom Mitteilungsblattzur „Fachzeitschrift“Ursprünglich war die zwei-mal im Jahr (März undNovember) erscheinendeZeitschrift „eine Sammlungaktueller Materialien“ und„nützlicher Hinweise“, ein

ZEITSCHRIFTEN STELLEN SICH VOR:

AKTUELLES für denDeutschunterricht

(Schweden)

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Fremdsprache Deutsch 6

Stereotyp undVorurteilStereotyp und Vorurteilwerden im Alltag meistsynonym verwendet. Manbezeichnet damit feste,negative, diskriminierendeund falsche Verallgemeine-rungen. Heute versuchtman in der Forschung, diebeiden Begriffe zu unter-scheiden: Das Vorurteil giltals stärker mit Gefühlenbesetzt, so daß es eher zueinem diskriminierendenVerhalten führen kann unddann eine von vornhereinfeindselige Haltung aus-drückt („die Deutschensind kalt und machtbeses-sen“), während Stereotypeher die gefühlsmäßig neu-trale, kognitive Form derVerallgemeinerung be-zeichnet („Alle Deutschenarbeiten viel“).

Stereotypen sind eineArt schematischer Denk-und Wahrnehmungshilfen,deren sich jeder bedient,um die Vielfalt der Erschei-nungen für sich zu ordnenund zu vereinfachen. DieStereotypen, die jede Nati-on und jede soziale Gruppeüber andere Nationen undandere soziale Gruppen

hat, gehören zu den Kon-ventionsbeständen dieserGruppen, zu ihrem „Welt-bild“; sie werden von denMenschen durch Erfahrungoft nicht modifiziert oderkorrigiert. So ist es sicherim Vergleich zu anderenLändern richtig, wenn mansagt „die Deutschen sindpünktlich“ – die Erfahrungwürde aber lehren, daßdies eine sehr starke Verall-gemeinerung ist und in derRealität auch in Deutsch-land sich viele Menschen,die Eisenbahnen etc. ver-späten – gleichzeitig gilt,daß Pünktlichkeit für vieleDeutsche (wiederum imGegensatz zu anderenNationen) durchaus ein„Wert“, ein akzeptiertesMerkmal eines tüchtigenMenschen ist.

Im Fremdsprachenun-terricht müssen Lehrbü-cher und Lehrer notwendigmit Stereotypen arbeiten,um ihren Schülerinnen undSchülern trotz knapper Zeitund begrenzter Sprach-kenntnisse eine Vorstellungvon der Zielkultur und denSprechern der Zielsprachezu geben – das geht nichtohne Vereinfachung. Zu-

gleich aber soll die zuneh-mende Sprachbeherr-schung den Schülern dieMöglichkeit geben, dieandere Kultur und Nationtatsächlich kennenzuler-nen und die vorhandenenStereotypen durch eigeneWahrnehmung zu überprü-fen. Damit das möglich istund Wahrnehmung nichtnur durch die Brille vor-handener Stereotypen er-folgt, müssen die vorhan-denen Stereotype über dasZielland und die Rolle derStereotypen im Wahrneh-mungsprozep thematisiertwerden.

Literatur:Bausinger, Hermann: Stereotypie

und Wirklichkeit. In: JahrbuchDeutsch als Fremdsprache 14,1988, S. 157 – 170.

Six, Bernd: Stereotype und Vorurteil imKontext sozialpsychologischerForschung. In: Günther Blaicher(Hg.): Erstarrtes Denken: Studi-en zu Klischee, Stereotyp undVorurteil in englischsprachigerLiteratur. Tübingen 1987, S. 41 –54.

Selbstbild undFremdbildIndividuen und Gruppenhaben nicht nur Vorstellun-gen von anderen Menschenund Gruppen, sondernauch von der eigenen besit-zen sie Vorstellungen, diesich auf gemeinsame Wert-vorstellungen beziehen.Stereotypen, die sich aufeine fremde Gruppe bezie-hen, nennt man Hetero-stereotypen, die dasFremdbild dieser Gruppeausmachen, also etwa dasBild, das Franzosen vonden Deutschen haben; DieVorstellungen, die man vonder eigenen Gruppe hat,sind Autostereotypen, diedas Selbstbild oder Eigen-bild ausmachen.

