FORSCHUNGSINSTITUT FÜR ÖFFENTLICHE VERWALTUNG · Gerhard Banner/Christoph Reichard, (Hrsg.),...

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FORSCHUNGSINSTITUT FÜR ÖFFENTLICHE VERWALTUNG BEI DER HOCHSCHULE FÜR VERWALTUNGSWISSENSCHAFTEN SPEYER Klaus nig ZUR KRITIK EINES NEUEN ÖFFENTLICHEN MANAGEMENTS 3. Aufl age SPEYERER 155 FORSCHUNGSBERICHTE ISSN 0179- 2326

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FORSCHUNGSINSTITUT FÜR ÖFFENTLICHE VERWALTUNG

BEI DER HOCHSCHULE

FÜR VERWALTUNGSWISSENSCHAFTEN SPEYER

Klaus König

ZUR KRITIK EINES NEUEN ÖFFENTLICHEN

MANAGEMENTS

3. Aufl age

SPEYERER 155 FORSCHUNGSBERICHTE

ISSN 0179-2326

Klaus König

Zur Kritik eines neuen öffentlichen Managements

Speyerer Forschungsberichte 155

Klaus König

ZUR KRITIK EINES NEUEN •• OFFENTLICHEN MANAGEMENTS

3., unveränderte Auflage

FORSCHUNGSINSTITUT FÜR ÖFFENTLICHE VERWALTUNG BEI DER HOCHSCitOLE l'ÜK \'~RWAL1·0NG~WISSENSCHAl1T~N SPEl'~R

1998

1. Auflage Dezember 1995

2., unveränderte Auflage Februar 1997

3., unveränderte Auflage Februar 1998

Druck und Verlag:

FORSCiillNGSINSTITUT FÜR ÖFFENTLICHE VERWALTUNG

bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Alle Rechte vorbehalten

V

VORWORT

Die Modernisierungsbewegung eines "New Public Management\ ei­nes ''Reinventing Government" hat auch den deutschsprachigen Raum er­

reicht, und zwar insbesondere unter dem Vorzeichen eines "Neuen Steue­rungsmodells". So hat dieses Modernisierungskonzept in den Kommunal­verwaltungen der Bundesrepublik Anhänger nicht nur in der Literatur -bis zur Gründung neuer Zeitschriften-, sondern auch in ~r Verwaltungs­praxis gefunden. Ich habe mich im Inland und im Ausland der Frage stel­len müssen, wie aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht und aus der Orts­

kenntnis heraus das neue öffentliche Management einzuschätzen ist. Das veranlaßt mich, einschlägige Studien, die aus unterschiedlichen Anlässen

entstanden und verstreut oder noch nicht veröffentlicht sind, in einem Forschungsbericht zusammenzufassen. Sie werden damit dem deutschspra­chigen Leser zugänglich gemacht. Die vorliegenden Beiträge werden von verschiedenen Problemstellungen geprägt, knüpfen aber immer wieder bei der Frage des Paradigmenwechsels vom exekutiven zum unternehmeri­schen Management in der öffentlichen Verwaltung an. Mit ihrer kritischen

Einstellung unterscheiden sie sich von der publikationsstarken Erneue­rungsliteratur. Die Studien bauen aufeinander auf und überlappen sich. So sind sie in der Zeitfolge ihrer Entstehung abgedruckt. Bei ihrer Ausarbei­tung bin ich von meinem wisssenschaftlichen Mitarbeiter, Herrn Dipl.­Verwaltungswissenschaftler Joachim Beck unterstützt worden, bei dem ich mich sehr bedanke.

Speyer, Oktober 1995 Klaus König

VI

INHALTSVERZEICHNIS

L Zur postindustrieiien Verwaitung

Vortrag im Rahmen der internationalen Konferenz "State and Administration in the Post-Industrial Society 11 des Hel­lenic Center of Public Administration am 26. bis 30. Sep­tember 1994 auf Samos. Abgedruckt in: Volker J. Krey­her/Carl Böhret (Hrsg.), Gesellschaft im Übergang, Pro­blemaufrisse und Antizipationen, Baden-Baden 1995, S. 221 - 234

2. "Neue" Verwaltung oder Verwaltungsmodernisierung:

VII

i

Verwaltungspolitik in den neunziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Vortrag im Rahmen der Jubiläumstagung "Die öffentliche Verwaltung im Wandel" der Schweizerischen Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften am 19 .1.1995 in Thun. Abgedruckt in: Die Öffentliche Verwaltung, Mai 1995, Heft 9, S. 349-358

3. Unternehmerisches oder exekutives l\tlanagement - die

Perspektive der klassischen öffentlichen Verwaltung .... ...... 49

Vortrag im Rahmen der Arbeitsgruppe "American and Eu­ropean Approaches of Public Management" anläßlich der Jahreskonferenz der European Group of Public Admini­stration am 6. bis 9. September 1995 in Rotterdam. Abge­druckt in: Verwaltungsarchiv, Heft 1/1996

4. Öffentliche Verwaltung - nach der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Unveröffentlichtes Manuskriot .1.

VIII

1

ZUR POSTINDUSTRIELLEN VERWALTUNG

1. ANSÄTZE ZU EINER "NEUEN" VERWALTUNG

Grundmerkmal der modernen Gesellschaften ist deren funktionale Dif­ferenzierung in relativ unabhängige Subsysteme und Sphären des Han­delns zusammen mit der Rationalisierung dieser Bereiche nach jeweils ei­genen Prinzipien.1 Das ökonomische System mit Prinzipien wie Privatei­gentum, Markt, Wettbewerb und das politisch-administrative System mit Prinzipien wie Eigentumsordnung überdeckende öffentliche Zweckbin-dungen, Regelhaftigkeit, Hierarchie sind signifikante Handlungskomplexe für einen solchen historischen Wandel. Im realen Sozialismus hatte man diesen Entwicklungspfad verlassen. Die Gesellschaft wurde der systemi­schen Ideologie einer Partei unterworfen. Die Wirtschaft wurde faktisch verstaatlicht. Eine Kaderverwaltung wurde Staat, Wirtschaft, Gesellschaft übergestülpt.2 Dieser marxistisch-leninistische Modernisierungsversuch ist gescheitert. Der reale Sozialismus mußte Bankrott anmelden.

vie okzidentale Verwaltung steht damit am Ende des 20. Jahrhunderts ohne ihren säkularen Gegenpart da. Sie scheint nun selbst die "Basisopti­malität" verschiedener Systemrationalitäten je nach Handlungssphäre bei­seite zu schieben. Der "Sieg" der Marktwirtschaft über die Zentralverwal­tungswirtschaft scheint in manchen Köpfen zu einem Sieg der Prinzipien der Wirtschaft gegenüber denen des Staates zu werden. Es mehren sich die Ideologien und Modelle, in denen Wettbewerb im öffentlichen Sektor, Unternehmenskultur für die öffentliche Verwaltung, zumindest aber deren

1 Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1985.

2 Vgl. Klaus König, Zum Ver.valtungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Ver-,valT=

tungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1991, S. 9 ff.

2

Simuiation gefordert werden.3 Die Erscheinungsformen soicher Postuiate

sind verschieden. Es gibt eine schlichte internationale Vermarktung von

Managementmodellen wie Lean Management4 oder Total Quality Ma­

nagement.5 Es gibt wissenschaftliche Konstrukte wie "Reinventing Go­

vernment", die Ideen zur freien Marktwirtschaft mit populärer "Business

Motivation"-Literatur mischen.6 Es gibt Regierungsberichte wie den der

National Performance Review in den USA, die meinen, man müsse das

Paradigma administrativen Managements durch das eines unternehmeri­

schen Managements in Staat und Regierung ersetzen. 7 Es gibt Etikettie­

rungen eines New Public Managements, unter denen jüngste Verwaltungs­

reformen in Ländern wie Großbritannien, Australien, Neuseeland zusam­

mengefaßt werden.9 Es gibt schließlich Forderungskataloge der Verwal­

tungspolitik, in denen Elemente all dieser Lehren, Modelle, Entwürfe auf­

gelistet werden, manchmal ohne sich um die innere Kompatibilität zu

kümmern.

3 Vgl. Ronald Moe, Tue "Reinventing Govemment" Exercise: Misinterpreting the

Problem, Misjudging the Consequences, in: Public Administration Review,

March/April 1994, Val. 54, No. 2, S. 111 ff.

4 Vgl. Dirk Bösenberg!Heinz Metzen, Lean Management - Vorsprung durch scWan­

ke Konzepte, 4. Aufl., Landsberg 1993.

5 Vgl. Tom Peters, Jenseits der Hierarchien - Liberation Management, Düsseldorf

1993.

6 Vgl. David Osbome/Ted Gaebler, Reinventing Govemment. How the Entrepreneu­

rial Spirit is Transforming the Public Seetor, Reading, 1992.

7 Vgl. Executive Office of the President, National Performance Review (Hrsg.),

Pram Red Tape to Results: Creating a Government that Works Better and Costs

Less, Washington D. C. 1993.

8 Vgl. Clzristopher Hood, J;AJI. Public Ma..112.gement for all seascns? in: Public ~A;t.dn1irü-

stration, Vol. 69, Spring 1991, S. 3-19.

9 Vgl. Reginald C. Mascarenas, Building an Enterprise Culture in the Public Seetor:

Reform of the Pubiic Seetor in Austraiia, Britain and New Zealand, in: Pubiic Ad-

ministration Review, Heft 4/1993, S. 319 ff.

3

Bezieht man den Begriff des Paradigmenwechsels!O nicht auf die ~„1ei-

nungen von Gelehrten, Beratern, Propagandisten, sondern auf die Haltun:­

gen und Einstellungen der in Politik und Verwaltung praktisch Handeln­

den, so hat dieser Wechsel wohl in keinem Land flächendeckend stattge­

funden. Freilich gibt es im Namen eines "Entrepreneurial Spirit 11 tiefe

Eingriffe in Verwaltungstraditionen wie insbesondere in Großbritannienll

und dann auch Fälle unternehmerischer Simulationen besonders auf der -

Ebene der Lokalverwaltung.12 Der preisgekrönte Höhepunkt scheint es zu

sein, wenn ein städtischer Betrieb der Abfallentsorgung von sich behaup­

ten kann, mit privaten Anbietern konkurrenzfähig zu sein. Manche wer­

den dann freilich fragen, warum man diesen Betrieb eigentlich nicht priva­

tisiert. Noch schwieriger als mit der Implementation steht es mit der prak­

tischen Erfolgskontrolle - wenn man sich nicht mit der Selbstdarstellung

von Politikern und Spitzenbeai~ten begnügt. Externe Bewertungen haben

bis jetzt allenfalls ausnahmsweise stattgefunden, etwa in Australien durch

Parlamentsausschüsse.13 Insgesamt erscheint die empirische Grundlage für

ein über Einzelreformen und Einzelverwaltungen hinausgehendes wissen­

schaftliches Urteil im paradigmatischen Sinne eher schmal. Das schließt

eine Ideologiekritik durch die Verwaltungswissenschaft nicht aus. Insofern

fällt auf, daß die Modelle eines unternehmerischen Managements in der

10 Vgl. Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 3. Aufl.,

Frankfurt a. M. 1978.

11 Vgl. Frederic Ridley, Verwaltungsmodernisierung in Großbritannien, in: Hermann

Hill/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientiertes Verwaltungsmanage­

ment. Aktuelle Tendenzen und Entwürfe. Vorträge und Diskussionsbeiträge der

61. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1993 der Hochschule für Verwal­

tungswissenschaften Speyer, Berlin 1993, S. 251 ff.

12 Vgl. Gerhard Banner/Christoph Reichard, (Hrsg.), Kommunale Managementkon­

zepte in Europa. Anregungen für die deutsche Reformdiskussion, Köln 1993.

13 Vgl. Alexander Kouzmin, Tue Di.mensions of Quality i.n Public Management, in:

Hermann Hill/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientiertes Verwal­

tungsmanagement. Aktuelle Tendenzen und Entwürfe. Vorträge und Diskussions-

beiträge der 61. Staats\.vissenschaftlichen Fortbildungstagung 1993 der Hochschule

für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1993, S. 211 ff.

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öffentlichen Venvaltung deren soziale Umwelt nur unzureichend reflektie-ren.14

Die öffentliche Verwaltung läßt sich als ein soziales System begreifen,

das einerseits aufgrund der eigenen Ordnung, andererseits aufgrund von

Umweltbedingungen in einer komplexen und veränderlichen Gesellschaft

existiert und funktioniert. Die unternehmerischen Verwaltungskonzepte

haben vor allem die Eigenordnung der Systembildung im Sinn. Es geht

um Verwaltungsleitbilder, Managementinstrumente, Ergebnisorientierung,

Produktionskostenrechnung, Zielvereinbarung, produktionsbezogene Or­

ganisationseinheiten, dezentrale Ressourcenverantwortung und vieles mehr .15 Das ökonomische System als eine der Verwaltungsumwelten ist

insofern interessant, als es Leitbilder für eine Unternehmenskultur der öf­fentlichen Verwaltung zu liefern geeignet erscheint.

Läßt man die Privatisierungsdiskussion mit ihren vielen Facetten bei­seite16, dann bleiben viele Fragen der differenzierten Gesellschaft offen:

vom Primat der Politik über das organisatorische Lernen in einer gericht­lich kontrollierten Verwaltung bis zum Marktversagen in der Güterversor­gung. Das reduzierte Weltbild wird insbesondere bei der Umwidmung des Bürgers zum Kunden deutlich.17 Die vielfältigen Rollendifferenzierungen

zwischen Wählern, Steuerzahlern, Schülern, polizeilichen Störern, Sozial­hilfeempfängern, Jugendlichen, Gewerbetreibenden je nach politisch-ad­

ministrativem Bezug weichen einer Uniformität der Verhaltenserwartung. Mit Rollen des Kunden mag man sich bei Postdiensten, lokaler Wasser­

versorgung, Personennahverkehr zufriedengeben. Beim Jugendamt, bei

14 Vgl. Eberhard Laux, Die Privatisierung des Öffentlichen: Brauchen wir eine neue

Kommunalverwaltung? - Visionen und Realitäten neuer Steuerungsmodelle -, in:

Der Gemeindehaushalt 8/1994, S. 169 ff.

15 Vgl. Manfred Timmermann, Wirtschaftliches Handeln öffentlicher Verwaltungen.

Grundsätzliches aus ökonomischer und verwaltungspraktischer Sicht, in: VOP,

Heft 2/1993, S. 97 ff.

16 Vgl. Klaus König, Systemimmanente und systemverändernde Privatisierung in

Deutschland, in: VOP, Heft 5/1992, S. 279 ff.

17 Vgl. Ronald Moe, Tue "Reinventing Government" Exercise: Misinterpreting the

Problem, l\1isjudging the Consequences, in: Public Adn1iriistration Revie\v,

March/April 1994, Val. 54, No. 2, S. 111 ff.

5

der Kriminalpolizei, bei der Finanzverwaltung, beim Auswäi-rigen Amt

geht es wohl noch um andere Leistungsmuster.

II. INDUSTRIALISMUS UND POSTINDUSTRIALISMUS

Die Verkürzungen eines unternehmerischen Esprit de corps der öffent­lichen Verwaltung machen hiernach eine Ausweitung der Diskussion zur Modernisierung des administrativen Systems erforderlich. Man kann die Umweltbedingungen vom Politischen, vom Rechtlichen, vom Wirtschaft­lichen her vorstellen. Wenn wir auf die Theorie der Modeme zurückgrei­fen, dann um bei den soziokulturellen Zusammenhängen zwischen Gesell­schaft, Staat und Verwaltung anzusetzen. Aus der gesellschaftlichen Ent­wicklung ergeben sich maßgebliche Umweltbedingungen für die System­bildung öffentlicher Verwaltung .18

Auf eine nach wie vor maßgebliche Grundlegung der Modeme wird mit dem Begriff der industriellen Gesellschaft verwiesen.19 Es geht dabei um eine Form gesellschaftlicher Existenzsicherung, die über die Wirt­schaftssphäre hinausreicht und andere soziale Systembereiche und so auch die öffentliche Verwaltung erfaßt. Der umfassende Einsatz von Maschinen als Kern des Industrialisierungsprozesses und neue Muster der Arbeitstei­lung erstrecken sich auch auf Bürotätigkeiten. Industrielles Wachstum be­deutet zugleich die Expansion der Staatsaktivitäten. Neue arbeitsteilende Organisationsformen entstehen nicht nur bei privater Produktion, sondern auch bei der Erstellung öffentlicher Güter. Soziale Differenzierungen wie Arbeit und Freizeit, Arbeitsstätte und Wohnung, Familie und soziale Si­cherung usw. betreffen auch den öffentlichen Dienst. Vertikal gegliederte

18 Vgl. Carl Röhret, Allgemeine Rahmenbedingungen und Trends des Verwaltungs­

handelns, in: H. Reinermann/H. Fiedler/K. Grimmer/K. Lenk/R. Traunmöller

(Hrsg.), Neue Informationstechniken. Neue Verwaltungsstrukturen?, Heidelberg

1988, s. 27 ff.

19 VgL l:lelmut l(lages, Stichwort ttlndustriegesellschaft,\ in: Dietei 1'-~ol'Jen (Hrsg.),

Wörterbuch Staat und Politik, Bonn 1991, S. 239 - 241.

6

Laufoahngruppen vom w acntmeister 01s zum Regierungsrat, horizontal

hinzukommende Fachrichtungen technisch-naturwissenschaftlicher Profes­

sionalisierung geben den Wandel in der sozialen Gliederung und Berufszu­

sammensetzung wieder. Technisch-wissenschaftliche Methoden der Arbeit

kennzeichnen administrative wie ökonomische Handlungssphären. Ar­

beitsabläufe werden in beiden Bereichen formalisiert und kontrolliert. In­

stitutionen von Wirtschaft wie Verwaltung nehmen in ihrem Rationalisie­

rungsgrad zu.

Die industrielle Formation der Gesellschaft ist unter mannigfachen Ge­

sichtspunkten kritisiert worden. Dabei gibt es überlagernde Auseinander­

setzungen, insbesondere durch die breite Kapitalismusdiskussion.20 Aller­

dings war es dann wiederum der Industrialismus, dem man in Konver­genztheorien mehr prägende Kraft als den politischen Unterschieden zwi­

schen freiheitlicher Demokratie und realsozialistischer Herrschaft zuge­traut hatte.21 Die Kritik der industriellen Gesellschaft reicht von frühen Entfremdungsthesen, die auf die das Alltagsbewußtsein prägenden Frag­mentierungen und Spezialisierungen menschlichen Handelns im Produkti­onsprozeß der Warenwirtschaft hinweisen22 bis zu Theorien der "Risiko­gesellschaft", die auf die spätindustriellen Selbstgefährdungen und selbst­gemachten Katastrophen nuklearer, chemischer, genetischer Produktion abstellen. 23

Die öffentliche Verwaltung ist bei solchen Zweifeln dabei. Entfrem­dungsphänomene kann man auf die Staatsbürokratien beziehen, wenn man

ihnen Unpersönlichkeit, Regelformalismus, unverständlichen Jargon, un­durchsichtige Zuständigkeitsverteilung, Verfahrensschematismus usw. an-

20 Vgl. Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt a,

M. 1973.

21 Vgl. Raymond Aron, Die industrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M./Hamburg 1962.

22 Vgl. Herben Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Darmstadt 1984.

23 Vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Modeme,

Frankfurt a. M. i986; ders. (Hrsg.), Poiitik in der RisikogeseHschaft: Essays und

Analysen, Frankfurt a. M. 1991.

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lastet.24 in den theoretischen Ansätzen zur industriellen Risikogesellschaft wird einerseits der öffentlichen Wohlfahrtspolitik nicht zugetraut, Gefahr­dungen aufzufangen, andererseits wird befürchtet, daß politisch-admini­strative Entscheidungen selbst Gefahren auslösen können. Kritische Fakto­ren betreffen die Verwaltung insbesondere auch dann, wenn eigenständige

Herrschaftsmacht und Funktionsfähigkeit des Staates mit ihnen in Frage gestellt werden. So viel gilt zumindest für Kontinentaleuropa. Denn die dortigen klassisch-modernen Verwaltungen sind von der Staatsorientie­rung geprägt. 25

Entsprechend ist die öffentliche Verwaltung mitbetroffen, wenn der 0 Staat der Industriegesellschaft 11 skeptisch betrachtet wird.26 Man befürch­tet einen Verlust an Staatlichkeit, an Souveränität. Sachzwängen und Ei­gengesetzlichkeiten der industriellen Verhältnisse könne der Staat weder ausweichen noch diese beherrschen. Letztlich scheint es die Ratio des technischen Prozesses zu sein und nicht der staatliche Wille, die Politik und Verwaltung bestimmt. Von der modernen Verwaltung wird konsta­tiert, daß sie von der Mentalität des technischen Fortschritts angesteckt sei. Das wird etwa mit dem Vordringen technisch-naturwissenschaftlicher Berufe in den öffentlichen Dienst, der Verdrängung des Juristen in seiner klassischen Generalistenrolle, den Einzug des fachmännischen Geistes be­legt.

Aus anderer Sicht wird auf Gefährdungen verwiesen, die für Staat und Verwaltung der hochindustrialisierten Gesellschaften aus der Kompensati­on der technischen, ökonomischen, sozialen Folgen entsteht. Der Staat übernimmt immer mehr Funktionen der sozialen Sicherung, der Interven­tion in Märkte und Unternehmen, der Beratung, Unterstützung, Bildung der Bürger, der Risikovorsorge nicht nur gegenüber natürlichen, sondern auch technisch-künstlichen Gefährdungen. Hieraus scheint eine Wohl-

24 Vgl. Wolfgang Hoffrna,nn-Riem (Hrsg.), Bürgernahe Verwaltung? Analysen über

das Verhältnis von Bürger und Verwaltung, Neuwied/Darmstadt 1979.

25 Vgl. Ferrel Heady, Public Administration, A comparative Perspective, 3. Aufl.,

New York/Basel 1984.

26 Vgl. Ernst Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft - Dargestellt am Beispiel

der Bundesrepublik Deutschland, München 1971.

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fahrtsbürokratie zu erwachsen, die - einem Sisyphus gleichend - mit ei­nem ständig vergrößerten Einsatz von Kräften immer geringere und pro­blematischere Resultate erzeugt. Staat und Verwaltung erscheinen zu ei­nem Stabilitätsrisiko angesichts der gesellschaftlichen Anspruchsdynamik zu werden. Kategorien wie Unregierbarkeit, Staatsverdrossenheit, Legiti­

mationskrise kennzeichnen die kritische Auseinandersetzung mit den öf­fentlichen Angelegenheiten.27 "Überlasteter Staat - verdrossene Bürger? t•

lautet eine Frage zu den Dissonanzen der spätindustriellen Wohlfahrtsge­sellschaft. 28

Wo soviel skeptische Diagnosen vorgenommen werden, wird es an der optimistischen Prognose nicht mangeln. Wir finden sie in der Konzeption von der postindustriellen Gesellschaft.29 Damit wird gesagt, daß im An­

schluß an die Industriegesellschaft eine neue gesellschaftliche Entwick­lungsphase angebrochen sei.30 Man muß indessen in solchen nachzeitli­chen Extrapolationen keinen historischen Bruch sehen. Vielmehr wird die Rationalität der Industriegesellschaft über ihren klassischen Definitionsbe­reich hinaus erweitert. Das Andauern des wissenschaftlich-technologi­schen Fortschritts bedeutet insofern steigende Produktivität, mehr Frei­zeit, Wohlfahrtswirtschaft, hochqualifizierte Berufe, persönlicher Wohl­stand. Naturwissenschaften und Technik besorgen, daß die Spannungen zwischen neuen Bedürfnissen und neuen Knappheiten lösbar sind.31 Die Zentralität theoretischen Wissens als Quelle von Innovationen und dann

27 Vgl. Helmut Klages, Die unruhige Gesellschaft, München 1975; Wilhelm Hen­

nis!Peter Graf von Kielmannsegg, (Hrsg.), Regierbarkeit. Studien zu ihrer Proble­

marisierung, 2 Bände, Stuttgart 1977179. 28 Vgl. Helmut Klages, Überlasteter Staat - Verdrossene Bürger? Zu den Dissonan­

zen der Wohlfahrtsgesellschaft, Frankfurt a. M. 1981. 29 Vgl. Jean Fourastie, Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts, Köln-Deutz 1954.

30 Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M./New York

1975.

31 Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert

König/Walter A. Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentlichen Dienst von

morgen. Konzeptionen und Falistudien zur mittel- und iangfristigen Vorausschät­

zung, Regensburg 1987, S. 82-97.

9

auch Ausgangspunkt der gesellschaftlich-politischen Prograiumatik gilt als

"axiales Prinzip 11 • 32

Die postindustrielle Gesellschaft ist "Dienstleistungsgesellschaft". Man

geht von einem zunehmenden Übergewicht der Dienstleistungswirtschaft

gegenüber der materiellen Güterproduktion aus. Entwicklungen in Bil­

dung und Forschung führen zum Entstehen eines "quartären" Sektors.33

Es kommt zu Änderungen der sozialen Schichtung und des Herrschaftsge­

füges.34 Eine Klasse professionalisierter und technisch qualifizierter Beru­

fe bildet sich heraus und löst das alte statusbezogene durch ein leistungs­

orientiertes Schichtungsprinzip ab. Der zunehmende Machtanspruch dieser Klasse manifestiert sich im Wege der Verwissenschaftlichung von Politik

und Wirtschaft.35 Solche nachzeitlichen Fortschreibungen der industriel­len Gesellschaft reichen dann bis zum Bild von der "Informationsgesell­schaft". 36 Dort kommt es zur Dominanz der Informationstechnologien, zur sozialstrukturellen Verfestigung der Informationsberufe, die dann Mehrheitspositionen erringen.

32 Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M./New York

1975, S. 115.

33 Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert

König/Walter A. Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentlichen Dienst von

morgen. Konzeptionen und Fallstudien zur mittel- und langfristigen Vorausschät­

zung, Regensburg 1987, S. 88.

34 Vgl. Helmut Klages, Stichwort "Industriegesellschaft", in: Dieter Nohlen, Wörter­

buch Staat und Politik, Bonn 1991, S. 239 ff.

35 Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M./New York

1975, s. 247 ff.

36 Vgl. K. PI. Deutsch!P. Sonntag, From the industrial Society to the L-iformation So-

ciety - Crises of Transition in Society, IIVG/dp, 1981, S. 81-113.

10

ID. ASPEKTE EINER POSTINDUSTRIELLEN VERWALTUNG

Die Merkmale der postindustriellen Gesellschaft stellen sich für die öf­fentliche Verwaltung als soziokulturelle Umweltbedingungen dar, die de­ren Existenz und Funktionieren als soziales System mitbegründen. Ent­sprechend verweisen sie auf die Entwicklungslinien der weiteren System­bildung. Wenn der Postindustrialismus nicht den Bruch mit der alten In­dustriegesellschaft, sondern deren Extrapolation bedeutet, dann kommt es zunächst nicht und jedenfalls nicht aus soziokulturellen Gründen zum Bruch mit dem wohlfahrtsstaatlichen System der administrativen Daseins­vorsorge angesichts technischer, ökonomischer, sozialer Folgen. Alte Dif­ferenzierungen wie die zwischen Familie und sozialer Sicherung bleiben bestehen. Neue Differenzen treten hinzu. iviit einem steigenden Wohlstand steigen auch die Wohlstandserwartungen. Verlängert sich die menschliche Lebenszeit gerade auch durch die Fortschritte von medizinischer Wissen­schaft und Technik, dann wird die materielle Absicherung der Gebrech­lichkeit erwartet und solchen Erwartungen mit der Einrichtung einer Pfle­geversicherung Rechnung getragen.

Wenn es zu Veränderungen im Gefüge der Industrieproduktion kommt, also in Richtung auf Informationstechnologien, dann gibt es nicht nur neue, sondern auch alte Industrien. Nach allen Erfahrungen werden die Folgen solchen industriellen Wandels nicht, zumindest nicht kurzfri­stig, durch Marktmechanismen ausgeglichen. Es bedarf einer Kompensati­on durch staatliche Aktivitäten. Wenn eine andere Qualität technisch-wis­senschaftlicher Professionalisierung das Arbeitsleben bestimmt, dann gibt es nicht nur neue, sondern auch alte Berufe. Wiederum ist es der öffentli­che Sektor, in dem die Folgen solcher Veränderungen auszugleichen sind. So wird auch die Verwaltung des Postindustrialismus nach wie vor von den Programmen, Organisationen, Dienstkräften, Budgets der Arbeits­und Sozialpolitik geprägt sein.37

37 Vgl. Helmut Klages, Beurteilung der Soziaipolitik vor dem Hintergrund geseU­

schaftlicher Ent\Vicklungen und sozialpolitischer Gestaltungsmaximen - Aus der

11

PostindustrieUe Veränderungen spitzen die Probleme von Standort und räumlicher Mobilität zu. Es gibt eben auch alte und neue Standorte. Staat und Verwaltung sind an beiden Plätzen gefordert. In dem einen Falle geht

es um die Sanierung, Wiederbelebung, Umwidmung veralteter Einrichtun­gen. Der bloße Verfall wird politisch nicht ertragen.38 In dem anderen

Falle geht es um den Aufbau einer neuen Infrastruktur. Zugleich ist die postindustrielle Gesellschaft dann nicht nur durch soziale, sondern auch

durch räumliche Mobilitäten gekennzeichnet. Von den Verkehrswegen bis zu den Kommunikationsnetzen sind entsprechende Anlagen vorzuhalten und zu regulieren. Ein Versorgungsgefälle zwischen Stadt und ländlichem Raum erscheint nicht mehr akzeptabel. Von Verwaltungs wegen ist für vergleichbare Leistungsstandards zu sorgen. 39

Wenn die postindustrielle Gesellschaft im Hinblick auf die technisch bewirkten Produktivitätssteigerungen zur "Freizeitgesellschaft,, wird, dann führt das nicht nur zum Ausbau einer neuen Wirtschaftsbranche, sondern auch zur Freizeitgestaltung als ein neues und expandierendes Feld öffentlicher Verwaltung. Der Ferienbeginn mag so Urlaubssperre für die Verkehrspolizisten bedeuten. Von Amts wegen werden Pläne für Frem­denverkehr, Erholungswesen, Sport, Jugendfreizeit erstellt. Eine Infra­struktur von Schwimmbädern, Sportstätten, Spieleinrichtungen, Wander­wegen, Jugendzentren usw. wird angelegt. Freizeit erweist sich als rege­lungsbedürftiger Lebenssachverhalt, schon um die Natur vor dem Men­schen zu schützen. Regulative reichen von staatlichen Erlaubnisvorbehal­ten für den individuellen Fall bis zum generellen Landschaftsschutz.

Wenn ihr industrieller Grundzug auch die postindustrielle Gesellschaft zur "Risikogesellschaft" werden läßt, dann fordern soziale Selbstgefah.r­dungen und von Menschen herbeigeführte Katastrophen zu verstärkten

Sicht der Wissenschaft, in: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung

(Hrsg.), Sozialstaat im Wandel, Bonn 1994, S. 35 ff.

38 Vgl. Joachim Jerts Hesse (Hrsg.), Die Erneuerung alter Industrieregionen. Ökono-

mischer Strukturwandel und Regionalpolitik im internationalen Vergleich, Baden­

Baden 1988.

39 Vgl. Frido Wagener, Neubau der Verwaitung. Gliederung der öffentlichen Aufga­

ben und ihrer Träger nach Effektivität und Integrationswen, 2. Aufl„ Berlin 1974.

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staatlichen Aktivitäten auf.40 Die verschiedensten Funktionen der Entsor­

gung, Überwachung, Sicherung sind zu erfüllen. Es bedarf öffentlicher

Katastrophenpläne, um sich auf große Gefahrenlagen vorzubereiten. Es

bedarf staatlicher Informationssysteme, um Gefährdungen erfassen und

messen zu können. Es bedarf wissenschaftlich-technischen Sachverstands,

um Gefahren sachgemäß bewerten zu können.41 Es bedarf rechtlicher Re­

gulative, um das Verhalten der Bürger verbindlich steuern zu können. Es

bedarf des Einsatzes von Polizei-, Katastrophen- und Rettungsdiensten. Es bedarf entsprechender öffentlicher Sachmittel, Geräte, Fahrzeuge. Das

Ganze weitet sich aus über die Sicherung und Unterbringung der Betroffe­nen bis zur Frage ihrer Entschädigung von Amts wegen. Wir haben es mit

einem komplexen Feld des Verwaltungshandelns zu tun.42

Wenn es ein Merkmal der postindustriellen Gesellschaft ist, daß sie ei­ne neue Qualität der wissenschaftlich-technischen Berufe hervorbringt, dann betrifft das die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung und ist zu­

gleich reflexiv für deren Personalstrukturen.43 Universitäten und Techni­sche Hochschulen sind auszubauen, um entsprechende Ausbildungsleistun­gen vorzuhalten. Freilich geht es nicht einfach um eine Akademisierung des Arbeitslebens. Ein breites Spektrum von der polytechnischen Schu­

lung bei mittleren Anforderungsprofilen bis zur Computerausbildung bei Schreibdiensten steht zur Diskussion. Der Ausbau des Bildungsbereichs

wirkt auf das Verwaltungspersonal zurück. Es dringen nicht nur, wie ge­sagt, neue technisch-wissenschaftliche Berufe in den öffentlichen Dienst ein und führen zu einer Gruppierung nach Fachrichtungen wie Apotheker,

40 Vgl. Carl Röhret, Folgen. Entwurf einer aktiven Politik gegen schleichende Kata­

stophen, Opladen 1990.

