Frauenfiguren in Der Judenbuche_Revised

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Das Frauenbild in Annette von Droste-Hülshoffs „Die Judenbuche“

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Inhalt

1. Vorwort…………………………………………………………..32. Das Frauenbild in Drostes Zeit…………………………………..43. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen in der „Judenbuche“…...64. Frauenfiguren in der „Judenbuche“……………………………...8

4.1 Margret Mergel………………………………………………84.2 Die Rolle der anderen Frauenfiguren……………………….14

4.2.1 Mergels erste Frau und die Braut…………………...144.2.2 Die Jüdin und Frau von S…………………………...16

5. Fazit……………………………………………..........................176. Literatur…………………………………………………………18

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Vorwort

Annette von Droste-Hülshoffs Novelle „Die Judenbuche“ erschien im Jahre

1842. Im Zentrum der Erzählung steht die Lebensgeschichte des Protagonisten

Friedrich Mergel. Dieser wächst in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in

einem abgelegenen Dorf im „gebirgichten Westphalen“ auf. Kernthema der

Novelle ist Friedrichs Entwicklung vom scheuen und zurückgezogenen Kind zum

prahlerischen und kriminellen Erwachsenen. Er erschlägt den Juden Aaron und

begeht 28 Jahre nach der Tat aus Reue Selbstmord. Somit erscheint es

naheliegend, dass in der Forschung vor allem die Auswirkungen von Herkunft,

Elternhaus, dörflichem Umfeld und der umgebenden Gesellschaft auf Friedrichs

Werdegang untersucht worden sind.1

Auf dieser Grundlage mag es, vordergründig betrachtet, nicht sonderbar

anmuten, dass den Frauenfiguren in der „Judenbuche“ nur wenig Beachtung

geschenkt worden ist. Dennoch trägt vor allem die Haltung der Mutter, Margret

Mergel, im Wesentlichen zur negativen Charakterentwicklung ihres Sohnes bei,

zumal sie ihm die Vorurteile des Dorfes vermittelt.

Die geringfügige Beschäftigung mit den Frauenfiguren ist sicherlich primär

darauf zurückzuführen, dass selbst Margret nur eine Nebenrolle einnimmt und

die anderen in der Novelle auftretenden Frauenfiguren meist nur innerhalb einer

Passage erwähnt werden.

Die Rolle der Frauen in der „Judenbuche“ ist allerdings nicht zu unterschätzen.

So betrachtet Heselhaus diese Novelle auch als „(…) Sozialstudie, in der die

Situation der Frauen in den Dörfern in ziemlicher Deutlichkeit aufgezeigt wird“.2

In der vorliegenden Arbeit wird daher die Untersuchung der Frauenfiguren, vor

allem der Person der Margret Mergel, im Vordergrund stehen. In diesem

Zusammenhang spielt auch das Frauenbild in Drostes Zeit eine bedeutende Rolle,

und es wird zu klären sein, ob Droste eine Sozialkritik äußert.

1 Siehe beispielsweise Winfried Freund: Der Außenseiter Friedrich Mergel. Eine sozialpsychologische Studie zur „Judenbuche“ der Annette von Droste-Hülshoff. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 99 (1980). Sonderheft. S. 110-118.2 Clemens Heselhaus: ‚Die Judenbuche’ – Die Sprache der Frau in der Literatur. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 99 (1980). Sonderheft. S. 153.

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Eva Schürmann-Lanwer, 23.12.09,
wo Zitat entnommen?
Eva Schürmann-Lanwer, 23.12.09,
welche Frauenfiguren treten denn konkret noch auf?
Eva Schürmann-Lanwer, 23.12.09,
wo beispielsweise?
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1. Das Frauenbild in Drostes Zeit

Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) lebte in einer sehr widersprüchlichen Zeit.

Sie stand, wie die meisten ihrer Generation, zwischen Revolution und Restauration.

Es handelte sich um die Epoche des Biedermeier, die sich bezüglich der Politik, der

Gesellschaft, Kultur und Ökonomie durch zahlreiche Gegensätze auszeichnete. Als

Freiin von Droste zu Hülshoff genoss die Dichterin zwar die Privilegien einer

Adeligen, musste sich aber zugleich auch den Verhaltensregeln und Zwängen ihres

Standes unterwerfen.

Anhand der Novelle „Die Judenbuche“ sollen die damaligen Frauenbilder sowie das

Rollenverständnis der Frau näher erforscht werden. Es soll untersucht werden,

welches Rollenverständnis innerhalb der Epoche anzutreffen ist und welche

Auswirkungen dies auf die Frauen jener Zeit hatte.3

Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen zwei Frauenbildern in Drostes Zeit.

Auf der einen Seite steht die Landedelfrau mit ihren klar umrissenen Aufgaben. Sie

ist für die hauswirtschaftliche Verwaltung des Landsitzes verantwortlich. Hierzu

zählen die Aufsicht über das Personal und die Verwaltung der Vorräte. Des Weiteren

gehört die Anleitung der Kindererziehung zu ihrem Aufgabenbereich. Außerdem

wird von ihr Nächstenliebe gegenüber den ihr unterstellen Menschen und den

Bewohnern des Guts erwartet. Die Landedelfrau ist in eine patriarchalische Familien-

und Gesellschaftsstruktur einbezogen: ,,Innerhalb der patriarchalischen Familien-

und Gesellschaftsstruktur unterstand die Gutsfrau der Herrschaft ihres Gatten, des

Hausvaters".4 Fleiß, Sparsamkeit und eine Anpassung an die Wünsche des

Hausvaters galten als selbstverständliche Tugenden.