In der Landeskunde istbesonders von GottfriedKeller schon früh die For-

derung erhoben worden,nicht lediglich ein objekti-ves Bild von der anderenKultur zu vermitteln, son-dern auch das, was dieanderen über die eigeneGruppe denken. Deshalbwerden für den Deutschun-terricht oft Texte angebo-ten, in denen die Meinun-gen von Deutschen überdie jeweils andere Kulturartikuliert wird. Keller hoff-te, ein gegenseitiges Verste-hen von Gruppen unterein-ander dadurch zu errei-chen, daß das Selbstbildund die beim andern ver-muteten (also z. B. solche,von denen die Deutschenmeinen, daß die Franzosensie über die Deutschenhaben) und ermitteltenFremdbilder miteinanderin Einklang gebracht wer-den, eine sehr anspruchs-volle und schwer zu reali-sierende Erwartung. Reali-stischer ist es wohl, sichdarauf zu beschränken, dieVerschiedenartigkeit unter-schiedlicher Kulturen undderen Bilder voneinanderbewußt zu machen und dieAnerkennung von Verschie-denheit zur Grundlage vonVerständigung zu machen.

Literatur:Keller, Gottfried: Erkenntnisse der Sozi-

alpsychologie als Grundlage kul-turkundlicher Didaktik. In: PRA-XIS DES NEUSPRACHLICHENUNTERRICHTS 16, 1969, S.261– 281.

O´Sullivan, Emer: Der produktiveUmgang mit nationalen Stereo-typen in der Kinder– undJugendliteratur als Teil landes-kundlicher Bewußtmachung imFortgeschrittenenunterricht. In:NEUSPRACHLICHE MITTEILUN-GEN 1987, Heft 4, S. 217 – 222.

Trautmann, Günter (Hg): Die häßlichenDeutschen? Deutschland imSpiegel der westlichen und östli-chen Nachbarn. Wissenschaftli-che Buchgesellschaft, Darm-stadt 1991.

EMER O'SULLIVAN

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Fremdsprache Deutsch 6

Zu den Verben, die vielenDeutschlernenden Kopfzer-brechen bereiten, gehörendie Verben „ändern“, „verän-dern“, „abändern“, „umän-dern“ und in Verbindungdamit auch „wechseln“,„wandeln“, „verwandeln“und „umwandeln“. In nichtwenigen Sprachen steht die-sen deutschen Verben nurein Verb der Ausgangsspra-che gegenüber.

Genau anzugeben, unterwelchen Bedingungen dieoben genannten Verben ver-wendet werden, ist sehrschwer, da viele verschiede-ne Faktoren den Gebrauchbestimmen. 1)

Wir wollen uns hier aufdie Unterscheidung von „ändern“ und „verändern“beschränken und in späte-ren Heften evtl. auf die ande-ren Wörter zurückkommen.Sowohl „ändern“ wie „verän-dern“ sind von „anders“/„ander-“ abgeleitete Verbenund bedeuten beide – jenach der Ausdruckweise –„etwas anders machen“oder „anders werden“:

Worin unterscheidensich nun die beiden Verben?

Man hat versucht2), denUnterschied aus der Vorsil-be „ver-“ herauszuholen underklärt, bei „verändern“ lie-ge stärker als bei „ändern“der Blick auf dem Ergebnis.Ich kann mich dieser Deu-tung nicht anschließen. Ichbin der Meinung, daß dieAntwort auf die Frage, wannman „ändern“ und wannman „verändern“ verwen-den soll, hauptsächlich(wenn auch nicht allein)davon abhängt, an welchenObjekten / „Gegenständen“man etwas anders macht,bzw. etwas anders wird.Es gilt die Faustregel3):

Objekt nicht konkret: ä n d e r n

Objekt konkret: v e r ä n d e r n

Ein konkretes Objekt istetwas, was man sehen,hören, riechen, tasten oderschmecken kann.

Man ändert Preise, Tari-fe, Abfahrtzeiten, Öffnungs-zeiten, Termine, Gewohnhei-

ten, Inhalte, Vorschriften,Gesetze, Normen, die Mei-nung, sein Urteil, Thesen,eine Theorie, ein Kon-zept, einen Plan, eineAbsicht, eine Vorliebeetc.

