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BRIEFE VON MARSILIO FICINO

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  • BRIEFE VON MARSILIO FICINO

  • BRIEFE VON

    MARSILIO FICINO

    EINE AUSWAHL AUS DEM ERSTEN BUCH DER BRIEFE

    1994

    ROZEKRUIS PERS - HAARLEM - NIEDERLANDE

  • bersetzt aus dem Lateinischen von Kar! Markgraf von Montoriola

    Ursprnglicher Titel Epistolae Libri XII, Venetiis, 1495

    Das Bienenkorb-Motiv auf dem Titelblatt erscheint auf verschiedenen Ficino-Manuskripten, die fr die

    Bibliothek von Lorenzo de' Medici illustriert worden waren.

    1994 ISBN 90 6732 II9 2

    ROZEKRUIS PERS - HAARLEM - NIEDERLANDE

  • INHALTSVERZEICHNIS

    EINFHRUNG 7

    DIE BRIEFE 19

    VORWORT FICINOS ZU ALLEN BRIEFEN 21 VORWORT FICINOS ZUM ERSTEN BUCH SEINER BRIEFE 22

    1 Die Sehnsucht nach Glckseligkeit 23 2 Der Weg zur Glckseligkeit 25 3 Ein theologisches Gesprch zwischen Gott und der Seele 28 4 Gesetz und Gerechtigkeit 33 5 ber die gttliche Begeisterung 35 6 Lobpreisung der Ausleger Platons 43 7 Ermunterung zum wissenschaftlichen Studium 45 8 Beileidsschreiben bei einem Trauerfalle 46 9 Das Lob der Wahrheit 47

    10 Gelehrte zu unterhalten, bringt Vorteil 49 11 ber den weisen und glcklichen Mann 50 12 Es ist besser, Gutes als viel zu schreiben 51 13 Ermunterung zum wissenschaftlichen Studium 53 14 Ein ernstes Schreiben an Giovanni: Die Seele hat nach dem

    Tode Erkenntnis, und zwar viel deutlicher als im Krper 55 15 Die Gottesgelehrten sind wach, die brigen trumen 59 16 Die Wahrheit Gottes ist Lichtglanz, Schnheit und Liebe 60 I7 Die Ideen befinden sich nach Platon im gttlichen Geiste 62 18 Die Ursache des Sndigens, die Hoffnung und das Heilmittel 66 19 Die rechte Grenze der Liebe ist der Umgang 67 20 Liebe ohne Religion ist ebensowenig lobenswert wie

    Religion ohne Liebe 69 21 ber das Ertragen von Unrecht 71 22 Wie man Standhaftigkeit gegenber Schicksalsschlgen gewinnt 73 23 Diejenige Freundschaft ist bestndig, die von Gott gestiftet

    wird 75 24 Anmut, Liebe, Treue und Freundschaft 78 25 Die Torheit und das Elend der Menschen I 80 26 Die Torheit und das Elend der Menschen 11 82

  • 27 Die Torheit und das Elend der Menschen III 84 28 Da alles von Gott gut gelenkt wird, mu man auch alles als

    zum Besten dienend hinnehmen 86 29 ber die Torheit der Menschen und ber das wahre Wissen 87 30 Die Vornehmheit, der Nutzen und die Anwendung der

    Heilkunde 88 31 Mit der Zeit mu man sparsam umgehen 92 32 Ohne Religion ist der Mensch unglcklicher als die Tiere 95 33 Die Antwort auf den Brief ber die sparsame Verwendung

    der Zeit 96 34 Niemandem, der berhaupt den rechten Willen hat, ist der

    Zugang zum Guten verschlossen 98 35 Nachahmung ist besser als Lesen 99 36 ber die Charakterfestigkeit 101 37 ber die Musik 102 38 ber das Gesetz und die Gerechtigkeit 105 39 ber die Seele 108 40 Man mu lieber auf die Quellen zurckgehen als auf

    Rinnsale 41 Gedchtnisregeln

    110 112

    42 Die Begriffsbestimmungen der Tugenden, ihre Aufgabe und ihr Ziel 114

    43 Die drei Fhrerinnen des Lebens und die rechte Lebensart 116 44 Die Methode des Lehrens, Lobens und Tadelns 117 45 Selbsterkenntnis und Selbstachtung ist von allem das Beste 120 46 ber die Gttlichkeit der Seele und die Religion 122 47 Beileidsschreiben 124 48 Das Wesen der Glckseligkeit, ihre Stufen und ihre ewige

    Dauer 125 49 Ein theologisches Gebet zu Gott 135 50 Die rhetorische, moralische, dialektische und theologische

    Lobpreisung der Philosophie 139

    FUNOTEN 147

    ZEITGENOSSEN FICINOS 153

    KURZE BIBLIOGRAPHIE 159

  • EINFHRUNG

    Marsilio Ficino (1433-1499), gebrtig aus Florenz, bte den grten und nachhaltigsten Einflu auf das gesamte damalige Europa aus. Von ihm und seiner Akademie erhielt die Bewegung der Renaissance die strk-sten geistigen Impulse. Die Schriften Platos und seiner Schler enthiel-ten fr den Menschen entscheidendes Wissen: Das Wissen um sich selbst, das heit das Wissen um das gttliche, unsterbliche Prinzip im Menschen. Es zeigt sich in Ficinos Briefen, da er dieses Wissen aktuell erfahren hatte. Aber nicht nur dies: Er besa auch das Charisma, den lebendigen Glauben an dieses Ideal in seinen Zeitgenossen zu entzn-den. Allem Anschein nach zog es ihn weniger in die Ferne als die Men-schen sonst. In seinem 66jhrigen Leben setzte er hchstwahrschein-lich niemals einen Fu auf Gebiete auerhalb von Florenz, und ein berblick ber sein Leben enthlt kaum mehr als die Chronik seiner Bcher. Und doch scharte sich um ihn als den Leiter seiner Akademie ein Kreis der glnzendsten Kpfe, die sich jemals im neuen Europa zu-sammengefunden hatten. Es waren die Mnner, die die Renaissance ver-krperten: Lorenzo de' Medici, Poliziano, Landino, Pico della Miran-dola. Unmittelbar beeinflut von Ficino waren auch die groen Knst-ler der Renaissance: Botticelli, Michelangelo, Raffael, Tizian, Drer und viele andere.

    Es ist schwer, den Geist genauer zu fassen, in dem Ficino nicht nur so viele groe Mnner in Florenz an sich band, sondern auch fhrende Staatsmnner, Gelehrte und Kirchenmnner aus ganz Europa, im per-snlichen Kontakt und durch Briefwechsel, an sich zog. Ficinos Aka-demie in Careggi wurde schon zu seinen Lebzeiten zum Wallfahrtsort. Aus den Briefen lassen sich vier Grnde dafr angeben: I. Die Liebe, mit der er alle umfate, die sich ihm nherten. 2. Die Weisheit, mit der er seinen Brief- oder Gesprchspartnern tief ins Herz blicken und sie dort berhren konnte, wo ihre besten Talente auf Entfaltung warteten;

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  • 3. erkannte er offenbar klar, wie sich die jeweiligen Wirksamkeiten sei-ner Partner zum gttlichen Prinzip im Menschen und auch zu ihrer Funktion im Staat verhielten; 4- zeichnen sich die Briefe durch eine Art Zeitlosigkeit aus. Ficino scheint zu uns Heutigen ebenso klar zu sprechen wie zu seinen Zeitgenossen im Florenz des 15. Jahrhunderts. Fast nirgends stt man in den Briefen auf die zahllosen kleinen Ent-tuschungen und Freuden des Alltags, wodurch Briefe sonst meist schon veraltet sind, bevor berhaupt die Tinte getrocknet ist. Er war ein Mann des Geistes im wahrsten Sinne des Wortes, weitgehend unab-hngig von Schicksalsschlgen und den Bedrfnissen des Krpers. Die Ruhe und Strke, die von ihm ausstrahlten, bertrugen sich auf alle, die ihm zuhrten. So gestaltete sich zum Beispiel einmal ein Treffen von Briefpartnern, die sich versammelten, um einen Kreuzzug gegen die Trken zu diskutieren, extrem deprimierend. Zu diesem Zeitpunkt stellten die anscheinend unbesiegbaren Trken eine ernste Bedrohung fr Europa dar. Ficino aber griff zu seiner Leier und gab der Gesell-schaft durch seine Musik Zuversicht und Strke zurck.

    Offensichtlich war Ficino in jeder Kunst zuhause und schien in sich das Ideal der Renaissance vom Universalmenschen zu verkrpern. In erster Linie war er Philosoph, wirkte aber auch als Gelehrter, Arzt, Musiker und Priester. Als Gelehrter bersetzte er, neben seinen eige-nen Werken, den ganzen Plato und viele klassische Schriften der plato-nischen Tradition ins Lateinische. Er tat das unglaublich schnell, und trotzdem waren seine bersetzungen so gut, da sie als Standardausga-ben galten, bis im 19. Jahrhundert bersetzungen in den jeweiligen Na-tionalsprachen erschienen. Seine Fhigkeiten als Arzt waren eminent, und viele, einschlielich der Medici, zogen seine Dienste denen aller anderen verfgbaren rzte vor. In bereinstimmung mit den Prinzi-pien des Hippokrates nahm er auch niemals ein Honorar. Als Musiker war ihm vor allem daran gelegen, eine Stimmung der Hingabe in den Menschen zu erzeugen, und seine Zeitgenossen besttigen, da ihm das auerordentlich gut gelang. Als sich einmal Bischof Campano auf der Durchreise durch Florenz befand, bezauberte ihn Ficino, indem er orphische Hymnen sang und sich auf der Leier dabei begleitete. In einem Brief sagt Campano: Es war, als ob der gelockte Apoll selbst die Leier zur Hand genommen htte und seinem eigenen Liede erlag.

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  • Gttlicher Wahnsinn! Feuer in den Augen ... erschliet sich ihm eine Musik, die er nicht so einfach erlernt haben konnte.

    Die bildende Kunst war fr Ficino von besonderer Bedeutung. Ihre Aufgabe war es fr ihn, die Seele dadurch an ihren Ursprung in der gttlichen Welt zu erinnern, da sie Zeichen schuf, die auf diese Welt hinwiesen. Vor allem dem Nachdruck, mit dem Ficino auf die Bedeu-tung der bildenden Kunst hinwies, war es zu verdanken, da das An-sehen des Malers in Florenz allmhlich dem des Dichters gleichkam, whrend er vorher im Rang eher den Handwerkern zugeordnet wor-den war. Malen als Bild ist Ficinos hufigste Metapher. Er selbst hatte die engsten Beziehungen zu den Brdern Pollaiuolo und nahm starken Einflu auf das Gemlde Botticellis Primavera. In seinem Buch Die Platonische Theologie schildert er, was den Maler bei der Schaffung eines Gemldes als erstes bewegt. Er schreibt: In einem einzigen Au-genblick erschien das ganze Gemlde vor dem geistigen Auge des Apel-les und erweckte in ihm den Wunsch, es zu malen.

    1473 wurde Ficino Priester und spter Kanonikus am Dom von Flo-renz. Der Priesterberuf war fr ihn der hchste. Der Priester wirkte als Stellvertreter Gottes und vollbrachte dessen Werk unter den Menschen. Corsi erzhlt, da die Menschen nur so strmten, wenn Ficino im Dom predigte, und von seinen Predigten ber die Evangelien begeistert waren. Er scheute sich auch nicht, Briefe an die Leiter der groen Or-den und einmal sogar an den Papst selbst zu schreiben, um auf die Er-fllung ihrer Pflichten zu drngen, zu einer Zeit, wo Korruption in der Kirche gang und gbe war. Ficino schrieb aber auch an Anwlte, Red-ner und andere. Seine Briefe hatten Autoritt, weil er alle Ttigkeiten des Menschen stets auf das eigentliche Ziel des Menschen bezog: zu sei-nem gttlichen Ursprung zurckzukehren.

    So nimmt es nicht wunder, da Ficino, obwohl Florenz das Zentrum so vieler genialer Mnner war, zum Lehrer des Lorenzo de' Medici be-stellt wurde, der 1469 in der Nachfolge seines Vaters Piero und seines Grovaters Cosimo die Herrschaft in Florenz bernehmen sollte. Lorenzo war ein ungewhnlich vielseitiger Mann - der hervorragend-ste Staatsmann seiner Tage und Dichter von Rang. Lebenslang war er

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  • mit Ficino befreundet, und whrend der Periode, in der diese Briefe ge-schrieben wurden, gelangte diese Freundschaft vielleicht auf ihren H-hepunkt. Immer blieb er auch der Akademie und der platonischen Philosophie verbunden, die er als Staatsmann in die Tat umzusetzen versuchte und als Dichter verherrlichte. Das eigentliche Mittel aber, durch das Ficino seinen illustren Hrern Philosophie vermittelte, waren gewi die Versammlungen der Akademiemitglieder. Obwohl die in diesem Band gesammelten Briefe auerordentlich inhaltsreich sind, geben sie, da viele nur an bloe Bekanntschaften Ficinos gerichtet sind, sicher nur einen schwachen Abglanz der Gesprche wieder, die unter so bedeutenden Mnnern in der Akademie gefhrt worden sein ms-sen. Sie waren eine geistige Gemeinschaft, zusammengeschweit durch gegenseitige Liebe und Liebe zu Ficino. Er war ihr Mittelpunkt, sie waren der Mittelpunkt der Renaissance.