Auf der anderen Seite steht die höfische Dame. Von ihr werden ebenfalls vielfältige

Fähigkeiten und Tugenden gefordert, so beispielsweise geistige und ästhetische

3 Zu beachten ist jedoch, dass die „Judenbuche“ in der Mitte des 18. Jahrhunderts spielt, also einige Jahrzehnte vor Drostes Zeit. Aus diesem Grund wird zunächst auf das Frauenbild zu Drostes Zeit (frühes 19. Jahrhundert) eingegangen werden und daran anschließend ein Blick auf das Frauenbild des 18. Jahrhunderts geworfen. Doch im Ganzen decken sich diese Bilder auch.4 Miriam Oberle: Annette von Droste-Hülshoff - Frauenräume und Frauenträume, München, 2003, S. 4.

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Eva Schürmann-Lanwer, 23.12.09,
Quellen?
Eva Schürmann-Lanwer, 23.12.09,
Quelle?
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Fertigkeiten sowie eine genaue Kenntnis und Umsetzung der Etikette.5 Letzteres

bringt es mit sich, dass die höfische Dame auch für die geistige und gesellschaftliche

Unterhaltung verantwortlich ist. Des Weiteren stellt eine perfekte Beherrschung der

französischen Sprache eine wichtige und notwendige Errungenschaft der ihr zuteil

gewordenen Bildung dar. Ihr Äußeres soll sich durch Anmut, Schönheit,

angemessenes Benehmen und Stil auszeichnen.6

Zu beachten ist, dass es in dieser Zeit keine klare Abgrenzung zwischen den beiden

Frauenbildern gab, da auch Ideale des aufstrebenden Bürgertums tragenden Einfluss

ausübten.

Droste wendet sich in der „Judenbuche“ nicht dem Adel, sondern den unteren

Ständen, dem Landvolk, zu.7 Doch auch für diese Stände galt im Allgemeinen das

Bild des weiblichen Geschlechts in der Besetzung der Rollen einer Hausfrau, Gattin

und Mutter. So oblag der Landfrau die Aufgabe, das Haus für ihren Mann zu einem

Ort der Ruhe und Sicherheit zu machen. In der Regel trug sie nicht durch Arbeit

außerhalb des Haushalts zum Unterhalt der Familie bei, denn dies war dem Mann

vorbehalten. Zudem war der Wirkungsraum der Frau in der Öffentlichkeit stark

beschränkt.8

In den vorehelichen Jahren war die Frau in der Regel dem Vater unterstellt.9 Ihm

kam die Auswahl eines Ehemanns für seine Tochter zu, der diese in seine Obhut

nahm und für sie sorgte. Zuneigung oder Liebe spielten im Rahmen solcher

Arrangements kaum eine Rolle, mögliche Gefühle der Frau blieben unberücksichtigt.

Innerhalb der Ehe diente sie hauptsächlich dem Zwecke der Fortpflanzung und der

Führung des Haushalts.

5 Ingeborg Weber-Kellermann: Frauenleben im 19. Jahrhundert: Empire und Romantik, Biedermeier, Gründerzeit. München, 1998, S. 23. 6 Ibid, S. 16.7 Obwohl Droste sich den gebildeten Ständen zugehörig gefühlt hat, war sie innerlich auch dem Landvolk verbunden. So schreibt sie diesbezüglich in einem Brief an Christoph Bernhard Schlüter: „Soll ich mich nun dem niederen Klassen zuwenden? Das Landvolk zum Stoffe wählen mit seinen duseligen Begriffen, seltsamen Ansichten, lächerlichen Schlussfolgen und andererseits praktischen Verstande in manchen Dingen, Schlauheit und rationellem Humor?“. Jedoch bemerkt sie auch, dass sie „(…) zwischen Bauern aufgewachsen [sei] und selbst eine starke Bauernader in [ihr] spüre“. Brief an Christoph Bernhard Schlüter vom 26./28.04.1840, Briefe Bd. 1, S. 408 zitiert aus Heselhaus, S. 152.

8 Weber-Kellermann, S. 10.9 Ibid, S. 11.

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Eva Schürmann-Lanwer, 23.12.09,
Quelle?
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In der Öffentlichkeit galt es, der Frau als Mitglied der Gesellschaft Achtung

entgegenzubringen, so beispielsweise aufgrund ihrer Schönheit. Doch im

Allgemeinen herrschte die Ansicht vor, Frauen seien unfähig, eigene, den jeweiligen

Sachverhalt kompetent erfassende Meinungen zu äußern und deshalb auch nicht als

gleichberechtigte Gefährtinnen und Gesprächspartnerin des Mannes zu akzeptieren.

Aus diesem Grund traf der Mann die Entscheidung über die Bildung seiner Frau und

deren konkrete Gestaltung sowie Ausmaß. Dies wiederum war von seinem eigenen

Bildungstand und von dem sozialen Status der Familie abhängig. So wurde den

Frauen in Deutschland beispielsweise erst Anfang des 20. Jahrhunderts ein

Wahlrecht zugestande.10, von dem sie am 19. Januar 1919 bei der Wahl zur

Deutschen Nationalversammlung von Gebrauch machen konnten. Jedoch behielt das

Recht nur bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahre 1933 seine

Gültigkeit.

In der Tat bestanden für Frauen kaum Gelegenheiten zur freien Meinungsbekundung.

Die einzige, in keiner Form beschränkte Möglichkeit hierzu stellte das Schreiben von

Büchern und Gedichten dar. Es war zumeist schwierig, die Bücher unter dem Namen

der Autorin zu veröffentlichen, was die Pseudonymnutzung unter weiblichen

Schriftstellern förderte. Die vermutlich bekannteste Autorin jener Zeit, die unter

einem Pseudonym schrieb, war George Sand.

2. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen in der „Judenbuche“

Obwohl Heselhaus in der „Judenbuche“ eine Sozialstudie sieht, ist die Novelle

gemäß Drostes Intention weder eine ökonomische Analyse noch eine bloße

sozialpsychologische Milieustudie.11 Dennoch schließt dies nicht aus, dass der

Text die sozialen und ökonomischen Verhältnisse in der spezifischen Weise, wie

sie von der Verfasserin wahrgenommen wurden, widerspiegelt.

10 Ute Gerhard: Frauen in der Geschichte des Rechts: von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. 17. Aufl. München, 1999, S. 574.11 Vgl. Heselhaus, S. 153.

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Eva Schürmann-Lanwer, 24.12.09,
Quelle?
Eva Schürmann-Lanwer, 24.12.09,
Quelle?
Eva Schürmann-Lanwer, 24.12.09,
quelle?
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Zunächst bezieht sich die „Judenbuche“ auf die tatsächlichen Begebenheiten um

den historischen Mörder Winkelhannes. Allerdings wird das Ereignis in der

Novelle um 20 Jahre zurückdatiert. Des Weiteren verarbeitet die der Text auch

Haxthausens Geschichte eines algerischen Sklaven. Diese Begebenheiten sind für

die Milieuschilderungen in der „Judenbuche“ bedeutsam.12 Darüber erhalten für

die Schilderungen auch der Komplex des Holzfrevels, die Rechtsunsicherheit

sowie die Struktur der sozialen Beziehungen innerhalb der Dorfgemeinschaft

Relevanz.

Betrachtet man die „Judenbuche“ unter den vorgestellten Aspekten, so kann man

mit Kreis folgern, dass die offenbar lokalen und in die Feudalzeit fallenden

Ereignisse tatsächlich den universalen Veränderungsprozess auf dem Lande

darstellen, der sich auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts bezieht.13 Die

Einwohner scheinen ihr Rechtsgefühl verloren zu haben, jedoch ist der Grund

hierfür nicht ausschließlich in einem Streit um die Holzrechte zu finden.

Tatsächlich haben noch andere entscheidende Faktoren und Entwicklungen das

Rechtsempfinden der Dorfbewohner negativ geprägt. Es ist etwa zu bedenken,

dass das Fürstbistum Paderborn im Zuge der napoleonischen Kriege und der

nachfolgenden Neuordnung Europas seit 1802 sechsmal den Besitzer und damit

auch die Rechtsverfassung wechselte. Schließlich wurde es 1815 wieder Preußen

zugesprochen.14

Das Allgemeine Landrecht war neben dem Kriegsrecht in der Zeit der

preußischen Besatzung von 1802-1806 im Paderbornschen gültig, so dass auch

die feudalabhängigen bäuerlichen Schichten zu ökonomisch „freien“ Untertanen

wurden. Jedoch vollzog sich dieser Prozess der „Bauernbefreiung“ primär im

Zuge der preußischen Reformen.15 Dennoch waren die Folgen der Befreiung der

Landbevölkerung aus feudalrechtlichen Abhängigkeiten durchaus ambivalenter

12 Winfried Freund: Abrechnung mit der Heimat: ‚Die Judenbuche’. In: Annette von Droste-Hülshoff. München, 1998, S. 111. Siehe auch Winfried Freund: Annette von Droste-Hülshoff. Was bleibt. Stuttgart, 1997, S. 11f.13 Rudolf Kreis: Annette von Droste-Hülshoffs „Judenbuche“. Versuch einer sozialkritischen Betrachtung. In: Projekt Deutschunterricht. Bd. 6. Stuttgart 1974, S. 3. 14 Vgl. Heinz Rölleke: Annette von Droste-Hülshoff. Die Judenbuche. 2. Aufl. München, 2001, S. 31.15 Ibid.

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Natur. Denn mit der persönlichen Freiheit der bäuerlichen Schichten ging keine

Befreiung von der Dienstleistungspflicht gegenüber dem Grundherrn einher.

Nichtsdestotrotz brachte die so genannte Bauernbefeiung vor allem eine Lösung

der Landbevölkerung von der dem Feudalsystem innewohnenden sozialen

Absicherung mit sich. Die Gutsherrschaften wurden von der Fürsorgepflicht

gegenüber ihren Untertanen entbunden. Dies hatte wiederum zur Folge, dass es in

der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Verelendung der

Landbevölkerung kam sowie zu einer weitgehenden Auflösung der

Dorfgemeinschaft.16

Die beschriebenen Umstände finden ihren Niederschlag in der „Judenbuche“.

Beispielsweise werden eine bedrückende dörfliche Armut und der Niedergang

der Familie Mergel thematisiert. Letzterer endet schließlich damit, dass Margret

Mergel auf Almosen der Gutsherrschaft angewiesen ist. Jedoch ist in diesem

Zusammenhang zu beachten, dass in der „Judenbuche“ die Fürsorge der

Gutsherrschaft gegenüber Margret in ihren letzten Jahren weniger als feudale

Verpflichtung dargestellt wird, sondern als Gnadenakt aus persönlicher

Barmherzigkeit.17

3. Frauenfiguren in der „Judenbuche“

3.1 Margret Mergel

Für die Dorfbewohner ist es zunächst unverständlich, weshalb die kluge, als

„brave, anständige“ und ehemalige „Dorfschönheit“ geltende Margret Semmler

den heruntergekommenen „armseligen Witwer“ (12)18 Hermann Mergel heiratet.

16 Ibid.17 Ibid, S. 32.18 Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westphalen. Mit einem Kommentar von Christian Begemann. 1. Aufl. Frankfurt am Main, 1999. Es wird aus dieser Ausgabe zitiert.