Man verändert dasAussehen von etw., dieForm von etw., die Größevon etw., den Klang vonetw., die Stimme, ein Bau-werk, eine Landschaft, einePlastik etc.

Sage ich: „In der früherenDDR hat sich vieles geän-dert“, dann denke ich an dieGesetze, Vorschriften, Prei-se, Gewohnheiten etc. Sageich: „Dort hat sich vielesverändert“, denke ich eherdaran, daß das Straßenbildin den Städten z.T. schonanders aussieht, daß es„westlich“ wirkende Ge-schäftsauslagen und Ge-schäftsfassaden gibt, daßsich auf den Autobahnen einanderes Erscheinungsbildbietet als früher.

Die obige Faustregelstimmt nur grob. In Wirk-lichkeit sieht das Verhältnis

zwischen „ändern“ und „ver-ändern“ so aus:

Hier sei zu den drei Fäl-len nur so viel gesagt:„Ändern“ bezieht sich aufzwei Arten von „Tun“:1. (ebenso wie „verändern“)darauf, daß man an etwaseiniges anders macht und2. darauf, daß man etwasneu festlegt, d. h. etwasAltes (bisher Geltendes)durch etwas Neues (nun-mehr Geltendes) ersetzt.

In diesem letzteren Falleist „ändern“ nicht durch„verändern“ ersetzbar:Man hat den Namen der Stadtgeändert. Aus Karl-Marx-Stadt wurde wieder Chem-nitz. – Meine Telephonnum-mer hat sich geändert. Stattder Nr. 768553 habe ich nundie Nr. 6471373.

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I. etwas anders machen

1.Wir ändern die Park- 1. Wir verändern die Fassadegebühren. des Hauses.

2. Ich werde mich ändern. 2. Er hat sich durch Schmin-Ehrenwort! ken verändert.

3.Kann ich meinen 3. Er hat sein AussehenCharakter ändern? verändert.

4.Man könnte den Text so 4. Man könnte das alles soändern, daß ... verändern, daß ...

5. Ich kann (es) nicht 5. – ändern, daß er immer zu spät kommt.

II. anders werden

1.Die Parkgebühren werden 1. Die Fassade des Hauses sich ändern. hat sich verändert.

2. Jeder ändert sich mit der . 2. Jeder verändert sich mitZeit. der Zeit.

3. (Die Wolke ändert ihre 3. (Das Haus hat sein Aus-Lage. = Die Lage der sehen verändert.= Das Wolke ändert sich.) Aussehen des Hauses hat

sich verändert.)4.Man kann sich so ändern, 4. Alles kann sich so

daß ... verändern, daß ...5. – 5. –

nur „ändern“ möglich

nur „verändern“ möglich

„ändern“/„verändernmöglich

Gewußt wie …… erklärt warum

Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hat sich vieles geändert und verän-dert oder: über „ändern“ und „verändern“

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S E RE S P R

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Von Si

gbert

Latze

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Fremdsprache Deutsch 6

Ähnliche Fälle sind: einCode-Wort, eine Note, einenWechselkurs, einen Preis,einen Termin, ein Satzzei-chen, Gebühren, eine Ver-kehrsregel, eine Adresse,eine Hausnummer, den Fami-lienstand ändern.

Die Substitution kannsich bei einer Neufestlegungauch auf Konkretes bezie-hen. Man sieht daran, daßdie oben gegebene Faust-regel nicht völlig stimmt.Man vergleiche:Man hat die Autobahnaus-fahrt bei Eching geändert.(= Man hat festgesetzt, daßeine neue Ausfahrt gilt.)Man hat die Autobahnaus-fahrt bei Eching verändert.(= Man hat sie – z. B. – brei-ter oder schmaler gemacht.)In einigen Fällen, in denendie Grenzen zwischen „kon-kret“ und „nicht konkret“nicht so scharf sind, wie z.B.bei „Welt“, „Leben“, „Situati-on“ oder auch bei Bezug auf

die räumliche Lage, aufIntensitätsverhältnisse oderauf bloße Qualitätsangabenfindet man auch „ändern“oder „verändern“.Er möchte am liebsten dieganze Welt ändern/verän-dern.– Solche Dinge ändern/verändern das Leben. – Dasänderte/veränderte schlagar-tig die Situation. – Der Flug-körper ändert/verändert sei-ne Position. – Mit diesemKnopf kannst du die Lautstär-ke ändern/ verändern. - Dasalles wird einiges ändern/verändern.