    Der Entschlu des Cosimo de' Medici, eine platonische Akademie zu errichten, stammt aus dem Jahr 1439, und Ficino schreibt, er sei dazu ausersehen worden, sie zu leiten, als er noch ein Jngling war. Cosimo war zu diesem Entschlu durch die Ankunft des Gemistos Plethon in Italien bewogen worden, der mit dem griechischen Kaiser und Patriar-chen nach Florenz gekommen war, um auf dem dortigen Konzil den Vorschlag einer Union der griechischen und rmischen Kirche zu err-tern. Plethon war in der Philosophie Platos so zuhause, da seine Zeit-genossen ihn als Wiederverkrperung des groen Philosophen bezeich-neten. Doch sollte es noch bis zum Jahr 1462 dauern, bis Cosimo Fici-no das Landhaus in Careggi berlie, in dem dann die Akademie einge-richtet wurde. Sie lag am Sdhang des Montevecchio und blickte auf die Villa Medici in einiger Entfernung hinab.

    Ficino wurde am 19. Oktober 1433 in Figline im Arnotal geboren. Sein Vater Diotifeci war der Leibarzt Cosimos de' Medici. Von seiner Mut-ter Alessandra wissen wir kaum etwas, auer da Ficino ihr groe Ver-ehrung entgegenbrachte und da sie offenbar die Gabe des zweiten Gesichts besa. Sie erreichte ein hohes Alter und starb erst etwa ein Jahr vor Ficino. In spteren Jahren sorgte Ficino fr seine Eltern. ber die Zeit seiner Ausbildung ist wenig bekannt, nur die Namen seiner ersten Lehrer, und da er an der Universitt Florenz unter dem Aristo-

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  • teliker Niccol Tignosi studierte. Man wei nicht mit Sicherheit, wann Ficino zum erstenmal auf die Schriften Platos stie. Aber da Cosimo de' Medici fr Plato begeistert war, zumindest seit 1439, und Ficino selbst schreibt, er habe mit Cosimo (der 1464 starb) mehr als zwlf Jah-re lang mit groem Gewinn ber Philosophie gesprochen, mu es sp-testens 1452 gewesen sein. Ficino lernte erst spt Griechisch und mute sich daher, was seine Kenntnis Platos betrifft, zunchst auf lateinische Autoren und die wenigen Dialoge, die schon bersetzt waren, sttzen. Sein erstes Werk (1456), die Institutiones Platonicae (heute verschollen), beruhte auf diesen Quellen. Als Cosimo es gelesen hatte, riet er ihm, nichts zu publizieren, bis er selbst Griechisch lesen konnte. Doch zeigt der Brief in diesem Band ber die Gttliche Begeisterung, der im fol-genden Jahr verfat wurde, mit welcher berzeugungskraft und Wort-gewalt er damals schon schrieb. Antoninus, Erzbischof von Florenz und Kanzler der Universitt, den Ficino sehr bewunderte, riet ihm et-wa zu dieser Zeit, weniger Plato und mehr Thomas von Aquin zu stu-dieren. Vielleicht beschftigte sich Ficino daraufhin tatschlich mehr mit dem Aquinaten, ber den er sich betrchtliche Kenntnisse erwarb, aber dadurch wurde seine Begeisterung fr die platonische Tradition in keiner Weise vermindert.

    Schon 1462 legte er seine ersten lateinischen bersetzungen griechi-scher Autoren vor, unter anderem die Orphischen Hymnen und Die Gathas des Zoroaster. Im folgenden Jahr beendete er eine bersetzung der Hermetischen Schriften, die dasjenige seiner Werke werden sollten, das die hchsten Auflagen erreichte. Hierauf nahm er die bersetzung der Platonischen Dialoge wieder auf und beendete sie 1469. 1468 wurde er krank und fiel in tiefe Melancholie. Sein einziger Freund Giovanni Cavalcanti riet ihm daraufhin, sich selbst dadurch zu heilen, da er einen Dialog ber die Liebe schrieb. Das ist der Kommentar Ficinos ber Platos Symposion: De Amore. In diesem Werk schildert er, wie die Schpfung durch den Strom der Liebe ins Dasein gerufen, erhalten und wieder zu ihrer Quelle zurckgefhrt wird. (Diese Bewegung der Schpfung wurde durch die Rolle der Grazien in der Kunst der Renais-sance illustriert.) Im folgenden Jahr begann Ficino die Platonische Theo logie oder die Unsterblichkeit der Seelen. Es war sein Hauptwerk. Es sollte auf achtzehn Bcher anwachsen und nahm seine Arbeitskraft fr

    II

  • die nchsten fnf Jahre in Anspruch. In seiner Beweisfhrung ber die Unsterblichkeit der Seele zeigte er, da die Kultur des Abendlandes nur eine Quelle besitzt, eine Einheit, die aus zwei Grundelementen besteht: der jdisch-christlichen Religion und der griechischen Philosophie.

    1473 wurde Ficino Priester und begann im selben Jahr mit dem Werk Die christliche Religion. In diesem Werk legt er, neben der Gttlichkeit der menschlichen Seele, den Nachdruck auf die persnliche Beziehung zwischen Mensch und Gott, wie er sie so schn auch im vierten Brief ausgedrckt hat. In diesem Buch schreibt er vom Menschen: Der Mensch achte sich selbst als Bildnis der Gottheit. Er hege die Hoff-nung, wieder zu Gott aufzusteigen, sobald die gttliche Majestt sich herablt, zu ihm hinabzusteigen. Er liebe Gott von ganzem Herzen und verwandle sich dadurch in ihn, der sich in seiner einzigen Liebe so wunderbar in einen Menschen verwandelt hat. (Opera Omnia, S.22-23)

    Der Christlichen Religion schlossen sich zahlreiche krzere Abhand-lungen an. Von 1484 bis 1492 beschftigte sich Ficino mit der berset-zung und Kommentierung des Philosophen Plot in (24-27 n. Chr.) und seinen Nachfolgern Porphyrius und Proklus. 1489 verffentlichte er das medizinische und astrologische Werk Die drei Bcher des Lebens und vollendete 1492 seine bersetzung des Dionysios Areopagita. 1495 publizierte er die Briefe. 1496 wurden seine Kommentare ber Plato ge-druckt und 1497 seine bersetzung des Jamblichus. Sein letztes, heute noch vorhandenes Werk, ist ein unvollendeter Kommentar ber den Brief des Paulus an die Rmer.

    Giovanni Corsi, Ficinos Biograph Anfang des 16. Jahrhunderts, schil-dert sein Aussehen und seinen Charakter: Er war klein von Gestalt, zart und an beiden Schultern etwas buckelig. Er sprach zgernd und stotterte beim S. Aber es fehlte ihm nicht an Anmut. Beine, Arme und Hnde waren wohlproportioniert. In seiner Haltung brachte er Milde und Freundlichkeit zum Ausdruck. Seine Gesichtsfarbe war rt-lich, und die blonden Locken fielen ihm reich in die Stirn. Nach Cor-si war Ficino von schwacher Gesundheit. Indessen besserte sich sein Befinden nach seinem 45. Lebensjahr. Er sagt, Ficino sei in Gesellschaft

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  • frhlich, wenn er aber allein war, melancholisch gewesen. Diese Melan-cholie verzehrte er durch unaufhrliches Arbeiten bei Nacht. Sein Temperament war milde. Doch konnte er, wenn ihm die Galle hoch-kam, in jhen Zorn ausbrechen, der wie ein Blitz schnell wieder er-losch. Bereitwillig verga er erlittenes Unrecht. Aber niemals verga er die eigenen Pflichten. Ausbrchen sinnlicher Leidenschaft gab er sich nicht hin, doch von Liebe war er, wie Sokrates, schnell entflammt und pflegte auf sokratische Art mit jungen Leuten ber die Liebe zu spre-chen und zu debattieren. Zeit seines Lebens begngte er sich mit be-scheidener Kleidung und schlichtem Hausrat. Seine Mahlzeiten waren schmackhaft, aber nicht ppig, denn jede Genusucht war ihm fremd. Auf die Bedrfnisse des Leibes achtete er sorgsam. Er a wenig, trank aber den vorzglichsten Wein.

    Fr Ficino war Selbstzucht eine fr das geistige Leben entscheidende Bedingung. Dem Beispiel des Pythagoras folgend war er Vegetarier, der seine Anhnger ermunterte, kein gekochtes Fleisch zu essen und das ganze Jahr ber mit der Sonne, oder ein bis zwei Stunden vorher, auf-zustehen. Er fhrte ein abstinentes, enthaltsames Leben und erklrte in einem langen Brief in Buch VIII, warum das so wichtig sei. Doch ob-wohl er so sehr von der Notwendigkeit der Selbstzucht berzeugt war, erhob sich sein Geist weit ber jedes Dogma. Es gab mehrere Wege zur Quelle des Ursprungs, mochte auch der christliche Weg der beste sein. In der Christlichen Religion schreibt er: Die gttliche Vorsehung lt nicht zu, da ein Teil der Welt irgendwann ganz ohne Religion bleibt. Doch lt sie es zu, da die Formen der Religion sich unterscheiden. Vielleicht hat sie solche Unterschiede sogar beabsichtigt [ ... ] Gott mchte lieber berhaupt verehrt werden, sei es auch in unangemesse-ner Form, als, wegen des menschlichen Stolzes, gar nicht.

    Ficinos Akademie machte Europa auf die tiefe Bedeutung der platoni-schen Tradition aufmerksam. Seine Briefe an hervorragende Partner auf dem ganzen Kontinent beziehen sich direkt auf dieses Ziel. Unter seinen Partnern befinden sich z.B. Colet, Dekan an der St. Paul's Cathedral und Grnder der St. Paul's School in England. Er schrieb auch an de Ganay, Kanzler des Parlaments in Frankreich, und an den Humanisten Reuchlin in Deutschland (ber die Bedeutung der Orphi-

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  • schen Hymnen). Knig Matthias von Ungarn lud ihn an seinen Hof mit der Bitte, ihn persnlich in platonischer Philosophie zu unterrich-ten. Ficino lehnte diesen Ruf ab, doch erfllte er die Bitte trotzdem, indem er seinen Anhnger Francesco Bandini schickte, der mehrere Jahre beim Knig verblieb. Am Ende seines Lebens konnte er schrei-ben, wenn auch etwas scherzhaft, da er durch seine Korrespondenz sich ganz Europa in Liebe unterworfen halte.

    Ficino war nicht der erste gewesen, der das Studium Platos und seiner Nachfolger wiederbelebt hatte. Es begann schon mit der Wiederent-deckung der Antike berhaupt, die zur Zeit Dantes oder noch frher erfolgt war, und das Interesse fr das Altertum war mit zunehmender Kenntnis des Griechischen und der immer greren Menge klassischer Manuskripte in Breite und Tiefe gewachsen. Ficino war auch nicht der erste, der zeigte, da die jdische Religion und die griechische Philo-sophie auf eine einzige Quelle zurckgingen, die sich, wie er es sah, bis zu Mose, Zarathustra und Hermes Trismegistos, dem Weisen des alten gypten, zurckverfolgen lie. Aber mehr als jeder andere unterstrich er die Gleichwertigkeit dieser beiden Strmungen europischer Tradi-tion. Er berzeugte seine Zeitgenossen davon, da die rechte Philo-sophie nichts anderes ist als die wahre Religion, und die rechte Religion nichts anderes als die wahre Philosophie. Der sprechendste Beweis fr seinen Einflu ist das Mosaik des Hermes Trismegistos im Dom von Siena.

    Mehr als jeder andere war es auch Ficino, der aus Plato, Plot in und den Hermetischen Schriften die Vorstellung bezog, da ein Teil der Seele des Menschen unsterblich und gttlich ist, eine Vorstellung, die fr die Renaissance von ausschlaggebender Bedeutung war. Denn daraus folg-te, da die Seele in sich die Macht trug alles zu werden, und da der Mensch den Himmel und was in ihm ist, herstellen knnte, wenn er die ntigen Werkzeuge und die Himmelsmaterie erlangt htte. In ge-wissem Sinne wurde das die Philosophie des Zeitalters. Denn in dem Jahrhundert, das der Geburt Ficinos folgte, wurden in den Knsten und Wissenschaften mehr Fortschritte gemacht als im ganzen vorher-gehenden Jahrtausend, whrend die Entdeckungsreisen nach Amerika, Sdafrika und dem fernen Osten die Leistungen in Kunst und Literatur

  • nach auen fortsetzten. Schon befand sich Europa auch an der Schwel-le zum Zeitalter der Wissenschaft, dessen erste Frchte die Erfindun-gen Leonardos und die Entdeckungen Galileis und spter Keplers darstell ten.

