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BRIEFE VON MARSILIO FICINO

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BRIEFE VON MARSILIO FICINO

BRIEFE VON

MARSILIO FICINO

EINE AUSWAHL AUS DEM ERSTEN BUCH DER BRIEFE

1994

ROZEKRUIS PERS - HAARLEM - NIEDERLANDE

Übersetzt aus dem Lateinischen von Kar! Markgraf von Montoriola

Ursprünglicher Titel Epistolae Libri XII, Venetiis, 1495

Das Bienenkorb-Motiv auf dem Titelblatt erscheint auf verschiedenen Ficino-Manuskripten, die für die

Bibliothek von Lorenzo de' Medici illustriert worden waren.

© 1994 ISBN 90 6732 II9 2

ROZEKRUIS PERS - HAARLEM - NIEDERLANDE

INHALTSVERZEICHNIS

EINFÜHRUNG 7

DIE BRIEFE 19

VORWORT FICINOS ZU ALLEN BRIEFEN 21

VORWORT FICINOS ZUM ERSTEN BUCH SEINER BRIEFE 22

1 Die Sehnsucht nach Glückseligkeit 23

2 Der Weg zur Glückseligkeit 25

3 Ein theologisches Gespräch zwischen Gott und der Seele 28

4 Gesetz und Gerechtigkeit 33

5 Über die göttliche Begeisterung 35

6 Lobpreisung der Ausleger Platons 43

7 Ermunterung zum wissenschaftlichen Studium 45

8 Beileidsschreiben bei einem Trauerfalle 46

9 Das Lob der Wahrheit 47

10 Gelehrte zu unterhalten, bringt Vorteil 49

11 Über den weisen und glücklichen Mann 50

12 Es ist besser, Gutes als viel zu schreiben 51

13 Ermunterung zum wissenschaftlichen Studium 53

14 Ein ernstes Schreiben an Giovanni: Die Seele hat nach dem Tode Erkenntnis, und zwar viel deutlicher als im Körper 55

15 Die Gottesgelehrten sind wach, die übrigen träumen 59

16 Die Wahrheit Gottes ist Lichtglanz, Schönheit und Liebe 60

I7 Die Ideen befinden sich nach Platon im göttlichen Geiste 62

18 Die Ursache des Sündigens, die Hoffnung und das Heilmittel 66

19 Die rechte Grenze der Liebe ist der Umgang 67

20 Liebe ohne Religion ist ebensowenig lobenswert wie Religion ohne Liebe 69

21 Über das Ertragen von Unrecht 71

22 Wie man Standhaftigkeit gegenüber Schicksalsschlägen gewinnt 73

23 Diejenige Freundschaft ist beständig, die von Gott gestiftet wird 75

24 Anmut, Liebe, Treue und Freundschaft 78

25 Die Torheit und das Elend der Menschen I 80

26 Die Torheit und das Elend der Menschen 11 82

27 Die Torheit und das Elend der Menschen III 84

28 Da alles von Gott gut gelenkt wird, muß man auch alles als zum Besten dienend hinnehmen 86

29 Über die Torheit der Menschen und über das wahre Wissen 87

30 Die Vornehmheit, der Nutzen und die Anwendung der Heilkunde 88

31 Mit der Zeit muß man sparsam umgehen 92

32 Ohne Religion ist der Mensch unglücklicher als die Tiere 95 33 Die Antwort auf den Brief über die sparsame Verwendung

der Zeit 96

34 Niemandem, der überhaupt den rechten Willen hat, ist der Zugang zum Guten verschlossen 98

35 Nachahmung ist besser als Lesen 99 36 Über die Charakterfestigkeit 101

37 Über die Musik 102

38 Über das Gesetz und die Gerechtigkeit 105 39 Über die Seele 108

40 Man muß lieber auf die Quellen zurückgehen als auf Rinnsale

41 Gedächtnisregeln 110

112

42 Die Begriffsbestimmungen der Tugenden, ihre Aufgabe und ihr Ziel 114

43 Die drei Führerinnen des Lebens und die rechte Lebensart 116

44 Die Methode des Lehrens, Lobens und Tadelns 117 45 Selbsterkenntnis und Selbstachtung ist von allem das Beste 120

46 Über die Göttlichkeit der Seele und die Religion 122

47 Beileidsschreiben 124

48 Das Wesen der Glückseligkeit, ihre Stufen und ihre ewige Dauer 125

49 Ein theologisches Gebet zu Gott 135

50 Die rhetorische, moralische, dialektische und theologische Lobpreisung der Philosophie 139

FUßNOTEN 147

ZEITGENOSSEN FICINOS 153

KURZE BIBLIOGRAPHIE 159

EINFÜHRUNG

Marsilio Ficino (1433-1499), gebürtig aus Florenz, übte den größten und nachhaltigsten Einfluß auf das gesamte damalige Europa aus. Von ihm und seiner Akademie erhielt die Bewegung der Renaissance die stärk­sten geistigen Impulse. Die Schriften Platos und seiner Schüler enthiel­ten für den Menschen entscheidendes Wissen: Das Wissen um sich selbst, das heißt das Wissen um das göttliche, unsterbliche Prinzip im Menschen. Es zeigt sich in Ficinos Briefen, daß er dieses Wissen aktuell erfahren hatte. Aber nicht nur dies: Er besaß auch das Charisma, den lebendigen Glauben an dieses Ideal in seinen Zeitgenossen zu entzün­den. Allem Anschein nach zog es ihn weniger in die Ferne als die Men­schen sonst. In seinem 66jährigen Leben setzte er höchstwahrschein­lich niemals einen Fuß auf Gebiete außerhalb von Florenz, und ein Überblick über sein Leben enthält kaum mehr als die Chronik seiner Bücher. Und doch scharte sich um ihn als den Leiter seiner Akademie ein Kreis der glänzendsten Köpfe, die sich jemals im neuen Europa zu­sammengefunden hatten. Es waren die Männer, die die Renaissance ver­körperten: Lorenzo de' Medici, Poliziano, Landino, Pico della Miran­dola. Unmittelbar beeinflußt von Ficino waren auch die großen Künst­ler der Renaissance: Botticelli, Michelangelo, Raffael, Tizian, Dürer und viele andere.

Es ist schwer, den Geist genauer zu fassen, in dem Ficino nicht nur so viele große Männer in Florenz an sich band, sondern auch führende Staatsmänner, Gelehrte und Kirchenmänner aus ganz Europa, im per­sönlichen Kontakt und durch Briefwechsel, an sich zog. Ficinos Aka­demie in Careggi wurde schon zu seinen Lebzeiten zum Wallfahrtsort. Aus den Briefen lassen sich vier Gründe dafür angeben: I. Die Liebe, mit der er alle umfaßte, die sich ihm näherten. 2. Die Weisheit, mit der er seinen Brief- oder Gesprächspartnern tief ins Herz blicken und sie dort berühren konnte, wo ihre besten Talente auf Entfaltung warteten;

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3. erkannte er offenbar klar, wie sich die jeweiligen Wirksamkeiten sei­ner Partner zum göttlichen Prinzip im Menschen und auch zu ihrer Funktion im Staat verhielten; 4- zeichnen sich die Briefe durch eine Art Zeitlosigkeit aus. Ficino scheint zu uns Heutigen ebenso klar zu sprechen wie zu seinen Zeitgenossen im Florenz des 15. Jahrhunderts. Fast nirgends stößt man in den Briefen auf die zahllosen kleinen Ent­täuschungen und Freuden des Alltags, wodurch Briefe sonst meist schon veraltet sind, bevor überhaupt die Tinte getrocknet ist. Er war ein Mann des Geistes im wahrsten Sinne des Wortes, weitgehend unab­hängig von Schicksalsschlägen und den Bedürfnissen des Körpers. Die Ruhe und Stärke, die von ihm ausstrahlten, übertrugen sich auf alle, die ihm zuhörten. So gestaltete sich zum Beispiel einmal ein Treffen von Briefpartnern, die sich versammelten, um einen Kreuzzug gegen die Türken zu diskutieren, extrem deprimierend. Zu diesem Zeitpunkt stellten die anscheinend unbesiegbaren Türken eine ernste Bedrohung für Europa dar. Ficino aber griff zu seiner Leier und gab der Gesell­schaft durch seine Musik Zuversicht und Stärke zurück.

Offensichtlich war Ficino in jeder Kunst zuhause und schien in sich das Ideal der Renaissance vom Universalmenschen zu verkörpern. In erster Linie war er Philosoph, wirkte aber auch als Gelehrter, Arzt, Musiker und Priester. Als Gelehrter übersetzte er, neben seinen eige­nen Werken, den ganzen Plato und viele klassische Schriften der plato­nischen Tradition ins Lateinische. Er tat das unglaublich schnell, und trotzdem waren seine Übersetzungen so gut, daß sie als Standardausga­ben galten, bis im 19. Jahrhundert Übersetzungen in den jeweiligen Na­tionalsprachen erschienen. Seine Fähigkeiten als Arzt waren eminent, und viele, einschließlich der Medici, zogen seine Dienste denen aller anderen verfügbaren Ärzte vor. In Übereinstimmung mit den Prinzi­pien des Hippokrates nahm er auch niemals ein Honorar. Als Musiker war ihm vor allem daran gelegen, eine Stimmung der Hingabe in den Menschen zu erzeugen, und seine Zeitgenossen bestätigen, daß ihm das außerordentlich gut gelang. Als sich einmal Bischof Campano auf der Durchreise durch Florenz befand, bezauberte ihn Ficino, indem er orphische Hymnen sang und sich auf der Leier dabei begleitete. In einem Brief sagt Campano: »Es war, als ob der gelockte Apoll selbst die Leier zur Hand genommen hätte und seinem eigenen Liede erlag.

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Göttlicher Wahnsinn! Feuer in den Augen ... erschließt sich ihm eine Musik, die er nicht so einfach erlernt haben konnte.«

Die bildende Kunst war für Ficino von besonderer Bedeutung. Ihre Aufgabe war es für ihn, die Seele dadurch an ihren Ursprung in der göttlichen Welt zu erinnern, daß sie Zeichen schuf, die auf diese Welt hinwiesen. Vor allem dem Nachdruck, mit dem Ficino auf die Bedeu­tung der bildenden Kunst hinwies, war es zu verdanken, daß das An­sehen des Malers in Florenz allmählich dem des Dichters gleichkam, während er vorher im Rang eher den Handwerkern zugeordnet wor­den war. »Malen« als Bild ist Ficinos häufigste Metapher. Er selbst hatte die engsten Beziehungen zu den Brüdern Pollaiuolo und nahm starken Einfluß auf das Gemälde Botticellis »Primavera«. In seinem Buch Die Platonische Theologie schildert er, was den Maler bei der Schaffung eines Gemäldes als erstes bewegt. Er schreibt: »In einem einzigen Au­genblick erschien das ganze Gemälde vor dem geistigen Auge des Apel­les und erweckte in ihm den Wunsch, es zu malen.«

1473 wurde Ficino Priester und später Kanonikus am Dom von Flo­renz. Der Priesterberuf war für ihn der höchste. Der Priester wirkte als Stellvertreter Gottes und vollbrachte dessen Werk unter den Menschen. Corsi erzählt, daß die Menschen nur so strömten, wenn Ficino im Dom predigte, und von seinen Predigten über die Evangelien begeistert waren. Er scheute sich auch nicht, Briefe an die Leiter der großen Or­den und einmal sogar an den Papst selbst zu schreiben, um auf die Er­füllung ihrer Pflichten zu drängen, zu einer Zeit, wo Korruption in der Kirche gang und gäbe war. Ficino schrieb aber auch an Anwälte, Red­ner und andere. Seine Briefe hatten Autorität, weil er alle Tätigkeiten des Menschen stets auf das eigentliche Ziel des Menschen bezog: zu sei­nem göttlichen Ursprung zurückzukehren.

So nimmt es nicht wunder, daß Ficino, obwohl Florenz das Zentrum so vieler genialer Männer war, zum Lehrer des Lorenzo de' Medici be­stellt wurde, der 1469 in der Nachfolge seines Vaters Piero und seines Großvaters Cosimo die Herrschaft in Florenz übernehmen sollte. Lorenzo war ein ungewöhnlich vielseitiger Mann - der hervorragend­ste Staatsmann seiner Tage und Dichter von Rang. Lebenslang war er

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mit Ficino befreundet, und während der Periode, in der diese Briefe ge­schrieben wurden, gelangte diese Freundschaft vielleicht auf ihren Hö­hepunkt. Immer blieb er auch der Akademie und der platonischen Philosophie verbunden, die er als Staatsmann in die Tat umzusetzen versuchte und als Dichter verherrlichte. Das eigentliche Mittel aber, durch das Ficino seinen illustren Hörern Philosophie vermittelte, waren gewiß die Versammlungen der Akademiemitglieder. Obwohl die in diesem Band gesammelten Briefe außerordentlich inhaltsreich sind, geben sie, da viele nur an bloße Bekanntschaften Ficinos gerichtet sind, sicher nur einen schwachen Abglanz der Gespräche wieder, die unter so bedeutenden Männern in der Akademie geführt worden sein müs­sen. Sie waren eine geistige Gemeinschaft, zusammengeschweißt durch gegenseitige Liebe und Liebe zu Ficino. Er war ihr Mittelpunkt, sie waren der Mittelpunkt der Renaissance.

Der Entschluß des Cosimo de' Medici, eine platonische Akademie zu errichten, stammt aus dem Jahr 1439, und Ficino schreibt, er sei dazu ausersehen worden, sie zu leiten, als er noch ein Jüngling war. Cosimo war zu diesem Entschluß durch die Ankunft des Gemistos Plethon in Italien bewogen worden, der mit dem griechischen Kaiser und Patriar­chen nach Florenz gekommen war, um auf dem dortigen Konzil den Vorschlag einer Union der griechischen und römischen Kirche zu erör­tern. Plethon war in der Philosophie Platos so zuhause, daß seine Zeit­genossen ihn als Wiederverkörperung des großen Philosophen bezeich­neten. Doch sollte es noch bis zum Jahr 1462 dauern, bis Cosimo Fici­no das Landhaus in Careggi überließ, in dem dann die Akademie einge­richtet wurde. Sie lag am Südhang des Montevecchio und blickte auf die Villa Medici in einiger Entfernung hinab.

Ficino wurde am 19. Oktober 1433 in Figline im Arnotal geboren. Sein Vater Diotifeci war der Leibarzt Cosimos de' Medici. Von seiner Mut­ter Alessandra wissen wir kaum etwas, außer daß Ficino ihr große Ver­ehrung entgegenbrachte und daß sie offenbar die Gabe des zweiten Gesichts besaß. Sie erreichte ein hohes Alter und starb erst etwa ein Jahr vor Ficino. In späteren Jahren sorgte Ficino für seine Eltern. Über die Zeit seiner Ausbildung ist wenig bekannt, nur die Namen seiner ersten Lehrer, und daß er an der Universität Florenz unter dem Aristo-

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teliker Niccolü Tignosi studierte. Man weiß nicht mit Sicherheit, wann Ficino zum erstenmal auf die Schriften Platos stieß. Aber da Cosimo de' Medici für Plato begeistert war, zumindest seit 1439, und Ficino selbst schreibt, er habe mit Cosimo (der 1464 starb) mehr als zwölf Jah­re lang mit großem Gewinn über Philosophie gesprochen, muß es spä­testens 1452 gewesen sein. Ficino lernte erst spät Griechisch und mußte sich daher, was seine Kenntnis Platos betrifft, zunächst auf lateinische Autoren und die wenigen Dialoge, die schon übersetzt waren, stützen. Sein erstes Werk (1456), die Institutiones Platonicae (heute verschollen), beruhte auf diesen Quellen. Als Cosimo es gelesen hatte, riet er ihm, nichts zu publizieren, bis er selbst Griechisch lesen konnte. Doch zeigt der Brief in diesem Band über die »Göttliche Begeisterung«, der im fol­genden Jahr verfaßt wurde, mit welcher Überzeugungskraft und Wort­gewalt er damals schon schrieb. Antoninus, Erzbischof von Florenz und Kanzler der Universität, den Ficino sehr bewunderte, riet ihm et­wa zu dieser Zeit, weniger Plato und mehr Thomas von Aquin zu stu­dieren. Vielleicht beschäftigte sich Ficino daraufhin tatsächlich mehr mit dem Aquinaten, über den er sich beträchtliche Kenntnisse erwarb, aber dadurch wurde seine Begeisterung für die platonische Tradition in keiner Weise vermindert.

Schon 1462 legte er seine ersten lateinischen Übersetzungen griechi­scher Autoren vor, unter anderem die Orphischen Hymnen und Die Gathas des Zoroaster. Im folgenden Jahr beendete er eine Übersetzung der Hermetischen Schriften, die dasjenige seiner Werke werden sollten, das die höchsten Auflagen erreichte. Hierauf nahm er die Übersetzung der Platonischen Dialoge wieder auf und beendete sie 1469. 1468 wurde er krank und fiel in tiefe Melancholie. Sein »einziger Freund« Giovanni Cavalcanti riet ihm daraufhin, sich selbst dadurch zu heilen, daß er einen Dialog über die Liebe schrieb. Das ist der Kommentar Ficinos über Platos Symposion: De Amore. In diesem Werk schildert er, wie die Schöpfung durch den Strom der Liebe ins Dasein gerufen, erhalten und wieder zu ihrer Quelle zurückgeführt wird. (Diese Bewegung der Schöpfung wurde durch die Rolle der Grazien in der Kunst der Renais­sance illustriert.) Im folgenden Jahr begann Ficino die Platonische Theo· logie oder die Unsterblichkeit der Seelen. Es war sein Hauptwerk. Es sollte auf achtzehn Bücher anwachsen und nahm seine Arbeitskraft für

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die nächsten fünf Jahre in Anspruch. In seiner Beweisführung über die Unsterblichkeit der Seele zeigte er, daß die Kultur des Abendlandes nur eine Quelle besitzt, eine Einheit, die aus zwei Grundelementen besteht: der jüdisch-christlichen Religion und der griechischen Philosophie.

1473 wurde Ficino Priester und begann im selben Jahr mit dem Werk Die christliche Religion. In diesem Werk legt er, neben der Göttlichkeit der menschlichen Seele, den Nachdruck auf die persönliche Beziehung zwischen Mensch und Gott, wie er sie so schön auch im vierten Brief ausgedrückt hat. In diesem Buch schreibt er vom Menschen: »Der Mensch achte sich selbst als Bildnis der Gottheit. Er hege die Hoff­nung, wieder zu Gott aufzusteigen, sobald die göttliche Majestät sich herabläßt, zu ihm hinabzusteigen. Er liebe Gott von ganzem Herzen und verwandle sich dadurch in ihn, der sich in seiner einzigen Liebe so wunderbar in einen Menschen verwandelt hat.« (Opera Omnia, S.22-23)·

Der Christlichen Religion schlossen sich zahlreiche kürzere Abhand­lungen an. Von 1484 bis 1492 beschäftigte sich Ficino mit der Überset­zung und Kommentierung des Philosophen Plot in (2°4-27° n. Chr.) und seinen Nachfolgern Porphyrius und Proklus. 1489 veröffentlichte er das medizinische und astrologische Werk Die drei Bücher des Lebens und vollendete 1492 seine Übersetzung des Dionysios Areopagita. 1495 publizierte er die Briefe. 1496 wurden seine Kommentare über Plato ge­druckt und 1497 seine Übersetzung des Jamblichus. Sein letztes, heute noch vorhandenes Werk, ist ein unvollendeter Kommentar über den Brief des Paulus an die Römer.

Giovanni Corsi, Ficinos Biograph Anfang des 16. Jahrhunderts, schil­dert sein Aussehen und seinen Charakter: »Er war klein von Gestalt, zart und an beiden Schultern etwas buckelig. Er sprach zögernd und stotterte beim »S«. Aber es fehlte ihm nicht an Anmut. Beine, Arme und Hände waren wohlproportioniert. In seiner Haltung brachte er Milde und Freundlichkeit zum Ausdruck. Seine Gesichtsfarbe war röt­lich, und die blonden Locken fielen ihm reich in die Stirn.« Nach Cor­si war Ficino von schwacher Gesundheit. Indessen besserte sich sein Befinden nach seinem 45. Lebensjahr. Er sagt, Ficino sei in Gesellschaft

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fröhlich, wenn er aber allein war, melancholisch gewesen. Diese Melan­cholie »verzehrte er durch unaufhörliches Arbeiten bei Nacht«. Sein Temperament war »milde«. Doch konnte er, wenn ihm die Galle hoch­kam, in jähen Zorn ausbrechen, der wie ein Blitz schnell wieder er­losch. Bereitwillig vergaß er erlittenes Unrecht. Aber niemals vergaß er die eigenen Pflichten. Ausbrüchen sinnlicher Leidenschaft gab er sich nicht hin, doch von Liebe war er, wie Sokrates, schnell entflammt und pflegte auf sokratische Art mit jungen Leuten über die Liebe zu spre­chen und zu debattieren. Zeit seines Lebens begnügte er sich mit be­scheidener Kleidung und schlichtem Hausrat. Seine Mahlzeiten waren schmackhaft, aber nicht üppig, denn jede Genußsucht war ihm fremd. Auf die Bedürfnisse des Leibes achtete er sorgsam. Er aß wenig, trank aber den vorzüglichsten Wein.

Für Ficino war Selbstzucht eine für das geistige Leben entscheidende Bedingung. Dem Beispiel des Pythagoras folgend war er Vegetarier, der seine Anhänger ermunterte, kein gekochtes Fleisch zu essen und das ganze Jahr über mit der Sonne, oder ein bis zwei Stunden vorher, auf­zustehen. Er führte ein abstinentes, enthaltsames Leben und erklärte in einem langen Brief in Buch VIII, warum das so wichtig sei. Doch ob­wohl er so sehr von der Notwendigkeit der Selbstzucht überzeugt war, erhob sich sein Geist weit über jedes Dogma. Es gab mehrere Wege zur Quelle des Ursprungs, mochte auch der christliche Weg der beste sein. In der Christlichen Religion schreibt er: »Die göttliche Vorsehung läßt nicht zu, daß ein Teil der Welt irgendwann ganz ohne Religion bleibt. Doch läßt sie es zu, daß die Formen der Religion sich unterscheiden. Vielleicht hat sie solche Unterschiede sogar beabsichtigt [ ... ] Gott möchte lieber überhaupt verehrt werden, sei es auch in unangemesse­ner Form, als, wegen des menschlichen Stolzes, gar nicht.«

Ficinos Akademie machte Europa auf die tiefe Bedeutung der platoni­schen Tradition aufmerksam. Seine Briefe an hervorragende Partner auf dem ganzen Kontinent beziehen sich direkt auf dieses Ziel. Unter seinen Partnern befinden sich z.B. Colet, Dekan an der St. Paul's Cathedral und Gründer der St. Paul's School in England. Er schrieb auch an de Ganay, Kanzler des Parlaments in Frankreich, und an den Humanisten Reuchlin in Deutschland (über die Bedeutung der Orphi-

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schen Hymnen). König Matthias von Ungarn lud ihn an seinen Hof mit der Bitte, ihn persönlich in platonischer Philosophie zu unterrich­ten. Ficino lehnte diesen Ruf ab, doch erfüllte er die Bitte trotzdem, indem er seinen Anhänger Francesco Bandini schickte, der mehrere Jahre beim König verblieb. Am Ende seines Lebens konnte er schrei­ben, wenn auch etwas scherzhaft, daß er durch seine Korrespondenz sich ganz Europa »in Liebe unterworfen« halte.

Ficino war nicht der erste gewesen, der das Studium Platos und seiner Nachfolger wiederbelebt hatte. Es begann schon mit der Wiederent­deckung der Antike überhaupt, die zur Zeit Dantes oder noch früher erfolgt war, und das Interesse für das Altertum war mit zunehmender Kenntnis des Griechischen und der immer größeren Menge klassischer Manuskripte in Breite und Tiefe gewachsen. Ficino war auch nicht der erste, der zeigte, daß die jüdische Religion und die griechische Philo­sophie auf eine einzige Quelle zurückgingen, die sich, wie er es sah, bis zu Mose, Zarathustra und Hermes Trismegistos, dem Weisen des alten Ägypten, zurückverfolgen ließ. Aber mehr als jeder andere unterstrich er die Gleichwertigkeit dieser beiden Strömungen europäischer Tradi­tion. Er überzeugte seine Zeitgenossen davon, daß »die rechte Philo­sophie nichts anderes ist als die wahre Religion, und die rechte Religion nichts anderes als die wahre Philosophie.« Der sprechendste Beweis für seinen Einfluß ist das Mosaik des Hermes Trismegistos im Dom von Siena.

Mehr als jeder andere war es auch Ficino, der aus Plato, Plot in und den Hermetischen Schriften die Vorstellung bezog, daß ein Teil der Seele des Menschen unsterblich und göttlich ist, eine Vorstellung, die für die Renaissance von ausschlaggebender Bedeutung war. Denn daraus folg­te, daß die Seele in sich die Macht trug »alles zu werden«, und daß der Mensch »den Himmel und was in ihm ist, herstellen könnte, wenn er die nötigen Werkzeuge und die Himmelsmaterie erlangt hätte.« In ge­wissem Sinne wurde das die Philosophie des Zeitalters. Denn in dem Jahrhundert, das der Geburt Ficinos folgte, wurden in den Künsten und Wissenschaften mehr Fortschritte gemacht als im ganzen vorher­gehenden Jahrtausend, während die Entdeckungsreisen nach Amerika, Südafrika und dem fernen Osten die Leistungen in Kunst und Literatur

nach außen fortsetzten. Schon befand sich Europa auch an der Schwel­le zum Zeitalter der Wissenschaft, dessen erste Früchte die Erfindun­gen Leonardos und die Entdeckungen Galileis und später Keplers darstell ten.

Besonders bedeutsam für die Wiederbelebung der Religion im näch­sten Jahrhundert war Ficinos »Entdeckung« der Unsterblichkeit der Seele. Im Mittelalter war diese Lehre von den christlichen Theologen ziemlich vernachlässigt worden. Durch Ficino wurde sie wieder zentral für das christliche Denken. Er wirkte in dieser Hinsicht um so über­zeugender, als er allem Anschein nach auch erfahren hatte, worüber er in seinen Schriften schrieb. Durchforscht man zeitgenössische Urkun­den, so entdeckt man, wie häufig jetzt über die Unsterblichkeit der Seele nachgedacht wurde. Und im Lateranischen Konzil des Jahres 1512

wurde diese Lehre per Dekret zum ersten Mal Teil des Dogmas der ka­tholischen Kirche. Diese Aufwertung der individuellen Seele führte dann in einem nächsten Schritt zwanglos zu einer »persönlichen Bezie­hung« zu Gott, einer Frömmigkeit, die dann so charakteristisch für die Reformen in und außerhalb der katholischen Kirche werden sollte.

Für Ficino war die Unsterblichkeit und Göttlichkeit der Seele die Grundlage der Menschenwürde, die die Künstler und Schriftsteller der Renaissance auf so vielerlei Wegen auszudrücken suchten. Mit der Zeit machte sich dieses Ideal in allen Bereichen des Lebens geltend. Überall in Europa versuchte, wer Rang und Namen hatte, das Ideal der Schön­heit und Eleganz zu verwirklichen. Die Adligen verließen ihre Burgen und wohnten jetzt in Häusern, die von der Anmut, der Harmonie und dem Lichtbedürfnis der Renaissance zeugten. Die schroffen Türme und engen Straßen, die so vielen mittelalterlichen Städten Italiens ihr Ge­präge gegeben hatten, machten einer großzügigeren Bauweise und Stadtplanung Platz.

Aber die Würde des Menschen spiegelte sich nicht nur in Architektur und Kunst, sondern sollte auf jedem Gebiet menschlicher Tätigkeit zum Ausdruck kommen. Ein neues Menschen-Ideal wurde begründet, als dessen erstes und bestes Muster Ficinos Schüler Lorenzo de' Medici gelten konnte. Edel gesinnt, großherzig, mutig, unbedingt zuverlässig,

war er fähig, sich ohne Übergang von Krieg und Staatsgeschäften un­mittelbar der Philosophie, Gelehrsamkeit, Poesie, Musik oder Kunst zuzuwenden und auf jedem Gebiet Großes zu leisten. Gleichermaßen auf gutem Fuß mit seinen Edlen und seinem Volk, ging seine Autorität aus seinem Wesen, nicht aus seiner Stellung hervor.

Was ist die Bedeutung von Ficinos Briefen heute? Zur heutigen Zeit, die offenbar jede Orientierung verloren hat, die weitgehend von Träg­heit, Gier, Gewalt und Korruption bestimmt ist, weisen sie zahlreiche Parallelen auf. Genau mit denselben Problemen mußte sich Ficino im 15. Jahrhundert auseinandersetzen. Die Briefe erinnern uns daran, daß all diese Mängel nur Folgen von Torheit und Unwissenheit sind, und daß die Erfüllung des Menschen in seiner Rückkehr zum Ursprung liegt.

Die Briefe Marsilio Ficinos wurden von ihm in zwölf Büchern heraus­gegeben, die zum ersten Mal im Jahr 1495 in Venedig gedruckt wurden. Die Ihnen vorliegende deutsche Übersetzung umfaßt eine Auswahl der fünfzig wichtigsten Briefe aus dem ersten Buch, das Ficinos Briefwech­sel aus den Jahren 1457 bis 1476 enthält. Außerdem haben wir zwei Briefe aufgenommen, die von Ficino als >,vorwort« für all seine Briefe und für die Briefe im ersten Buch der Briefe bezeichnet wurden.

Wahrscheinlich hat Ficino Ende 1473 damit begonnen, seine Briefe zu sammeln, um sie zu publizieren. In einem Brief an Angelo Poliziano (in unserer Ausgabe Brief 12) führt er nämlich in einer Aufzählung sei­ner Werke auch »das philosophische Epistolarium« an. Die in dieser Sammlung enthaltenen Briefe hatte er Giuliano de' Medici gewidmet und ließ sie daraufhin unter seinen Freunden zirkulieren, wie es in jener Zeit unter Gelehrten üblich war. Vermutlich ist er darauf gekom­men, weil unter seinem Namen Briefe kursierten, die nicht von ihm stammten (siehe Brief 9).