41 Vgl. Carl Röhret, Tue Tools of Public Management, in: K. A. Eliassen/J. Koiman

(eds.), Managing Public Organisations. Lessons from Contemporary European Ex­

periences, London u. a. 1993, Second Edition, S. 91-95.

42 Vgl. Klaus König, Krisenmanagement: Der Fall Tschernobyl in der Bundesrepu-

blik DeutscliJand, in: A-llt. N. SaYJ.:oulas (Hrsg.), Administration - Politique, Fest-

schrift für Athos G. Tsoutsos, Athen, 1991, S. 263-274.

43 Vgl. Herben König/Walter A. Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentli­

chen Dienst von morgen. Konzeptionen und Fai1studien zur mittei- und iangfristi­

gen Vorausschätzung, Regensburg 1987.

13

Bauingenieur, Bergfachleute usw. Dort, wo das allgemeine Bildungssy­

stem keine entsprechenden Studien- und Schulungsgänge vorhält, werden verwaltungsinterne Einrichtungen geschaffen, etwa Fachhochschulen für

die Steuer~ und Zollverwaltung oder für die Arbeitsverwaltung und dann

weiter Akademien für die Fortbildung der öffentlichen Bediensteten.

Wenn es der wissenschaftlich-technische Fortschritt ist, der durch sei­ne Kontinuität die postindustrielle Gesellschaft hervorbringt, dann ist zu verstehen, daß der Staat wissenschaftliche Forschung und technologische Entwicklung fördert. Das geschieht innerhalb wie außerhalb der Universi­täten. Außeruniversitäre Großforschungseinrichtungen der Nuklearfor­schung, der Weltraumforschung, der gentechnischen Forschung usw. wer­den von Staats wegen eingerichtet und verwaltet. Eine eigene Forschungs­verwaltung, etwa ein Ministerium für Forschung, koordiniert die nationa­len und internationalen Aktivitäten. Insbesondere im Bereich der Grundla­genforschung vertraut man nicht darauf, daß Unternehmen, Markt, Wett­bewerb die Dinge richten. Darüberhinaus wird aber immer wieder der Ruf laut, anwendungsorientierte Forschung zu fördern. Die Grenzen zur Indu­striepolitik verwischen sich, bis zum japanischen Fall, in dem For­schungspolitik und Industriepolitik in konzertierter Aktion mit der Wirt­schaft gesteuert werden.

Wenn schließlich der Postindustrialismus sich als Dienstleistungsge­sellschaft darstellt, dann muß es ohnehin zu einer Ausweitung der öffentli­chen Verwaltung kommen.44 Denn in Gesellschaften mit marktwirtschaft­

lich ausdifferenziertem ökonomischem System haben sich Staat und Ver­waltung immer mehr aus der materiellen Güterproduktion zurückgezogen, wobei selbst Fälle wie die Wasserversorgung zur Diskussion stehen. Der überwiegende Teil der öffentlich erbrachten Leistungen läßt sich als Dienstleistungen charakterisieren: vom Bildungswesen bis zum Gesund­heitswesen, vom Verkehrswesen bis zur Gefahrenabwehr. Der Wohl­

fahrtsstaat wird geradezu als vorbildlich angesehen, wenn er sich wie im

44 Vgl. Carl Böhret, Allgemeine Rahmenbedingungen und Trends des Verwaltungs­

handelns, in: H. Reinermann/H. Fiedler/K. Grimmer/K. Lenk/R. Traunmöller

(Hrsg.), Neue Informationstecr.1.n.iken~ ~1eue Ver~valt11I1gsstri1ktu.ren? Heidelberg, S.

30.

14

skandinavischen rv1odell als dienstleistungsintensiv erweist. 45 So betonen

dann auch die Theoretiker des Postindustrialismus das Anwachsen des öf­

fentlichen Sektors und die Ausweitung der öffentlichen Verwaltung. 46

IV. ZUR SYSTEMRATIONALITÄT DER VERWALTUNG

Wenden wir uns von den Umweltbedingungen des Postindustrialismus

und deren Relevanz für die öffentliche Verwaltung wieder der Frage zu,

ob wir vor einem Paradigmenwechsel vom administrativen Management

zum unternehmerischen Management in der Staatsexekutive stehen, dann

wird eine Vorbemerkung erforderlich. Über die epistemologische Eigenart

des Konzepts von der postindustriellen Gesellschaft kann man streiten. Die einen werden die idealistischen Annahmen, die anderen die Realitäts­

bezüge einer solchen Typenbildung betonen. So ist es auch der Überschuß

der Ideen über das real Beobachtbare, bei dem weniger optimistische

Theorien anknüpfen können. Kritisch wird auf Arbeitslosigkeit und Lei­

stungsverweigerung, Normenlosigkeit und Militanz, Anspruchsmentalität

und Massenmanipulation, ökologische Begrenzung und Selbstgefährdung

und nicht zuletzt auf die sozialpsychische Diskrepanz zwischen Erwartun­

gen und Wahrscheinlichkeiten hingewiesen. 47

In der Tat gibt es eine Vielfalt von Lebenssachverhalten, für die in der

Konzeption von der postindustriellen Gesellschaft kein Platz ist. Für die

öffentliche Verwaltung sind zum Beispiel relevant: der Regionalismus mit

dezentralen, aktionsräumlichen Organisationsmustern, die Subsidiarität

45 Vgl. Detlef Jahn, Schweden - Kontinuität und Wandel einer postindustriellen Ge­

sellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/92, 16. Oktober 1992, S. 22.

46 Vgl. Helmut Klages, Stichwort "Post-industrielle Gesellschaft'', in: Dieter Nohlen

(Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn, S. 556.

47 Vgl. Helmut Klages, Selbstentfaltung und soziale Verantwortung. Eine Verteidi­

gung der Gesellschaft gegen ihre Selbstmißverständnisse, in: Manfred Hennen/Mi-

chael Jäckel (Hrsg.)=- Privat11eit und soziale \Terant"~tortung. Festschrift zi1m 60.

Geburtstag von Friedrich Landwehrmann, München 1994.

15

mit dem Vorrang eigenverantwortlicher unterer Einheiten, die Selbstbetei­ligung der Bürger in kulturellen, sozialen, sogar gefahrenabwehrenden Angelegenheiten, die Partizipation an öffentlicher Planung und Entschei­dung und vieles mehr. Dennoch werden im postindustriellen Typus soviel erfahrbare soziokulturelle Umweltbedingungen der öffentlichen Verwal­tung wiedergegeben, daß wir es mit einem signifikanten Realitätsaus­schnitt zu tun haben. Dies ist zudem derjenige Realitätsausschnitt, der für die Frage nach dem unternehmerischen Management im öffentlichen Sek­tor ergiebig ist. Denn von der postindustriellen Gesellschaft wird konsta­tiert, daß sie vom ökonomischen Kalkül beherrscht, Effektivitäts- wie Ef­fizienzerwägungen unterworfen sei. 48

Schauen wir dazu auf die Einschätzungen der Theoretiker des Postin­dustrialismus selbst, so gehen sie dennoch, und zwar bei anwachsendem öffentlichen Sektor von der zunehmenden Bürokratisierung des öffentli­chen Lebens und insbesondere der technokratischen Eliten aus.49 Selbst für die Wissenschaft wird festgehalten, daß in Anbetracht ihres umfassen­den Ausbaus, ihrer zentralen Stellung in der postindustriellen Gesell­schaft, der riesigen Zahl an Beteiligten und der Höhe der benötigten Gel­der die Bürokratisierung der Wissenschaft nicht zu umgehen sei. Darin werden durchaus Gefahren gesehen: Abwürgen der Forschungsfreiheit, Verzerrung der Leistungsbewertung, Verkennung der charismatischen Di­mension der Wissenschaft usw. 50 Dem mag man Gegeninstitutionen wie ein "Wissenschaftsparlament 11 gegenüberstellen oder gar in einer Gegen­kultur widerstehen. Nur ist eben die 11 Bürokratisierung der Kopfarbeit" zu konstatieren.

48 Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M./New York

1975.

49 Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert

König/Walter A. Oechsler (Hrsg.); Anforderungen an den öffentlichen Dienst von

morgen. Konzeptionen und Fallstudien zur mittel- und langfristigen Vorausschät­

zung, Regensburg 1987, S. 88.

50 Vgl~ Daniel Bell, Dle nachindustrielle Gesellschaft, Fnulkfurt a~ 1vf~/t{ew York

1975, S. 295-299.

16

Nun darf man keinen schiichten Gegensatz zwischen Bürokratie und

Wirtschaftlichkeit behaupten. Wenn von der Höhe der benötigten Gelder

die Rede ist, dann wird deutlich, daß Geld ein Kommunikationsmedium

auch in der bürokratischen Verwaltung ist und dann in der Geldwirtschaft

wirtschaftlicher V mgang mit Geld auch zum Handlungsmaßstab wird, wie

man zum Beispiel in den Gesetzen zum Budget nachlesen kann. Aber die­

ser Handlungsmaßstab steht neben anderen: der Regelbindung von Gesetz

und Recht, dem Autoritätsmuster der Hierarchie und anderem. Diese Ne­

benordnung und in vielen Situationen Unterordnung des wirtschaftlichen

Handlungsmaßstabs in der bürokratischen Verwaltung schließt ein bloßes

unternehmerisches Management bei diesem Verwaltungstypus aus.

Aber auch die soziokulturellen Grundzüge des Postindustrialismus las­

sen nicht auf eine Übernahme der Prinzipien von Markt, Wettbewerb, Un­

ternehmertum schließen. Wenn die Verwaltung in der postindustriellen

Gesellschaft nach wie vor die eines Wohlfahrtsstaates bleibt, dann wird

diese Verwaltung zu einem beträchtlichen Umfang eine der Transferzah­lungen, also im Bereich im Bereich privater Haushalte von Kindergeld,

Wohngeld, Sozialhilfe, Bildungshilfe usw. Sieht man darauf, daß solchen

Leistungen keine ökonomischen Gegenleistungen gleichen Marktwerts ge­

genüberstehen, dann ist ein unternehmerisches Kalkül von vornherein be­

grenzt. Betrachtet man sodann den Staat als einen Garanten der Menschen­

rechte, dann ist die Verwaltung von Sozialleistungen nicht im Wege einer

Almosenwirtschaft zu betreiben.51 Sie können jedoch auch nicht je nach

wirtschaftlicher Situation, Konjunktur, Krise einer ebenso situativen Un­

ternehmensrechnung von Verwaltungs wegen unterworfen werden. Solche

Leistungen gelten der Existenzsicherung von Menschen, müssen Verhal­

tenssicherheit verschaffen, verstetigt werden und finden demgemäß in Ge­

setz und Rechtsansprüchen ihren Ausdruck. Die Verwaltung ist insoweit

nicht der Platz transferökonomischen Unternehmertums.

51 Vgl. Helmut Klages, Beurteilung der Sozialpolitik vor dem Hintergrund gesell­

schaftlicher Entwicklungen und sozialpolitischer Gestaltungsmaximen - Aus der

Sicht der Wissenschaft, in: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung

(Hrsg.), Sozialstaat im Wandel, Bonn 1994, S. 75 ff.

17

wenden wir uns der zenrraten Steliung von Wissenschaft und For­schung im Postindustrialismus zu52, dann ist festzuhalten, daß selbst in

Gesellschaften mit politisch-mehrheitlicher Präferenz für die Nutzenstif­

tungen des Marktes die schlichte Privatisierung von öffentlichen Universi­

täten, Akademien, Forschungsinstituten nicht zur Diskussion steht. Hier

fehlt dann doch das Vertrauen auf die Marktkräfte. Das schließt es freilich

nicht aus, daß man angesichts knapper öffentlicher Mittel auf eine stärkere ökonomische Steuerung eben dieser Einrichtung drängt.53 Nur gehört es

zur politischen Klugheit einzusehen, daß - selbst reduziert auf den gesell­

schaftlichen Nutzen - wissenschaftliche Erkenntnis so viel Intangibles ent­

hält, daß die Wirtschaftlichkeitsüberlegung nicht den Ausschlag geben

kann. Politiker können die von ihnen zu treffenden wissenschaftspoliti­schen Entscheidungen nicht einfach ökonomisch wegdiskutieren. Die Rol­

ie des Rektors einer öffentiichen Universität ist mit der eines Untemeh-mers allenfalls partial beschrieben.

Solche Verweisungen ökonomischer Kalküle in nebenrangige oder nie­derrangige Bewertungsbereiche werden noch deutlicher, wenn man Postin­

dustrialismus und Risikogesellschaft verknüpft. Nimmt man den Fall der Gentechnologie, so zeigt sich zumindest in den großen Industrien eine sol­

che Dynamik der Marktkräfte, daß eine staatliche Subventionierung der

Industrieforschung wohl zurücktritt. Bei solchen Transferzahlungen an private Unternehmen für angewandte Forschung und Entwicklung wäre eine Evaluation nach monetären Größen und eine entsprechende Subventi­

onsverwaltung durchaus angebracht. Indessen steht hier die Gefahrenvor­sorge im Vordergrund. Durch staatliche Regulation - Gentechnikgesetze -

müssen entsprechende naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen in

52 Vgl. Carl Röhret, Verwalrung und Universität in der Bundesrepublik Deutschland

vor den Herausforderungen der neunziger Jahre, in: A. Frey/J. Bellers (Hrsg.},

Lateinamerika - Westeuropa. Annäherung oder Distanzierung, Münster 1988189,

s. 11 ff.

53 Vgl. l1lalter Kemmler, Controlling f~r Hochschulen - Daigestellt am Beispiel dei

Universität Zürich, Bern 1990; Heinrich Reinernumn, Ein zweieinhalbmal "Hoch"

für Controlling, in: DUZ, Heft 20/1992, S. 16-17; Barbara Seidenschwarz, Ent-

wicklung eines Controllingkonzepts für öffentliche Institutionen - dargestellt am

Beispiel einer Universität, München 1992.

18

einen Sicherheits- und Ordnungsrahmen gebracht werden, 111 dem die Selbstgefährdung der Gesellschaft mit Entscheidungsmöglichkeiten ver­

knüpft werden, so daß Gefahren zu Risiken werden. Die Verwaltung hat

dann die gesetzlichen Vorgaben zu konkretisieren, etwa bei der Genehmi­gung gentechnischer Anlagen, und dies jenseits des "Entrepreneurial Spi­

rit". Ähnliches gilt für die "Informationsgesellschaft". Man kann fragen, ob es Sache des Staates ist, t!Datenautobahnen" einzurichten und unterneh­merisch zu verwalten. Aber jedenfalls gehört es zu den öffentlichen Auf­gaben, einen Datenschutz im Interesse des Bürgers gesetzgeberisch wie administrativ zu gewährleisten.

Modelle einer "neuen" Verwaltung haben eine hohe Präferenz für den

Begriff der Dienstleistung. Das reicht von der Definition der Stadtverwal­tung als eines Dienstleistungsuntemehmens54 bis zu der Umwidmung des Bürgers zum Kunden, der dann staatliche Leistungen als "Dienstleistun­gen" erwartet.55 Es gibt dann wohl Perzeptionsprobleme, wenn gesagt wird, daß eine polizeiliche Verhaftung eine Dienstleistung sei, die aber von den Betroffenen als solche nicht empfunden werde.56 Jedoch entsteht insgesamt der Eindruck, daß in die Kategorie der Dienstleistung das Un­ternehmerische gleichsam eingeschlossen ist. Dann wäre allerdings der Postindustrialismus mit seinem Grundzug der Dienstleistungsgesellschaft eine sozialkulturelle Umweltbedingung öffentlicher Verwaltung, die ein Paradigmenwechsel zum Unternehmertum nahelegen würde.

54 Vgl. Gerhard Banner, Konzern Stadt, in: Hermann Hili/Helmut Klages (Hrsg.),

Qualitäts- und erfolgsorientiertes Verwaltungsmanagement. Aktuelle Tendenzen

und Entwürfe. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 61. Staatswissenschaftlichen

Fortbildungstagung 1993 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer,

Berlin 1993, S. 57.

55 Vgl. Erhard Klotz/Siegfried Mauch, Personalmanagement in Baden-Württemberg.

Die Implementierung einer Konzeption in der Landesverwaltung (Teil 1), in: VOP,

Heft 4/1994, S. 236.

56 Vgl. Hermann Bill/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientiertes Ver­

waltungsmanagement. Aktuelle Tendenzen und Entwürfe. Vorträge und Diskussi-

onsbeiträge der 61. Staatswissenschafüichen Fortbildungstagung 1993 der Hoch-

schule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1993, S. 103.

19

Der Dienstieistungsbegriff kann manches für Staat und Verwaltung iei­

sten. So eben auch eine soziokulturelle Interpretation. Oder man kann der

Frage nachgehen, ob der schwedische Wohlfahrtsstaat sich durch eine Prä­

ferenz der Dienstleistungen, der deutsche Sozialstaat aber durch eine Prä­

ferenz der Transferleistungen auszeichnet, und dies mit Konsequenzen für

die öffentliche Beschäftigung. Damit wird indessen schon deutlich, daß

ein Dienstleistungsbegriff der bloß auf den Gegensatz zur materiellen Gü­

terproduktion abstellt, im öffentlichen Sektor nur begrenzt hilft. Der Kern

der Bewilligung von Kindergeld, Wohngeld, Sozialhilfe ist doch nicht die

immaterielle Leistung, sondern das öffentliche Gut. Solche Transfers wer­

den - jedenfalls im Grunde - vom Markt eben nicht bereitgestellt. Sie las­

sen sich nach bestimmten ökonomischen Kriterien und Prinzipien bewer­

ten. Aber letztlich muß über die Erstellung öffentlicher Güter politisch-ad­

ministrativ entschieden werden.57 Und die autoritativ-verbindiiche Ent­

scheidung über Bewilligung oder Nichtbewilligung ist dann der Kern der

Verwaltungstätigkeit. Wir diskutieren öffentliche Dienstleistungen und

von diesen ist der Schluß auf ein unternehmerisches Management im öf­

fentlichen Sektor nicht ohne weiteres möglich.

Nun wird es Stimmen geben, die meinen, daß wir das Schlagwort vom

unternehmerischen Management zu streng nehmen. In Wirklichkeit ginge

es doch um eine Art dritten Weg zwischen Staat und Markt.58 Hier muß

man sorgfältig zwischen Verbesserung in der Anwendung des Wirtschaft­

lichkeitsmaßstabs in Politik und Verwaltung und der Rangerhöhung dieses

Maßstabs gegenüber anderen Handlungsmaßstäben unterscheiden. Verbes­

serungen in der ökonomischen Handhabung öffentlicher Angelegenheiten

sind dem Postindustrialismus geradezu auf den Leib geschrieben. Eine all­

gemeine Rangerhöhung der ökonomischen Effizienz gegenüber den Maß­

stäben von Humanität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit würde allerdings

zu einem Paradigmenwechsel führen. Solche neuen V erränge lassen sich

punktuell beobachten. Der berühmteste Fall ist wohl der des Grahamm-

57 Vgl. Richard A. Musgrave!Peggy B. Musgrave!Lore Kullmer, Die öffentlichen Fi­

nanzen in Theorie und Praxis, Bd. 1, 5. Aufl., Tübingen 1990, S. 60 ff.

58 Vgl. Heinrich Reinermann, Die Krise als Chance: Wege innovativer Verwaltungen,

Speyerer Forschungsberichte 139, Speyer 1994, S. 16.

20

Rudman-Hollings Actin den Vereinigten Staaten von Aiuerika.59 Von den

Gedanken einer bestimmten Wirtschaftstheorie her hat man durch Gesetz

einen automatisch-ökonomischen Kürzungsmechanismus in die Budgeter­

stellung eingebaut, um gewisse Ausgleichsziele zu erreichen. Man hat also

gleichsam eine ökonomisch bestimmte Prozedur über den politische be­

stimmten Prozeß gestellt. Das Ergebnis war über viele Jahre eine Gaukelei

in der Schätzung staatlicher Einnahmen und Ausgaben, aber nicht die Zu­

rückführung der Staatsverschuldung.

Der Gedanke, die Politik mit der Ökonomie zu überlisten, reicht also

wohl kaum aus. Blicken wir so zum Schluß noch einmal auf das theoreti­

sche Wissen als die Achse, um die sich die postuniversitäre Gesellschaft

dreht. Wissenschaft ist auch eine politisch-administrative Veranstaltung.

Im Postindustrialismus wird ihr die Bürokratisierung nachgesagt. Wir ha­

ben danach guten Grund, die Anwendung des Wirtschaftlichkeitsmaßstabs

im Wissenschaftsbetrieb zu stärken. So erscheint es durchaus wünschens­

wert, ein Controlling zu bestimmten ökonomischen Bewertungen an der

Universität einzuführen.60 Aber es müßte auf die Bewertung von Sekun­

däreffizienzen61, also Personalausstattung, Infrastruktur, Organisations­

größe, Sachausstattung usw. begrenzt werden. Der ökonomische Wer­

tungsmaßstab darf nicht über den Wertungsmaßstab gestellt werden, der

die wissenschaftliche Qualität selbst meint. Jedenfalls ist das nicht Sinn

des "axialen Prinzips" im Postindustrialismus. Die öffentlichen Universi­

täten und dann der öffentliche Sektor brauchen anderes als die unterneh­

merische Handhabung marktgängiger Güter. Die soziokulturellen Um­

weltbedingungen einer postindustriellen Gesellschaft weisen auf die wirt­

schaftliche Modernisierung, aber nicht auf einen Paradigmenwechsel zum

"Entrepreneurial Management" in der öffentlichen Verwaltung hin.

59 Vgl. Klaus König, Zur innenpolitischen Agenda - Die amerikanische Bundesregie­

rung am Beginn der neunziger Jahre, Speyerer Forschungsberichte 121, Speyer

1993, S. 33 ff.

60 Vgl. Heinrich Reinermann, Ein zweieinhalhmal "Hoch" für Controlling, in: DUZ,

Heft 20/1992, S. 16-17.

61 Vgl. Andreas Hofjjan, Effizienzvergleiche öffentlicher Theater. Cast Benchmar-

kL-,g als strategische Erweitertlng eines tbeaterspezifischen ControllingT. in: ZögU, Band 17, Heft 3/1994, S. 293.

21

"NEUE" VERWALTUNG ODER VERWALTUNGS­

MODERNISIERUNG: VERW AL TUNGSPOLITIK IN

DEN NEUNZIGER JAHREN

1. ÖFFENTLICHE VERWALTUNG: KULTURELL UND UNI­

VERSELL

Wer aus einem klassischen Verwaltungsstaat wie Frankreich, Öster­reich und auch Deutschland in die Schweiz reist, muß sich darüber Re­chenschaft geben, daß er sich auf den Boden eines Regierungs- und Ver­waltungssystems begibt, das in vielem von den kontinentaleuropäischen Traditionslinien abweicht. Dazu gehört der geringere Grad an Zentralisie­rung und Vereinheitlichung, die direkteren Möglichkeiten demokratischer Partizipation, eine flexiblere, mit dem Milizgedanken verbundene Profes­sionalisierung und neben anderem mehr eine höhere Selektivität bei der Verstaatlichung gesellschaftlicher Aufgaben. Die Schweiz pflegt so auch am Ende von internationalen Statistiken zu stehen, die für die westiichen Industrieländer die Relation der staatlichen Gesamtausgaben zum Brutto­sozialprodukt ausweisen. Eine Staatsquote in den Dreißigern unterscheidet nicht nur von der 60 Prozent-Marke des schwedischen Wohlfahrtsstaatesl. Angesichts der Zweifel an einer so expansiven Aufgaben- und Budgetpoli­tik mögen manche in den auf elementarere gesellschaftliche Bedürfnisse hin funktionalisierten Staatseinrichtungen der Schweiz das bereits verwirk­licht sehen, was andernorts im Wege der Verwaltungserneuerung noch zu schaffen ist.

Es wäre indessen zu einfach, sich von der Schweiz ein Bild zu ma-eben, bei dem auf der einen Seite das ökonomische System vom Bark"7e-sen bis zur Chemieindustrie unübersehbar transnational-universalistische

1 Vgl. OECD Economic Outlook, Nr. 53, Paris, Juni 1993.

22

Züge trägt, während auf der anderen Seite das pülitisch-administrative Sy­

stem in seinen bodenständigen Institutionen kulturgebunden verharrt. Wer in amtlicher Stellung mit schweizer Steuer- und Zollbehörden verhandelt,

wer als Reisender die dortige verkehrliche Infrastruktur von Flugplätzen bis Autobahnen nutzt, wer als Wissenschaftler mit den dortigen Hoch­schulen Kontakt hat, erfährt, daß die Schweiz im Vergleich zu anderen kontinentaleuropäischen Länder unterbürokratisiert sein mag2, ihre Ver­

waltung jedoch im Grunde durch eine moderne Leistungsordnung geprägt ist, nämlich durch Zuständigkeitsverteilung, Regelgebundenheit, Hierar­

chie, Professionalismus usw. Diese Rationalisierung funktional ausdiffe­renzierter Handlungssphären nach eigenen Prinzipien ist das Grundmerk­

mal der modernen Gesellschaften3. Sie vermittelt bei aller kultureller Bin­dung an Ort und Zeit einen gewissen universalistischen Grundzug nicht nur flir das Wirtschaftsleben, sondern auch fiir die öffentliche Verwal-tung. Das ermöglicht es, daß Bewegungen der Verwaltungsreform sich über nationale Grenzen hinweg ausweiten wie z. B. die Privatisierungsbe­wegung, daß zwischenstaatliche Organisationen nach dem internationali­sierten Muster nationaler Verwaltungen aufgebaut werden können, wie z. B. die Europäische Union, daß Verwaltungsinstitutionen tranferiert wer­den können, wie etwa von Frankreich nach Deutschland bei der Begrün­

dung des modernen Verwaltungsrechts.

Ein solcher Universalismus auch in der kulturell tief geprägten Schweiz erlaubt es dann, hier die beliebte Frage internationaler verwal­tungswissenschaftlicher Kongresse zu stellen: "What is new in public ad­ministration". Die aktuelle Antwort lautet vielerorts: "die öffentliche Ver­waltung'1. Dabei reichen die Schlagworte für das Neue vom "Neuen Steue­rungsmodell" bis zum "Reinventing Government 11

• Der Begriff des Para­

digmenwechsels wird bemüht, um ein neues Grundverständnis von der öf-

2 VgL Leonard Neidhart, Regierungs- und Verwaltungssystem in der Schweiz und

der Bundesrepublik Deutschland - Ein Vergleich, in: Adrienne Windhoff-Heritier

(Hrsg.), Verwaltung und ihre Umwelt. Festschrift für Thomas Ellwein zum 60.

Geburt<;tag, Opladen 1987, S. 170-193 (178).

3 Vgl. nur Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1985.

23

fentiichen Verwaltung vergleichbar einer "Erfindung" der Bürokratie zu bezeichnen4.

II. NEW PUBLIC MANAGEMENT

Viele Konzepte und Modelle sind zu besichtigen, wenn es die Welt der Verwaltungserneuerung zu beschreiben gilt. Will man indessen auch ver­änderte Realitäten skizzieren, dann ist es wohl zuerst die jüngere Verwal­tungspolitik in Großbritannien, Neuseeland und Australien, die beachtet werden muß. Sie folgt einer ökonomischen Konzeption und bezieht sich auf System und Umwelt der öffentlichen Verwaltung, also Rationalisie­rung nach innen und Privatisierung nach außen. Diese Verwaltungspolitik hat dann auch eine eigene Signatur des "New Public Management" erhal­ten5.

In der Privatisierungsbewegung, die seit Ende der siebziger Jahre in Westeuropa, Nordamerika, Ostasien maßgeblich die Kontraktion des öf­fentlichen Sektors bestimmt hat, nimmt Großbritannien einen prominenten Platz ein. Im Thatcherismus artikulierte sich das neoliberal-ökonomische Politikverst~nrlnis von der Überlegenheit marktlicher über die adwinistra­tive Leistungserbringung. Die umfangreichen Privatisierungsmaßnahmen von der Autoindustrie bis zum Lufttransport, von der Telekommunikation bis zur Energieversorgung sind bekannt6. Privatisierungserlöse dienten der Sanierung öffentlicher Haushalte. Deregulierung und Subventionsab­bau sollten zusätzlich für Marktverhältnisse sorgen. Während es hier dem Grunde nach um materielle Umwidmungen zugunsten des privaten Sektors

4 Vgl. Heinrich Reinermann, Die Chance als Krise: Wege innovativer Verwaltungen,

Speyerer Forschungsberichte 139, Speyer 1994.

5 Vgl. nur Christopher Hood, Public Management for all Seasons, in: Public Arlmi­

nistration 1991, S. 3-19; Christopher Pollitt, Mangerialism and the Public Servi­

ces: The Anglo-American Experience, Oxford 1990.

6 Vgl. Andrew Pendleton/Jonaihan Winierian (eds.), Pu.blic Enterprises in. Transiti-

on: Industrial Relations in State and Privatized Corporations, London u.a. 1993.

24

ging, standen in Neuseeland die formal-organisatorischen Privatisienmgen

am Anfang. Für die staatseigenen Unternehmen wurden Monopolrechte, administrative Kontrollmechanismen abgeschafft, Managementautonomie,

ergebnisorientierte Standards eingerichtet usw. 7 Überdies führte ein "Comprehensive privatization program 11 wirtschaftliche Gesichtspunkte bei der Arbeit sozialer Einrichtungen wie z. B. Krankenhäuser ein. Ferner wurde das Prinzip der Nutzungsgebühren für weite Teile der öffentlichen Dienstleistungen übernommen. Schließlich kam es dann zu Bestrebungen materieller Privatisierung von Staatsbetrieben durch den Verkauf von Ak­tien und N utzungsrechten8.

Ähnlich wie in Neuseeland richtete man auch in Australien seit Mitte der achtziger Jahre das Augenmerk zuerst auf die interne Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung, wobei es in einem zweiten Schritt in gewis­sen Bereichen auch zu einer Privatisierung kommen konnte. Unter dem Stichwort der 11 Kommerzialisierung" ging es vor allem um einen hohen Kostendeckungsgrad der öffentlichen Leistungserstellung9. Finanzzu­schüsse sollten transparent gemacht, Kosten leistungsabhängig berechnet, Dienstleistungen durch 11 external charging 11 in ihrem Wert sichtbar und möglichst deckend gestaltet werden. Durch Maßnahmen der Deregulie­rung sollte Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Anbietern ge­währleistet werden.

In allen drei Ländern des "New Public Management'1 führte die Öko­

nomisierungsstrategie zu umfangreichen Reorganisationsmaßnahrnen. Eine Grundvorstellung war dabei, daß eine Trennung zwischen den politischen Funktionen einerseits und den Ausführungsfunktionen andererseits zur Steigerung von Produktivität und Effizienz erforderlich sei. In Großbri-

7 Vgl. Reginald C. Mascarenhas, State-Owned Enterprises, in: Jonathan Boston/Pa­

trick Walsh/June Pallot/John Martin (eds.), Reshaping the State: New Zealand's

Bureaucratic Revolution, 1991, S. 27-51.

8 Vgl. Reginald C. Mascarenhas, Privatisation: A New Zealand Case Study;

Manuskript 1993.

9 Vgl. Alexander Kouzmi.n, Tue Dimensions of Quality in Public Management. Au-

stralian Prespectives and Experiences, in: Hermar1n Hili/Helmut Klages (Hrsg.),

Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management, Berlin 1993, S. 211-249 (225 ff.).

25

tannien w-urden den1zufolge "Executive agencies" geschaffen, die den ?'vfi­nisterien zwar angegliedert sind, aber weitgehend autonom agieren sollen. Bis Ende des Jahrzehnts sollen 90 % aller Beamten in solchen Ämtern be­schäftigt sein, zu deren aktuellen Bereichen die Arbeitsverwaltung, die Sozialversicherung, Steuer-, Zoll-, Paßämter gehören. Die Ämter sind mit den Ministerien durch ein sogenanntes "framework agreement" verbun­den, in dem ihr Tätigkeitsbereich, die Finanzierung sowie bestimmte Lei­

stungsstandards definiert sind. Die Leitung ist sonst in Haushalts- sowie Personal- und Organisationsfragen weitgehend autonom, indessen gegen­über Parlament und Bürger direkt verantwortlich. Im übrigen können die Agenturen auch halbstaatliche oder nicht-staatliche Organisationsform ha­

ben.

Wie in Großbritannien wurde auch in Neuseeland der Gedanke der Trennung zwischen Funktionen politischer Beratung, Politikentwicklung einerseits und Funktionen der Dienstleistung, "Service delivery•• anderer­seits durch Organisationsmaßnahmen aufgegrifen, sei es durch die Binnen­differenzierung in den Ministerien - Bildung, Transportwesen - sei es durch Übertragung auf eigene Vollzugseinheiten. Hinzu kam neben ande­ren Organisationsreformen eine vertikale Verlagerung von Dienstlei­stungsfunktionen auf die Ebene der DistriktverwaltungenlO. Für Australi­en ist hingegen hervorzuheben, daß die Zahl der 11 Agencies 11 im Interesse von Kohärenz der Leistungserbringung, vereinfachter Budgetierung wie geringeren Koordinationsaufwandes reduziert wurdel 1 .