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Grund für die Eheschließung ist vermutlich Margrets Alter und weniger eine

emotionale Beziehung zu dem Mann. Denn zur Zeit der Eheschließung ist

Margret bereits „in den Vierzigern“ (ibid). Darüber hinaus betrachtet sie es als

ihre Aufgabe und Herausforderung, durch ihre Stärke und Bestimmtheit den

weiteren gesellschaftlichen Abstieg Hermann Mergels zu verhindern. Margret

erblickt darin eine sinnvolle Aufgabe für ihr weiteres Leben.

Margrets Heirat mit Hermann Mergel wird mit ihrer „selbstbewusste(n)

Vollkommenheit“ (13) begründet. Es ist also die Selbstüberschätzung, die sie

dazu bringt, Hermann Mergel zu heiraten. Denn sie ist der festen Überzeugung,

dass sie ihren Mann zähmen und zum Guten bekehren kann. Dem entspricht auch

ihre Meinung, dass eine schlecht behandelte Frau selbst an ihrer Lage schuld ist.

So erklärt sie: „Eine Frau, die von ihrem Manne übel behandelt wird, ist dumm

oder taugt nicht: wenn’s mir schlecht geht, so sagt, es liege an mir“ (ibid). Daran

wird offenbar, dass sie eine sehr selbstsichere Persönlichkeit ist, die sich ihrer

Stärke und ihres Durchsetzungsvermögens sicher ist.

Margret scheitert bei ihrem Versuch, ihren Mann umerziehen zu wollen und ihm

das Trinken abzugewöhnen. Jedoch ist sie sehr darum bemüht, nach außen den

Schein einer heilen Ehe zu wahren. Es wird deutlich, dass sie sich des Charakters

ihres Ehemanns und der Folgen dieser Ehe für sich selbst nicht bewusst war.

Augenscheinlich sah sie in der Heirat ihre letzte Chance zur Gründung einer

Familie. Bald aber erkennt sie, dass dieser Schritt ihr ganzes Leben ruiniert und

bereut ihr Tun. So sagt sie später nach dem Tod des Mannes: „Es ist mir derweil

oft bitterlich gegangen mit allerlei Schicksalen.“ – „Ja, Mädchen, zu spät gefreit,

hat immer gereut! Jetzt bist du alt und das Kind ist klein“ (18).

Doch zunächst ist Margret bestrebt, ihr Eheleid vor den Nachbarn zu

verschleiern, indem sie beispielsweise alle Fenster und Türen schließt, wenn ihr

Mann im Hause zu sehr lärmt. Ein anderes Beispiel hierfür zeigt sich, nachdem

Hermann Margret vermutlich geschlagen hat und sie daraufhin aus dem Haus in

den Garten läuft. Dort gibt sie vor, Kräuter brechen zu wollen (vgl. ibid). Gegen

die Misshandlungen ihres Mannes wehrt sie sich offenbar nicht. Stattdessen

flüchtet sie und ist bestrebt, die Umstände zu vertuschen. Unter anderem sucht

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Eva Schürmann-Lanwer, 27.12.09,
was bedeutet das?
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sie in der Scheune Zuflucht, aber die Dörfler haben ihre Niederlage und Schande

erkannt und in ihrer Sicht auf die Ebene ihres Mannes gezogen.19

Die Geburt ihres Sohnes Friedrich nimmt Margret aufgrund der „unglücklichen

Ehe“ mit gemischten Gefühlen auf. Sie scheint nicht glücklich über die Geburt zu

sein. So hat sie wohl mehr aus Kummer als aus Freude „(…) geweint, als man ihr

das Kind reichte“ (ibid). Später scheint Margret auch mit Friedrichs Erziehung

überfordert zu sein und verängstigt ihn beispielsweise, als er sich eines Nachts

um seinen Vater sorgt. Sie versucht nicht, Friedrich zu beruhigen und ihm gut

zuzureden, wie man es vermutlich von einer umsichtigen Mutter erwarten würde.

Stattdessen erzählt sie ihm vom Teufel und dass dieser seinen Vater „fest genug“

halten würde (14). Sie wird auch zunehmend ungeduldig mit Friedrich und sagt

schließlich zu ihm: „Wart du Unrast! Er [der Teufel] steht vor der Tür und will

dich holen, wenn du nicht ruhig bist!“ (ibid).

Dies geschieht in der Nacht von Hermanns Tod. Es wird sichtbar, wie sehr

Margret ihren Mann verabscheut und wie stark auch ihre Aggressionen gegen ihn

sind. Auf Friedrichs Frage nach dem abwesenden Vater weist sie ihn somit

zunächst auch auf dessen Unzuverlässigkeit hin und vermittelt dem Sohn im

Ganzen ein sehr negatives Bild von dem Vater. Noch schädigender wirkt

vermutlich ihre Aussage auf den Sohn, als sie meint, man würde ihren Mann

wieder betrunken wie ein „Schwein“ nach Hause bringen: „Da bringen sie mir

das Schwein wieder!“ (15). Man kann auch vermuten, dass sich Margret am Tode

ihres Mannes mitschuldig macht, da sie ihn nicht rechtzeitig hereinlässt, als es an

der Tür klopft (14).

Margret empfindet die beschämenden Umstände des Todes ihres Mannes

als belastend. Ihre Zuversicht und Selbstsicherheit wurden aber bereits von ihrem

Mann gebrochen. So betrachtet sie ihre Ehe rückblickend als "zehn Jahre, zehn

Kreuze" (16). Jedoch kann man auch vermuten, dass sie ihren Mann zumindest

ein wenig geschätzt hat, denn sie betet auch in der Unglücksnacht für Hermann,

der aber dennoch stirbt. Obwohl Margret von ihrem Mann misshandelt wurde, ist

sie dennoch erschüttert über dessen Tod und sagt: „Zehn Jahre, zehn Kreuze. Wir

19 Heinz Rölleke: Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Interpretationen. Erzählungen und Novellen des 19. Jahrhunderts. Band 2. Stuttgart, 1997, S. 20f.