1) Vgl. dazu: S. Latzel: Die Verben„ändern“, „wandeln“, „wechseln“,„tauschen“ und ihre Zusammen-setzungen mit „ver-“„um-“, „ab-“etc., München 1979.

2) Vgl. dazu Wolfgang Müller,Leicht verwechselbareWörter, Mannheim1973, S.31 f.

3) Zu den genauerenRegeln sieheFußnote 1.

Association of American Teachers of German (AATG): Deutsch inamerikanischen und europäischen Kontexten.Info: Prof. Renate Schulz, German Departement, University ofArizona, Zucson, Arizona, USA.

12. Welt-Computer-Kongreß, International Federation forInformation Processing (IFIP).Info: J. Fourot, Executive Secretary, 121 Avenue de Malakoff, F-75016 Paris/Frankreich.

Internationales Kuratorium für das Jugendbuch (IBBY-Kongreß):Die Welt des Kindes im Kinderbuch. Das Kinderbuch inder Welt des Kindes.Info: Sekretariat IBBY-Kongreß, Nonnenweg 12, Postfach, CH 4003 Basel, Schweiz.

Sonnenbergtagung: Fremde und Fremdes verstehen lernen.Ziele, Stile, Inhalte und Arbeitsformen im modernenFremdsprachenunterricht. Info: G. Meister, Internationaler Arbeitskreis Sonnenberg,Bankplatz 8, D-W-3300 Braunschweig.

Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL):Nachbarsprachen in Europa. Info: Prof. Dr. Klaus Mattheier, Universität Heidelberg,Germanistisches Seminar, Karlsstr. 2, D-W-6900 Heidelberg.

Buchmesse: Schwerpunktthema Mexiko

Fachsprachensymposium des InternationalenDeutschlehrerverbandes in Moskau. Info: APNJA, Ostoshenka 38, 119800 Moskau.

Expolingua: Internationale Ausstellung für Sprachen,Übersetzung und mehrsprachige Kommunikation.Info: Mainzer Ausstellungsgesellschaft, Alexander-Diehl-Straße 12,D-W-6500 Mainz.

X. Internationale Deutschlehrertagung: Deutsch alsFremdsprache in einer sich wandelnden Welt. Info: IDT Leipzig 1993, Herder-Institut der Universität Leipzig,Lumumbastr. 2, D-O-7022 Leipzig.

10. Weltkongreß der Gesellschaft für Angewandte Linguistik:Sprache in einer multikulturellen Gesellschaft. Info: Dr. Johan Matter, Vrije Universiteit, Faculteit der Letteren,Postbus 7161, NL-1007 MC Amsterdam.

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19. – 22. 7. 1992Baden-Baden

31. 8. – 4. 9. 1992 Madrid

7. 9. – 12. 9. 1992 Berlin

20. – 26. 9. 1992Sonnenberg

30. 9. – 2. 10. 1992 Saarbrücken

30. 9. – 5. 10. 1992 Frankfurt

9. – 14. 10. 1992 Moskau

26.11.– 29.11. 1992 Frankfurt

2. – 7. 8. 1993Leipzig

8. – 14. 8. 1993Amsterdam

TERMINE 1992 · TERMINE 1992 · TERMINE 1993 · TERM

Eine kleine Übung: „ändern“/„verändern“?