Korrespondierend zu solchen Reorganisationen wurden Verfahrensre­formen durchgeführt, die die Steuerung der Verwaltung gemäß einer Re­gelgebundenheit stärker in Richtung auf den Managementgedanken modi­fizieren sollten. In Großbritannien wurden zielorientierte Managementsy­steme, Kostenzentren mit Globalbudgets und nicht zuletzt Mechanismen des Wettbewerbs eingeführt. Dieser Wettbewerb soll bei gleichartigen

10 Vgl. Jonathan Boston, Origins and Destillations: New Zealand's Model of Public

Management 3.nd the International Transfer of Ideas, Manuskript, Juni 1994.

11 Vgl. Reginald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Public Sec-

tor: Reform of t.l:ie Public Seetor in Australia, Britain and ~-Jew Zealand, Pu.blic Ad-

ministration Review 1993, S. 319-328 (324).

26

Leistllllgen sowühl t.wischen den Ämtern wie mit piivaten Unternehmen

stattfinden, wobei das, was man in den Privatsektor auskontrahieren kann,

weit bestimmt wird, und zwar bis zu Gehaltszahlungen an Beamte und bis

zur Ausarbeitung einer Fachpolitik. Wo indessen keine Wettbewerbssitua­

tion geschaffen werden kann, soll diese simuliert werden, und zwar soll

der entsprechende Druck durch ständigen Leistungsvergleich im Sinne ei­

nes "Bench-Marking" erzeugt werden. Für die Bürger wurde in ihrer Rol­

le als Kunde durch die "Citizen Charter" bestimmte Standards garantiert,

zu denen sich die Verwaltungen selbst zu verpflichten haben12. Die Stan­

dards beziehen sich auf die inhaltliche Dimension der Verwaltungsleistung

wie auch Form und Verfahren, die in gewissem Sinne über die Rechtsmä­

ßigkeit des Verwaltungshandelns gestellt werden. Durch Berichte über Er­

folg und Nichterfolg sollen Vergleichbarkeiten hergestellt und Wettbe-

werb simuliert werden13.

In Neuseeland wurden die Intentionen eines "New Public Manage­

ment" im Bereich der Prozußstrukturen durch die Abschaffung des bisher

bestehenden programrnbezogenen Zuteilungssystems zugunsten eines er­

gebnisorientierten Zuteilungssystems finanzieller Ressourcen auf der

Grundlage von Globalhaushalten verfolgt. Zu Zwecken des Vergleichs

wurden Indikatoren der Leistungsmessung entwickelt und weiter Control­

lingsysteme eingerichtet14. Auch in Australien wurden prozedurale Vor­

kehrungen getroffen, um das Finanzmanagement zu verbessern und die

Verwendung der Ressourcen effektiver und effizienter sowie markt- und

kundenorientiert zu gestalten15.

12 Vgl. HMSO (ed.), The Citizen's Charter: Raising the Standard, 1991; ders. (ed.),

The Citizen's Charter: First Report, London 1992.

13 Vgl. Frederick Ridley, Verwaltungsmodernisierung in Großbritannien, in: Her­

mann Hill/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management,

Berlin 1993, S. 251-257.

14 Vgl. Graham Scott/Peter Bushnell/Nikitin Sallee, Reform of the Core Public See­

tor: New Zealand Experience, Govemance, Vol. 3, No 2 April 1990, S. 138-167 (145).

15 Vgl. Alexander Kouvnin, Tue Dimensions of Quality in Public Management. Au-

stralian Prespectives and Experiences, in: Hermarin Hill/Helmut Klages (Hrsg.),

Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management, Berlin 1993, S. 217.

27

lviit lviaßnahmen der materielien und formellen Pri vätisierung, der Re­

organisation und Verfahrensreform verbanden sich Einschnitte in die Tra­

ditionsbestände des Beamtentums und der öffentlichen Beschäftigung.

Diese äußert sich zum einen im Personalabbau, der quantitativen Zurück­

führung des öffentlichen Dienstes im Hinblick auf die Personalkosten.

Waren in Großbritannien zu Beginn der 80er Jahre noch 700.000 Staatsbe­

dienstete beschäftigt, so waren es eine Dekade später nur noch 500.000.

Parallel erfolgte eine Deprivilegierungsstrategie im Hinblick auf die mate­

riellen Entgelte für Beamte. Schließlich wurden leistungsorientierte Me­

chanismen der Personalsteuerung geschaffen mit Leistungsindikatoren,

Lejstungsprämien, um schließlich durch Arbeitsplatzklassifikation das

Laufbahnprinzip zu überwindenl6.

Auch in Neuseeland wurde unter dem Vorzeichen des Leistungsprin­

zips in bestehende Personalverhältnisse eingegriffen, etwa durch die Fle­

xibilisierung der Besoldung gemäß den Anforderungen der jeweiligen Tä­

tigkeit, durch Deprivilegierung, durch vertragliche Handlungsspielräume.

Insbesondere nahm man sich der Spitzenpositionen des öffentlichen Dien­

stes an, und zwar durch neue Einstellungsregeln, Bestellung auf Zeit, Lei­stungsvereinbarung17. In Australien wurde zunächst der tradierte vierstu­

fige öffentliche Dienst im Interesse von Mobilität, Chancengleichheit,

Leistungsorientierung in eine zweistufige Klassifikation gebracht. Man

strebte die Verschlankung des Personalmanagements an. Später wurden

auch Sonderklassifikationen in eine Einheitsstruktur eingepaßt und eine

Vielfalt von Initiativen eingeleitet, die den öffentlichen Dienst im Hin­

blick auf Aus- und Fortbildung, Personalrekrutierung und Karriereent­

wicklung verbessern sollten18.

16 Zum Überblick vgl. Nevil Johnson, Der Civil Service in Großbritannien: Tradition

und Modernisierung, DÖV 1994, S. 196-200.

17 Vgl. Jonathan Boston, Origins and Destinarions: New Zeaiand's Model of Public

Management and the International Transfer of Ideas, Manuskript, Juni 1994, S. 22.

18 Vgl. Alexander Kouzmin, The Dimensions of Quality in Public Management. Au-

stralian Prespectives and Experiences, in: Hennann Hill/Helmut Klages (Hrsg.),

Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management, Berlin 1993, S. 222-225.

28

m. REINVENTING GOVERNMENT

Schon aus der Signatur "New Public Management n, mit der man die

skizzierte Verwaltungspolitik in Großbritannien, Neuseeland, Australien

bezeichnet hat, wird deutlich, daß nicht nur neoliberale Wirtschaftstheori­

en, sondern auch zunächst für die privaten Unternehmen entwickelte Ma­

nagementmodelle die Verwaltungserneuerung beeinflussen. So hat man

auch diese Neubewertung des öffentlichen Sektors als Neo-Taylorismus beschrieben. Zwei Managementmodelle werden besonders berücksichtigt, nämlich das des "Lean Management"l9 und das des "Total Quality Ma­nagementn20.

Im Gegensatz zum klassischen Taylorismus knüpft "Lean Manage­

ment" am Grundsatz der Ganzheitlichkeit an. Ziel soll sein, durch die In­tegration von Aufgaben-, Personal- und Organisationselementen eine Effi­

zienz- und Effektivitätssteigerung von Unternehmen zu erreichen. Ansatz­punkt ist dabei ein organisationaler Wandel von der Aufbau- zur Prozeß­struktur, durch den die Informationsverarbeitung intern flexibilisiert und zugleich auf externe Anforderungen, also Kundenausrichtung, bezogen

werden soll. Als Hauptelemente werden Reduzierung der Arbeitsteilung und Standardisierung, interne und externe Vernetzung, Gruppenarbeit, de­

zentrale Ressourcenverantwortung, Verringerung der Fertigungstiefe, Wettbewerb zwischen den einzelnen Einheiten sowie Kontraktmanagement zwischen Führung und Mitarbeitern vorgeschlagen21. Hierdurch sollen mit schlankerem Faktoreinsatz bessere Ergebnisse erzielt werden. Der

Förderung und Anregung der Mitarbeiter zu verstärkt eigenständiger Tä­tigkeit kommt eine zentrale Bedeutung zu. Man blickt auf das japanische

Vorbild des "Kaizen", also der Verwirklichung eines kontinuierlichen

19 Vgl. nur Dirk Bösenberg!Heinz Metzen, Lean Management - Vorsprung durch

schlanke Konzepte, 4. Aufl., Candsberg 1993.

20 Vgl. etwa Tom Peters, Jenseits der Hierarchien, Liberation Management, Düssel­

dorf 1993.

21 Vgl. Christoph 1.~eichard't Kommunales 1'v1a11agement hll interriationalen Veigleich,

Der Städtetag, 12/1992, S. 844 ff.

29

Verbessenmgsprozesses22. Da..~it ergibt sich auch eine VerbL"ldung mit

dem Konzept einer Verhaltensorientierung an totaler Qualität. Unter Prin­

zipien wie Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterbeteiligung und dann kontinu­

ierliche Verbesserung geht es in verschiedenen Formen um Qualitätsbe­

stimmung, Qualitätssicherung, Qualitätsmessung, Qualitätsverbesserung.

Bisweilen werden solche Modelle kurzgeschlossen auf den öffentlichen

Sektor übertragen23. Politische Vorlieben für "lean government "24, den

"schlanken Staat "25, beschränken sich dann allerdings manchmal darauf,

Personalabbau für die öffentliche Verwaltung zu fordern.

Eine elaboriertere Mischung von neoliberalem Wirtschaftsverständnis

und jüngsten Managementmodellen stellt demgegenüber das Konzept des

"Reinventing Govemment"26 dar, das inzwischen in den Vereinigten Staa­

ten von Amerika zu einer Art verwaltungswissenschaftlichen Schulbildung

geführt hat. Die zehn Grundsätze dieses Konzepts iassen sich wie foigt zu­

sammenfassen: 1.) Die Verwaltung soll nach Alternativen zur eigenen

Leistungserbringung suchen durch contracting out und public-private part­

nerships sowie durch neue flexible Finanzierungsinstrumente, 2.) Nicht

alle Verwaltungsaufgaben sollen durch Beamte erledigt werden, sondern

verstärkt durch die Integration von Klienten in Ausschüssen und manage­

ment teams erbracht werden, 3 .) Zwischen einzelnen Verwaltungseinhei­

ten soll Wettbewerb eingeführt werden, 4.) Verwaltungen sollen die Zahl

von Vorschriften und Gesetzen verringern, Jahresbudgets und detallierte

Arbeitsplatzklassifikationen sollen abgeschafft und durch klare Zielvorga­

ben ersetzt werden, 5.) Die Bewertung administrativer Leistung und die

Verteilung von Mitteln soll sich nach output Kriterien richten, 6.) Die

Klienten der Verwaltung sollen als Kunden betrachtet werden, deren Inter-

22 Vgl. lmai Masaaki, Kaizen, München 1993.

23 VgL Hermann Hili/Helmut Klages (Hrsg.), Spitzenverwaltungen im Wettbewerb,

Eine Dokumentation des 1. Speyerer Qualitätswettbewerbs 1992, Baden-Baden

1993.

24 Vgl. Heinrich Reinermann, Lean Govemment, Office Management 1993, S. 42 ff.

25 So etwa Heinz Metzen, Schlankheitskur für den Staat. Lean Management in der öf­

fentlichen Verwaltung, Frankfurt a.M. 1994.

26 Vgl. David OsbomelTed C7!lebler, ReL'lventing Goveni_.ment. How the Entrepreneu-

rial Spirit is Transforming the Public Seetor, Reading 1992.

30

essen, Werthaitungen und Ansprüche mit einer entsprechenden Qualifika­

tion des Verwaltungspersonals begegnet werden muß, 7 .) Die Verwaltung

solle nicht nur Geld ausgeben, sondern auch zusätzliche Mittel erwirt­

schaften etwa durch Nutzungsgebühren, Unternehmensfonds, unternehme­

rische Kreditfonds und profit centers, 8.) Die Verwaltung soll nicht nur

Leistungen erbringen, sondern bereits die Entstehung von neuen Aufgaben

und Ansprüchen durch Prävention verhindern, 9.) Zentralisierte Institutio­

nen sollen dezentralisiert werden, wobei die hierarchische Kontrolle durch

partizipatives Management ersetzt wird, 10.) Die Verwaltung solle ihre

Ziele nicht nur durch Vorgaben und Kontrolle erreichen, sondern durch

die Neustrukturierung von Märkten und Nutzung marktwirtschaftlicher

Instrumente etwa im Umweltschutzbereich oder in der Krankenversiche­rung27.

Dieser "entrepreneurial spirit" erfaßte auch die demokratische Präsi­dentschaft der Vereinigten Staaten. Der amtierende amerikanische Vize­

präsident legte einen "Report of the National Performance Review: Crea­

ting a Government that works better and costs less" vor. Dieser Bericht

enthält unter den Überschriften des Abschneidens von Bürokratismen, der Kundenorientiertung, der Ermächtigung der Mitarbeiter zu ergebnisorien­

tiertem Handeln und der Rückkehr zum Wesentlichen 800 Änderungsvor­

schläge, etwa zum Budgetprozeß, zur Personalpolitik, zum Beschaffungs­

wesen usw., zu Stimme und Wahlmöglichkeiten des Kunden sowie Wett­

bewerb und Marktförmigkeiten usw., zu Entscheidungsdezentralisierung,

Ergebnisverantwortung usw., zu Produktivität, Kostenreduzierung usw.

Diese Vorschläge sind von unterschiedlichem Gewicht, wenn man sich

aber vor Augen führt, daß der Bericht bei den Bundesbediensteten einen

Abbau von 252.000 Personen sowie eine Einsparung von 108 Milliarden

Dollar über fünf Jahre vorsieht28, dann kann man die Wegstrecke ermes-

27 Zur !Critik vgl. Charles T, C7()odsell, Reinvent Govermnent or rediscover it?, Pub-

lic Administration Review 1993, S. 85-87.

28 Vgl. From Red Tape to Results: Creating a Govemment that works better and costs

less, Report of the National Performance Review, Vice President Ai Gore,

Washington 1992.

31

sen, die zu einem unternehmerischen Staat führen soil, der zufriedenen

Kunden dient.

So ist es dann auch jenseits der Jc_ritischen Auseinandersetznng mit ei­

nem Postulat, das den Paradigmenwechsel von der amerikanischen Tradi­

tion des "administrative management" zur Neuheit des "entrepreneurial

management" in der öffentlichen Verwaltung beansprucht, die Frage der

Implementation, die Verwaltungswissenschaftler wie Verwaltungsprakti­

ker beschäftigt. In ersten Einschätzungen der "National Performance Re­

view „ wird verzeichnet: die Resonanz im Regierungsapparat, die Verein­

fachung von Regeln und Prozeduren insbesondere bei der Verwaltung des

Bundespersonals, die Reform der Beschaffungsverfahren, die Verbesse­

rung der Koordination in Managementfragen der Regierung, die Erzeu­

gung neuer Ideen in "Neuerfindungs-Laboratorien". Als Problem wird ei­

ne Präokkupation mit Sparmaßnahmen gegenüber der Leistungsverbesse­

rung genannt29. Inzwischen haben sich die Mehrheitsverhältnisse im Kon­

greß verändert. Der Präsident hat seine Initiativen weniger denn je in der

Hand. Auf der anderen Seite haben sich alte Gegner der Bundesbürokratie

in der Kongreßmehrheit schon gemeldet. Man muß warten und sehen.

IV. MANAGEMENTENTWICKLUNG IN

STAATEN

EUROPÄISCHEN

Kehrt man aus den Vereinigten Staaten nach Europa zurück, so sind

auch hier verbreitete Intentionen einer Umgestaltung des öffentlichen Sek­

tors zu beobachten. Wohlfahrtsstaatliche Aufgabenbestände, reduzierte fi­

nanzielle Handlungsspielräume, wirtschaftsstrukturelle Krisen, Internatio­

nalisierung öffentlicher Angelegenheiten haben die Staatsverwaltungen un­

ter Reformdruck gesetzt. Eine Zielvorstellung ist dabei, die öffentliche

Verwaltung schlanker und flexibler zu gestalten, um diese so besser auf

29 Vgl. Donald F. Kettl, Reinventing Government? Appraising the National Perfor­

mance Review. A Repon of the Brookings Instimtion's Center for Pubiic Manage­

ment, Washington, D.C. 1994, S. 54 ff.

32

die Bedürfnisse von Bürgern und Privatwirtschaft auszurichten. Zum an­

deren läßt sich die Neigung zu dezentraler Ressourcen- und Ergebnisver­

antwortung bei gleichzeitiger Stärkung der internen Rationalisierung etwa

durch Managementtechniken feststellen, um hierdurch Qualitätssteigerun­

gen zu erzielen. Zum jüngsten Geschehen liegt ein OECD-Bericht "Public

Management Developments" aus dem Jahre 1993 vor30.

So führten etwa Finnland, Island und Schweden Marktmechanismen

auch innerhalb des öffentlichen Sektors ein, um den Wettbewerbsgedan­ken zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen zu stärken. Däne­

mark folgt dem britischen Beispiel durch die Verselbständigung von sie­

ben "Agencies", die durch Verträge vierjährige Budgets zur Eigenbewirt­

schaftung erhalten, um hierdurch flexiblere Gestaltungsspielräume und hö­here Kostendeckungsgrade bei gleichzeitig größerer Qualität der Lei­

stungserbringung selbst realisieren zu können. Ähnliche Tendenzen zeich­nen sich diesbezüglich in den Niederlanden und weiteren skandinavischen

Ländern ab. Parallel wird auch in einer Vielzahl von Ländern wie etwa Portugal, den Niederlanden, Island oder Irland die Privatisierung öffentli­cher Unternehmen vorangetrieben oder werden, wie in Belgien, Finnland, Frankreich oder Schweden öffentliche Unternehmen anhand marktwirt­schaftlicher Kriterien umstrukturiert und mit größerer Autonomie verse­

hen. Dem organisatorischen Gesichtspunkt der vertikalen Dezentralisie­

rung kommt in Dänemark, den Niederlanden und in Spanien steigende Be­deutung zu, um hierdurch zugleich eine flexiblere und bürgernahere Er­bringung öffentlicher Dienstleistung zu gewährleisten. In Frankreich liegt eine Priorität auf der Dekonzentration der Behörden. In Deutschland geht

es in der Staatsverwaltung auf Landesebene etwa um Verwaltungscontrol­ling, Verfahrensbeschleunigung, Privatisierung.

Insgesamt ist zu beobachten, daß Maßnahmen der internen Ökonomi­

sierung der Verwaltung gegenüber der Politik von Privatisierung und Ver­

selbständigung von Aufgabenträgern an Gewicht gewonnen haben. Inner­

halb einer stärkeren Managementorientierung liegen zu Beginn der neunzi­

ger Jahre die Schwerpunkte auf ergebnisgerichtetem Verwaltungshandein,

30 Vgl. OECD/PUMA (Hrsg.), Pubiic Management Deve1opments. Survey i993,

Paris 1993.

33

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auf dezentraler Ressourcenverantwortung, auf Kontraktmanagement, auf

Vereinfachung der Verwaltungsvorschriften sowie der Einführung von In­formations- und Kommunikationstechnologien. Gegenstände der Verwal­tungserneuerung haben auf der innenpolitischen Agenda vieler Länder an

Bedeutung gewonnen31.

V. MANAGEMENTMODELLEAUFLOKALEREBENE

Wendet man sich der in der Welt der Verwaltungserneuerung schließ­lich der lokalen Ebene zu, dann sind auch hier Managerismus, Kundenori­entierung, Effizienz vielerorts Leitvorstellungen der Reformpolitik. Ma­nagementmodelle und Managementexperimente sind so zahlreich, daß man

nur signifikante Beispiele nennen kann. Ein solcher Fall ist der der Stadt­verwaltung von Phoenix/ Arizona in den USA32. Dort suchte man dem ge­ringeren finanziellen Handlungsspielraum nicht durch Steuererhöhungen, sondern durch Rationalisierungsmaßnahmen nach außen wie nach innen zu begegnen. Durch Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, der Kundenbefra­gung, der Hilfe zur Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe sowie der generel­len öffentlichen Ausschreibung aller Leistungen sollten die Bürger für ein "Joint venture" mit ihrer Stadt gewonnen werden. Auf die Nachbar­schaftskonzepte wurden dann städtische Programme, etwa Sozialpro­gramm, ausgerichtet. Nachbarschafts-Komitees wurden in den Planungs­prozeß einbezogen, Erfahrungen der "kundennahen" Dienststellen in die Entscheidungen integriert. Die Mitarbeiter wurden durch ein innerbetrieb­liches Vorschlagswesen sowie erfolgsabhängige Gratifikationen mobili­siert. Die Einführung eines Budgetprozesses, bei dem jedes Department 5

31 Vgl. OECD/PUMA (Hrsg.), Public Management Developments. Survey 1993, Paris 1993, S. 13.

32 Zit. nach Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Carl Bertelsmann Preis. Demokratie und

nalen Recherche, Gütersloh 1993, S. 129 ff.

34

- 10 % seiner Leistungen gnmdsätzlich überprüfen muß, eine tiefgreifen-

de Programmevaluation sowie die Entwicklung von Leistungs- und Stan­

dardindikatoren und hierauf ausgerichteter Controllingsysteme sollten die

interne Rationalisierung voranbringen.

Während in Phoenix/ Arizona der Verwaltungsaufbau weitgehend er­

halten blieb, wurde in Christchurch (NZ) eine organisatorische Trennung

in Geschäftsbereiche nach "Client units" - gleichsam beauftragende Ge­

schäftsbereiche-, 11 Provider" - also operative Dienstleistungserbringer -

und "intern unterstützende Einheiten" durchgeführt. Diese Bereiche sollen relativ unabhängig voneinander handeln und die jeweils benötigten Lei­

stungen voneinander oder von billigeren privaten Dritten "einkaufen".

Der Kundenperspektive wollte man zudem durch umfassende Beteili­gungsrechte der Bevölkerung etwa im Planungs- und Budgetierungspro­

zeß, durch Kundenbefragung und Service-Zentren Rechnung tragen. Zwi­schen Rat und Verwaltung wurden "Community Boards" zwischengeschal­

tet. Kostentransparenz, Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsvergleich, Con­trolling waren weitere Reformgesichtspunkte33.

Demgegenüber wurde in Tilburg (NL) beabsichtigt, die Stadtverwal­tung nach dem Modell eines privatwirtschaftlich operierenden Konzern

umzugestalten. Ein Reformschwerpunkt war dabei die zentrale Steuerung durch das Kollegium von Bürgermeister und Beigeordneten, den Gemein­

desekretär und seinen Steuerungsdienst, die Managementkonferenz der Dienstdirektoren sowie die Controllerkonferenz. Konzernhaushalt einer­seits sowie dezentrale Ressourcenverantwortung andererseits sowie ein umfassendes Controlling- und Berichtswesen sind weitere Merkmale34.

33 Zit. nach Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Carl Bertelsmann Preis. Demokratie und

Effizienz in der Kommunalverwaltung, Bd. 1, Dokumentationsband zur internatio­

nalen Recherche, Gütersloh 1993, S. 83 ff.

34 Vgl. Michael Blume; Tilburg: Modemes betriebswirtschaftlich orientiertes Verwal­

tungsmanagement, in: Christoph Reichard/Gerhard Banner (Hrsg.), Kommunale

Managementkonzepte, Köln 1993, S. 143-160; kritisch hierzu Judith Raupp, Gibt

es das Ti!burger Modell? Tilburg - das Met-..ka der Verwaltungsreformen, Die Ge-

meinde 1994, S. 665-666.

35

Solche v orsteuungen wurden in ueutschland von der Kommunaien Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung zu einem "neuen Steuerungsmodell" weiterentwickelt. Bei diesem Modell sind neben der Konzernstruktur insbesondere die funktionale Trennung zwischen Politik und Verwaltung, die dezentrale Ressourcenverantwortung, das Kontrakt­

management sowie neue Formen der zentralen und ergebnisgeleiteten Steuerung zu nennen35.

Auch in der Schweiz wurden Ansätze eines lokalen Verwaltungsma­nagements entworfen, so etwa das Projekt "Neue Stadtverwaltung Bern". Hier unternimmt man es entsprechend der Organisation von Politik und Verwaltung in der Stadt, Handlungsebenen funktional auszudifferenzie­ren, nämlich eine normative, eine strategische und eine operative, wobei letztere neben der Stadtverwaltung auch private und außerstädtische Ver­waltungen umfaßt36.

VI. UNTERNEHMERISCHES MANAGEMENT UND ÖFFENT­

LICHE VERWALTUNG

Wenn wir uns von dieser Skizze einer Welt der Verwaltungserneue­rung der Frage einer Bewertung ihrer Ansätze zuwenden, dann müssen wir uns vor Augen halten, daß vieles noch Konzept und Modell ist. Selbst wo sich Verwaltungspraktiker verhältnismäßig konkret über die Erneue­rung ihrer Erfahrungsbereiche auslassen, findet man allgemeine Vorbehal­te, die sich insbesondere auf die vorherige Reform des öffentlichen Dien­stes und die Neuordnung des Verhältnisses von Politik und Verwaltung

35 Vgl. KGSt (Hrsg.), Das neue Steuerungsmodell. Begtiindung, Konturen, Umset­

zung, Bericht 5/1993.

36 Vgl. Projektteam "Neue Stadtverwaltung Bern" in Zusammenarbeit mit dem Insti­

tut für Finanzwissenschaft und Finanzrecht an der Hochschule St. Gallen (Hrsg.),

"Neue Stadtverwaltung Bern". Mögliche Ausgestaitung eines modernen Verwal-

tungsrnanagements in der Stadt Bern, Bern 1994.

36

beziehen37. Gibt es da.ru1 konkrete Irmovationsprograi1lllle und -projekte,

ist der Stand der Implementation offen. Liegen Hinweise für die Umset­

zung neuer Managementansätze vor, dann mangelt es jenseits der Selbst­

darstellung von Politikern und Spitzenbeamten an validen Evaluationen.

Der Fall Australiens, wo sich insbesondere Parlamentskommissionen mit

den Wirkungen und Folgen manageralistischer Reformen befaßt haben, ist die Ausnahme38, Wenn aus dortigen Untersuchungen nahegelegt wird,

daß die Ausrichtung auf die Effizienz zu Lasten der Gleichheit gegangen

sei, dann geht es freilich um relevante Auswirkungen. Denn in der Tat ist die Gleichheit vor dem Dollar nicht ohne weiteres die Gleichheit, die der

soziale Rechtsstaat meint.

Aber selbst für die nun schon langjährige Verwaltungspolitik des "New Public Management" gibt es Stimmen, die dieses gut in der Rheto­

rik, aber unzulänglich in der Sache - "good on rhetoric and short on sub­stance" - bezeichnen. Immerhin kann man nach diesem Güteurteil der Frage der Erneuerungsrhetorik nachgehen. Denn die Signaturen des Neu­en sind für die öffentliche Verwaltung wichtig. Es schadet ihr, wenn Re­

formvorhaben mit Aufschriften des Nicht-Praktikablen versehen werden. Als zum Beispiel im Falle einer deutschen Landesregierung postuliert

wurde, die Politikgenerierung nach dem Modell eines Integrierten Pla­nungs-, Entscheidungs-, Kontrollsystems - IPEKS - umzustellen, da war

seine Praktikabilität von vornherein zweifelhaft, weil eben der politische Prozeß nicht so abläuft. Nach dem Scheitern des Projekts blieb dann frei­lich die planende Verwaltung mit Vorwürfen der bürokratischen Unfähig­keit, des bürokratischen Widerstandes zurück. So sollte man überlegen,

ob man die Stadt mit der Etikette "Konzern 11 versieht, wenn diese dann nicht vollbringen kann, was Konzerne unter Rationalisierungsdruck ver-

37 Vgl. etwa Benno Bueble, Brauchen wir "Lean Management" in der öffentlichen

Verwaltung?, VOP 1993, S. 223 ff.; ferner Manfred Timmermann, Wirtschaftli­

ches Handeln öffentlicher Verwaltungen. Grundsätzliches aus ökonomischer und

verwaltungspraktischer Sicht, VOP 1993, S. 97 ff.

38 Vgl. Alexander Kouzmin, The Dimensions of Quality in Public Management. Au-

stralian Prespectives aJid. Experiences, in: Hermairn Hili/Helmut Klages (Hrsg.),

Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management, Berlin 1993, S. 228 ff.

37

mögen, nämlich Teilunternehmen zu veräußern, Produktionsiinien zu schließen, Standorte zu verlagern, Kosten zu externalisieren usw ,39

Die R_hetorik der "neuen" Verwaltung ist die des Marktes, des Wettbe­

werbs, des Unternehmens, der Dienstleistung, des Kunden und insbeson­dere des unternehmerischen Managements, das die Abkehr vom "alten" administrativen Management symbolisiert. Man muß sich die kulturellen Prämissen öffentlicher Verwaltung vor Augen führen, um eine solche Re­deweise zu beurteilen. Grundmerkmal der modernen Gesellschaften ist de­ren funktionale Differenzierung in relativ unabhängige Subsysteme und

Sphären des Handelns zusammen mit der Rationalisierung dieser Bereiche nach jeweils eigenen Prinzipien. Das ökonomische System mit Prinzipien wie Markt, Wettbewerb, Eigentumsrechte und das administrative System mit Prinzipien wie Regelbindung, Hierarchie, Eigentumsordnung überdec­kende öffentliche Zweckbindung sind signifikante Handlungskomplexe ei­ner solchen historischen Beschaffenheit40. Im realen Sozialismus hatte man diesen Entwicklungspfad verlassen. Die Gesellschaft wurde systemi­scher Ideologie und dem Willen einer Partei unterworfen. Die Wirtschaft wurde faktisch verstaatlicht. Eine Kaderverwaltung wurde Staat, Wirt­schaft, Gesellschaft übergestülpt. Dieser marxistisch-leninistische Versuch einer Gegen-Modernisierung ist gescheitert. Er konnte mit der westlichen Differenzierung von Individualrechten, Pluralismus, Marktwirtschaft, De­mokratie, Rechtsstaat, Wohlfahrtsverwaltung nicht Schritt halten. Der rea­le Sozialismus mußte Bankrott anmelden41.

Die Rhetorik der "neuen" Verwaltung scheint nun die Basisoptimalität verschiedener Systemrationalitäten beseite schieben zu wollen. Der "Sieg" der Marktwirtschaft über die Zentralverwaltungswirtschaft scheint in man-

39 So auch Eberhard Laux, Die Privatisierung des Öffentlichen: Brauchen wir eine

neue Kommunalverwaltung? - Visionen und Realitäten neuer Steuerungsmodelle-,

Der Gemeindehaushalt 1994, S. 169 ff.

40 Vgl. nur Niklas Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaft Bestandsaufnah­

me und Entwurf, Berlin 1966; ferner Klaus König, Öffentliche Verwaltung als so-

ziales System, in: Remer (Hrsg.), Verwaltungsführung, Berlin/New York 1982, S.

3 ff.

41 Vgl. nur Klaus König, Zum Ve.rwaJrungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Ver-

waltungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1991, S. 9-44.

38

eben Reden zu einem Sieg der Prinzipien der Wirtschaft über die des Staa­

tes zu werden. Dabei stellt auch der ökonomische Liberalismus den Staat

an sich nicht in Frage. Der Rechtsschutzstaat gilt im Gegenteil als Grund­

voraussetzung für die Entstehung und Entwicklung einer Marktwirtschaft.

Zudem ist der Staat gefordert, wenn der Markt versagt. Beides ist in der

historischen Phase der Transformation der realsozialistischen Gesell­

schafts- und Wirtschaftsordnung insbesondere auch im deutschen Falle

deutlich geworden42. Selbst Industriekreise lobten die westdeutsche Ver­waltung für die Leistungen der Rechtssicherheit, die sonst ganz selbstver­

ständlich hingenommen wurden. Zudem konnten die Leistungen der wohl­fahrtsstaatlichen Verwaltung zur Versorgung der ostdeutschen Bevölke­

rung mit dem, was die Dynamik des Marktes dort erbrachte, den Ver­

gleich aushalten. Überhaupt sollte der Hinweis aus angelsächsischem lv1unde nicht unbemerkt bleiben, daß die wirtschaftliche Leistung der Län­der, die die unternehmerische Rhetorik für den öffentlichen Sektor pfle­

gen, unter der von Ländern wie Japan und Westdeutschland geblieben sind, die das "New Public Management" bis jetzt beiseite gelassen ha­ben43.

Die Wirtschaftstheorie liefert eine Fülle von Argumenten zur gesell­

schaftlichen Arbeitsteilung zwischen Staat und Markt bei der Güterversor­

gung. Charakteristische Merkmale für staatliche Aktivitäten sind zum Bei­

spiel die Nichtanwendbarkeit des Ausschlußprinzips - also die Nutzung kann nicht von der Zahlung eines Entgelts abhängig gemacht werden -oder nichtrivalisierender Konsum innerhalb von Kapazitätsgrenzen - der

42 Vgl. Klaus König, Transformation als Staatsveranstaltung in Deutschland, in:

Heilmut Wollmann/Helmut Wiesenthal/Frank Bänker (Hrsg.), Transformation so­

zialistischer Gesellschaften: Am Ende des Anfangs, Opladen 1995, S. 609 ff.