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Eva Schürmann-Lanwer, 27.12.09,
was ist damit gemeint?
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haben sie doch zusammen getragen, und jetzt bin ich allein!“ (ibid). Dies

bedeutet somit auch, dass sie rückblickend erkennt, dass das dörflich enge Leben

zusammen einfacher zu ertragen war.

Nach dem Tod Hermanns führt Margret mit Friedrich ein seltsam

anmutendes Erziehungsgespräch.20 Sie stellt ihn nämlich vor die Alternative,

„fromm [zu] sein“ oder zu „lügen, oder saufen und stehlen“ (16). Auffällig ist,

dass Margret ihrem Sohn nicht erklärt, was sie eigentlich unter Frömmigkeit

versteht. Stattdessen vermittelt sie ihm die Vorurteile und Rechtsvorstellungen

des Dorfes. Man kann somit mit Freund sagen, dass Friedrich „mit der

Muttermilch“ die Vorurteile aufnimmt, „die den Nährboden bilden für rechtloses

Verhalten und Gewalt“.21 Margret vertritt also das gestörte Rechtsempfinden der

Dorfgemeinschaft. Dies zeigt sich in ihren Äußerungen über Holzdiebstahl,

Förster und Juden (ibid). Denn auch Margret zeigt ein mangelndes

Unrechtsbewusstsein. Zudem überträgt sie ihre Ansichten über Juden und Förster

auf ihren Sohn, so dass damit für ihn der Weg in verhängnisvolle Vorurteile

geebnet wird.

Zu dieser vorurteilsbelasteten Ansicht gehört beispielsweise die Meinung,

dass die Juden im Gegensatz zu den ansässigen Dörflern keine Rechte haben, da

sie allesamt als ehrlose Menschen und Betrüger gelten (ibid). Die Förster stehen

außerhalb der dörflichen Gemeinschaft und haben ein besonderes Recht, da sie

die Dorfbewohner mit Gewalt hindern, ihrem vermeintlichen Recht an Holz und

Wild im Wald zu folgen. Auf diese Weise leistet die Mutter einen entscheidenden

Beitrag zu Friedrichs späteren ungesetzlichen und gewalttätigen Verhalten.22

Durch den Tod ihres Mannes fühlt sich Margret ihrer Lebensperspektive

beraubt. Sie erkennt, dass sie versagt hat und ihren Mann nicht ändern konnte.

Zudem steht sie nun als allein erziehende Mutter und Witwe da. Dies galt in ihrer

Zeit und Gesellschaft als äußerst unschicklich und unangenehm. Außerdem hat

sie keine Hoffnung mehr auf jeglichen Wohlstand. Somit scheint sie mit ihrer

neuen Situation und auch mit der Erziehung des Sohnes völlig überfordert: „(…)

ich bin eine einsame Frau; mein Kind ist nicht, wie einer, über den Vaterhand

20 Vgl. Manfred Eisenbeis: Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. Stuttgart, 2002, S. 31f. 21 Freund, Annette von Droste-Hülshoff. Was bleibt, S. 14.22 Vgl. Eisenbeis, S. 32.

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regiert hat“ (20). Ihr Bruder Simon Semmler verstärkt das Gefühl der

Aussichtslosigkeit zusätzlich noch. Denn er kritisiert ihre späte Heirat mit

hämischen Worten.

Trotz aller Schwierigkeiten liebt Margret ihren Sohn dennoch und ist sehr

stolz auf ihn. So stimmt sie auch seiner Adoption durch ihren Bruder Simon zu.

Denn sie meint, dass dies das Beste für ihren Sohn ist. Obwohl sie Simons

zwielichtige Natur erahnt, kann sie es sich unter dem Druck der Verhältnisse

nicht leisten, sich gegen sein Angebot zu stellen. Ihr ist bewusst, dass sie ihren

Sohn verwöhnt hat und hofft, dass er in den Diensten des gut gestellten Onkels

aus seinen schlechten sozialen Verhältnissen herauskommen und sozial

aufsteigen kann. Dieser Wunsch bewahrheitet sich dann auch.

Jedoch bereut Margret später ihren Entschluss, als sie erkennen muss, dass

Johannes das uneheliche Kind ihres Bruders ist. Simon hat die Vaterschaft

offenbar mit einem Meineid abgestritten. Diese Reue offenbart Margrets

Bemühen, in ihrem Leben trotz ihrer Außenseiterrolle moralische Grundsätze zu

beachten und danach zu leben. Dennoch kann sie es sich nicht leisten, den Sohn

vom Onkel fernzuhalten. Dies ist auch der Grund, weshalb sie sich einredet, dass

ihr Bruder „so gottlos nicht sein [könne]“ (26). Des Weiteren möchte sie glauben,

dass Ähnlichkeiten nichts beweisen und Johannes vermutlich gar nicht der Sohn

ihres Bruders ist. Sie möchte die Wahrheit nicht anerkennen und so lässt sie

Friedrich in Simons Obhut.

