FOTOS CHRIS TERRY - WordPress.com · 2017. 3. 2. · Es vereint die Physik des Kochens, die Chemie...

6
INTERVIEW EMILY BARTELS FOTOS CHRIS TERRY

Transcript of FOTOS CHRIS TERRY - WordPress.com · 2017. 3. 2. · Es vereint die Physik des Kochens, die Chemie...

Page 1: FOTOS CHRIS TERRY - WordPress.com · 2017. 3. 2. · Es vereint die Physik des Kochens, die Chemie der Aromen und die Bio-logie des Stoffwechsels. Selbst die Geschichte der Menschheit

I N T E R V I E W

E M I L Y B A R T E L S

F O T O S

C H R I S T E R R Y

801_2016_012_0_064_0_Heston.indd 64 02.11.16 12:09

Page 2: FOTOS CHRIS TERRY - WordPress.com · 2017. 3. 2. · Es vereint die Physik des Kochens, die Chemie der Aromen und die Bio-logie des Stoffwechsels. Selbst die Geschichte der Menschheit

f o o d

E X C L U S I V E : Je mehr ich vor unserem Treffen über Sie las, desto weniger passend schien es, Sie als Koch zu bezeichnen. Was sind Sie also?H E S T O N B L U M E N T H A L : Keine Ahnung. Ich habe Jahre damit verbracht zu kochen. Aber hinter dem Essen steckt so viel mehr. Es vereint die Physik des Kochens, die Chemie der Aromen und die Bio-logie des Stoffwechsels. Selbst die Geschichte der Menschheit lässt sich so erzählen.

E X C L U S I V E : Und was hat die Multisensorik, mit der Sie sich ausführlich beschäftigen, damit zu tun? B L U M E N T H A L : Die Evolution hat uns mit einer Alarmanlage ausgestattet: mit der Fähigkeit zu schmecken, zu hören und zu fühlen. Dabei benut-zen wir nie nur einen Sinn zur Zeit, und die Sinne beeinflussen sich wiederum gegenseitig. Eine rote Erdbeere zum Beispiel wird einem immer süßer vorkommen als eine grüne. Rockmusik lässt einen schneller essen. Rotwein schmeckt anders, je nach- dem ob im Hintergrund hohe Frequenzen oder tiefe Töne zu hören sind. Haben Sie von dem Bouba- Kiki-Experiment gehört?

E X C L U S I V E : Probanden wurde eine zackige und eine knubbelige Form gezeigt, und sie sollten diese den Begriffen „Kiki“ und „Bouba“ zuordnen …B L U M E N T H A L : Genau, und die eindeutige Mehrheit nannte die zackige Form „Kiki“. Wir verbinden ab-strakte Konzepte mit Tönen, Farben oder Aromen. Bitten Sie mal ein Kind, den Geschmack „bitter“ zu malen. Ich habe das selbst ausprobiert: Bitter sieht rostig aus, mit ein bisschen Grün darin, wie oxydiertes Kupfer. Das Geräusch dazu hört sich so an: chhhhrrghh. Oder das Wort „scharf“. Es klingt scharf, es schmeckt scharf, wie Säure, ich verbinde es mit einem sehr hohen Ton.

E X C L U S I V E : Das heißt, unsere Empfindungen for-men unsere Sprache?B L U M E N T H A L : Es gab mal ein Experiment, bei dem einer Gruppe von Menschen Bilder von Paaren gezeigt wurden. Die Probanden sollten einschätzen, ob deren Beziehung stabil war. Alle saßen während

Ar46

Me24

Di36

E08

Ch49

E08

Mi68

E08

D50

Er07

N24

O88

Heston Blumenthal gilt als Pionier der Molekularküche, er führt fünf Restaurants mit insgesamt sechs Michelin-Sternen. Als Künstler am Herd sieht sich der Brite

nicht, auch sein Manager kommentiert so trocken wie entschieden: „Heston kocht nicht.“ Nein, Blumenthal ist mit anderen Dingen beschäftigt, womöglich mit Höherem

Heston Blumenthal

trinkt seinen Tee

nicht heißer als

72 Grad – sonst ver-

brennt der Mund

6 5

801_2016_012_0_064_0_Heston.indd 65 08.11.16 15:01

Page 3: FOTOS CHRIS TERRY - WordPress.com · 2017. 3. 2. · Es vereint die Physik des Kochens, die Chemie der Aromen und die Bio-logie des Stoffwechsels. Selbst die Geschichte der Menschheit

Eine gute Show

kann nicht schaden:

„A Welcome Drink“

nennt Blumenthal den

schockgefrorenen

Klecks mit Campari-

Geschmack

der Befragung, aber die eine Hälfte bekam Stühle, die leicht kippelten. Die Wackel-Gruppe beschei-nigte den Pärchen eine deutlich instabilere Bezie-hung als die Gruppe, die auf festen Stühlen saß. Solche Konnotationen sind einfach in uns.