Die gedruckte lateinische Ausgabe des ersten Buches der Briefe wurde noch während seines Lebens ins Italienische übersetzt, sehr wahr­scheinlich von Ficino selbst. Im sechzehnten Jahrhundert wurden alle zwölf Bücher von F. Figliucci ins Italienische übertragen (siehe hierzu

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die Bibliographie). Der venezianischen Ausgabe von 1495 folgten die Ausgaben in Florenz und Neurenberg. Seine Opera Omnia, die alle Werke Ficinos enthielt, die zu der Zeit bekannt waren, wurden 1561 und 1576 in Basel publiziert.

Unseren deutschen Text der Briefe haben wir dem 1926 in Berlin her­ausgegebenen Werk von Karl Markgraf von Montoriola - ein Pseudo­nym für Karl Paul Hasse - Briefe des Mediceerkreises aus Marsilio Ficinos Epistolarium entnommen. Die obenstehende Einführung haben wir - abgesehen von einigen Anpassungen an diese deutsche Ausgabe - dem ersten Band der vierteiligen Ausgabe The Letters 0/ Marsilio Ficino, l.ondon, 1975, im Verlag von The Fellowship of the School of Economic Science, l.ondon, entnommen. Ebenso das Bienenkorb-Motiv gegenüber dem Titelblatt, sowie die Rubrik Zeitge­nossen Ficinos. Gern möchten wir hier unseren Dank aussprechen für die Genehmigung.

Rozekruis Pers

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DIE BRIEFE

Marsilio Ficino 1433-1499

VORWORT ZU DEN BRIEFEN

Marsilio Ficino aus Florenz grüßt alle seine Briefe zugleich.

Sooft ihr, meine Briefe, auf mein Geheiß meine Freunde grüßet, eben­sooft sollt ihr eurem Herzensfreund Girolamo Rossi unsterbliche Grü­ße darbieten. Denn ich habe euch zur Sterblichkeit gezeugt und zum baldigen Hinsterben durch irgendein Ungefähr. Girolamo aber, ein lie­bevoll teilnehmender Charakter, hat euch unlängst, wie ich hoffe, zur Unsterblichkeit wiedergeboren. Schon lange nach dem Lichte trach­tend lagt ihr verborgen, und niemand hat euch bisher dem Dunkel ent­rückt. Euer Schicksal oder euer Genius wollte es wohl noch nicht. Nun aber hat unser Rossius, auch für euch ein Roscius\ denn solche Hingebung hat er stets gegen euren Vater Marsilio gezeigt, auf euch in herzerfreuender Weise seine Liebe erblich übertragen und mit Fleiß und Mühe dafür gesorgt, daß euer schon ganz niedergedrücktes Antlitz durch den Druck wieder neuen Ausdruck erhält. Grüßet nun, die ihr bisher traurig wart und jetzt fröhlich seid, diesen euren gelehrten und mitfühlenden Wieder hersteller und saget ihm unsterblichen Dank für das unermeßliche Geschenk der Unsterblichkeit.

1 Für Fußnoten zu den Briefen sehe Seite 147.

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VORWORT MARSILIO FICINOS AUS FLORENZ ZU SEINEN BRIEFEN,

NÄMLICH ZUM ERSTEN BUCH

AN DEN HOCHGESINNTEN GIULIANO DE' MEDICI

Marsilio Ficino entbietet dem hochgesinnten Giuliano de' Medici seinen Gruß

Der große Cosimo, Dein Ahnherr und mein Gönner, hochgesinnter Giuliano, bediente sich häufig des platonischen Ausspruches, nichts sei der Ausführung wichtiger Sachen nüzlicher als die Fürsprache kennt­nisreicher Männer; das sicherste Kennzeichen einerseits für die Gerech­tigkeit und Klugheit sei der Beistand solcher Freunde, und andrerseits für die Ungerechtigkeit und den Unverstand deren Mangel. Diese gol­dene Lehre unseres Platon hat Cosimo viel mehr durch Handeln als durch Reden in seinem ganzen Leben als richtig erwiesen, er, der so überaus reich war an Besitz, reicher noch an Menschen und am reich­sten an Klugheit und Gerechtigkeit. Was nun aber etwas höchst Selte­nes und Wunderbares ist: auf seinen Sohn und seine Enkel übertrug er als erbliches Vermächtnis diesen ganzen Besitz. Daher erkenne ich in meinem Giuliano jenen Greis wieder, dem allein außer Gott ich mein Wohlergehen verdanke.

Niemandem könnte ich also in höherem Maße Heil wünschen als Giu­liano, und in diesem Sinne bete und flehe ich täglich zu Gott. Um Dir aber meines Herzens Wunsch und Neigung deutlicher darzutun, be­schloß ich, den ersten Band meiner Briefe an meine Freunde Dir, mei­ner Freunde Könige zuzueignen. So mögen denn alle meine Freunde in der Person meines einen Hauptfreundes vereinigt werden, und mö­gest Du jedesmal, wenn Du dem Worte »Gruß« begegnest, den Sinn herauslesen, daß Marsilios Gruß Giuliano gilt.

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DIE SEHNSUCHT NACH GLÜCKSELIGKEIT

Cosimo de' Medici entbietet dem Platoniker Marsilio Ficino seinen Gruß!.

Gestern begab ich mich auf mein Landgut zu Careggi, nicht um das Land, sondern um meinen Geist zu bestellen. Komm so bald als mög­lich zu uns, Marsilio. Bringe das Buch unseres Platon über das höchste Gut mit, das, wie ich glaube, Du nunmehr Deinem Versprechen gemäß aus dem Griechischen in das Lateinische übertragen hast2• Ich wün­sche nichts sehnlicher als zu erkennen, welcher Weg am bequemsten zur Glückseligkeit führt. Sei gegrüßt, und komme nicht ohne die or­phische Leier.

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Cosimo de' Medici 1389-1464

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DER WEG ZUR GLÜCKSELIGKEIT

Marsilio Ficino entbietet Cosimo dem Großen seinen Gruß 1

Von Herzen gern werde ich, sobald ich irgend kann, zu Dir kommen. Denn was gibt es Holderes, als in Careggi, d.i. dem Lande der Chariten2

, mit Cosimo, dem Vater der Huld, zu weilen? Einstweilen vernimm in Kürze, welcher Weg bei den Platonikern als der zur Glück­seligkeit bequemste gilt.

Zwar scheint es mir nicht erforderlich, dem den Weg zu weisen, der schon nahe am Ziel ist; doch hielt ich es für angemessen, Dir in der Ferne wie in der Nähe zu willfahren. Alle Menschen wollen gut han­deln, d.i. gut leben. Sie leben aber gut, wenn ihnen möglichst viele Gü­ter zur Verfügung stehen. Güter aber nennt man: Reichtum, Gesund­heit, Schönheit, Kraft, Adel des Geschlechts, Ehren, Macht, Klugheit, außerdem Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung und vor allem andern Weisheit, welche in höherem Maße als alles andere die Wirkungskraft der Glückseligkeit in sich zusammenfaßt. Die Glückseligkeit besteht ja im glücklichen Erreichen des gewünschten Zieles, und dies leistet für die jeweiligen Lagen und Fähigkeiten die Weisheit.

So erlangen die geübten Flötenspieler alles in vollkommener Weise, was zum Spielen der Flöte erforderlich ist, die durchgebildeten Grammati­ker, was zum Lesen und Abfassen von Schriftwerken gehört, die durch Fachkunde ausgezeichneten Steuerleute erreichen ihr Ziel hinsichtlich glücklicher Schiffahrt und Landung; ebenso bringt ein weiser Heerfüh­rer alles, was zur Kriegsführung gehört, am sichersten zuwege, und ein weiser Arzt fördert am besten die erwünschte Gesundung des Körpers. Mithin führt uns die Weisheit in den einzelnen menschlichen Verrich­tungen nach besten Kräften zum Ziel unserer Wünsche ohne Abirren und ohne Täuschung; denn sonst wäre sie nicht in Wirklichkeit Weis­heit. Da aber die Weisheit das Erreichen eines Zieles bewirkt, so muß

sie notwendig alles vermögen, was zur Erlangung der Glückseligkeit erforderlich ist.

Außerdem nennt man nur diejenigen glücklich, denen recht viele Gü­ter zur Verfügung stehen. Jedoch sind diese nicht eher glücklich, als bis ihnen die verfügbaren Güter nützen, und sie nützen ihnen niemals, wenn sie nicht von ihnen Gebrauch machen. Denn der bloße Besitz ohne Gebrauch trägt nicht zur Glückseligkeit bei. Aber auch der Ge­brauch genügt nicht, da es auch die Möglichkeit des schlechten Gebrau­ches gibt, aus dem man mehr Schaden erleidet als Nutzen zieht. Wie also zum Besitz der Gebrauch, so muß zum Gebrauch die Richtigkeit hinzukommen, damit man nicht bloß gebrauche, sondern auch richtig gebrauche, und diesen rechten Gebrauch im einzelnen vermittelt uns allein die Weisheit.

Dafür liefern uns die Künste und Handwerke die Beispiele. Dort ma­chen nur die Kundigen vom Stoff und von den Werkzeugen den rech­ten Gebrauch. Eben darum bewirkt die Weisheit den rechten Gebrauch von Reichtum, Gesundheit, Schönheit, Kraft und allen Dingen, die sonst noch als Güter ausgesprochen werden. Mithin ist bei allem Besitz und Gebrauch sowie jeder Verrichtung das Wissen die Ursache des er­folgreichen und rechten Handelns. Denn wer verstandlos viel besitzt und gebraucht, erleidet desto mehr Schaden, je mehr er besitzt und dementsprechend mehr mißbraucht. Zweifellos irrt ein Tor desto weni­ger, je weniger er handelt. Je weniger er irrt, desto weniger handelt er schlecht. Indem er weniger schlecht handelt, ist er elend. Sicherlich handelt er weniger, wenn er arm ist anstatt reich, schwach anstatt stark, furchtsam anstatt kühn, träge anstatt betriebsam, schwerfällig anstatt behende, beschränkt anstatt scharfsinnig.

Folglich sind keine von den Dingen, die oben als Güter angesprochen wurden, an sich solche. Denn wenn sie unter Leitung des Unverstandes stehen, so sind sie noch schlimmer als ihr Gegenteil, insofern sie einem sittlich schlechten Besitzer reichlicher die Hilfsmittel zu Verbrechen liefern können; erst wenn Klugheit und Weisheit sie leiten, dienen sie zum Besten. An sich selbst jedoch sind sie weder gut noch schlecht; dem Weisen gelten sie je nachdem als widrig und förderlich: nützlich

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für den, der rechten Gebrauch von ihnen macht, dem Toren aber das Gegenteil.

Folglich ist von allen uns gehörigen Dingen die Weisheit allein ein Gu­tes an sich, und die Torheit allein an sich ein Übel. Da wir also alle glücklich sein wollen, und die Glückseligkeit ohne den rechten Ge­brauch der Dinge nicht zu erlangen ist, diesen aber das Wissen ge­währt, so muß ein jeder sowohl mit der Vollkraft der Philosophie wie auch besonders mit frommem Eifer dahin streben, möglichst weise zu werden. So nämlich wird unsere Seele Gott, der die Weisheit selbst ist, am ähnlichsten, und in dieser Ähnlichkeit besteht nach Platons Mei­nung die höchste Stufe der Glückseligkeit.

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EIN THEOWGISCHES GESPRÄCH ZWISCHEN GOTT UND DER SEELE

Marsilio Ficino entbietet Micheie Mercati aus San Miniato, seinem geliebten Mitphilosophen, seinen Gruß

Oft haben wir über Moral und Natur zusammen philosophiert, gelieb­ter Michele, öfter noch über die göttlichen Dinge. Ich erinnere mich nun, daß Du häufig zu sagen pflegtest, sittliche Eigenschaften müsse man durch die Übung erwerben, die natürlichen Gegenstände durch die Vernunft zu erforschen suchen und die göttlichen Dinge durch das Gebet von Gott erbitten. Auch las ich bei unserem Platon, das Gött­liche sei viel mehr bei reinem Lebenswandel durch Offenbarung zu­gänglich als durch Rede und Unterricht lehrbar. Als ich über dies und ähnliches angestrengt nachdachte, wurde ich einmal traurig. Mißtraute ich doch schon der Vernunft, hatte aber noch nicht das rechte Vertrau­en zur Offenbarung. Es entstand ein inniges Gespräch zwischen mei­ner Seele und Gott. Ich bitte dich nun, es anzuhören, wenn ich auch der Meinung bin, daß Du aus größerer Nähe zu Gott sprichst als ich.

Gott: ~Tarum härmst du dich so ab, liebe Seele? Höre endlich auf, mei­ne Tochter, zu weinen! Siehe, ich bin bei dir, dein Vater; ich bin da als deine Arznei und dein Heil.

Die Seele: 0 daß doch mein Vater mir beistehen möge! Ach, wenn ich glauben könnte, daß mir eine solche Gabe zuteil werde, ach, wie würde ich vor Freude außer mir sein! Wie aber dies geschehen mag, das sehe ich nicht. Denn wer mir nur äußerlich zur Seite steht, ist nicht mein höchster Vater. Wenn auch der Urheber der Natur, wie ich meine, auch in meinem Innern seine Natur fortgezeugt hat, so ist doch, wer nur in­wendig in mir ist, nicht mein höchster Vater, der ja größer als ich ist; wer aber in mir ist, der ist ohne Zweifel kleiner als ich. Wie aber etwas zugleich in mir und außer mir sein kann, das verstehe ich nicht. Dies also, was für ein Gast du auch sein magst, dies bedrückt mich schwer,

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daß ich zwar ohne meinen Vater nicht leben will und doch nicht das Vertrauen habe, ihn zu finden.

Gott: Höre auf, meine Tochter, mit Weinen, gräme dich nicht, meine Tochter! Es ist ja kein Fremder, der mit dir spricht, sondern ein ver­trauterer Hausgenosse als du dir selber bist. Fürwahr, ich bin bei dir und in dir zugleich. Bei dir bin ich in der Tat, weil ich in dir bin; ich bin in dir, weil du in mir bist; denn wenn du nicht in mir wärest, wür­dest du nicht in dir sein, ja du würdest überhaupt nicht sein. Höre auf, meine Tochter, zu weinen, siehe hier deinen Erzeuger! Dein Erzeuger ist, wie an Umfang der allerkleinste, so an Kraft der allergrößte; wegen seiner vollkommenen Eingeschränktheit ist er in allem, wegen seiner ungeheuren Ausdehnung ist er außer allem. Siehe ich bin bei dir, in­wendig und auswendig, die größte Eingeschränktheit, der kleinste U m­fang. Hier bin ich also, siehst du nicht? Himmel und Erde erfülle ich, durchdringe ich, erfasse ich. Ich erfülle und werde nicht erfüllt; denn ich bin die Fülle selbst. Ich durchdringe und werde nicht durchdrun­gen; denn ich bin die Durchdringungskraft selbst. Ich umfasse und wer­de nicht umfaßt, weil ich das Umfassungsvermögen selbst bin. Ich lasse mich nicht erfüllen, um nicht meine Würde einzubüßen, weil ich die Fülle selbst bin. Ich lasse mich nicht durchdringen, um das Sein nicht aufzugeben, da ich das Sein an sich bin. Ich lasse mich nicht umfassen, um nicht aufzuhören, Gott zu sein, der ich die Unendlichkeit selbst bin.

Gib acht, siehst du nicht, ich durchschreite alles selbst unvermischt, um die Kraft des Überschreitens zu bewahren, der ich die Vollkom­menheit selbst bin. Ich überschreite alles, ohne mich von etwas zu tren­nen, um auch zugleich eindringen zu können, und zwar in die Tiefe, und vereinigen zu können, der ich die Vereinigung an sich bin, aus der alles Werden und alles Bestehen stammt und zu der alles hinstrebt.

Warum hast du kein Vertrauen, deinen Erzeuger zu finden, 0 Törin? Unschwer findet man meinen Aufenthalt; denn in mir sind, aus mir werden, durch mich bestehen alle Dinge immer und überall. Und mit unendlicher Kraft dehne ich mich durch die Unendlichkeit aus. Viel­mehr fürwahr kann man auf keine Weise finden, wo ich nicht bin.

Durch mich besteht ja überhaupt das Wo und heißt Überall; durch meine Führung und Erleuchtung wirkt es und erforscht eines jeglichen Wirken und forscht im Irgendwo. Überall wird nur das Gute erstrebt, nur das Wahre gefunden. Ich bin alles Gute, ich bin alles Wahre, suche mein Antlitz, und du wirst leben! Aber rühre dich nicht, um mich zu berühren, der ich die Beharrlichkeit an sich bin! Laß dich nicht durch die Mannigfaltigkeit zerstreuen, um mich zu ergreifen, der ich die Ein­heit an sich bin. Halte die Bewegung auf, sammle die Vielheit, und so­gleich wirst du mich erreichen, der dich schon lange erreicht hat.

Die Seele: Ach, so bald verlässest du mich, 0 mein Heil? Warum verläs­sest du so auf einmal deine sehnsüchtige Tochter? Fahre fort, sprich weiter, fahre fort, ich bitte dich, verehrungswürdige Gottheit, ich be­schwöre dich bei deiner Majestät, sprich, wenn es dir beliebt, ausführ­licher, was du nicht bist, mein Vater, damit ich wieder auflebe! Was bist du wiederum, mein Vater, damit ich lebe?

Gott: Nicht die körperliche Natur ist dein Erzeuger, meine Tochter. Um so viel besser nämlich bist du, je mehr du deinem Erzeuger gehor­sam bist; desto edler bist du, je mehr du dem Körper widerstehst. Gut ist für dich die Gemeinschaft mit dem Vater; schlecht ist für dich die Gemeinschaft mit dem Körper. Nicht irgendein Seelenwesen erzeugte dich, 0 Seele; sonst würdest du nicht über die Seele nachdenken und weder in der Veränderlichkeit der Seelenzustände Stillstand finden noch nach einer beständigen Natur trachten. Nicht irgendein vielfälti­ger Intellekt schuf dich; sonst würdest du nicht die höchste Einfachheit erreichen und das Heranreichen an die Intelligenz an sich würde dich nicht befriedigen. Nun aber steigst du auf zum Leben an sich, zum We­sen an sich, zum absoluten Sein an sich über jedweden Intellekt hinaus durch Denken und Liebe, und die Erkenntnis genügt dir nur, wenn du gut und das Gute erkennst. Das Gute an sich aber befriedigt ohne Zweifel; denn aus keinem andern Grunde strebst du nach etwas, als weil es gut ist.

Das Gute an sich also ist dein Schöpfer, 0 Seele, nicht der gute Körper, nicht die gute Seele, nicht der gute Intellekt, sondern das Gute. Das Gute, das ja in sich selbst besteht und über die Grenzen des Subjekts

hinaus unendlich ist, hat auch dir ein unendliches Leben zugeteilt, sei es von Ewigkeit zu Ewigkeit oder sei es wenigstens von einem be­stimmten Anfang an in Ewigkeit. Begehrst du, das Antlitz des Guten zu schauen? Wirf deinen Blick auf die ganze vom Sonnenlicht erfüllte Welt! Betrachte das Licht in der Welt materie, wie es erfüllt ist von allen Formen aller Dinge und dazu beweglich, nimm die Materie fort und laß das übrige bestehen. Dann hast du die Seele als unkörperliches, all­förmiges, veränderliches Licht. Nimm wiederum ihm die Beweglich­keit, dann hast du die Stufe der Engelsintelligenz erreicht: unkörper­liches, allförmiges unveränderliches Licht. Entziehe dieser die Mannig­faltigkeit, durch welche sie jeder vom Lichte verschiedenen Form und anderswoher dem Lichte eingegossen ist, so daß die Wesenheit des Lichtes und jeder Form dieselbe ist, und das Licht sich selber formt und durch seine Formen alles formt. Dieses Licht leuchtet unendlich, weil es aus seiner eigenen Wesensart leuchtet und durch keines anderen Dinges Beimischung getrübt oder eingeschränkt wird. Durch alle Din­ge erstreckt es sich, weil es in keinem ist; in keinem ist es eigentlich, damit es gleichermaßen alle durchleuchten kann. Es lebt aus sich und verleiht jedwedem Wesen Leben, während sein Schatten, nämlich die­ses Sonnenlicht hier, allein in der Körperlichkeit Leben spendet. Es ist im Besitz jeder sinnlichen Wahrnehmung, die es auch verleiht, da ja sein Schatten allen Wesen alle Sinne aufschließt. Es liebt alle Einzel­dinge, da ja alle im höchsten Maße sein sind.

Was also ist das Sonnenlicht? Gottes Schatten. Was also ist Gott? Gott ist die Sonne der Sonne, das Sonnenlicht ist Gott im Weltkörper, Gott ist das Sonnenlicht über den Engelsintelligenzen. So beschaffen ist mein Schatten, 0 Seele, daß er das Schönste aller körperlichen Dinge ist. Wie glaubst du, daß mein Licht beschaffen sei? Wenn mein Schat­ten also leuchtet, wie stark glaubst du, daß mein Licht leuchtet? Du liebst allerwege das Licht über alle Dinge; sprich, liebst du es allein? Liebe mich allein, 0 Seele, allein das unendliche Licht, mich, das Licht, sage ich, liebe unendlich! Alsbald wirst du leuchten und unendliche Freude genießen.

Die Seele: 0 Wunder, welches die Bewunderung selbst übersteigt! Welch ein ungewohntes Feuer verzehrt mich jetzt? Welche neue Sonne, und

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woher leuchtet sie mir auf? Was für ein Geist, woher kommt er so ge­waltig und süß und sticht, durchsäuselt, beißt, liebkost, reizt und er­füllt mit Wollust mein Mark? Was für bittere Süßigkeit ist das? Es ist nicht auszudenken, welch ein bittersüßes Gefühl mich zerschmilzt und mein Inneres entnervt. Im Vergleich zu ihm, wenn es fort ist, erscheint mir selbst das sonst Süßeste herb. Welche herbe Süßigkeit, die mich, da ich zerrissen bin, wieder zusammenleimt und wieder ganz macht, und durch die mir auch das Bitterste süß ist! Was für ein notwendiger Wille ist dies, daß ich das Gute an sich nicht wollen kann und alles an­dere eher zu meiden und fern zu halten vermag als die Begier nach dem Guten. Denn wenn ich auch diese meiden wollte, weil ich das Meiden selbst für gut hielte und es deshalb versuchen würde, wie freiwillig ist wiederum diese Notwendigkeit. Da nichts freier gewollt ist als das Gu­te, um dessenwillen ich alles, ja das ich in allen Dingen überall will und so will, daß ich überdies noch wollen möchte, nicht wollen zu können, welcher lebendige Tod ist das - wer kann es ausdenken? -, durch den ich in mir sterbe, in Gott lebe, durch den ich dem Tode absterbe, dem Leben lebe, ein Leben lebe und in der Seligkeit selig bin?

o Wollust, die alle Sinne übersteigt! o Fröhlichkeit, größer als die Seele sie faßt! o Freude über alle Vernunft hinaus!

Ja fürwahr, nun bin ich über die Vernunft hinaus, jedoch nicht ver­nunftlos, da ich über der Vernunft stehe. Ich bin außer mir, außer mir über alles Maß, aber ich stürze nicht, weil ich aufwärts schwebe. Ganz Verzückung, strebe ich überall hin und zerfließe, und doch zergehe ich nicht, weil mich zu sich sammelt, weil mich mit sich leben läßt Gott, der Einheiten Einheit. Frohlocket daher mit mir alle, deren Froh­locken Gott ist.

Mein Gott ist mir begegnet. Der Gott des Weltalls hat mich umfangen. Der Gott der Götter strömt nun in mein Mark ein. Schon nährt mich Gott selbst ganz, und der mich zeugte, gebiert mich neu. Gezeugt hat er die Seele, er bildet sie höher zum Engel, er wandelt sie in Gott. Wie soll ich dir danken, 0 Gnade der Gnaden? Lehre du selbst es mich, Gnade der Gnaden, lehre, ich bitte dich, und gewähre es. Der Dank für dich, 0 Gott, sollst, mit einem Wort, du, Gott, selbst sein.

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GESETZ UND GERECHTIGKEIT

Marsilio Ficino entbietet den Rechtsgelehrten Ottone Niccolini und Benedetto Aretino sowie den Rittern Piero de' Pazzi und

Bernardo Giugni seinen Gruß

Ihr redetet mir zu, ich möchte Platons Gesetze in das Lateinische über­tragen, und eben dazu hat mich der große Cosimo angespornt. Ich ha­be es nun ausgeführt und um so lieber, als ich der Ansicht war, der Staat bedürfe mehr vortrefflicher Rechtsgelehrter als tüchtiger Kauf­leute oder Ärzte, und daß Minos die Griechen um so viel mehr geför­dert habe als Galenos als die Seele vorzüglicher ist als der Körper oder der Lebensgeist und das ewige Leben vorzüglicher als das zeitliche.

Der Handel kann ja wohl als der Körper, die Heilkunde als der Lebens­geist und das Gesetz als die Seele des Staates gelten, und obgleich es im Staate wohl viele Gesetze gibt, so gibt es doch nicht viele Seelen des Staates. Wie nämlich vielerlei Gewerbe und verschiedene Rangstufen der Bürger nicht mehrere Staaten, sondern einen einzigen bilden, wenn sie auf ähnliche Art dasselbe Ziel erstreben, so herrscht doch trotz der vielen Verordnungen der Beamten in der Stadt nur ein öffentliches Ge­setz, d.h. eine gemeinsame Richtschnur des rechten Lebens, welche zur öffentlichen Glückseligkeit führt.

Auf dieses Gesetz bereiten Gott und die Natur uns vor, dazu halten die Verordnungen an und daraufhin bildet Gott allein. Denn von dem göttlichen Gesetz stammt einerseits das Gesetz der Himmelskörper, andererseits das Gesetz der Menschen her. Daher haben alle Gesetz­geber teils den einzig wahren Verfasser der göttlichen Gesetze, Moses, gleich Affen nachgeahmt, teils, irgendwie durch einen Wahrheitskern betrogen, unter mannigfachen Vorspiegelungen behauptet, sie hätten ihre Gesetze von einem Gott empfangen: der Gesetzgeber der Ägypter Osiris von Merkur, Zaustrastes bei den Arimaspen von der guten Gott­heit, Xamolxis bei den Skythen von Vesta, Minos aus Kreta und Solon

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aus Athen von Jupiter, der Lakedämonier Lykurgus von Apollo, Nu­ma, der König der Römer, von der Nymphe Egeria und Mohammed, der Herrscher der Araber, von dem Engel Gabriel.

Unser Platon beginnt seine Bücher über die Gesetze mit Gott, den er den gemeinsamen Begründer aller Gesetze nennt, was er auch in dem Protagoras betitelten Dialog bestätigt, wo er sagt, alle Kunstfertigkeiten, welche dem Lebensunterhalt dienen, seien uns von Prometheus, d.i. der menschlichen Vorsehung, verliehen, das Gesetz aber zum guten und glücklichen Leben von Zeus, d.i. der göttlichen Vorsehung, durch Hermes, d.i. die Engelsinspiration, erteilt worden.

Ich kann nun, meine Freunde, den Gesetzen des hervorragenden Man­nes meine Bewunderung nicht versagen. Eine gewisse notwendige Ord­nung und Harmonie des Gesetzes besteht ja in den Elementen der Welt, in den animalischen Säften, in der Lebensweise der Tiere, sogar auch im Zusammenhalten der Räuber: denn diese könnten ohne eine gewisse straffe Ordnung nicht gemeinsam hantieren. Was aber sagen wir dazu, daß bei den Höllenbewohnern zwar sonst gar keine Tugend besteht und trotzdem dort Gesetz und Gerechtigkeit herrscht, so daß die Bösen ihre verdiente Strafe erleiden? Bei den Seligen allerdings sind die sittlichen Tugenden nicht mehr notwendig, welche den irdischen Menschen zur Besänftigung der sinnlich-körperlichen Leidenschaften dienen, von denen diejenigen schon befreit sind, die das selige Leben genießen. Dennoch sind bei ihnen Gesetz und Gerechtigkeit in Kraft, damit je nach Würdigkeit die einzelnen ihre Belohnung empfangen und behalten. Seid gegrüßt!

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ÜBER DIE GÖTTLICHE BEGEISTERUNG'

Marsilio Ficino entbietet Pellegrino Agli seinen Gruß

Am 29. November überbrachte mir mein Vater, der Arzt Ficino, zwei Briefe von Dir nach Figline, einen in Prosa und einen in Versen. Als ich sie las, mußte ich unserem Zeitalter von Herzen Glück wünschen, daß es einen solchen Jüngling hervorgebracht hat, dessen Name und dessen Ruhm es mit Glanz zu erfüllen vermag. Fürwahr, mein liebster Pellegrino, wenn ich Dein Alter und das, was Du täglich leistest, in Be­tracht ziehe, so freue ich mich nicht nur über die Prachtwerke meines Freundes, sondern komme aus dem Staunen nicht heraus. Von den Neueren will ich gar nicht reden; ich kann nicht einmal sagen, ob einer von den berühmten Alten, deren Hinterlassenschaft wir verehren, es in Deinem Alter so weit gebracht hat. Ich schreibe dies aber nicht nur Deiner dichterischen Begabung und Deinem Fleiße zu als vielmehr jener göttlichen Begeisterung, ohne die, nach Demokrit und Platon, es niemals einen großen Mann gegeben hat. Daß Du von dieser, um mich so auszudrücken, inspiriert und völlig hingerissen warst, dafür können gewisse erregte Gemütsbewegungen und leidenschaftliche Affekte, die in Deinen Schriften zum Ausdruck gelangen, zum Beweise dienen, und gerade diese Erregung, die nach außen hin zum Durchbruch kommt, nahmen die alten Philosophen zum Beweise in Anspruch dafür, daß sich in unseren Seelen eine göttliche Kraft auswirke.