43 Vgl. Reginald C. Mascarenhas, State Intervention in the Economy: Why is the

United States different from other mixed Economies?, Australian Journal of Public

~A~dmiI1istration, 1992, Vol. 51, No 3, S. 385-397; ferner Christopher Hood„ Public

Management for all Seasons, in: Public Administration 1991, S. 3-19; sowie Regi­

nald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Public Seetor: Reform

of d1e Public Seetor in Australia, Britain and ~~ew Zealand, Public Adn1irJstiation

Review 1993, S. 325.

39

Konsum eines Individuun1s schließt den anderer nicht aus - \Veitere Gründe betreffen externe Effekte oder steigende Skalenerträge44.

Überdies zieht die Wirtschaftstheorie Güter als meritorische oder de­meritorische in ihre Betrachtung ein, also Güter, deren Bereitstellung die Gesellschaft unabhängig von den marktlichen Präferenzen zu begünstigen

bzw. zu benachteiligen sucht. Schon die Verfassungen können .eben Staatszielbestimmungen zum Umweltschutz, zur Beschäftigung, zum Wohnen jenseits individueller Präferenzen enthalten, die in der Wirt­schaftsgesellschaft des Verfassungsstaats respektiert werden müssen45. Kommt es zur Sache, wie es bei den jüngsten Privatisierungen in Großbri­tannien, Frankreich, Deutschland, Japan, den Vereinigten Staaten signifi­kant war, dann kann man beobachten, wie in der offenen Gesellschaft ökonomische, rechtliche, politische, soziale Gründe in sich und zwischen­einander hochstreitig sind. Es bleibt die Einsicht, dal3 Staatsaktivitäten zwar historisch gewachsen sind, aber politisch entschieden werden müs­sen46. Die Wirtschaftstheorie muß entsprechend eine formale Abgrenzung der öffentlichen Güter vorhalten. Danach wird über Art, Umfang und Verteilung privater Güter durch die Abstimmung der individuellen Präfe­renzen über den Marktmechanismus entschieden, während die Entschei­dung über die Erstellung öffentlicher Güter das Ergebnis eines kollekti­ven, hier eben politisch administrativen Willensbildungsprozesses ist47.

In den Ansätzen einer t•neuen" Verwaltung tritt die Gegenüberstellung von Staat und Wirtschaft nach Art von Privatisierungs- oder Deregulie­rungsdiskussionen zurück und die Prinzipienfrage wird als Management­problem gestellt. Es geht mehr um die interne Ökonomisierung der öffent­lichen Verwaltung. Der Paradigmenwechsel soll der vom administrativen

44 Vgl. Robin W. Boardway!David E. Wildasin, Public Seetor Economies, 2nd Ed„

Boston/Toronto 1984, S. 83 ff.

45 Vgl. etwa Klaus König, Staatsaufgaben und Verfassungen der neuen Bundesländer,

in: lpsen/Rengeling/Mössner/Weher (Hrsg.): Verfassungsrecht im Wandel. Zum

180jährigen Bestehen der Carl Heymanns Verlag AG, Köln u.a. 1995, S. 109-128.

46 Vgl. Klaus König, Kritik öffentlicher Aufgaben, Baden-Baden 1989.

47 Vgl. nur Richard i.1..-fusgrave/Peggy }„fusgrave/Lo;e Kullmer, Die öffentlichen Fi-

nanzen in Theorie und Praxis, Bd. 1, 5. Aufl., Tübingen 1990, S. 60 ff.

40

zum unternehmerischen Management sein. Dazu muß man freilich darauf

hinweisen, daß der Begriff des Unternehmers untrennbar mit einer markt­

wirtschaftlichen Ordnung verbunden ist. Die Marktwirtschaft personali­

siert sich gleichsam im Unternehmer. Er kombiniert Produktionsfaktoren

um Güter und Dienste zu produzieren, die er mit Gewinn am Markt abset­

zen will. Er ist der Motor der marktwirtschaftlichen Entwicklung48. An dieser Verknüpfung mit der marktwirtschaftlichen Ordnung ändert sich

auch nichts, wenn Eigentumsrechte und Risiken ausdifferenziert werden

und der "angestellte Unternehmer" die dispositiven Funktionen ausübt.

Das unternehmerische Management ist nichts, was man auf eine Binnen­struktur begrenzen kann.

Ist die Rolle des Unternehmers an den Markt gebunden, der Unterneh­mer ohne Markt nicht denkbar, dann ist die Rhetorik von dem unterneh­

merischen Geist in der Verwaltung mangels marktförmiger Umwelt wider­sprüchlich. Wir müßten die Umwelt ändern, den Staat zugunsten des

Marktes aufgeben, wenn ein Paradigmenwechsel vom administrativen Ma­nagement zum unternehmerischen Management stattfinden sollte. Da aber

niemand auf den Staat, auf öffentliche Güter, kollektive Entscheidungs­prozesse zu deren Erstellung verzichten will, brauchen wir ein Manage­

ment für die öffentliche Verwaltung, das deren Umwelt reflektiert. Und das ist das exekutive Management, wie es für die Modeme charakteri­

stisch ist. Es reflektiert eine humane Umwelt in der Verpflichtung auf die Menschenrechte, eine demokratische Umwelt im Primat der Politik, eine

rechtsstaatliche Umwelt in der Bindung an Gesetz und Recht49.

Die grundlegende Differenz zwischen Markt und Staat, unternehmeri­

schem und exekutivem Management läßt sich auch nicht rethorisch über­

spielen, wie man es mit Begriffen wie Dienstleistung oder Kunde zu ver-

48 Vgl. Peier H. Werhan, Der Unternehmer - Seine ökonomische Funktion und ge-

sellschaftspolitische Verantwortung, Trier 1990.

49 Vgl. etwa Carl Böhret, Tue Tools of Public Management, in: K. A. Eliassen/J.

Koimann (eds.), Managing Public Organizations. Lessons from contemporary Eu­

ropean Experiences, 2nd edition, London u.a. 1993, S. 87 ff.

41

suchen scheint50. Es entsteht der hmaruck, aaJj m der K.ategorie der

Dienstleistung das Unternehmerische gleichsam eingeschlossen ist, wenn

etwa die Stadtverwaltung als ein Dienstleistungsunternehmen definiert

wird. Nun kann der Dienstleistungsbegriff manches für Staat und Verwal­

tung leisten. Man kann etwa der Frage nachgehen, ob der schwedische

Wohlfahrtsstaat sich durch eine Präferenz der Dienstleistungen, der deut­

sche Sozialstaat aber durch eine Präferenz der Transferleistung auszeichnet

- und das mit Konsequenzen für die öffentliche Beschäftigung51. Damit

wird indessen schon deutlich, daß ein Dienstleistungsbegriff, der bloß auf

den Gegensatz zur materiellen Güterproduktion abstellt, hier nicht hilf­

reich ist. Der Kern der Bewilligung von Kindergeld, Wohngeld, Sozialhil­

fe ist doch nicht die materiale Leistung, sondern das öffentliche Gut. Sol­che Transfers werden - jedenfalls im Grunde - vom Markt eben nicht be­

reitgesteUt. Sie iassen sich nach bestimmten ökonomischen Kriterien und

Prinzipien bewerten. Aber letztlich muß über die Erstellung öffentlicher

Güter politisch-administrativ entschieden werden. Und die autoritativ-ver­

bindliche Entscheidung über Bewilligung oder Nichtbewilligung ist dann

der Kern der Verwaltungstätigkeit. Wir diskutieren nicht private, sondern öffentliche Dienstleistungen, und von denen ist der Schluß auf das Unter­

nehmerische nicht zutreffend.

Nicht anders verhält es sich mit der U mwidmung des Bürgers zum

Kunden. Selbst die polizeiliche Verhaftung soll dann noch eine Dienstlei­stung gegenüber dem Betroffenen als Kunden sein52 - der freilich aus gu­

tem Grund dies nicht so empfindet, weil es eben um den Schutz der öf­

fentlichen Sicherheit zugunsten des Publikums geht. Die vielfältigen Rol­

lendifferenzierungen zwischen Steuerpflichtigen, Schüler, polizeilichen

50 So etwa Gerhard Banner, Konzern Stadt, in: Hermann Hill/Helmut Klages (Hrsg.),

Qualitäts- und erfolgsorientiertes Management, Berlin 1993, S. 57 ff.; vgl. ferner

ders., Von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen: Die Kommunen brau­

chen ein neues Steuerungsmodell, VOP 1991, S. 6 ff; ders., Neue Trends im kom­

munalen Management, VOP 1994, S. 5 ff.

51 Vgl. Detlef Jahn, Schweden - Kontinuität und Wandlung einer postindustriellen

Gesellschaft, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/92, S. 22-35.

52 Zit. nach Hermann Hili/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfoigsorienriertes

Management, Berlin 1993, S. 103.

42

Störer, Soziaihiifeempfänger, Jugendiichen, Gewerbetreibenden usw. wer­den zugunsten der Uniformität einer Verhaltenserwartung aufgegeben, die die Erbringung öffentlicher Güter gerade nicht meint53. Denn der Kunde ist die faktische oder potentielle Marktpartei auf der Nachfrageseite. Wenn der Arzt vom Patienten, der Rechtsanwalt vom Klienten spricht, dann liegt darin eben eine feine Distanzierung von marktwirtschaftlichen Mechanismen.

VII. FRAGEN DER VERWALTUNGSMODERNISIERUNG

Daß wir auf die Eigenart öffentlicher Güter, eine Rollendifferenzie­rung beim Bürger und dann auf ein exekutives Management in öffentli­chen Angelegenheiten abstellen, bedeutet nicht, daß die Wirtschaftlichkeit nicht zu den Prinzipien gehört, die die Handlungssphäre der öffentlichen Verwaltung rationalisieren. Auch über dem Staat leuchtet der "kalte Stern der Knappheit". Die Verwaltung existiert und funktioniert in einer Um­welt knapper Ressourcen. Entsprechend pflegt das Haushaltsrecht Wirt­schaftlichkeit als Maßstab des Verwaltungshandelns vorzuschreiben. Wäh­rend es im realen Sozialismus die Materialien waren, die das Staatshan­deln prägten und trotz behaupteter Einheit von Finanz- und Materialpla­nung übergewichtig waren54, sind mit der westlichen Verknüpfung von Staat und Verwaltung mit der Geldwirtschaft Knappheiten von hoher Transparenz. Die Reflexion der Knappheit kann in der öffentlichen Ver­waltung wiederum nicht durch ein unternehmerisches Management erfol­gen. Vielmehr müssen eigene Formen, Instrumente, Organisationen der Staatswirtschaft entwickelt werden. Hierzu zählen Budgetierung, Kamera­listik, Rechnungskontrolle usw.

53 Vgl~ et'„va .l?.ainer Pitschas, Die Jugendver.valtu~ng im markt'Nirtscha~Jichen \l./ett-

bewerb? - Balanceprobleme zwischen Rechonäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und

FacWichkeit -, DÖV 1994, S. 973-986.

54 Vgi. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwai­

tungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1991, S. 9-44.

43

Mit dem Hinweis auf soiche Institutionen erreichen wir das ·1·nema der

Verwaltungsmodernisierung. Man muß die Rethorik des unternehmeri­schen Geistes, der unternehmerischen Kultur, des unternehmerischen Ma­nagements beiseite schieben und sich darüber Rechenschaft geben, daß es

keine Patentrezepte für Innovationen in der öffentlichen Verwaltung gibt.

Es bestehen Gemeinsamkeiten von Reformerfordernissen, Reformbewe­gungen, Reformstrategien, Reformgegenständen, aber nicht das "general problem-solving". Dazu sind die historischen Ausgangspunkte und kultu­rellen Rahmenbedingungen schon zu verschieden, und zwar selbst zwi­schen Großbritannien, Neuseeland und Australien55 und dann erst recht zwischen der Civic-Culture-Administation der Vereinigten Staaten von Amerika und der klassischen Verwaltung Kontinentaleuropas56. Indessen unterliegen die modernen Verwaltungen dem Imperativ des Wandels. Das Projekt der Modeme ist nicht am Ende. Modernität bedeutet zugleich Mo­dernisierung. Entsprechend ist in der Bundesrepublik die Budgetierung, die Kameralistik, die Rechnungshofskontrolle immer wieder modernisiert worden57.

Im Sinne einer Verwaltungsmodernisierung enthalten die Ansätze zur "neuen" Verwaltung eine Fülle von Hinweisen, die allerdings weniger als Antwort denn als Frage interessant sind. Denn vieles, was unter der Auf­schrift '1New Public Management 11

, "Reinventing Govemment 11, "neues

Steuerungsmodell" usw. diskutiert wird, ist nicht spezifisch für ein markt­

orientiertes unternehmerisches Management. Nehmen wir zum Beispiel die Frage der dezentralen Ressourcenverantwortung. Sie ist für private Unternehmen wie öffentliche Verwaltungen gleichermaßen relevant. Nur

werden die Reformantworten schon im deutschen Falle unterschiedlich ausfallen, je ob man Probleme von Aufgabengenerierung und Finanzie­rungsverantwortung zwischen Bund und Ländern, die herausgehobene

55 Vgl. Reginald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Public See­

tor: Reform of the Public Seetor in Australia, Britain and New Zealand, Public Ad­

niinistration Review 1993, S. 319-328.

56 Vgl. Ferrel Heady, Public Administration, A Comparitive Perspective, 3. Aufl.,

New York/Basel 1984.

57 Vgl. nur Hans Herben von AmimiKlaus Lüder (Hrsg.), Wirtschaftlichkeit in Staat

und Verwaltung, Berlin 1993.

44

Steliung des Finanzministers auf Regierungsebene oder die Zuständigkei­ten von Fachämtern der Kommunalverwaltung erörtert, und zwar von Ämtern, die für partikularistische Eingriffe der Politik oder gar für Kor­ruption anfällig sind.

Werfen wir hiernach die Frage auf, warum gegenüber solchen verwal­tungskonformen Ansätzen der Modernisierung die Rhetorik des "New Public Management", des ''Reinventing Government" bei den Verwal­tungspraktikern selbst so viel Anklang gefunden hat, dann wird gesagt, daß damit in der Debatte um die Abgrenzung von öffentlichem und priva­tem Sektor nach Reagenismus und Thatcherismus eine mittlere Position eingenommen werde, daß im Grunde nicht weniger, sondern eine bessere öffentliche Verwaltung gefordert werde58. Insofern ist anzumerken, daß es eben nicht einfach eine konservativ-liberale Politik ist, sondern daß es auch Labour-Regierungen sind, die eine Strategie der internen Ökonomi­sierung der öffentlichen Verwaltung verfolgen59. Auch in Kontinentaleu­

ropa gibt es Stimmen, die auf Bestandswahrung im Hinblick auf die Auf­gaben öffentlicher Träger drängen, sich dann aber gegenüber der Rationa­lisierung von Staat und Verwaltung nach innen als zugänglich bezeichnen. Insbesondere Gewerkschaften lehnen die Privatisierung ab und gestehen immer mehr die Modernisierung nach innen zu60.

Die Verwaltungswissenschaft muß demgegenüber auf eine prinzipielle Weichenstellung hinweisen. Es gibt Güter, über die politisch-administra­tiv entschieden wird und die damit formal als öffentliche gelten. Aus hu­manitären, konstitutionellen, sozialen und insbesondere auch ökonomi­schen Gründen kann aber dieser materielle Status im öffentlichen Sektor

58 So Reginald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Publie Seetor:

Reform of the Public Seetor in Australia, Britain and New Zealand, Public Admini­

stration Review 1993, S. 319.

59 Vgl. etwa Boston, Transforming New Zealand's Publie Seetor: Labour's Quest for

improved Efficiency and Accountability, Public Administration, Vol. 65 1987, S. 423-442; ferner: Enid Wistrich„ Restructuring Goverr1ment Ne\:11 Zealand Sti;le,

Publie Administration, Val. 70, Spring 1992, S. 119-135.

60 Vgl. etwa das gemeinsame Positionspapier der ÖTV-Vorsitzenden Monika Wulf­

Mathies und des SPD-Parteivorsitzenden Rudolf Scharping, "iO Eckpunkte zur In­

novation im öffentlichen Sektor und zur Reform des Sozialstaates" vom 5 .10 .1994.

45

zweifelhaft sein. Vor allem kann sich erweisen, daß ein soiches Gut doch

marktgängig ist oder auch marktgängig gemacht werden kann. In diesem

Falle ist es privatisierungsfähig, d. h. die gesellschaftliche Problemlö­

sungsverantwortung kann vom öffentlichen auf den privaten Sektor verla­

gert werden61. Eine solche materielle Privatisierung in den verschiedenen

Formen ist für Länder, deren hohe Staatsquote eine systemische Überlast

anzeigt, mindestens genauso wichtig wie die innere Rationalisierung von

Staat und Verwaltung. Vielerorts läßt sich Kostendruck, Verschuldungs­

grad, Investitionsbedarf nur mit Maßnahmen interner Ökonomisierung

nicht begegnen. Das deutsche Haushaltsrecht bestimmt, daß Bund, Länder

und Gemeinden wirtschaftliche Unternehmen nur errichten oder sich an

solchen beteiligen dürfen, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt und der

angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise er­

reicht werden kann. Diese Vorschrift seilte man nicht nur dogmatisch in­

terpretieren, sondern in ihr auch eine Regel der Staatsklugheit sehen.

Freilich ist die Klausel vom öffentlichen Interesse so zu verstehen, daß

es nicht nur auf den Charakter des produzierten Gutes, sondern auch auf

die mit der Produktion verbundenen sekundären Funktionen ankommt, al­

so auf Wirtschaftsförderung, Arbeitsplatzsicherung, Standortpolitik usw.

Das führt zu einer Lage, in der die öffentliche Trägerschaft erhalten

bleibt, eine formal-organisatorische Privatisierung der Güterproduktion

aber naheliegt, um die Marktkräfte soweit wie möglich zu nutzen62. Ein

entsprechend im öffentlichen Sektor einzurichtendes unternehmerisches

Management ist dann nicht Konstrukt in einer nicht-marktförmigen Um­

welt, sondern binnenorganisatorische Konsequenz aus marktwirtschaftli­

chen Verhältnissen.

Aus der materiellen Ambivalenz öffentlicher Güter und ihrer sekundä­

ren Funktionen ergibt sich, daß neben der materiellen Privatisierung im­

mer auch die interne Ökonomisierung von Staat und Verwaltung stehen

muß. Historische Chancen für interne Rationalisierungen sollte man nicht

61 Vgl. nur Klaus König, Systemimmanente und systemverändemde Privatisierung in

Deutschland, VOP 1992, S. 279-286.

62 Vgl. Achim von Loesch, Privatisierung öffentlicher Unternehmen. Ein (f'oerbiick

über die Argumente, 2. Aufl., Baden-Baden 1987, S. 41 ff.

46

verstreichen iassen. Das bedeutet Strategien wie eben formal-organisatori­

sche Privatisierung, dann Verselbständigung von Aufgabenträgern, De­

zentralisierung von Dekonzentration, Abflachung von Hierarchien und an­

deres im Organisatorischen, Leistungsstandards, Kosten-Nutzen-Rechnun­

gen, Ergebnisorientierung, Controlling insbesondere im Bereich sekundä­

rer Effizienzen63 - also Personalausstattung, Infrastruktur, Organisations­

größe, Sachmittelausstattung - und anderes mehr im Verfahren, Vereinfa­

chung von Laufbahngruppen, Mobilitätsförderung, Leistungsanreize, Spit­

zenposüionen auf Zeit und anderes mehr im Personellen.

In der Nachkriegsphase der Bundesrepublik Deutschland ging es für

die öffentliche Verwaltung zunächst darum, die Rechtsstaatlichkeit wie­

derherzustellen64. Diese Modernisierungsphase führte zu einer verfas­

sungsrechtlichen Durchdringung der Verwaltung, einer starken Verwal­

tungsgerichtsbarkeit, einem regeltiefen Legalismus usw. Vom Ende der

sechziger Jahre an versuchte man, die demokratischen Defizite der Ver­

waltung aufzuarbeiten. In dieser Phase der Modernisierung kam es zur

Stärkung der bürgerlichen Beteiligungsrechte, zu bürgerfreundlichen Or­

ganisationsformen, zur politischen Sensibilisierung des Beamtentums usw.65 Vom Ende der siebziger Jahre an bestimmte eine Ökonomisie­

rungsstrategie die Modernisierung von Staat und Verwaltung, und zwar

im Sinne materieller Privatisierung, also der Verlagerung gesellschaftli­

cher Problemlösungsverantwortungen von der öffentlichen in die private

Handlungssphäre. Teilstrategien waren Vermögensprivatisierung, Aufga­

benprivatisierung, Auskontrahieren von Teilfunktionen, Privatisierung

von Hilfsbetrieben, Marktöffnung, Partnerschaft mit Privaten, Deregulie­

rung, Rechtsvereinfachung, Subventionsabbau, Personalabbau66.

63 Vgl. etwa Andreas Hofjjan, Effizienzvergleiche öffentlicher Theater. Cost-Bench­

marking als strategische Erweiterung eines theaterspezifischen Controlling, ZögU

1994, S. 293.

64 Vgl. etwa Werner Thieme, Wiederaufbau oder Modernisierung der deutschen Ver­

waltung, Die Verwaltung 1993, S. 353 ff.

65 Vgl. Wolfgang Seibel, Entbürokratisierung in der Bundesrepublik Deutschland, in:

Die Verwaltung 2/86, S. 137 ff.

66 Vgl. Klaus König, Prozedurale Rationalität - Zur kontraktiven Aufgabenpoiitik der

achtziger Jahre-, VerwArch. 1995, S. 1-31.

47

Nach der Vere1mgung Deutschlands, deren Kosten mit den Auswir­

kungen einer wirtschaftlichen Strukturkrise zusammenfallen, steht hier

wie andernorts die interne Rationalisierung von Staat und Verwaltung auf

der Tagesordnung. Auch die alten Verwaltungsstaaten Kontinentaleuropas

werden sich Bewegungen der Ökonomisierung nicht entziehen, wie sie in

der angelsächsischen Welt seit längerer Zeit propagiert werden. Eine sol­

che Verwaltungspolitik sollte in den klassischen administrativen Systemen

mit ihrer Wirtschaftsgeschichte bis hin zum Merkantilismus gelingen, oh­

ne einen unternehmerischen Geist beschwören zu müssen. Die Moderni­

sierungsfrage lautet einfacher, nämlich wie der Wirtschaftlichkeit in der

öffentlichen Verwaltung ein höherer Stellenwert gegeben werden kann.

Die Antworten werden aber vielfältiger ausfallen, als es in einem neuen Steuerungsmodell zum Ausdruck kommt. Denn die alten Werte und Hand­

lungsmaßstäbe des exekutiven ivlanagements wie politisch-demokratischer

Primat oder rechtsstaatliche Regelbindung müssen zugleich erhalten wer­

den. Der Orientierung an einer effizienteren Aufgabenwahrnehmung dann

größeren Raum zu schaffen, braucht allerdings mehr als den guten Willen

der Verwaltungspraktiker. Auch Politik und Recht müssen sich auf stärke­re wirtschaftliche Bewertung des Verwaltungshandelns einlassen.

48

UNTERNEHMERISCHES ODER EXEKUTIVES

MANAGEMENT - DIE PERSPEKTIVE DER

KLASSISCHEN ÖFFENTLICHEN VERWALTUNG

1. MODERNE ÖFFENTLICHE VERWALTUNG

49

Die öffentliche Verwaltung in Kontinentaleuropa wird seit den Re­formbewegungen der sechziger und der siebziger Jahre immer wieder mit

Management-ModeJlen konfrontiert. Solche Modelle des "Management by ... " - by Objectives, by Delegation, by Exception usw. - haben für sich

in vielen Ländern den Verwaltungsalltag wenig beeindruckt. Zwar finden

die mit ihnen transportierten Gedanken wie der einer verstärkten Delegati­on durchaus Entsprechungen in den kontinentaleuropäischen Verwaltun­gen. Wenn aber bisher Verwaltungspraktiker eine Management-Rhetorik

pflegten, so mußte man bezweifeln, ob damit Wesentliches bewirkt wur­del. Damit zeigt sich ein Unterschied zu der öffentlichen Verwaltung in den Vereinigten Staaten von A_merika. Zwar mag auch hier der Manage­

rismus bisweilen Modecharakter annehmen. So fällt dem Beobachter auf, daß früher die Kategorie der Public Policy, heute indessen gern die des Public Management herangezogen wird, wenn man sich von einer als alt­modisch angesehenen Public Administration-Schule abheben will2. Jedoch gehört der Management-Gedanke wie die politische und die bürokratische

Orientierung zu den intellektuellen Traditionslinien der amerikanischen

1 Vgl. Eberhard Laux, Management für die öffentliche Ver\lvaltung?, i..11: DVBl.

1972, s. 167 ff.

2 Vgl. Chester A. Newland, A Field of Strangers in Search of a Discipline: Separa­

tism of Pubiic Management Research from Pubiic Administration, Public Admini­

stration Review 1994, S. 486 ff.

50

Verwaltung: mit Anfängen im Taylorismus3 und bis hin zum unteruehme­rischen Management eines "Reinventing Government "4.

Die heutige Herausforderung, die sich den Kontinentaleuropäern in der Konfrontation mit einem New Public Management stellt, reicht freilich über den Anspruch einer Binnenrationalisierung der öffentlichen Verwal­tung durch gutes Management hinaus. Die Sprache des neuen ist die des Marktes, des Wettbewerbs, des Unternehmens, der Dienstleistung, des Kunden und eben des unternehmerischen Managements, das die Abkehr vom alten administrativen Management symbolisiert. Damit sind öffentli­che Verwaltung und ihre soziale Umwelt, Beamte wie Bürger und Politi­ker betroffen. In Großbritannien sprechen manche sogar von einer Revo­

lution, einem neuen Modell des Staates5. Jedenfalls scheint die alte West­minster-Sprache öffentlichen Verwaltens mehr und mehr neuen Sprech­weisen, etwa denen eines Kontrakt-Managements zu weichen. In den Be­richten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick­lung6 scheinen zumindest implizit die Industrieländer sich auf einem Ent­wicklungspfad des New Public Management zu befinden, der vom alten Wohlfahrtsstaat zum schlanken Staat mit funktionierenden Wettbewerbs­märkten führt. Damit werden zugleich Bewertungen der Effektivität ver­bunden. Eine Art von idealisiertem angelsächsischem Modell wird als ef­fektivster Weg zur Modernisierung des öffentlichen Sektors vorgestellt7.

Beide Implikationen sind unbewiesen. Die Industrieländer beschreiten durchaus unterschiedliche Entwicklungspfade8. Das gilt sogar im angel-

3 Vgl. Frederik Winslow Taylor, Tue Principles of Scientific Management, New

York/London (1911) 1915.

4 Vgl. David Osborne!Ted Gaebler, Reinventing Government. How the Entrepreneu­

rial Spirit is Transforming to the Public Seetor, Reading, 1992.

5 Vgl. Frederick Ridley, Die Wiedererfindung des Staates - Reinventing British Go­

vemment - Das Modell einer Skelettverwaltung - in: DÖV 1995, S. 569 ff.

6 Vgl. OECD/PUMA (Hrsg.), Public Management Developments. Survey 1993, Pa­

ris 1993.

7 Vgl. OECD/PUMA (Hrsg.), Public Management Developments. Survey 1993, Pa­

ris 1993.

8 Vgl. Frieder l{aschold, Ergebnissteuemng, Wettbewerb, Qualitätspolitik. Entwick-

lungspfade des öffentlichen Sektors, Berlin 1995, S. 39 ff.

51

sächsischen Raum, so zwischen Großbritannien und Austraiien, den USA und Kanada. Überdies wird selbst aus New Public Management-Ländern auf die günstigere ökonomische Lage in Japan und Deutschland hingewie­sen, die beide durch die Persistenz der tradierten bürokratischen Steue­rungsmuster gekennzeichnet sind9. Es gibt sogar die These, daß alle Län­

der mit administrativer Steuerung durch Regeln fast immer und in fast al­len Dimensionen eine eindeutig bessere ökonomische Performanz als die der Vergleichsländer aufwiesento. Nun ist es schon schwierig, für eine einzelne Verwaltungsorganisation aus verschiedenen Steuerungsmechanis­

men jeweils Leistungsunterschiede abzuleiten. Erst recht ist es problema­tisch, im nationalen Maßstab den gesellschaftlichen Wohlstand auf die Be­

schaffenheit von Staat und Verwaltung zurückzuführen.

Auf der anderen Seite muß man auch für das New Public Management festhalten, daß dort, wo es über die Konzeption hinaus zu Implementatio­nen gekommen ist, es regelmäßig an Evaluationen fehltll. Selbst für fort­geschrittene Fälle wie der Großbritanniens und der Neuseelands ist es zu­

mindest für den Außenstehenden schwierig, die wirklichen Veränderungen in der Verwaltungskultur und ihre Auswirkungen auf den öffentlichen Wohlstand nachzuvollziehen. Es genügt jedenfalls nicht, etwa in einem in­ternationalen Leistungswettbewerb der Kommunen für den Entwicklungs­stand einer Stadtverwaltung auf die Einführung neuer Steuerungsmecha-

9 Vgl. Christopher Hood, Publie Management for all Seasons?, in: Publie Admini­

stration 1991, S. 3 ff.; Reginald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culmre

in the Publie Seetor: Reform of the Publie Seetor in Australia, Britain and New

Zealand, Publie Administration Review 1993, S. 324; Reginald C. Mascarenhas,

Stateiniervention in the Eeonomy: Why is the United States Different from Other

Mixed Eeonomies?, Australian Journal of Public Administration 1992, S. 385 ff.

10 Vgl. Frieder Naschold, Ergebnissteuerung, Wettbewerb, Qualitätspolitik. Entwiek-

lungspfade des öffentlichen Sektors~ Berlin 1995, S. 73.

11 Vgl. Klaus König, "Neue" Verwalrung oder Verwalrungsmodernisierung: Verwal­

tungspolitik in den neunziger Jahren, in: DÖV 1995, S. 354; Andrew Gray/Bill

hnkins, From Pubiie Administration to Public Management: Reassessing a Revoiu­

tion?, in: Publie Administration 1995, S. 84.

52

nismen abzustellenl2. Man müßte schon erfahren, wie es vor Ort mit Si­cherheit und Ordnung, Wohnen und Industrieansiedlung, Gesundheit und Alter, Wasser und Abfall, Infrastruktur und Nahverkehr, Kultur und Frei­zeit steht. In dieser Lage noch unzureichender Erfahrungen scheint es aus kontinentaleuropäischer Sicht nützlich, den Steuerungsmechanismen eines unternehmerischen Managements die Systemrationalität der modernen öf­fentlichen Verwaltung den Grundlagen nach gegenüberzustellen. Man mag mit eng definierten Teilbereichen der öffentlichen Angelegenheiten experi­mentieren. Aber Staat und Verwaltung sind als solche kein Versuchsfeld. Wenn sie einen historischen Leistungsstand erreicht haben, wie das in Kontinentaleuropa der Fall ist, bedarf es schon starker Gründe, wenn man die Steuerungsmuster der Produktion und Verteilung öffentlicher Güter und Dienstleistungen allgemein umstellen will.

Grundmerkmal der modernen Gesellschaften ist deren funktionale Dif­ferenzierung in relativ unabhängige Subsysteme und Sphären des Han­delns zusammen mit der Rationalisierung dieser Bereiche nach jeweils ei­genen Prinzipien13. Das ökonomische System mit Prinzipien wie Privatei­gentum, Markt, Wettbewerb und das politisch-administrative System mit Prinzipien wie Humanität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit gehören da­zul4. Die Systemrationalität der öffentlichen Verwaltung in der Modeme hat Max Weber in seinem Typus der Bürokratie charakterisiert: die gene­rell geordneten behördlichen Zuständigkeiten, die Amtshierarchie, der Amtsbetrieb, die Regelbindung, das Berufsbeamtentum usw .15. Dabei ging es ihm nicht einfach um ein präskriptives Modell. Das Erfahrungs­material dieser Typenbildung wurde aus der historischen Wirklichkeit, insbesondere der preußischen Verwaltung, entnommen. Die Leistungsord-

12 Vgl. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Karl-Bertelsmann-Preis. Demokratie und Effizi­

enz in der Kommunalverwaltung, Band 1, Dokumentationsband zur internationalen

Recherche, Güters1oh 1993.

13 Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 2. Aufl., Frankfurt!Main 1985.

14 Vgl. Klaus König, Öffentliche Venvaltung als soziales System, in: Remer (Hrsg.),

Verwaltungsführung, Berlin/New York 1982, S. 3 ff.

15 Vgl. Renate Mayntz, Max Webers Idealtypus der Bürokratie und die Organisations­

soziologie, in: Politologie und Soziologie, Otto Stammer zum 65. Geburtstag, hrsg.

von Jürgen Fialkowski, Köln und Opladen 1965, S. 91 ff.

53

nung der öffentlichen Verwaltung hat sich als historisch belastbar erwie­

sen, was Bürokratismus mit Dysfunktionen von Formalismus, Schematis­

mus. Unpersönlichkeit usw. nicht ausschließt.

Dementsprechend hat der Marxismus-Leninismus in der Bürokratie

nicht deren Funktionsfehler, sondern die Agentur der Bourgeoisie be­

kämpft16. Selbst in einem so alten Verwaltungsstaat wie Deutschland wur­

den die bürokratischen Institutionen zerschlagen und durch eine Kaderver­

waltung realsozialistischen Typs ersetzt, die in ihren Aufgaben durch in­

strumentellen Etatismus, in ihrer Organisation durch Herrschaftszentralis­

mus, in ihren Prozessen von der Transmission des Parteiwillens, in ihrem

Personal von Kadern gekennzeichnet warl7. Dabei waren Kader. die die­

sem Verwaltungstypus den Namen gegeben haben, zwar berufsmäßige

Verwalter, deren Qualifikation aber politisch-ideologisch definiert war.