Bei seinem Onkel entwickelt sich Friedrich zu einem kräftigen und gut

aussehenden jungen Mann, der gesellschaftliche Anerkennung findet. Dies erfüllt

Margret mit großem Stolz auf ihren Sohn. Sie empfindet sogar „eine Art

Hochachtung“ (27) vor ihm, da er es ohne ihre Hilfe geschafft hat, sich aus der

misslichen sozialen Situation herauszuarbeiten. Jedoch erkennt Margret auch,

dass Friederichs Charakter eine „unglückliche Wendung“ genommen hat. So gibt

ihr Friedrich zunehmend Anlass zu Kummer. Denn er beginnt, immer mehr sein

Geld für sein äußeres Erscheinungsbild zu verwenden und den Hof zu Hause

verkommen zu lassen. So wurde er „(…) äußerlich ordentlich, nüchtern,

anscheinend treuherzig, aber listig, prahlerisch und oft roh, ein Mensch, an dem

Niemand Freude haben konnte, am wenigsten seine Mutter (…)“ (41). Auf diese

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Weise kommt es zu einer Vernachlässigung und Missachtung der Mutter. Denn

der Sohn „(…) gewöhnte sich zu prunken, während seine Mutter darbte“ (40).

So wird berichtet, dass Margret „immer stiller über ihren Sohn“ (ibid)

wurde. Des Weiteren gerät sie „in einen Zustand der Verkommenheit“ (ibid), da

sie sehr über das rücksichtslose Verhalten ihres Sohnes enttäuscht ist. Dies hat

auch zur Folge, dass sie immer mehr verarmt, verwahrlost und resigniert. Die

Dörfler vermuten sogar, dass „ihr Kopf […] gelitten [habe]“ (41). Man kann

somit sagen, dass die früher so tatkräftige und selbstsichere Margret an der

armseligen und trostlosen Realität zerbricht. Denn sie muss schmerzlich

erkennen, dass sie keinerlei Einfluss mehr über den Sohn hat und dass dieser die

Mutter nicht achtet. Auf diese Weise verliert Margret den einzigen Halt in ihrem

Leben: „wenn die Kinder klein sind, treten sie uns in den Schoß, und wenn sie

groß sind, ins Herz" (35).

Unmittelbar nachdem der Mord an dem Juden Aaron bekannt geworden

ist, verfällt Margret zunehmend auch in körperlicher Hinsicht. So erscheint sie

„blaß und steinern“ und gibt außer „(…) daß sie unaufhörlich die Lippen nagte

und mit den Augen zwinkerte“ kaum Lebenszeichen von sich (49). Margret geht

ihrem Ende entgegen und resigniert vollends am Leben. Für sie gibt es keinen

Trost mehr und auch keine Hoffnung auf ein besseres Leben. Dies ist auch der

Grund, weshalb sie nicht mehr heiratet und sich völlig aufgibt (51). Obwohl die

Dorfbewohner versuchen, ihr noch beizustehen, lässt Margret alles verkommen.

Dies hat zur Folge, dass auch die Dörfler sich bald von Margret abwenden. Nur

die Gutsherrschaft versorgt sie bis zu ihrem Ende. So schickt die Gutsherrschaft

ihr täglich Nahrung und kommt für ihre ärztliche Behandlung auf, als ihr Tod

naht.

Schließlich erzählt der Gutsherr dem Heimkehrer, dass Margret auf

Almosen angewiesen und in „völliger Geistesdumpfheit“ (55) noch einige Zeit

gelebt hat. Es wird deutlich, dass Margrets Resignation durch das Scheitern ihres

Vorhabens, den Abstieg ihrer Familie zu verhindern, ausgelöst wurde. Des

Weiteren hat sie auch nichts dazu beitragen könne, dass ihr Sohn zu einem

angesehenen Mitglied der Dorfgemeinschaft wird. Stattdessen ist er zum Mörder

geworden, der fliehen musste.

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Abschließend kann man sagen, dass Margret zwar anfangs eine starke und

entschlossene Frau darstellt, die aber an den gesellschaftlichen Gegebenheiten

und der dominanten Welt der Männer scheitert. Sie steht jedoch für Religiosität

und Frömmigkeit. Denn ihr wird mehrmals das Symbol des Rosenkranzes

zugeordnet. Jedoch ist zu bedenken, dass sie oft zu Gott fleht und bittet, so als ob

sie sich vor etwas Namenlosem fürchtet. Dies erinnert an Aberglauben.

Abschließend kann man somit bezüglich Margrets Schicksal sagen, dass das

„(…) besonders Erschütternde darin [besteht], dass Margret schon so von den

herrschenden Anschauungen demoralisiert ist, dass sie nichts zur Rettung

Friedrichs tun kann“.23 Auf diese Weise besiegelt sie ihr eigenes und auch das

Schicksal ihres Sohnes. Zudem kann man auch sagen, dass anhand von Margrets

Schicksal auch die patriarchalische Struktur der Dorfgemeinschaft deutlich wird.

3.2 Die Rolle der anderen Frauenfiguren

4.2.1 Mergels erste Frau und die Braut

Heselhaus bemerkt, dass Droste in ihren Werken, so auch in der „Judenbuche“,

durchaus freimütig, aber auch kritisch zum Verhältnis der Geschlechter Stellung

nimmt.24 Dies wird auch an der Darstellung weiterer Frauenfiguren in dieser Novelle

deutlich. Neben Margret Mergel treten noch vier weitere Frauenfiguren in

Nebenrollen auf, die jedoch nur geringfügige Erwähnung finden.

Zunächst ist in diesem Zusammenhang Mergels erste Frau zu nennen. Sie

bleibt eine schattenhafte und namenlose Gestalt von der der Leser lediglich erfährt,

dass sie in der Hochzeitsnacht von Mergel offenbar blutig geschlagen wurde und den

Haushalt daraufhin panisch verlassen und all ihre Kleider dort zurückgelassen hat. Es

muss in diesem Zusammenhang beachtet werden, dass nicht explizit davon die Rede

ist, dass die Frau von Mergel misshandelt wurde. Es wird lediglich angedeutet. Die

junge Frau ist daraufhin zu ihrer Familie zurückgelaufen. Sie verkümmert jedoch und

verstirbt bald daraufhin (12). 23 Heselhaus, S. 154. 24 Ibid, S. 144f.