    Besonders bedeutsam fr die Wiederbelebung der Religion im nch-sten Jahrhundert war Ficinos Entdeckung der Unsterblichkeit der Seele. Im Mittelalter war diese Lehre von den christlichen Theologen ziemlich vernachlssigt worden. Durch Ficino wurde sie wieder zentral fr das christliche Denken. Er wirkte in dieser Hinsicht um so ber-zeugender, als er allem Anschein nach auch erfahren hatte, worber er in seinen Schriften schrieb. Durchforscht man zeitgenssische Urkun-den, so entdeckt man, wie hufig jetzt ber die Unsterblichkeit der Seele nachgedacht wurde. Und im Lateranischen Konzil des Jahres 1512 wurde diese Lehre per Dekret zum ersten Mal Teil des Dogmas der ka-tholischen Kirche. Diese Aufwertung der individuellen Seele fhrte dann in einem nchsten Schritt zwanglos zu einer persnlichen Bezie-hung zu Gott, einer Frmmigkeit, die dann so charakteristisch fr die Reformen in und auerhalb der katholischen Kirche werden sollte.

    Fr Ficino war die Unsterblichkeit und Gttlichkeit der Seele die Grundlage der Menschenwrde, die die Knstler und Schriftsteller der Renaissance auf so vielerlei Wegen auszudrcken suchten. Mit der Zeit machte sich dieses Ideal in allen Bereichen des Lebens geltend. berall in Europa versuchte, wer Rang und Namen hatte, das Ideal der Schn-heit und Eleganz zu verwirklichen. Die Adligen verlieen ihre Burgen und wohnten jetzt in Husern, die von der Anmut, der Harmonie und dem Lichtbedrfnis der Renaissance zeugten. Die schroffen Trme und engen Straen, die so vielen mittelalterlichen Stdten Italiens ihr Ge-prge gegeben hatten, machten einer grozgigeren Bauweise und Stadtplanung Platz.

    Aber die Wrde des Menschen spiegelte sich nicht nur in Architektur und Kunst, sondern sollte auf jedem Gebiet menschlicher Ttigkeit zum Ausdruck kommen. Ein neues Menschen-Ideal wurde begrndet, als dessen erstes und bestes Muster Ficinos Schler Lorenzo de' Medici gelten konnte. Edel gesinnt, groherzig, mutig, unbedingt zuverlssig,

  • war er fhig, sich ohne bergang von Krieg und Staatsgeschften un-mittelbar der Philosophie, Gelehrsamkeit, Poesie, Musik oder Kunst zuzuwenden und auf jedem Gebiet Groes zu leisten. Gleichermaen auf gutem Fu mit seinen Edlen und seinem Volk, ging seine Autoritt aus seinem Wesen, nicht aus seiner Stellung hervor.

    Was ist die Bedeutung von Ficinos Briefen heute? Zur heutigen Zeit, die offenbar jede Orientierung verloren hat, die weitgehend von Trg-heit, Gier, Gewalt und Korruption bestimmt ist, weisen sie zahlreiche Parallelen auf. Genau mit denselben Problemen mute sich Ficino im 15. Jahrhundert auseinandersetzen. Die Briefe erinnern uns daran, da all diese Mngel nur Folgen von Torheit und Unwissenheit sind, und da die Erfllung des Menschen in seiner Rckkehr zum Ursprung liegt.

    Die Briefe Marsilio Ficinos wurden von ihm in zwlf Bchern heraus-gegeben, die zum ersten Mal im Jahr 1495 in Venedig gedruckt wurden. Die Ihnen vorliegende deutsche bersetzung umfat eine Auswahl der fnfzig wichtigsten Briefe aus dem ersten Buch, das Ficinos Briefwech-sel aus den Jahren 1457 bis 1476 enthlt. Auerdem haben wir zwei Briefe aufgenommen, die von Ficino als >,vorwort fr all seine Briefe und fr die Briefe im ersten Buch der Briefe bezeichnet wurden.

    Wahrscheinlich hat Ficino Ende 1473 damit begonnen, seine Briefe zu sammeln, um sie zu publizieren. In einem Brief an Angelo Poliziano (in unserer Ausgabe Brief 12) fhrt er nmlich in einer Aufzhlung sei-ner Werke auch das philosophische Epistolarium an. Die in dieser Sammlung enthaltenen Briefe hatte er Giuliano de' Medici gewidmet und lie sie daraufhin unter seinen Freunden zirkulieren, wie es in jener Zeit unter Gelehrten blich war. Vermutlich ist er darauf gekom-men, weil unter seinem Namen Briefe kursierten, die nicht von ihm stammten (siehe Brief 9).

    Die gedruckte lateinische Ausgabe des ersten Buches der Briefe wurde noch whrend seines Lebens ins Italienische bersetzt, sehr wahr-scheinlich von Ficino selbst. Im sechzehnten Jahrhundert wurden alle zwlf Bcher von F. Figliucci ins Italienische bertragen (siehe hierzu

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  • die Bibliographie). Der venezianischen Ausgabe von 1495 folgten die Ausgaben in Florenz und Neurenberg. Seine Opera Omnia, die alle Werke Ficinos enthielt, die zu der Zeit bekannt waren, wurden 1561 und 1576 in Basel publiziert.

    Unseren deutschen Text der Briefe haben wir dem 1926 in Berlin her-ausgegebenen Werk von Karl Markgraf von Montoriola - ein Pseudo-nym fr Karl Paul Hasse - Briefe des Mediceerkreises aus Marsilio Ficinos Epistolarium entnommen. Die obenstehende Einfhrung haben wir - abgesehen von einigen Anpassungen an diese deutsche Ausgabe - dem ersten Band der vierteiligen Ausgabe The Letters 0/ Marsilio Ficino, l.ondon, 1975, im Verlag von The Fellowship of the School of Economic Science, l.ondon, entnommen. Ebenso das Bienenkorb-Motiv gegenber dem Titelblatt, sowie die Rubrik Zeitge-nossen Ficinos. Gern mchten wir hier unseren Dank aussprechen fr die Genehmigung.

    Rozekruis Pers

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  • DIE BRIEFE

  • Marsilio Ficino 1433-1499

  • VORWORT ZU DEN BRIEFEN

    Marsilio Ficino aus Florenz grt alle seine Briefe zugleich.

    Sooft ihr, meine Briefe, auf mein Gehei meine Freunde gret, eben-sooft sollt ihr eurem Herzensfreund Girolamo Rossi unsterbliche Gr-e darbieten. Denn ich habe euch zur Sterblichkeit gezeugt und zum baldigen Hinsterben durch irgendein Ungefhr. Girolamo aber, ein lie-bevoll teilnehmender Charakter, hat euch unlngst, wie ich hoffe, zur Unsterblichkeit wiedergeboren. Schon lange nach dem Lichte trach-tend lagt ihr verborgen, und niemand hat euch bisher dem Dunkel ent-rckt. Euer Schicksal oder euer Genius wollte es wohl noch nicht. Nun aber hat unser Rossius, auch fr euch ein Roscius\ denn solche Hingebung hat er stets gegen euren Vater Marsilio gezeigt, auf euch in herzerfreuender Weise seine Liebe erblich bertragen und mit Flei und Mhe dafr gesorgt, da euer schon ganz niedergedrcktes Antlitz durch den Druck wieder neuen Ausdruck erhlt. Gret nun, die ihr bisher traurig wart und jetzt frhlich seid, diesen euren gelehrten und mitfhlenden Wieder hersteller und saget ihm unsterblichen Dank fr das unermeliche Geschenk der Unsterblichkeit.

    1 Fr Funoten zu den Briefen sehe Seite 147.

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  • VORWORT MARSILIO FICINOS AUS FLORENZ ZU SEINEN BRIEFEN, NMLICH ZUM ERSTEN BUCH

    AN DEN HOCHGESINNTEN GIULIANO DE' MEDICI

    Marsilio Ficino entbietet dem hochgesinnten Giuliano de' Medici seinen Gru

    Der groe Cosimo, Dein Ahnherr und mein Gnner, hochgesinnter Giuliano, bediente sich hufig des platonischen Ausspruches, nichts sei der Ausfhrung wichtiger Sachen nzlicher als die Frsprache kennt-nisreicher Mnner; das sicherste Kennzeichen einerseits fr die Gerech-tigkeit und Klugheit sei der Beistand solcher Freunde, und andrerseits fr die Ungerechtigkeit und den Unverstand deren Mangel. Diese gol-dene Lehre unseres Platon hat Cosimo viel mehr durch Handeln als durch Reden in seinem ganzen Leben als richtig erwiesen, er, der so beraus reich war an Besitz, reicher noch an Menschen und am reich-sten an Klugheit und Gerechtigkeit. Was nun aber etwas hchst Selte-nes und Wunderbares ist: auf seinen Sohn und seine Enkel bertrug er als erbliches Vermchtnis diesen ganzen Besitz. Daher erkenne ich in meinem Giuliano jenen Greis wieder, dem allein auer Gott ich mein Wohlergehen verdanke.

    Niemandem knnte ich also in hherem Mae Heil wnschen als Giu-liano, und in diesem Sinne bete und flehe ich tglich zu Gott. Um Dir aber meines Herzens Wunsch und Neigung deutlicher darzutun, be-schlo ich, den ersten Band meiner Briefe an meine Freunde Dir, mei-ner Freunde Knige zuzueignen. So mgen denn alle meine Freunde in der Person meines einen Hauptfreundes vereinigt werden, und m-gest Du jedesmal, wenn Du dem Worte Gru begegnest, den Sinn herauslesen, da Marsilios Gru Giuliano gilt.

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  • I

    DIE SEHNSUCHT NACH GLCKSELIGKEIT

    Cosimo de' Medici entbietet dem Platoniker Marsilio Ficino seinen Gru!.

    Gestern begab ich mich auf mein Landgut zu Careggi, nicht um das Land, sondern um meinen Geist zu bestellen. Komm so bald als mg-lich zu uns, Marsilio. Bringe das Buch unseres Platon ber das hchste Gut mit, das, wie ich glaube, Du nunmehr Deinem Versprechen gem aus dem Griechischen in das Lateinische bertragen hast2 Ich wn-sche nichts sehnlicher als zu erkennen, welcher Weg am bequemsten zur Glckseligkeit fhrt. Sei gegrt, und komme nicht ohne die or-phische Leier.

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  • Cosimo de' Medici 1389-1464

  • 2

    DER WEG ZUR GLCKSELIGKEIT

    Marsilio Ficino entbietet Cosimo dem Groen seinen Gru 1

    Von Herzen gern werde ich, sobald ich irgend kann, zu Dir kommen. Denn was gibt es Holderes, als in Careggi, d.i. dem Lande der Chariten2, mit Cosimo, dem Vater der Huld, zu weilen? Einstweilen vernimm in Krze, welcher Weg bei den Platonikern als der zur Glck-seligkeit bequemste gilt.

    Zwar scheint es mir nicht erforderlich, dem den Weg zu weisen, der schon nahe am Ziel ist; doch hielt ich es fr angemessen, Dir in der Ferne wie in der Nhe zu willfahren. Alle Menschen wollen gut han-deln, d.i. gut leben. Sie leben aber gut, wenn ihnen mglichst viele G-ter zur Verfgung stehen. Gter aber nennt man: Reichtum, Gesund-heit, Schnheit, Kraft, Adel des Geschlechts, Ehren, Macht, Klugheit, auerdem Gerechtigkeit, Tapferkeit, Migung und vor allem andern Weisheit, welche in hherem Mae als alles andere die Wirkungskraft der Glckseligkeit in sich zusammenfat. Die Glckseligkeit besteht ja im glcklichen Erreichen des gewnschten Zieles, und dies leistet fr die jeweiligen Lagen und Fhigkeiten die Weisheit.

    So erlangen die gebten Fltenspieler alles in vollkommener Weise, was zum Spielen der Flte erforderlich ist, die durchgebildeten Grammati-ker, was zum Lesen und Abfassen von Schriftwerken gehrt, die durch Fachkunde ausgezeichneten Steuerleute erreichen ihr Ziel hinsichtlich glcklicher Schiffahrt und Landung; ebenso bringt ein weiser Heerfh-rer alles, was zur Kriegsfhrung gehrt, am sichersten zuwege, und ein weiser Arzt frdert am besten die erwnschte Gesundung des Krpers. Mithin fhrt uns die Weisheit in den einzelnen menschlichen Verrich-tungen nach besten Krften zum Ziel unserer Wnsche ohne Abirren und ohne Tuschung; denn sonst wre sie nicht in Wirklichkeit Weis-heit. Da aber die Weisheit das Erreichen eines Zieles bewirkt, so mu

  • sie notwendig alles vermgen, was zur Erlangung der Glckseligkeit erforderlich ist.

    Auerdem nennt man nur diejenigen glcklich, denen recht viele G-ter zur Verfgung stehen. Jedoch sind diese nicht eher glcklich, als bis ihnen die verfgbaren Gter ntzen, und sie ntzen ihnen niemals, wenn sie nicht von ihnen Gebrauch machen. Denn der bloe Besitz ohne Gebrauch trgt nicht zur Glckseligkeit bei. Aber auch der Ge-brauch gengt nicht, da es auch die Mglichkeit des schlechten Gebrau-ches gibt, aus dem man mehr Schaden erleidet als Nutzen zieht. Wie also zum Besitz der Gebrauch, so mu zum Gebrauch die Richtigkeit hinzukommen, damit man nicht blo gebrauche, sondern auch richtig gebrauche, und diesen rechten Gebrauch im einzelnen vermittelt uns allein die Weisheit.