Da ich aber nun einmal die Begeisterung erwähnt habe, so will ich die Meinung unseres Platon über diesen Gegenstand mit wenigen Worten und mit der Kürze, die ein Brief erfordert, auseinandersetzen, damit Du mit Leichtigkeit erkennen kannst, worin die Begeisterung besteht, in wie viele Teile sie sich zerlegen läßt und welcher Gott eine jede Art von Verzückung leitet. Ich bin überzeugt, daß diese Betrachtung Dir nicht nur Ergötzen bereiten, sondern auch im höchsten Maße Nutzen bringen wird. Er spricht also die Meinung aus, daß unsere Seele, bevor sie in die Körperlichkeit hinabsank - vor ihm vertraten ja schon Py-

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thagoras, Empedokles und Heraklit diesen Standpunkt -, in den über­irdischen Regionen ihren ursprünglichen Wohnsitz gehabt habe, wo sie, wie Sokrates im Phaidros sagt, in der Betrachtung der Wahrheit leb­te und Seligkeit genoß.

Da die eben erwähnten Philosophen von Hermes Trismegistos, dem Weisesten aller Ägypter, gelernt hatten, daß die höchste Gottheit eine Lichtquelle ist, in der die Urbilder aller Dinge, welche sie die Seele nen­nen, aufleuchten, so erschien es ihnen als eine notwendige Folge, daß die Seele, welche den ewigen Gottesgeist unaufhörlich betrachtet, auch die Wesenheit aller Dinge mit größerer Klarheit schaue. Die Seele schaute also, sagt Platon, die Gerechtigkeit an sich, sie schaute die Weis­heit, sie schaute die Harmonie und eine wunderbare Schönheit der göttlichen Natur, und alle diese nennt er nun Ideen oder göttliche We­senheiten oder erste Naturen, welche im ewigen Gottesgeiste sind, und durch deren vollkommene Erkenntnis der menschliche Geist, solange er dort lebt, auf selige Art gespeist wird.

Wenn er aber wegen des Denkens an irdische Dinge und wegen des Trach­tens der Seele nach der Körperlichkeit hinabsinkt, dann soll er auf die­sem Abstieg sogleich aus dem Letheflusse, d.i. das Vergessen des Gött­lichen, trinken und nicht eher zum Überirdischen wieder empor­schweben, aus dem er durch die Last des irdischen Denkens abgestürzt war, als bis er wieder angefangen hat, an jene göttlichen Wesenheiten, die er vergessen hatte, zurückzudenken. Dies aber können wir nach der Meinung jenes göttlichen Philosophen durch die Betätigung von zwei­erlei Tugend erreichen, nämlich durch die sittliche Tugend und sodann hauptsächlich durch die Betrachtung: die eine von beiden bezeichnet er mit dem allgemein üblichen Ausdruck als die Gerechtigkeit und die andere als die Weisheit.

Daher setzt Sokrates im Phaidon auseinander, daß die Seelen mit zwei­fachen Flügeln dem Überirdischen zustreben, unter denen er nach mei­ner Meinung diese Tugenden versteht, und daß wir sie gleichartig durch die beiden Teile der Philosophie, die tätige und die betrachtende, erlan­gen. Eben darum sagt er auch im Phaidros: »Allein der Geist des Philo­sophen gewinnt wieder Flügel.« Bei diesem Wiedererlangen der Flügel

werde durch deren Kraft die Seele vom Körper fortgezogen: sie schwe­be und strebe dann, des Gottes voll, mit Macht empor zum Überirdi­schen. Dieses Fortgerissenwerden nun und dieses Streben nennt Platon die göttliche Begeisterung und teilt sie in vier Teile. Er hält es nämlich für ausgeschlossen, daß die Menschen sich wieder an das Göttliche er­innern, wenn sie nicht durch gewisse sinnlich wahrnehmbare Abbilder, Schatten sozusagen, dazu veranlaßt werden.

Daher behaupten Paulus und Dionysius, die Weisesten der christlichen Gottesgelehrten, daß man das Unsichtbare Gottes durch das Geschaffe­ne und hienieden Sichtbare erkenne, und Platon lehrt, die menschliche Weisheit sei das Abbild der göttlichen. Diese Harmonie, welche wir mit menschlichen Stimmen und Musikinstrumenten gestalten, erklärt er für das Abbild der göttlichen Harmonie und desgleichen die eben­mäßige Schönheit, die aus der passenden Ineinsbildung der Körperteile hervorgeht, für das Abbild der göttlichen Schönheit.

Daher nun, daß das Wissen bei keinem, höchstens aber nur bei sehr wenigen Menschen vorhanden ist und auch durch körperliche Sinne ganz und gar nicht begriffen werden kann, kommt es, daß Ebenbilder der göttlichen Weisheit bei uns nur in sehr geringer Zahl vorkommen, und wenn sie da sind, unseren Sinnen verborgen und völlig unbekannt bleiben. Eben darum sagt Sokrates im Phaidros, das Bild der Weisheit sei überhaupt nicht mit Augen zu schauen; wäre es aber sichtbar, so würde es einen wunderbaren Liebesdrang zu seinem Urbilde erwecken.

Hingegen schauen wir mit den Augen das Abbild der göttlichen Schön­heit, den Nachklang der göttlichen Harmonie vernehmen wir durch das Gehör, welche Sinne Platon für die schärfsten von allen körperlichen hält. So kommt es, daß wir aus der Körperlichkeit, durch die körperli­chen Sinne sozusagen, gewisse Bilder in die Seele aufnehmen und uns so irgendwie an das erinnern, was wir früher erkannt hatten, als wir uns noch außerhalb des körperlichen Kerkers befanden. Durch diese Erinnerung entbrennt die Seele, sie entfaltet ihre Flügel und läutert sich nach und nach allmählich von dem Denken und den Schlacken des Kör­perlichen; dann wird sie vollends von der göttlichen Begeisterung er­griffw, und zwar werden durch die beiden eben erwähnten Sinne zwei

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Arten von Begeisterung hervorgerufen. Nämlich durch den Eindruck der Schönheit, welchen der Gesichtssinn vermittelt, erlangen wir sozu­sagen eine Wiedererinnerung der wahren intelligiblen Schönheit und ersehnen sie mit einer unaussprechlichen geheimen Inbrunst des Geistes.

Diese nennt Platon mit einem Wort den göttlichen Eros und leitet ihn her aus dem Anblick der körperlichen Bildlichkeit als das Verlangen, zurückzukehren zur Betrachtung der göttlichen Schönheit. Es ist nun die notwendige Folge, daß jemand, der in dieser Weise ergriffen wird, nicht nur Verlangen nach jener überirdischen Schönheit trägt, sondern auch an dem Anblick der den Augen zugänglichen Schönheit rechten Gefallen findet. Es ist eben von der Natur so eingerichtet, daß, wenn jemand nach etwas Verlangen trägt, er auch an dessen Ebenbilde seine Freude hat; aber Platon erachtet es für die Eigentümlichkeit einer grob­sinnlichen Anlage und einer verderbten Natur, wenn jemand nur in Be­gier nach den Schattenbildern jener wahren Schönheit entbrennt und allein diese sich den Augen darbietende Scheingestalt bewundert. Er lehrt nämlich, daß ein solcher von jener Art von Liebe ergriffen sei, zu deren Gefolgschaft Mutwille und Unkeuschheit gehören, und er definiert sie als unvernünftige und vermessene, nach der sinnlich-körperlichen Form trachtende Wollustbegierde; an einer anderen Stelle definiert er diese Liebe als die Brunst einer Seele, die gewissermaßen in ihrem eigenen Körper abgestorben ist und in einem andern lebt. Mithin führt, sagt er, die See­le des Liebenden ihr Leben in einem fremden Leibe.

Dies nehmen die Epikureer auf und definieren die Liebe als ein Streben der Körperchen, welche sie Atome nennen, vollkommen dahin einzu­dringen, woher die Abbilder der Schönheit stammen. In diesem Sinne leitet unser Platon die Liebe von der menschlichen Krankhaftigkeit her und sagt, sie sei mit Sorge und Kümmernis belastet und passe nur für solche Menschen, deren Geist so von Dunkel erfüllt ist, daß sie an nichts Hohes, nichts den Durchschnitt Überragendes, an nichts außer dem hinfälligen und vergänglichen Bilde dieser geringen Körperlich­keit zu denken vermögen.

Diejenigen hingegen, deren Geist vom Schlamme der Körperlichkeit abgezogen und losgelöst ist, sind so veranlagt, daß sie zwar, wenn ihnen

die schöne Form irgendeines Körpers entgegentritt, beim ersten An­blick daran, als an einem Ebenbilde der göttlichen Schönheit, ihre Freude haben, aber, von diesem Abbilde ausgehend, sogleich die Erin­nerung an die göttliche Schönheit wieder erwecken, sie hauptsächlich bewundern und wahrhaft begehren und, in glühendstem Sehnen nach ihr entbrennend, aufwärts entrückt werden. Dieses erste Streben zum Emporflug nennt Platon den göttlichen Wahnsinn, die göttliche Rase­rei. Hinsichtlich der Art von Begeisterung, welche, wie gesagt, durch den Gesichtssinn hervorgerufen wird, möge dies genügen.

Durch das Gehör aber nimmt die Seele die wohllautendsten Harmo­nien und Rhythmen auf und wird durch diese Abbilder gemahnt und angefeuert, mit erhobenem Geist und innigem Gefühl an die göttliche Musik zu denken. Nun ist aber bei den Auslegern Platons von zweier­lei Art göttlicher Musik die Rede. Die eine besteht nach ihrer Meinung im göttlichen Geiste, die andere aber in der Ordnung und Bewegung der Himmelsgewölbe, durch welche die himmlischen Sphären und ku­gelförmigen Weltkörper einen wunderbaren Zusammenklang hervor­bringen. Beider ist unsere Seele teilhaftig gewesen, bevor sie sich im Körper verschloß; in dieser Finsternis aber bedient sie sich ausgiebig der Ohren gleichsam als kleiner Spalten und nimmt durch sie, wie schon des öfteren beschrieben, die Abbilder jener unvergleichlichen Musik in sich auf. Durch diese wird sie hingeleitet zu einer innerlichen stillschweigenden Wiedererinnerung an die Harmonie, welche sie einstmals genoß, und sie entbrennt ganz in Verlangen und Sehnsucht nach dem Genuß der wahren Musik und möchte zurückfliegen in ihre eigentliche Heimat. Da sie aber dafür keine Möglichkeit sieht, solange sie in diese düstere Herberge des Körpers gebannt ist, so strebt sie, jene nach bestem Können nachzuahmen.

Zweierlei Art dieser Nachahmung aber gibt es bei den Menschen. Die einen nämlich bilden durch harmonische Polyphonie der Stimmen und durch den Klang mannigfacher Instrumente die himmlische Mu­sik nach, und diese nennen wir ganz unbedeutende und gerade noch durchschnittliche Musiker, einige hingegen ahmen mit durchaus ernstem und sicherem Urteil die göttliche und himmlische Harmonie nach und bringen ihre innerste vernünftige begriffliche Bedeutung in

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wohlgefügten harmonischen Dichtungen zum Ausdruck: sie sind es, die vom göttlichen Geiste beseelt, herrlich feierliche Gesänge volltönend ihrem Munde entströmen lassen. Diese von höherem Ernste getragene musikalische Dichtung bezeichnet Platon als die eindrucksvollste Nach­ahmerin der himmlischen Harmonie; denn jene andere kurz zuvor er­wähnte oberflächliche Art schmeichelt sich nur durch den äußeren Wohllaut der Töne ein. Die Dichtung hingegen bringt durch den har­monischen Wohlklang ihrer Laute und Rhythmen gerade das Eigentüm­liche der göttlichen Harmonie in feierlichen Gesängen von - wie der Dichter sagen würde - delphischem Tiefsinn inbrünstig zum Ausdruck und schmeichelt so nicht nur den Ohren, sondern bringt auch dem Geiste die süßeste, der himmlischen Ambrosia ähnlichste Speise und dringt des­halb wohl in die größere Nähe der Gottheit. Ihren Ursprung aber soll diese dichterische Verzückung von den Musen nehmen. Wer aber ohne die Eingebung der Musen die Schwelle der Dichtung betreten will, in der Hoffnung, sich durch handwerks mäßige Kunstübung zu einem gu­ten Dichter zu entwickeln, dessen Person ist nach Platons Urteil so nichtig wie seine Dichtung; diejenigen Dichter aber, welche durch überirdische Inspiration und Kraft in Verzückung geraten, sprudeln unter der Einge­bung der Musen oft so göttliche Wendungen hervor, daß sie selbst, nach­dem die Begeisterung von ihnen gewichen ist, ihre eigenen Aussprüche nicht mehr ganz verstehen.

Unter den Musen stellt sich nach meiner Meinung jener göttliche Mann die himmlischen Melodien vor; von dem Cantus sollen sie ja die Wohltönenden, Canorae oder Camenae2, genannt werden. Von den Musen also, d.i. den himmlischen Gottheiten und Melodien angeregt, ersinnen die Menschen zu ihrer Nachahmung dichterische Weisen und Rhythmen. Als daher Platon im Staate über die schnell kreisende Be­wegung der Himmelssphären handelte, sagte er, daß den einzelnen Ordnungen die einzelnen Sirenen vorstehen, was nach der Deutung eines Platonikers besagen soll, daß durch die Sphärenbewegung den Göttern ein Gesang dargebracht werde. Denn »Seiren« heißt im Grie­chischen: »dem Gotte singend«. Die alten Gottesgelehrten behaupteten auch, die neun Musen bedeuteten die musikalischen Gesänge der acht Sphären und dazu die eine aus allen acht gebildete Harmonie.

N ach dieser Darlegung also stammt die Dichtung aus der göttlichen Begeisterung, diese von den Musen, die Musen aber stammen von Zeus ab. Denn die Seele dieses ganzen Weltalls nennen die Platoniker häufig den Zeus, der Himmel und Erde, die Gefilde der Meereswogen, die leuchtende Mondkugel und die vom Titanensproß erleuchteten Him­melskörper innewohnend belebt. Somit haben auch vom Zeus, als dem Lebensgeist und der Vernunft der ganzen Welt, der ja die Himmels­sphären bewegt und lenkt, auch deren, die Musen genannten, Melodien ihren Ursprung. Daher dichtete jener hochberühmte Platoniker also: »Mit Zeus hebe unser Gesang an. Voll ist alles des Zeus«, weil ja überall die Weltseele, welche Zeus genannt wird, lebt und webt und alles erfüllt und dabei, wie der Pythagoreer Alexander von Milet sagt, den Himmel wie ein Saitenspiel mächtig in Bewegung setzend, die himmlische Har­monie erzeugt.

Eben darum sang der göttliche Dichter Orpheus: »Zeus ist der Anfang und das Ende, Zeus das Haupt, Zeus die Mitte: alles ist aus Zeus ge­boren, Zeus ist der Grundbau der Erde und des sternendurchstrahlten Himmels, Zeus ging hervor als Mann, Zeus als unvergängliche Braut, Zeus ist der Lebensgeist und die herrliche Gestalt aller Dinge, Zeus ist der Meeresgrund, Zeus die Bewegung des unermüdlichen Feuers, Zeus ist Sonne und Mond, Zeus ist König und Herrscher aller Dinge, der das Licht verbirgt und wieder strahlen läßt und mit segenspendendem Geiste seine Gedanken zur Ausführung bringt.« Hieraus geht hervor, daß Zeus inwendig allen Körpern einwohnt und alle belebt, so daß das Wort zu Recht besteht: »Zeus ist alles Sichtbare, alles in Bewegung Be­findliche.«

Nun folgen noch die übrigen Arten der göttlichen Begeisterung, von denen Platon zweierlei unterscheidet, die eine steht in Beziehung zu den Mysterien, die andere, die er die Mantik nennt, zu den zukünftigen Ereignissen. Die erstere definiert er als eine heftige Erregung der Seele zur Erfüllung alles dessen, was zum Götterkult, zur Religion, zur Ent­sündigung und zu den feierlichen heiligen Handlungen gehört. Dieje­nige geistige Verfassung aber, welche in unwahrer Weise diese Art der Begeisterung nachahmt, nennt er Wahnglauben.

Die letztere Art der Begeisterung endlich, die er mit der Mantik gleich­setzt, hält er für gleichbedeutend mit einer von göttlichem Hauche in­spirierten Vorahnung; für diese haben wir als passende Benennung den Ausdruck Divination oder Wahrsagung in Gebrauch. Wenn nun die Seele bei dieser Divination in einen Zustand heftiger Erregung verfällt, so bezeichnet er diesen als Manie. In dieser erhebt sich der Geist über den Körper und wird durch göttlichen Antrieb erregt. Sieht aber je­mand mehr infolge menschlicher Klugheit und menschlichen Scharf­sinns als durch göttliche Eingebung die Zukunft voraus, so ist nach seinem Urteil eine solche Vorahnung als Voraussicht und Mutmaßung zu bezeichnen.

Aus alledem geht hervor, daß es vier Arten der göttlichen Begeisterung gibt: den Eros, die Dichtergabe, die Mysterien und die Mantik. Die un­echte Nachahmung des göttlichen Eros ist die niedere Liebe, der ge­wöhnliche Zeugungstrieb, etwas durchaus Unsinniges, die schlechte Nachahmung der Dichtergabe, wie gesagt, die alltägliche Musik, die Nachahmung der Mysterien der Wahnglaube und diejenige der Divina­tion die Mutmaßung. Die erste Art der Begeisterung schreibt Sokrates bei Platon der Aphrodite zu, die zweite den Musen, die dritte dem Dio­nysos, die letzte endlich dem ApolIon.

Nun bin ich bei der Beschreibung derjenigen Begeisterung, welche zum göttlichen Eros und zur Dichtergabe in Beziehung steht, mit Ab­sicht etwas weitschweifiger verfahren, und zwar aus zwei Gründen: weil ich nämlich erkannt habe, daß Du unter der mächtigen Einwir­kung beider stehst, und damit Du Dir vor Augen hältst, daß, was Du schreibst, nicht von Dir ausgeht, sondern von Zeus und den Musen, von deren Gottesgeiste Du erfüllt wirst. Darum, mein lieber Pellegri­no, wirst Du gerecht und fromm handeln, wie Du nach meiner Mei­nung bisher getan hast, indem Du der Erkenntnis lebst, daß der Urheber und Urgrund alles dessen, was im höchsten Maße groß und edel ist, weder Du bist, noch sonst irgendein Mensch sein kann, son­dern nur die unsterbliche Gottheit. Sei gegrüßt und glaube mir, daß ich Dich über alles liebe.

Figline, den 1. Dezember 1457.

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loBPREISUNG DER AUSLEGER PLATONS

Marsilio Ficino aus Florenz entbietet dem Griechen Bessarion, Kardinal von Sabina, seinen Gruß

Hochwürdigster Vater, als unser Platon, wie Dir wohlbekannt ist, sich im Phaidros scharfsinnig und ausführlich über die Schönheit ausgelas­sen hatte, da forderte er von Gott die Schönheit der Seele, welche er die Weisheit und das kostbarste Gold nannte. Dieses Gold, welches Pla­ton von Gott verliehen war, strahlte in Platons Busen, als in der rein­sten Obhut, auf das herrlichste.

In blendend schöne, der Bedeutung nach aber schwieriger verständli­che Worte und Wendungen gehüllt, war es schwer zugänglich und, gleichsam mit einer irdischen Hülle bedeckt, blieb es denjenigen Men­schen verborgen, welche nicht mit den Augen des Luchses begabt waren. Deshalb täuschte vormals die äußere Erdschicht einige dem blo­ßen Schein nachgebende kleinliche Ehrgeizlinge; da sie nicht in den inneren Kern eindringen konnten, verachteten sie den verborgenen Schatz. Als aber jenes Gold in den Schmelzofen gebracht wurde, zuerst bei Plotin, dann bei Porphyr und Jamblichos und endlich bei Proklos, da schwanden in der peinlich scharfen Feuerprobe die Schlacken dahin, und es erstrahlte in solchem Maße, daß es den ganzen Erdkreis mit wunderbarem Glanze erfüllte.

Ein so hell leuchtender Strahlenglanz verursachte nun wohl gewissen Nachteulen und Uhus Unbehagen: sie fingen an, den heiligen Schatz unseres Platon nicht nur gering zu schätzen, wie einige in der Vorzeit, sondern - 0 Frevel! - auch zu schmähen, was noch viel schlimmer ist als der Irrtum der Früheren.

Doch Bessarion, die Leuchte der Akademie, brachte sogleich das für blöde und trübe Augen wirksamste Heilmittel in Anwendung, auf daß jenes Gold nicht nur lauter und glänzend sei, sondern auch anfaßbar

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und den Augen unschädlich. Dieses weissagend, äußerte einst Platon zum König Dionysios, viele Jahrhunderte nach ihm werde eine Zeit kommen, wo die Geheimnisse der Theologie durch die genaueste Un­tersuchung wie das Gold im Feuer geläutert werden würden. Gekom­men, ja schon gekommen ist dieses Zeitalter, Bessarion, an dem Platons göttliche Majestät seine Freude haben soll und zu dem wir, seine ganze Gemeinde, uns Glück wünschen wollen. Sei gegrüßt!

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ERMUNTERUNG ZUM WISSENSCHAFTLICHEN STUDIUM

Marsilio Ficino an Antonio de' Pazzi.

Lorenzo de' Medici rühmt an Dir besonders zwei Eigenschaften: Deine Großherzigkeit und Deinen feinen Geist, und ich pflichte ihm bei. Doch wirst Du, lieber Antonio, bei Deiner Ausübung der Freigebig­keit den Vergleich mit anderen aushalten müssen, bei der Betätigung Deines Geistes hingegen wirst Du nur mit Dir selbst in Vergleich treten, wenn Du Dich in dem gleichen Maße der Wissenschaft beflei­ßigst, wie Du Dich längst der Freigebigkeit widmest, und wirst ohne Zweifel bald alle in gleicher Weise durch Deine Gelehrsamkeit überra­gen wie jetzt durch Deine Großherzigkeit.

Wohlauf nun, liebster Antonio, ich bitte Dich, laß Dir Deine eigene Person so angelegen sein, wie Du Dich anderer annimmst. Unser Lo­renzo sagt, daß Du nicht nur Gelehrten gegenüber freigebig, sondern auch selbst überaus gelehrt bist. Ich glaube es wohl und wünsche Dir Glück. Doch wirst Du mich nicht eher zufriedenstellen, als bis Du Dich ebenso durch Wissen auszeichnest wie durch Hochherzigkeit. Wenn Du also an den Koryphäen der Gelehrsamkeit besonderen Gefal­len findest, so strebe dahin, daß Du an Dir selber die größte Freude haben mögest!

Was nun alles in allem von der größten Bedeutung, ja eigentlich ganz und gar die Hauptsache ist, halte Dir, ich bitte Dich, täglich nach Belie­ben vier Stunden frei und widme sie Deinen Freunden. Lerne gut und, ich bitte Dich darum, lerne heute. Wer morgen lernt, der lernt niemals.

Den 7. November I473·

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BEILEIDSSCHREIBEN BEI EINEM TRAUERFALLE

Marsilio Ficino spricht Sismondo della Stufa sein Beileid aus.

Wenn ein jeder von uns das hauptsächlich ist, was in uns die Haupt­sache ist, was stets als dasselbe bestehen bleibt, wodurch wir uns selbst begreifen, so ist doch gewiß die Seele der Mensch selbst und der Leib nur der Schatten des Menschen. Ist also jemand derart von Sinnen, daß er den Schatten eines Menschen für einen Menschen hält, dann fließt solch ein Armer gleich Narcissus1 in Tränen dahin. Du wirst aufhö­ren zu weinen, Sismondo, wenn Du aufgehört hast, Deine Albiera degli Albizzi in ihrem dunklen Schatten zu suchen, und beginnst, ihrer hel­len Lichtspur zu folgen. Dann wird sie Dir gegen früher desto schöner erscheinen, je weiter sie von ihrem häßlichen Schatten entfernt ist.

Scheide, ich bitte Dich, Deine Seele von Dir ab; dort wirst Du Dein Teuerstes, ihre strahlend schöne Seele, besitzen. Ja, schwinge Dich über Deine Seele hinaus zu Gott auf; dort wirst Du die schöne Idee betrach­ten, mittels welcher der göttliche Werkmeister Deine Albiera geschaf­fen hatte. Und je größer ihre Wohlgestalt in der Form ihres Bildners ist, mehr als in ihr selbst, mit desto größerer Seligkeit wirst Du sie um­armen. Sei gegrüßt!

Florenz, den I. August 1473.

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DAS loB DER WAHRHEIT

Marsilio Ficino entbietet dem homerischen Dichter Angelo Poliziano seinen Gruß

Es sind, wie Du sagst, unter meinem Namen Briefe im Umlauf, deren Inhalt mehr sozusagen im Sinne des Aristippos2, zum Teil auch des Lucretius3 gehalten ist als im Geiste Platons. Wenn sie von mir her­rühren, so sind sie nicht derart geschrieben, und wenn sie nicht derart sind, wie ich schreibe, so sind sie von meinen Verleumdern gefälscht; denn ich bin seit meinem frühesten Jugendalter, wie jedermann weiß, ein Anhänger Platons.

Durch folgendes Merkmal wird man aber meine Briefe leicht von frem­den unterscheiden: meinen Briefen liegt stets eine Sentenz zugrunde, je nach Maßgabe meines geistigen Vermögens moralischen, naturphilo­sophischen oder theologischen Gehaltes. Wenn aber bisweilen etwas irgendwie auf die Liebe Bezügliches darin steht, so ist dies in platoni­schem und sittlich reinem, nicht etwa in aristippischem und unzüchti­gem Sinne gemeint.

Kommen Lobsprüche vor, so sind sie aufrichtig und dienen gleichzeitig zur Aufmunterung und zur Ermahnung, nicht zur Schmeichelei. Überflüssige Worte wird man schwerlich finden; denn es war seit An­beginn meiner Studien mein Bestreben, so gedrängt als möglich zu schreiben. In dieser kurzen Lebensfrist Überflüssiges zu reden, ist eher Sache eines Schönredners (Philologos) als eines Philosophen. Und da es nur wenige gibt, welche viel wissen, so reden die Vielsprecher entwe­der Falsches oder Überflüssiges oder beides zugleich. Paßt dies alles schon nicht zur Manneswürde, so erst recht nicht zum Beruf des Philo­sophen. Sei gegrüßt!

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wrenzo de' Medici 1449-1492

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GELEHRTE ZU UNTERHALTEN, BRINGT VORTEIL

Marsilio Ficino entbietet dem hochgesinnten Lorenzo de' Medici seinen Gruß

Gemeinhin unterhalten alle anderen Reichen ihre Dienerschaft; Du unterhältst die Priester der Musen. Fahre so fort, ich bitte Dich, mein lieber Lorenzo: denn während jene Sklaven der Sinneslust sind, bist Du der Musen Wonne. Unter Deiner Führung kam der erhabenste Priester der Musen, Homer, nach Italien und fand, so lange ein obdachloser Bettler, bei Dir eine angenehme Heimstätte offen. Du unterhältst in Deinem Hause den homerischen Jüngling Angelo Poliziano, der die hellenische Kerngestalt Homers in lateinischer Klangfarbe ausmalen soll. Ja, er ist schon beim Werk und findet in so jugendlichem Alter den rechten Ausdruck, daß, wenn man nicht wüßte, daß Homer Helle­ne war, man im Zweifel sein könnte, welcher der ursprüngliche und welcher der nachgebildete Homer ist.

Erfreue Dich, Medizeer, weiter an solchen Malern; denn die anderen Maler schmücken die Wande für den Augenblick, diese hingegen erhö­hen die Hausbewohner in alle Ewigkeit mit Ruhmesglanz.

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II

ÜBER DEN WEISEN UND GLÜCKLICHEN MANN

Marsilio Ficino entbietet seinem Mitphilosophen A ntonio Serafico aus San Miniato seinen Gruß

Ich halte denjenigen für einen weisen und glücklichen Mann, der im Bewußtsein, allein von Gott abzuhängen, mitten im Unglück heiter lebt, den weder die Furcht entmutigt, noch der Schmerz peinigt, noch ein Wille verführt, noch eine Leidenschaft erhitzt, der im dichtesten Dorngestrüpp zarte, schöne Blumen sammelt, der aus dem Mist Perlen aufliest und ausgräbt, der im tiefsten Dunkel sieht, der mit Fußeisen beschwert und mit Fesseln umstrickt einherläuft, als ob er frei und un­gebunden wäre, den, mit einem Wort, der Gottesgeist inspiriert hat.

Ahme also, wie bisher, Pythagoras, Sokrates und Platon nach, die nicht nur im Reden, sondern auch besonders im Handeln selbst bei widri­gem Geschick sich als Philosophen zeigten und die Philosophie mit ganzem Herzen und nicht bloß, wie viele andere, mit dem Munde hochhielten. Umsonst treibt Weisheit, lieber Serafico, der für sich selbst keine Weisheit besitzt. Sei gegrüßt und bleibe Deinem Charakter treu.

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Es IST BESSER, GUTES ALS VIEL ZU SCHREIBEN

Marsilio Ficino entbietet dem homerischen Dichter Angelo Poliziano seinen Gruß

Warum fragst Du mich so viel nach den Titeln meiner Bücher, lieber Angelo? Etwa um mich in Deinen Dichtungen zu preisen? Aber Du mußt wissen: nicht auf der Menge, sondern auf der Erlesenheit beruht der Ruhm, nicht in der Fülle, sondern im Werte besteht das Gute. Oder wünschest Du alles Meinige bei Dir zu haben? Da ja aller Besitz unter Freunden gemeinschaftlich ist, so nimm auf jeden Fall hin, um was Du gebeten hattest.

Aus dem Griechischen übertrug ich in das Lateinische die Elemente der Physik und der Theologie des Platonikers Proklos, die vier Bücher des Jamblichos aus Chalkis über die pythagoreische Gemeinde, die mathematischen Schriften des Theon aus Smyrna, die platonischen De­finitionen des Speusippos, den platonischen Abriß des Alkinoos, das Trostbuch des Xenokrates über den Tod, die goldenen Verse und die Sinnsprüche des Pythagoras, das Buch des Hermes Trismegistos über die Kraft und die Weisheit Gottes, sämtliche Bücher Platons.