Der reale Sozialismus als großer Versuch einer Gegen-Modernisierung mußte historischen Bankrott anmelden. Wenn indessen von einem "Sieg

der Marktwirtschaft'f über die Zentralverwaltungswirtschaft die Rede ist,

muß man bedenken, daß es um mehr geht. Es haben sich hochdifferenzier­

te soziale Systeme mit Individualrechten, Demokratie, Marktwirtschaft, organisiertem Interessenpluralismus, Staatsverwaltung usw. gegenüber so­

zialen Verhältnissen als überlegen erwiesen, in denen Mensch, Gesell­

schaft, Wirtschaft, Verbände, Staat nach einer parteilichen Ideologie kol­

lektiviert wurden.

Die Transformation der realsozialistischen Kaderverwaltung18 hat Ver­

waltungsexpertise unterschiedlichster Art auf den Beratungsmarkt ge-

16 Vgl. Klaus König, Zur Transformation einer real-sozialistischen Verwalrung in eine

klassisch-europäische Verwaltung, Speyerer Forschungsberichte 99, 3. Aufl. 1992.

17 Vgl. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwal­

tungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1990, S. 9 ff.

18 Vgl. Klaus König, Administrative Transformation in Eastem Germany, in: Joachim

Jens Hesse (ed.), Public Administration, Vol. 71, 1993, S. 135 ff.; Klaus König,

Die Transformation der öffentlichen Verwaitung: Ein neues Kapitei der Verwal­

tungswissenschaft, in: VerwArch 1993, S. 311 ff.; Klaus König, Transformation

der realsozialistischen Verwaltung: deutsche Integration und europäische Koopera­

tion, in: DVBL 1993, S. 1292 ff.; Klaus König, Transformation einer reaisoziaiisti­

schen Verwalrung in eine klassisch-europäische Verwaltung, in: Wolfgang Sei-

54

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von Management und Verwaltung. Andere beziehen sich auf Verwaltungs­erfahrungen in ihrem westlichen Heimatland. Und in der Tat wird auch

Ende des 20. Jahrhunderts trotz der Globalisierung von öffentlichen Pro­blemen und der Internationalisierung von öffentlichen Organisationen die

öffentliche Verwaltung vor allem nationalstaatlich begriffen: als französi­sche, U.S.-amerikanische, japanische usw.19. Die Verwaltungszusammen­

arbeit mit Entwicklungsländern hat überdies die kulturelle Bedeutung der öffentlichen Verwaltung angesichts der Universalien guten Managements unübersehbar gemacht20. Entsprechend ist es schwierig, eine Zwischen­schicht kultureller Gemeinsamkeiten zwischen nationalstaatlichem Verwal­

tungskonzept und universaler Managementvorstellung auszumachen. Mit der Unterscheidung zwischen Civic Culture-Administration und klassi­schem Verwaltungssystem wird versucht, gewisse Gemeinsamkeiten im angelsächsischen Raum bzw. in Kontinentaleuropa zu kennzeichnen und diese dann einander gegenüberzustellen21. Freilich geht es im Vergleich zum Typus der Kaderverwaltung eher um graduelle Unterschiede. Die Ci­vic Culture-Administration wie das klassische Verwaltungssystem folgen der gleichen bürokratischen Traditionslinie. Selbst in den USA muß man wohl von einem bürokratischen Managerialismus sprechen. Freilich hat manches über viele Modernisierung an altem Profil verloren.

bell Arthur Benz/Heinrich Mäding (Hrsg.), Verwaltungsreform und Verwaltungspo­

litik im Prozeß der deutschen Einigung, Baden-Baden 1993, S. 80 ff.; Klaus Kö­

nig, Zur Transformation einer real-sozialistischen Verwaltung in eine klassisch-eu­

ropäische Verwaltung, Speyerer Forschungsberichte 99, 3. Aufl. 1992.

19 V gL Klaus König, Internationalität, Transnationalität, Supranationalität - Auswir­

kungen auf die Regierung, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.),

Regieren in der Bundesrepublik V, Opladen 1993, S. 234 ff.; Klaus König, Orga­

nisation und Prozeß: Zur Internationalisierung des Regierens, in: Carl Böhret/Göt­

trik. Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert - zwischen Globalisierung und

Regionalisierung, Festschrift für Hans-Hermann Hartwich zum 65. Geburtstag,

Opladen 1993, S. 144 ff.

20 Vgl. Klaus König (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung und Entwicklungspolitik, Ba­

den-Baden 1986.

21 VgL Ferrel Heady, P-ublic Administration - A comparative Perspective, 4. Aufla-

ge, New York/Basel 1987.

55

Kontinentaieuropäische v erwairungen wie die ~rankre1cns und Deutschlands kann man als klassische Verwaltungssysteme bezeichnen, weil bei Ihnen die mit der Modeme geschaffene bürokratische Leistungs­ordnung über alle politischen Instabilitäten und Veränderungen hinweg bis heute erhalten geblieben ist22. Sie haben Regimewechsel von Monarchie,

Republik, Diktatur, Demokratie überstanden und mußten in Zeiten des Zusammenbruchs die Lasten öffentlichen Handelns tragen. Eine solche ei­gene Leistungsordnung hat sich in Mitteleuropa wieder bewährt. Die Fol­gen des Bankrotts der marxistisch-leninistischen Herrschaft und ihrer Ka­derverwaltung in der DDR konnten durch einen Transfer klassischer Ver­waltungsinstitutionen aus Westdeutschland aufgefangen werden. Es ging nicht um eine Kollonialisierung nach Art der Bundesrepublik. Vielmehr konnte bei öffentlichen Aufgaben und öffentlichem Vermögen23, föderati­ver und kommunaier Organisation, Verwaltungsrecht und öffentiichen Fi­nanzen, öffentlichem Dienst und Personalentwicklung auf Tradition deut­scher und damit klassisch-kontinentaleuropäischer Verwaltungs- und Rechtskultur zurückgegriffen werden24. Die Verwaltung war es, die die neue demokratische Politik auf ostdeutschem Boden jenseits der friedli­chen Revolution aktionsfä.hig machte. Dies war um so notwendiger, als

die Kräfte des Marktes nicht jene wirtschaftliche Dynamik entfalteten, die

22 Vgl. Klaus König, Zur Transformation einer real-sozialistischen Verwaltung in eine

klassisch-europäische Verwaltung, Speyerer Forschungsberichte 99, 3. Aufl. 1992.

23 Vgl. Klaus König!Gunnar Folke Schuppert/Jan Heimann (Hrsg.), Zur Aufgaben­

und Vermögenstransformation, in: Vermögenszuordnung - Aufgabentransformati­

on in den neuen Bundesländern, Baden-Baden 1994, Band 29 der Schriftenreihe

Venvaltungsorganisarion, Staatsaufgaben und Öffentlicher Dienst, hrsg. von Klaus

Köpjg und Franz l'.roppenstedt

24 Vgl. Klaus König/Volker Meßmann, Organisations- und Personalprobleme der Ver­

waltungstransformation in Deutschland, Baden-Baden 1995, Band 28 der Schriften­

reihe Verwaltungsorganisation, Staatsaufgaben und Öffentlicher Dienst, hrsg. von

Klaus König und Franz Kroppenstedt.

56

man von ihnen erwartet hatte und Transformation wie Vereingung staats­zentriert erfolgen mußten25.

Karin man Zl.I den klassischen Ven11alVJngssystemen sagen, daß die Bü-rokratie älter als die Demokratie ist, so wurde Entwicklung öffentlicher Bürokratien in Ländern der Civic Culture-Administration wie Großbritan­nien und die Vereinigten Staaten von vornherein durch das politische Re­gime bestimmt, dessen historische Kontinuität sich bis auf den heutigen Tag fortgesetzt hat26. Diese Regime ermöglichten öffentliche Verwaltun­gen, setzten ihre Grenzen und festigten die Beziehung auf die fortdauernde demokratisch-partizipative Ordnung einer bürgerschaftlichen Kultur. Das bedeutet nicht, daß die öffentlichen Bürokratien keine Eigendynamik ent­faltet hätten. Das amerikanische Bild der "Iron triangle", der Machtkonfi­guration von politischen Repräsentanten, Lobbyisten und Ministerialbüro­kraten, ist ein Beispiel dafür. Die britische Televisualisierung des "Yes, Minister", in der Spitzenbürokraten den Willen der Politik konterkarieren, ist eine andere Illustration. Beamte versuchen nun einmal, bürokratische Werte ins Spiel zu bringen. Aber es gab keine historischen Instabilitäten, in denen die öffentliche Verwaltung gleichsam auf eigene Rechnung wei­ter funktionieren mußte. Die parteipolitischen Regierungskonstallationen wechselten. Das politische Regime behielt die Kontrolle über die öffentli­che Verwaltung, wie bürokratisch diese auch jeweils war. Diese perma­nente Dominanz des Politischen über die öffentlichen Bürokratien ent­spricht den gesellschaftlichen Wertvorstellungen einer bürgerschaftlichen Kultur, während der Kontinentaleuropäer durchaus erfahren mußte, daß es historische Situationen gibt, in denen man von der Verwaltung etwas er­warten kann, was ihm die Politik nicht geben kann, etwa eine Grundver­sorgung in Zeiten politischer Wirren27.

25 Vgl. Klaus König, Transformation als Staatsveranstaltung in Deutschland, in:

Heilmut Wollmann/Helmut Wiesenthal/Frank Bönker (Hrsg.), Transformation so­

zialistischer Gesellschaften: Am Ende des Anfangs, Opladen 1995, S. 609 ff.

26 Vgl. l?.icha;d J. Stilbr.an, Preface to P11blic Adn1inistration: A Seaich for Themes

and Direction, New York 1991, S. 19 ff.

27 Vgl. Werner Thieme, Wiederaufbau oder Modernisierung der deutschen Verwal­

tung, in: Die Verwaltung 1993, S. 353 ff.; Thomas Ellwein, Geschichte der öffent­

lichen Verwaltung, in: Klaus König/Hans Joachim von Oertzen/Frido Wagener

57

uie angio-amerikanischen Kontinuitäten machen zunächst die Werte des politischen Regimes zu Identifikationsmustern öffentlicher Bürokrati­en. Der "Diener der Krone 11 ist eine auch die Gefühle ansprechende For­mel hierfür28. In kontinentaleuropäischen Ländern mußte demgegenüber für eine weiter funktionierende öffentliche Verwaltung eine identitätsstif­tende Vorstellung gefunden werden, die über die historische Lage von Monarchien, Republiken, Diktaturen, Demokratien hinausreichte. Es mußte eine regulative Idee zur Geltung gebracht werden, in der sich das politische System jenseits jeweiliger politischer Regime selbst beschreibt. Diese regulative Idee ist die des Staates. Entsprechend heißt es, daß der Beamte "Diener des Staates 11 ist. Das ist eine Vorstellung, die in der an­glo-amerikanischen Verwaltungskultur nach wie vor auf Verständnis­schwierigkeiten stößt, wenn es auch inzwischen in den USA eine Diskus­sion zur 10 stateiessnes" des amerikanischen Verwaltungskonzepts gibt29.

Das Regulativ des Staates ist zunächst eine öffentlichen Bürokratien durchaus kongeniale Idee. Auch der Beamte in der Civic Culture-Admini­stration sucht nach Identifikationen jenseits des politischen Regimes. Man mag rückblickend die Frage nach der Reflexion einer britischen Klassen­gesellschaft in der Administrative dass stellen30. Man mag heute in einer anglo-amerikanisierten Welt nach der Selbstbeschreibung einer "global professional technocracy" Ausschau halten31. Zur regulativen Idee des Staates muß dann aber festgehalten werden, daß sie nicht unriskant ist. Der Mißbrauch des Staates ist der seiner Diener. So haben jenseits der Dysfunktion eines Bürokratismus öffentliche Verwaltungen in Kantinen-

(Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden

1981, s. 37 ff.

28 Vgl. Frederick Ridley, Die Wiedererfindung des Staates - Reinventing British Go­

vemment - Das Modell einer Skelettverwalnmg - in: DÖV 1995, S. 574.

29 Vgl. Richard J. Stillman, Preface to Public Administration: A Search for Themes

and Direcrion, New York 1991, S. 19 ff.

30 Vgl. l\fevil Jo~lznson, Der Civil Service i...'l Großbri~n .... 'lien: Tradition und Modenij„

sienmg, in: DÖV 1994, S. 196 ff.; Robin Butler, The Evolution of the Civil Ser­

vice - a Progress Report, in: Public Administration 1993, S. 395 ff.

3i Vgl. Richard J. Stillman, Preface to Public Administration: A Search for T'nemes

and Direction, New York 1991, S. 77 ff.

58

taieuropa auch historisch versagt. So hat zum Beispiei die Verwaitungsbü­

rokratie im Deutschland der Weimarer Republik nicht zu den Verteidigern

der Demokratie gehört.

Die regulative Idee des Staates bedarf daher einer schützenden Ergän­

zung. Sie wurde in der Kategorie des Rechtsstaates gefunden. Bei der Ent­

wicklung des Rechtsstaates kann man in Kontinentaleuropa wieder auf vordemokratische Erfahrungen zurückgreifen. Heute sind Rechtsstaatlich­

keit und Demokratie eng verknüpft. Rechtsstaatlichkeit bedeutet nicht nur, daß eine für die öffentliche Verwaltung verpflichtende Rechtsordnung be­steht. Ganz bestimmte, auch verfassungsrechtlich garantierte Prinzipien gelten für die öffentliche Verwaltung. Menschenrechte sind zu respektie­

ren. Die Verwaltung ist an Gesetz und Recht gebunden. Die Verwaltung muß die Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck achten. Der Rechts­schutz gegen Akte der öffentlichen Verwaltung ist gewährleistet usw. Von hier aus ließen sich weitere Eigenarten der kontinentaleuropäischen Ver­waltung gegenüber der Civic Culture-Administration spezifizieren: das hochdifferenzierte Verwaltungsrecht, ein besonderer Legalismus, ein eige­nes System der Verwaltungsgerichtsbarkeit usw.32. Indessen ist hinrei­chend deutlich geworden, daß die Frage eines New Public Management für die öffentliche Verwaltung in Ländern wie Frankreich und Deutsch­land auf andere kulturelle Prämissen stößt als dies im angle-amerikani­schen Raum der Fall ist. Wir wenden und daher einer Gegenüberstellung von Steuerungsmustern des unternehmerischen Managements mit denen des klassischen Verwaltungssystems zu.

II. UNTERNEHMERISCHE STEUERUNGSMUSTER

Mit dem New Public Management wird eine interne Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung, ein "entrepreneurial spirit 11

, ein "entrepren-

32 Vgi. Klaus König, Offentliche Verwaltung ais soziaies System, in: Remer (Hrsg.),

Verwaltungsführung, Berlin/New York 1982, S. 3 ff.

59

eunar managemenC für die Verwaltung seibst intendiert33. Das unter­

scheidet von Strategien der externen Rationalisierung wie Privatisierung

oder Deregulierung34. Freilich geht es nur um den Ansatzpunkt. Denn die

öffentliche Verwaltung konstituiert sich als offenes System nicht nur

durch ihre innere Ordnung, sondern auch durch ihre soziale Umwelt35. So

bedeutet das Gesetz für die Verwaltung Regelbindung nach innen und Rechtsgrundlage nach außen. Man kann nicht intern die politische Hierar­

chie über die Rechtsbindung stellen, wenn man rechtsstaatliche Verhält­nisse hat. Entsprechend müssen die Steuerungsmuster eines neuen öffentli­

chen Managements mit der Res publica kompatibel sein. Hier wirkt es

sich als problematisch aus, daß jene Reformbewegung recht diffus ist.

Von den intellektuellen Grundlagen her mischen sich in popularisierter Weise Managementlehren, Business Motivation-Psychologie und neolibe­raie Okonomie36. In der Sache mischen sich staatskonforme Reformvor­schläge - wie zum Beispiel dezentrale Ressourcenverantwortung - mit marktkonformen Ideen - wie zum Beispiel Kundenorientierung -. Biswei­len endet man im Plakativum, wenn etwa die Verwaltung einer Stadt als Dienstleistungskonzern bezeichnet wird37. Freilich bedeutet das dann

33 Vgl. Heinrich Reinermann, Die Krise als Chance: Wege innovativer Verwaltung,

Speyerer Forschungsbericht 139, Speyer 1995; Gerhard Banner/Christoph Rei­

chard (Hrsg.), Kommunale Managementkonzepte in Europa, Köln 1993; Reginald

C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Public Seetor: Reform of

the Public Seetor in Australia, Britain and New Zealand, Public Administration Re­

view 1993, S. 319 ff.

34 Vgl. Klaus König, Kritik öffentlicher Aufgaben, Baden-Baden 1990; Klaus König,

Prozedurale Rationalität - Zur kontraktiven Aufgabenpolitik der achtziger Jahre -,

in: VerwArch 1995, S. 1 ff.

35 Vgl. Klaus König, System und Umwelt der öffentlichen Verwaltung, in:

ders./Hans Joachim von OertzentFrido Wagener (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung

in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1981, S. 13 ff.

36 Vgl. Andrew Gray/Bill Jenldns, From Public Administration to Public Manage-

ment: Reassessi..11g a Revolution?, in: Pu.blic ~A~dministration 1995, S. 75 ff.

37 Vgl. Gerhard Banner, Konzern Stadt, in: Hermann Hili/Helmut Klages (Hrsg.),

Qualitäts- und erfolgsorientiertes Verwaltungsmanagement. Aktuelle Tendenzen

und Entwürfe. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 6i. Staatswissenschaftlichen

Fortbildungstagung 1993 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer,

60

nicht, daß die Stadt das tun soU, was Konzerne unter Rationaiisierungs­

druck vermögen, nämlich Teilunternehmen zu veräußern, Produktionslini­

en zu schließen, Standorte zu verlegen, Kosten zu externalisieren usw .38.

Nimmt man das Konzept vom unternehmerischen Management in der

öffentlichen Verwaltung beim Wort, dann muß man darauf hinweisen, daß

der Begriff des U ntemehmers untrennbar mit einer marktwirtschaftlichen

Ordnung verbunden ist. Die Marktwirtschaft personalisiert sich gleichsam

im Unternehmer39. Er kombiniert Produktionsfaktoren, um Güter und

Dienste herzustellen, die er mit Gewinn am Markt absetzen will. An der Verknüpfung mit der marktwirtschaftlichen Ordnung ändert sich auch

nichts, wenn Eigentumsrechte und Risiken ausdifferenziert werden und

der "angestellte Unternehmer" die dispositive Funktion ausübt. Ein sol­ches unternehmerisches Management besteht auch nicht vollständig, wenn gewisse Betriebe in Staat und Verwaltung als öffentliche Unternehmen be­zeichnet werden, weil sie einerseits im Eigentum der öffentlichen Hand sind und andererseits über selbständige Handlungsspielräume verfügen40. Es ist~erade mangelndes Unternehmertum, das man solchen öffentlichen

Betrieben immer wieder vorwirft, sei es, daß es sich um staatliche Bahn

oder Post, öffentlichen Rundfunk oder Verkehrsbetrieb, kommunales Ver­

sorgungs- oder Wohnungsunternehmen handelt. Dabei tut man diesen Or­ganisationen Unrecht, wenn die Orientierung am Gewinn als Maßstab un-

Berlin 1993, S. 57 ff.; Gerhard Banner, Von der Behörde zum Dienstleistungsun­

ternehmen: Die Kommunen brauchen ein neues Steuerungsmodell, in: VOP 1991,

s. 6 ff.

38 Vgl. Eberhard Laux, Die Privatisierung des Öffentlichen: Brauchen wir eine neue

Kommunalverwaltung? - Visionen und Realitäten neuer Steuerungsmodelle - , in:

Der Gemeindehaushalt 1994, S. 169 ff.

39

sellschaftspolitische Verantwonung, Trier 1990.

40 Vgl. Günter Püttner, Die öffentlichen Unternehmen. Ein Handbuch zu Verfas­

sungs- und Rechtsfragen der öffentlichen Wirtschaft, 2. Aufl., Stuttgart!Mün­

chenJHannover 1985.

61

temehmerischen Erfoiges durch öffentliche Zwecke des Gemeinwohis und

der Gemeinnützigkeit überlagert sind41.

Wer aJso unternehmerisches Management für die öffentliche Verwal­

tung fordert, muß demgemäß eine kompatible Umwelt schaffen, und das

sind Markt und Wettbewerb. Hier erweist sich die britische Verwaltungs­

"Revolution pj mit Markettesting, Compulsory Competitive Tendering usw.

als am konsequentesten42. Zwei Strategien sind denkbar: der Eintritt in ei­

nen realen Wettbewerbsmarkt oder die Herstellung eines virtuellen Orga­

nisationswettbewerbs als dessen funktionales Äquivalent. Aus der Sicht

der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft zeichnen sich

Staat und Markt durch je eigene Steuerungsmuster der Güterversorgung

aus. Über Art, Umfang und Verteilung privater Güter wird durch die Ab­

stimmung der individuellen Präferenzen im Marktmechanismus entschie­

den, während die Entscheidung über die Erstellung öffentlicher Güter das

Ergebnis eines kollektiven, eben politisch-administrativen Willensbil­

dungsprozesses ist. Die Wirtschaftstheorie hat eine Fülle von Argumenten

hervorgebracht, warum die gese1Jschaftliche Arbeitsteilung zwischen Staat

und Markt nicht aufgegeben werden kann, der Bürger mit öffentlichen

Gütern versorgt werden muß43. Charakteristische Merkmale für staatliche

Aktivitäten sind zum Beispiel die Nichtanwendbarkeit des Ausschlußprin­

zips - also die Nutzung kann nicht von der Zahlung eines Entgelts abhän­

gig gemacht werden - oder nicht rivalisierender Konsum innerhalb von

Kapazitätsgrenzen - der Konsum eines Individuums schließt den anderer

41 Vgl. Heinz Dürr, Kann der Staat als Unternehmer erfolgreich sein? in: Verwaltung

und Management 1995, S. 4 ff.

42 Vgl. Frederick Ridley, Verwaltungsmodernisierung in Großbritannien, in: Her­

mann Hill/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientienes Verwaltungs-

management. "'~tuelle Tendenzen und Ent'\'\.T„:irfe, Berlin 1993, S. 251 ff.; Barry J.

O'Toole/Grant Jordan (eds.), Next steps. Improving Management in Govemment?

Aldershot u. a. 1995.

43 Vgl. Richard MusgraveiPeggy Musgrave/Lore Kullmer, Die öffentlichen Finanzen

in Theorie und Praxis, Band 1, 5. Aufl., Tübingen 1990, S. 60 ff.

62

mcnt aus. Weitere Gründe betreffen externe nffekte oder steigende Ska­

lenerträge44.

D:iher stellt auch der ökonomJsche Liberalismus den Staat an sich nicht

in Frage. Der Rechtsschutzstaat gilt im Gegenteil als Grundvoraussetzung für die Entstehung und Entwicklung einer Marktwirtschaft. Zudem ist der

Staat gefordert, wenn der Markt versagt. Beides ist in der historischen Phase der Transformation der realsozialistischen Gesellschafts- und Wirt­

schaftsordnung, insbesondere auch im deutschen Falle, deutlich gewor­den. Selbst Industriekreise lobten die westdeutsche Verwaltung für die Leistungen der Rechtssicherheit, die sonst ganz selbstverständlich hinge­nommen wurden. Zudem konnten die Leistungen der wohlfahrtsstaatli­chen Verwaltung zur Versorgung der ostdeutschen Bevölkerung mit dem, was die J?ynamik des Marktes dort erbracht hatte, den Vergleich aushal­ten45. Aber auch in der Sicht der Anhänger des New Public Management geht es prinzipiell nicht um den Eintritt in reale Wettbewerbsmärkte, also um Privatisierung. Diese Innovationsstrategie ist für viele Verwaltungs­praktiker deswegen so attraktiv, weil - nach Reaganismus und Thatcheris­mus - im Grunde nicht weniger, sondern eine bessere öffentliche Verwal­tung gefordert wird46. So werden dann die in Kontinentaleuropa vertrete­nen sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Positionen verständlich, mit denen eine Privatisierung öffentlicher Aufgaben abgelehnt, eine inter­ne Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung jedoch zugestanden wird47.

44 Vgl. Robin W. Boardway/David E. Wildasin, Public Seetor Economics, 2nd ed.,

Boston/Toronto 1984.

45 Vgl. Klaus König/Angelika Benz, Staatszentrierte Transformation, Manuskript,

Speyer, 1995.

46 Vgl. Reginald C. Mascarenhas, Building an Enterprise Culture in the Public See­

tor: Reform of the Public Seetor in Australia, Britain and New Zealand, Public Ad­

ministration Review 1993, S. 319.

47 Vgl. Friede;- Nascholdllrfarga Pröhl (Hrsg.), Produk.i:ivität öffentlicher Dienstlei-

stungen, Gütersloh 1994; Frieder Naschold, Ergebnissteuerung, Wettbewerb, Qua­

litätspolitik. Entwicklungspfade des öffentlichen Sektors, _Berlin 1995; OECD/PU­

MA (Hrsg.), Pubiic Management Developrnents. Survey i993, Paris 1993; Werner

Jann, Moderner Staat und effiziente Verwaltung. Zur Reform des öffentlichen Sek-

63

Virtueiier Organisationswettbewerb als funktionales Äquivalent im

Hinblick auf ausgebliebene Markteintritte und Privatisierungen zu kon­

struieren, ist zunächst eine intellektuell reizvolle Idee. Es ist in diesem

Zusammenhang daran zu erinnern, daß es auch in Kontinentaleuropa eine

nicht so präskriptive, mehr empirisch orientierte Innovationsbewegung

gibt, die die Ablösung legalistisch-hierarchischer Steuerungsmodi durch

Formen kooperativen Staatshandelns, Verhandlungen und Kontrakte - for­

mal wie informal - hervorhebt48. Man kann dazu die Frage aufwerfen, ob

nicht dabei der kollektiv-autoritative Hintergrund des Verwaltungshan­

delns übersehen wird, ob nicht hinter den "weichen" Formen administrati­

ver Vorgehensweisen latent die Souveränitat des Staates nach innen steht.

Jedenfalls wird auch in der Kooperations- und Kontrakt-Bewegung die In­

tension weiterer Innovationen für die öffentliche Verwaltung deutlich49.

Das Ende des alten Gegenspielers auf dem Kontinent, des realsozialisti­

schen Staates und seiner Kaderverwaltung, scheint den Modernisierungs­

druck auf den westlichen Staat eher verstärkt, denn weggenommen zu ha­benso.

Hier ist es dann das Konzept des Wettbewerbs, das diejenigen, die an­deren Ideen der aktuellen Modernisierungsdebatte skeptisch gegenüberste­

hen, für eigentlich attraktiv halten: Wenn die Ineffizienzen im öffentlichen

Sektor nicht über die klassischen politischen Steuerungsinstrumente abge­

baut werden könnten, sondern durch diese im Gegenteil verstärkt würden,

dann liege es nahe, solche Rahmenbedingungen zu institutionalisieren,

welche wirtschaftliches Verhalten belohnen und unwirtschaftliches Verhal­

ten bestrafen. Hierfür gebe es nichts Besseres als das Wettbewerbsmodell,

tors in Deutschland, Gutachten erstattet für die Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn

1994; Monika Wulf-Mathies/Rudolf Scharping, Positionspapier "10 Eckpunkte zur

Innovation im öffentlichen Sektor und zur Reform des Sozialstaates" vom

5.10.1994.

48 Vgl. Arthur Benz, Kooperative Verwaltung, Baden-Baden 1994.

49 VgL Klaus König!Nicolai Dose, Referenzen staatlicher Steuerung, m: dies.

(Hrsg.), Instrumente und Formen staatlichen Handelns, Köln u. a. 1993, S. 519 ff.

50 Vgl. Klaus König, Public Seetor Reform - Tue Case of Germany, in: Joachim Jens

Hesse (ed.), European Yearbook of Comparative Government and Public Admini-

stration, 1995 (im Erscheinen).

64

wobei dann auch Wettbewerbssurrogate wie Quasi-ivfärkte zu institutiona­

lisieren seien51. In der Tat ist Wettbewerb eine Grundkonstellation gesell­

schaftlichen Zusammenlebens, und zwar nicht nur in der Wirtschaft, son­

dern auch in Politik, Sport, Bildung usw. Im Wettbewerb liegen Lei­

stungsanreize, die ihn zu einer prinzipiell erwünschten sozialen Beziehung

machen. Jedoch kommt es auf die jeweilige soziale Konstruktion an, und

zwar nicht nur wegen der "Vollkommenheit" der Konkurrenz, sondern

auch im Hinblick auf das Marktversagen insbesondere bei menschlichen Grundbedürfnissen52.

Eine interessante etatistische Variante konstruierter Konkurrenz ist der sozialistische Wettbewerb des Leninismus: Der Sozialismus ersticke kei­

neswegs den Wettbewerb, im Gegenteil, er schaffe erstmalig die Möglich­

keit, ihn auf breiter Grundlage wirklich in Massenumfang anzuwenden.

Zu den ideologischen und organisatorischen Grundlagen solchen Wettbe­

werbs gehörten unter anderem: gesellschaftliches Bewußtsein, Interessen­

übereinstimmung, 11 demokratischer Zentralismus", parteiliches Führungs­

monopol, Massenorganisation, um schließlich über die sozialistische Mo­

ral nicht in einem Leistungsvorsprung einzelner Beschäftigter oder Kollek­tive, sondern in der optimalen Übererfüllung des Plans zu münden53.

Scheinbar so harmlose Prinzipien wie Öffentlichkeit des Wettbewerbs,

Vergleich der Ergebnisse, Wiederholung der besten Leistungen im Mas­

senumfang, Intensivierung und Rationalisierung, moralische und materiel­

le Anerkennung haben sich in höchst problematischen Bewegungen kon­

kretisiert: Aktivistenbewegung, sozialistische Gemeinschaftsarbeit, Neuer­

erbewegung, Produktionspropaganda, Mach-Mit-Wettbewerb usw. bis hin

zum Wettbewerb um den Titel "Bereich vorbildlicher Ordnung, Disziplin und Sicherheit".

51 Vgl. Manfred Röber, Über einige Mißverständnisse in der vetwaltungswissen­

schaftlichen Modernisierungsdebatte: Ein Zwischenruf, Manuskript, erscheint in:

Helmut Wollmann/Christoph Reichard (Hrsg.}, Kommunalverwaltung im Moderni­

sierungsschub, 1995, S. 4.

52 Vgl. Klaus König, "Neue" Vetwaltung oder Verwaltungsmodernisierung: Verwal­

tungspolitik in den neunziger Jahren, in: DÖV 1995, S. 355.

53 Vgl. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwal-

tungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1990, S. 9 ff.

65

Relativiert sich hiernach die Attrakiiviiät dessen, was Jviarx "Wettei­

fer" nannte, so liegen die Schwierigkeiten für Staat und Verwaltung hoch­

differenzierter Gesellschaften schon in der Problematik, Rivalität in einem

sozialen System zu konstruieren, dessen Rationalität anderen Prinzipien

folgt. In der klassischen öffentlichen Verwaltung handelt nicht jeder, son­

dern der Zuständige. Es gibt eine feste Zuständigkeitsordnung und des

weiteren das Prinzip, daß Mehrfachzuständigkeiten zu vermeiden sind.

Kommt es dann doch zu Doppelzuständigkeiten, dann gibt es Regeln wie

die, daß diejenige Behörde handelt, die zuerst mit der Sache befaßt wor­

den ist. Entsprechend sind Zuständigkeitskonflikte geregelt, etwa da­

durch, daß die Aufsichtsbehörde den Zuständigen bestimmt. Die Steue­

rungsmuster der klassischen öffentlichen Verwaltung intendieren also, Ri­

valitäten zu vermeiden oder durch Regeln aufzulösen. Überträgt man diese

Normaisituaiion auf die Konstrukiion eines Quasi-iviarktes, dann hat man

einen Akteur auf der Angebotsseite öffentlicher Güter, das heißt ein Mo­

nopol. Aus dem virtuellen Organisationswettbewerb wird nichts. Stellt

man auf die_ört!ic:;he_?uständig_kei!_ aq_!_d'@l 1-!_~t ID'!fl _Q~b_i~sl!lono,129le.__ Was bleibt, ist der Leistungsvergleich etwa zwischen der Zulassung eines

Kraftfahrzeuges durch die Stadtverwaltung NW und der durch die Stadt­

verwaltung SP: eine durchaus nützliche, leider in der öffentlichen Verwal­

tung noch zu wenig praktizierte Vorgehensweise54. Aber ein solcher Lei­

stungsvergleich ist noch nicht Rivalität.