E X C L U S I V E : Für Sie ist das leicht nachzuvollzie- hen, Sie sind Synästhet, ein Sinnesreiz löst bei Ih-nen mehr Wahrnehmungen aus als bei anderen …B L U M E N T H A L : Manche Synästheten schmecken Töne oder sehen Gerüche, aber ich verbinde nur Buchstaben und Farben. A und T zum Beispiel sind rot, B, D und E blau, C und L sehe ich gelb. Das Wort „table“ allerdings schimmert rot. Das Phäno-men der Synästhesie hat aber evolutionär gesehen keine Funktion, das ist ein wichtiger Unterschied. Die Verbindung von Geschmack, Geräusch, Haptik und Optik jedoch steckt in jedem von uns. Leider umgeben sich viele Menschen mit Mauern und sperren sich gegen subtile Eindrücke. Dabei pas-siert vieles in unserem Unterbewusstsein.

E X C L U S I V E : Manipulieren Sie Ihre Gäste?B L U M E N T H A L : Ich habe das Bouba-Kiki-Experiment zum ersten Mal in einer BBC-Show gesehen. Ich ahnte damals nicht, wie sehr es mich einmal prägen würde. Wir servieren in unserem Restaurant The Fat Duck ein Krabben-Eis. Bei dem Wort denken die meisten Leute an etwas Süßes – wenn die Eiscreme dann salzig schmeckt, sind sie enttäuscht. Also nennen wir es „Hummerschaum“, und das Gericht schmeckt den meisten sehr viel besser.

E X C L U S I V E : Vor der Neueröffnung des Fat Duck im September 2015 haben Sie sich von Psycholo-gen, Schriftexperten und Sozialforschern beraten lassen. Was kam dabei heraus?B L U M E N T H A L : Es ist zum Beispiel erwiesen, dass man sich in einer aufrechten Haltung selbstbewuss-ter fühlt als in einer zusammengesunkenen. Allein die Form unserer Stühle und die Haltung, die sie den Gästen verleihen, kann darüber entscheiden, wie gut ihnen das Essen gefällt. Eine Pistazie aus der Scha-le schmeckt so viel besser als eine Nuss, die Sie geschält überreicht bekommen. Das hat nichts mit Molekülen zu tun, es ist nur dieses kleine bisschen Arbeit, das man geleistet hat, um sich diese Pista- zie zu verdienen.

E X C L U S I V E : Müssen sich Ihre Gäste das Essen auch selber verdienen? Immerhin bezahlen sie für den Besuch in Ihrem Restaurant mehr als 300 Euro.B L U M E N T H A L : Solche Elemente lassen sich auch im Fat Duck finden. Allein einen Tisch zu bekommen bedeutet Arbeit. Das steigert die Vorfreude.

Getarnt als Eis am

Stiel: Waldorfsalat und

geräucherter Lachs

mit Wasabi (links);

„Damping through

the boroughgroves“

(auf Deutsch etwa:

Dämpfung durchs

Bezirksgehölz) mit Pilz,

Brombeere und Trüffel

801_2016_012_0_064_0_Heston.indd 66 03.11.16 10:32

Page 4: FOTOS CHRIS TERRY - WordPress.com · 2017. 3. 2. · Es vereint die Physik des Kochens, die Chemie der Aromen und die Bio-logie des Stoffwechsels. Selbst die Geschichte der Menschheit

BERLIN • LEIPZIG • FREIBURG • BREMEN • www.philoro.de

Mit Sicherheit frei. philoro.Wer frei ist, kennt keine Sorgen. Legen Sie das Fundament für eine Zukunft voller Glücksmomente: Legen Sie Ihr Geld in Gold an. philoro bietet Ihnen Sicherheit bei Transaktion und Depot-Verwahrung und das zu den besten Konditionen auf dem Goldmarkt. Vertrauen Sie dem Testsieger.