    Dafr liefern uns die Knste und Handwerke die Beispiele. Dort ma-chen nur die Kundigen vom Stoff und von den Werkzeugen den rech-ten Gebrauch. Eben darum bewirkt die Weisheit den rechten Gebrauch von Reichtum, Gesundheit, Schnheit, Kraft und allen Dingen, die sonst noch als Gter ausgesprochen werden. Mithin ist bei allem Besitz und Gebrauch sowie jeder Verrichtung das Wissen die Ursache des er-folgreichen und rechten Handelns. Denn wer verstandlos viel besitzt und gebraucht, erleidet desto mehr Schaden, je mehr er besitzt und dementsprechend mehr mibraucht. Zweifellos irrt ein Tor desto weni-ger, je weniger er handelt. Je weniger er irrt, desto weniger handelt er schlecht. Indem er weniger schlecht handelt, ist er elend. Sicherlich handelt er weniger, wenn er arm ist anstatt reich, schwach anstatt stark, furchtsam anstatt khn, trge anstatt betriebsam, schwerfllig anstatt behende, beschrnkt anstatt scharfsinnig.

    Folglich sind keine von den Dingen, die oben als Gter angesprochen wurden, an sich solche. Denn wenn sie unter Leitung des Unverstandes stehen, so sind sie noch schlimmer als ihr Gegenteil, insofern sie einem sittlich schlechten Besitzer reichlicher die Hilfsmittel zu Verbrechen liefern knnen; erst wenn Klugheit und Weisheit sie leiten, dienen sie zum Besten. An sich selbst jedoch sind sie weder gut noch schlecht; dem Weisen gelten sie je nachdem als widrig und frderlich: ntzlich

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  • fr den, der rechten Gebrauch von ihnen macht, dem Toren aber das Gegenteil.

    Folglich ist von allen uns gehrigen Dingen die Weisheit allein ein Gu-tes an sich, und die Torheit allein an sich ein bel. Da wir also alle glcklich sein wollen, und die Glckseligkeit ohne den rechten Ge-brauch der Dinge nicht zu erlangen ist, diesen aber das Wissen ge-whrt, so mu ein jeder sowohl mit der Vollkraft der Philosophie wie auch besonders mit frommem Eifer dahin streben, mglichst weise zu werden. So nmlich wird unsere Seele Gott, der die Weisheit selbst ist, am hnlichsten, und in dieser hnlichkeit besteht nach Platons Mei-nung die hchste Stufe der Glckseligkeit.

  • 3 EIN THEOWGISCHES GESPRCH ZWISCHEN GOTT UND DER SEELE

    Marsilio Ficino entbietet Micheie Mercati aus San Miniato, seinem geliebten Mitphilosophen, seinen Gru

    Oft haben wir ber Moral und Natur zusammen philosophiert, gelieb-ter Michele, fter noch ber die gttlichen Dinge. Ich erinnere mich nun, da Du hufig zu sagen pflegtest, sittliche Eigenschaften msse man durch die bung erwerben, die natrlichen Gegenstnde durch die Vernunft zu erforschen suchen und die gttlichen Dinge durch das Gebet von Gott erbitten. Auch las ich bei unserem Platon, das Gtt-liche sei viel mehr bei reinem Lebenswandel durch Offenbarung zu-gnglich als durch Rede und Unterricht lehrbar. Als ich ber dies und hnliches angestrengt nachdachte, wurde ich einmal traurig. Mitraute ich doch schon der Vernunft, hatte aber noch nicht das rechte Vertrau-en zur Offenbarung. Es entstand ein inniges Gesprch zwischen mei-ner Seele und Gott. Ich bitte dich nun, es anzuhren, wenn ich auch der Meinung bin, da Du aus grerer Nhe zu Gott sprichst als ich.

    Gott: ~Tarum hrmst du dich so ab, liebe Seele? Hre endlich auf, mei-ne Tochter, zu weinen! Siehe, ich bin bei dir, dein Vater; ich bin da als deine Arznei und dein Heil.

    Die Seele: 0 da doch mein Vater mir beistehen mge! Ach, wenn ich glauben knnte, da mir eine solche Gabe zuteil werde, ach, wie wrde ich vor Freude auer mir sein! Wie aber dies geschehen mag, das sehe ich nicht. Denn wer mir nur uerlich zur Seite steht, ist nicht mein hchster Vater. Wenn auch der Urheber der Natur, wie ich meine, auch in meinem Innern seine Natur fortgezeugt hat, so ist doch, wer nur in-wendig in mir ist, nicht mein hchster Vater, der ja grer als ich ist; wer aber in mir ist, der ist ohne Zweifel kleiner als ich. Wie aber etwas zugleich in mir und auer mir sein kann, das verstehe ich nicht. Dies also, was fr ein Gast du auch sein magst, dies bedrckt mich schwer,

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  • da ich zwar ohne meinen Vater nicht leben will und doch nicht das Vertrauen habe, ihn zu finden.

    Gott: Hre auf, meine Tochter, mit Weinen, grme dich nicht, meine Tochter! Es ist ja kein Fremder, der mit dir spricht, sondern ein ver-trauterer Hausgenosse als du dir selber bist. Frwahr, ich bin bei dir und in dir zugleich. Bei dir bin ich in der Tat, weil ich in dir bin; ich bin in dir, weil du in mir bist; denn wenn du nicht in mir wrest, wr-dest du nicht in dir sein, ja du wrdest berhaupt nicht sein. Hre auf, meine Tochter, zu weinen, siehe hier deinen Erzeuger! Dein Erzeuger ist, wie an Umfang der allerkleinste, so an Kraft der allergrte; wegen seiner vollkommenen Eingeschrnktheit ist er in allem, wegen seiner ungeheuren Ausdehnung ist er auer allem. Siehe ich bin bei dir, in-wendig und auswendig, die grte Eingeschrnktheit, der kleinste U m-fang. Hier bin ich also, siehst du nicht? Himmel und Erde erflle ich, durchdringe ich, erfasse ich. Ich erflle und werde nicht erfllt; denn ich bin die Flle selbst. Ich durchdringe und werde nicht durchdrun-gen; denn ich bin die Durchdringungskraft selbst. Ich umfasse und wer-de nicht umfat, weil ich das Umfassungsvermgen selbst bin. Ich lasse mich nicht erfllen, um nicht meine Wrde einzuben, weil ich die Flle selbst bin. Ich lasse mich nicht durchdringen, um das Sein nicht aufzugeben, da ich das Sein an sich bin. Ich lasse mich nicht umfassen, um nicht aufzuhren, Gott zu sein, der ich die Unendlichkeit selbst bin.

    Gib acht, siehst du nicht, ich durchschreite alles selbst unvermischt, um die Kraft des berschreitens zu bewahren, der ich die Vollkom-menheit selbst bin. Ich berschreite alles, ohne mich von etwas zu tren-nen, um auch zugleich eindringen zu knnen, und zwar in die Tiefe, und vereinigen zu knnen, der ich die Vereinigung an sich bin, aus der alles Werden und alles Bestehen stammt und zu der alles hinstrebt.

    Warum hast du kein Vertrauen, deinen Erzeuger zu finden, 0 Trin? Unschwer findet man meinen Aufenthalt; denn in mir sind, aus mir werden, durch mich bestehen alle Dinge immer und berall. Und mit unendlicher Kraft dehne ich mich durch die Unendlichkeit aus. Viel-mehr frwahr kann man auf keine Weise finden, wo ich nicht bin.

  • Durch mich besteht ja berhaupt das Wo und heit berall; durch meine Fhrung und Erleuchtung wirkt es und erforscht eines jeglichen Wirken und forscht im Irgendwo. berall wird nur das Gute erstrebt, nur das Wahre gefunden. Ich bin alles Gute, ich bin alles Wahre, suche mein Antlitz, und du wirst leben! Aber rhre dich nicht, um mich zu berhren, der ich die Beharrlichkeit an sich bin! La dich nicht durch die Mannigfaltigkeit zerstreuen, um mich zu ergreifen, der ich die Ein-heit an sich bin. Halte die Bewegung auf, sammle die Vielheit, und so-gleich wirst du mich erreichen, der dich schon lange erreicht hat.

    Die Seele: Ach, so bald verlssest du mich, 0 mein Heil? Warum verls-sest du so auf einmal deine sehnschtige Tochter? Fahre fort, sprich weiter, fahre fort, ich bitte dich, verehrungswrdige Gottheit, ich be-schwre dich bei deiner Majestt, sprich, wenn es dir beliebt, ausfhr-licher, was du nicht bist, mein Vater, damit ich wieder auflebe! Was bist du wiederum, mein Vater, damit ich lebe?

    Gott: Nicht die krperliche Natur ist dein Erzeuger, meine Tochter. Um so viel besser nmlich bist du, je mehr du deinem Erzeuger gehor-sam bist; desto edler bist du, je mehr du dem Krper widerstehst. Gut ist fr dich die Gemeinschaft mit dem Vater; schlecht ist fr dich die Gemeinschaft mit dem Krper. Nicht irgendein Seelenwesen erzeugte dich, 0 Seele; sonst wrdest du nicht ber die Seele nachdenken und weder in der Vernderlichkeit der Seelenzustnde Stillstand finden noch nach einer bestndigen Natur trachten. Nicht irgendein vielflti-ger Intellekt schuf dich; sonst wrdest du nicht die hchste Einfachheit erreichen und das Heranreichen an die Intelligenz an sich wrde dich nicht befriedigen. Nun aber steigst du auf zum Leben an sich, zum We-sen an sich, zum absoluten Sein an sich ber jedweden Intellekt hinaus durch Denken und Liebe, und die Erkenntnis gengt dir nur, wenn du gut und das Gute erkennst. Das Gute an sich aber befriedigt ohne Zweifel; denn aus keinem andern Grunde strebst du nach etwas, als weil es gut ist.

    Das Gute an sich also ist dein Schpfer, 0 Seele, nicht der gute Krper, nicht die gute Seele, nicht der gute Intellekt, sondern das Gute. Das Gute, das ja in sich selbst besteht und ber die Grenzen des Subjekts

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  • hinaus unendlich ist, hat auch dir ein unendliches Leben zugeteilt, sei es von Ewigkeit zu Ewigkeit oder sei es wenigstens von einem be-stimmten Anfang an in Ewigkeit. Begehrst du, das Antlitz des Guten zu schauen? Wirf deinen Blick auf die ganze vom Sonnenlicht erfllte Welt! Betrachte das Licht in der Welt materie, wie es erfllt ist von allen Formen aller Dinge und dazu beweglich, nimm die Materie fort und la das brige bestehen. Dann hast du die Seele als unkrperliches, all-frmiges, vernderliches Licht. Nimm wiederum ihm die Beweglich-keit, dann hast du die Stufe der Engelsintelligenz erreicht: unkrper-liches, allfrmiges unvernderliches Licht. Entziehe dieser die Mannig-faltigkeit, durch welche sie jeder vom Lichte verschiedenen Form und anderswoher dem Lichte eingegossen ist, so da die Wesenheit des Lichtes und jeder Form dieselbe ist, und das Licht sich selber formt und durch seine Formen alles formt. Dieses Licht leuchtet unendlich, weil es aus seiner eigenen Wesensart leuchtet und durch keines anderen Dinges Beimischung getrbt oder eingeschrnkt wird. Durch alle Din-ge erstreckt es sich, weil es in keinem ist; in keinem ist es eigentlich, damit es gleichermaen alle durchleuchten kann. Es lebt aus sich und verleiht jedwedem Wesen Leben, whrend sein Schatten, nmlich die-ses Sonnenlicht hier, allein in der Krperlichkeit Leben spendet. Es ist im Besitz jeder sinnlichen Wahrnehmung, die es auch verleiht, da ja sein Schatten allen Wesen alle Sinne aufschliet. Es liebt alle Einzel-dinge, da ja alle im hchsten Mae sein sind.

    Was also ist das Sonnenlicht? Gottes Schatten. Was also ist Gott? Gott ist die Sonne der Sonne, das Sonnenlicht ist Gott im Weltkrper, Gott ist das Sonnenlicht ber den Engelsintelligenzen. So beschaffen ist mein Schatten, 0 Seele, da er das Schnste aller krperlichen Dinge ist. Wie glaubst du, da mein Licht beschaffen sei? Wenn mein Schat-ten also leuchtet, wie stark glaubst du, da mein Licht leuchtet? Du liebst allerwege das Licht ber alle Dinge; sprich, liebst du es allein? Liebe mich allein, 0 Seele, allein das unendliche Licht, mich, das Licht, sage ich, liebe unendlich! Alsbald wirst du leuchten und unendliche Freude genieen.