Auch verfaßte ich einen Kommentar zu den Evangelien, einen über »das höchste Gut« und einen solchen zu Platons Gastmahl »Über die Liebe«, ferner eine Physiognomik, Abhandlungen über die platonische Lehre an Cristoforo Landino, die ich später verbesserte, ein Kompendi­um über die Anschauungen der Philosophen über Gott und die Seele, eine Ökonomik, eine Abhandlung über die Lust, eine über vier Philo­sophenschulen, eine über die Großherzigkeit, eine solche über die Glückseligkeit, eine über die Gerechtigkeit, eine über die göttliche Be­geisterung, eine Trostschrift für Eltern bei dem Hinscheiden ihres Soh­nes, eine Abhandlung über die Begierde, eine theologische Rede zu Gott, das theologische Gespräch zwischen Gott und der Seele, die TheGlogie über die Unsterblichkeit der Seelen in achtzehn Büchern,

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das Werk über die christliche Religion, Disputationen gegen die Aus­sprüche der Astrologen, die Abhandlungen über die Entrückung Pauli in den dritten Himmel und über das Licht, das Kompendium der pla­tonischen Theologie, die Abhandlungen über das Leben und die Lehre Platons, die fünf Streitfragen über die Vernunft, das philosophische Epistolarium.

Möchte ich doch, lieber Angelo, auch ebenso gut wie viel geschrieben haben, damit meine Schriften anderen so lieb und wert seien wie ich Dir und Du mir. Sei gegrüßt!

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ERMUNTERUNG ZUM WISSENSCHAFTLICHEN STUDIUM

Marsilio Ficino entbietet Nicolo degli Albizzi seinen Gruß

Du kennst, lieber Nicolo, das Sprichwort: »Nichts ist angenehmer als der Gewinn.« Nun aber: welcher Mensch gewinnt? Wer seinen zukünf­tigen Besitz erlangt. Unser Eigentum ist unser Wissen, das übrige Sa­che des Glücks. Mögen die armen Menschlein die Reichen beneiden, bei denen nur die Geldlade, nicht die Seele reich ist. Du aber wetteifere mit den gelehrten und tüchtigen Männern, deren Geist gottähnlich ist. Ermahne Deine Mitschüler, daß sie der Skylla und der Charybdis aus­weichen, nämlich den Lockungen der Sinnenlust und der verderbli­chen Überhitze des Geistes, der sich mehr in Mutmaßungen ergeht als Wissen erwirbt. Sie sollen daran denken, daß ihnen einst die höchste Wonne die sein soll, welche ihnen im höchsten Teile der Seele, aus dem allerhöchsten Schatze der Wahrheit selbst stammend, genießbar sein wird, wenn sie die Schattenbilder der nichtigen Vergnügungen um der Wissenschaft willen verscheucht haben werden. Obwohl der Baum der Wissenschaft scheinbar ein wenig bittere Wurzeln hat, so trägt er doch überaus süße Frucht. Sie sollen ferner daran denken, daß nie zuviel ge­schieht, was nie geschieht.

Noch hat nicht genug gelernt, wer noch über etwas im Zweifel ist; man zweifelt aber, solange man lebt. Wir müssen also lernen, solange uns zu leben bestimmt ist. Als Vorbild diene der weise Solon, der noch sterbend etwas zu lernen strebte; er nährte sich von der Speise der Wahrheit und Sterben galt ihm als der Beginn eines neuen Lebens. Nie­mals kann sterben, wer von unsterblicher Nahrung lebt.

Damals erst wurde Sokrates von ApolIon der Weiseste von allen ge­nannt, als er dem Volke zu predigen begann, daß er nichts wisse. Pytha­goras gebot seinen Schülern, sie sollten sich nicht bei dem Licht der Lampe, sondern beim Sonnenlicht im Spiegel betrachten. Was ist aber

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der Schein der Lampe als ein noch nicht durchgebildeter Geist, und was das Sonnenlicht als ein durchaus gebildeter Geist?

Wenn man also das Bild seiner Seele im Spiegel betrachten will, so soll man sich nicht mit Ungelehrten, sondern mit den größten Gelehrten vergleichen; denn so wird man deutlich genug erkennen, wieviel man gewonnen hat, und wieviel noch zu gewinnen übrig bleibt. Bei der Speisung des Geistes muß man es den Unersättlichen und Gierigen nachtun, die stets das Auge darauf gerichtet halten, was noch übrig ist. Was soll ich noch sagen?

Der Herr des Lebens spricht: »Der Pflüger, der rückwärts blickt, ist nicht des Lohnes wert.«! Du vernahmst auch, daß eben darum jenes Weib aus einer Lebenden in ein Steinbild verwandelt ward.2 Du weißt auch wiederum, daß Orpheus in dem Augenblick die Eurydike, d.i. die Tiefe der Vernunfteinsicht, verlor, als er rückwärts schaute. Untauglich und nichtig ist ein Jäger, der rückwärts und nicht vorwärts schreitet. Sei gegrüßt!

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EIN ERNSTES SCHREIBEN AN GIOVANNI: DIE SEELE HAT NACH DEM

TODE ERKENNTNIS, UND ZWAR VIEL DEUTLICHERE ALS IM KÖRPER

Marsilio Ficino entbietet seinem einzig geliebten Freunde Giovanni Cavalcanti seinen Gruß

Ich richtete an Dich, mein vortrefflicher Freund, einige Briefe, in de­nen ich eine Art Liebesbriefstil versuchte, der wohl zu unserer vertrau­ten Freundschaft paßt und auch der ehrbaren Freiheit eines Sokrates und Platon nicht widerstreitet. Nun aber laß uns nach platonischem Brauch nach den Liebesscherzen - es sind eben platonische Einleitun­gen - auf ernste Gedanken kommen. Vernimm nun, was ich einmal mit Bernardo Giugni und Bartolomeo Fortini, durch ihre Gerechtig­keit ausgezeichneten Bürgern, über die vernünftige Seele verhandelt ha­be.

Zweierlei Zweifel besteht nämlich bei den Menschen hinsichtlich der vernünftigen Seele. Die erste Zweifelsfrage ist, ob der Intellekt sich vom Körper trennen und nach Ablegung des Körpers leben und wirken könne; die zweite, ob er dann Erkenntnis hat, und zwar deutliche oder nicht. Ich werde jetzt darauf in möglichster Kürze antworten. Denn diese und ähnliche Fragen gelangen in meiner Theologie über die Un­sterblichkeit der Seelen zur ausführlichen Erörterung. Ich gebe zu, daß der Intellekt viele unkörperliche Dinge denken kann, nämlich Gott, die Engel, die Seelen, die Tugenden, die Verhältnisse der Zahlen, die Ideen, die allgemeinen Begriffe der Dinge. Wie man aber durch das Ge­sicht die unsichtbaren Dinge nicht sehen kann, ebenso kann man we­der durch ein körperliches Organ Unkörperliches denken noch durch eine körperlich an Raum und Zeit gebundene Natur von Materie, Raum und Zeit unabhängige Dinge suchen, erforschen, auffinden und behalten. Wenn nun die vernünftige Seele sich bisweilen, während sie den Körper lenkt, derart in sich selbst sammelt, daß sie einen Gegen­stand durch sich selbst (spekulativ) zu betrachten vermag, so folgt dar­aus, daß sie vom Körper getrennt noch viel mehr und leichter durch

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sich selbst zu betrachten imstande ist. Wenn sie durch sich wirken kann, so wird sie auch durch sich sein und leben können.

Um nun zur zweiten Frage zu kommen: deutlicher wird sie dann un­terscheiden, was sich ihr als innerlich erkennbar darbietet, als die Sinne jetzt das ihnen zur äußerlichen Wahrnehmung sich Darbietende, we­nigstens um so viel deutlicher, als das Gesicht schneller und schärfer ist als das Gehör und die übrigen Sinne. Auch ist das Objekt der Ver­nunft um so viel vorzüglicher als das Objekt der Sinnlichkeit, als die Vernunft vorzüglicher ist als der Sinn. Daß der Vernunft ein großer Vorzug vor der Sinnlichkeit zukommt, das bezweifelt niemand, der von ihren Kräften Gebrauch macht: er sieht nämlich, daß sie die Rich­terin der Sinne ist und, als etwas Kostbares, nur wenigen zuteil wird und auch später und seltener zur Ausübung gelangt. Daß die Objekte der Vernunft erhabener sind als die Objekte der Sinne, geht daraus her­vor, daß jene universal, weit und ewig, diese hingegen partikular, eng und vergänglich sind.

Dazu kommt noch, daß, je mehr der äußere Sinn angespannt wird, desto mehr der innere Sinn nachläßt, und umgekehrt. Wer nämlich recht aufmerksam sein Gesicht oder sein Gehör auf etwas hinrichtet, der kann sich dabei kaum etwas vorstellen, und wer sich in lebhafte Vorstellungen vertieft, der sieht und hört kaum, was sich ihm in dem Augenblick äußerlich darbietet. Das gleiche Verhältnis besteht ZWl­

schen dem Vorstellungsvermögen und dem Intellekt.

Für die Seele bestehen in diesem Körper zwei hauptsächliche Hinder­nisse: einerseits, daß sie in mehrerlei störende Tätigkeiten abgelenkt wird - die mannigfaltigen Tätigkeiten aber behindern und schwächen einander gegenseitig; es ist nämlich sehr schwer, Verschiedenem gleich­zeitig obzuliegen - andererseits, daß sie sowohl wegen der Beschaffen­heit dieser niederen Wohnstätte als auch besonders wegen ihrer körperlichen Dienstbarkeit, welche den Menschen auf eine gewisse Zeit zugewiesen, die niederen Verrichtungen bei weitem früher, auf­merksamer und häufiger ausübt als die höheren. Deshalb verfahren wir, wenn wir unkörperliche Dinge betrachten wollen, meistens ohne Kraft u~d erblicken sie nur unklar wie in einem Nebel. Wenn aber die

Verrichtungen der Ernährung, Fortpflanzung, Wahrnehmung und Vorstellung ganz aufhören oder wenigstens nachlassen, dann wird der geistige Blick bis zu dem Grade geschärft werden, daß er das Gesehene deutlicher als dieses Licht erkennt. Dann wird die Seele durch sich selbst das intelligible Licht schärfer erblicken als jetzt das sinnliche durch die Glasfenster dieses körperlichen Kerkers; denn sie wird ruhig durch ihre durchsichtige und ganz durchdringende Klarheit die erha­bensten Objekte in dem Lichte der göttlichen Sonne anschauen, wel­ches so hell ist, daß neben ihm das Licht dieser Sonne zum Schatten wird und wegen seiner hell strahlenden Reinheit unreinen Augen ver­borgen bleibt, reinen hingegen deutlich offenbar wird. Sie wird sie aber nicht wie gemalte Bilder, sondern als wirkliche Gegenstände anschau­en, deren Abbilder die übrigen Dinge sind.

Wenn im Schlafe die Tatigkeiten der Bewegung und der äußeren Sinne aufhören, dann wird die Einbildungskraft, die sich von den Überresten der sinnlichen Eindrücke nährt, so gestärkt, daß sie innerlich Bilder malt, welche gleichsam Wirklichkeiten vorstellen. Was wird also der Intellekt tun, der doch beträchtlich wirkungskräftiger ist als die Einbil­dungskraft, wenn er in ungleich höherem Grade als die Einbildungs­kraft des Träumenden von Hindernissen frei sein und in der Wahrheit und mit der voll entfalteten Vernunfttätigkeit die wahren Urbilder al­ler Dinge erblicken wird? Offenbar wird er dann alle Wirklichkeiten in sich selbst auf das genaueste darstellen, oder vielmehr die Bilder aller Wirklichkeiten werden in ihn einströmen. Aber von wem aus haupt­sächlich? Von der Vernunft, der Weltvernunft, will ich sagen, dem Licht der Lichter. Und wie bald wird das wohl geschehen? Auf das geschwin­deste, nämlich sofort. Denn auf Grund einer gewissen Verwandtschaft erleuchtet das sichtbare Licht einen durchsichtigen Körper, sobald als dieser klar und rein geworden ist; sie formt ihn mit ihrer eigenen Form und durch ihre Form mit den Formen aller sichtbaren Gegenstände.

Auf ähnliche Weise formt das intelligible und das überintelligible Licht, d.i. Gott, die intellektuelle Durchsichtigkeit, sobald als diese klar wird; er formt sie mit seiner eigenen, d.h. der göttlichen Form und durch sie mit den Formen aller intelligiblen Dinge. Er teilt ihr sogleich in dem Maße Lebenswärme und Freude mit, in welchem er sie schon

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mit wohltuendem Lichtstrahl durchdrang, und verleiht ihr ein vom Tode freies Leben, wie er ihr ein von der Finsternis geschiedenes Licht eingießt, welches an kein zeitliches Maß gebunden ist. In die Vernunft gießt er ein Licht ein, durch das sie aus der Veränderlichkeit der Zeit zur Ruhe der Ewigkeit aufsteigt. Er speist sie aber immer nach ihrem Wunsch mit Güte, reizt im Erfüllen ihr Verlangen und erfüllt im An­reiz. Dort ist Sattheit ohne Übersättigung, wo das Gute ohne Übel ist und durch das unendliche Gute auch eine unendliche Aufnahmefähig­keit entsteht. Das unendliche Gute und Schöne also, die Quelle unend­licher Güte und Schönheit, reizt und erfüllt gleichermaßen in alle Ewigkeit.

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DIE GOTTESGELEHRTEN SIND WACH, DIE ÜBRIGEN TRÄUMEN

Marsilio Ficino entbietet seinem einzig geliebten Freunde Giovanni Cavalcanti seinen Gruß.

Es wundern sich manche darüber, daß wir mit so peinlicher Befolgung seiner Grundsätze Platon anhangen, der sich doch anscheinend stets mit Paradoxien und Wunderlichkeiten beschäftigt. Sie werden aber, meine ich, aufhören, sich zu wundern, wenn sie bedenken, daß allein das Göttliche wirklich existiert, weil es weder durch die Berührung mit einer fremden Natur infiziert noch jemals in seiner unveränderlichen Ruhe gestört wird, daß hingegen die körperlichen Dinge nicht in Wirklichkeit sind, sondern nur zu sein scheinen, da sie mit Gegensätz­lichem infiziert werden und unaufhörlichen Veränderungen unterlie­gen, eben darum aber nicht wirkliche Gegenstände, sondern die Abbilder von Schatten von solchen sind.

Wahrend aber die übrigen Philosophen ziemlich alle sich lediglich der Beobachtung der natürlichen Dinge widmeten und unter diesen als un­ter den Abbildern der wirklichen Gegenstände ein Traumleben führ­ten, lag unser Platon dem Göttlichen ob und wachte allein oder wenigstens in höherem Grade als alle anderen. Darum halte ich es für so viel besser, in der Theologie dem Platon zu folgen als den übrigen Philosophen, als es ratsamer ist, sich einem wachenden Steuermanne anzuvertrauen als einem schlafenden. Sei gegrüßt!

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DIE WAHRHEIT GOTTES IST LICHTGLANZ, SCHÖNHEIT UND LIEBE

Marsilio Ficino entbietet seinem einzig geliebten Freunde Giovanni Cavalcanti seinen Gruß

Darauf ging hauptsächlich das Bestreben des göttlichen Platon, wofür ja sein Gespräch Parmenides und die Epinomis Zeugnis ablegen, das eine Prinzip der Dinge nachzuweisen, welches er vorzugsweise das Eine an sich nannte. Auch lehrte er, daß die eine Wahrheit aller Dinge das allen vernünftigen Seelen und allen Denkformen eingegossene Licht des Einen an sich, d.i. Gottes, sei, welches zugleich die Denkfor­men den vernünftigen Seelen zugänglich mache und die vernünftigen Seelen mit den Denkformen vereinige. Mit dieser Wahrheit, welche identisch ist mit dem einen Lichtstrahl des Einen, d.i. Gottes, muß sich also einzig und allein beschäftigen, wer auch immer sich zur platoni­schen Philosophie bekennen will. Dieser Lichtstrahl durchdringt die Engel, die Seelen, die Himmelssphären und die übrigen Körper. Wie wir ja auch im Buche über die Liebe auseinandergesetzt haben, leuchtet dieser Lichtglanz in den Einzelwesen entsprechend ihrer besonderen Natur und wird Liebreiz und Schönheit genannt. Wo er am vollkom­mensten leuchtet, da besonders lockt er den Erblickenden an, bringt den Betrachtenden in Erregung, reißt den Nähertretenden hin, nimmt ihn gefangen und zwingt ihn, den so beschaffenen Lichtglanz in beson­derem Maße gleichsam als ein göttliches Wesen zu verehren und nichts anderes zu erstreben, als nach Ablegung seiner früheren Natur selbst zu diesem Lichtglanz zu werden.

Dies geht aus folgendem hervor: manchmal ist ein Liebhaber von dem Anblick und der Berührung eines geliebten Menschen nicht befriedigt und ruft öfters: »Dieser Mensch hat irgend etwas an sich, was mich brennt, und ich weiß gar nicht, was ich wünsche.« In solchem Falle er­leidet die Seele ganz gewiß ein Brennen von dem göttlichen Licht, das in einem schönen Menschen wie in einem Spiegel aufleuchtet, und wird von diesem in heimlicher Entrückung gleichsam wie an einem

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Angelhaken aufwärts gezogen, damit sie Gott werde. Für unsinnig und elend ist daher ein jeder zu halten, der, während er von Gott durch den Gesichtssinn zum Erhabenen aufgefordert wird, sich selbst durch den Tastsinn in den Kot versenkt und, da er durch die Betrachtung der gött­lichen Schönheit mittels der menschlichen aus einem Menschen zu einem Gott werden könnte, sich selbst aus einem Menschen zu einem Tier macht, indem er der geistigen und wahren Schönheit die körperli­che und schattenhafte Form vorzieht.

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DIE IDEEN BEFINDEN SICH NACH PLiITON IM GÖTTLICHEN GEIST

Marsilio Ficino entbietet seinem einzig geliebten Freunde Giovanni Cavalcanti seinen Gruß

Unser Platon lehrt im Timaios im Anschluß an den Pythagoreer Timaiosl, den er sich dort zum Vorbild nimmt, daß die Welt von Gott gezeugt sei. Für diese Zeugung führt er eine dreifache Ursache an: die bewirkende, die Endursache und die urbildliche Ursache. Er be­hauptet nämlich, daß die Welt durch die Kraft der göttlichen Güte und um ihretwegen nach dem Musterbilde der göttlichen Weisheit gezeugt wurde. Und wie in dem Baumeister die Urbilder seines gesamten Bau­werkes und dessen einzelner Teile vorhanden sind, so seien auch in einer überweltlichen göttlichen Intelligenz die Urbilder dieser ganzen Welt und ihrer Teile, und er nennt jene Welt die intelligible und ewige, diese hier aber die zeitliche und sinnliche. Die Urbilder dieser in jener andern nennt er die Ideen, ihre Nachbilder aber in dieser hier Bilder und Schatten.

Darum dürfen wir nach Herzenslust über gewisse Neider lachen, wel­che so albern wie unbillig öffentlich ausschreien, Platon habe die Ideen als sowohl von den Körpern wie von der göttlichen Intelligenz wie auch von sich untereinander getrennte Allgemeinbegriffe der Dinge an­genommen, die gleich vom Winde zerteilten Wölkchen in der Luft her­umfliegen. Aber da ich gegen jene sehr viel in meinen Büchern beigebracht habe, die ich bei Dir in Rignano schrieb, so möge es für jetzt genügen, zum Beweise eine Stelle aus Platons Timaios anzuführen.

»Laßt uns«, sagt er, »zuerst betrachten, was man in der Streitfrage über das Weltall vor allem zu untersuchen pflegt: ob dieses Weltall ohne ein erzeugendes Prinzip immer dagewesen ist oder ob es gezeugt worden ist, indem es von irgendeinem Prinzip seinen Ursprung nahm. Es ist in Wirklichkeit sichtbar und tastbar und ein Körper; alles derartige aber wirkt auf die Sinne ein; was auf die Sinne einwirkt, ist nach all ge-

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meiner Meinung sinnlich wahrnehmbar; derartige Dinge entstehen be­kanntlich und sind entstanden; was aber von irgendeiner Ursache her­stammt, von dem behaupteten wir, daß es notwendigerweise erzeugt wird. Den Werkmeister und Vater der Welt zu finden, ist wohl schwer, und wenn man ihn gefunden hat, ihn öffentlich zu verkündigen, ist un­möglich.

Wiederum ist zu erwägen, ob der Weltbaumeister einem Urbilde nach­geschaffen hat und ob dies immer eines und dasselbe und sich selbst gleich ist, oder ob ein solches, was wir entstanden nennen. Wenn nun die Welt schön und der Weltbaumeister schön ist, dann hat er es vorge­zogen, einem ewigen Urbilde nachzuschaffen; wenn es sich aber anders verhält, was nicht einmal auszusprechen erlaubt ist, so hat er statt einem ewigen einem entstandenen Vorbilde nachgeschaffen. Da aber die Welt von allem Entstandenen das Schönste und ihr Urheber von allen Ursachen die beste ist, so besteht kein Zweifel, daß er einem ewi­gen Urbilde gefolgt ist. So ist die geschaffene Welt derart geworden, daß sie allein durch Vernunft und Weisheit begriffen werden kann und un­veränderlich besteht. Mithin ist es notwendig, daß diese Welt das Ab­bild einer anderen ist.«

Und bald darauf: »Laßt uns zusehen, aus welcher Ursache der Urheber die Schöpfung und dieses Weltall beschloß. Er war gut, ein Guter aber wird niemals um einer Sache willen von Mißgunst berührt. Da ihm al­so der Neid durchaus fremd ist, so wollte er, daß alles, was irgend ent­stehen konnte, ihm im höchsten Maße ähnlich wurde. Wenn man diese von einsichtsvollen Männern für die hauptsächliche Ursache der Welt­entstehung erklären hört, so wird man sie fürwahr mit vollster Begei­sterung hinnehmen.«

Und kurz darauf: »Man muß sagen, daß diese Welt ein Lebewesen ist, und zwar ein vernunft begabtes und in Wirklichkeit durch die göttliche Vorsehung entstandenes. Laßt uns zusehen, was aus dieser Annahme folgt. Da Gott die Welt nach dem Vorbilde eines Lebewesens gebildet hat, so kann er sie nach unserer Meinung nicht irgendeiner beliebigen Art nachgebildet haben. Wäre sie nämlich einer unvollkommenen Art nachgebildet worden, so wäre sie sicher nicht schön. Wir halten sie

vielmehr für das Ebenbild desjenigen Lebewesens, dessen Teile die übri­gen Lebewesen einzeln und artweise sind. Dieses begreift ja alles Leben­de, was durch die Vernunft allein vorgestellt wird, in sich, wie diese Welt uns und die übrigen sichtbaren Lebewesen enthält. Da Gott also diese Welt dem in höchstem Maße schönen absoluten Weltwesen ganz ähnlich machen wollte, so bildete er ein einheitliches sichtbares Lebe­wesen, welches alle seiner Natur entsprechenden Wesen innerhalb sei­ner Schranken enthält.

Ist es nun richtig, wenn wir sagten: eine Welt? Oder mußte es nicht richtiger lauten: unzählige Welten? Als Einheit fürwahr kann sie, da sie nach dem Urbilde der einen geformt ist, welche alle intelligiblen Lebe­wesen enthält, keinen Genossen haben. Dies würde nämlich wieder ein anderes Lebewesen erfordern, welches beide enthalten müßte, und des­sen Teile sie beide wären. Diese Welt müßte dann richtig als das Abbild nicht der beiden, sondern jener dritten Welt bezeichnet werden. Damit also diese Welt dem absoluten Lebewesen ähnlich sei, darum weil es al­lein und einzig ist, eben deshalb sind nicht zwei oder zahllose Welten geschaffen worden; vielmehr ist entstanden und wird sein eine einzig gezeugte Welt.«

Doch vernimm noch den Pythagoreer Timaios, welcher Platons Leh­rer war und mit ähnlichen Worten die Ideen in Gott verlegte. »Die Welt«, sagt er, »ist von allem, was entstanden ist, das Beste, weil sie von dem besten Urheber stammt, der nicht auf geschaffene Vorbilder hin­blickt, sondern auf die Idee und die intelligible Substanz. Was nach die­ser mit vollkommener Genauigkeit gebildet ist, das ist im höchsten Maße schön und keiner Verbesserung bedürftig. Sie ist von überragen­der Vollkommenheit in Bezug auf das sinnlich Wahrnehmbare, weil ihr Urbild, welches alle intelligiblen Lebewesen in sich enthält, nichts an­deres außer sich zurückließ, da es die absolute Grenze alles Intelligiblen ist, wie diese Welt hier alles sinnlich Wahrnehmbaren.« So jener.

Wir vernahmen nun, daß die Ideen aller Dinge in einem lebenden ewi­gen Urbilde sind, welches die vorzüglichste aller intelligiblen Wesen­heiten und so ganz absolut ist, daß nichts Intelligibles außer ihm besteht. Das kann aber nichts anderes sein als Gott. Was kann aber kla-

rer sein als dies? Als Platon gesagt hatte, Gott habe alles sinnlich Wahr­nehmbare dem Intelligiblen nachgebildet, da fügte er hinzu, er habe al­les nach seinem eigenen Bilde gestaltet. So ist also das Urbild identisch mit Gott.

Wie viele Arten aber von geschaffenen Dingen in dieser Welt sind so viele Ideen wenigstens sind in Gott, d.i. intelligible Vernunft begriffe, durch welche alles geschaffen wird; die geschaffenen Artbegriffe aber haben, weil sie in der nicht durch sich lebenden Materie bestehen, ent­weder gar kein Leben oder doch kaum ein Leben. Die Ideen hingegen leben in Gott, weil sie in Gott sind, der durch sich selbst lebt. Platon sagt in demselben Buche: »Wie viele und welcherlei Ideen die Vernunft in den an sich Lebenden erblickt, ebenso viele und eben solche Arten gedachte sie in dieser Welt auszugestalten.« So dachte Platon, lieber Giovanni, wie Du vernimmst. So dachten auch Platons Vorgänger und seine Nachfolger. Glaube Deinem Marsilio: wer anders denkt, der irrt von der Wahrheit ab.

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DIE URSACHE DES SÜNDIGENS, DIE HOFFNUNG UND DAS

HEILMITTEL

Marsilio Ficino entbietet seinem einzig geliebten Freunde Giovanni Cavalcanti seinen Gruß

Warum leben die Seelen so weltlich, da sie doch göttlichen Wesens sind? Weil sie in einer profanen Behausung und Region wohnen. Die einen sündigen aus Unachtsamkeit und Unwissenheit, und dies ist nicht einmal verwunderlich, solange als wir in diesem finsteren Schlamme der Welt leben; andere versündigen sich aus allzu großer Lie­be zum Körper, und auch dies ist nicht verwunderlich, da er der Beglei­ter und Sproß der Seele ist, andere wiederum, weil sie nicht an die Unsterblichkeit der Seele und nicht an die göttliche Gnade glauben. Ist dies verwunderlich, da sie doch an einer Stätte des Todes und der Bos­heit ihr Leben führen? Andere endlich sündigen, weil sie mehr als billig auf die göttliche Gnade oder auf ihre baldige Besserung bauen. Miß­trauen und allzu großes Vertrauen sind gleich gefährlich: jenes peinigt, dieses führt irre.

Darum besteht die größte Klugheit darin, stets den gegenwärtigen Au­genblick zu benutzen, so gut wir am besten können. Die einzige Zu­flucht besteht darin, sich Gott so häufig als möglich zu empfehlen. Die beste Hoffnung beruht darauf, während man dies tut, sich zu erinnern, daß Gott sehr wohl weiß, welche rauhe und gefährliche Provinz er uns zum Wohnsitz und zur Verwaltung angewiesen hat. Die unendliche Güte übersteigt bei weitem das Übel. Sie ordnete mannigfache Grade der Züchtigung oder der Strafen an, und zwar teils zum besonderen Besten der einzelnen, teils zum allgemeinen Besten, aber auch sehr vie­le und ausgiebige Grade der Belohnungen.

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DIE RECHTE GRENZE DER LIEBE IST DER UMGANG

Marsilio Ficino entbietet seinem einzig geliebten Freunde Giovanni Cavalcanti seinen Gruß

Du fragst, was mich hauptsächlich dazu veranlaßt hat, einige Liebes­briefe zu ersinnen. Es gibt, lieber Giovanni, sehr viele, die über Angele­genheiten der Liebe reden und schreiben und doch von dem Gebot der Liebe weit abirren. Solcher Irrtum ist aber in dem Maße schädlich, wie die rechte Art zu lieben nutzbringend ist; er ist ebenso vielfältig wie die Zahl der Liebenden.

Alle aber lieben Menschen. Darum habe ich nicht nur in meinem Bu­che über die Liebe!, sondern auch in meinen Briefen den Liebenden eine Grenze gesteckt, bis zu der sie gehen können. Wer diese über­schreitet, kann als sein eigener wahrer Feind anderen nicht ein wahrer Freund sein. Die rechte Grenze aber im Reden und Schreiben wird nur der einhalten, der sie vorher im Denken eingehalten hat. Im Denken aber wird sie einhalten, wer das Wesen der wahren Schönheit erkannt hat, nicht der wahren zwar, doch ihres Abbildes. Die rechte Grenze der Liebe ist der Umgang; dieser besteht in dreierlei: im Denken, im An­blick und im Anhören.

Denn nach der Definition aller Philosophen ist die Liebe nichts ande­res als das Verlangen nach der Schönheit2

• Die Schönheit des Körpers besteht nicht in dem Schatten der Materie, sondern im Licht und in der Anmut der Form, nicht in der dunklen Masse, sondern in einer hellen Proportion, nicht in der trägen und plumpen Schwere, sondern in der Harmonie von Zahl und Maß. Das Licht aber, die Anmut an sich, die Proportion, die Zahl und das Maß erreichen wir nur durch Denken, Sehen und Hören. So weit also erstreckt sich der wahre Affekt der wahrhaft Liebenden. Die Begierde aber der übrigen Sinne ist, da sie zur Materie, zur Masse, zur Schwere und zur Häßlichkeit, dem Ge-

gensatze der Schönheit und Liebe, hinzieht, nicht Liebe, sondern ein sinnloser, lästiger und allzu häßlicher Kitzel.