1. Durch eine Schönheitsoperation kann man dasGesicht eines Menschen ..................

2. Negativ ist, daß sich in den neuen Bundesländern dieMieten und die Preise................ haben.

3. Das Medikament hat den Geschmack der Milch............... Sie schmeckt jetzt ganz bitter.

4. Man hat den Namen der Stadt ................. Aus Lenin-grad wurde wieder St. Petersburg.

5. In der letzten Legislaturperiode wurden viele Gesetzeund Vorschriften.................

6. In einigen Jahren wird sich das Aussehen vieler Städ-te in den neuen Bundesländern ............... haben.

7. Atropin ............... die Pupille. Die Pupille erweitertsich unter Einwirkung der Tropfen.

8. Ich kann es nicht ................, daß Otto so vergeßlichist. Das ist eine Alterserscheinung.

9. Ich fahre nicht nach Berlin. Ich habe meinen Plan............

10. Witterungseinflüsse haben die ursprünglichen Far-ben der Wandbemalung stark ................

11. A: Ich halte nicht viel von Science-fiction-Romanen.B: Lies erst einmal dieses Buch hier, dann wirst dudeine Ansicht ...............

12. Wenn weißes Papier lange in die Sonne liegt, ...............sich seine Farbe.

Fortbildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer: Die Broschüren Fortbildung 92/Fortbildung 93 des Goethe-Instituts können beidem für Sie zuständigen, nächstliegenden Goethe-Institut angefordert werden.

Die Informationsbroschüre des Deutschen Akademischen Austauschdienstes Sommerkurse92 an den Hochschulen der Bundesrepublik ist erhältlich bei: DAAD, Kennedy-Allee,D-W-5300 Bonn 2.

Über die ganzjährig laufenden Fortbildungsveranstaltungen des Herder-Institutsder Universität Leipzig informiert: Herder Institut der Universität Leipzig, ArbeitsgruppeFortbildung/Kurse, Lumumbastr. 2-4, D-O-7022 Leipzig.

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Fremdsprache Deutsch 6

Prof. Dr. Dagmar BleiPädagogische HochschuleDresdenInstitut für Germanistik/Lehr-stuhl Deutsch als FremdspracheWigardstr. 17D-O 8060 DresdenSchwerpunkte: PragmatischeLinguistik. Didaktik des Deutschenals Fremd-/Zweitsprache

Katrin DrechselMenchestr. 16D-O 7020 LeipzigDozentin am Herder-Institut derUniversität Leipzig. Schwerpunkt:Landeskunde

Prof. Dr. Vridhagiri GaneshanDept. of German/CentralInstitute of English and ForeignLanguagesHayderabad500007 IndienSchwerpunkte: Deutsche Literatur, Didaktik der deutschen Sprache

Dr. Bernd Kast Goethe-Institut, Ref. 42Balanstr. 57D-W 8000 München 90Abteilung „Forschung und Ent-wicklung”, Mitautor zahlreicher(regionaler) Lehrwerke

Prof. Dr. Hans-Jürgen KrummZentralesFremdspracheninstitutUniversität HamburgVon-Melle-Park 5D-W 2000 Hamburg 13Schwerpunkte: Sprachlehrforschung/Deutsch als Fremdsprache, engagiertin der Lehrerfortbildung in vielenLändern

Achim MaibaumBörnestraße 2D-W 4600 DüsseldorfBüro für Text und Design; Konzept und Gestaltung derAusstellung „Zeit/Worte”

Dr. Andreas PauldrachGoethe-Institut Linnégatan 76S-11523 StockholmSCHWEDENLeiter der Spracharbeit; Mitautor desLehrwerks „Sprachbrücke“

Prof. Dr. Hans WeberObere Rutenbeck 22D-W 5600 WuppertalProfessor fürFremdsprachendidaktik.Schwerpunkte: Literaturdidaktik,Lehrerfortbildung

Irene VrignaudGoethe-Institut17, Avenue d´IenaF 75116 ParisFRANKREICHDeutschlehrerin am Goethe-InstitutParis, Kinder- und Jugendkurse

Dr. Ulrich ZeunerPädagogische HochschuleDresdenInstitut für Germanistik/Lehr-stuhl Deutsch als FremdspracheWigardstr. 17D-O-8060 DresdenWissenschaftlicher Mitarbeiter,Schwerpunkt: KontrastiveLandeskunde

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Unsere Autorinnen

und AutorenIn FREMDSPRACHE DEUTSCH werden vorwiegend praxisbezogeneBeiträge zum Deutschunterricht veröffentlicht; auch bei theoreti-schen Arbeiten ist es unser Anliegen, die Bedeutung dieser Theoriefür die Unterrichtspraxis aufzuzeigen. Außer Beiträgen zumjeweiligen thematischen Teil können auch Kurzberichte, Mitteilungenund (kurze) Buchbesprechungen eingereicht werden. Über dieAnnahme eines Manuskripts entscheiden die Herausgeber. Im Falleder Veröffentlichung erhält der Autor/die Autorin drei Hefte alsBelegexemplare. Bitte beachten Sie beim Schreiben die folgenden