    Die Seele: 0 Wunder, welches die Bewunderung selbst bersteigt! Welch ein ungewohntes Feuer verzehrt mich jetzt? Welche neue Sonne, und

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  • woher leuchtet sie mir auf? Was fr ein Geist, woher kommt er so ge-waltig und s und sticht, durchsuselt, beit, liebkost, reizt und er-fllt mit Wollust mein Mark? Was fr bittere Sigkeit ist das? Es ist nicht auszudenken, welch ein bitterses Gefhl mich zerschmilzt und mein Inneres entnervt. Im Vergleich zu ihm, wenn es fort ist, erscheint mir selbst das sonst Seste herb. Welche herbe Sigkeit, die mich, da ich zerrissen bin, wieder zusammenleimt und wieder ganz macht, und durch die mir auch das Bitterste s ist! Was fr ein notwendiger Wille ist dies, da ich das Gute an sich nicht wollen kann und alles an-dere eher zu meiden und fern zu halten vermag als die Begier nach dem Guten. Denn wenn ich auch diese meiden wollte, weil ich das Meiden selbst fr gut hielte und es deshalb versuchen wrde, wie freiwillig ist wiederum diese Notwendigkeit. Da nichts freier gewollt ist als das Gu-te, um dessenwillen ich alles, ja das ich in allen Dingen berall will und so will, da ich berdies noch wollen mchte, nicht wollen zu knnen, welcher lebendige Tod ist das - wer kann es ausdenken? -, durch den ich in mir sterbe, in Gott lebe, durch den ich dem Tode absterbe, dem Leben lebe, ein Leben lebe und in der Seligkeit selig bin?

    o Wollust, die alle Sinne bersteigt! o Frhlichkeit, grer als die Seele sie fat! o Freude ber alle Vernunft hinaus!

    Ja frwahr, nun bin ich ber die Vernunft hinaus, jedoch nicht ver-nunftlos, da ich ber der Vernunft stehe. Ich bin auer mir, auer mir ber alles Ma, aber ich strze nicht, weil ich aufwrts schwebe. Ganz Verzckung, strebe ich berall hin und zerfliee, und doch zergehe ich nicht, weil mich zu sich sammelt, weil mich mit sich leben lt Gott, der Einheiten Einheit. Frohlocket daher mit mir alle, deren Froh-locken Gott ist.

    Mein Gott ist mir begegnet. Der Gott des Weltalls hat mich umfangen. Der Gott der Gtter strmt nun in mein Mark ein. Schon nhrt mich Gott selbst ganz, und der mich zeugte, gebiert mich neu. Gezeugt hat er die Seele, er bildet sie hher zum Engel, er wandelt sie in Gott. Wie soll ich dir danken, 0 Gnade der Gnaden? Lehre du selbst es mich, Gnade der Gnaden, lehre, ich bitte dich, und gewhre es. Der Dank fr dich, 0 Gott, sollst, mit einem Wort, du, Gott, selbst sein.

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  • 4 GESETZ UND GERECHTIGKEIT

    Marsilio Ficino entbietet den Rechtsgelehrten Ottone Niccolini und Benedetto Aretino sowie den Rittern Piero de' Pazzi und

    Bernardo Giugni seinen Gru

    Ihr redetet mir zu, ich mchte Platons Gesetze in das Lateinische ber-tragen, und eben dazu hat mich der groe Cosimo angespornt. Ich ha-be es nun ausgefhrt und um so lieber, als ich der Ansicht war, der Staat bedrfe mehr vortrefflicher Rechtsgelehrter als tchtiger Kauf-leute oder rzte, und da Minos die Griechen um so viel mehr gefr-dert habe als Galenos als die Seele vorzglicher ist als der Krper oder der Lebensgeist und das ewige Leben vorzglicher als das zeitliche.

    Der Handel kann ja wohl als der Krper, die Heilkunde als der Lebens-geist und das Gesetz als die Seele des Staates gelten, und obgleich es im Staate wohl viele Gesetze gibt, so gibt es doch nicht viele Seelen des Staates. Wie nmlich vielerlei Gewerbe und verschiedene Rangstufen der Brger nicht mehrere Staaten, sondern einen einzigen bilden, wenn sie auf hnliche Art dasselbe Ziel erstreben, so herrscht doch trotz der vielen Verordnungen der Beamten in der Stadt nur ein ffentliches Ge-setz, d.h. eine gemeinsame Richtschnur des rechten Lebens, welche zur ffentlichen Glckseligkeit fhrt.

    Auf dieses Gesetz bereiten Gott und die Natur uns vor, dazu halten die Verordnungen an und daraufhin bildet Gott allein. Denn von dem gttlichen Gesetz stammt einerseits das Gesetz der Himmelskrper, andererseits das Gesetz der Menschen her. Daher haben alle Gesetz-geber teils den einzig wahren Verfasser der gttlichen Gesetze, Moses, gleich Affen nachgeahmt, teils, irgendwie durch einen Wahrheitskern betrogen, unter mannigfachen Vorspiegelungen behauptet, sie htten ihre Gesetze von einem Gott empfangen: der Gesetzgeber der gypter Osiris von Merkur, Zaustrastes bei den Arimaspen von der guten Gott-heit, Xamolxis bei den Skythen von Vesta, Minos aus Kreta und Solon

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  • aus Athen von Jupiter, der Lakedmonier Lykurgus von Apollo, Nu-ma, der Knig der Rmer, von der Nymphe Egeria und Mohammed, der Herrscher der Araber, von dem Engel Gabriel.

    Unser Platon beginnt seine Bcher ber die Gesetze mit Gott, den er den gemeinsamen Begrnder aller Gesetze nennt, was er auch in dem Protagoras betitelten Dialog besttigt, wo er sagt, alle Kunstfertigkeiten, welche dem Lebensunterhalt dienen, seien uns von Prometheus, d.i. der menschlichen Vorsehung, verliehen, das Gesetz aber zum guten und glcklichen Leben von Zeus, d.i. der gttlichen Vorsehung, durch Hermes, d.i. die Engelsinspiration, erteilt worden.

    Ich kann nun, meine Freunde, den Gesetzen des hervorragenden Man-nes meine Bewunderung nicht versagen. Eine gewisse notwendige Ord-nung und Harmonie des Gesetzes besteht ja in den Elementen der Welt, in den animalischen Sften, in der Lebensweise der Tiere, sogar auch im Zusammenhalten der Ruber: denn diese knnten ohne eine gewisse straffe Ordnung nicht gemeinsam hantieren. Was aber sagen wir dazu, da bei den Hllenbewohnern zwar sonst gar keine Tugend besteht und trotzdem dort Gesetz und Gerechtigkeit herrscht, so da die Bsen ihre verdiente Strafe erleiden? Bei den Seligen allerdings sind die sittlichen Tugenden nicht mehr notwendig, welche den irdischen Menschen zur Besnftigung der sinnlich-krperlichen Leidenschaften dienen, von denen diejenigen schon befreit sind, die das selige Leben genieen. Dennoch sind bei ihnen Gesetz und Gerechtigkeit in Kraft, damit je nach Wrdigkeit die einzelnen ihre Belohnung empfangen und behalten. Seid gegrt!

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  • 5 BER DIE GTTLICHE BEGEISTERUNG'

    Marsilio Ficino entbietet Pellegrino Agli seinen Gru

    Am 29. November berbrachte mir mein Vater, der Arzt Ficino, zwei Briefe von Dir nach Figline, einen in Prosa und einen in Versen. Als ich sie las, mute ich unserem Zeitalter von Herzen Glck wnschen, da es einen solchen Jngling hervorgebracht hat, dessen Name und dessen Ruhm es mit Glanz zu erfllen vermag. Frwahr, mein liebster Pellegrino, wenn ich Dein Alter und das, was Du tglich leistest, in Be-tracht ziehe, so freue ich mich nicht nur ber die Prachtwerke meines Freundes, sondern komme aus dem Staunen nicht heraus. Von den Neueren will ich gar nicht reden; ich kann nicht einmal sagen, ob einer von den berhmten Alten, deren Hinterlassenschaft wir verehren, es in Deinem Alter so weit gebracht hat. Ich schreibe dies aber nicht nur Deiner dichterischen Begabung und Deinem Fleie zu als vielmehr jener gttlichen Begeisterung, ohne die, nach Demokrit und Platon, es niemals einen groen Mann gegeben hat. Da Du von dieser, um mich so auszudrcken, inspiriert und vllig hingerissen warst, dafr knnen gewisse erregte Gemtsbewegungen und leidenschaftliche Affekte, die in Deinen Schriften zum Ausdruck gelangen, zum Beweise dienen, und gerade diese Erregung, die nach auen hin zum Durchbruch kommt, nahmen die alten Philosophen zum Beweise in Anspruch dafr, da sich in unseren Seelen eine gttliche Kraft auswirke.

    Da ich aber nun einmal die Begeisterung erwhnt habe, so will ich die Meinung unseres Platon ber diesen Gegenstand mit wenigen Worten und mit der Krze, die ein Brief erfordert, auseinandersetzen, damit Du mit Leichtigkeit erkennen kannst, worin die Begeisterung besteht, in wie viele Teile sie sich zerlegen lt und welcher Gott eine jede Art von Verzckung leitet. Ich bin berzeugt, da diese Betrachtung Dir nicht nur Ergtzen bereiten, sondern auch im hchsten Mae Nutzen bringen wird. Er spricht also die Meinung aus, da unsere Seele, bevor sie in die Krperlichkeit hinabsank - vor ihm vertraten ja schon Py-

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  • thagoras, Empedokles und Heraklit diesen Standpunkt -, in den ber-irdischen Regionen ihren ursprnglichen Wohnsitz gehabt habe, wo sie, wie Sokrates im Phaidros sagt, in der Betrachtung der Wahrheit leb-te und Seligkeit geno.

    Da die eben erwhnten Philosophen von Hermes Trismegistos, dem Weisesten aller gypter, gelernt hatten, da die hchste Gottheit eine Lichtquelle ist, in der die Urbilder aller Dinge, welche sie die Seele nen-nen, aufleuchten, so erschien es ihnen als eine notwendige Folge, da die Seele, welche den ewigen Gottesgeist unaufhrlich betrachtet, auch die Wesenheit aller Dinge mit grerer Klarheit schaue. Die Seele schaute also, sagt Platon, die Gerechtigkeit an sich, sie schaute die Weis-heit, sie schaute die Harmonie und eine wunderbare Schnheit der gttlichen Natur, und alle diese nennt er nun Ideen oder gttliche We-senheiten oder erste Naturen, welche im ewigen Gottesgeiste sind, und durch deren vollkommene Erkenntnis der menschliche Geist, solange er dort lebt, auf selige Art gespeist wird.

    Wenn er aber wegen des Denkens an irdische Dinge und wegen des Trach-tens der Seele nach der Krperlichkeit hinabsinkt, dann soll er auf die-sem Abstieg sogleich aus dem Letheflusse, d.i. das Vergessen des Gtt-lichen, trinken und nicht eher zum berirdischen wieder empor-schweben, aus dem er durch die Last des irdischen Denkens abgestrzt war, als bis er wieder angefangen hat, an jene gttlichen Wesenheiten, die er vergessen hatte, zurckzudenken. Dies aber knnen wir nach der Meinung jenes gttlichen Philosophen durch die Bettigung von zwei-erlei Tugend erreichen, nmlich durch die sittliche Tugend und sodann hauptschlich durch die Betrachtung: die eine von beiden bezeichnet er mit dem allgemein blichen Ausdruck als die Gerechtigkeit und die andere als die Weisheit.

    Daher setzt Sokrates im Phaidon auseinander, da die Seelen mit zwei-fachen Flgeln dem berirdischen zustreben, unter denen er nach mei-ner Meinung diese Tugenden versteht, und da wir sie gleichartig durch die beiden Teile der Philosophie, die ttige und die betrachtende, erlan-gen. Eben darum sagt er auch im Phaidros: Allein der Geist des Philo-sophen gewinnt wieder Flgel. Bei diesem Wiedererlangen der Flgel

  • werde durch deren Kraft die Seele vom Krper fortgezogen: sie schwe-be und strebe dann, des Gottes voll, mit Macht empor zum berirdi-schen. Dieses Fortgerissenwerden nun und dieses Streben nennt Platon die gttliche Begeisterung und teilt sie in vier Teile. Er hlt es nmlich fr ausgeschlossen, da die Menschen sich wieder an das Gttliche er-innern, wenn sie nicht durch gewisse sinnlich wahrnehmbare Abbilder, Schatten sozusagen, dazu veranlat werden.

    Daher behaupten Paulus und Dionysius, die Weisesten der christlichen Gottesgelehrten, da man das Unsichtbare Gottes durch das Geschaffe-ne und hienieden Sichtbare erkenne, und Platon lehrt, die menschliche Weisheit sei das Abbild der gttlichen. Diese Harmonie, welche wir mit menschlichen Stimmen und Musikinstrumenten gestalten, erklrt er fr das Abbild der gttlichen Harmonie und desgleichen die eben-mige Schnheit, die aus der passenden Ineinsbildung der Krperteile hervorgeht, fr das Abbild der gttlichen Schnheit.

    Daher nun, da das Wissen bei keinem, hchstens aber nur bei sehr wenigen Menschen vorhanden ist und auch durch krperliche Sinne ganz und gar nicht begriffen werden kann, kommt es, da Ebenbilder der gttlichen Weisheit bei uns nur in sehr geringer Zahl vorkommen, und wenn sie da sind, unseren Sinnen verborgen und vllig unbekannt bleiben. Eben darum sagt Sokrates im Phaidros, das Bild der Weisheit sei berhaupt nicht mit Augen zu schauen; wre es aber sichtbar, so wrde es einen wunderbaren Liebesdrang zu seinem Urbilde erwecken.