Doch warum trage ich so lange nach Art des Sokrates und unseres Pla­ton lieber Sorge um die Menge als um mich selber? Vielleicht wird die Menge, je mehr ich sie von der niedrigen Liebe abbringen will, sogar argwöhnen, daß ich mich zuviel der Liebe hingab, was ja auch jenen göttlichen Heroen Sokrates und Platon zugestoßen sein soll. Folglich habe ich nun darüber schon übergenug gesprochen. Sei gegrüßt!

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LIEBE OHNE RELIGION IST EBENSOWENIG WBENSWERT

WIE RELIGION OHNE LIEBE

Marsilio Ficino entbietet Filippo Controni aus Lucca seinen Gruß

Ich sende Dir die versprochene Liebe. Ich sende auch die Religion, da­mit Du erkennest, daß meine Liebe religiös und daß meine Religion voller Liebe ist. Es ist von der Natur so angeordnet, daß reine Liebe nur religiös und daß wahre Religion nur von Liebe getragen sein kann. Dich läßt Angelo Manetti grüßen, der Sohn des Orators Giannozzo, ein würdiger Erbe der väterlichen Tugend.

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ÜBER DAS ERTRAGEN VON UNRECHT

Marsilio Ficino entbietet seinem einzig geliebten Freunde Giovanni Cavalcanti seinen Gruß

Du sagst, daß einer Deiner Freunde unlängst von einigen mutwilligen Menschen beschimpft und beleidigt wurde. Wer unrecht tut, lieber Giovanni, tut es sich selbst an. Er verstört seine Seele und drückt ihr einen Makel auf. Schändliches Betragen zieht Haß, Gefahr und U nan­nehmlichkeiten zu. Wer Unrecht erleidet, der erleidet es nicht von dem Beleidiger, sondern von sich selber. Die vernünftige Seele, nämlich die, welche der Mensch selbst ist, wird nur gekränkt, wenn sie sich jene Be­leidigung als Übel anrechnet. Dieses Anrechnen steht in unserem Er­messen. Da also ein jeder nur von sich selber gekränkt wird, darf sich niemand über einen andern als über sich selbst beklagen. Folglich soll, wer sich beklagt, nicht daran denken, wie er einen andern, sondern wie er sich selbst bestrafe, d.i. zurechtweise und bessere.

Hast Du nicht schon junge Hunde gesehen, die einen nach ihnen ge­worfenen Stein beißen, auch wenn er sie nicht einmal getroffen hat? Von dem Stein haben sie keinen Schaden erlitten; sie aber beschädigen durch das Beißen ihre Zähne. Ebenso handeln unkluge Menschen: öf­ters, wenn sie von einem Esel einen Fußtritt erhalten haben, schlagen sie mit der Faust den Esel, nein, sich selbst. Die Unklugen lenken durch ihre Meinung viele Beleidigungen auf sich selbst, welche ihrer Natur entsprechend wie Spielbälle auf den Werfenden zurückzuprallen pflegen.

Du wirst vielleicht sagen: »Es ist schwer, nicht nach Vergeltung zu trachten.« Zweifle nicht, wenn die Menschen verziehen haben, wird trotzdem bald Gott in seiner großen Gerechtigkeit Rache üben. Was ist wohl günstiger, was ist rühmlicher, als Gott zu seinem Schutzherrn und Rächer zu haben und wenigstens soviel Gutes durch Warten auf ihn zu verdienen, als der Beleidiger Übles tun wollte; und so das Böse

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in Gutes zu verwandeln? Oh, welch ein kostbares Gut ist die Duldsam­keit! Sie allein übte Sokrates, der Weiseste der Griechen; sie vor allen Tugenden Christus, der Herr des Lebens. Denn eigentlich um sie zu üben, soll er zu den Menschen hinabgestiegen sein.

Die Ungeduld ist im gleichen Maße tadelnswert wie die Geduld lo­benswert ist. Abgesehen von anderem: die Ungeduld verstört die Seele, vertilgt Gutes aus der Vergangenheit, verdirbt das gegenwärtige und verhindert das zukünftige Gute. Auch darf man nicht der Stimme des niederen Pöbels Gehör leihen, wenn sie zur Rache auffordert. Was ist der Pöbel? Ein Polyp, d.i. ein vielfüßiges Tier ohne Kopf.

Ein Hochgesinnter muß in Anbetracht seiner Seelengröße das Kleine gering achten. Klein ist auch alles kurzfristige Zeitliche, von dem das Vergangene nicht mehr, das Zukünftige noch nicht und das Gegenwär­tige unteilbar ist, zugleich beginnt und aufhört.

Tapfer ist nicht, wer Beleidigungen unterliegt, sondern, wer ihrer Herr wird. Ihrer Herr aber wird, wer ihnen so widersteht, daß er durch ihren Ansturm nicht aus seiner Ruhe kommt. Dies sollst Du Deinem Freunde vorlesen und ihm sagen, er möge das Heilmittel in der Ver­nunft suchen, nicht von der Zeit erwarten. Denn die Zeit ist ein schäd­licher Arzt: täglich täuscht sie den Kranken in seiner Erwartung und fügt, bevor sie die alten Schmerzen vertreibt, zu diesen neue hinzu und häuft täglich so viele Übel auf, daß sie durch trügerische Lebenshoff­nung zum Tode führt. Leben muß man heute; wer morgen lebt, der lebt niemals. Willst Du heute leben, so lebe Gott, in dem das Morgen und das Gestern nichts anderes ist als das Heute. Sei gegrüßt!

Den 30. März 1474.

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WIE MAN STANDHAFTIGKEIT GEGENÜBER SCHICKSALSSCHLÄGEN

GEWINNT

Marsilio Ficino entbietet seinem einzig geliebten Freunde Giovanni Cavalcanti seinen Gruß

In Platons Buche, welches Theaitetos oder über die Wissenschaft betitelt ist, rüstete Sokrates seinen Freund, den Geometer Theodoros, zur ener­gischen Abwehr der Schicksalsschläge nicht, wie sonst die meisten tun, mit eisernen, sondern mit goldenen Waffen auf folgende Weise aus. »Unmöglich ist es,« sprach er, »lieber Theodoros, das Übel gänzlich auszurotten. Notwendig gehört immer zu einem Guten dessen Gegen­satz. Bei den Göttern können allerdings keine Übel sein; dafür suchen sie aber notwendig die sterbliche Natur und die untere Region heim. Darum muß man versuchen, so schnell als möglich von hinnen zu flie­hen. Fliehen aber nenne ich, sich Gott nach besten Kräften ähnlich zu machen. Gottähnlich aber machen den Menschen die Klugheit, die Reinheit des Lebens und die Gerechtigkeit.«

Wie man aber diese göttliche Lehre unseres Platon verstehen muß, das sollst Du kurz vernehmen. Wie Gott der Schöpfer und auch der len­ker unserer Seelen, so ist die Erzeugerin und Lenkerin der Körper die Welt. Während die Seele ein Kind Gottes ist, muß der Körper als ein Glied des Weltkörpers gelten. Unsere Seele wird von Gott, wie von einem Vater, nach den Gesetzen der Vorsehung gütig und sanft geleitet, unser Körper aber vom Weltkörper durch Schicksalsmächte, gleichsam als ein kleines Teilchen von seiner ganzen Masse, in heftigem U nge­stüm fortgerissen; doch dringt in unsere Vernunft die Macht des Schicksals nicht ein, wenn sie sich selbst nicht zuvor in den Körper versenkt hat, der dem Fatum unterworfen ist.

Niemand vertraue daher in dem Maße auf seine Einsicht und seine Kräfte, daß er hoffe, den Krankheiten des Körpers und dem Verlust an Habe ganz und gar entgehen zu können! Jede Seele bringe sich also aus

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dem Verderben des Körpers in Sicherheit und sammle sich in ihrer Ver­nunft; dann wird das Schicksal seine Gewalt am Körper auslassen und die Seele unberührt lassen. Nicht erfolglos wird ein Weiser gegen das Schicksal kämpfen; indem er vor sich selber flieht, wird er jenem kräf­tigeren Widerstand leisten. In die Flucht schlagen kann man das Un­heil nicht, aber ihm entrinnen. Daher gebietet uns Platon, von hier nach dort, d.i. von der Liebe zum Körper und der Sorge um die äußer­lichen Dinge zur Pflege der Seele hauptsächlich unsere Zuflucht zu nehmen; anders nämlich lassen sich die Übel nicht abwenden.

Er fügt noch hinzu: »So schnell als möglich.« Ich glaube aus dem Grunde, damit wir von frühester Jugend an die Seele vom Verkehr mit dem Körper zu trennen anfangen sollen, bevor sie durch den ständigen Umgang mit ihm darin untergeht. Durch diese Flucht wird die Seele mit vollem Recht Gott ähnlich, da sie wie Gott frei von der körper­lichen Befleckung bleibt.

Eine solche Freiheit erlangen wir hauptsächlich durch drei Tugenden: die Klugheit, die Gerechtigkeit und die Frömmigkeit. Die Klugheit er­kennt, was wir Gott und was wir der Welt schulden, die Gerechtigkeit gibt der Welt das Ihrige, und die Frömmigkeit Gott das Seinige. Daher überläßt ein kluger Mann wohl seinen Körper als einen Teil der Welt deren Getriebe, wohin auch immer ihn der Zufall führen möge. Die Seele aber, das Kind Gottes, sondert er von der Gemeinschaft mit dem Körper ab und vertraut sie der göttlichen Vorsehung zur Lenkung nach ihrem Willen an.

Wenn wir, liebwertester Giovanni, diese goldene Lehre unseres Platon befolgen, dann werden wir, wenn ein himmlischer Hauch uns günstig zuweht, über den ungeheuren Meeresschlund des Schicksals hin auf glücklicher Fahrt sicher und wohlbehalten zum Hafen steuern. Sei gegrüßt!

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DIEJENIGE FREUNDSCHAFT IST BESTÄNDIG, DIE VON GOTT

GESTIFTET WIRD

Marsilio Ficino entbietet seinem einzig geliebten Freund Giovanni Cavalcanti seinen Gruß

Die wahre Freundschaft, mein vortrefflicher Giovanni, definierten die Platoniker als die beständige Vereinigung zweier Leben. Ich bin aber der Meinung, daß ein gemeinsames Leben nur in solchen bestehen kann, welche durch eine Tatigkeit gleichsam auf demselben Wege zu einem und demselben Reiseziel vorwärts schreiten, und daß ihre Gemeinschaft nur dann beständig sein wird, wenn das, was sie sich als gemeinschaftli­che Obliegenheit vorgenommen haben, nicht nur einheitlich, sondern auch fest und beständig ist.

Da nun alles menschliche Streben und Betreiben immer auf das hinge­richtet ist, was für das Gute gehalten wird, dreierlei Güter aber in der Vorstellung der Sterblichen bestehen, nämlich Güter der Seele, des Körpers und äußerliche Güter, so streben sie entweder nach der Tu­gend der Seele oder nach körperlicher Sinnenlust oder nach Reichtü­mern. Von diesen ist in Wirklichkeit nur die erstere das Sichere und Dauernde, die bei den andern aber sind morsch und vergänglich. Dar­um kann nur zwischen solchen eine beständige Vereinigung des Le­bens, worin die wahre Freundschaft beruht, bestehen, welche weder auf das Aufhäufen von Reichtum noch auf die Befriedigung der körper­lichen Begierden, was ja alles vergänglich und hinfällig ist, ausgehen, sondern mit ganzer Inbrunst der Seele mit gemeinschaftlichem Eifer danach streben, die eine unvergängliche Tugend zu erringen und auszu­bilden.

Unser Platon, der große Meister und Führer aller Philosophen, be­stimmte für die Tugend der Seele den Namen der Weisheit; für den Ge­genstand der Weisheit aber hielt er die Erkenntnis des Göttlichen. In seinen Büchern über den Staat tat er dar, daß die Erkenntnis des Gött-

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lichen uns nur aufgehen kann, wenn Gott uns erleuchtet, wie auch die Formen des Körpers unseren Augen sichtbar werden, wenn die Sonne die Augen mit Licht erfüllt. Derselbe Gott also, den wir zu schauen begehren, ist es, der die Sehkraft der Vernunft erleuchtet, damit wir schauen können, der endlich der erleuchteten Vernunft erscheint und im Erscheinen mit Wonne erfüllt. Derselbe Gott ist uns der Weg, die Wahrheit und das Leben. Der Weg zwar, weil er mit seinen Strahlen uns zu sich hinwendet, führt und hinreißt; die Wahrheit aber, weil er sich uns, die er zu sich hinwandte, als das Wahre zeigt; das Leben end­lich, weil er unsere Seele, indem sie ihn betrachtet, durch jene selige Schauung unaufhörlich speist und mit Wonne erfüllt. Nach diesem un­versiegbaren Born aller Weisheit müssen notwendig alle dürsten, die an dem süßen Quell der Weisheit sich erlaben wollen. Nach der Weisheit aber müssen alle trachten, welche nach der Tugend der Seele streben. Daher müssen notwendig alle, welche den Vorsatz haben, ihre Seelen auszubilden, Gott anbeten.

Freunde sind nun nach unserer obigen Definition solche, die mit dem­selben gleichmäßigen Eifer nach der Tugend streben und von gegensei­tiger Hingebung für ihre Seelen erfüllt sind. Die Pflege der Seele besteht allein in der Tugend, die Tugend ist die Weisheit, und die Weis­heit die Erkenntnis des Göttlichen. Diese Erkenntnis verleiht uns das göttliche Licht. Darum ist die Ausbildung der Seele Gottesdienst. Da nun die Freundschaft mit beiderseitigem Einverständnis darauf hin­strebt, die Seele in der Tugend auszubilden, so ist sie schlechterdings wohl nichts anderes als die höchste Übereinstimmung zweier Seelen im Gottesdienst. Geliebt werden von Gott alle, die ihn mit frommem Ge­müt anbeten. Darum sind nicht nur zwei, sondern stets drei Freunde notwendig beisammen, nämlich zwei Menschen und der eine Gott, ja Gott: Zeus, der Beschirmer der Gastfreundschaft, Zeus, der Behüter der Freundschaft, Zeus, der Bewahrer des menschlichen Lebens. Ihn verehrte stets Platon, ihn ehrte stets Sokrates. Er, der Führer des mensch­lichen Lebens, er ist es, der uns vereinigt, er ist das unauflösliche Band und der ewige Hort der Freundschaft.

Auf Veranlassung dieses Gottes sollen nach der Überlieferung jene Theologen der Vorzeit, deren Andenken wir als heilig verehren, unter-

einander einen Freundschaftsbund eingegangen sein. Bei den Persern soll sich Zoroaster als ständigen Genossen zu dem religiösen Kult der göttlichen Mysterien der Philosophie auf göttliche Eingebung hin einen Arimaspen hinzugezogen haben, ähnlich erweise bei den Ägyp­tern Hermes Trismegistos den Äskulap, in Thrakien Orpheus den Mu­saios, daselbst auch Aglaophemos den Pythagoras, der Athener Platon zuerst den Syrakusaner Dion und dann nach dessen Tode den Xenokra­tes. In diesem Maße hielten die weisen Männer zum sicheren und ruhi­gen Zurücklegen ihrer himmlischen Laufbahn die Führung Gottes und die Begleitung eines Menschen für notwendig.

Ihren Spuren, welche droben den himmlischen Regionen eingeprägt sind, getraue ich mir zwar keineswegs zu folgen; das eine aber glaube ich in übervollem Maße erreicht zu haben, daß ich zum Studium der heiligen Philosophie, zur Ausübung der Tugend und zur Erforschung der Wahrheit der fördernden und angenehmen Gesellschaft eines vor­züglichen Mannes nicht entbehre. Ich denke nämlich, daß die Freund­schaft eines Giovanni Cavalcanti und eines Marsilio Ficino der oben angeführten Zahl anzureihen ist, und daß sie uns beide unter Gottes Führung, der uns gnädig diesen Bund bestimmt und gestiftet hat, in der Durchführung unserer Angelegenheiten, in der ruhigen lebensfüh­rung und in der Erforschung des Göttlichen im höchsten Maße för­dern wird.

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ANMUT, LIEBE, TREUE UND FREUNDSCHAFT

Marsilio Ficino entbietet dem Dichter Naldo Naldi seinen Gruß

Ich wollte Dich eben, lieber Naldo, die Wonne des Phoebus nennen und Deine Dichtung mit vielen Lobsprüchen auszeichnen; da fiel mir aber ein, daß die Muse nur von der Muse, und Gedichte nur in dichte­rischer Form gefeiert werden dürfen. Schweigen kann ich aber nicht ganz über die Deinigen. Was mich zum Reden veranlaßt, ist die Liebe und Treue. Die Liebe und die Treue also will ich preisen.

Die Anmut erweckt die Liebe, die Liebe erzeugt die Treue. Die Treue hegt und pflegt ihre Erzeugerin, die Liebe, und zeugt durch diese Hin­gebung aus der Liebe die Freundschaft; dieselbe Treue endlich nährt die Liebe und erhält sie täglich, daß sie nie vergehen kann.

Wie denken wir wohl, daß dies zugehen mag? Während alles übrige mit zunehmendem Alter immer schwächer wird, nimmt die Freundschaft, je älter sie wird, immer mehr an Stärke zu. Bewirken dies wohl gegen­seitig erwiesene Liebesdienste? Keineswegs. Da nämlich der Wille frei ist, wird er auch nicht durch einen Preis, sondern durch freiwilliges Entgegenkommen erkauft. Daher bestärkt lange erprobte Treue die Freundschaft, und die Treue allein bewirkt, daß das Wohlwollen bei hohem Alter zugleich bei voller Kraft bleibt. Sie möchte ich vor allem preisen. Denn die Gelehrsamkeit gehört einem jeden persönlich an, die Treue aber wenigstens zweien. Inwiefern Du Wissen besitzest, hast Du es für Dich selbst; treu bist Du aber Dir und mir.

Sei gegrüßt, lieber Naldo, der Du treuer bist als die Treue selbst, Du mein ältester Freund. Bleibe auch in Freundschaft mit dem gelehrten und rechtschaffenen Bernardo Rucellai. Gedenke daran, daß, sooft wir

zusammen über den Inbegriff eines mustergültigen Bürgers oder eines erfolgreich wirkenden Mannes nachdachten, Du stets unter Marsilios Beistimmung vor hunderttausend anderen Männern Rucellai den Vor­zug gabst.

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DIE TORHEIT UND DAS ELEND DER MENSCHEN! I

Marsilio Ficino entbietet seinen Mitphilosophen Riccardo Angolieri aus Anghiari, Oliviero Arduini und Antonio Serafico seinen Gruß

Worüber lachte Demokrit2 so sehr? Worüber betrübte sich Heraklit3? Jener, meine ich, über die Torheit der Menschen, dieser über ihr Elend. Die Torheit ist lächerlich, das Elend wohl beweinenswert. Was ist die Torheit, als eine Verkehrtheit des Urteils, was das Elend als eine aus der Verkehrtheit des Urteils stammende Betrübnis der Begierde?

Wer mag leugnen, daß die Toren Menschen sind, die sich um fremde Angelegenheiten kümmern und dabei ihre eigenen vernachlässigen? Von dem Fernliegenden und N euen machen sie großes Aufsehen, und das Gegenwärtige und Vertraute achten sie gering. Wegen ihres steten Trachtens nach dem Zukünftigen kommen sie nicht zum Genuß des Gegenwärtigen. Während man, um zur Ruhe zu gelangen, der Be­wegung Einhalt tun muß, beginnen sie, anstatt einmal zu ruhen, immer allerhand neue Bewegungen. So häufen sie Reichtümer auf, als ob sie niemals sterben würden; so treiben sie mit den Vergnügungen Mißbrauch, als ob sie täglich sterben müßten. Ein Stoff ohne Ende kommt mir dabei in den Sinn.

Das muß ich vor allen Dingen für die größte Torheit erachten, daß vie­le ihr zwar eigenes Tier, nein, ihre wilde und reißende Bestie, das heißt: ihren Körper, auf das emsigste füttern, ihre Seele aber, soweit es bei ihnen steht, verhungern lassen. Und da wundert man sich, daß solange man derart lebt, nein vielmehr, derart stirbt, unglücklich ist, als ob man etwas anderes ernten könnte, als was man gesät hat. Die Frucht der Torheit ist das Elend. Aber wie geht das zu? Weil man allzu törich­terweise den Körper nährt und die Seele darben läßt, wird jener fett und stark, diese hingegen mager und schwach. Infolgedessen erscheint der Seele in Anbetracht ihrer eigenen Schmächtigkeit und Kraftlosig­keit das Körperliche so groß und stark. Was ihr groß erscheint, danach

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trägt sie großes Verlangen; was ihr stark dünkt, das fürchtet sie im höchsten Maße. Deshalb wird sie, ein unglückliches Wesen, einerseits durch die Glut der Begierde, andererseits durch den Schauder der Furcht beunruhigt.

Lasset uns also, ich beschwöre euch, den Geist mit geistiger Nahrung nähren und fördern, damit er einmal groß wird und auf das Körperli­che als auf etwas Geringfügiges von oben herabsieht und sich durch das Ungestüm des Körpers nach keiner Seite hin wankend machen läßt. Lassen wir den niederen Staub des Körpers hinter uns und besteigen wir die hohe Warte der Vernunft. Dann werden wir das Göttliche aus der Nähe und das Menschliche aus der Ferne sehen. Jenes wird größer als gewöhnlich, dieses kleiner erscheinen. Mithin werden wir, indem wir jenes lieben, dieses aber nicht beachten, nicht mehr töricht und un­glücklich, sondern bald weise und glücklich sein. Seid gegrüßt!

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DIE TORHEIT UND DAS ELEND DER MENSCHEN II

Marsilio Ficino entbietet Pietro Vtmni, Cherubino Quarquagli und Domenico Galletti seinen Gruß

Ihr habt in meinem Gymnasion die Weltsphäre und auf der einen Seite Demokrit und auf der andern Heraklit abgebildet gesehen, den einen lachend, den andern weinend. Worüber lacht Demokrit, worüber weint Heraklit? Offenbar über den Pöbel, das scheußliche, irrsinnige und elende Tier?

Die Menschen bitten Gott täglich um Güter, um guten Gebrauch der Güter bitten sie aber niemals. Sie wünschen, das Glück solle sich nach ihren Wünschen richten; daß aber ihre Wünsche sich nach der Ver­nunft richten sollen, das kümmert sie nicht. Sie tragen Sorge, daß ihre unbedeutendsten Gebrauchsgegenstände so schön als möglich ausfal­len, daß aber ihre Seele schön werde, danach trachten sie so gut wie nie­mals. Nach Heilmitteln gegen die körperlichen Krankheiten suchen sie emsig, die Krankheiten der Seele vernachlässigen sie. Sie glauben, mit anderen in Frieden leben zu können, und liegen dabei ständig mit sich selber im Kriege. Denn zwischen Körper und Seele, zwischen Sinnlich­keit und Vernunft, herrscht steter Kampf. Sie bilden sich ein, unter Freunden einen treuen Freund finden zu können; keiner aber von ihnen bewahrt sich selber die Treue. Was sie gebilligt haben, das ver­werfen sie wieder, was sie wollten, das wollen sie wieder nicht, und um­gekehrt. Die Räumlichkeiten ihrer Häuser lassen sie genau nach der Richtschnur ausbauen, die Saiten ihrer Laute stimmen sie vollkommen rein; die Teile und die Regungen ihrer Seele in Harmonie zu bringen, versuchen sie niemals. Steine machen sie Lebenden gleich, Lebende hingegen zu Stein; die Weisen selbst verachten sie, verehren aber die Standbilder und die Namen der Weisen. Fremdes behaupten sie zu ver­stehen, während sie vom Eigenen nichts wissen.

Doch was sollen wir dazu sagen, Freunde? Die Behörden verbieten den

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Mord, gestatten aber überall die Herstellung von Mordwerkzeugen zur Tötung von Menschen. Sie wünschen eine Ernte an vorzüglichen Män­nern; für die Veredelung der Männersaat, d.i. der Jugend, tragen sie nicht genügende Sorge. Stets leben die Menschen heute schlecht, bloß morgen gut. Um des Ehrgeizes willen wetteifern sie untereinander in Schändlichkeiten; ein geeigneter Weg zum Ruhme wäre, sich durch ge­genseitige Wohltaten den Rang abzulaufen. Wahrend sie stets üble Nachrede führen, hoffen sie doch, über sich selbst Gutes zu verneh­men, während sie schlecht handeln, Gutes zu empfangen. Als Urheber des Guten gibt man sich aus, als Urheber des Bösen aber Gott. Die eigene Schuld schreibt man den Sternen zu.

Wie viele findet man, die den Menschen so hoch schätzen wie das Geld, welche so viele Sorgfalt auf sich selbst wie auf Ländereien und andere Güter verwenden, die sich ebenso eifrig um die Erziehung ihres Nachwuchses bemühen wie viele um die Zucht von Pferden, Hunden und Vögeln, welche sich Rechenschaft geben, wie schwer ein Zeitver­lust ist? Beim Ausgeben von Geld ist man geizig, im Umgehen mit der Zeit über alles Maß verschwenderisch. Wie viele gibt es, welche die Ar­mut ihrer Seele erkennen? Jeder glaubt, an Weisheit Überfluß und an Geld Mangel zu haben. Leider sucht man das Größte im Kleinsten, das Erhabene im Niedrigsten, das Gute im Schlechten, im Unbeständigen die Ruhe, im Zwiespältigen den Frieden, die Fülle in der Dürftigkeit, im Tode endlich das Leben.

Lasset uns, ich beschwöre euch, meine Freunde, dasselbe suchen, was wir jetzt suchen. Suchen wir es aber nicht mehr dort, wo wir es jetzt suchen. Allzu unsinnig und elend ist, wer darauf baut, er werde etwas in dessen Gegenteil finden. Seid gegrüßt!

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DIE TORHEIT UND DAS ELEND DER MENSCHEN III

Marsilio Ficino entbietet Cristoforo Landino, dem durch Tugend und Gelehrsamkeit ausgezeichneten Manne, seinen Gruß

Aristoteles stellte Probleme über das Wesen der Dinge auf. Ich will Dich nun zum Nachdenken über Probleme anregen, die das Wesen der Men­schen betreffen. Sage nur, warum rühmen sich die Menschen ihrer Ver­nunft und leben doch nach dem Zufall dahin? Sie begehren und fürchten vielerlei, ohne sich hinreichend darüber klar zu sein, ob es begehrens­wert oder furchterregend ist, oder ob sie nicht vielmehr Ewigem und unendlich Großem Kurzfristiges und Geringfügiges vorziehen. Warum sollen sie weder auf einen Menschen hören noch einem Weisen gehor­chen? Den Bestien jedoch und den Lastern dienen sie mit Freuden.

Warum strebt man danach, über andere zu herrschen, wenn man sich selbst nicht beherrschen kann? Warum gerät man durch die Herrsch­sucht täglich in Knechtschaft, und warum trachtet man mehr nach Würden als danach, den Würden würdig zu sein? Ferner, wenn man sieht, daß Bestien von einer Bestie nicht ohne die Aufsicht eines Men­schen zu regieren sind, wieso glaubt man dann, daß Menschen von einem Menschen ohne Gottes Rat und Hilfe erfolgreich geleitet werden können? Was macht uns wohl bei einer so übergroßen Fülle von Dingen klagelustig und hilfsbedürftig? Wie kommt es, daß man viele beneidet, während doch die Lage der Sterblichen eher Mitleid verdient als Neid? Warum vergißt man das Gute so leicht, das Böse aber nie­mals? Und während doch etwas nur durch sein Gegenteil zu vertreiben ist, warum sucht man da ein Übel durch ein anderes zu bessern? Wieso hofft man oft, Ruhm zu erlangen? An einem anderen bewundert man die Tugend; aber selbst erstrebt man lieber, bewundernswert zu schei­nen als zu sein. Das fremde Laster erregt Anstoß; man denkt aber kaum daran, wie man das Mißfallen bei sich selbst und bei anderen ver­meiden kann. Man verschließt seine Ohren der Wahrheit, öffnet sie aber der Lüge.

Was soll man über solche sagen, die aus Liebe zu einem Menschen oder zu einem Gegenstand sich selbst hassen, sich im Stiche lassen, um des andern habhaft zu werden? 0 ihr Wahnwitzigen, ihr Unseligen, die ihr Fremdes nur durch euch selbst erlangen könnt, wie wollt ihr jemals, wenn ihr euer Inneres verloren habt, etwas Äußerliches ergreifen? Was sucht ihr das Gute als Fremdlinge in der Ferne, da es in der Nähe, nein vielmehr in euch ist?

Ich pflege mich auch häufig darüber zu wundern, lieber Landino, wa­rum man bloß den einen Tod fürchten mag, nämlich den, welcher das Ende des Sterbens bedeutet, aber keineswegs den täglichen Tod? Denn in jedem Augenblick wechselt die Säftemischung des Körpers, und das vergangene Leben hört auf. Endlich glaube ich, daß wir darum, weil wir vermeintliche Tugenden, in Wirklichkeit aber Laster ausüben, wir auch nur vermeintliches Glück genießen, in Wirklichkeit aber un­glücklich sein müssen. Darüber lachte Demokrit, darüber weinte Hera­klit, Abhilfe bringen wollte Sokrates, abhelfen kann nur Gott.

Oh, was für ein elendes Lebewesen ist der Mensch, wenn er sich nicht einmal über den Menschen erhebt, nämlich sich selbst Gott empfiehlt, Gott um Gottes willen und alles übrige nur um seinetwillen liebt. Dies ist die einzige Lösung jener Probleme und die Befreiung von Übeln. Sei gegrüßt!

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DA ALLES VON GOTT GUT GELENKT WIRD, MUSS MAN AUCH ALLES

ALS ZUM BESTEN DIENEND HINNEHMEN

Marsilio Ficino an den Bischof Antonio Campano, den Dichter.