Der Gedanke virtuellen Organisationswettbewerbs ist kein zureichen­

der Grund dafür, daß sich die klassische öffentliche Verwaltung vom Prin­

zip der festen Zuständigkeitsordnung und der Vermeidung von Mehrfach­

zuständigkeiten trennt. Das ist für den Verwaltungsbereich, bei dem in die

Rechtssphäre des Bürgers eingegriffen wird, ohnehin einsichtig. Der Bür­

ger sollte mit der einen zuständigen Polizeibehörde, dem einen zuständi­

gen Bauamt, dem einen zuständigen Gewerbeamt zu tun haben. So viel

Rechtssicherheit muß bestehen. Aber auch in weiten Bereichen der Lei­

stungsverwaltung - beim Sozialamt, beim Wohnungsamt, beim Arbeits-

54 Vgl. Roben C. Camp, Benchmarking, München/Wien 1994; Hermann Hill/Helmut

Klages (Hrsg.), Spitzenverwaltungen im Wettbewerb. Eine Dokumentation des 1.

Speyerer Qualitätswettbewerbs 1992, Baden-Baden 1993.

66

amt - empteruen sich Einmai-z.uständigkeiten, zumai Eingriffe und Lei­stungen - etwa beim Jugendamt - eng beieinander liegen können55. Ein Wohlfahrtsstaat der Transferleistungen wie die Bundesrepublik Deutsch­

land könnte sich Doppelarbeit und dann möglicherweise Doppelzahlung nicht leisten. Aktuelle Mißbrauchsfälle machen das immer wieder deut­

lich. Im übrigen würde virtueller Organisationswettbewerb bedeuten, daß die ganze Organisationslandschaft umgestellt werden müßte. Das stößt

insbesondere dort auf Grenzen, wo Dezentralität, Föderalismus, Regional­simus und kommunale Selbstverwaltung konstitutionell gewährleistet sind. Bundesländer, autonome Regionen, selbstverwaltete Städte und Gemein­den werden kaum auf ihre Gebietsmonopole verzichten56.

Es bleibt jener Bereich öffentlicher Güter und Aufgaben, bei denen die Bürger Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen öffentlichen Lei­stungsträgern haben oder solche Wahlmöglichkeiten unbeschadet der Or­ganisationswerte klassischer Verwaltung geschaffen werden können. Sol­che Politik- und Aufgabenfelder mögen nicht den Kernbereich der öffent­lichen Verwaltung betreffen, sie sind indessen zahlreich, und zwar auf dem Gebiete der Kultur: Museen, Theater, Bibliotheken usw., auf dem Gebiete der Bildung: Universitäten, Volkshochschulen, auch Einrichtun­gen der höheren Bildung - während Grundschulen an Bezirke gebunden zu sein pflegen-, auf dem Gebiete des Sozialen: Altersheime, Kindergär­ten, Sozialstationen usw. Freilich gibt es auch hier wieder Schwierigkei­ten. Man darf den Spezialisierungsgrad öffentlicher Güter nicht unter­schätzen. So hat ein modernes Universitätskrankenhaus neben der allge­meinen Chirurgie heute Abteilungen für Unfallchirurgie, Urologie, Kopf­chirurgie und anderes mehr. Es liegt also nicht ein homogenes Produkt, sondern ein "differenziertes Sortiment" vor. Man wird sich kaum wün­

schen, solche Produktdifferenzierung aufzugeben, alle Abteilungen in all-

55 Vgl. Rainer Pitschas, Die Jugendverwaltung LT. marktwirtschaftlichen Wettbe-

werb? - Balanceprobleme zwischen Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Fach­

lichkeit - , in: DÖV 1994, S. 973 ff.

56 Vgi. Eberhard Laux, Über kommunaie Orgarusatmnspolitik, in: ArtC, Heft 2/95,

s. 229 ff.

67

gemeine Chirurgien umzuorganisieren, nur um vollständige Konkurrenz in

einem virtuellen Organisationswettbewerb zu ermöglichen57.

WePJ1 \vir aber einmal unterstellen, einen solchen Wettbewerb herge-stellt zu haben, müssen weitere Anforderungen für einen Quasi-Markt er­

füllt werden. Erstens müssen möglichst freie Wettbewerbsbedingungen

geschaffen werden, so daß nicht zu hohe Barrieren Markteintritt bzw.

Marktaustritt hemmen. Zweitens müssen beide Marktparteien leichten Zu­

gang zu Informationen über Kosten und Qualität haben. Drittens dürfen

die mit dem Markttausch verbundenen Transaktionskosten - Verhandlun­

gen, Verträge, Rechnungswesen, Zahlungssystem, Kontrolle usw. - die

Effizienzgewinne, die durch das Wettbewerbsverhalten erlangt werden,

nicht überschreiten. Viertens müssen Anbieter mindestens zum Teil finan­

zielle Anreize erhalten, um auf preisliche Signale zu reagieren. Fünftens

muß im Interesse der Gleichbehandlung verhindert werden, daß Anbieter

oder Nachfrager nur "absahnen"58. Wenn man solche Anforderungen mit

der erfahrbaren öffentlichen Verwaltung zusammenhält, dann wird deut­

lich, wie schwierig es sein wird, einen Rationalitätsgewinn aus dem Ge­

brauch von Quasi-Märkten zu ziehen. Der Zugang zur Verwaltung ist

nicht einfach wegen eines Bürokratismus, sondern wegen ihrer Komplexi­

tät nicht einfach. Die Transparenz der Verwaltung bleibt wegen ihrer ho­

hen sozialen Technizität ein Problem. Jede organisatorische Verselbständi­

gung zieht hohe Kontrollkosten nach sich59. Die Einräumung eines mone­

tären Selbstinteresses stößt auf schwierige budgetäre und finanzpolitische

Fragen60. Auch Verwaltungen mögen das geringe Risiko, leichte Fälle,

gutzahlende Kunden und Mitnahmeeffekte bei begünstigten Bürgern oder

Organisationen sind nicht selten zu beobachten.

57 Vgl. Klaus König, "Neue" Verwaltung oder Verwaltungsmodernisierung: Verwal­

tungspolitik in den neunziger Jahren, in: DÖV 1995, S. 356.

58 Vgl. Wendy Ranade, The theory and practice of managed competition in the Natio­

nal Hea!t.11 Service, in: Public Adp-1inistration 1995, S. 243 ff.

59 Vgl. Günter Püttner, Verwaltungslehre, Stuttgart 1989, S. 45.

60 Vgl. Reinhard Müller, Neue finanzwirtschaftliche Steuerungsmodelle im kommu­

nalen Bereich - Stand der Entwicklung und haushaltsrechtlicher Änderungsbedarf,

in: VR 1995, S. 217 ff.

68

Günstiger sieht es wohi für Rationaiitätsgewinne aus, wenn wir Markt­

mechanismen nicht im virtuellen Organisationswettbewerb zwischen Ver­waltungseinheiten konstruieren, sondern in der Rivalität zwischen öffentli­

cher Güterversorgung und privatem Güterangebot nutzen. Ein solcher Dualismus der Produktion und Distribution von Gütern und Dienstleistun­

gen hat Tradition, etwa im Bankwesen mit nationaler Notenbank, kommu­naler Sparkasse usw. auf der einen Seite, Privatbankhaus, Genossen­

schaftsbank usw. auf der anderen Seite61. In unserer Zeit des überlasteten Wohlfahrtsstaates besteht eine Strategie kontraktiver Aufgabenpolitik dar­in, entsprechende Marktöffnungen einzuführen, wo der Schritt zur materi­ellen Privatisierung nicht gewagt wird. So hat man zum Beispiel auch in

Kontinentaleuropa neben dem tradierten öffentlichen Rundfunk privates Fernsehen und privaten Hörfunk zugelassen. Das Nebeneinander von öf­femiicher Versorgung und privatem Angebot schafft noch keinen voll­kommenen Markt, wenn der öffentliche Leistungsträger seine Verluste aus Steuermitteln finanziert erhält, wenn er von vornherein mit staatlichen Zu­schüssen operiert, wenn er ein gesichertes Gebührenbudget hat, während das private Unternehmen auf Gewinn angewiesen ist, oder wenn der eine an Zwecke gemeinnütziger Versorgung gebunden ist, während der andere prinzipiell sich an der Gewinnmaxime orientieren kann. Aber zumindest Quasi-Märkte lassen sich einrichten, da der eine Teilnehmer mit seiner Abhängigkeit vom Markt rivalisieren muß und damit eine Herausforde­rung für den anderen Teilnehmer darstellen kann. Wiederum bietet das duale Rundfunksystem interessantes Anschauungsmaterial. Wenn nämlich der öffentliche Rundfunk nicht nur aus Gebühren, sondern auch aus Wer­

beeinnahmen finanziert wird, dann wird er in eine Konkurrenzlage um Einschaltquoten gebracht, nach denen sich Werbeeinnahmen richten. Das hat im deutschen Falle eine tiefreichende Rationalisierungsdiskussion aus­gelöst. Damit wird der Intendant einer öffentlichen Rundfunkanstalt nicht

einfach zum Unternehmer~ die Verwaltung eines Rundfunkhauses nicht einfach zum unternehmerischen Management. Aber unternehmerische

Teilrollen und partiale unternehmerische Managementleistungen werden

61 Vgl. Klaus König, Kritik öffentlicher Aufgaben, Baden-Baden 1990.

69

unvermeidbar. Insofern soHten Kosten und Nutzen dualer Versorgungs­

und Angebotssysteme noch gründlicher studiert werden.

Wir haben die Probleme des öffentlichen Sektors auf der Angebotsseite

skizziert. Staat und Verwaltung sind aber auch Selbstversorger und Nach­

frager. Sieht man vom Eintreiben von Steuern und Abgaben, der Rekru­

tierung von Wehrpflichtigen und einigen anderen öffentlichen Inanspruch­

nahmen ab, so haben es soziale Differenzierung und funktionierende Geld­

wirtschaft in der Modeme im Gegensatz zu den Zuständen im realen So­

zialismus mit sich gebracht, daß der Bedarf der öffentlichen Hand weitge­

hend durch Nachfrage auf dem Markt befriedigt wird. Das ist ein eigenes

Thema. Wir beschränken uns angesichts der Reformvorhaben des ameri­

kanischen "Reinventing Government" zum Beschaffungswesen62 auf zwei

Anmerkungen. Erstens leiden die kontinentaleuropäischen Verwaltungen

immer mehr unter einschlägigen Mißbräuchen. Zweitens steckt wohl im

Beschaffungswesen nach wie vor eine beachtliche Rationalisierungs- und

Einsparungsreserve.

ill. ZUM EXEKUTIVEN MANAGEMENT

Die öffentliche Verwaltung ist im gewaltenteilenden Staat in ihrem

Kernbereich Exekutive. Sie vollzieht in ihrer Regelbindung die Gesetze

der demokratischen Legislative. Sie folgt in ihrer hierarchischen Ordnung

den Weisungen der politischen Exekutivspitze. In der klassischen öffentli­

chen Verwaltung überlagert ein gewisser Legalismus das öffentliche Han­

deln. Er hat viele historische Gründe. Dazu gehört eine Rechtsnormativi­

tät, die etwa vom Präjudizienrecht unterscheidet. Nicht zu übersehen ist,

daß der Anteil der Juristen nicht nur an der Verwaltungselite, sondern

62 Vgl. Vice President Al Gore, Report of the National Performance Review, From

Red Tape to Resuits: Creating a Government that works better and costs iess, Wa­

shington 1993, S. 26 ff.

70

äuch äil der politischen Elite beträchtlich zu sein pflegt63. Iw Grunde wird

dieser Legalismus aber durch einen vemunftrechtlichen Anspruch geprägt.

"Rationaler Staat" und rationales Verwaltungsrecht gehören zusammen.

Der Beamte rationalisiert öffentliches Handeln, indem er Lebenssachver­

halte unter Rechtsnormen subsumiert. Dieses Selbstverständis wird durch

einen umfassenden Rechtsschutz durch Verwaltungsgerichte gestärkt64. In

Hunderten und Tausenden von verwaltungsgerichtlichen Verfahren führt

der Richter mit Bürger und Verwaltung ein Rechtsgespräch, in dem nach

dem Vernünftigen, eben die rechtlich richtige Lösung gesucht wird. Ein

Satz, wie der eines amerikanischen Verwaltungslehrbuchs: "Law is a bar­

rier of rationality", ist mit einer solchen Verwaltungs- und Rechtskultur

unvereinbar.

Im kontinentaleuropäischen Legalismus ist es gelungen, die konditio­

nelle Programmierung des Verwaltungshandelns durch Gesetz und Recht

von den Ordnungsaufgaben des liberalen Staates auf die Leistungsaufga­

ben des sozialen Staates zu übertragen. Da aber der Wohlfahrtsstaat immer

mehr Güter zu gewährleisten hat, die sich nicht auf einzelne Adressaten

hin spezifizieren lassen, mußten noch andere Kommunikationsformen ent­

wickelt werden. Heute steht neben der Steuerung des Verwaltungshan­

delns durch gesetzliche Tatbestände und Rechtsfolgen die finale Program­

mierung, das heißt die Festlegung von Zielen und Mitteln als Entschei­

dungsprämissen65: neben dem Schulgesetz stehen Schulpläne, neben dem

Gesundheitsgesetz Krankenhauspläne usw. Hier wird deutlich, daß die

W ebersche Bürokratie in Kontinentaleuropa etwas einseitig geraten ist. Er hat von der bürokratischen Verwaltung gesagt, daß hinter jeder ihrer

Handlungen ein Zusammenhang rational diskutierbarer Gründe stehe,

nämlich entweder die Subsumtion unter N armen oder die Abwägung von

Zwecken und Mitteln.

63 Vgl. Hans-Ulrich Derlien, Die Staatsaffinität der Exekutivpolitik.er der Bundesre­

publik - Zur Bedeutung der Bürokratie als Sozialisationsfeld, in: Hans-Hermann

Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik II, Opladen

1991, s. 171 ff.

64 Vgl. Karl-Peter Sommermann, Die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit, Speyerer

Forschungsberichte 106, Speyer 1991.

65 Vgl. Werner Thieme, Einführung in die Verwaltungslehre, Köln 1995, S. 139 ff.

71

Der kontinentaieuropäische Legaiismus hat die Zweck-Mittei-Rationa­

lisierung öffentlichen Handelns in seine Begründungszusammenhänge ein­

gebaut66. Das reicht von der teleologischen Auslegung der Gesetze bis zur

Verhältnismäßigkeit der Mittel bei deren Vollzug. Die öffentlichen Pläne

und Transferleistungsgesetze sind an das Budget angebunden. Es gelten

die Prinzipien von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Rechnungshöfe

überwachen die Einhaltung dieser Handlungsmaßstäbe. Das Verwaltungs­

handeln steht nicht außerhalb von Effektivität und Effizienz67. Aber die

Alltagskultur hat auf diesem Gebiet nicht jenes sozialtechnologische Ni­

veau erreicht, wie es der genuine Zugang zur Arbeit am Recht ermöglicht

hat. Die Evaluation von Wirkungen und Erfolgen, die Analyse von Ko­

sten und Nutzen stehen hinter dem zurück, was die rechtliche Argumenta­

tion leistet. Im deutschen Falle bieten die Kabinettsvermerke dafür ein in­

teressantes Anschauungsmaterial: das sind die Sachverhaitsschiiderungen

und Bewertungen, die die Beamten der Regierungszentrale dem Regie­

rungschef für die Tagesordnung der Kabinettsberatungen mitzugeben ha­

ben. Man kann davon ausgehen, daß ein solcher Vermerk einen hohen

Stand rechtlicher Abwägungen enthält, selbst wenn ein Volkswirt für ihn

verantwortlich zeichnet. Die Beamten zeigen zufriedenstellende Sensibili­

tät, wenn es um die Bewertung politischer Kriterien geht. Gesamtwirt­

schaftliche Einschätzungen fallen nicht schwer. Wenn es sich aber um Ef­

fektivität und Effizienz der administrativen Umsetzung handelt, werden

die Urteile dünner.

"That the study of administration should start from the base of Ma­

nagement rather than the foundation of law"68, ist eine für die amerikani­

sche öffentliche Verwaltung verbreitete Sichtweise. Nun sollte man den

Gegensatz zwischen managerialer Bürokratie in den Vereinigten Staaten

und legalistische Bürokratie in Kontinentaleuropa nicht überstrapazieren.

66 Vgl. Klaus König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, Berlin 1970,

S. 112 ff.

67 Vgl. Hans Herbert von Amim!Klaus Lüder (Hrsg.}, Wirtschaftlichkeit in Staat und

Verwaltung, Berlin 1993.

68 VgL Leonard D. w"hite, Introduction to the study of pubiic administration, 4. Auf­

lage, New York 1955, S. XVI.

72

Auf dem Kontinent sitzen inzwischen in Wissenschaft und Praxis enga­

gierte Anhänger des öffentlichen Managements. In den USA haben gerade

die Zuspitzungen eines "Reinventing Government'1 auf den "entrepreneu­

rial spirit" die auf den Plan gerufen, die die Gründung der amerikanischen

Verwaltung auf dem öffentlichen Recht betonen69. Und in der Tat ist die

Verwaltung dort der "rule of law" unterworfen. Jedoch haben mit der Ma­

nagement-Orientierung, die die Politik auch immer von der Verwaltung

verlangt, Kriterien von Effektivität und Effizienz einen genuinen Eingang

in die Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten gefunden und sich über

Kritik und Reform zu einem beachtlichen sozialtechnologischen Stand ent­wickelt70.

Mancher, der in Wissenschaft und Praxis in Kontinentaleuropa auf dem Gebiet der öffentlichen Verwaltung arbeitet, hat in den verschiedenen Sprachen Schwierigkeiten mit der Kategorie des Managements. Der eine mag schon Vorbehalte der sprachlichen Ästhetik haben. Der andere mag

einen Managerialismus befürchten, der für öffentliche Angelegenheiten unangemessen erscheint. Man muß jedoch einräumen, daß Management

das Wort einer Lingua franca in der sich immer mehr internationalisieren­den Verwaltungswelt geworden ist. Es signalisiert, daß in der öffentlichen

Verwaltung geplant und koordiniert, Personal rekrutiert und entwickelt, geleitet und kontrolliert, organisiert usw. werden muß und daß es dabei

auf knappe Ressourcen ankommt. Man muß nicht jede Management-Mode mitmachen. Wie zwischen Bürokratie und Bürokratismus unterschieden

werden kann, so kann man auch die Dysfunktionen des Management als Managerialismus kritisieren 71.

69 Vgl. Ronald C. Moe/Robert S. Gilmore, Rediscovering principles of public admini­

stration: Tue neglected foundation of public law, in: Public Administration Review

1995, S. 135 ff.; Charles T. Goodsell, Reinvent Government or rediscover it?,

Public Administration Review 1993, S. 85 ff.

70 Vgl. Barry Bozeman (ed.), Public Management: Tue State of the An, San Francis­

co 1993.

ii Vgl. Christopher Hood, Pubiic Management for ail Seasons?, in: Public Admini­

stration 1991, S. 3 ff.

73

So bedeutet es dann, wenn hier von exekutivem Management die Rede ist, nicht mehr, als daß in der kontinentaleuropäischen Verwaltung Effek­tivität und Effizienz in ihrer sozialtechnologischen Ausformung mehr

Platz geschaffen werden muß, ohne die Werte der klassischen Exekutive einfach aufzugeben72. Die Stärkung solcher Handlungsmaßstäbe ist aus

zwei Gründen unabweisbar. Erstens leuchtet der "kalte Stern der Knapp­

heit" den öffentlichen Sektor immer schärfer aus. Wenn wir uns die drei klassischen Produzentenfragen vorlegen - nämlich: Was wird produziert? Wie wird produziert? Für wen wird produziert? - , dann wird man die Frage des "Was" dem Primat der Politik zuweisen. Die Definition öffent­licher Aufgaben liegt so in den Händen der Legislative und der politischen Exekutivspitze73. Es bleiben gewisse autonome Bereiche, insbesondere in Wissenschaft und Kunst. Aber es ist weder Sache einer Universitätsver­waltung noch einer Museumsverwaltung, wissenschaftiiche bzw. künsiie­rische Inhalte vorzugeben. Was die Frage der Zielgruppen anlangt, so wird man normativ wiederum auf die Politik abstellen, aber eingestehen müssen, daß die Verwaltung im Vollzug faktische Auswahlspielräume hat. Sie kann auf Antragsteller warten, aber auch aufldärend für den Bürger wirken. Ob hier Quasi-Märkte helfen, mag der bezweifeln, der befürchtet, daß die Gleichheit vor dem Gesetz durch die vor Dollar, Deutscher Mark, Yen ersetzt wird7 4.

Es bleibt das "Wie" der Güterproduktion. Hier sollte man nicht zu ein­fach zwischen Modus und Substanz unterscheiden. Vieles ist der Verwal­tung auch in der Vorgehensweise sachspezifisch vorgegeben: von den Re­geln des Budgetvollzugs bis zum Verwaltungsverfahrensrecht. Aber Mas­senhaftigkeit, Technizität, Professionalität usw. machen die Antwort auf diese Frage zu einer Domäne der öffentlichen Verwaltung. Wir bewegen

uns hier auf dem Gebiete sekundärer Effizienzen, nämlich der Personal-

72 V gL Carl Böhret, Tue Tools of Public Management, in: K. A. Eliassen/J. Kaiman

(eds.), Managing Public Organisations. Lessons from contemporary European Ex­

periences, London u. a. 1993, 2nd. ed., S. 87 ff.

73 Vgl. Klaus König, Prozedurale Rationalität- Zur kontraktiven Aufgabenpolitik der

achtziger Jahre-, in: VerwArch 1995, S. 1 ff.

74 Vgi. Klaus König, "Neue" Verwaimng oder Verwaitungsmodernisierung: Verwai­

tungspolitik in den neunziger Jahren, in: DÖV 1995, S. 354.

74

ausstattung, der Infrasiruktur, der Organisation, der Sachmitteiausstattung usw. 75 Solche sekundären Effizienzen - nicht die Effizienzsteigerung

durch Privatisierung - stehen dann auch im Mittelpunkt von Modernisie­

rungsansätzen zur öffentlichen Verwaltung in Europa. Bei von Land zu Land verschiedenen Strategien geht es um Ergebnissteuerung - Manage­

ment by Results - , Flexibilisierung beim öffentlichen Personal - neues Personalmanagement - , Konzentration auf Gewährleistungsfunktion -Kontraktmanagement - , dezentrale Ressourcenverantwortung - neues Budgetmanagement - , usw. bis hin zum Einbau von Marktmechanismen in das Verwaltungshandeln76.

Zweitens bleibt die Verteilung der Güterproduktion zwischen Staat und Markt ambivalent. Es gibt kein Apriori, wonach bei der Gewährlei­stung individueller Rechte und gesellschaftlicher Wohlfahrt, Humanität und Lebensqualität der Markt besser als der Staat, der Staat besser als der Markt funktioniert. Rechts-, Wirtschafts- und Sozialtheorien haben ihre Präferenzen. Einschlägige Ideologien sind nicht nur links, sondern auch rechts stark. Der Merkantilismus des 18. Jahrhunderts war ein wichtiger Motor der sozioökonomischen Entwicklung in Europa, der parteigeleitete Etatismus im Osteuropa des 20. Jahrhunderts am Ende das Gegenteil. Staatsversagen wie Marktversagen sind beidermaßen bekannt77. Wir ha­ben historische Erfahrung. Aber im Grunde muß in der jeweiligen histori­schen Situation entschieden werden, was des Staates und was des Marktes ist. Dazu bedarf es im modernen Rationalismus der Gründe. Hier gerät der europäische Wohlfahrtsstaat, der sich in historisch gewachsenen Rin­gen öffentliche Aufgabe um öffentliche Aufgabe zugelegt und eine Staats­quote nahe der 50%-Marke, teilweise darüber erreicht hat, in Argumenta­tionszwänge. Entsprechend stehen Privatisierungen in vielen europäischen

75 Vgl. Andreas Hofjjan, Effizienzvergleiche öffentlicher Theater. Cost-Benchmar­

king als strategische Erweiterung eines theaterspezifischen Controlling, ZöGU

1994, s. 292 ff.

76 VgL Frieder Naschold, Ergebrüssteuerung, Wettbewerb, Qualitätspoliti.k. Entwick­

lungspfade des öffentlichen Sektors, Berlin 1995; OECD/PUMA (Hrsg.), Public

Management Developments. Survey 1993, Paris 1993.

77 Vgl. Wilhelm Hennis/Peter Graf von Kielmannsegg (Hrsg.), Regierbarkeit, Studien

zu ihrer Problematisierung, Stuttgart, 2 Bände, 1977179.

75

Ländern auf der Tagesordnung. Aber es gibt auch viele Bereiche - öffent­

liche Banken, Gesundheitswesen, Postdienste - bei denen die Politik auch

guten ökonomischen Gründen nicht nachgibt. Wenn also im deutschen

Falle die städtischen Sparkassen nicht privatisiert werden, weil die Politik sie der kommunalen Selbstverwaltung erhalten will, dann wird wenigstens

ein Sparkassenmanagement einzurichten sein, das den Kriterien von Effek­

tivität und Effizienz folgt. Dazu trägt dann freilich die Konkurrenz geöff­

neter Märkte mit privaten Anbietern mehr bei, als die Selbstdisziplin von

Politik und Verwaltung.

Die Ambivalenz öffentlicher Güter und die Knappheit staatlicher Res­sourcen bieten Grund, die Binnenmodernisierung der Kontinentaleuropäi­

schen Verwaltung heute vor allem ökonomisch zu begreifen, da politisch­

demokratisches Primat und Rechtsstaatlichkeit gesichert scheinen78. Dies soll mit dem Konzept des exekutiven Management bezeichnet werden. Hingegen erscheint das Modell des unternehmerischen Managements zwar für öffentliche Betriebe, die auf geöffneten Märkten konkurrieren können, nicht aber für den Kernbereich des klassischen Verwaltungssystems ad­äquat. Das liegt nicht an der Intelligenz der Bürokratie. Sie wird in forma­listischer Weise Marktmechanismen inkorperieren können. Die Frage ist aber, ob über Transferkosten hinaus eine bessere Kosten/Nutzen-Relation für den Bürger gestiftet wird. Hier empfiehlt sich im übrigen das Studium

von Erfahrungen von privaten Großunternehmen zur Einführung von in­ternen Marktmechanismen79.

Die Selbstbeschreibung der klassischen öffentlichen Verwaltung durch das Regulativ des Rechtsstaates bietet eine über das Professionell-Techno­

kratische hinausweisende Qualität. Es bindet die öffentliche Verwaltung in ihren Konkretisierungen an Menschen- und Bürgerrechte, an die Meßbar­

keit ihrer Handlungen, an die Verhältnismäßigkeit von Mitteln und Zwec­

ken, an die Gewährleistung von Rechtsschutz usw. Es geht mithin nicht

78 Vgl. Frieder Naschold, Ergebnissteuerung, Wettbewerb, Qualitätspolitik. Entwick­

lungspfade des öffentlichen Sektors, Berlin 1995.

79 Vgl. Charles Heckseher, Defining the Post-Bureaucratic Type, in: ders./Anne

Dor~'lellon (eds.}, Tue Post=Bureaucratic Organization. ~~ew Perspectives on orga-

nizational Change, Thousand Oaks u. a. 1994, S. 14 ff.

76

einfach därum, dru) der öffentliche Dienst eine Identitätsformel gefunden

hat, sondern daß die Suche nach Gerechtigkeit zugunsten der Bürger gesi­

chert wird. Das rechtsstaatliche Regulativ wendet sich auch nicht gegen

das demokratisch-partizipatorische Regime, wie es für die Civic Culture­

Administration des anglo-amerikanischen Raums historische Kontinuität

entfaltet hat. Auch im deutschen Falle ist der Beamte auf die freiheitliche

demokratische Grundordnung der Verfassung verpflichtet und er hat sich

in der Nachkriegsgeschichte bis auf wenige Ausnahmefälle mit ihr identi­

fiziert80, Anders verhält es sich mit den Turbulenzen des politischen All­

tags, mit der Parteipolitisierung des öffentlichen Lebens, mit den Inter­ventionen partikularer Interessen, mit der Verflechtung persönlicher Be­

ziehungen usw. Hier bedeutet die Selbstbeschreibung der klassischen öf­

fentlichen Verwaltung durch das Regulativ des Rechtsstaates Gewinn an sozialer Stabilität.

80 Vgl. Werner Thieme, Wiederaufbau oder Modernisierung der deutschen Verwal-

tung, in: Die Verwaltung 1993, S. 353 ff.

ÖFFENTLICHE VERWALTUNG

- NACH DER MODERNE

1. ZUR MODERNEN VERWALTUNG

77

Veränderungen der öffentlichen Verwaltung werden üblicherweise mit dem Begriff der Reform verbunden.1 So läßt sich die Verwaltungsge­

schichte der Bundesrepublik Deutschland bis 1989 als Reformgeschichte schreiben: zur territorialen Verwaltungsreform, zur Reform der inneren Verwaltungsorganisation, zur Reform des öffendichen Dienstes, zur Re­

form von Budgetierung und Planung, zur Reform bürgerschaftlicher Be­

ziehungen, zum "Zeitalter der Reform" in den öffentlichen Aufgaben usw.2 Mit dem Stichwort "administrative reform", "reforme administrati­

ve" usw. in den okzidentalen Sprachen lassen sich in vielen Ländern weite Felder öffentlicher Verwaltung erschließen. Die Vorliebe für den Reform­begriff geht in Verwaltungswissenschaft und Verwaltungspraxis soweit, daß man mit ihm historische Vorgänge bezeichnet, die einen viel tieferen

sozialen Wandel betreffen, als man ihn mit dieser Kategorie charakterisie­ren kann. So spricht man in der Dritten Welt oft von Verwaltungsrefor­men in Fällen, wo es überhaupt darum geht, sich von der traditionalen Herrschaft zu lösen und ausdifferenzierte politisch-administrative Institu­

tionen zu schaffen. Oder man spricht im Postsozialismus von Reform­

Ländern, wo die Transformation einer gesamten Staats-, Wirtschafts- und

Gesellschaftsordnung zu vollziehen ist.

1 Vgl. Gerald E. Caiden!Heinrich Siedentopf (eds.), Strategies for Administrative

Reform, Lexington/Toronto, 1982.

2 Vgl. Klaus König, Die Transformation der öffentlichen Verwaltung: Ein neues Ka-

pitel der Ver.valtungsvY'issenschaft, L~: Rainer Pitschas (Hrsg~), VerNaltu.ngsinte--gration in den neuen Bundesländern, Berlin 1993, S. 29 ff.

78

In den westiichen Industrieländern, wie s1e in der Organisation ftir Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zusammenge­

schlossen sind, scheint heute demgegenüber der Begriff der Modernisie­

rung den der Reform in Verwaltungsangelegenheiten zu verdrängen.3

Mancherorts scheint ein Wettbewerb um den Modernisierungsbegriff aus­

gebrochen zu sein. Dabei kann der Eindruck entstehen, daß das Konzept

der Modeme für die öffentliche Verwaltung nicht verstanden, Modernisie­

rung als etwas betrachtet wird, was die moderne Verwaltung überhaupt

erst hervorbringen soll. Demgegenüber ist auf das Grundmerkmal moder­

ner Gesellschaften hinzuweisen, nämlich deren funktionale Differenzie­

rung in relativ unabhängige Subsysteme und Sphären des Handelns zusam­

men mit der Rationalisierung dieser Bereiche nach jeweils eigenen Prinzi­pien. 4 Das ökonomische System mit Prinzipien wie Privateigentum,

~iarkr, Wettbewerb und das politisch-administrative System mit Prinzipi­en wie Humanität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit gehören dazu. Die Sy­stemrationalität der öffentlichen Verwaltung in der Modeme hat Max We­ber in seinem Typus der Bürokratie charakterisiert: die generell geordne­ten behördlichen Zuständigkeiten, die Amtshierarchie, der Amtsbetrieb, die Regelbindung, das Berufsbeamtentum usw. Dabei ging es ihm nicht einfach um ein präskriptives Modell. Das Erfahrungsmaterial dieser Ty­

penbildung wurde aus der historischen Wirklichkeit, insbesondere der

preußischen Verwaltung, entnommen. Aber man könnte sich zu entspre­chenden empirischen Befunden auch auf Bayern, Österreich oder Frank­

reich beziehen.

Ist die moderne Verwaltung die bürokratische, so sind die Konkretisie­

rungen ihrer Strukturmerkmale auch am Ende des 20. Jahrhunderts vor al­

lem auf nationalstaatlicher Ebene zu suchen. Zwar haben die klassischen inneren Angelegenheiten von öffentlicher Sicherheit, Verkehr, Gesundheit

usw. immer mehr transnationalen Charakter angenommen und internatio­

nale wie supranationale Organisationen sind mit der Lösung einschlägiger

3 Vgl. OECD/PUMA (Hrsg.), Public Management Developments. Survey 1993, Pa-

ris 1993.

4 Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 2. Aufl., Frankfurt/Main 1985.

79

Probleme befaßt.5 Jedoch sind solche Organisationen nach dem internatio­

nalisierten Muster nationaler Staatsbürokratien gebildet worden. Die öf­fentliche Verwaltung wird primär als französische, polnische) US-ameri­kanische und dann auch als deutsche verstanden. Das schließt nicht aus, daß es regionale Eigenarten öffentlicher Verwaltung gibt. Gerade in den deutschen Ländern ist die Verwaltung nicht uniform. Trotz vielfacher und sich in den letzten Jahrzehnten verstärkender sachlicher Anpassungszwän­ge haben auf Landesebene die geschichtlich gewordenen Organisationsfor­men nach wie vor maßgebliche Bedeutung. Das hat sich bei der Wieder­vereinigung gezeigt, als die neuen ostdeutschen Länder mit konkurrieren­den Leitbildern aus dem Westen, etwa unterschiedlichen Kommunalver­fassungen konfrontiert worden sind. 6 Insgesamt wird man aber die natio­nalstaatliche Ebene betrachten, wenn man sich zum Beispiel vergewissern will, wie sich der bürokratische Professionalismus jeweils im Berufsbeam­tentum und seinen Prinzipien konkretisiert.