    Hingegen schauen wir mit den Augen das Abbild der gttlichen Schn-heit, den Nachklang der gttlichen Harmonie vernehmen wir durch das Gehr, welche Sinne Platon fr die schrfsten von allen krperlichen hlt. So kommt es, da wir aus der Krperlichkeit, durch die krperli-chen Sinne sozusagen, gewisse Bilder in die Seele aufnehmen und uns so irgendwie an das erinnern, was wir frher erkannt hatten, als wir uns noch auerhalb des krperlichen Kerkers befanden. Durch diese Erinnerung entbrennt die Seele, sie entfaltet ihre Flgel und lutert sich nach und nach allmhlich von dem Denken und den Schlacken des Kr-perlichen; dann wird sie vollends von der gttlichen Begeisterung er-griffw, und zwar werden durch die beiden eben erwhnten Sinne zwei

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  • Arten von Begeisterung hervorgerufen. Nmlich durch den Eindruck der Schnheit, welchen der Gesichtssinn vermittelt, erlangen wir sozu-sagen eine Wiedererinnerung der wahren intelligiblen Schnheit und ersehnen sie mit einer unaussprechlichen geheimen Inbrunst des Geistes.

    Diese nennt Platon mit einem Wort den gttlichen Eros und leitet ihn her aus dem Anblick der krperlichen Bildlichkeit als das Verlangen, zurckzukehren zur Betrachtung der gttlichen Schnheit. Es ist nun die notwendige Folge, da jemand, der in dieser Weise ergriffen wird, nicht nur Verlangen nach jener berirdischen Schnheit trgt, sondern auch an dem Anblick der den Augen zugnglichen Schnheit rechten Gefallen findet. Es ist eben von der Natur so eingerichtet, da, wenn jemand nach etwas Verlangen trgt, er auch an dessen Ebenbilde seine Freude hat; aber Platon erachtet es fr die Eigentmlichkeit einer grob-sinnlichen Anlage und einer verderbten Natur, wenn jemand nur in Be-gier nach den Schattenbildern jener wahren Schnheit entbrennt und allein diese sich den Augen darbietende Scheingestalt bewundert. Er lehrt nmlich, da ein solcher von jener Art von Liebe ergriffen sei, zu deren Gefolgschaft Mutwille und Unkeuschheit gehren, und er definiert sie als unvernnftige und vermessene, nach der sinnlich-krperlichen Form trachtende Wollustbegierde; an einer anderen Stelle definiert er diese Liebe als die Brunst einer Seele, die gewissermaen in ihrem eigenen Krper abgestorben ist und in einem andern lebt. Mithin fhrt, sagt er, die See-le des Liebenden ihr Leben in einem fremden Leibe.

    Dies nehmen die Epikureer auf und definieren die Liebe als ein Streben der Krperchen, welche sie Atome nennen, vollkommen dahin einzu-dringen, woher die Abbilder der Schnheit stammen. In diesem Sinne leitet unser Platon die Liebe von der menschlichen Krankhaftigkeit her und sagt, sie sei mit Sorge und Kmmernis belastet und passe nur fr solche Menschen, deren Geist so von Dunkel erfllt ist, da sie an nichts Hohes, nichts den Durchschnitt berragendes, an nichts auer dem hinflligen und vergnglichen Bilde dieser geringen Krperlich-keit zu denken vermgen.

    Diejenigen hingegen, deren Geist vom Schlamme der Krperlichkeit abgezogen und losgelst ist, sind so veranlagt, da sie zwar, wenn ihnen

  • die schne Form irgendeines Krpers entgegentritt, beim ersten An-blick daran, als an einem Ebenbilde der gttlichen Schnheit, ihre Freude haben, aber, von diesem Abbilde ausgehend, sogleich die Erin-nerung an die gttliche Schnheit wieder erwecken, sie hauptschlich bewundern und wahrhaft begehren und, in glhendstem Sehnen nach ihr entbrennend, aufwrts entrckt werden. Dieses erste Streben zum Emporflug nennt Platon den gttlichen Wahnsinn, die gttliche Rase-rei. Hinsichtlich der Art von Begeisterung, welche, wie gesagt, durch den Gesichtssinn hervorgerufen wird, mge dies gengen.

    Durch das Gehr aber nimmt die Seele die wohllautendsten Harmo-nien und Rhythmen auf und wird durch diese Abbilder gemahnt und angefeuert, mit erhobenem Geist und innigem Gefhl an die gttliche Musik zu denken. Nun ist aber bei den Auslegern Platons von zweier-lei Art gttlicher Musik die Rede. Die eine besteht nach ihrer Meinung im gttlichen Geiste, die andere aber in der Ordnung und Bewegung der Himmelsgewlbe, durch welche die himmlischen Sphren und ku-gelfrmigen Weltkrper einen wunderbaren Zusammenklang hervor-bringen. Beider ist unsere Seele teilhaftig gewesen, bevor sie sich im Krper verschlo; in dieser Finsternis aber bedient sie sich ausgiebig der Ohren gleichsam als kleiner Spalten und nimmt durch sie, wie schon des fteren beschrieben, die Abbilder jener unvergleichlichen Musik in sich auf. Durch diese wird sie hingeleitet zu einer innerlichen stillschweigenden Wiedererinnerung an die Harmonie, welche sie einstmals geno, und sie entbrennt ganz in Verlangen und Sehnsucht nach dem Genu der wahren Musik und mchte zurckfliegen in ihre eigentliche Heimat. Da sie aber dafr keine Mglichkeit sieht, solange sie in diese dstere Herberge des Krpers gebannt ist, so strebt sie, jene nach bestem Knnen nachzuahmen.

    Zweierlei Art dieser Nachahmung aber gibt es bei den Menschen. Die einen nmlich bilden durch harmonische Polyphonie der Stimmen und durch den Klang mannigfacher Instrumente die himmlische Mu-sik nach, und diese nennen wir ganz unbedeutende und gerade noch durchschnittliche Musiker, einige hingegen ahmen mit durchaus ernstem und sicherem Urteil die gttliche und himmlische Harmonie nach und bringen ihre innerste vernnftige begriffliche Bedeutung in

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  • wohlgefgten harmonischen Dichtungen zum Ausdruck: sie sind es, die vom gttlichen Geiste beseelt, herrlich feierliche Gesnge volltnend ihrem Munde entstrmen lassen. Diese von hherem Ernste getragene musikalische Dichtung bezeichnet Platon als die eindrucksvollste Nach-ahmerin der himmlischen Harmonie; denn jene andere kurz zuvor er-whnte oberflchliche Art schmeichelt sich nur durch den ueren Wohllaut der Tne ein. Die Dichtung hingegen bringt durch den har-monischen Wohlklang ihrer Laute und Rhythmen gerade das Eigentm-liche der gttlichen Harmonie in feierlichen Gesngen von - wie der Dichter sagen wrde - delphischem Tiefsinn inbrnstig zum Ausdruck und schmeichelt so nicht nur den Ohren, sondern bringt auch dem Geiste die seste, der himmlischen Ambrosia hnlichste Speise und dringt des-halb wohl in die grere Nhe der Gottheit. Ihren Ursprung aber soll diese dichterische Verzckung von den Musen nehmen. Wer aber ohne die Eingebung der Musen die Schwelle der Dichtung betreten will, in der Hoffnung, sich durch handwerks mige Kunstbung zu einem gu-ten Dichter zu entwickeln, dessen Person ist nach Platons Urteil so nichtig wie seine Dichtung; diejenigen Dichter aber, welche durch berirdische Inspiration und Kraft in Verzckung geraten, sprudeln unter der Einge-bung der Musen oft so gttliche Wendungen hervor, da sie selbst, nach-dem die Begeisterung von ihnen gewichen ist, ihre eigenen Aussprche nicht mehr ganz verstehen.

    Unter den Musen stellt sich nach meiner Meinung jener gttliche Mann die himmlischen Melodien vor; von dem Cantus sollen sie ja die Wohltnenden, Canorae oder Camenae2, genannt werden. Von den Musen also, d.i. den himmlischen Gottheiten und Melodien angeregt, ersinnen die Menschen zu ihrer Nachahmung dichterische Weisen und Rhythmen. Als daher Platon im Staate ber die schnell kreisende Be-wegung der Himmelssphren handelte, sagte er, da den einzelnen Ordnungen die einzelnen Sirenen vorstehen, was nach der Deutung eines Platonikers besagen soll, da durch die Sphrenbewegung den Gttern ein Gesang dargebracht werde. Denn Seiren heit im Grie-chischen: dem Gotte singend. Die alten Gottesgelehrten behaupteten auch, die neun Musen bedeuteten die musikalischen Gesnge der acht Sphren und dazu die eine aus allen acht gebildete Harmonie.

  • N ach dieser Darlegung also stammt die Dichtung aus der gttlichen Begeisterung, diese von den Musen, die Musen aber stammen von Zeus ab. Denn die Seele dieses ganzen Weltalls nennen die Platoniker hufig den Zeus, der Himmel und Erde, die Gefilde der Meereswogen, die leuchtende Mondkugel und die vom Titanenspro erleuchteten Him-melskrper innewohnend belebt. Somit haben auch vom Zeus, als dem Lebensgeist und der Vernunft der ganzen Welt, der ja die Himmels-sphren bewegt und lenkt, auch deren, die Musen genannten, Melodien ihren Ursprung. Daher dichtete jener hochberhmte Platoniker also: Mit Zeus hebe unser Gesang an. Voll ist alles des Zeus, weil ja berall die Weltseele, welche Zeus genannt wird, lebt und webt und alles erfllt und dabei, wie der Pythagoreer Alexander von Milet sagt, den Himmel wie ein Saitenspiel mchtig in Bewegung setzend, die himmlische Har-monie erzeugt.

    Eben darum sang der gttliche Dichter Orpheus: Zeus ist der Anfang und das Ende, Zeus das Haupt, Zeus die Mitte: alles ist aus Zeus ge-boren, Zeus ist der Grundbau der Erde und des sternendurchstrahlten Himmels, Zeus ging hervor als Mann, Zeus als unvergngliche Braut, Zeus ist der Lebensgeist und die herrliche Gestalt aller Dinge, Zeus ist der Meeresgrund, Zeus die Bewegung des unermdlichen Feuers, Zeus ist Sonne und Mond, Zeus ist Knig und Herrscher aller Dinge, der das Licht verbirgt und wieder strahlen lt und mit segenspendendem Geiste seine Gedanken zur Ausfhrung bringt. Hieraus geht hervor, da Zeus inwendig allen Krpern einwohnt und alle belebt, so da das Wort zu Recht besteht: Zeus ist alles Sichtbare, alles in Bewegung Be-findliche.

    Nun folgen noch die brigen Arten der gttlichen Begeisterung, von denen Platon zweierlei unterscheidet, die eine steht in Beziehung zu den Mysterien, die andere, die er die Mantik nennt, zu den zuknftigen Ereignissen. Die erstere definiert er als eine heftige Erregung der Seele zur Erfllung alles dessen, was zum Gtterkult, zur Religion, zur Ent-sndigung und zu den feierlichen heiligen Handlungen gehrt. Dieje-nige geistige Verfassung aber, welche in unwahrer Weise diese Art der Begeisterung nachahmt, nennt er Wahnglauben.

  • Die letztere Art der Begeisterung endlich, die er mit der Mantik gleich-setzt, hlt er fr gleichbedeutend mit einer von gttlichem Hauche in-spirierten Vorahnung; fr diese haben wir als passende Benennung den Ausdruck Divination oder Wahrsagung in Gebrauch. Wenn nun die Seele bei dieser Divination in einen Zustand heftiger Erregung verfllt, so bezeichnet er diesen als Manie. In dieser erhebt sich der Geist ber den Krper und wird durch gttlichen Antrieb erregt. Sieht aber je-mand mehr infolge menschlicher Klugheit und menschlichen Scharf-sinns als durch gttliche Eingebung die Zukunft voraus, so ist nach seinem Urteil eine solche Vorahnung als Voraussicht und Mutmaung zu bezeichnen.

    Aus alledem geht hervor, da es vier Arten der gttlichen Begeisterung gibt: den Eros, die Dichtergabe, die Mysterien und die Mantik. Die un-echte Nachahmung des gttlichen Eros ist die niedere Liebe, der ge-whnliche Zeugungstrieb, etwas durchaus Unsinniges, die schlechte Nachahmung der Dichtergabe, wie gesagt, die alltgliche Musik, die Nachahmung der Mysterien der Wahnglaube und diejenige der Divina-tion die Mutmaung. Die erste Art der Begeisterung schreibt Sokrates bei Platon der Aphrodite zu, die zweite den Musen, die dritte dem Dio-nysos, die letzte endlich dem ApolIon.