Lachst nicht auch Du, Campano, einmal über die Anmaßung der Men­schen? Möchte ich ihr so sehr entrinnen, wie ich sie bei Gott verklage! Weder reichen die Knaben an die Einsicht der Greise, noch die Bauern an die Gedanken der Weisen heran. Das Menschenvieh aber wagt es oft, den Plan der Gottheit mit ungebührlicher Hoffart im voraus zu erhaschen (aucupari) und das Ziel seiner Vorsehung vorwitzig zu erfor­schen (auspicaci). Und was noch schlimmer ist, alle möglichen Men­schen in jeglichem Lebensalter reden auch bei Schmaus und Unzucht frech über die göttlichen Geheimnisse, über die ohne das göttliche Licht sich zu äußern Pythagoras mit Recht verbot.

Niemand, Campano, begreift das Göttliche, ohne göttlich zu sein. Nie­mand aber lügt mehr über das Göttliche, als wer mit genauem Maße mißt. So spricht Gott bei Jesaja: »lch will die Weisen in ihrer Arglist ertappen«!, und anderswo: »Gott weiß, daß die Gedanken der Weisen nichtig sind.«2

Darum muß es dem Menschen genügen, zu wissen, daß das Getriebe der Welt von einem allweisen Werkmeister abhängt und gelenkt wird, und daß von dem Guten an sich nur Gutes kommen, und das von ihm Stammende nur gut gelenkt werden kann. Daher muß man alles als zum Besten dienend hinnehmen. Wer so das Göttliche erkennt und liebt, der ist von Natur göttlich, durch Wissen gut, in der Hoffnung fröhlich und durch den Lohn selig. Lebe glückselig!

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ÜBER DIE TORHEIT DER MENSCHEN UND ÜBER DAS WAHRE WISSEN

Marsilio Ficino an Panezio Pandozzi.

Unser Angelo Poliziano hat heute seinen lieben Panezio zur marsiliani­schen, nein vielmehr zur platonischen Philosophie verurteilt. Ich pfle­ge zwar meinen neuen Freunden eine Komödie zu dichten und den alten eine Satire. Trotzdem will ich Panezio eine Satire vortragen. So soll nämlich unsere Freundschaft auf einmal begonnen und vollendet sem.

Bedenke, lieber Panezio, wie verkehrt wir helfen. Ungern erhören wir Nichtswürdige. Wir aber hoffen, obwohl wir böse sind, von Gott er­hört zu werden. Wir leben, ach leider, allzu unsinnig und ungerecht. Gott versuchen wir umzustimmen, nicht unsern Charakter zu ändern. Andere wollen wir zum Guten überreden. Im Munde führen wir das Gute, im Herzen das Böse. Indem wir über die Tugend reden, verneh­men wir, wie das Saitenspiel, nicht die eigene Stimme. Wir machen es wie die schlechten Ärzte, welche die Gesundheit, die sie anderen ver­sprechen, sich selbst nicht verleihen.

Schenke mir, Freund, ich bitte Dich darum, ein wenig Gehör. Ich wer­de Dich unentgeltlich und in Kürze die Redekunst, die Musik und die Geometrie lehren. Präge Dir selbst die Grundsätze des sittlich Guten ein, mäßige die Erregungen der Seele, regle Deine Kräfte und Deine Ta­tigkeit nach dem rechten Maß. »Das ist zu schwer«, wirst Du antwor­ten. Es wird nicht besonders schwer sein, lieber Panezio, wenn Du so begierig gut zu leben trachtest, wie Du zu leben wünschest.

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DIE VORNEHMHEIT, DER NUTZEN UND DIE ANWENDUNG DER

HEILKUNDE

Marsilio Ficino entbietet dem vortrefflichen Tommaso Valeri seinen Gruß

Ich las bei Homer: »Ein Arzt ist soviel wert wie viele andere Männer.« Das ist richtig. Denn die Fähigkeit zu heilen ist eher eine Gabe Gottes als eine Erfindung der Menschen. Die heilige Schrift der Hebräer lehrt: Ehre den Arzt; denn weil er notwendig ist, schuf ihn der Höchste. Au­ßerdem behaupten die Heiden, daß Götter die Urheber dieser Kunst gewesen seien. Sie haben dem Apollon, dem Aeskulapl und auch her­vorragenden Ärzten göttliche Ehren erwiesen; sie weihten nämlich dem Chiron, Machaon, Podalirios, Hippokrates und Hermagoras Tem­pel. Dies bestätigte Hippokrates in seinem Brief an die Abderiten, in­dem er sagte, die Heilkunde sei ein Geschenk der Götter, auch sei sie frei, und er habe für ihre Ausübung niemals Lohn angenommen.

Auch im Briefe an Philemon sagt er: »Die Heilkunde ist der Mantik verwandt; diese beiden Künste stammen von einem Vater, nämlich Apollon. Er ist unser Stammvater, er sagt die zukünftigen Krankheiten voraus und heilt diejenigen, die an ihrer Gesundheit Schaden litten.« Darum sollen Pythagoras, Empedokles und Apollonios von Tyana nicht so sehr mit Kräutern als mit Zaubersprüchen die Krankheiten be­handelt haben.

Die Magier waren der Meinung, die Seele eines Kranken müsse früher als der Körper durch heilige Sprüche und Gebete geläutert werden. Weil nun diese Kunst von Gott empfangen ist, wird sie auch in gött­lichem Sinne ausgeübt. Die Seele stammt ja von Gott, der Körper hängt von der Seele ab.

Behaupten nicht die Hebräer, daß der Erzengel Raphael diese Kunst ausgeübt hat? Lassen wir die übrigen beiseite! Christus selbst, gleich-

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sam der Arzt des Menschengeschlechtes, heilte die Kranken und Sie­chen, so viele auch zu ihm gebracht wurden, und übertrug seinen Jün­gern die Macht zu heilen. Sogar Könige verschmähten nicht, diese fürwahr höchst vornehme Kunst zu ergründen und auszuüben. Solche waren Sabor und Ginges, die Könige der Meder, Sabid, der König der Araber, Mithridates, der König der Perser2

, der König der Ägypter Hermes, und Mesue3, der Enkel des Königs von Damaskus. Einige be­haupten auch, Avicenna sei Fürst von Cordova gewesen. Demokrit, Ti­maeus Locrus, Platon, Aristoteles, die berühmtesten Philosophen, schrieben über diese Kunst, dazu noch zahllose andere nicht unbe­rühmte Philosophen.

Wie hoch der Adel der Heilkunde anzuschlagen ist, habe ich so ziem­lich ausgeführt, wieweit es der Umfang eines Briefes gestattet. Wie groß aber ihr Nutzen ist, das ersehen wir daraus, daß die Künste, welche zum guten Leben hinleiten sollen, ohne ihre Hilfe wenig zu nützen scheinen. Denn wir können nicht gut leben, wenn wir nicht leben, noch in dieser kurzen Lebenszeit auf irgendeinem Gebiet bedeutende Fortschritte machen, wenn wir uns nicht wohl befinden, noch uns so bald bei den Menschen und bei Gott große Verdienste erwerben, wenn wir nicht lange und mäßig leben. Alle Möglichkeit dazu gewährt der sorgsame Betrieb der Heilkunde. Man muß aber von dieser Kunst mit der größten Frömmigkeit gegen Gott und mit Nächstenliebe zu den Menschen Gebrauch machen, wie uns die heiligen Ärzte, der Evange­list Lukas sowie Cosmus und Damianus4 durch ihr Beispiel lehrten. Der Urheber alles Guten ist ja Gott, und der rechtschaffene Arzt gleichsam ein Gott unter den Menschen; denn er führt sie vom Tode zum Leben zurück und wird sogar von Königen und Weisen wie ein Gott verehrt, wenn diese krank sind.

Daß der Arzt Scharfsinn, wissenschaftliche Bildung und Erfahrung ge­braucht, geben alle zu; daß er aber auch des Ernstes und der Sorgfalt beim Verordnen bedarf, daran zweifelt niemand. Doch nachdem reifli­che Überlegung stattgehabt hat, kann keiner Kunst, wie Hippokrates zu den Abderiten sagt, Verzögerung mehr schaden als der ärztlichen. Dennoch ist es, wie Galen zu Glaukon sagt, in noch höherem Maße gefährlich, der Natur zuvorzukommen und sie vorzeitig zu hindern.

Viele nämlich, sagt er, gehen täglich durch diesen Fehler, d.i. durch die Voreiligkeit der Ärzte, welche den natürlichen Verlauf entweder unter­binden oder überstürzen, zugrunde. Diesen Fehler wird ziemlich leicht vermeiden, wer sich nicht auf seine Fähigkeit verläßt. Denn Hippokra­tes schreibt an Demokrit, er habe, obschon im Greisenalter stehend, das Ziel der Heilkunde noch nicht erreicht. Auch Galen sagte als Neunzigjähriger, daß er nun erst das Wesen des Pulsschlages verstünde. Vor allem muß der Arzt eingedenk sein, daß Gott der Urheber der Ge­sundheit, das Werkzeug Gottes zum Bewirken und Bewahren der Ge­sundheit die Natur, und der Arzt der Diener bei der ist, der dem Werkmeister nicht die Kräfte, sondern den Stoff zubereiten und die Hindernisse aus dem Wege räumen soll. Wenn dieser zur Unzeit ver­sucht, den Stoff in Bewegung zu setzen oder anzuhalten, so verfährt er oft in beiderlei Beziehung schlecht und hindert die Natur, welche bei­des gut ausführen würde.

Doch hören wir darüber unsern göttlichen Platon, wie er im Timaios im Sinne der Pythagoreer folgendermaßen spricht: »Die beste aller Be­wegungen ist die, welche aus sich selbst entsteht; denn sie ist am mei­sten der Vernunft und ihrer gesamten Bewegung verwandt. Eine solche aber, die von einem andern hervorgerufen wird, ist schlechter. Die schlechteste Art der Bewegung aber ist die, wenn ein ruhender Körper von etwas anderem in seinen Teilen bewegt wird. Darum ist von allen Erfrischungen und Stärkungen des Körpers diejenige die heilsamste, welche durch die Gymnastik bewirkt wird. Am nächsten kommt die­ser ein bequemes Fahren, sei es auf einem Schiff oder auf einem andern Fahrzeug. Eine dritte Art der Bewegung ist erst dann von Nutzen, wenn die dringendste Notwendigkeit dazu zwingt.

Unter anderen Umständen darf kein vernünftiger Mensch die Purga­tion der Ärzte unternehmen, welche man gewöhnlich durch Arzneien, d.i. lösenden Mitteln, bewirkt. Man darf nämlich die Krankheiten nur in der höchsten Gefahr durch reizende Mittel behandeln; denn im all­gemeinen ist das Wesen der Krankheiten von ähnlicher Beschaffenheit wie die Natur der Lebewesen. Das Wachstum der Lebewesen nimmt ja vom Augenblicke der Geburt an in bestimmten Zeitperioden seinen Verlauf. Dies gilt für die gesamte Art, und zugleich trägt jedes einzelne

Lebewesen von seiner Geburt an die ihm vom Schicksal bestimmte Lebensspanne, unvermeidliche Leidenszustände abgerechnet, in sich. Denn die Dreiecke, d.i. die in einem bestimmten Verhältnis abgemesse­nen Qualitäten, welche vom Daseinsbeginn eines jeden Individuums ihre Wirkung ausüben, halten bis zu einem bestimmten Zeitpunkt für die Lebensfunktion genügend zusammen. Darüber hinaus ist für nie­manden eine Verlängerung des Lebens möglich. Genau das gleiche Lebensgesetz gilt auch für die Krankheiten. Wenn man nun versucht, ihren Verlauf durch Arzneien vorzeitig zu unterbinden, so werden ge­wöhnlich aus kleinen sehr große und aus wenigen viele. Darum muß man je nach Bequemlichkeit durch sorgfältig eingerichtete Lebensweise die Krankheiten mildern und im Zaume halten und darf nicht ein ein­tretendes Übel durch Arzneien verschlimmern.« Soweit Platon.

Unser Galen steht, weil er diese Regel einhielt, bei den Florentinern in gutem Ansehen. Eben darum lobe ich auch Lorenzo Marcellini, den tüchtigen Arzt, im höchsten Maße. Auch Tommaso Valeri würde ich sehr rühmen, wenn ich nicht gerade an ihn schriebe. Sei gegrüßt und grüße von mir den trefflichen Arzt Antonio Benivieni. Dich aber läßt Girolamo Benivieni grüßen, mein lieber Genosse im Studium der Me­dizin und im Saitenspiel.

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MIT DER ZEIT MUSS MAN SPARSAM UMGEHEN I

Marsilio Ficino entbietet dem hochgesinnten Lorenzo de' Medici seinen Gruß

Sei tausendmal gegrüßt, Du nächst Gott mein Heil! Ich hielt es für un­recht, sobald meine Hand die Feder führen konnte, früher an jemand anderen zu schreiben als an meinen einzigen Patron. Was soll ich nun am besten schreiben? Ich möchte Dir gern, wenn es erlaubt ist, Ernste­res schreiben als gewöhnlich. »Tamarisken und kleines Gesträuch er­freuen nicht immer.« Aber, lieber Marsilio, warum sollte dies jetzt nicht erlaubt sein? Bist Du doch im Begriff, an den zu schreiben, der es nicht nur gestattet, sondern Dich dazu schon längst in seinen Briefen aufgefordert hat. Mein lieber l.orenzo, in meiner letzten Krankheit hat meine Seele nichts herber betrübt als das Denken an die verlorene Zeit. Nichts verblieb mir, was mich einigermaßen trösten konnte, als die Er­innerung an das, was ich gelernt hatte, obgleich dies nicht viel ist. Al­lein durch die Speise der göttlichen Wahrheit wird die göttliche Seele wirklich erquickt, genährt und erhoben. Der übrige Unsinn von flüch­tigen Nichtigkeiten befriedigt nicht den unsterblichen Geist, der aus natürlichem Triebe nach dem Ewigen und Unendlichen verlangt. Dar­um beschwöre ich Dich, mein teuerster Patron, bei dem ewigen Gott, Du mögest auch den kleinsten Augenblick der so kurz bemessenen Zeit als eine große Kostbarkeit sparsam und klug verwenden, damit Du nicht einmal wegen ihrer Vergeudung und ihres unersetzlichen Verlu­stes vergebliche Reue empfinden mußt. Der Verlust der Zeit ließ häufig den achtzigjährigen Theophrast in Tränen ausbrechen, der Zeitverlust entrang dem großen Cosimo, als er mehr als siebzig Jahre alt war, in meiner Gegenwart ein tiefes Seufzen.

Stelle, ich bitte Dich, nichtigen Sorgen, überflüssigen Unterhaltungen und nicht durchaus notwendigen Geschäften das Wort des Sokrates ent­gegen: »Weichet von hinnen, ihr ruchlosen Feinde, entfernet euch schleu­nigst, ihr Räuber meiner Seele, damit ich nicht gezwungen werde, mich

selbst zu verlassen.« Diese entwenden Dich nach und nach Dir selbst und führen Dich großen Mann in die Gefangenschaft, Dich, einen zum Herrschen geborenen Mann. Kaufe Dich zurück, ich bitte Dich, aus dieser elenden Gefangenschaft, solange Du kannst! Du kannst es aber nur heute. Sei heute schon Dein eigener Herr! Glaube mir, es ist nicht weise zu sagen: ich werde leben! Zu spät ist das Leben am morgi­gen Tag. Lebe heute! Leicht zu tun, lieber Lorenzo, ist, was ich verlan­ge. Es ist nicht schwer, eine Stunde recht und nützlich zu verbringen. Nütze, ich bitte Dich, täglich eine Stunde richtig, das heißt zur Spei­sung des Geistes mit den schönen Wissenschaften, und leb so eine kur­ze Zeit glücklich Dir selbst! Die übrige Zeit lebe, wenn Du willst, für andere, denn Du weißt ja, daß man auch für andere leben muß, wenn man für sich selbst leben will. Beides aber tue um Gottes willen! Denn Du bist zuerst im eigentlichen Sinne um Gottes willen, dann um Deinet- und der anderen willen geschaffen. Für Scherz und Spiel laß nur ab und zu ein wenig Raum! Denn zu Höherem, nein, vielmehr zum Höchsten - ich weiß es gewiß - hat Dich Gott bestimmt. Sol­che falschen Ergötzungen schwinden wie ein Wetterleuchten so schnell dahin, daß sie schon, während man sie noch sieht, in ihr Gegenteil um­schlagen. Doch versprich mir nichts für morgen! Sonst versprichst Du, was Du nicht hast, und wovon Du nicht weißt, ob Du es haben wirst. Wenn Du nur immer morgen essen und trinken wirst, lieber Freund, wirst Du dann nicht in drei Tagen zugrunde gehen? Zum Teufel noch heute mit diesem »morgen«, zum Teufel damit, so schnell als möglich, damit Du nicht zum Teufel gehst. Nichts ist trügerischer als dieses Ver­schieben auf morgen; es trog alle Menschen, die auf der Erde leben.

Ach, warum bist Du vorwitzig, Ficino? Sieh, Lorenzo wird entweder finster blicken oder er wird lachen. Beides ist schlimm. Nein, vielmehr, beides ist gut. Ich kenne ja die Gesinnung des Medici. Von einem Gu­ten kommt nur Gutes. Auch will ich in diesem Brief nicht so sehr Lo­renzo als Marsilio und die übrigen Menschen ermahnen. Wir alle leiden schwer an dieser Krankheit: morgen soll es geschehen. Wir ver­fügen kaum über die Gegenwart; denn sie zerrinnt so schnell in unse­ren Händen, daß wir sie nicht einmal ein Weilchen zurückhalten können. Die Zukunft aber ist ein Nichts; sie besitzt also niemand. 0 wir Narren, wir Unseligen, auf ein Nichts setzen wir unsere Hoffnung

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und mißbrauchen immer den Schatz, den wir besitzen! Den aber, den wir nicht besitzen, wollen wir immer richtig verwenden. So kranken wir so ziemlich alle bis zu unserem Tode dahin. Darum muß man nicht Galen und Hippokrates anrufen, sondern Aeskulap und Apol­Ion. Sei heute gesund! Wenn Du erst morgen gesund bist, wirst Du es niemals sein.

Folgendermaßen aber will ich den Brief schließen: Höre niemals auf Schmeichler und gib keinen Verleumdern das Gehör. Von solchen ist jedes Haus voll. Jene trachten, Dir die Augen des Geistes zu blenden, diese, Dich Deiner Hände, d.i. Deiner Freunde, zu berauben. Die Lüge wird endlich Gott selbst in den Abgrund stürzen, die Wahrheit aber wird er behüten. Baue auf Gott allein, lieber Lorenzo! Auch ich baue auf Gott. Nochmals wünsche ich Dir, daß Du Dich heute wohl be­findest.

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OHNE RELIGION IST DER MENSCH UNGLÜCKLICHER ALS DIE TIERE

Marsilio Ficino entbietet dem Rhetor Benedetto Colucci aus Pistoia seinen Gruß

Du ermahnst mich, ich solle in der Verteidigung der Religion das Be­gonnene emsig fortführen. Ich will es wenigstens nach Kräften versu­chen, lieber Benedetto. Nicht etwa, daß die Religion solcher Vertei­diger bedarf. Sie steht ja den Feinden zum Trotze unter Gottes Len­kung fest, der immer bei allen Heiden Ehre einlegen will. Ich tue es aber deswegen, weil ich nur dann glücklich zu leben, ja überhaupt zu leben glaube, wenn ich über Göttliches schreibe, rede oder nachdenke.

Ich meinesteils bin der Überzeugung, daß das Menschengeschlecht durch Aufhebung der Gottesverehrung unglücklicher werden würde als alle Tiere. Ich will nicht von der unaufhörlichen und mannigfalti­gen Sorge um das schutzlose, schwache, stets dahinsiechende Körper­lein reden. Sogar die Forschungskraft der Vernunft, welche uns scheinbar über die Tiere erhebt, sie sogar macht uns, wenn uns die Hoffnung auf Gott genommen wird, wegen der Reue um das Vergange­ne, der Furcht vor der Zukunft, der ängstlichen Sorge um die Gegen­wart, des Nachdenkens über das Übel, der unersättlichen Begierde nach unzähligen Dingen ohne Zweifel elender als die Tiere.

Selig die Himmlischen, welche, gleichsam im Lichte, alles erkennen. Ruhig leben die Tiere dahin, die, gleichsam im Dunkel, gar nichts er­kennen. Ein Leben voller Angst und Elend führen die Menschen, wel­che inmitten beider in einer Art Nebel tappen, wanken und Pein erdulden. Allein das göttliche Licht kann uns wegen des Verdienstes der Frömmigkeit und des Geschenkes der Gnade die Wahrheit und die Seligkeit verleihen.

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DIE ANTWORT AUF DEN BRIEF ÜBER DIE SPARSAME VERWENDUNG

DER ZEIT

Lorenzo de' Medici entbietet dem platonischen Philosophen Marsilio Ficino seinen Gruß

Sehr erfreut hat mich Dein Brief, in dem Du an mir den Verlust der vergangenen Zeit derart tadelst, daß es scheint, als ob mein Müßiggang doch nicht ganz unnütz gewesen ist. Ein geringer Zeitverlust, der Dich persönlich traf, hat bewirkt, daß aus Deinem Geiste Lehren entsprin­gen, welche nicht nur uns, sondern allen denen förderlich sein können, die an derselben Krankheit leiden. Du hast mir zwar oft Deine Gesin­nung gegen mich offenbart; aber mit dem guten Willen, den Du in die­sem Deinem Briefe mir gegenüber zum Ausdruck bringst, hast Du, glaube ich, jeden andern Freundschaftsdienst übertroffen, mag das nun daher kommen, daß Du in der Liebe zu mir den Vorrang hast und in der Freundschaft die anderen weit überragst oder daß diese Deine Freundschaft Gaben zu bieten vermag, wie kein anderer es kann. Die übrigen nämlich, die mir wohlwollen, können mich entweder durch ihren Reichtum fördern oder durch äußere Ehren oder durch Vergnü­gungen. Dies sind alles Dinge, die auf der Macht des Schicksals be­ruhen, so daß nichts Sicheres und Beständigeres daran ist als ihre Schwäche und Veränderlichkeit, wie Du es so oft lehrtest und ich es noch öfter erfahren habe. Du aber erteilst in solchem Überflusse gute Lehren und hältst mit mir eine solche Art von Freundschaft, daß man unschwer einsieht, daß, wie Du hinter keinem meiner Freunde an Tu­gend zurückstehst, Du auch alle übrigen in der Liebe übertriffst. Dies entspringt bei Dir Deinem angeborenen Triebe zum Wohltun. Du han­delst aber auch so, weil Du weißt, daß den Menschen vom unsterbli­chen Gott die Tugenden unter der Bedingung verliehen sind, daß sie möglichst viele damit fördern, und Du lässest Dich nicht zum Miß­brauch der göttlichen Freigebigkeit verleiten.

Ich freue mich in besonderem Maße, daß Du Deine frühere Gesund-

heit wiedererlangt hast. Ich würde mich noch viel mehr freuen, wenn ich durch Deine Briefe wieder zu meiner früheren Kraft der Seele ge­langen würde. Ich verzweifle meinesteils nicht daran, einmal im Hin­blick auf Deine ernsten Lehren, dann aber besonders, weil ich, wie Du weißt, nicht aus schlechter Charakteranlage, sondern mehr aus einer gewissen angeborenen Leichtfertigkeit und aus Gewohnheit Fehltritte begehe. Deine Aufgabe aber ist es, wie die eines Apostels, zu tadeln, zu schelten, zu beschwören. Weil Du doch siehst, daß derartige Reden auf mich Eindruck machen, so höre ja nicht auf, mir gegenüber von allen Reizmitteln Gebrauch zu machen, mit denen nach Deiner Meinung mein niedergedrücktes Gemüt aufgerichtet werden kann. Dies ist das einzige, was ich von Dir beanspruche und erwarte, weil niemand bereit­williger gebietet oder weiser ermahnt als Du.

Ich wünsche nochmals Dir sowohl wie mir Glück, daß Dich der un­sterbliche Gott uns gesund und wohlbehalten wiedergegeben hat. Ich habe nicht weniger als Du aus der Gefahr Deines Lebens eine Lehre gezogen. Dasselbe Schicksal hatte zugleich von Deinen Augen das Dun­kel und unseren das Licht genommen. Nichts vermag nämlich mein Leben heller zu erleuchten als Deine ernsten und liebevollen Ermah­nungen und der traute Umgang mit Dir. Wären diese dahin, so wäre auch die eine Hälfte meines Lebens dahin, und zwar diejenige, außer der, was noch bleibt, so gut wie ein Nichts ist. Durch jene Gefahr er­mahnt, will ich noch bereitwilliger und öfter mit Dir beisammen sein, und da es nun einmal im menschlichen Leben so zugeht, daß man sich lieber durch Beispiele als durch Vernunftgründe beeinflussen läßt, so will ich von Deiner Person und von der Zeit in folgendem Sinne Ge­brauch machen: von der Zeit, als ob ich morgen keine mehr haben wer­de, von Dir als von einem Manne, dem kein Augenblick seiner Zeit übrigbleibt, der frei von Todesfurcht ist. Sei gegrüßt und trage für Dei­ne Gesundheit Sorge.

Florenz, den 10. Oktober 1474-

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NIEMANDEM, DER ÜBERHAUPT DEN RECHTEN WILLEN HAT, IST DER

ZUGANG ZUM GUTEN VERSCHLOSSEN

Marsilio Ficino entbietet Nicolo Michelozzi, dem wahren Manne, seinen Gruß

Diejenigen, lieber Michelozzi, welche jemanden widerlegen, pflegen dies hauptsächlich durch Widerspruch zu tun. Lorenzo de' Medici hin­gegen widerlegt mich dann am meisten, wenn er mir am meisten bei­stimmt.

Indem er nämlich meinen Brief, in dem ich an ihm den Verlust der ver­gangenen Zeit tadele, recht kunstvoll lobt, gewinnt man den Eindruck, daß er nicht einen Augenblick seiner Lebenszeit unnütz vergeudet hat. Wenn nun unser Patron, lieber Nicol6, bei seiner Unachtsamkeit den Eindruck erweckt, als ob er sorgsam gewesen wäre, wie könnte er -was meinst Du? - sich wohl entwickelt haben, wenn er sorgsamer hät­te sein wollen? Daß er es wollen möge, darum bitte ich ihn: daß er es können möge, darum flehe ich Gott an, obwohl es wohl weniger nötig ist, Gott anzurufen, daß er können als daß er wollen möge. Einmal ist ja keinem, der recht von Herzen will, der Zugang zum Guten ver­schlossen. Dann aber erhört Gott lieber einen ehrlichen Willen als das Anrufen mit Worten.

Sei gegrüßt und ermahne Lorenzo zum Fleiß, auf daß er in Bälde seine Mitbürger so sehr an lateinischer Gelehrsamkeit übertrifft, als er sie unstreitig an Autorität überragt.

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NACHAHMUNG IST BESSER ALS LESEN

Marsilio Ficino entbietet dem hochgesinnten Lorenzo de' Medici seinen Gruß

Wie eine Harmonie einen stärkeren Eindruck macht, während sie in der Gegenwart in unser Ohr klingt als wenn man an eine verklungene zurückdenkt, und der Anblick einer Schlacht heftiger erregt als wenn man von ihr erzählen hört, so feuern die großen Vorbilder berühmter Männer stärker zur Tugend an und bilden eindrücklicher als die Worte der Redner und Philosophen, welche sich über die Sitten auslassen. Es ist eben von der Natur so eingerichtet, daß die Dinge selbst wirkungs­voller sind als ihre Benennungen, und die Wahrheit der Tatsachen nachhaltigeren Eindruck auf unsere Seele macht als das bloß Wahr­scheinliche oder Falsche. Darum hat die Nachahmung des sokratischen Charakters häufiger und wahrer zur Tugend gebildet als die Sittenlehre des Aristoteles. Auch Christus hat allein durch sein Beispiel mehr Men­schen und diese in höherem Maße zu einem sittlichen und heiligen le­benswandel geführt als alle Redner und Philosophen mit ihren Worten.

Daher lobe ich Dich, mein lieber Lorenzo, daß Du zwar moralische Lektüre nicht verachtest, dieser aber die Nachahmung als ein Lebendi­ges bei weitem vorziehst, besonders, da Du Dir schon früher jenen Greis, der auf Senatsbeschluß >,vater des Vaterlandes« zubenannt wur­de, zum Vorbilde erwählt hast, ich meine den großen Cosimo, Deinen Großvater, meinen Patron, einen Mann, vor allen anderen klug, fromm gegen Gott, gerecht und großherzig gegen die Menschen, in seinem eigenen Wesen maßvoll, im Hauswesen besonders sorgsam und noch peinlicher sorgfältig im Staatswesen, umsichtig, der nicht sich allein, sondern Gott und dem Vaterlande lebte, dessen Seele unter den Men­schen die demütigste und zugleich die erhabenste war. Ich habe mit ihm, lieber Lorenzo, mehr als zwölf Jahre erfolgreich Philosophie ge­trieben: er war so scharfsinnig im Disputieren wie klug und stark im Regieren. Viel schulde ich zwar unserm Platon; aber ich bekenne, daß

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ich nicht weniger Cosimo schulde. Die Idee der Tugend nämlich, die mir Platon einmal gezeigt hatte, verwirklichte Cosimo täglich.

Um nun nicht die übrigen guten Eigenschaften dieses Mannes zu er­wähnen: Cosimo war so geizig und sparsam mit der Zeit wie Midas mit dem Gelde. Und doch, während er mit seinen Tagen so sparsam um­ging und seine Stunden mit Genauigkeit zählte, beklagte dieser mit den Augenblicken geizige Mann häufig den Verlust von Stunden. Über­haupt nahm er sich den Philosophen Solon zum Vorbilde, indem er, der sein ganzes Leben lang im Getriebe der wichtigsten Geschäfte her­vorragend philosophiert hatte, gerade an jenen Tagen, da er aus diesem Schatten zum Licht einging, sich am meisten mit Philosophie beschäf­tigte. Und nachdem wir also Platons Buch über das eine Prinzip der Dinge und das über das höchste Gut gelesen hatten, wie Du ja weißt, da Du zugegen warst, verschied er, gleichsam um dasselbe Gut, das er durch die Erörterung gekostet hatte, nun wirklich in seiner ganzen Fül­le zu besitzen.