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Mergels erste Frau scheint ein Opfer ihres Schicksals zu sein. Offensichtlich

hat sie in der Hochzeitsnacht ein Trauma oder einen schweren Schock erlitten, der

sie derart aufgebracht und aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht hat, dass sie

verkümmert ist und einen frühen Tod gefunden hat. Allerdings werden die Gründe

für ihre Verkümmerung nicht genannt. Man kann nur spekulieren, dass die Frau von

Mergel traumatisiert wurde oder bereits psychisch labil gewesen ist (ibid).

Die Gründe für eine derart unglückliche Ehe sind möglicherweise darin zu

sehen, dass auch diese Ehe arrangiert wurde, wie die der jungen Braut, von der später

im Text die Rede ist. Die Bauernhochzeit wird auf ironische und satirische Weise

dargestellt. So bemerkt auch Heselhaus, dass Droste das Komische in den

Hochzeitsbräuchen erkennt und es in Form einer Anekdote vorführt25:

Die Gutsherrschaft war indessen in die Kammer getreten, wo der Braut von den Nachbarsfrauen das Zeichen ihres neuen Standes, die weiße Stirnbinde, umgelegt wurde. Das junge Blut weinte sehr, teils weil es die Sitte so wollte, teils aus wahrer Beklemmung. Sie sollte einem verworrenen Haushalt vorstehen, unter den Augen eines mürrischen alten Mannes, den sie noch obendrein lieben sollte. Er stand neben ihr, durchaus nicht wie der Bräutigam des hohen Liedes, der „in die Kammer tritt wie die Morgensonne.“ – „Du hast nun genug geweint,“ sagte er verdrießlich; „bedenk, du bist es nicht, die mich glücklich macht, ich mache dich glücklich!“ – Sie sah demütig zu ihm auf und schien zu fühlen, dass er Recht habe. (44)

Obwohl in dieser Passage durchaus das Ironische hindurch scheint, wird doch

eindeutig darauf verwiesen, dass die Frau ein Opfer der gesellschaftlichen

Gepflogenheiten wird. Sie wird offenbar in eine arrangierte Ehe mit einem älteren

Mann gezwungen, die sie nicht frei gewählt hat. Es erscheint nahe liegend, dass die

Ehe nicht aus Liebe und Zuneigung geschlossen wird, sondern eher aus

ökonomischen Gründen. So steht der jungen Frau ein ungewisses Schicksal bevor,

das vielleicht dem von Mergels erster Frau oder auch von Margret ähneln mag. So

bemerkt auch Moritz mit Bezug auf W. Silz, dass das ungleiche Paar der

Bauernhochzeit an Friedrichs schlecht zusammenpassende Eltern erinnert.26

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang vor allem die Bemerkung des

Bräutigams, dass er derjenige ist, der die Braut glücklich macht. Denn es wird somit

angedeutet, dass es hier um die einseitige Bestimmung des einen durch den anderen

Partner geht. Liebe, Zuneigung und ein respektvolles Miteinander spielen kaum eine

25 Ibid.26 Karl Philipp Moritz: Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. Sittengemälde und Kriminalnovelle. 2. Aufl. Paderborn, 1989, S. 50.

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Rolle.27 Somit bestimmt der ältere Mann über die junge Frau, die von nun an sein

Leben teilen wird. Sie hat sich ihm zu fügen sowie zu unterwerfen.

4.2.2 Die Jüdin und Frau von S.

Die Frau des Juden Aaron sowie Frau von S. stellen zwei weitere Frauenfiguren in

der „Judenbuche“ dar, die im gewissen Sinne gegensätzlich zueinander sind.

Erscheint die Jüdin rachsüchtig und unbarmherzig, so steht Frau von S. für

Frömmigkeit und Güte.

Nach der Ermordung ihres Mannes wird die Jüdin zu einer nach Rache

sinnenden Frau (46f.). Sie bringt mit dem Ausspruch der alttestamentlichen

Rechtsformel „Aug um Auge, Zahn um Zahn!“ (ibid) den mörderischen Kreislauf

von Gewalt und Gegengewalt in Gang. Freund bemerkt, dass nach dieser Formel alle

Menschen in einer lieb- und gnadenlosen Gesellschaft handeln.28 Die Jüdin erscheint

deshalb rachsüchtig und unbarmherzig. Des Weiteren scheint es in ihr kein Mitgefühl

oder Verständnis für den Täter zu geben.29 Sie sinnt nach Gerechtigkeit, kann ihr

Anliegen aber nicht konstruktiv umsetzen. Dies wird beispielsweise durch ihre

Ohnmacht ausgedrückt. Denn die Ohnmacht steht im wörtlichen Sinne für ihre

Handlungsunfähigkeit: „Gerechtigkeit!“ rief sie, „Gerechtigkeit! mein Mann ist

erschlagen!“ und sank ohnmächtig zusammen“ (46).

Auch sie scheint ein Opfer ihres Schicksals zu werden, denn sie wird durch

die Ereignisse um die Ermordung ihres Mannes verwirrt und stumpfsinnig (47).