    Nun bin ich bei der Beschreibung derjenigen Begeisterung, welche zum gttlichen Eros und zur Dichtergabe in Beziehung steht, mit Ab-sicht etwas weitschweifiger verfahren, und zwar aus zwei Grnden: weil ich nmlich erkannt habe, da Du unter der mchtigen Einwir-kung beider stehst, und damit Du Dir vor Augen hltst, da, was Du schreibst, nicht von Dir ausgeht, sondern von Zeus und den Musen, von deren Gottesgeiste Du erfllt wirst. Darum, mein lieber Pellegri-no, wirst Du gerecht und fromm handeln, wie Du nach meiner Mei-nung bisher getan hast, indem Du der Erkenntnis lebst, da der Urheber und Urgrund alles dessen, was im hchsten Mae gro und edel ist, weder Du bist, noch sonst irgendein Mensch sein kann, son-dern nur die unsterbliche Gottheit. Sei gegrt und glaube mir, da ich Dich ber alles liebe.

    Figline, den 1. Dezember 1457.

  • 6

    loBPREISUNG DER AUSLEGER PLATONS

    Marsilio Ficino aus Florenz entbietet dem Griechen Bessarion, Kardinal von Sabina, seinen Gru

    Hochwrdigster Vater, als unser Platon, wie Dir wohlbekannt ist, sich im Phaidros scharfsinnig und ausfhrlich ber die Schnheit ausgelas-sen hatte, da forderte er von Gott die Schnheit der Seele, welche er die Weisheit und das kostbarste Gold nannte. Dieses Gold, welches Pla-ton von Gott verliehen war, strahlte in Platons Busen, als in der rein-sten Obhut, auf das herrlichste.

    In blendend schne, der Bedeutung nach aber schwieriger verstndli-che Worte und Wendungen gehllt, war es schwer zugnglich und, gleichsam mit einer irdischen Hlle bedeckt, blieb es denjenigen Men-schen verborgen, welche nicht mit den Augen des Luchses begabt waren. Deshalb tuschte vormals die uere Erdschicht einige dem blo-en Schein nachgebende kleinliche Ehrgeizlinge; da sie nicht in den inneren Kern eindringen konnten, verachteten sie den verborgenen Schatz. Als aber jenes Gold in den Schmelzofen gebracht wurde, zuerst bei Plotin, dann bei Porphyr und Jamblichos und endlich bei Proklos, da schwanden in der peinlich scharfen Feuerprobe die Schlacken dahin, und es erstrahlte in solchem Mae, da es den ganzen Erdkreis mit wunderbarem Glanze erfllte.

    Ein so hell leuchtender Strahlenglanz verursachte nun wohl gewissen Nachteulen und Uhus Unbehagen: sie fingen an, den heiligen Schatz unseres Platon nicht nur gering zu schtzen, wie einige in der Vorzeit, sondern - 0 Frevel! - auch zu schmhen, was noch viel schlimmer ist als der Irrtum der Frheren.

    Doch Bessarion, die Leuchte der Akademie, brachte sogleich das fr blde und trbe Augen wirksamste Heilmittel in Anwendung, auf da jenes Gold nicht nur lauter und glnzend sei, sondern auch anfabar

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  • und den Augen unschdlich. Dieses weissagend, uerte einst Platon zum Knig Dionysios, viele Jahrhunderte nach ihm werde eine Zeit kommen, wo die Geheimnisse der Theologie durch die genaueste Un-tersuchung wie das Gold im Feuer gelutert werden wrden. Gekom-men, ja schon gekommen ist dieses Zeitalter, Bessarion, an dem Platons gttliche Majestt seine Freude haben soll und zu dem wir, seine ganze Gemeinde, uns Glck wnschen wollen. Sei gegrt!

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  • 7 ERMUNTERUNG ZUM WISSENSCHAFTLICHEN STUDIUM

    Marsilio Ficino an Antonio de' Pazzi.

    Lorenzo de' Medici rhmt an Dir besonders zwei Eigenschaften: Deine Groherzigkeit und Deinen feinen Geist, und ich pflichte ihm bei. Doch wirst Du, lieber Antonio, bei Deiner Ausbung der Freigebig-keit den Vergleich mit anderen aushalten mssen, bei der Bettigung Deines Geistes hingegen wirst Du nur mit Dir selbst in Vergleich treten, wenn Du Dich in dem gleichen Mae der Wissenschaft beflei-igst, wie Du Dich lngst der Freigebigkeit widmest, und wirst ohne Zweifel bald alle in gleicher Weise durch Deine Gelehrsamkeit berra-gen wie jetzt durch Deine Groherzigkeit.

    Wohlauf nun, liebster Antonio, ich bitte Dich, la Dir Deine eigene Person so angelegen sein, wie Du Dich anderer annimmst. Unser Lo-renzo sagt, da Du nicht nur Gelehrten gegenber freigebig, sondern auch selbst beraus gelehrt bist. Ich glaube es wohl und wnsche Dir Glck. Doch wirst Du mich nicht eher zufriedenstellen, als bis Du Dich ebenso durch Wissen auszeichnest wie durch Hochherzigkeit. Wenn Du also an den Koryphen der Gelehrsamkeit besonderen Gefal-len findest, so strebe dahin, da Du an Dir selber die grte Freude haben mgest!

    Was nun alles in allem von der grten Bedeutung, ja eigentlich ganz und gar die Hauptsache ist, halte Dir, ich bitte Dich, tglich nach Belie-ben vier Stunden frei und widme sie Deinen Freunden. Lerne gut und, ich bitte Dich darum, lerne heute. Wer morgen lernt, der lernt niemals.

    Den 7. November I473

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  • 8

    BEILEIDSSCHREIBEN BEI EINEM TRAUERFALLE

    Marsilio Ficino spricht Sismondo della Stufa sein Beileid aus.

    Wenn ein jeder von uns das hauptschlich ist, was in uns die Haupt-sache ist, was stets als dasselbe bestehen bleibt, wodurch wir uns selbst begreifen, so ist doch gewi die Seele der Mensch selbst und der Leib nur der Schatten des Menschen. Ist also jemand derart von Sinnen, da er den Schatten eines Menschen fr einen Menschen hlt, dann fliet solch ein Armer gleich Narcissus1 in Trnen dahin. Du wirst aufh-ren zu weinen, Sismondo, wenn Du aufgehrt hast, Deine Albiera degli Albizzi in ihrem dunklen Schatten zu suchen, und beginnst, ihrer hel-len Lichtspur zu folgen. Dann wird sie Dir gegen frher desto schner erscheinen, je weiter sie von ihrem hlichen Schatten entfernt ist.

    Scheide, ich bitte Dich, Deine Seele von Dir ab; dort wirst Du Dein Teuerstes, ihre strahlend schne Seele, besitzen. Ja, schwinge Dich ber Deine Seele hinaus zu Gott auf; dort wirst Du die schne Idee betrach-ten, mittels welcher der gttliche Werkmeister Deine Albiera geschaf-fen hatte. Und je grer ihre Wohlgestalt in der Form ihres Bildners ist, mehr als in ihr selbst, mit desto grerer Seligkeit wirst Du sie um-armen. Sei gegrt!

    Florenz, den I. August 1473.

  • 9 DAS loB DER WAHRHEIT

    Marsilio Ficino entbietet dem homerischen Dichter Angelo Poliziano seinen Gru

    Es sind, wie Du sagst, unter meinem Namen Briefe im Umlauf, deren Inhalt mehr sozusagen im Sinne des Aristippos2, zum Teil auch des Lucretius3 gehalten ist als im Geiste Platons. Wenn sie von mir her-rhren, so sind sie nicht derart geschrieben, und wenn sie nicht derart sind, wie ich schreibe, so sind sie von meinen Verleumdern geflscht; denn ich bin seit meinem frhesten Jugendalter, wie jedermann wei, ein Anhnger Platons.

    Durch folgendes Merkmal wird man aber meine Briefe leicht von frem-den unterscheiden: meinen Briefen liegt stets eine Sentenz zugrunde, je nach Magabe meines geistigen Vermgens moralischen, naturphilo-sophischen oder theologischen Gehaltes. Wenn aber bisweilen etwas irgendwie auf die Liebe Bezgliches darin steht, so ist dies in platoni-schem und sittlich reinem, nicht etwa in aristippischem und unzchti-gem Sinne gemeint.

    Kommen Lobsprche vor, so sind sie aufrichtig und dienen gleichzeitig zur Aufmunterung und zur Ermahnung, nicht zur Schmeichelei. berflssige Worte wird man schwerlich finden; denn es war seit An-beginn meiner Studien mein Bestreben, so gedrngt als mglich zu schreiben. In dieser kurzen Lebensfrist berflssiges zu reden, ist eher Sache eines Schnredners (Philologos) als eines Philosophen. Und da es nur wenige gibt, welche viel wissen, so reden die Vielsprecher entwe-der Falsches oder berflssiges oder beides zugleich. Pat dies alles schon nicht zur Manneswrde, so erst recht nicht zum Beruf des Philo-sophen. Sei gegrt!

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  • wrenzo de' Medici 1449-1492

  • 10

    GELEHRTE ZU UNTERHALTEN, BRINGT VORTEIL

    Marsilio Ficino entbietet dem hochgesinnten Lorenzo de' Medici seinen Gru

    Gemeinhin unterhalten alle anderen Reichen ihre Dienerschaft; Du unterhltst die Priester der Musen. Fahre so fort, ich bitte Dich, mein lieber Lorenzo: denn whrend jene Sklaven der Sinneslust sind, bist Du der Musen Wonne. Unter Deiner Fhrung kam der erhabenste Priester der Musen, Homer, nach Italien und fand, so lange ein obdachloser Bettler, bei Dir eine angenehme Heimsttte offen. Du unterhltst in Deinem Hause den homerischen Jngling Angelo Poliziano, der die hellenische Kerngestalt Homers in lateinischer Klangfarbe ausmalen soll. Ja, er ist schon beim Werk und findet in so jugendlichem Alter den rechten Ausdruck, da, wenn man nicht wte, da Homer Helle-ne war, man im Zweifel sein knnte, welcher der ursprngliche und welcher der nachgebildete Homer ist.

    Erfreue Dich, Medizeer, weiter an solchen Malern; denn die anderen Maler schmcken die Wande fr den Augenblick, diese hingegen erh-hen die Hausbewohner in alle Ewigkeit mit Ruhmesglanz.

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  • II

    BER DEN WEISEN UND GLCKLICHEN MANN

    Marsilio Ficino entbietet seinem Mitphilosophen A ntonio Serafico aus San Miniato seinen Gru

    Ich halte denjenigen fr einen weisen und glcklichen Mann, der im Bewutsein, allein von Gott abzuhngen, mitten im Unglck heiter lebt, den weder die Furcht entmutigt, noch der Schmerz peinigt, noch ein Wille verfhrt, noch eine Leidenschaft erhitzt, der im dichtesten Dorngestrpp zarte, schne Blumen sammelt, der aus dem Mist Perlen aufliest und ausgrbt, der im tiefsten Dunkel sieht, der mit Fueisen beschwert und mit Fesseln umstrickt einherluft, als ob er frei und un-gebunden wre, den, mit einem Wort, der Gottesgeist inspiriert hat.

    Ahme also, wie bisher, Pythagoras, Sokrates und Platon nach, die nicht nur im Reden, sondern auch besonders im Handeln selbst bei widri-gem Geschick sich als Philosophen zeigten und die Philosophie mit ganzem Herzen und nicht blo, wie viele andere, mit dem Munde hochhielten. Umsonst treibt Weisheit, lieber Serafico, der fr sich selbst keine Weisheit besitzt. Sei gegrt und bleibe Deinem Charakter treu.

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  • 12

    Es IST BESSER, GUTES ALS VIEL ZU SCHREIBEN

    Marsilio Ficino entbietet dem homerischen Dichter Angelo Poliziano seinen Gru

    Warum fragst Du mich so viel nach den Titeln meiner Bcher, lieber Angelo? Etwa um mich in Deinen Dichtungen zu preisen? Aber Du mut wissen: nicht auf der Menge, sondern auf der Erlesenheit beruht der Ruhm, nicht in der Flle, sondern im Werte besteht das Gute. Oder wnschest Du alles Meinige bei Dir zu haben? Da ja aller Besitz unter Freunden gemeinschaftlich ist, so nimm auf jeden Fall hin, um was Du gebeten hattest.

    Aus dem Griechischen bertrug ich in das Lateinische die Elemente der Physik und der Theologie des Platonikers Proklos, die vier Bcher des Jamblichos aus Chalkis ber die pythagoreische Gemeinde, die mathematischen Schriften des Theon aus Smyrna, die platonischen De-finitionen des Speusippos, den platonischen Abri des Alkinoos, das Trostbuch des Xenokrates ber den Tod, die goldenen Verse und die Sinnsprche des Pythagoras, das Buch des Hermes Trismegistos ber die Kraft und die Weisheit Gottes, smtliche Bcher Platons.