Sei gegrüßt, und wie Gott den Kosmos nach der Idee der Welt gestalte­te, so bilde Du Dich weiter nach der Idee des Cosimo fort.

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ÜBER DIE CHARAKTERFESTIGKEIT

Marsilio Ficino entbietet Giovanni Altoviti seinen Gruß

Wenn man jemanden am Halse oder an den Händen ergreift, so zieht man seinen Körper fort; mittels der Augen nimmt man den Sinn gefan­gen, mittels des Gehörorgans Seele und Geist. Du hast durch das Ge­hör meine Seele ergriffen. Soviel Rühmliches über Deinen guten Geschmack und Deine Ausdauer klang schon durch die Reden unseres Giovanni Cavalcanti in meine Ohren, daß ich gar nicht anders will und kann, als Dir große Hochachtung und Liebe entgegenzubringen.

Ein Zeichen meiner Liebe sei jetzt dieser Brief, welcher Deine Ausdau­er anerkennen und Dich zur Charakterfestigkeit ermahnen soll; die eine ist nämlich nicht ohne die andere möglich. Auch kann ein Kluger niemandem volle Anerkennung zollen, dem sie sein Lebensgeschick noch nicht voll erteilt hat. Diese Anerkennung hat noch nicht errun­gen, wer noch nicht bis zu Ende ausharrte. Ein wie großes Gut die Charakterstärke ist, zeigt dies: Die übrigen Tugenden versprechen Gu­tes, die Charakterstärke leistet es. Weil sie schwerer ist als die anderen, ist sie dementsprechend rühmlicher.

Doch darf die Schwierigkeit nicht abschrecken; denn kurz sind ja nur alle menschlichen Tugendanstrengungen. Ihr Lohn ist ewig. Dazu kommt noch, daß der inbrünstige Vorsatz eines klaren Geistes Dunkles erhellt, Kaltes erwärmt, Hartes erweicht, Unbezwingliches bezwingt. Sei gegrüßt!

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ÜBER DIE MUSIK

Marsilio Ficino entbietet dem gelehrten und klugen Antonio Canigiani seinen Gruß

Du fragst, lieber Canigiani, warum ich so oft zugleich Medizin und Musik treibe. Was haben, sagst Du, denn die Arzneien mit dem Saiten­spiel zu tun? Die Sternkundigen, lieber Canigiani, werden dies wohl auf die Konjunktion des Jupiter mit dem Merkur und der Venus zu­rückführen. Sie sind der Meinung, daß vom Jupiter die Heilkunde stammt und vom Merkur und von der Venus die Musik. Unsere Plato­niker führen sie beide auf einen Gott, nämlich Apollon, zurück. Ihn hielten die Theologen der Urzeit für den Erfinder der Heilkunde und für den Herrscher des Saitenspiels.

Von ihm behauptet Orpheus in seinem Buche der Hymnen, daß er mit seinen lebenspendenden Strahlen allen Wesen Gesundheit und Leben verleihe und die Krankheiten fernhalte, ferner daß er durch den Klang seines Saitenspiels, d.i. durch seine Bewegungen und Kräfte, alles ordne und bewirke: durch die Hypate, d.i. die tiefe Tonart, den Winter, durch die Neate, d.i. die hohe Tonart, den Sommer, durch die dorische, d.i. die mittlere Tonart, den Frühling und den Herbst hervorbringe. Da also der Leiter der Musik mit dem Erfinder der Heilkunst identisch ist, so ist es wohl nicht verwunderlich, daß oft beide Künste von denselben Menschen ausgeübt werden. Dazu kommt noch, daß die Seele und der Körper zueinander in einem natürlichen Verhältnis der Harmonie, ebenso wiederum die Teile der Seele untereinander und desgleichen die Teile des Körpers stehen. Diese Harmonie bilden, wie es scheint, auch der Umlauf des Blutes und der Säfte, ihre Bewegungen und Pulse nach.

Wie Platon und Aristoteles behaupten und ich selbst auch aus eigener Erfahrung weiß, bewahrt ernste Musik die Harmonie der Seelenteile und stellt sie wieder her. Für das harmonische Funktionieren der Kör­perteile leistet dies die Heilkunde. Da also, wie wir sagten, der Körper

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und die Seele zueinander in einem entsprechenden Verhältnis stehen, so kann eine und dieselbe Person leicht für die Harmonie der Teile des Körpers und der Seele Sorge tragen. Darum übte Chiron beide Tätig­keiten aus. Darum auch soll der Prophet David die Seele und den Kör­per des geisteskranken Saul durch sein Saitenspiel geheilt haben. Daß dies auch bei anderen Krankheiten des Körpers und der Seele möglich ist, bestätigen Demokrit und Theophrast; Pythagoras aber, Empedo­kIes und der Arzt Asklepiades haben es durch Tatsachen bewiesen.

Auch ist dies nicht verwunderlich; denn da die Melodien und Tonver­bindungen aus dem Denken des Geistes, aus dem Drange der Phantasie und aus dem Affekt des Gemüts stammen und zugleich mit der künst­lich bearbeiteten und abgestimmten Luft zum luftartigen Lebensgeist des Zuhörers dringen, welcher das Band des Körpers und der Seele dar­stellt, so erregen sie leicht die Phantasie, affizieren das Gemüt, dringen in das Innerste der vernünftigen Seele ein und beruhigen oder erregen auch die Körperkräfte. Dies zeigte Timotheos, als er den König Alex­an der erst in Raserei versetzte und dann bändigte. Ich will nicht auf die Wundertaten des Pythagoras und Empedokles eingehen, welche Über­mut, Zorn und Tobsucht durch ernste Musik sofort dämpften und wie­derum erstarrte Gemüter in Erregung versetzten. Ich will auch beiseite lassen, was man von Orpheus, Arion und Amphion1 erzählt.

Um nun zum eigentlichen Thema zurückzukehren: zuerst besteht die Musik in der Vernunft, zweitens in der Phantasie, drittens im Text; die­sen schließt sich die Melodie an, dieser die Fingerbewegung beim Spie­len, und nach dem Spielen richtet sich die ganze Bewegung des Körpers bei der Gymnastik und beim Tanz. So also sehen wir, wie die Musik der Seele stufenweise zu allen Gliedern des Körpers hinabsteigt. Sie nehmen sich auch die Redner, die Dichter, die Maler, die Bildhauer und die Baumeister bei ihren Werken zum Vorbilde. Wenn nun also eine solche Gemeinschaft zwischen der Musik der Seele und des Kör­pers besteht, ist es da verwunderlich, daß ein und derselbe Mensch so­wohl den Leib wie die Seele temperieren kann?

Schließlich wohl nicht, wenn man von den Pythagoreern, von den Pla­tonikern, von Hermes, von Aristoxenos2 gelernt hat, daß für die Seele

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und den Körper der Welt sowohl wie des einzelnen musikalische Ver­hältnisse maßgebend sind, und wenn man aus der heiligen Schrift der Hebräer vernommen hat, daß Gott alles nach Maß, Gewicht und Zahl angeordnet hat. Dann wird man sich weder darüber wundern, daß durch die Harmonie fast alle Lebewesen hingerissen werden, noch Pythagoras, Empedokles und Sokrates tadeln, weil sie noch im Greisen­alter die Lyra spielten, Themistokles hingegen für wenig gebildet hal­ten, weil er bei einem Gastmahl das ihm dargebotene Instrument zurückwies. Unser Platon hat in seinem Dialog Alkibiades gezeigt, daß zu den Gelehrten, als den Schülern der Musen, die Musik gehöre, in­dem er sagt: Die Musen sind die Leiterinnen der Musik, die nach ihnen ihren Namen führt. Platon verwarf auch überall die klagende und die heitere Melodik, weil diese das Gemüt niederbeugt, jene es übermütig oder zornig macht. Allein die ernste gleichmäßige Melodik ließ er gel­ten als die heilsamste Medizin für den Lebensgeist, die Seele und den Körper.

Ich aber, um etwas über Deinen Marsilio zu sagen, widme mich nach dem Studium der Theologie oder der Medizin häufig ernstem Saiten­spiel und Gesang, um, da ich mich anderen sinnlichen Vergnügungen ganz und gar fern halte, die Unpäßlichkeiten der Seele und des Körpers zu vertreiben und den Geist nach Möglichkeit zum Erhabenen und zu Gott emporzurichten, im Vertrauen auf die Autorität Merkurs und Platons, welche sagen, daß uns die Musik von Gott verliehen ist, um den Körper zu beherrschen, die Seele in Einklang zu stimmen und Gott zu preisen. Daß dies vor anderen David und Pythagoras vorge­schrieben haben, weiß ich, daß sie es vollbracht haben, glaube ich. Sei gegrüßt!

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ÜBER DAS GESETZ UND DIE GERECHTIGKEIT

Marsilio Ficino entbietet dem hochgesinnten Lorenzo de' Medici seinen Gruß.

Am 7. März, wenn ich mich recht erinnere, versprach ich Lorenzo bei seiner Rückkehr aus Pisa, daß ich an ihn schreiben würde, wenn er sich wieder in das Pisaner Gebiet begäbe. Folglich werde ich, der ich sonst immer an meine Freunde schreibe, weil ich will, jetzt an ihn schreiben, weil ich muß. Es ist gerecht, sein Versprechen zu halten; denn so be­fiehlt es das Gesetz. Empfange also einen Brief nach Recht und Gerech­tigkeit! Darum sollst Du heute einen vom Gesetz und vom freien Willen zugleich diktierten Brief erhalten. Niemand darf vom Gerech­ten das Freiwillige und vom Freiwilligen das Gerechte trennen, und Freunde wollen dies nicht tun. Siehe also, Marsilio, Du mußt und Du willst jetzt etwas an den Medici schreiben.

Aber was wirst Du nun am liebsten schreiben und im Vertrauen auf welche Gottheit? 0 Heil der Menschen, 0 Königin der Welt, Gerech­tigkeit, du hast mir schon die Ursache zum Schreiben gegeben. Ver­schaffe Du mir auch jetzt den Stoff, auf daß, wie ich freudig zusagte, weil Du Bürgschaft leistetest, ich es mit Deiner Hilfe erfolgreich voll­bringe.

Das göttliche Gesetz, durch das die Welt besteht und gelenkt wird, ent­zündet unseren Geistern, wenn sie geschaffen werden, das unauslösch­bare Licht des natürlichen Gesetzes, nach dem die Entscheidung über Gut und Böse getroffen wird. Aus diesem natürlichen Gesetz, welches ein Funke des göttlichen ist, geht das geschriebene Gesetz hervor, ein Lichtstrahl jenes Funkens. Diese drei Gesetze aber, das göttliche, das natürliche und das geschriebene, lehren die einzelnen Menschen den Begriff des Gesetzes, so daß den Fehlenden kaum eine Möglichkeit der Ausrede bleibt, als ob sie sich überhaupt scheinbar aus Unwissenheit vergangen hätten.

In Wirklichkeit zeigen diese drei Lichter dem Blick der Vernunft, daß die Gerechtigkeit nichts anderes ist als eine Verfassung des Willens, die so von der Vernunft geleitet und gestärkt wird, daß er unter Verachtung von Drohungen und Lockungen nicht anders zu handeln beschließt, als es die Gottheit, die Natur und das Staatsgesetz vorschreiben. Was schreibt nämlich die Gottheit anderes vor, als daß man auf Gott, von dem wir alles haben, die Schärfe des Denkens, die Kraft des Willens und die Energie des Handelns und das Verdienst der Leistungen zurückführen soll? Und was lehrt die Natur, als daß man das Geld dem Körper, den Körper der Seele und die Seele der Vernunft unterordnen soll?

Die Staatsordnung endlich ermahnt wohl, daß die einzelnen Bürger sich als Glieder des Staatswesens betrachten sollen und daß es sich für sie gehört, das Vaterland als ihren gemeinsamen Körper und ihre Mit­bürger als die Glieder desselben Körpers zu lieben. Darum gilt ohne Widerspruch als ein Gerechter, der Gott als seinen Vater und Herrn mit unvergleichlicher Frömmigkeit verehrt, seine Affekte und Erre­gungen sorgsam beherrscht, die Menschen mit brüderlicher Nächsten­liebe, sich selbst in Gott und die Menschen in sich selbst liebt, Gott nach Kräften anhängt und durch seine Person nach bestem Können an­dere zu Gott führt.

Demzufolge ist es die Pflicht des Gerechten, jedem das Seine zu geben, den Höherstehenden Ehre und Ehrerbietung zu erweisen, den Gleich­stehenden vertrauten Umgang und den Geringeren Hilfe und Rat zu gewähren, ferner, wenn er ein Amt bekleidet, das Gesetz wie Gott selbst stets vor Augen zu haben und sich nicht für den Herrn des Ge­setzes, sondern dessen zuverlässigen Ausleger und eifrigen Diener zu halten. Bei seiner Ausübung soll er die Vergehen nach Billigkeit und ohne Leidenschaft bestrafen. Den Tugenden soll er ohne Neid nach Würdigkeit Belohnungen erteilen. Nicht an das Eigene denke er, son­dern an das Allgemeine. Auch soll er sich nicht auf seine eigene Bega­bung verlassen, sondern Greise und kluge Männer in allen Dingen um Rat fragen. Doch dies bleibe bei ihm im hohen Sinne bewahret:

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Gab der Herr der Meeresflut und der Erde euch zu richten das Recht über Tod und Leben,

leget ab die unnahbaren Hochmutsmienen. Wenn in Todesgraun man vor euch erzittert, wartet einst auch ein höherer Richter euer. Herren kann ein strengerer Herr gebieten.

Über den Begriff der Gerechtigkeit und des Gerechten und über die Pflicht des Gerechten möge dies genügen. Wie groß aber der Ertrag einer gerechten Handlung ist, geht daraus deutlich hervor, daß weder ein Haus noch ein Staat noch ein Heer noch überhaupt irgendein Ver­kehr zwischen guten oder schlechten Menschen ohne eine gerechte Verteilung je nach Verdienst bestehen kann. Wenn diese also in dem Maße für das Weltgetriebe notwendig ist, daß ohne sie die Welt ganz und gar zusammenstürzen würde, so läßt sich gewiß kaum ausspre­chen, wie notwendig sie für das menschliche Leben ist. Denn wenn sie den Menschen fehlte, so würden diese entweder zusammenströmen und sich bald gegenseitig vernichten oder getrennt leben und in ihrer Zerstreuung von den wilden Tieren zerrissen werden.

o ewiges Band des Menschengeschlechtes, o heilsamste Medizin für unsere Krankheiten, o öffentliche Seele des Staates,

Gerechtigkeit, du seliges Leben, Gerechtigkeit, du himmlisches Leben, Mutter und Königin des goldenen Zeitalters, erhabene Astraea1, die du über den Sternen thronest! Verlasse, Göttliche, wir flehen dich an, die irdischen Wohnungen nicht, damit wir Armen nicht einem eiser­nen Zeitalter anheimfallen! Wohne, ach wohne, wir bitten dich, himm­lische Gottheit, stets bei den Menschen, damit wir als Bürger des himmlischen Vaterlandes das himmlische Leben, soweit es jetzt mög­lich ist, nachahmen und es in Zukunft ganz erlangen! Sei gegrüßt!

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ÜBER DIE SEELE

Marsilio Ficino entbietet seinem lieben Francesco Tedaldi seinen Gruß

Lattanzio Tedaldi, mir ein so lieber Freund wie Dir ein Sohn, hat mir in Deinem Namen ein Werkchen zugestellt, in welchem die Erörterun­gen der abendländischen Philosophen über die Seele standen. Am Schluß wird von ihnen gefragt, was Marsilio Ficino darüber denke. Es ist zwar nicht meine Aufgabe, alle die vielen Streitigkeiten zwischen ihnen zu schlichten; doch werden, nachdem gefragt wird, was ich dar­über denke, meine Bücher Über die Unsterblichkeit der Seelen es weit­läufig darlegen, die, wie ich hoffe, bald bei euch eintreffen werden. Einstweilen will ich denjenigen Teil des Gegenstandes, nach dem hauptsächlich gefragt wird, kurz erörtern.

Zunächst weiß ich, daß meine Seele eine Substanz ist; sonst könnte ich eine Substanz nicht vollkommen begreifen und definieren. Auch könn­te ich nicht beurteilen und ermessen, ob etwas vorzüglicher ist als ein Akzidens oder um wieviel ein Akzidens geringer ist als eine Substanz. Ich weiß, daß meine Seele weder körperlich noch sterblich ist; sonst könnte ich nämlich Unkörperliches und Unsterbliches nicht begreifen und von Körperlichem und Sterblichem unterscheiden. Ich weiß, daß sie vernünftig ist; sonst könnte ich über sie und die übrigen Dinge kei­ne Gründe beibringen. Ich weiß, daß sie, obwohl der Vernunft teilhaf­tig, doch nicht die Vernunft selbst ist, wie manche meinen; denn sonst könnte ich bei der Bestimmung der Gründe der Dinge nicht von der Wahrheit sowie in meinen Handlungen von der Vernunft abirren. Eher also weicht der von der Vernunft ab, welcher behauptet, die Seele sei die Vernunft, als wer es bestreitet.

Demnach ist die Vernunft entweder eine Substanz oder eine Qualität. Wenn sie eine Substanz ist, so ist sie der Essenz nach Vernunft, im höchsten Grade absolut und unendlich. So beschaffen ist nicht die

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Seele, sondern nur Gott. Wenn sie Qualität ist, so ist sie, wie es scheint, ein Akzidens und eher eine Kraft der Seele als die Seele. Die Seele aber, welche bei der Bildung des Körpers und, indem sie ihn nach entgegen­gesetzten Richtungen bewegt und wieder in Ruhe versetzt, freie Verfü­gung hat und gewissermaßen abwechselnd verschiedene Qualitäten annehmen kann, für eine Qualität und ein Akzidens zu erklären, möge niemand wagen. Wie kann man sie denn ein Akzidens oder ein Hinfäl­liges nennen, sie, welche sich über alle Gattungen und Arten der Sub­stanzen und Akzidentien verbreitet. Sie wendet sich auch zu sich selbst zurück sowohl durch den Affekt als durch die Erkenntnis und mithin auch durch das Leben, sie, welche sich selbst und nicht einem Subjekt inhäriert, ohne ein körperliches Werkzeug bei jeder Berührung eine Wirkung ausübt, das U nkörperliche auswählt und es vom Körperli­chen richtig unterscheidet, der körperlichen Neigung oft widersteht und im Körper keine Ruhe findet, endlich desto wirksamer erkennt, je höher sie sich über den Körper erhebt und sich dann wohler und glücklicher befindet. Also ist die Seele eine unkörperliche, vernünftige und unsterbliche Substanz, welche zur Lenkung des Körpers geeignet 1st.

Viele Platoniker meinen, daß sie vor dem Körper den Vorrang habe und ihm zeitlich vorausgehe, die Peripatetiker sind der gegenteiligen Ansicht. Ich bin nun aber der Meinung, daß diejenigen, welche Du als Philosophen rühmst, aber nicht als solche erweisest, allerdings Peripa­tetiker sind. Denn über die Seele haben sie, wie Du sagst, nach Tisch verhandelt, also in der Meinung, man müsse erst den Körper versorgen (recreare) und dann die Seele fördern (procreare, erzeugen). Obwohl ich nun das Seelchen dieses Briefleins vor der Mahlzeit erzeugte, bin ich doch betreffs der Reihenfolge der Schöpfung mit jenen derselben Meinung.

Sei gegrüßt und gib Dir Mühe, häufig an solchen Gesprächen teilzu­nehmen, so wirst Du zugleich Deinen Körper und Deine Seele pflegen. Unser Giovanni Cavalcanti läßt sich Dir empfehlen. Du aber empfiehl mich jenen Philosophen.

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4° MAN MUSS LIEBER AUF DIE QUELLEN ZURÜCKGEHEN

ALS AUF RINNSALE

Marsilio Ficino entbietet Giovanni di Pietro Padovano seinen Gruß

Es gibt in unserem Jahrhundert viele, nicht Philosophen, sondern Großsprecher, welche mit allzu großem Dünkel behaupten, das Ver­ständnis des Aristoteles zu besitzen, während sie doch Aristoteles nur äußerst selten und kurze Zeit, und dann noch nicht einmal in seiner griechischen Muttersprache, sondern in einer fremden Sprache barba­risch stammeln gehört und ihn darum ganz und gar nicht verstanden haben 1. Indem sie unter Knaben auf dem Markt schwatzen, zeigen sie öffentlich, daß sie nichts wissen. Wenn man sie zu Hause geschickt aus­fragte, würde man sie dabei ertappen, daß sie wenig von der Physik, weniger von der Mathematik und noch weniger von der Metaphysik verstehen.

Derartige Menschen sind noch in ihrem siebenzigsten Lebensjahre Kin­der, nicht nur ohne Kenntnis der Redekunst, sondern auch der Gram­matik. Sie haben keine rechten Gedanken über die Natur und das Göttliche, höchstens einige barbarische Redensarten kramen sie über­aus ängstlich zusammen, welche sie in alberner Weise durcheinander­mischen und verwirren. Dann fördern solche läppischen Sophisten Dinge zu Tage, die wohl in die Gesellschaften von Knaben passen, nicht aber für Kreise von Männern. Sie haben eine solche Ausdrucks­weise, daß, wenn man sie reden hört, man die Philosophie verachten könnte. Sie leben derart, daß, wenn man ihren Lebenswandel sieht, man in Versuchung ist, die Philosophie zu schmähen. Darum sagte un­ser Platon mit Recht von ihnen, sie seien nicht die Ehegatten der Philo­sophie, sondern ihre Ehebrecher, von denen Bastarde abstammten, d.i. absurde Meinungen bei den Philosophen.

Ich zolle Dir also Anerkennung, lieber Freund, daß Du nicht an den

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kindischen Torheiten und den nichtigen Bestrebungen jener teil­nimmst, die nicht aus den Quellen schöpfen, sondern aus Rinnsalen lecken, und nicht nach dem Lichte der Wahrheit, sondern törichterwei­se nach dem Schatten der Meinung trachten. Wisse, daß Du nur so end­lich nahe an die Wahrheit herankommen wirst, wenn Du nicht in die Fußstapfen der Irrenden trittst.

Empfiehl mich unserm Bernardo Bembo, dem edlen Orator Venedigs. Sei gegrüßt!

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GEDÄCHTNISREGELN

Marsilio Ficino entbietet dem ausgezeichneten Arithmetiker Banco seinen Gruß

Wenn Du ein tüchtiges Erinnerungsvermögen für das Gute ausbilden willst, so sorge dafür, daß Du das Schlechte vergissest! Es lohnet der Mühe, das Minderwertige in den Lethefluß zu versenken, um das Wert­volle zu behalten.

Meide, lieber Banco, das Ungestüm der Aufregungen, meide die Unrast vielfältiger Geschäfte und Gedankenl Willst Du mit Nutzen denken, so denke möglichst weniges und solches, worüber die wenigsten nach­denken! Dies ist der Sinn jenes bekannten Ausspruches des Pythagoras: Meide die Hauptstraßen, schlage Seitenwege ein! Nicht unbedacht um­herschweifen! Scharfsinn und Gewandtheit ist erforderlich: im kleinen Gesträuch versteckt sich der Hase. Das Schlechte liegt überall offen da, in der Enge findet sich das Gute.

Willst Du Dich durch Gedächtniskraft im guten Sinne auszeichnen, so achte sorgfältig darauf, von dem zu erlernenden Stoff den bestimmten vernünftigen Zusammenhang ausfindig zu machen. Die Rechenschafts­ablegung ist nämlich das unauflösliche Band zwischen der Wahrheit und dem Gedächtnis. Darum wohl sagte unser Platon: was einmal recht erkannt sei, könne niemals mehr der Vergessenheit verfallen. Auch muß man dem Gedächtnis solches einprägen, was nicht nur nützlich, sondern auch angenehm ist. Denn die wohlschmeckendsten Nahrungsmittel werden am leichtesten von unserem Organismus auf­genommen und in seine Bestandteile verwandelt, und je begieriger man etwas zu sich nimmt, desto länger behält man es bei sich.

Ferner muß man nach Aristoteles und Simonides1 hauptsächlich dar­auf achten, daß dem Lernen eine bestimmte Ordnung zugrunde liege oder dafür methodisch erdacht werde; die Ordnung besteht nun im

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rechten Verhältnis und Zusammenhang. Ist aber ein Stoff in regelrech­ter Reihenfolge geordnet, so ergibt sich, wenn man einen Gegenstand herausgreift, das übrige unverzüglich durch den notwendigen natürli­chen oder künstlich hergestellten Zusammenhang. Auch ist das Vor­stellungsvermögen lebhafter tätig, wenn es auf nur einen Gegenstand oder auf einen kleinen Kreis von Gegenständen, die gleichsam einen einzigen ausmachen, gerichtet, als wenn es in eine Vielheit zerstreut wird. Jeder Zusammenhang von Teilen und jede Ordnung lenkt von selbst das Vorstellungsvermögen auf die Totalität, welche sich aus ihnen zusammensetzt. Überdies muß man häufig über das Gelernte nachdenken. So nämlich wird die geistige Nahrung verdaut und geht in den Geist über. Auch ist es im höchsten Maße förderlich, wenn man den Gedächtnisstoff häufig mit geschmackvollem Ausdruck nach einer einschmeichelnden Melodie wieder durchnimmt. Das Vergnügen ist ja die Würze der Dinge, die Speise der Liebe, das Anregungsmittel des Geistes, der Nährstoff des Willens und die Stärkung des Gedächtnisses.

Sehr förderlich ist auch die Verwunderung; sie spornt die Aufmerk­samkeit des Geistes an, und darum prägt er sich die Merkmale der Din­ge tiefer ein. Deshalb behalten die Kinder länger, wenn sie sich wegen der Neuheit der Dinge in besonderem Maße wundern. Sie haben auch wohl ein geringeres Maß von Gedanken als die Erwachsenen und ein viel ruhigeres Denken. Doch darüber ein anderes Mal. Wenn man in dieser Hinsicht den Ärzten Glauben schenken will, so muß man das Gehirn zuweilen mit Aloe purgieren und durch den Geruch von Zimt und Majoran anregen. Ich sage nichts dagegen; doch lege ich mehr Wert auf die Läuterung der Seele. Man muß sie zunächst vom Schlechten rei­nigen, damit sie sich mit dem Guten anfüllen kann.

Lebe wohl, d.h. nähre gut Deine Seele. Du wirst sie aber gut nähren, wenn Du sie nicht mit möglichst vielen, sondern mit möglichst aus­erlesenen Dingen nährst.

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DIE BEGRIFFSBESTIMMUNG DER TUGENDEN, IHRE AUFGABE UND

IHR ZIEL

Marsilio Ficino entbietet A ntonio Calderini seinen Gruß.

Du bittest mich, lieber Antonio, ich möchte Dir eine Begriffsbestim­mung der Tugenden geben. Vielleicht erwartest Du von mir jene um­ständlichen Definitionen der Peripatetiker und Stoiker. Lieber Calderini, so ist es nicht der Brauch bei uns Platonikern. Denn die Kraft der Tu­gend besteht in der Einheit und nicht in der Zerlegung. Darum setzten die Pythagoreer die Einheit zum Guten und die Vielheit zum Schlech­ten in Beziehung. Ich werde also kurz definieren, um so mehr, als die Ausübung der Tugenden besser ist als ihre Erkenntnis.

Die Tugend ist eine Verfassung der Seele, welche durch die richtige Auswahl zur Seligkeit beiträgt. Es gibt zweierlei Tugenden: die einen gehören dem Erkenntnisvermögen, die andern teils dem vernünftigen, teils dem unvernünftigen Begehrungsvermögen an. Jene nennt man die spekulativen, diese die moralischen: spekulativ, weil sie durch Spekula­tion erworben werden und hernach zur Spekulation dienen; moralisch, weil sie durch Sitte und Gewohnheit erworben werden und hernach in der sittlichen Betätigung Anwendung finden.

Zu der einen Klasse gehören die Weisheit, die Betrachtung des Gött­lichen, die naturwissenschaftliche Erkenntnis, die Klugheit, d.i. das Verständnis der rechten Verwaltung im privaten und im öffentlichen Leben, endlich die Befähigung zu geregelter Werktätigkeit. Zur ande­ren gehören die Gerechtigkeit, welche aus freien Stücken jedem das Sei­ne zuteil werden läßt, ferner die Tapferkeit, welche zu edlen Taten bereit ist und von der Fessel der Furcht befreit, endlich die Mäßigung, welche die sinnliche Lüsternheit, das andere Hindernis zum sittlichen Leben, austreibt. Freigebigkeit und Großmut aber sind Gefährten der Gerechtigkeit, und in demselben Sinne sind auch die übrigen Tugen­den anderen beigeordnet. Um es summarisch zu sagen: die spekulative

Tugend besteht in einer erworbenen Klarheit der Erkenntnis, die mora­lische Einsicht wiederum in einer beständigen Inbrunst des Begeh­rungsvermögens, welche durch die Klarheit der Erkenntnis angefeuert wird. Man muß aber eingedenk sein, daß bei der Ausübung der menschlichen Tugenden das Wertvollste die rechte Auswahl ist, und Platon urteilt in seinen Büchern über den Staat, man müsse, um sie zu erkaufen, alles übrige verkaufen. Demjenigen nämlich ist alles hinder­lich und nichts förderlich, der nicht das Gute vom Schlechten und vom Guten das Schlechte zu unterscheiden versteht.