Jedoch ist später die Rede davon, dass sie Trost in einer neuen Heirat findet: “Die

Judenfrau tröstete sich am Ende und nahm einen anderen Mann“ (51). Dies deutet an,

dass sie sich dem Leben wieder zugewandt und sich in ihre Rolle der (Ehe)-Frau

27 Vgl. Freund, Annette von Droste-Hülshoff. Was bleibt, S. 28.28 Freund: Abrechnung mit der Heimat, S. 119. In diesem Sinne schreibt Freund auch: „Das schnelle Urteil, den Stein, den man aufhebt, den Schuldigen zu treffen, ist genau besehen, nur ein neuer Gewaltakt, die gewaltsame Reaktion auf Gewalt, die diese potenziert, ohne sie aus der Welt zu schaffen. Letzten Endes trifft das vernichtende Urteil den Urteilenden selbst, indem es nicht den Frieden, sondern den Krieg aller gegen alle fördert“ (Freund, Annette von Droste-Hülshoff. Was bleibt, S. 12). 29 Nach Freund kann nur „die Bereitschaft zu verstehen (…) die unheilvolle Kette von Handeln und Verurteilen, von Gewalt und Gegengewalt unterbrechen und der endlos sich ereignenden Beschädigung des Menschen ein Ende setzen“ (ibid).

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ergeben hat. Dies spricht auch für ihre Anpassungsfähigkeit und ihren Lebenswillen.

Auffällig ist hier auch die Formulierung, dass die Jüdin als aktiv handelnde Frau

dargestellt wird. Denn es wird betont, dass sie sich einen Mann genommen hat und

nicht andersherum.

Die Frau von S. scheint als höhergestellte Frau eine bessere Behandlung zu

erfahren, als die Frauen des Landvolkes. So scheint auch ihr Verhältnis zu ihrem

Mann positiv und von Gleichberechtigung geprägt zu sein. Sie entspricht somit dem

Bild der Landedelfrau. Des Weiteren erscheint sie als fromme, gütige und

mitfühlende Frau. So sorgt sie sich um Johannes (59) und sieht auch sein Ende

voraus. Sie erscheint umsichtig und feinfühlig, so wird sie entsprechend mit dem

Attribut „gut“ (ibid) belegt. Sie zeichnet sich somit durch ihre Besorgnis für einen

anderen Menschen aus und zeigt Nächstenliebe für Unterstellte und Schwächere.

4. Fazit

Abschließend kann man sagen, dass Droste durchaus unterschiedliche Frauenfiguren

darstellt, obwohl sie allesamt in der Novelle eine eher untergeordnete Rolle spielen.

Im Hinblick auf Margret und Mergels erster, namenlos bleibender Frau kann man

sagen, dass diese Frauen zu Opfern ihres Schicksals werden. Margret resigniert, gibt

sich auf und stirbt, ähnlich wie Mergels erste Frau, die verkümmert und schließlich

den Tod findet. Ein vergleichbares Schicksal erwartet vermutlich auch die Braut, die

den älteren verdrießlichen Mann heiratet. Denn es wird angedeutet, dass er in der

Ehe die Oberhand haben wird.

Die Jüdin vertritt das Recht des Stärkeren und wird somit zu einem

Sprachrohr der erbarmungslosen Gesellschaft, in der sie lebt. Indem sie aber die

Ansicht ihrer Gesellschaft vertritt, wird sie zu einer Frau, die in der Gesellschaft

überlebt. So findet sie Trost und Hoffnung in einer erneuten Heirat. Es scheint somit,

dass nur Frau von S. ein Gegengewicht zu diesen Frauenfiguren darstellt. Denn sie

ist die einzige, die Güte und Mitgefühl zeigt und sich um einen schwächeren

Menschen (Johannes) sorgt.

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Aus diesem Grund kann man sagen, dass Droste in der „Judenbuche“ im

Ganzen einen „radikal negativen gesellschaftlichen Zustand“30 sowie „den

Gesellschaftsspiegel eines inhumanen historischen Zustands“31 entwirft, der sich

auch in den Charakteren der Frauenfiguren deutlich niederschlägt.

5. Literatur

Primärliteratur

Droste-Hülshoff, Annette: Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westphalen. Mit einem Kommentar von Christian Begemann. 1.Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999.

Sekundärliteratur

Eisenbeis, Manfred: Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. Stuttgart: Klett, 2002.

Freund, Winfried: Der Außenseiter Friedrich Mergel. Eine sozialpsychologische Studie zur „Judenbuche“ der Annette von Droste-Hülshoff. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 99 (1980). Sonderheft. S. 110-118.

_______: Annette von Droste-Hülshoff. Was bleibt. Stuttgart: Kohlhammer, 1997.

_______: Abrechnung mit der Heimat: ‚Die Judenbuche’. In: Annette von Droste-Hülshoff. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1998.

Gerhard, Ute: Frauen in der Geschichte des Rechts: von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. 17. Aufl. München: Beck, 1999.

Heselhaus, Clemens: ‚Die Judenbuche’ – Die Sprache der Frau in der Literatur. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 99 (1980). Sonderheft. S. 143-160.

30 Ibid, S. 31.31 Ibid, S. 32.

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Kreis, Rudolf: Annette von Droste-Hülshoffs „Judenbuche“. Versuch einer sozialkritischen Betrachtung. In: Projekt Deutschunterricht. Bd. 6: Kritischer Literaturunterricht – Dichtung und Politik. Heinz Ide, Bodo Lecke, Hg. Stuttgart 1974, S. 93-126.

Moritz, Karl Philipp: Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. Sittengemälde und Kriminalnovelle. 2. Aufl. Paderborn: Schöningh, 1989.

Oberle, Miriam: Annette von Droste-Hülshoff - Frauenräume und Frauenträume, München: Grin Verlag, 2003.

Rölleke, Heinz: Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Interpretationen. Erzählungen und Novellen des 19. Jahrhunderts. Band 2. Stuttgart: Reclam, 1997, S. 7-39.

Rölleke, Heinz: Annette von Droste-Hülshoff. Die Judenbuche. 2. Aufl. München: Oldenbourg, 2001.

Weber-Kellermann, Ingeborg: Frauenleben im 19. Jahrhundert: Empire und Romantik, Biedermeier, Gründerzeit. München: Beck. 1998.

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