Hinweise für die Gestaltung von Manuskripten1. Die Beiträge sollen max. 15–20 Schreibmaschinenseiten umfassen und in

verständlichem Deutsch geschrieben sein.2. Eine Manuskriptseite: 40 Zeilen à 40 Anschläge (oder 48 Zeilen à 50 An-

schläge) mit 11/2-zeiligem Abstand.3. Die Manuskripte müssen gut fotokopierbar und mit Seitenzahlen versehen

sein.4. Textstellen, die im Druck hervorgehoben werden sollen, sind im Manuskript

zu unterstreichen.5. Fußnoten sind nach Möglichkeit zu vermeiden.6. Texte von mehr als drei Manuskriptseiten sollten durch Zwischenüberschrif-

ten gegliedert sein – die Hauptüberschriften werden numeriert.7. Texte können durch Abbildungen, Tabellen oder Beispiele anschaulicher ge-

macht werden. Abbildungen werden in reproduktionsfähiger Form erbeten.In Ausnahmefällen werden Schriftleitung und Redaktion behilflich sein.Die Beschriftung von Abbildungen muß so groß sein, daß sie auch beiVerkleinerung der Abbildung noch gut lesbar ist. Abbildungen und Tabellenaus anderen Druckwerken müssen einen Copyrightvermerk mit möglichstgenauen Angaben enthalten.

8. Zitierweise: Im Text werden andere Veröffentlichungen durch den in Klam-mern gesetzten Verfassernamen (ohne Vornamen) mit Jahres- und even-tuell Seitenzahl zitiert, z. B.: (Müller 1984), (Meyer / Müller 1988) oder(Meyer 1987,13). Bei Zitaten ist die Angabe der Seitenzahl erforderlich.

9. Im Literaturverzeichnis werden die Literaturangaben alphabetisch nach denVerfassern geordnet, Vornamen werden ausgeschrieben, ebenso Zeitschrif-tennamen.Beispiele: Doyé, Peter: Typologie der Testaufgaben für den UnterrichtDeutsch als Fremdsprache. Langenscheidt, Berlin und München 1988.Hebel, Fritz: „Grenzen des Verstehens. Paul Celans ,Todesfuge‘ als interkul-tureller Text“. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache Bd 13. Hueber, Isma-ning 1988. 108–118.

10. Allen Artikeln soll eine kurze Angabe über die eigene Lehr-/Autorentätig-keit o. ä. sowie eine genaue Anschrift beigefügt werden.

11. Die Redaktion behält sich Kürzungen und redaktionelle Änderungen vorund bittet um Verständnis, wenn aus Zeitgründen nicht in allen Fällen Rück-sprache mit den Autoren möglich ist.

12. Auch bei erbetenen Beiträgen behalten sich die Herausgeber die Entschei-dung über eine Veröffentlichung vor.

13. Das Honorar für veröffentlichte Beiträge beträgt DM 50,– pro Druckseite.14. Manuskripte sind an die Schriftleitung zu senden. Wenn Sie mit dem Com-

puter arbeiten, können Sie uns eine Diskette mit dem Text (als MS-WORD-Datei oder im ASCII-Format) schicken. Adresse: Dr. Sigbert Latzel, SchriftleitungFREMDSPRACHE DEUTSCHGoethe-Institut, Ref. 42Gollierstr. 4D-8000 München 2

Nachtrag: In Heft 5 von FREMDSPRACHEDEUTSCH haben wir einen Beitragüber die in Italien erscheinendeZeitschrift „Fragezeichen“abgedruckt. Dabei hat einTeufelchen die Adresse derRedaktion total verhunzt. Wir bitten um Entschuldigung undbringen hier noch einmal Anschriftund Telefon:

Silvia SerenaVia Giuseppe Verdi 1821100 VARESE/ItalienTel./Fax (0332) 238095.