802_2016_012_0_000_0_philoro_EMAIL.indd 1 14.10.16 10:46

Page 5: FOTOS CHRIS TERRY - WordPress.com · 2017. 3. 2. · Es vereint die Physik des Kochens, die Chemie der Aromen und die Bio-logie des Stoffwechsels. Selbst die Geschichte der Menschheit

f o o d

E X C L U S I V E : Um den Gästen eine Show zu bieten, haben Sie sogar den Drehbuchautor Lee Hall enga-giert. Was hat er Ihnen geraten?B L U M E N T H A L : Ich habe mich viel damit auseinan-dergesetzt, wie man aus dem Essen ein Erlebnis machen kann. Zusammen mit Hall, dem Drehbuch-autor von „Billy Elliot“, haben wir Märchen und Thea terstücke analysiert, doch viele der Mechanis-men waren zu abstrakt. Mit Licht aber kann man gut arbeiten, die Gerichte zum Leben erwecken. Wir können jetzt jede Leuchte im Fat Duck einzeln steuern, vom Morgenlicht bis zur Abendstimmung.

E X C L U S I V E : Das Licht verändert also das Aussehen – aber auch den Geschmack?B L U M E N T H A L : Klar. Bei grünem Licht treten die Kopfnoten hervor, die floralen, spitzeren Aromen wie Jasmin und Basilikum. Schwarze Oliven oder karamellisierte Zwiebeln sind eher Basisnoten.

E X C L U S I V E : Sie bezeichnen Ihr Konzept als multi-sensorisch. Welche Sinne sprechen Sie noch an?B L U M E N T H A L : Der Löffel für „Counting Sheep“ ist am Griff mit Fell überzogen, auf das wir Babypu-der streuen. Wenn man den Löffel zum Mund führt, zieht einem der Geruch in die Nase – man fühlt sich in seine Kindheit zurückversetzt. Zu „The Seven Seas“ spielen wir Meeresrauschen.

E X C L U S I V E : Aber bringt nicht jeder Gast seine eige-nen Erinnerungen mit? B L U M E N T H A L : Aromen lassen uns in der Zeit reisen. Das Menü beschreibt den Tag eines Kindes in den Ferien – meine Ferien, meine Erinnerungen. Aber sie funktionieren wie ein Katalysator für die Gäste. Neugier, Abenteuer, Überraschung, das alles wollte ich in das Menü einfließen lassen.

E X C L U S I V E : Der britische Komiker John Cleese schreibt in seiner Biografie, der unausgesproche-ne Zweck des Kochens liege in England darin, dass die Ergebnisse einen zumindest nicht schädigten. Verbreitet Cleese hier schlimme Klischees über die englische Küche?B L U M E N T H A L : Das viktorianische Großbritannien war ein riesiges Imperium. Ein solches Reich ist an Genuss vielleicht nicht so sehr interessiert wie an Zweckmäßigkeit. Noch in den 1970er-Jahren be-kam man in England nur eine einzige Sorte Nudeln, Olivenöl konnte man nicht im Supermarkt, sondern nur in der Drogerie kaufen.

E X C L U S I V E : Zurück zur ersten Frage – als was wür-den Sie sich nun bezeichnen?B L U M E N T H A L : Ich weiß es auch nicht, vielleicht bin ich einfach ein großes Kind. Und wissbegieriger als je zuvor.

Heston Blumenthal, 50,

half als Teenager eine

Woche in einem Res-

taurant aus, bevor er

sich das Kochen selbst

beibrachte. The Fat

Duck eröffnete er 1995,

es folgten vier weitere

Restaurants, insgesamt

sechs Michelin-Sterne,

diverse TV-Serien und

eine Ehrenmitglied-

schaft bei der Royal

Society of Chemistry.

Das Dorf Bray west-

lich von London zählt

rund 7700 Einwohner

und zwei Sterne-

Restaurants, die von

Heston Blumenthal

betrieben werden: The

Fat Duck (Foto) und

den Pub Hinds Head

6 8

801_2016_012_0_064_0_Heston.indd 68 08.11.16 15:01

Page 6: FOTOS CHRIS TERRY - WordPress.com · 2017. 3. 2. · Es vereint die Physik des Kochens, die Chemie der Aromen und die Bio-logie des Stoffwechsels. Selbst die Geschichte der Menschheit

www.gotodebrecen.com0

5

25

75

95

100

újsághirdetés-új

2016. február 26. 12:44:48

802_2016_004_0_000_0_STD_Anzeigen_CS6.indd 1 02.03.16 15:07