Solche Orientierungen machen es schwierig, zwischen den präskripti­ven Modellen eines vermeintlich universellen öffentlichen Managements und der Erfahrungswelt nationaler Verwaltungen eine Zwischenebene von Gemeinsamkeiten und dann Unterscheidbarkeiten zu identifizieren. Bei näherem Zusehen wird aber deutlich, daß das, was kontinentaleuropäische Mitgliedsstaaten der Europäischen Union insbesondere von Großbritanni­en trennt, nicht einfach der tägliche Streit um die Integrationspolitik ist, sondern eine kulturelle Differenz in Staat, Recht und Verwaltung reflek­tiert. Umgekehrt müßte auffallen, daß das New Public Management7 -

5 V gL Klaus König, Internationalität, Transnationalität, Supranationalität - Auswir­

kungen auf die Regierung, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.),

Regieren in der Bundesrepublik V, Opladen 1993, S. 234 ff.; Klaus König, Orga­

nisation und Prozeß: Zur Internationalisierung des Regierens, in: Carl BöhreUGöt­

trik Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert - zwischen Globalisierung und

Regionalisierung, Festschrift für Hans-Hermann Hartwich zum 65. Geburtstag,

Opladen 1993, S. 144 ff.

6 Vgl. Klaus König/Volker Meßmann, Organisations- und Personalprobleme der Ver­

waltungstransformation in Deutschland, Baden-Baden 1995, S. 90 ff.

7 Vgl. nur Christopher Hood, Public Management for all Seasons, Public Admini­

stration 1991, S. 3-19; Chn'stopher Po/litt, Managerialism and the Public Services:

80

einschließlich des "Reinventing Govemiuent" der Vereinigten Staaten8 -

eine angloamerikanische Bewegung ist, die wegen entsprechender Diffe­

renz nicht einfach auf Kontinentaleuropa ausgedehnt werden kann. Sieht

man auf den Beitrag von Verwaltungsstaaten wie Deutschland, Frank­

reich, Japan zur nationalen Wohlfahrt, dann könnte es in Übersee viel­

leicht darum gehen, Modernisierungsrückstände aufzuholen.

Jedenfalls empfiehlt es sich im Auge zu behalten, daß zwischen den

mehr managerialistischen Bürokratien der USA und jetzt auch Großbritan­

niens, Kanadas, Australiens, Neuseelands und den mehr legalistischen Bü­

rokratien Frankreichs, Österreichs, Deutschlands, Italiens usw. ein histo­

rischer Unterschied besteht, der zwar gemessen an der Kaderverwaltung

des realen Sozialismus9 oder der Entwicklungsverwaltung der Dritten

WeltlO eher graduell erscheint, dennoch relevant ist. Kontinentaleuropäi­

sche Verwaltungen kann man als klassische Verwaltungssysteme bezeich­nen, weil bei ihnen die mit der Modeme geschaffene bürokratische Lei­

stungsordnung über alle politischen Instabilitäten und Veränderungen hin­weg bis heute erhalten geblieben ist.11 Sie haben Regimewechsel von

Monarchie, Republik, Diktatur, Demokratie überstanden und mußten in

Tue Anglo-American Experience, Oxford 1990; Reginald C. Mascarenhas, Buil­

ding an Enterprise Culture in the Public Seetor: Reform of the Public Seetor in Au­

straiia, Britain and New Zeaiand, Pubiic Administration Review 1993, S. 319 -

328 (324).

8 Vgl. David Osbome!Ted Gaebler, Reinventing Government. How the Entrepreneu­

rial Spirit is Transforming the Public Seetor, New York u.a., 1992; zur Kritik vgl.

Charles T. Goodsell, Reinvent Government or rediscover ist?, Public Administrati­

on Review 1993, S. 85-87; Vice President Al Gore, Report of the National Perfor­

mance Review, From Red Tape to Results: Creating a Government that works bet­

ter and costs less, Washington 1993.

9 Vgl. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwal­

tungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1990, S. 9 ff.

10 Vgl. Klaus König (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung und Entwicklungspolitik, Ba­

den-Baden 1986.

11 Vgl. Ferrel Heady, Public Administration - A comparative Perspective, 4. Aufla­

ge, New York/Basel 1987; Klaus König, Zur Transformation einer real-sozialisti-

sehen Ver,valt1,.ing in eine klassisch--europäische Ver"'>altu.ng~ Speyerer Forschungs--berichte 99, 3. Aufl. Speyer 1992.

81

Zeiten des Zusa.i1u11enbn1chs die Lasten öffentlichen Handelns tragen.12

Kann man insoweit sagen, daß die Bürokratie älter als die Demokratie ist,

so wurde die Entwicklung öffentlicher Bürokratien in Ländern der Civic

Culture-Administration wie Großbritannien und den Vereinigten Staaten

von vornherein durch das politische Regime bestimmt, dessen historische

Kontinuität sich bis auf den heutigen Tag fortgesetzt hat. Diese Regime

ermöglichten öffentliche Verwaltungen, setzten ihre Grenzen und festigten

die Beziehung auf die fortdauernde demokratisch-partizipative Ordnung

einer bürgerschaftlichen Kultur.13 Während so die permanente Dominanz

des Politischen über die öffentliche Verwaltung, wie bürokratisch diese

auch immer war, gewährleistet wurde, mußten die Kontinentaleuropäer durchaus erfahren, daß es historische Situationen gibt, in denen man von

der Verwaltung etwas erwarten kann, was die Politik nicht zu geben in der

Lage ist, etwa eine Gn.it1dversorgung in Zeiten politischer \Virren.

Die angloamerikanischen Kontinuitäten machen die Werte des politi­

schen Regimes zu Identifikationsmustern öffentlicher Bürokratien. In kon­

tinentaleuropäischen Ländern mußte demgegenüber für eine weiter funk­

tionierende öffentliche Verwaltung eine identitätsstiftende Vorstellung ge­

funden werden, die über die historische Lage von Monarchien, Republi­

ken, Diktaturen, Demokratien hinausreichte. Es mußte eine regulative Idee zur Geltung gebracht werden, in der sich das politische System jen­

seits jeweiliger politischer Regime selbst beschreibt. Diese regulative Idee

ist die des Staates. Entsprechend heißt es, daß der Beamte "Diener des

Staates" ist. Dieses Regulativ des Staates ist zunächst eine den öffentlichen

Bürokratien durchaus kongeniale Idee. Auch der Beamte in der Civic Cul­

ture-Administration sucht nach Identifikation jenseits des politischen Re­

gimes. Man mag rückblickend die Frage nach der Reflexion einer briti-

12 Vgl. Werner Ihieme, Wiederaufbau oder Modernisierung der deutschen Verwal­

tung, in: Die Verwaltung 1993, S. 353 ff.; Thomas Eilwein, Geschichte der öffent­

lichen Verwaltung, in: Klaus König/Hans Joachim von Oertzen/Frido Wagener

(Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden

1981, S. 37 ff.

13 Vgl . .1.-q__ichard J. Stillrnan, Preface to Public Adrr1irüstration: A Search for Themes

and Direction, New York 1991, S. 19 ff.

82

sehen Klassengesellschaft in der "Administrative dass" stellen.14 l'y1an mag heute in einer anglo-amerikanisierten Welt nach der Selbstbeschrei­bung einer "global professional technocracy" Ausschau halten.15 Zurre­

gulativen Idee des Staates muß dann aber festgehalten werden, daß sie nicht unriskant ist. Der Mißbrauch des Staates ist der seiner Diener. Die

regulative Idee des Staates bedurfte daher einer schützenden Ergänzung. Sie wurde in der Kategorie des Rechtsstaates gefunden. Bei der Entwick­lung des Rechtsstaates kann man in Kontinentaleuropa wieder auf vorde­mokratische Erfahrung zurückgreifen. Heute sind Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eng verknüpft. Die Differenz zwischen klassischem Verwal­tungssystem und Civic Culture-Administration äußert sich dementspre­chend zunächst in der Verwaltungsrechtskultur: 16 in einem hochdifferen­zierten Verwaltungsrecht, einem besonderen Legalismus, einer eigenen Venvaltungsgerichtsbarkeit usw .17 Hinzu kommen vielfältige Unterschie-de bei anderen Verwaltungsinstitutionen wie etwa bei der Kontrolle durch Rechnungshöfe, insbesondere aber in Kontinentaleuropa eine wohl tiefer­reichende Beruflichkeit der Beamten, die mit der Selbstbeschreibung der öffentlichen Verwaltung durch das Regulativ des Rechtsstaates eine über das Professionell-Technokratische hinausreichende Qualität erhält.

14 Vgl. Nevil Johnson, Der Civil Service in Großbritannien: Tradition und Moderni­

sierung, in: DÖV 1994, S. 196 ff.; Robin Butler, Tue Evolution of the Civil Ser­

vice - a Progress Report, in: Public Administration 1993, S. 395 ff.

15 Vgl. Richard J. Stil/man, Preface to Public Administration: A Search for Themes

and Direction, New York 1991, S. 77 ff.

16 Vgl. Karl-Peter Sommermann, Die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit, Speyerer

Forschungsberichte 106, Speyer 1991.

17 V gt. Klaus König, Öffentliche VeIVtaltu.ng als soziales System, in: Remer (Hrsg~) „

Verwaltungsführung, Berlin/New York 1982, S. 3 ff.

83

II. ZUR POSTINDUSTRIELLEN VERWALTUNG

Die öffentliche Verwaltung hat in ihrer Modernität nicht das Ende der

Geschichte18 erreicht. Sie bleibt dem "Imperativ des Wandels" unterwor­

fen. Daß sie mit dem Bankrott des realen Sozialismus ihren historischen Widerpart, die marxistisch-leninistische Kaderverwaltungl9, verloren hat,

scheint den Modernisierungsdruck auf die managerialistischen und legali­

stischen Bürokratien eher erhöht zu haben. Begreift man die öffentliche

Verwaltung als ein soziales System20, das einerseits aufgrund der eigenen Ordnung, andererseits aufgrund von Umweltbedingungen ill einer komple­

xen und veränderlichen Gesellschaft existiert und funktioniert, dann wird

man von dem über Reformen hinausgehenden Wandel der Verwaltungs-verhältnisse zunächst a..."lllehmen, daß er durch eine dynan1ische Umwelt herbeigeführt sei. Solchen Bewegungskräften könnte die Verwaltung im Überg'ang von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft ausge­setzt sein. 21

Der lndustrialismus22 als eine maßgebliche Grundlegung der Modeme

hat nicht nur das Wirtschaftssystem, sondern neben anderen sozialen Be­reichen auch die Staatssphäre geprägt. Einsatz von Maschinen, arbeitsteili­

ge Organisationsformen, Wachstum der Produktion, Abtrennung von Freizeit, Wohnung usw., Ausdifferenzierung von Fachrichtungen, techni­sche Professionalisierung, methodisches Arbeiten sind auch für die öffent­

liche Verwaltung charakteristisch. Die Kritik der industriellen Gesell-

18 Vgl. Martin Meyer, Ende der Geschichte?, München 1993. 19 Vgl. Klaus König, Kaderverwaltung und Verwaltungsrecht, in: Verwaltungsarchiv

Heft 111982, S. 37 ff.

20 Vgl. Klaus König, Öffentliche Verwaltung als soziales System, in: Remer (Hrsg.),

Verwaltungsführung, Berlin/New York 1982, S. 3 ff.

21 Vgl. Klaus König, Zur postindustriellen Verwaltung, in: Volker J. Kreyher/Carl

Böhret (Hrsg.), Gesellschaft im Übergang. Problemaufrisse und Antizipationen,

Baden-Baden 1995, S. 221 ff.

22 Vgl. Hel.111.ut Klages, Stichwort "Industriegesellschaft", in: Dieter Nol:üen (Hrsg.),

Wörterbuch Staat und Politik, Bonn 1991, S. 239 ff.

84

schaft trifft damit gleichermaßen Staat ünd Venvaltung23: von den Souve-

ränitätsverlusten angesichts technischer Sachzwänge24 über die politisch­

administrativen Selbstgefährdungen einer "Risikogesellschaft"25 bis zu

den Überlastungen eines hoch beanspruchten Wohlfahrtsstaates. Besonders

ist die öffentliche Verwaltung von Entfremdungsvorwürfen betroffen,

wenn den Staatsbürokratien Unpersönlichkeit, Regelformalismus, unver­

ständlicher Jargon, undurchsichtige Zuständigkeitsverteilung, Verfahrens-

. schematisnms usw. angelastet wird.26

Der Postindustrialismus27 sieht demgegenüber die weitere gesellschaft­

liche Entwicklung in einem günstigeren Licht. Die Rationalität der Indu­

striegesellschaft wird über ihren klassischen Definitionsbereich hinaus er­

weitert.28 Das Andauern des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts

bedeutet insofern steigende Produktivität, mehr Freizeit, Wohlfahrtswirt­

schaft, hochqualifizierte Berufe, persönlicher Wohlstand. Naturwissen­schaften und Technik besorgen, daß die Spannungen zwischen neuen Be­

dürfnissen und neuen Knappheiten lösbar sind.29 Die Zentralität theoreti­

schen Wissens als Quelle von Innovation und dann auch Ausgangspunkt

der gesellschaftlich-politischen Programmatik gilt als "axiales Prinzip" .30

23 Vgl. Ernst Forsthofj, Der Staat der Industriegesellschaft - dargestellt am Beispiel

der Bundesrepublik Deutschland, München 1971 .

24 Vgl. Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Darmstadt 1984.

25 Vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Modeme,

Frankfurt/Main 1986; ders. (Hrsg.), Politik in der Risikogesellschaft: Essays und

Analysen, Frankfurt/Main 1991.

26 Vgl. Wolfgang Hoffman-Riem, Bürgernabe Verwaltung? Analysen über das Ver­

hältnis von Bürger und Verwaltung, Neuwied und Darmstadt 1979.

27 Vgl. Jean Fourastie, Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts, Köln-Deutz 1954.

28 Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a.M./New York

1975.

29 Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert

König/Walter A. Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentlichen Dienst von

morgen. Konzeptionen und Fallstudien zur mittel- und langfristigen Vorausschät­

zung, Regensburg 1987, S. 82-97 (S. 88).

30 Vgl. Daniel Bell, Die nacl'...industrielle Gesellschaft, Frankfurt a.1-.-1./~Iew York 1975, s. 115.

85

Die postindustrielle Gesellschaft ist "Dienstleistungsgesellschaft". Ent­wicklungen in Bildung und Forschung führen zum Entstehen eines "quar­tären" Sektors. 31 Eine Klasse professionalisierter und technisch qualifi­zierter Berufe bildet sich heraus. Politik und Wirtschaft werden verwis­senschaftlicht. 32

Die Auswirkungen des Postindustrialismus auf die öffentliche Verwal­tung bedeuten nicht den Bruch mit dem Wohlfahrtsstaat der Industriege­sellschaft, sondern die Ausweitung der administrativen Daseinsvorsorge angesichts neuer sozialer, ökonomischer und insbesondere technischer Folgen, etwa die materielle Absicherung von Gebrechlichkeit angesichts medizinisch-technischer Lebensverlängerungen. Veränderungen der Indu­strieproduktion, der Wandel zu den Dienstleistungen, neue Professionen im Arbeitsleben, Umwidmung von Wirtschaftsstandorten, gesteigerte räumliche Mobilität, veränderte Kommunikationsmöglichkeiten führen zur Ausweitung staatlicher Interventionen und gleichzeitig zur Fortschreibung der Arbeits- und Sozialpolitik. Mit Kategorien wie "Freizeitgesellschaft", "Informationsgesellschaft", "Risikogesellschaft" wird auf soziale und technische Probleme hingewiesen, die zugleich durch staatliche Förde­rungsprogramme wie Regulationen ausgeglichen werden müssen. Dies al­les muß verwaltet werden, wie eben der wissenschaftlich-technische Fort­schritt mit seinen Gewährleistungen und Gefährdungen der Lebensqualität überhaupt. Die öffentliche Verwaltung weitet sich aus, und zwar nicht nur weil sie Teil der den Postindustrialismus kennzeichnenden Dienstlei­stungsgesellschaft ist, sondern auch, weil man gesellschaftliche Defizite nicht einfach durch Märkte und private Güter, vielmehr durch politisch­administrative Prozesse und öffentliche Güter kompensieren muß.33

31 Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert

König/Walter A. Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentlichen Dienst von

morgen. Konzeptionen und Fallstudien zur mittel- und langfristigen Vorausschät­

zung, Regensburg 1987, S. 88.

32 Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a.M./New York

1975, s. 247 ff.

33 Vgl. Klaus König, Zur postindustriellen Verwaltung, in: Volker J. Kreyher/Carl

Böhret (Hrsg.), Gesells~haft L-rn L1bergang ~ Problemaufrisse und Antizipationen,

Baden-Baden 1995, S. 225-227.

86

m. ZUR POSTMODERNEN VERWALTUNG

Die Postmoderne könnte man als ein Szenarium alternativer Gesell­schaftsentwicklung zum Postindustrialismus begreifen.34 Das würde die

Unterordnung des technologischen Fortschritts unter die Interessen und Belange des Menschen, die Orientierung von Wissenschaft und Forschung an den Bedürfnissen der Gemeinschaft, die Organisation von "angepaßten"

Technologien bedeuten. Nichtmaterielle Bedürfnisse genössen Vorrang. Materielles Wachstum wäre zu begrenzen. Ressourcen würden gepflegt, wiederverwendet, durch Nutzung langlebiger Güter geschont, jedenfalls

sparsam verbraucht. Grundversorgung, Gesundheitsvorsorge, natürliche Ernährung würden auch durch Alternativensuche gesichert. Die Natur "''"~iide als Lebensbasis anerkannt und geschützt; Eingriffe in die natürliche Umwelt würden gering gehalten. Die Lebensführung wäre durch Natür­lichkeit und Naturbindung gekennzeichnet. Menschliche Aktivitäten wür­den in eine intakte Umwelt integriert.

Es bestünde ein Recht auf Arbeit für alle und die Arbeitswelt wäre hu­man organisiert. Entlohnung und Gestaltung von Arbeitsvorgängen wären von Möglichkeiten der Selbstregulierung geprägt. Für das Eigentum be­

stünde konsequente Sozialbindung. Soziale Dienstleistungen würden durch individuelle Leistung nach eigenem Willen in der freiwerdenden Zeit er­bracht. "Soziale Netze" fungierten als Träger solidarischer Unterstützung und Hilfe. Die engere soziale Gemeinschaft würde zum Bezugspunkt indi­viduellen und kollektiven Handelns. Minderheitsinteressen würden be­wußt berücksichtigt. Konflikte wären gewaltfrei zu lösen. Bedürftigkeit und Betroffenheit wären entscheidend. Es erfolgte eine umfassende Inter­essenberücksichtigung und Beteiligung. Die Betroffenen hätten Mitspra­cherechte und zugleich wären die Interessen von Allgemeinheit, Mitwelt

34 Vgl. Werner Hugger, Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert

König/Walter A. Oechsler (Hrsg.), .A~llfordemngen an den öffentlichen Dienst von

morgen. Konzeptionen und Fallstudien zur mittel- und langfristigen Vorausschät­

zung, Regensburg 1987, S. 82-97; Peter Koslowski!Robert Spaemann/Reinhard

Wl4.J (Hrsg.), } ... 1oderne oder Postmoderne? Zur Signatur des gegenwärtigen Zeital=

ters, Weinheim 1986.

87

und Nachwelt vertreten. Es ginge um Selbstbestirni'!lung, Selbstvenvirkli-

chung, Selbstentfaltung und zugleich um intakte Sozialbeziehungen.35

Auf die Systembildung öffentlicher Verwaltung würde eine solche Be­

schaffenheit ihrer sozialen Umwelt nicht ohne Auswirkungen bleiben.36

Bei so viel gesellschaftlicher Selbstgewährleistung im individuellen und kollektiven Handeln wäre die administrative Produktion und Distribution öffentlicher Güter reduziert: quantitativ wie qualitativ. Der Staat bliebe Träger spezifischer, eng definierter Versorgungs- und Dienstleistungen wie Grundlagenforschung oder Katastrophenschutz. Aber selbst bei der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung würde er aufgrund der sich durchsetzenden "Konvivialität" weniger in Anspruch genommen.

Der Umweltschutz wäre die besondere Überwachungsaufgabe. Verblei­bende soziale Dienstleistungen wären von unteren Verwaltungseinheiten zu erbringen. Entwickiung von Kleintechnoiogien, Ansiediung von um­weltfreundlichen Betrieben usw. wären zu fördern. Im öffentlichen Kul­turleben blieben dem Staatsbereich neben der "Alltagskultur" nur teuere Ausnahmeveranstaltungen, im Freizeitverhalten nur Koordination und Ab­sicherung basisgetragener Entfaltungen.

Öffentliche Sachgüter und Dienstleistungen wären hiernach dezentral,

nachfrage- und betroffenennahe vorzuhalten. Die vorherrschende territo­riale Organisation wäre dezentral, klein- und aktionsräumlich gestaltet. Kompetenzen öffentlicher Regelung und Planung wären schon um der größtmöglichen Partizipation und Basisbeteiligung willen auf den unteren

35 Vgl. Klaus von Beyme, Theorie der Politik im 20. Jahrhundert. Von der Modeme

zur Postmoderne, Frankfurt/Main 1991, S. 172 ff.

36 Vgl. Carl Böhret, Tue Tools of Public Management, in: K. A. Elisasen/J. Kooi­

man (eds.), Managing Public Organizations. Lessons from Contemporary Europe­

an Experience, London u. a. 1993, S. 87 ff. (S. 89 ff.); ders., Allgemeine Rah­

menbedingungen und Trends des Verwaltungshandelns, in: H. Reinermann/H.

Fiedler/K. Grimmer/K. Lenk/R. Traunmöller (Hrsg.), Neue Informationstechni­

ken. Neue Verwaltungsstrukturen?, Heidelberg 1988; S. 27 ff; Werner Hugger;

Szenarien alternativer Gesellschaftsentwicklung, in: Herbert König/Walter A.

Oechsler (Hrsg.), Anforderungen an den öffentlichen Dienst von morgen. Konzep-

tionen U...'1d Fallstt1dien z11r mittel- und langfristigen Vorausschätzilng, F„egensburg 1987, s. 82-97.

88

Venvaltungsebenen zu bündeln. Höher aggregierte Planungen Vw11Jrden den

kleineren Siedlungs- und Lebensheiten als freiwillig abnehmbare Dienst­

leistungen angeboten. Im Grunde ginge es nur noch um die Koordinierung

von Einzelaktivitäten. In den Verwaltungsverfahren stünden Information,

Diskurs, kreative Teilhabe im Vordergrund. Käme es letztlich auf den

Konsens an, dann wären Partizipation, Beratung, Aushandlung, Überzeu­

gung usw. die maßgeblichen Prozeßmomente. Die Arbeitsorganisation in

der öffentlichen Verwaltung wäre wie sonst durch negative Auswirkungen

vermeidende Rationalisierungen, Arbeitszeitverkürzungen, Mehrfachbe­

setzungen von Arbeitsplätzen, wohnraumnahe Gestaltungen der Erwerbs­

tätigkeit usw. gekennzeichnet.

Die Kategorie der Postmoderne greift über ein solches Szenarium in­

dessen hinaus und bleibt zugleich diffuser. Das beginnt bereits mit der

Frage nach Epochen und Zäsuren auf dem Wege von der Modeme zur Postmodeme.37 Der Postindustrialismus sieht zwar eine neue Entwick­

lungsphase heraufkommen, erblickt aber in den nachzeitlichen Extrapola­

tionen keinen historischen Bruch, sondern die Erweiterung der industrie­

gesellschaftlichen Rationalität.38 Demgegenüber erscheint es eher unklar,

was den Umschlag in die Postmoderne ausmacht. Vieles aus der Vergan­

genheit wird verworfen, Manches in Anspruch genommen. So beruft man

sieht auf diskurstheoretische oder systemtheoretische Einsichten39, wo ge­

rade aufklärerische Intentionen oder funktionale Differenzierungen für die Modeme stehen. Auch für die Verwaltungswissenschaft werden im Na­

men einer "Postmodem Public Administration" nicht nur Management­

doktrinen verworfen, Konstitutionalismus und Kommunitarismus als über­

holt angesehen, sondern auch eine Diskurstheorie entworfen40, während

37 Vgl. Klaus von Beyme, Theorie der Politik im 20. Jahrhundert, Von der Modeme

zur Postmoderne, Frankfurt/Main 1991, S. 147.

38 Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a.M./New York

1975; Helmut Klages, Stichwort: Post-industrielle Gesellschaft", in: Dieter Noblen

(Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn, S. 555 f.

39 Vgl. Karl-Heinz La.deur, Postmoderne Rechtstheorie. Selbstreferenz - Selbtsorga­

nisation - Prozeduralisierung, Berlin 1992.

40 Vgl. Charles J. Fox!Hugh T. Miller, Postmodem Public Adwillistration. Towa.rd

Discourse, Thousand Oaks/London/New Delhi 1995.

89

Diskurstheoretiker selbst den Postmodernismus mit einem Neokonserva-

tismus gleichsetzen41, was dann das Eintreten für die Modeme als pro­

gressiv erscheinen läßt.

Weiter ist problematisch, ob mit dem Begriff der Postmoderne auf eine

theoretische Perspektive, wissenschaftliche Methoden, Erkenntnisgewin­

nung oder auf das soziale Leben, Realitäten, die Erfahrungswelt abgestellt

wird, das heißt, ob es um eine postmoderne Analyse von Organisationen

oder eine Analyse postmoderner Organisationen geht. 42 Ersteres finden

wir in Begriffen wie Repräsentation43 oder Dekonstruktion44 Letzteres

führt zu der Frage, ob es eine postmoderne Gesellschaft gibt oder ob es

sich jenseits des Gesellschaftsbegriffs nur noch um ein Konstrukt relatio­

naler Beziehungen handelt, und zwar mit Multikulturalismus, Lokalismus,

charismatischer Politik, Kommerzialismus usw. und in der organisierten

Welt mit Diffusion statt Spezialisierung, Märkten statt Hierarchien, inner­

organisatorischer statt außerorganisatorischer Verantwortlichkeit usw. 45

Rekurriert man auf das postmoderne Denken als eine Theorie und Pra­xis, Wissenschaft und Kunst überwölbende Kategorie, dann sind für Le­

bensbereiche wie Politik und Recht, Staat und Verwaltung keine inkorpo­

rierenden Entwürfe, sondern allenfalls Fragmente auszumachen - freilich

dann im Sinne des fragmentierenden Denkens der Postmoderne. 46 Dazu könnte man zum Beispiel eine Entsubstantialisierung der Macht rechnen.

41 Vgl. Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Modeme. FrankfurtlMain

1988, 4. Aufl.

42 Vgl. Stuan R. Clegg, Modem Organizations. Organization Studies in the Postmo­

dem World, London/Newberry Park/New Delhi 1990, S. 15.

43 Vgl. Paul Jeffcutt, From Interpretation to Representation, in: John Hassard/Martin

Parker (eds.), Postmodemism and Organizations, London/Newberry Park/New

Delhi 1993, S. 25 ff.

44 Vgl. Steve Linstead, Deconstruction in the Study of Organizations, in: John Has­

sard/Martin Parker (eds.), Postmodemism and Organizations, London/Newberry

ParkfNew Delhi 1993, S. 49 ff.

45 Vgl. Stuan R. Clegg, Modem Organizations. Organization Studies in the Postmo­

dem World, London/Newberry Park/New Delhi 1990, S. 203.

46 Vgl. Klaus von Beyme, Theorie der Politik im 20. Ja11rhundert. Von.der ~y1odeme

zur Postmoderne, Frankfurt/Main 1991, S. 330 ff.

90

Der Staat ist "entzaubert" .47 A.uch die öffentliche Verwaltung muß ~1acht

durch Verhandlungen ersetzen. Macht ist nicht an Institutionen gebunden, sondern eine "komplexe strategische Situation". Sie konstituiert sich im

Spiel ungleich-beweglicher Beziehungen. In der Tat konnte der Staat der alten Bundesrepublik den Eindruck hinterlassen, daß es bei ihm um die

politisch-administrative Moderation von Selbststeuerungen der Gesell­schaft und dann Koordinations- und Kompensationsleistungen gegangen

sei. Die Vereinigung Deutschlands und die Transformation der realsoziali­stischen Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf ostdeutschem Boden haben freilich die staatliche Souveränität auch nach innen offenge­legt. Innenpolitisch konnte man sich nicht einfach in korporatistische

Handlungsmuster oder Verhandlungssysteme zwischen Verwaltung und Bürger zurückziehen, die in ihren weichen Formen staatlichen Handelns rückblickend die alte Bundesrepublik für manche so angenehm erscheinen lassen. Westdeutsche Wirtschaftskreise mochten durchaus die besseren Einsichten in die ökonomischen Konsequenzen der Vereinigung gehabt haben. Entschieden wurde angesichts einer alle Lebensbereiche umfassen­den Lage woanders, nämlich in den staatlichen Institutionen. 48 Ostdeut­sche Bürgerbewegungen mochten durchaus die besseren Informationen über soziokulturelle Bedingungen der Transformation gehabt haben. Ord­nung wurde angesichts der Verhaltensunsicherheit des Übergangs in ande-rer \Veise geschaffen, närrJich durch staatlich gesetztes Recht. 49 Es geht dabei eben nicht einfach um eine situationsgerechte Führerschaft, sondern darum, daß es keine Instanz außerhalb des Staates gibt, die solche Ent­scheidungs- und Ordnungsleistungen verbindlich für jedermann hervor­bringen kann.

47 Vgl. Helmut Wilke, Entzauberung des Staates. Überlegungen zu einer gesellschaft­

lichen Steuerungstheorie, Königstein/Taunus 1983; ders., Ironie des Staates.

Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft, Frankfurt/Main 1992.

48 Vgl. Klaus König, Transformation als Staatsveranstaltung in Deutschland, in:

Hellmut Wollmann/Helmut Wiesenthal/Frank Bönker (Hrsg.), Transformation so­

zialistischer Gesellschaften: Am Ende des Anfangs, Opladen 1995, S. 609 ff.

49 VgL Helmut Quaritsch, Eigenarten und Rechtsfragen der DDR-Revolution, Ver­

waltungsarchiv, 1992, S. 314 ff.

91

Unter den \Veiteren Fragmenten postmodernen Denkens sind für die

Verwaltung etwa von Relevanz: die prozedurale Legitimation öffentlichen Handelns, die Aufwertung von Minderheiten mit der Zurückstellung des

Mehrheitsprinzips - eher faktisch denn normativ, wo Plebiszite die Min­derheitenmacht stärken - die Popularisierung der Informationstechnologi­

en, vor allem aber: ein zugespitzter Pluralismus und Eklektizismus, In­kommensurabilitäten, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Nun sind

Staat, Gesetzgebung, Regierung, öffentliche Verwaltung keine Lebensbe­reiche, die ein "neues" Denken nach einer postmodernen Devise des "Anything goes" gleichsam herausfordern. Architektur, Kommerz, Sozial­philosophie, die Lebensführung nach einer Geschmackskultur von Woh­nen, Kleidung, Essen usw. sind da interessanter.50 Dennoch gewinnt man den Eindruck, daß auch in der nüchternen Gedankenwelt politisch-admini-strativen Handelns die Vorliebe für Unvereinbarkeiten v;ächst.

Es fällt auf, daß aus einem Munde die Abschaffung des Stadtdirektors m einigen Kommunalverfassungen zugunsten eines direkt-demokratisch gewählten und damit eminent politischen Bürgermeisters gefordert51 und übergangslos ein "neues Steuerungsmodell" propagiert werden kann, zu dessen Merkmalen die Trennung von Politik und Verwaltung52 und damit eigentlich der Dualismus von politischem Bürgermeister und administrati­vem City Manager gehört. Oder es wird verlangt, daß die Ministerpräsi­denten der Länder direkt durch das Volk, nicht durch das Parlament ge­wählt werden, die Minister dann aber der Bestätigung durch den Landtag bedürfen sollen53, wobei die Widerspruche eines "divided government" dann nicht bloß wie in den Vereinigten Staaten von Amerika in unter-

50 Vgl. Horst W. Opaschowski, Freizeit, Konsum und Lebensstil, Köln 1990. 51 Vgl. Gerhard Banner, Der (Ober-)Bürgermeister als Verwaltungschef - ein mögli­

ches Modell?, in: Dietrich Fischer/Rainer Frey /Peter Paziorek (Hrsg.), Kommunal­

verfassung in Nordrhein-Westfalen. Sind unsere Städte noch zu regieren?, Becku­

mer Hochschultage 1988, S. 59 ff.

52 Vgl. Gerhard Banner, Von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen. Die

Kommunen brauchen ein neues Steuerungsmodell, in: VOP, Heft 1/1991, S. 6 ff.

53 Vgl. Wege aus der Krise des Paneienstaates. Thesen der "Frankfurter Interventi~

on", Abgedruckt in: RuP 1995, S. 16-26; Hans Herbert von Amim, Demolcrarie

vor neuen Herausforderungen, in: ZRP 1995, Heft 9, S. 340 ff. (351).