    Auch verfate ich einen Kommentar zu den Evangelien, einen ber das hchste Gut und einen solchen zu Platons Gastmahl ber die Liebe, ferner eine Physiognomik, Abhandlungen ber die platonische Lehre an Cristoforo Landino, die ich spter verbesserte, ein Kompendi-um ber die Anschauungen der Philosophen ber Gott und die Seele, eine konomik, eine Abhandlung ber die Lust, eine ber vier Philo-sophenschulen, eine ber die Groherzigkeit, eine solche ber die Glckseligkeit, eine ber die Gerechtigkeit, eine ber die gttliche Be-geisterung, eine Trostschrift fr Eltern bei dem Hinscheiden ihres Soh-nes, eine Abhandlung ber die Begierde, eine theologische Rede zu Gott, das theologische Gesprch zwischen Gott und der Seele, die TheGlogie ber die Unsterblichkeit der Seelen in achtzehn Bchern,

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  • das Werk ber die christliche Religion, Disputationen gegen die Aus-sprche der Astrologen, die Abhandlungen ber die Entrckung Pauli in den dritten Himmel und ber das Licht, das Kompendium der pla-tonischen Theologie, die Abhandlungen ber das Leben und die Lehre Platons, die fnf Streitfragen ber die Vernunft, das philosophische Epistolarium.

    Mchte ich doch, lieber Angelo, auch ebenso gut wie viel geschrieben haben, damit meine Schriften anderen so lieb und wert seien wie ich Dir und Du mir. Sei gegrt!

  • 13 ERMUNTERUNG ZUM WISSENSCHAFTLICHEN STUDIUM

    Marsilio Ficino entbietet Nicolo degli Albizzi seinen Gru

    Du kennst, lieber Nicolo, das Sprichwort: Nichts ist angenehmer als der Gewinn. Nun aber: welcher Mensch gewinnt? Wer seinen zuknf-tigen Besitz erlangt. Unser Eigentum ist unser Wissen, das brige Sa-che des Glcks. Mgen die armen Menschlein die Reichen beneiden, bei denen nur die Geldlade, nicht die Seele reich ist. Du aber wetteifere mit den gelehrten und tchtigen Mnnern, deren Geist gotthnlich ist. Ermahne Deine Mitschler, da sie der Skylla und der Charybdis aus-weichen, nmlich den Lockungen der Sinnenlust und der verderbli-chen berhitze des Geistes, der sich mehr in Mutmaungen ergeht als Wissen erwirbt. Sie sollen daran denken, da ihnen einst die hchste Wonne die sein soll, welche ihnen im hchsten Teile der Seele, aus dem allerhchsten Schatze der Wahrheit selbst stammend, geniebar sein wird, wenn sie die Schattenbilder der nichtigen Vergngungen um der Wissenschaft willen verscheucht haben werden. Obwohl der Baum der Wissenschaft scheinbar ein wenig bittere Wurzeln hat, so trgt er doch beraus se Frucht. Sie sollen ferner daran denken, da nie zuviel ge-schieht, was nie geschieht.

    Noch hat nicht genug gelernt, wer noch ber etwas im Zweifel ist; man zweifelt aber, solange man lebt. Wir mssen also lernen, solange uns zu leben bestimmt ist. Als Vorbild diene der weise Solon, der noch sterbend etwas zu lernen strebte; er nhrte sich von der Speise der Wahrheit und Sterben galt ihm als der Beginn eines neuen Lebens. Nie-mals kann sterben, wer von unsterblicher Nahrung lebt.

    Damals erst wurde Sokrates von ApolIon der Weiseste von allen ge-nannt, als er dem Volke zu predigen begann, da er nichts wisse. Pytha-goras gebot seinen Schlern, sie sollten sich nicht bei dem Licht der Lampe, sondern beim Sonnenlicht im Spiegel betrachten. Was ist aber

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  • der Schein der Lampe als ein noch nicht durchgebildeter Geist, und was das Sonnenlicht als ein durchaus gebildeter Geist?

    Wenn man also das Bild seiner Seele im Spiegel betrachten will, so soll man sich nicht mit Ungelehrten, sondern mit den grten Gelehrten vergleichen; denn so wird man deutlich genug erkennen, wieviel man gewonnen hat, und wieviel noch zu gewinnen brig bleibt. Bei der Speisung des Geistes mu man es den Unersttlichen und Gierigen nachtun, die stets das Auge darauf gerichtet halten, was noch brig ist. Was soll ich noch sagen?

    Der Herr des Lebens spricht: Der Pflger, der rckwrts blickt, ist nicht des Lohnes wert.! Du vernahmst auch, da eben darum jenes Weib aus einer Lebenden in ein Steinbild verwandelt ward.2 Du weit auch wiederum, da Orpheus in dem Augenblick die Eurydike, d.i. die Tiefe der Vernunfteinsicht, verlor, als er rckwrts schaute. Untauglich und nichtig ist ein Jger, der rckwrts und nicht vorwrts schreitet. Sei gegrt!

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  • 14 EIN ERNSTES SCHREIBEN AN GIOVANNI: DIE SEELE HAT NACH DEM TODE ERKENNTNIS, UND ZWAR VIEL DEUTLICHERE ALS IM KRPER

    Marsilio Ficino entbietet seinem einzig geliebten Freunde Giovanni Cavalcanti seinen Gru

    Ich richtete an Dich, mein vortrefflicher Freund, einige Briefe, in de-nen ich eine Art Liebesbriefstil versuchte, der wohl zu unserer vertrau-ten Freundschaft pat und auch der ehrbaren Freiheit eines Sokrates und Platon nicht widerstreitet. Nun aber la uns nach platonischem Brauch nach den Liebesscherzen - es sind eben platonische Einleitun-gen - auf ernste Gedanken kommen. Vernimm nun, was ich einmal mit Bernardo Giugni und Bartolomeo Fortini, durch ihre Gerechtig-keit ausgezeichneten Brgern, ber die vernnftige Seele verhandelt ha-be.

    Zweierlei Zweifel besteht nmlich bei den Menschen hinsichtlich der vernnftigen Seele. Die erste Zweifelsfrage ist, ob der Intellekt sich vom Krper trennen und nach Ablegung des Krpers leben und wirken knne; die zweite, ob er dann Erkenntnis hat, und zwar deutliche oder nicht. Ich werde jetzt darauf in mglichster Krze antworten. Denn diese und hnliche Fragen gelangen in meiner Theologie ber die Un-sterblichkeit der Seelen zur ausfhrlichen Errterung. Ich gebe zu, da der Intellekt viele unkrperliche Dinge denken kann, nmlich Gott, die Engel, die Seelen, die Tugenden, die Verhltnisse der Zahlen, die Ideen, die allgemeinen Begriffe der Dinge. Wie man aber durch das Ge-sicht die unsichtbaren Dinge nicht sehen kann, ebenso kann man we-der durch ein krperliches Organ Unkrperliches denken noch durch eine krperlich an Raum und Zeit gebundene Natur von Materie, Raum und Zeit unabhngige Dinge suchen, erforschen, auffinden und behalten. Wenn nun die vernnftige Seele sich bisweilen, whrend sie den Krper lenkt, derart in sich selbst sammelt, da sie einen Gegen-stand durch sich selbst (spekulativ) zu betrachten vermag, so folgt dar-aus, da sie vom Krper getrennt noch viel mehr und leichter durch

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  • sich selbst zu betrachten imstande ist. Wenn sie durch sich wirken kann, so wird sie auch durch sich sein und leben knnen.

    Um nun zur zweiten Frage zu kommen: deutlicher wird sie dann un-terscheiden, was sich ihr als innerlich erkennbar darbietet, als die Sinne jetzt das ihnen zur uerlichen Wahrnehmung sich Darbietende, we-nigstens um so viel deutlicher, als das Gesicht schneller und schrfer ist als das Gehr und die brigen Sinne. Auch ist das Objekt der Ver-nunft um so viel vorzglicher als das Objekt der Sinnlichkeit, als die Vernunft vorzglicher ist als der Sinn. Da der Vernunft ein groer Vorzug vor der Sinnlichkeit zukommt, das bezweifelt niemand, der von ihren Krften Gebrauch macht: er sieht nmlich, da sie die Rich-terin der Sinne ist und, als etwas Kostbares, nur wenigen zuteil wird und auch spter und seltener zur Ausbung gelangt. Da die Objekte der Vernunft erhabener sind als die Objekte der Sinne, geht daraus her-vor, da jene universal, weit und ewig, diese hingegen partikular, eng und vergnglich sind.

    Dazu kommt noch, da, je mehr der uere Sinn angespannt wird, desto mehr der innere Sinn nachlt, und umgekehrt. Wer nmlich recht aufmerksam sein Gesicht oder sein Gehr auf etwas hinrichtet, der kann sich dabei kaum etwas vorstellen, und wer sich in lebhafte Vorstellungen vertieft, der sieht und hrt kaum, was sich ihm in dem Augenblick uerlich darbietet. Das gleiche Verhltnis besteht ZWl-schen dem Vorstellungsvermgen und dem Intellekt.

    Fr die Seele bestehen in diesem Krper zwei hauptschliche Hinder-nisse: einerseits, da sie in mehrerlei strende Ttigkeiten abgelenkt wird - die mannigfaltigen Ttigkeiten aber behindern und schwchen einander gegenseitig; es ist nmlich sehr schwer, Verschiedenem gleich-zeitig obzuliegen - andererseits, da sie sowohl wegen der Beschaffen-heit dieser niederen Wohnsttte als auch besonders wegen ihrer krperlichen Dienstbarkeit, welche den Menschen auf eine gewisse Zeit zugewiesen, die niederen Verrichtungen bei weitem frher, auf-merksamer und hufiger ausbt als die hheren. Deshalb verfahren wir, wenn wir unkrperliche Dinge betrachten wollen, meistens ohne Kraft u~d erblicken sie nur unklar wie in einem Nebel. Wenn aber die

  • Verrichtungen der Ernhrung, Fortpflanzung, Wahrnehmung und Vorstellung ganz aufhren oder wenigstens nachlassen, dann wird der geistige Blick bis zu dem Grade geschrft werden, da er das Gesehene deutlicher als dieses Licht erkennt. Dann wird die Seele durch sich selbst das intelligible Licht schrfer erblicken als jetzt das sinnliche durch die Glasfenster dieses krperlichen Kerkers; denn sie wird ruhig durch ihre durchsichtige und ganz durchdringende Klarheit die erha-bensten Objekte in dem Lichte der gttlichen Sonne anschauen, wel-ches so hell ist, da neben ihm das Licht dieser Sonne zum Schatten wird und wegen seiner hell strahlenden Reinheit unreinen Augen ver-borgen bleibt, reinen hingegen deutlich offenbar wird. Sie wird sie aber nicht wie gemalte Bilder, sondern als wirkliche Gegenstnde anschau-en, deren Abbilder die brigen Dinge sind.

    Wenn im Schlafe die Tatigkeiten der Bewegung und der ueren Sinne aufhren, dann wird die Einbildungskraft, die sich von den berresten der sinnlichen Eindrcke nhrt, so gestrkt, da sie innerlich Bilder malt, welche gleichsam Wirklichkeiten vorstellen. Was wird also der Intellekt tun, der doch betrchtlich wirkungskrftiger ist als die Einbil-dungskraft, wenn er in ungleich hherem Grade als die Einbildungs-kraft des Trumenden von Hindernissen frei sein und in der Wahrheit und mit der voll entfalteten Vernunftttigkeit die wahren Urbilder al-ler Dinge erblicken wird? Offenbar wird er dann alle Wirklichkeiten in sich selbst auf das genaueste darstellen, oder vielmehr die Bilder aller Wirklichkeiten werden in ihn einstrmen. Aber von wem aus haupt-schlich? Von der Vernunft, der Weltvernunft, will ich sagen, dem Licht der Lichter. Und wie bald wird das wohl geschehen? Auf das geschwin-deste, nmlich sofort. Denn auf Grund einer gewissen Verwandtschaft erleuchtet das sichtbare Licht einen durchsichtigen Krper, sobald als dieser klar und rein geworden ist; sie formt ihn mit ihrer eigenen Form und durch ihre Form mit den Formen aller sichtbaren Gegenstnde.

    Auf hnliche Weise formt das intelligible und das berintelligible Licht, d.i. Gott, die intellektuelle Durchsichtigkeit, sobald als diese klar wird; er formt sie mit seiner eigenen, d.h. der gttlichen Form und durch sie mit den Formen aller intelligiblen Dinge. Er teilt ihr sogleich in dem Mae Lebenswrme und Freude mit, in welchem er sie schon

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  • mit wohltuendem Lichtstrahl durchdrang, und verleiht ihr ein vom Tode freies Leben, wie er ihr ein von der Finsternis geschiedenes Licht eingiet, welches an kein zeitliches Ma gebunden ist. In die Vernunft giet er ein Licht ein, durch das sie aus der Vernderlichkeit der Zeit zur Ruhe der Ewigkeit aufsteigt. Er speist sie aber immer nach ihrem Wunsch mit Gte, reizt im Erfllen ihr Verlangen und erfllt im An-reiz. Dort ist Sattheit ohne bersttigung, wo das Gute ohne bel ist und durch das unendliche Gute auch eine unendliche Aufnahmefhig-keit entsteht. Das unendliche Gute und Schne also, die Quelle unend-licher Gte und Schnheit, reizt und erfllt gleichermaen in alle Ewigkeit.

  • 15 DIE GOTTESGELEHRTEN SIND WACH, DIE BRIGEN TRUMEN

    Marsilio Ficino entbietet seinem einzig geliebten Freunde Giovanni Cavalcanti seinen Gru.

    Es wundern sich manche darber, da wir mit so peinlicher Befolgung seiner Grundstze Platon anhangen, der s