92

schiedlichen pa..rteipolitischen Konstellationen zwischen Exekutivspitze

und legislativer Mehrheit, sondern wohl in der Regierung selbst auszuhal­

ten sind. Oder zum "Gesetz der Zukunft" hält man zwar einerseits an Sta­

bilität und Verbindlichkeit fest, andererseits soll aus dem gesetzten Recht

zunehmend "fließendes Recht" werden, sollen an die Stelle von Hand­

lungsgeboten Informationsangebote treten, die die Nutzer mit bedarfs­

bzw. nachfrageorientierten, gestuften Informationen nach Art eines Com­

putermenus versorgen und mit beispielhaften Szenarien zum Dialog bzw.

zur Interaktion einladen.54 Charakteristisch sind die Forderungskataloge,

die zur Einrichtung eines "neuen" öffentlichen Managements, eines "neu­en Steuerungsmodells" in der Verwaltung aufgestellt werden.55 Hier stellt

sich nicht nur die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Bestehenden,

sondern auch nach der Kompatibilität einzelner Modellkomponenten, weruTI Zlltn Beispiel auf der einen Seite eine dezentrale Ressourcenverant ~ wortung, auf der anderen Seite eine Stärkung der "Konzernzentrale" - ge­meint ist die Kommunalverwaltung - postuliert wird.56 Dezentralität be­deutet nun einmal Autonomie. Freilich kann man eine so gewährte Eigen­

ständigkeit durch sekundäre Mechanismen oder auf informalem Wege wegsteuem. Dann kann Dezentralität allerdings zur Rhetorik werden.

Sieht man in der Postmoderne einen Gegensatz zur Modeme, dann

müßten die neuzeitlichen funktionalen Differenzierungen der Gesellschaft

und die Rationalisierungen jeweils eigener sozialer Handlungssphären durch Dedifferenzierung und Demontage bestehender Formen von Ar­beitsteilung, Zuständigkeitsverteilung, Machttrennung abgelöst werden57,

und zwar in der Realität, nicht im präskriptiven Modell. Nach solchen

postmodernen Organisationen in Produktion, Distribution, Konsumption hat man von Japan bis Schweden Ausschau gehalten. Und in der Tat wer-

54 Vgl. Hermann Hili, Gesetzgebung in der postindustriellen Gesellschaft, in: ZG,

Heft 111995, S. 82 ff.

55 Vgl. Hermann Hili/Helmut Klages (Hrsg.), Qualitäts- und erfolgsorientiertes Ver­

waltungsmanagement. Aktuelle Tendenzen und Entwürfe, Berlin 1993.

56 Vgl. Gerhard Banner, Von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen. Die

Kommunen brauchen ein neues Steuerungsmodell, in: VOP, Heft 1/1991, S. 8.

57 Vgl. StI.lart R. Clegg, Modem Organizati.ons, Orgaitization Studies in the Postmo-

dem World, London/Newberry Park/New Delhi 1990, S. 15 f.

93

den von Ort z11 Ort FlexibilisieriJDgen beobachtet, die Fließbandarbeit ab-lösen, vielseitige Arbeitsqualifikationen vermitteln, wählbare Informati­onstechniken zugänglich machen usw. Indessen wird man für die öffentli­

che Verwaltung, will man sie als postmodern bezeichnen, mehr verlangen müssen, als daß neben Linieneinheiten Projektgruppen, neben Fachämtern

Bürgerbüros, neben Spezialisten Generalisten stehen. Es müßte jenseits

von Flexibilisierung durch nicht hierarchische Organisationsformen, de­zentrale Computertechniken, breite Mitarbeiterqualifikation zu einer Art neuen Diffusion kommen. Dem stehen allerdings drei organisatorische Im­perative entgegen, wie man sie auch für die privatwirtschaftlichen Organi­sationen festgestellt hat58 und wie sie erst recht für die Staatsorganisation

gelten.

Erstens kann die öffentliche Verwaltung nicht auf Systemgrenzen, ins­

besondere auf eine Abgrenwng zum P-ublikum und politischen Bereich verzichten. Noch so viele Symbole der Kundenorientierung in einem Wirt­schaftsunternehmen bedeuten nicht, daß die Grenzen zwischen Produkti­ons- oder Distributionssystem und Konsumentenumwelt aufgegeben wer­den. Genau so wenig bedeutet Bürgerfreundlichkeit, das Publikum über Mitgliedschaftsrollen in die öffentliche Verwaltung einzubeziehen. Zwar gibt es durchaus Fälle von sozialen Mehrfachbeziehungen, wenn etwa ein und dieselbe Person ehrenamtlich in der kommunalen Selbstverwaltung

mitarbeitet und dann als Gewerbetreibender, Bauherr, Strai3enbahnbenut­zer usw. der Verwaltungsumwelt zuzurechnen ist. Aber dafür bestehen

spezifische Differenzierungsregeln. Eine "overlapping membership 11 wird nicht zum Prinzip erhoben. Die Identität von Verwalter und Verwalteten ist demnach zuerst vom rätedemokratischen Modell der Erledigung sozia­ler Angelegenheiten propagiert worden.59 Es hat in der Arbeiterselbstver­waltung Jugoslawiens, in der Kibbuzbewegung Israels, in der Kulturrevo­lution Chinas nicht so viele historische Erfolge vorzuweisen, daß es zum

58 Vgl. Stefan Kühl, Wenn die Affen den Zoo regieren. Die Tücken der flachen Hier­

archien, Frankfurt a.M./New York 1995. 59 Vgl. Carl Böhret!Wemer Jann!Eva Kronenwett, Innenpolitik und politische Theo­

rie. Ein Studienbuch, Opladen 1988, S. 379 ff.

94

Leitbild öffentlicher Venvalt1.mg geworden ist.60 Auch paßt sein humaner

Faktor, der "neue" Mensch hohen kollektiven Engagements wohl nicht

ohne weiteres in eine postmoderne Lebensführung. Wir können uns eine

Zukunft ohne berufsmäßige Verwalter kaum vorstellen. Die Abgrenzung

zwischen Mitgliedschaft und Nichtmitgliedschaft in einer Organisation ist

nach wie vor eine Prämisse sozialen Handelns in Wirtschaft wie Staat61

und für einen professionellen öffentlichen Dienst existentiell.

Zweitens muß ein Verwaltungssystem in einer hochkomplexen Umwelt

eine angemessene Eigenkomplexität aufweisen. Betrachtet man Bereiche wie Steuerverwaltung, Gesundheitsverwaltung, Umweltverwaltung usw.,

dann hat man es mit jeweils so historischen Handlungssituationen zu tun,

daß es schwer vorstellbar ist, daß die administrative Arbeits- und Zustän­digkeitsteilung grundlegend demontiert werden könnte. Die "Überkomple­

xität" der Organisation ist eine verbreitete Kritik an privaten wie öffentii­chen Einrichtungen. Indessen darf man bezweifeln, ob Modelle eines "Le­an Managements" und dann eines "Lean Government" über interne Ratio­nalisierungen wirklich zu einer Reduktion von Komplexität führen. Zwi­schen Innenwelt und Außenwelt darf kein dysfunktionales Komplexitäts­gefälle entstehen. 62 Organisationen werden bei entsprechenden Eingriffen

sekundäre Mechanismen der Problemlösung entwickeln und so eine ange­

messene Komplexität wiederherstellen, oder sie werden versagen. 63 Steu­errecht, Gesundheitsrecht, Umweltrecht symbolisieren hochdifferenzierte

Lebensverhältnisse in Gesellschaft und Staat und indizieren, was in der

Binnenorganisation der Verwaltung möglich ist.

60 Vgl. Klaus König, System und Umwelt der öffentlichen Verwaltung, in: König/von

Oertzen!Wagener (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in der Bundesrepublik Deutsch­

land, Baden-Baden 1981, S. 13 ff. (S. 32 f.)

61 Vgl. Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 4. Aufl.,

Berlin 1995, S. 395.

62 Vgl. Klaus König, Das Bundeskanzleramt als komplexe Organisation, in: Rudolf

Fisch/Margarete Boos (Hrsg.), Vom Umgang mit Komplexität in Organisationen,

Konstanz 1990, S. 149 ff.

63 Vgl. Klaus-Eckan Gebauer, Zur Opti....Tie1·l1ng von Koordination und Pla..Tl.ung in ei-

ner Regierungszentrale, in: Verwaltungsarchiv Heft 4/1994, S. 485 ff.

95

Drittens müssen die ~y1achtverhältnisse für die öffentliche Venvaltung

geordnet sein. Das ist gerade der Vorzug richtig verstandener Staatsbüro­

kratien, daß mit ihnen der Herrschaftscharakter der öffentlichen Verwal­

tung nicht ignoriert wird, sondern - wenn auch in vielen Variationen -

der Grundgedanke Max Webers zur Geltung kommt, daß jedenfalls die

bürokratische Verwaltung nach allen Erfahrungen die an "Verläßlichkeit,

also: Berechenbarkeit für den Herren wie die Interessenten" formal ratio­

nalste Form der Herrschaftsausübung sei.64 Die öffentliche Verwaltung ist

nicht der Platz für interne Machtkämpfe. Es kann nicht einmal akzeptiert

werden, daß die Mitarbeiter aufgrund ihrer Sachqualifikation die letzte Entscheidung in öffentlichen Angelegenheiten haben. Diffusion, in der die

Mitarbeiter zu den "neuen Machthabern" werden, widerspricht erst recht dem politischen Primat in der Demokratie, der auch im Innenbereich der VervValtung abgesichert werden muß. Eine Dedifferenzienmg der ~y1acht-ordnung hat sich historisch immer wieder als problematisch erwiesen, und

zwar bis hin zu diffusen Definitionen der Mitgliedschaft: im großen Maß­stab, wenn in der marxistisch-leninistischen Kaderverwaltung über Berufs­

zugang und Berufsweg für die Mitarbeiter im Staatsapparat nach Kriterien der politisch-ideologischen Qualifikation entschieden wird65, im kleinen

Maßstab, wenn, wie etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika, pro­

fessionelles Laufbahnbeamtentum und politisches Nicht-Karriere-Personal in einem Senior Executive Service zusaiTu-nengefiihrt werden. 66

64 Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1956, S. 124 ff., S.

823 ff.

65 Vgl. Klaus König, Zum Verwaltungssystem der DDR, in: ders. (Hrsg.), Verwal­

tungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1991, S. 9 ff. (S. 19).

66 Vgl. Leadership for lt„rnerica. Rebuilding the Public Service, Tue Volcker Com-

mission Report, Lexington/Toronto 1990.

96

IV. ZUR POSTBÜROKRATISCHEN VERWALTUNG

Postindustrielles Konzept und postmodernes Szenarium zeigen in ih­rem Realitätsgehalt soviel Plausibilität, daß wir die öffentliche Verwal­

tung als ein soziales System verstehen können, welches nicht nur in seinen jeweils aktuellen Funktionen, sondern auch in seiner institutionellen Fort­entwicklung höchst widersprüchlichen gesellschaftlichen Einflüssen ausge­setzt ist. Wenn es aber nicht nur die Umwelt von Gesellschaft, Wirtschaft, Staat, sondern auch die eigene Ordnung ist, die das Verwaltungshandeln bestimmt, dann ist für die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung ebenfalls deren Selbstreferenz in Rechnung zu stellen. Aus gutem Grund wird im Zusammenhang von Verwaltungsreformen gern das Thema des bürokratischen \1/idersta..'ldes diskutiert. Denn jenseits von Theorien der Selbstorganisation von Systemen - Autopoiesis - gibt es wohl kaum eine Institution, die man als so in sich selbst kreisend - und unsterblich - an­sieht, wie das bei der Staatsbürokratie der Fall ist. Überdies ist die büro­kratische Verwaltung in ihrer funktionalen Ausdifferenzierung und Ratio­nalisierung nach eigenen Prinzipien eine der Grundsäulen der Modeme. Man muß einmal die "unbürokratische Erledigung" eines Falles erleben, wie sie gern von populistischen Exekutivpolitikern zugesagt und aus-nahm.sweise beim Wort genommen wird - näiTJich ohne Zuständigkeit, ohne Professionalität, ohne Akten, ohne Regeln usw. -, um zu erfahren, daß die negativen Folgen weniger in der Verwaltung, mehr beim Bürger eintreten. So müssen denn auch soziale Veränderungen um der Verwal­tung wie der Gesellschaft willen von der bürokratischen Ordnung her überdacht werden.

Die Suche nach Alternativen zu den Staatsbürokratien ist alt; die Ge­genmodelle sind zahlreich. Die beiden großen sozialen Gegenexperimente - Kaderverwaltung und rätedemokratische Verwaltung - konnten den Vergleich mit der bürokratischen Leistungsordnung nicht aushalten. In westlichen Modernisierungsbewegungen pflegen sich die am leichtesten zu tun, die in der Bürokratie ein präskriptiv-rationales Modell sehen, dem es angesichts von Dysfunktionen wie Formalismus, Unpersönlichkeit, Ge­heimniskrämerei usw. ein Gegenmodeil entgegenzuhahen gih, dessen Ra-

97

tionalität eben solche Fehler vermeiden soll. Angesichts der \Vechselwir~ kungen von System und Umwelt gibt es dann in der Gedankenwelt von Postmoderne und Postbürokratie vielfache Überschneidungen. Schon die Gedankenarbeit scheint postmoderne Züge aufzuweisen. Man scheint Ver­waltungspolitik nach Art einer "Konzeptkunst"67 anzugehen, einer Kunst­

richtung, bei der der Künstler auf die Ausführung seines Projektes ver­zichtet, sich auf Entwürfe beschränkt, mit dem Konzept das fertige Kunst­werk ersetzt und so die bisher gesetzten Grenzen, die durch die Realisie­rung gegeben sind, übersteigt.

Ist das Postbürokratische die Abwendung vom Bürokratischen, dann stellt man der festen Zuständigkeitsordnung der Bürokratie fließende Kompetenzen der post bürokratischen Organisation gegenüber, und zwar in Richtung auf Personen, die die Fähigkeit haben, das Problem zu lösen. JJie geschriebenen Formairegein soiien durch eine '1diaiektische" Organi­sation abgelöst werden, die sich an die jeweilige Situation anpaßt. Die Entfremdung eines Handelns ohne Ansehen der Person soll aufgehoben werden, indem der Klient der Verwaltung als Ebenbürtiger, nicht als Un­tergebener behandelt wird. Die Hierarchie der Ämter soll durch eine fla­che Organisation ersetzt werden, die nicht hierarchisch strukturiert ist und ohne Aufsichtsführung auskommt. Spezialisierung hat der Problemlösung im Team und der kollektiven Entscheidung zu weichen. An die Stelle des Berufsbeamtentums sollen mobile Fachleute treten. Die Permanenz der In­stitution soll durch zeitlich begrenzte Organisationen aufgehoben werden. Das Dienstgeheimnis soll durch offene Kommunikation abgelöst wer­den. 68

Es hat soziale Experimente mit solchen und vergleichbaren Kompo­nenten der Verwaltungsorganisation gegeben. Über Bestandskräftiges wird indessen nicht berichtet. Zum Beispiel ist man damit erfolglos geblieben, durch die Integration von Klienten in die Organisation die Grenzen zwi­schen System und Umwelt außer Kraft zu setzen. Im Falle einer Sozialver-

67 Vgl. Niklas Luhmann, Konzeptkunst. Brent Spar oder: Können Unternehmen von

der Öffentlichkeit lernen?, FAZ, 19. 2 .1995.

68 Vgl. Howard E. McCurdy, Public i\dmL'listrarion: JCA. Synthesis, Me11loe Park,

1977, s. 349.

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waltung ist man gescheitert, weil man nicht mehr mit knappen öffentli-chen Mitteln umgehen konnte. Das lag nicht einfach daran, daß die Dotie­rungsinstanz Finanzmittel nur an eine Sozialbehörde mit solidem Pro­gramm zuweisen wollte. Die Behörde selbst mußte sich vor unbegründe­ten Sozialansprüchen schützen können. Die einschlägigen Mechanismen versagten, weil die Differenzierung zwischen Geber- und Nehmerseite aufgegeben war. 69

Heute kommt die Herausforderung an die bürokratische Leistungsord­nung der öffentlichen Verwaltung aus einer anderen Richtung. Eine Er­neuerungsbewegung des "New Public Management", des "Reinventing Goverrunent" hat auch den deutschsprachigen Raum erreicht und findet insbesondere mit dem Vorzeichen eines 11 Neuen Steuerungsmodells" auf der Ebene der Kommunalverwaltung seine Anhänger. Die Sprache des Neuen ist die von Markt, von Wettbewerb, von Unternehmen, vom Kun­den. Manche sehen in Kategorien wie Ergebnisorientierung, Qualität, Pro­duktion, Dienstleistung, Kundenorientierung, Anreiz, Konsumentenwahl, Wertleistung usw. den Paradigmenwechsel vom Bürokratischen zum Post­bürokratischen. 70 Nun muß man bei dieser Erneuerungsbewegung zwi­schen Komponenten unterscheiden, die mit der bürokratischen Verwal­tung, und zwar auch in ihrer klassisch-kontinentaleuropäischen Ausprä­gung, kompatibel sind, und solchen, die über die neuzeitlichen Ausdiffe­renzierungen von Staat und Verwaltung hinausreichen. Zum Beispiel ist der Gedanke der dezentralen Ressourcenverantwortung in einer öffentli­chen Organisationslandschaft mit Föderalismus, kommunaler Selbstver­waltung, Ressortverantwortung, privatrechtlich verfaßten Formalorganisa­tionen, herausverlagerten Aufgabenträgern usw. durchaus vertraut. Eine neue Kosten-Nutzen-Orientierung des Budgetkreislaufes, eine neue Diffe­renzierung zwischen Politik und Verwaltung, eine neue Zuständigkeitsver­teilung zwischen Ministerien und "Agencies", eine neue Arbeitsteilung zwischen politisch-administrativer Kontrolle und öffentlicher Dienstlei-

69 Vgl. Orion White, Tue Dialectical Organization: An Alternative to Bureaucracy,

in: Public Administration Review 1969, S. 35 ff.

70 Vgl. Michael Barzelay, Breaking through Bureaucracy. A New Vision for Mana-

ging in Goverrunent, Berkeley/Los Angeles/Oxford 1992, S. 115 ff.

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stung, neue Leistungsanreize fiir den öffentlichen Dienst usw. bedeuten

nicht gerade den Umsturz bürokratischer Verhältnisse. Vielmehr geht es gegebenenfalls darum, vernünftig ausbalancierte Verwaltungsreformen durchzuführen. Anders wäre es, wenn wir uns von den tradierten exekuti­ven Verhältnissen in der öffentlichen Verwaltung in Richtung auf Markt und Wettbewerb im öffentlichen Sektor verabschieden würden. Damit würde man in eine Zeit nach der bürokratischen Leistungsordnung eintre­

ten.

Aus der Sicht der managerialen Bürokratien des anglo-amerikanischen Raums läßt sich ein solcher Paradigmenwechsel auf die Formel 11 vom ad­ministrativen Management zum unternehmerischen Management 11 brin­gen. 71 Diese Kürze macht eine Reihe von Klarstellungen erforderlich. Er­stens ist der Begriff des Unternehmerischen untrennbar mit einer markt­wirtschafdichen Ordnung verbunden.72 Im Unternehmen werden Produk­tionsfaktoren kombiniert, um Güter und Dienste zu produzieren, die mit Gewinn auf dem Markt abgesetzt werden sollen. Zweitens muß dann für ein unternehmerisches Management eine kompatible Umwelt bestehen und damit eben eine Umwelt von Markt und Wettbewerb. Drittens liegen im Wettbewerb Leistungsanreize, die ihn als sozial prinzipiell erwünscht an­sehen lassen. Es gibt aber durchaus Erscheinungsformen des Wettbewerbs in Wirtschaft, Politik, Sport usw. - vom Manchestertum über den soziali­stischen Wettbewerb bis zum Kinderleistungssport - , die man sozial miß­billigen kann. Viertens besteht kein Apriori, nach dem der Markt dem Staate in der Wohlfahrtsstiftung grundsätzlich überlegen ist und umge­kehrt. Auch eine strikt liberale Wirtschaftstheorie gibt zu, daß der Staat die Rahmenbedingungen für eine funktionierende Marktwirtschaft schaf­fen und gewährleisten muß und daß es überdies Güter gibt, bei denen schon nach ihrem ökonomischen Charakter der Markt versagen kann. Das bedeutet fünftens, daß private Güter, über deren Art, Umfang und Vertei­lung durch die Abstimmung individueller Präferenzen im Marktmechanis-

71 Vgl. David Osbome!Ted Gaebler, Reinventing Government. How the Entrepreneu­

rial Spirit is Transforming the Public Seetor, Reading 1992.

72 Vgl. Peter H. Werhahn, Der Unternehmer - seine ökonomische FurJction und

gesellschaftspolitische Verantwortung, Trier 1990.

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mus entschieden \11ird, und öffentliche Güter, über deren Erstellung in ei-nem politisch-administrativen Willensbildungsprozeß zu entscheiden ist,

getrennt werden müssen. 73 Sechstens bindet uns kein naturrechtliches

Subsidiaritätsprinzip, nach dem bei Privatisierungsfähigkeit öffentlicher

Güterproduktion eben dann auch zu privatisieren ist. Die prinzipielle Ver­

teilung von Produktion, Distribution, Konsumtion zwischen öffentlichem und privatem Sektor ist wiederum eine Frage der Entscheidung, freilich

von der Vor-Entscheidung der Verfassung an.74 Siebentens können Grün­de für entsprechende Zuordnungsentscheidungen im Politischen, im Rechtlichen, im Ökonomischen, im Sozialen, im Kulturellen, im Huma­nen, liegen. 75 Das hat achtens zur Folge, daß gute ökonomische Gründe

für eine Privatisierung trotz sorgfältiger Güterabwägung nicht zum Zuge kommen.

Diese Möglichkeit veraniaßt uns, den formal an s1cn w10ersinnigen Gedanken, über Güter und Dienste politisch-administrativ und dann doch markt- und wettbewerblich zu entscheiden, weiter nachzugehen. Es bleibt die Frage, ob wir einen virtuellen Wettbewerb und Quasi-Märkte im Hin­blick auf ausgebliebene reale Markteintritte und Privatisierung sozial kon­struieren können. 76 Ein Sonderfall ist dabei die Dualität von öffentlicher Leistung und privatem Angebot: wie beim Rundfunk, im Bankwesen, im Gesundheitsbereich und anderen Sparten mehr. Hier fließen von Fall zu Fall Realitäten des Marktes ein, obwohl die Lebensversicherung des Staa-

73 Vgl. Richard Musgrave!Peggy Musgrave!Lore Kullmer, Die öffentlichen Finanzen

in Theorie und Praxis, Band 1, 5. Aufl, Tübingen 1990, S. 60 ff.

74 Vgl. Robin W. Boardway!David E. Wildasin, Public Seetor Economics, 2nd ed.,

Boston/Toronto 1984; Klaus König, Staatsaufgaben und Verfassungen der neuen

Bundesländer, in: Ipsen/Rengeling/Mössner/Weber (Hrsg.), Verfassungsrecht im

Wandel. Zum 180jährigen Bestehen der Carl Heymanns Verlags KG, Köln u. a.

1995, s. 109 ff.

75 Vgl. Klaus König, Prozedurale Rationalität - Zur kontraktiven Aufgabenpolitik der

80er Jahre-, in: Verwaltungsarchiv, Heft 1/1995, S. 1 ff.

76 Vgl. Manfred Röber, Über einige Mißverständnisse in der verwaltungswissen­

schaftlichen Modernisierungsdebatte: Ein Zwischenruf. Manuskript, erscheint in:

Helmut Wollmai'1..'1/Christoph Reichard (Hrsg.), Kommunalver11altung im ~„1oderni--sierungsschub, 1995, S. 4.

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tes es nicht zum existentiellen Wettbewerb auf der öffentlichen Seite kom­

men läßt. Zum virtuellen Wettbewerb öffentlicher Verwaltungen ist noch

anzumerken, daß er Organisationswettbewerb ist. Der Wettbewerb schlägt

nicht bis zum individuellen Verwaltungsmitarbeiter durch, wie dann auch

in der privaten Unternehmung die durchgehende Begleitung der Betriebs­

prozesse mit Geldpreisen als problematisch angesehen wird. 77 Das ist An­laß bei organisatorischen Zurechnungen, beispielsweise im Falle des Pro­

fit-Center, dem als eigenständige Organisationseinheit eines Unterneh­

mens Gewinnverantwortung übertragen ist.

Grundproblem eines virtuellen Organisationswettbewerbs ist die Her­

stellung von Rivalität. Hier stehen auf der einen Seite jene Bereiche von

öffentlichen Gütern und Aufgaben, bei denen die Bürger Wahlmöglichkei­

ten zwischen verschiedenen öffentlichen Leistungsträgern haben oder sich

solche Wahlmöglichkeiten unbeschadet der Organisationswerte klassischer

Verwaltung schaffen lassen. Solche Möglichkeiten bestehen zahlreich, und

zwar auf dem Gebiete der Kultur: Museen, Theater; der Bildung: Univer­sitäten, Volkshochschulen; des Sozialen: Altenheime, Kindergärten; der

Gesundheit: Krankenhäuser, Pflegeheime usw. Sie lassen sich auch von Fall zu Fall bei angemessener Güterabwägung herstellen, etwa im Falle

öffentlicher Versicherungsmonopole. Jedoch beruht der Kernbereich von

Verwaltungsangelegenheiten auf den Prinzipien der festen Zuständigkeits­

ordnung und der Vermeidung von Mehrfachzuständigkeiten. Das ist für

die Eingriffsverwaltung, da es um den Schutz der Rechtssphäre des Bür­

gers geht, ohnehin einsichtig. Aber auch für die Leistungsverwaltung gilt

die Einmal-Zuständigkeit, und zwar wiederum aus guten Gründen, wenn

man nur an die Informationsschwierigkeiten eines Wohlfahrtsstaates der

Transferleistungen denkt. Man wird auf gewichtige Gegengründe stoßen,

wenn man Wahlmöglichkeiten zwischen Polizeibehörden, Jugendämtern,

Gewerbebehörden, Bauämtern, Sozialämtern usw. schaffen will.

Selbst wenn aber Wahlmöglichkeiten bestehen, müssen weitere Anfor­

derungen für virtuellen Organisationswettbewerb und Quasi-Märkte erfüllt

77 Vgl. Wil Martens, Entwurf einer Kommunikationstheorie der Unternehmung. Ak­

zeptanz, Geld und Macht in Wirtschaftsorganisationen, Frankfurt a.M./New York

1989, s. 150 ff.

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werden. Es müssen möglichst freie \Vettbewerbsbedingungen geschaffen

werden, so daß nicht zu hohe Barrieren Markteintritt bzw. Marktaustritt

hemmen. Es müssen beide Marktparteien leichten Zugang zu Informatio­

nen über Kosten und Qualität haben. Es dürfen die mit dem Markttausch

verbundenen Transaktionskosten - Verhandlungen, Verträge, Rechnungs­

wesen, Zahlungssystem, Kontrolle usw. - die Effizienzgewinne, die durch

das Wettbewerbsverhalten erlangt werden, nicht überschreiten. Es müssen

Anbieter mindestens zum Teil finanzielle Anreize erhalten, um auf preisli­

che Signale zu reagieren. Es muß im Interesse der Gleichbehandlung ver­

hindert werden, daß Anbieter oder Nachfrager nur "absahnen", daß Ver­

waltungen geringe Risiken, leichte Fälle, gut zahlende Kunden bevorzu­

gen und bei begünstigten Bürgern oder Organisationen es sich nur um

Mitnahmeeffekte handelt. 78

Es gibt bisher wenig belastbare Erfahrungen mit virtueiiem Organisati­

onswettbewerb und Quasi-Märkten in der öffentlichen Verwaltung. Selbst

der wohl signifikante Anschauungsfall, nämlich das verstaatlichte Gesund­

heitswesen in Großbritannien79 wirft wohl mehr Fragen auf, als er Ant­

worten gibt. Eine Frage wäre, ob nicht hinter den vielfältigen öffentlichen

Akteuren, deren vielfältiger Konfiguration und den vielfältigen für sie gel­

tenden Spielregeln ein neuer bürokratischer Formalismus steht. Eine ande­

re Frage würde lauten, ob man nicht mehr erreicht hätte, wenn man Teil­

bereiche des National Health Service privatisiert bzw. reprivatisiert hätte,

um Effizienzgewinne aus einem gemischt öffentlich/privaten Gesundheits­

wesen zu ziehen. Überhaupt wird man in Gesprächen mit britischen Ver­

waltungsexperten mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert. Während

der eine hinter "Citizen Charter 11 - einer Art neuer Geschäftsbedingungen

zwischen Behörden und Bürger - eine Staatsrevolution sieht, sagt der an­

dere: "just paperwork". Man hört sogar die Meinung, daß es darum gin-

78 Vgl. Wen~y Ranade, Tue theory and practice of managed competition in the Natio­

nal Health Service, in: Public Administration 1995, S. 243 ff.

79 Vgl. !an Tilley (ed.), Managing the Interna! Market, London 1993; Julian Le

Grand/Wil Bartlet (eds~), Quasi-Markets and Social Policy, Hound Mills u. a.,

1993.

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ge, den :f-„1oderriisienmgsrackstand einer alten klassengesellschaftlich ge-prägten Verwaltung aufzuholen.

Ein Paradigmenwechsel von der bürokratischen zur postbürokratischen

Verwaltung reicht so tief in die Kultur von Gesellschaft und arbeitendem

Staat hinein, daß Einzelbelege, die über Modelle und Szenarien hinaus in

die Erfahrungswelt führen, für sich noch nicht ausreichen. Man müßte

z. B. wissen, ob sich die Erwartungshaltungen der Bürger gegenüber der

öffentlichen Verwaltung grundlegend geändert haben. Vom Postmodernis­

mus wird gesagt, daß er auf dem Boden des Konsumerismus gediehen sei,

daß nach dem Ende umfassender Ideologie der Markt das einzige Band sei, das alles umfaßt. 80 Auf der anderen Seite wird für die Konsumtion

keine Dedifferenzierung, sondern ein höherer Grad von Differenzierung festgestellt.81 Gerade für das Gesundheitswesen - mit dem Bild von der

reiativen Gesundheit, nicht der Abwesenheit von Krankheit - kann man auf hochdifferenzierte Bedürfnisse zwischen Prävention und chronischem Siechtum, Pharmazeutika und gesunden Ernährungsmitteln, Sanitärhilfs­mitteln und ergonomischen Geräten verweisen, so daß es eher unwahr­scheinlich erscheint, solche Vielfalt durch ein uniformes Steuerungsmuster zu befriedigen. Entsprechend fällt es schwer, sich den Steuerzahler, den Sozialhilfeempfänger, den Polizeipflichtigen, den Pflegebedürftigen, den

Schüler, den Konzessionär usw. als ein und denselben Kunden, nämlich

als die Marktpartei auf der Nachfrageseite, vorzustellen.

Vielleicht muß man aus der Vereinigung Deutschlands etwas ganz an­

deres lernen, nämlich daß je weniger verläßlich sich Familie, Siedlungsge­meinschaft, Ruf, Milieu, Ideologie erweisen, um so existentieller die Ver­läßlichkeit legalistisch-bürokratischer Ordnungs-, Transfer- und Dienstlei­

stungen wird. War in den Vereinigten Staaten noch vor kurzer Zeit vom

"Reinventing GovernmenC die Rede, so trägt der vom amerikanischen Vi­

zepräsidenten vorgelegte Dritte Bericht der National Performance Review

den Titel "Common Sense Government". Nunmehr heißt es, daß man ver-

80 Vgl. Zygmunt Bauman, Legislatures and Interpreters. On Modernity, Post-moder­

nity and Intellectuals, Oxford 1987, S. 188 ff.

81 Vgl. Stuart R. Clegg, Modem Orgai1izations. Organization Studies in the Postmo-

dem World, London/Newberry Park/New Delhi 1990, S. 18.

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stünde, daß der Staat kein Geschäft sei, da.'! er eine Vielzahl von Dingen

zu tun habe, die Geschäfte nicht zu tun hätten. Dies würde nicht bedeuten,

daß er nicht in einer "businesslike manort• operieren könne - effizient, ef­

fektiv, mit einem Minimum an Verschwendung.82 Nachdem in der deut­

schen öffentlichen Verwaltung Humanität, Demokratie, Rechtsstaatlich­

keit verbürgt sind, mögen wir in eine Modernisierungsphase eintreten, in

der Effizienz und Effektivität der öffentlichen Angelegenheiten gestärkt

werden müssen. 83 Auch mag aus den Erfahrungen der Privatwirtschaft

manches für Staat und Verwaltung zu lernen sein. Letztlich ist aber wohl

vom Staat der Alltagsvernunft mehr als von der Wiedererfindung von Re­

gierung und Verwaltung zu erwarten.

82 Zit. nach PA Times, Vol. 18 No. 10, 1. Oktober 1995, S. 20; vgl. auch Vice Pre­

sident Al Gore, Common Sense Government. Works Better and Costs Less. Third

Report of the National Performance Review, Washington, D.C., September 1995.

83 Vgl. Heinrich Reinermann, Die Krise als Chance: Wege irl.novativer Verwaltungen,

Speyerer Forschungsberichte 193, Speyer 1995.