Will man die Befähigung zur Auswahl erwerben, so muß man bei allen Gelegenheiten ältere und erfahrene Männer um Rat fragen, vor allem aber den Rat der Zeit einholen. In der Zeitlichkeit gibt es ja nichts Äl­teres und Erprobteres als die Zeit. Wir lassen uns aber von der Zeit be­raten, wenn wir den Ausgang vergangener Ereignisse oft und eingehend betrachten. Die Vergangenheit ist die Lehrmeisterin der Gegenwart und der Zukunft. Auch belehrt die Erwägung der Zukunft über die Gegenwart. Man kann nämlich das Gegenwärtige nur sehr schwer handhaben, wenn man nicht den Zweck und den Erfolg einer jeden Handlung durchdacht hat. Denke also, soweit es angemessen ist, und das Weitere stelle Gott anheim! Was dann erfolgt, das nimm hin als durch Gott geschehen. Denn wer an der göttlichen Lenkung Verwerf­liches findet, der wird von Gott verworfen werden. Weil aber Gott der Ursprung und das Ziel aller Dinge ist, darum sind wir für Gott und nicht für uns geboren. Die im Obigen aufgezählten Tugenden, die man ehren, zum Vorbild nehmen und erwerben soll, sind nur insoweit Tugenden, als man sie um Gottes willen ausübt. Mithin ist die Gottes­verehrung die Tugend der Tugenden, und Gottes teilhaft zu werden der Tugenden Lohn.

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DIE DREI FÜHRERINNEN DES LEBENS UND DIE RECHTE LEBENSART

Marsilio Ficino entbietet Lorenzo di Francesco seinen Gruß

Drei sind die Führerinnen des menschlichen Lebens. Die erste ist die lange und fleißig befragte Vernunft, die zweite die durch den täglichen Umgang mit den Dingen bestätigte Erfahrung, die dritte die Autorität solcher alten Leute, welche so geartet sind, daß sie sich weder von einem andern leicht täuschen lassen noch anscheinend beabsichtigen, andere zu täuschen. Man muß nämlich mehr darauf achten, wie je­mand handelt, als was er spricht. Gut reden ist Sache vieler; gut han­deln, weniger.

Die beste Lebensart aber besteht darin, zu denken und zu streben, wie man am meisten nach der Vernunft leben kann; das bedeutet nicht immer glücklich leben. Wohl findet man im vernünftigen Geiste Ruhe und Stille; wer ihm aber entsinkt, der stürzt in die Unterwelt. Mühe Dich nicht eifrig ab, lange im Körper zu leben! Im Vergleich mit der Ewigkeit ist im Körperlichen nichts von langer Dauer. Was überdies die leibliche Lebensdauer anbetrifft, so bringen es darin viele, und noch dazu die Niedrigsten, weiter als wir. Das körperliche Leben ist als eine Strafe und als der Tod der Seele zu bezeichnen. Habe vor allem das eine Bestreben, wie es unser Platon im Gorgias vorschreibt, daß Du die Dir hier von Gott zugemessene Zeit so gut als möglich lebst. Dann wirst Du den Strafen der ewigen U nseligkeit entrinnen und Dir mit göttlicher Hilfe die Grundlage des ewigen seligen Lebens schaffen.

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DIE METHODE DES LEHRENS, DES LoBENS UND DES TADELNS

Marsilio Ficino entbietet dem Rhetor Lorenzo Lippi seinen Gruß

Da Du die griechischen und lateinischen Rhetoren gelesen hast, so bin ich überzeugt, daß Du Deine Schüler in dem Sinne unterrichtest, daß sie sich stets gegenwärtig halten, man müsse seine Zuhörer nicht nach Laune beeinflussen, sondern wie es angemessen ist. Denn wer zur Ge­rechtigkeit rät, der überredet leichter und erfolgreicher, weil er in sei­ner Sache die Gerechtigkeit zur Fürsprecherin hat. Sie sollen daran denken, daß sie gerecht sein müssen. Die Handlungen rühren lebhafter als die Worte, und am besten versetzt andere in die rechte Stimmung, wer sich selbst in der besten Stimmung befindet; die Ohren aber belei­digt bloß, wer eine andere Begleitung spielt, als er singt. Die göttliche Musik besteht in dem rechten Einklang der Reden und Handlungen.

Sie sollen sich, wenn sie jemanden loben oder tadeln wollen, vor Au­gen halten, daß die Natur der Dinge, des Raumes und der Zeit so weit­gedehnt ist, daß niemand so weise und so gut sein kann, daß es nicht doch noch einen Weiseren und Besseren geben könnte, und daß wieder­um niemand so unsinnig und schlecht sein kann, daß nicht doch noch Raum für größere Torheit und Schlechtigkeit da wäre. Karg muß man also im Loben sein und noch karger im Tadeln; außerdem muß man beim Loben ermuntern und mahnen. Es gibt keinen ruchloseren Mör­der als den Schmeichler, der, soviel in seiner Macht steht, die Seele mordet. Man lobe also lieber die Tugenden und Gott, der die Tugenden verleiht, als Personen! Jenes ist Sache eines frommen Philosophen, die­ses paßt für einen Schmeichler. Man tadle die Laster, nicht die Perso­nen! Jenes ist Freundespflicht, dieses Feindesart. Man soll nicht einen Menschen, sondern die Laster hassen. Man soll also nicht daran den­ken, wie man einen Menschen kränke, sondern wie man die Laster mindere.

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Man soll mehr danach streben, gut als gelehrt zu sein. Wissen erregt Neid, Güte tötet den Neid. Auch ist die Güte den Menschen nützlicher und Gott angenehmer als das Wissen; sie ist auch beständiger, da man schnell erlerntes Wissen leichter vergißt als man einen durch mühselige und langwierige Gewöhnung erworbenen sittlichen Charakter einbüßt. Gelehrsamkeit ist an sich nur vorübergehend und in geringem Maße förderlich, Güte in alle Ewigkeit zum Teilhaftwerden Gottes. Rate also Deinen Schülern nach dem Vorbilde des Sokrates, sie mögen das mensch­liche Wissen anwenden, um den Nebel der Sinne zu zerstreuen und die Seele zu beruhigen! Dann nämlich wird von der göttlichen Sonne dem Geiste der Lichtstrahl der Wahrheit aufleuchten, sonst aber niemals. Dies ist das einzige nützliche Studium. Wer jedoch anders handelt, der arbei­tet kläglich umsonst.

So werden Dich, lieber Lippi, Deine Schüler ehren. Die göttlichen Leh­rer Pythagoras und Sokrates haben nicht Bücher, sondern ihre Schüler berühmt gemacht. Nein, allerdings Bücher, aber lebende! Ein Buch ist ein Schüler ohne Seele, ein Schüler ist ein beseeltes Buch. Lieber Loren­ZO, was Du von Gott, dem Lehrer aller Wahrheit, unentgeltlich emp­fangen hast, das lehre unentgeltlich. Frevel ist es, die Wissenschaft, welche von Natur frei ist, zur Lohnarbeiterin zu machen. Ich lobe den, welcher ohne Schamröte viel gelernt hat und ohne Mißgunst lehrt. Was bei den Schülern überströmt, das strömt auf den Lehrer zurück. Lehre also, ich bitte Dich, freiwillig. So viele Kinder der Seele haben wir, als wir Schüler haben. Wenn nun die Eltern ihre leiblichen Kinder mit Wollust zeugen, warum sollen da nicht auch die Gelehrten die Kin­der ihrer Seele mit Wollust zeugen?

Biete Dich selbst als ein Vorbild guter Sitten dar. Reinheit des Lebens­wandels macht die Gelehrsamkeit ehrwürdig. Leicht nimmt die Jugend die Sitten der Älteren an. Als ruchlos müssen diejenigen gelten, welche die Seelen von Jüngeren, ja überhaupt von Menschen, durch Rede und Beispiel verderben. Zum Schluß: nimm Pythagoras und Apollonios von Alabanda1 zum Vorbild, welche nach Art der indischen Philo­sophen nicht beliebige Jünglinge, sondern nur solche von guter Cha­rakteranlage und von bester Erziehung als ihre Schüler annahmen. Es

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ist unpassend, die Musen zu Dienerinnen der Unkeuschheit oder zu Kämpferinnen für die Bosheit zu machen.

Sei gegrüßt und grüße Albertino aus Cremona, den echten Philo­sophen, d.i. das Musterbild von Gelehrsamkeit und sittlicher Würde.

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SELBSTERKENNTNIS UND SELBST ACHTUNG IST VON ALLEM DAS BESTE

Marsilio Ficino entbietet dem Menschengeschlecht den Gruß des Heils, d.i. der Selbsterkenntnis und der Selbstachtung.

Erkenne dich selbst, du göttliches Geschlecht im sterblichen Gewande, entblöße dich selbst, ich bitte dich, sondere ab, so viel du kannst -du kannst aber, soviel du versuchst - sondere ab vom Körper die See­le, von den Leidenschaften der Sinne die Vernunft. Sehen wirst du dann sogleich nach Entfernung des Erdenschmutzes das reine Gold, sehen wirst du nach Zerteilung der Wolken die klare Luft. Zurück­strahlen wirst du dann, glaube mir, dich selbst als den ewigen Strahl der göttlichen Sonne. Du wirst es vor dir selbst nicht wagen, fürderhin et­was Häßliches oder Gemeines zu unternehmen oder zu denken. Nichts kann vor Gott verborgen bleiben, dem Offenbarer alles dessen, was irgendwie und irgendwo offenbar ist. Nichts von Dir bleibt der Vernunft verborgen, dem lebenden Standbilde des immer und überall lebenden Gottes.

Wenn schon der verehrungswürdige Anblick eines alten Königs Ehr­furcht erweckt, so verehre immer und überall die bewunderungswürdi­ge Gegenwart Gottes, des Allbeherrschers, und der Vernunft, der Herr­scherin der körperlichen Welt. Mit Recht gebot daher Pythagoras: Ver­ehre dich selbst! Wer sich vor sich selbst nicht schämt, Niedriges zu den­ken, und seine von Natur göttliche Seele seinem Körper läßt und diese göttliche Perle in den Kot versenkt, der muß wohl gewiß seinen eige­nen Wert nicht kennen und hat nicht jenes göttliche Orakel erwogen: »Du hast ihn nur wenig unter die Engel gestellt!« und wiederum: »Ich sprach, ihr seid Götter und alle Söhne des Höchsten.2«

Auf, ihr Geister, die ihr zu wenig euch selbst kennt! Auf, ihr blinden Herzen! Wachet nun auf aus diesem allzu tiefen Schlaf! Kommet ein­mal zu euch, ich beschwöre euch drum! Wenn ihr einmal zu euch selbst kommt, dann werdet ihr glücklich aufatmen. Warum wartet ihr

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so lange? Blicket zum Himmel auf als göttliche Bürger des himmli­schen Vaterlandes, ihr Bewohner der Erde. Der Mensch ist ein irdischer Stern, der von einer Wolke umzogen ist, der Stern aber ein himmli­scher Mensch. Etwas Großes bist du, 0 Seele, Kleines befriedigt dich nicht; das Beste bist du, wenn dir das Schlechte widersteht, das Schön­ste, wenn du das Häßliche verabscheust, das Ewige, wenn du das Zeitli­che geringschätzest. Wenn du dich finden willst, da du so beschaffen bist, so frage, ich beschwöre dich, frage dich selbst, wo solches sich fin­det. Großes aber ist dort allein, wo kein Raum durch seine Schranke ein Ziel setzt, das Beste, wo man auf keinen Gegensatz stößt, das Schönste, wo kein Mißklang vorhanden ist, das Ewige, wo kein Fehl ist.

Suche dich also außerhalb der Welt. Aber damit du dich suchest und außerhalb findest, fliege hinaus, nein blicke hinaus. Du bist nämlich außerhalb, indem du selbst die Welt umspannst. Du aber glaubst, am untersten Orte der Welt zu sein, weil du dich selbst nicht siehst, wie du den Äther durchschwebst, sondern nur deinen Schatten, den Kör­per tief unten erblickest; gerade wie ein Knabe, der über einem Brun­nen steht und sich am Grunde des Brunnens glaubt, indem er seinen Blick auf sich selbst richtet und sein Schattenbild gleichsam am Grun­de sieht.

Laß also die Enge dieses Schattens hinter dir und kehre in dich selbst zurück. So wirst du in das U nermeßliche zurückkehren. Eine unermeß­liche Weite ist nämlich im Geiste, im Körper dagegen, sozusagen, eine unendliche Enge. Dies kann man schon daraus ersehen, daß die Zah­len, welche sich der geistigen Natur annähern, ohne Ende zunehmen, aber nicht ohne Ende abnehmen. Die körperliche Größe hingegen hat wohl eine Grenze des Wachsens, aber keine Grenze des Abnehmens.

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ÜBER DIE GÖTTLICHKEIT DER SEELE UND DIE RELIGION

Marsilio Ficino entbietet Francesco Bandini seinen Gruß

Wenn die anderen an Marsilio Ficino und Giovanni Cavalcanti, seinen einzig geliebten Achates, schreiben wollen, dann schreiben sie zwei Briefe, indem sie vermeinen, wo sie zwei Körper sehen, da müßten auch zwei Willen darin vorhanden sein. Bandini hingegen, der sozusa­gen mit Luchsaugen in das Innere sieht, schrieb an den Einzigen einen einzigen Brief, in dem er Marsilio unsterblich und göttlich nennt; er richtet nämlich seinen Blick nicht auf die fleischliche Hülle dieses Mannes, sondern schaut den inneren Menschen an, nämlich die Seele selbst, welche den Menschen ja von Gott als eine unsterbliche und göttliche verliehen ist.

o wie scharfsichtig bist Du, lieber Bandini, der Du mit einem einzigen Blick erkennst, was ich auf langem Umwege zehn Jahre lang erforschte und dann darüber in fünf Jahren achtzehn Bücher schrieb.! Deren Eingang beginnt, die Göttlichkeit der Seele, die Du schon zu verstehen scheinst, mit folgenden Worten nach und nach darzutun: »Da das Men­schengeschlecht wegen der Unruhe seiner Seele, der Gebrechlichkeit seines Körpers und seines Mangels an allen Dingen auf Erden ein härte­res Leben führt als die Tiere, so wäre der Mensch das unglücklichste Lebewesen, wenn die Natur ihm die gleiche Grenze des Lebens gesteckt hätte wie den anderen Lebewesen. Weil es aber unmöglich ist, daß der Mensch, der durch die Gottesverehrung näher als alle sterblichen We­sen an Gott, den Urheber der Seligkeit, heranreicht, unglücklicher sein solle als alle überhaupt, er aber allein nach dem Absterben des Körpers glückseliger werden kann, so erscheint es als notwendig, daß unseren Seelen nach ihrem Verlassen dieses Kerkers noch etwas Licht übrig bleibt.«

Doch genug darüber. Du aber, lieber Bandini, fahre fort, in die Dinge, wie Du es tust, nach Kräften hineinzuschauen! So nämlich wirst Du

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Dich niemals täuschen. Wer auf die Oberfläche blickt, der sieht nur Schatten und Traumbilder. Was übrigens der Angelpunkt und die Sub­stanz der Dinge ist: Du stellst in Aussicht, mich bei erster Gelegenheit zu ehren; schon lange hast Du den göttlichen Platon und seine Schüler herrlich geehrt. Auch jetzt ehrst Du schon, indem Du es versprichst; denn wenn ein so wahrheitsliebender Mann wie Bandini etwas ver­spricht, so hält er sein Wort. Sei gegrüßt!

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BEILEIDSSCHREIBEN

Marsilio Ficino spricht Antonio Agli, dem Theologen und Bischof von Volterra, göttlichen Trost zu.

Wenn es erlaubt wäre, den zu trösten, der andere zu trösten vermag und zu trösten pflegt, so würde ich jetzt zum Hinscheiden Deiner Brü­der einen Trostbrief an Dich schreiben. Ich will daher Antonio nicht trösten, sondern bitten. Ich beschwöre Dich, hochwürdigster Vater, bei Gott, dem Leben der Lebenden, Du mögest nicht so sehr an den irdi­schen Tod der Deinen, sondern an ihr himmlisches Leben denken; auch mögest Du nicht so sehr nach Deinem Willen trachten als nach dem göttlichen, in den einzuwilligen die einzige Frömmigkeit, die wahre Weisheit und die höchste Glückseligkeit bedeutet. Was anderen als Notwendigkeit und Unglück erscheint, das wird dem zur Freiwil­ligkeit und zum Glück, der in den Willen des Lenkers aller Dinge ein­willigt.

Doch wozu biete ich, Tor, einem Hippokrates Arzneien an? Arzt, hilf dir selbst, nein vielmehr, setze Deine Hilfe auf Gott. Es gibt ja, wie Du selbst am besten weißt, kein Mittel gegen das Gift des irdischen Todes außer der inbrünstigen Liebe zum himmlischen und überhimmlischen Leben und dessen häufige Betrachtung. Sei gegrüßt!

Florenz, den 28. April 1474.

DAS WESEN DER GLÜCKSELIGKEIT, IHRE STUFEN UND IHRE

EWIGE DAUER I

Marsilio Ficino entbietet dem hochgesinnten Lorenzo de' Medici seinen Gruß

Da wir beide unlängst zu Careggi über die Glückseligkeit hin und her verhandelt hatten, kamen wir schließlich unter Leitung der Vernunft in derselben Ansicht überein. Dabei brachtest Du scharfsinnigerweise neue Gründe dafür bei, daß die Glückseligkeit eher in einem Akte des Willens als in einem solchen der Vernunft bestünde. Es war auch Dein Wille, jenes Gespräch selbst in dichterischer Form zu behandeln, wäh­rend ich es in Prosa bearbeiten sollte. Du hast Deine Aufgabe schon in einem geschmackvollen Gedicht gelöst2; darum will ich nun, unter Gottes günstigem Anhauch, mich meiner Mühewaltung unterziehen, wenn auch in Kürze.

Drei Arten von menschlichen Gütern zählt man; nämlich Güter des Glücks, des Körpers und der Seele. Güter des Glücks sind Geld, Ehre, Wohlwollen, Herrschaft. Um nun mit dem ersten zu beginnen: Geld ist nicht das höchste Gut, wie Midas meinte; denn man erwirbt es nicht um seiner selbst willen, sondern zum Vorteil des Leibes und der Seele. Auch nicht Ehre und Wohlwollen, wie Augustus zu sagen pfleg­te, weil sie in fremdem Ermessen stehen und sehr oft ohne Verdienst erteilt und entzogen werden. Ebenso wenig die Herrschaft, wie Caesar meinte, weil, je ausgedehnter diese ist, man desto härter von Sorgen be­drückt wird, desto größere Gefahr läuft, desto mehr von Menschen und Geschäften in Anspruch genommen wird und desto mehr Feinde hat.

Die körperlichen Güter sind: Stärke, Gesundheit und Schönheit. Stär­ke und Gesundheit sind nicht das höchste Gut, wie wohl Milon aus Kroton meinte; denn man unterliegt auch den geringsten Schädigun­gen. Auch nicht die Schönheit, welche der Skeptiker Herillus rühmte;

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denn niemand lebt, so schön er auch sein mag, damit allein zufrieden, und die Schönheit ist eher für die anderen ein Gut als für die Schönen selbst.

Die Güter der Seele gehören teils dem vernunftlosen Teile der Seele an, teils dem vernünftigen. Dem vernunftlosen Teile gehören an die Schär­fe der Sinne und ihre Vergnügungen. Aristippos war der Meinung, in beiden bestehe das höchste Gut. Wir hingegen urteilen, daß in keinem von beiden die Glückseligkeit besteht: nicht in der Schärfe der Sinne, weil wir darin von vielen Tieren übertroffen werden, dann aber, weil uns ein scharfer Sinn eher schädlich als förderlich zu sein pflegt; nicht in der Lust der Sinne, weil ihr Überreizung voraufgeht, Mißtrauen sie begleitet, Reue ihr folgt, und mit vielen langdauernden Schmerzen eine kurze Lust erkauft wird. Auch dauert nur so lange die Stärke der Lust an, als das Bedürfnis des Körpers dauert, wie z.B. die Erquickung des Trunkes, solange als der Durst anhält, jedes Bedürfnis aber lästig ist. Die Lust der Sinne ist also, weil sie oft mit ihrem Gegenteil, d.i. dem Schmerz, vermischt ist, keine reine und wahre Lust und verschafft kei­ne Befriedigung. Wenn aber jemand behauptet, es gebe einige Vergnü­gungen der Sinne, denen kein Bedürfnis vorausgeht, so antworte ich: dann sind sie so schwach, daß niemand in sie die Glückseligkeit setzt. Auch soll es niemand wagen, die Glückseligkeit mit einem Zustand gleichzustellen, der aus der Schärfe und den Ergötzungen der Sinne zu­sammen besteht; denn ein solcher Zustand ist trügerisch, vergänglich und unruhig. Niedrige Vergnügungen befriedigen nicht die Seele, wel­che aus angeborenem Triebe nach Höherem strebt.

Dem vernünftigen Teil der Seele schreibt man einige angeborene Güter zu, wie Schärfe des Geistes, Gedächtnis und schnell entschlossene Kühnheit des Willens. In ihnen besteht die Glückseligkeit nicht; macht man von ihnen guten Gebrauch, so sind sie gut, andernfalls schlecht. Andere Güter der vernünftigen Seele sind erworbene, wie die sittlichen und die spekulativen Tugenden. Besteht nun in der Sittlichkeit das Glück, wie es die Stoiker und die Cyniker annehmen? Keineswegs. Denn die Betätigungsweisen der sittlichen Tugenden, wie der Mäßi­gung und der Tapferkeit, sind mühselig und beschwerlich. In der Ar­beit beruht das Ziel nicht, das wir suchen; unruhig vielmehr sind wir

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tätig auch in der Muße, und Krieg führen wir, auch wenn wir in Frie­den leben. Überdies erstrebt man die Sittlichkeit nicht um ihretwillen, sondern gleichsam als Arznei für die Läuterung und die Ruhe der See­le. Aber in der epikureischen Ruhe besteht nicht das höchste Ziel. Die Ruhe der Seele geht auf die Betrachtung der Wahrheit zurück, wie die Klarheit der Luft auf das Sonnenlicht.

Beruht nun also die Glückseligkeit auf den spekulativen Tugenden, als da die Betrachtung der Wahrheit ist? Ganz gewiß. Eine Art aber der Betrachtung ist, um mich so auszudrücken, die des Unterhimmlischen, eine andere die des Himmlischen, und wieder eine andere die des Über­himmlischen. Demokrit fand sein Ziel in der ersten Art. Anaxagoras wollte sich dabei nicht beruhigen, weil das Himmlische vorzüglicher ist als das unter dem Himmel Befindliche; aber er begnügte sich mit der Erforschung des Himmlischen. Zu dessen Betrachtung, sagte er, sei er geboren und der Himmel sei ihm die Hauptsache. Dies tadelte Ari­stoteles, weil doch die Betrachtung des Überhimmlischen ein weitaus würdigerer Gegenstand sei. Die Glückseligkeit ist der höchste Akt des höchsten Vermögens in Bezug auf das höchste Objekt. Doch ist die Be­trachtung dieses Gegenstandes, den die an den Körper gebundene Seele erlangen kann, eine andere, als sie die ungebundene Seele besitzt. Ari­stoteles glaubte, der Mensch, der die erste habe, sei glückselig, unser Platon aber bestritt es, weil der Betrachtung des Göttlichen in diesem Leben stets die Unsicherheit des Intellekts und die Beengung des Wil­lens beigemischt ist. Darum kommt bei Platon die wahre Glückselig­keit der in ihrer Trennung vom Körper das Göttliche betrachtenden Seele zu.

Zum Göttlichen gehören die Engel und Gott. Avicenna und Algazali behaupten wohl, in der Betrachtung der Engel würde die Seele ihre Glückseligkeit finden. Dies widerlegen die Platoniker mit zwei Grün­den. Der erste Grund ist der folgende: Unserem Intellekt ist die Eigen­tümlichkeit angeboren, daß er nach der Ursache eines jeden Dinges forscht, und dann wieder nach der Ursache der Ursache. Mithin hört die Forschung des Intellektes nicht eher auf, als bis er die Ursache fin­det, die keine Ursache mehr hat, sondern selbst die Ursache der Ur­sachen ist; dies aber ist Gott allein. Der zweite Grund lautet so: Das

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leidenschaftliche Verlangen des Willens wird durch kein Gut gestillt, solange wir glauben, daß noch ein Gut darüber hinaus vorhanden ist; gestillt wird es einzig und allein durch das Gut, über das hinaus es nichts Gutes mehr gibt. Was kann dies aber anders sein als Gott? Dar­um kann allein in Gott die Forschung des Intellektes und der Affekt des Willens Ruhe finden. In Gott allein also besteht die menschliche Glückseligkeit. Doch habe ich dies in meiner Theologie über die Un­sterblichkeit der Seelen ausführlicher behandelt.

Im übrigen gibt es zwei Akte der Seele in Beziehung auf Gott: sie schaut nämlich Gott durch den Intellekt und erfreut sich der Erkennt­nis Gottes durch den Willen. Das Schauen Gottes nennt Platon Am­brosia, die Freude Nektar, den Intellekt aber und den Willen die beiden Flügel, mit denen wir in Gott als zu unserem Vater und in unser Vaterland zurückfliegen. Deshalb genießen, sagt er, die reinen Seelen, wenn sie in den Himmel aufgeflogen sind, Ambrosia und Nektar.

Die Freude in dieser Glückseligkeit ist vorzüglicher als die Schauung; denn wie wir in diesem Leben ein viel höheres Verdienst durch die Lie­be erwerben als durch das Forschen, um so höher ist in jenem Leben der Lohn für die Liebe als der für die Forschung. Wir erwerben aber durch die Liebe ein ungleich höheres Verdienst als durch das Erkennt­nisstreben aus mehreren Gründen: Erstens, weil niemand in diesem Le­ben wahrhaft Gott erkennt; wahrhaft aber liebt Gott, wer, sei es auch wie immer er ihn erkennt, alles außer Gott verschmäht. Zweitens, wie es schlimmer ist, Gott zu hassen als ihn nicht zu kennen, so ist es bes­ser, ihn zu lieben als ihn zu erkennen. Drittens, von der Gotteserkennt­nis kann man schlechten Gebrauch machen, nämlich zum Hochmut; von der Liebe zu ihm kann man keinen schlechten Gebrauch machen. Viertens, wer auf Gott hinblickt, der bietet darum noch Gott nichts dar; wer ihn aber liebt, der bietet sowohl sich selbst als auch alles, was er besitzt, Gott dar. Folglich bietet sich Gott eher dem Liebenden als dem Forschenden dar. Fünftens, indem man Gottes Wesen erforscht, macht man in langer Zeit kaum einen Fortschritt, indem man ihn liebt, erreicht man in kürzester Zeit sehr viel; darum verbindet die Lie­be schneller, enger und fester die vernünftige Seele mit der Gottheit als die Erkenntnis, weil die Kraft der Erkenntnis mehr in der U nterschei-

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dung besteht, die Kraft der Liebe aber mehr in der Vereinigung. Sech­stens, in der Liebe zu Gott empfinden wir nicht nur eine größere Won­ne als im Erforschen, sondern wir werden auch durch sie besser. Aus diesen Gründen können wir schließen, daß der Lohn, welcher der Lie­be zukommt, größer als der ist, welcher der menschlichen Forschung angemessen ist.

Dem Liebenden steht es zu, den geliebten Gegenstand zu genießen und sich seiner zu erfreuen; dies ist ja das Ziel der Liebe, während der For­schende sehen will. Die Wonne übersteigt also bei dem glückseligen Menschen die Schauung. Ferner suchen wir zu schauen, um uns zu er­freuen; wir freuen uns aber nicht, um zu sehen. Wir können die Ur­sache bestimmen, um derentwillen wir sehen wollen; eine andere Ursache aber, um derentwillen wir uns freuen möchten, als die Freude selbst, können wir nicht bestimmen, gleich als ob sie um ihrer selbst willen ersehnt würde. Wir begehren nicht das Sehen schlechthin, son­dern wollen unter der oder jener Bedingung sehen, um uns freuen zu können. Keine Freude verwirft ;emals die Natur an sich: doch verwirft sie zuweilen eine Erkenntnis, besonders auch, wenn wir glauben, daß sie sehr unangenehm sein wird, während die Ergötzung die Würze nicht nur der Erkenntnis, sondern auch des Lebens ist, nach deren Fortfallen alles geschmacklos erscheint. Vollwertiger ist die Freude als die Erkenntnis; denn nicht jeder, der erkennt, hat auch zugleich Freu­de, während, wer sich freut, auch notwendig erkennt. Wie die Natur den Schmerz für schlechter hält als das Nichtwissen, so hält sie die Freude für besser als das Erkennen, und wie sie den Schmerz stets und überall um ihrer selbst willen meidet und alles um ihn als um das höch­ste Übel, so trachtet sie nach der Lust um ihrer selbst willen und nach anderem um ihretwillen als um das höchste Gut. Da die Kraft der Er­kenntnis, wie oben bemerkt, in der Unterscheidung besteht, die Kraft der Liebe aber in der Vereinigung, so vereinigen wir uns enger mit Gott durch die Liebesfreude, die uns in den geliebten Gott verwandelt, als durch die Erkenntnis. Und wie nicht derjenige gut wird, der das Gute schaut, sondern derjenige, der es will, so wird die Seele nicht da­durch göttlich, daß sie Gott betrachtet, sondern dadurch, daß sie ihn liebt, wie auch die Liebe, weil sie die Glut liebt, zu Feuer wird. Dieser Grund findet darin seine Bestätigung, daß, da die Seele nicht das Gute

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an sich ist und deshalb das Gute außerhalb ihrer Natur suchen muß, davon die Folge ist, daß die Hinwendung des Willens, welche auf ein äußeres Objekt gerichtet wird, in wahrerem Sinne dem Guten an sich zustrebt als die Erkenntnis des Intellekts, welche inwendig verharrt. Denn der Intellekt erfaßt das Objekt durch einen Akt der Einbildungs­kraft; der Wille hingegen strebt in einem wesentlichen Triebe, sich in das Objekt zu übertragen. Das Begehrungsvermögen beruht auf dem Wesen, reicht sehr weit und ist ununterbrochen fortlaufend. Die Er­kenntnis wirkt durch aufgenommene Bilder, erstreckt sich auf weniges und erleidet Unterbrechungen. Mithin ist der Besitz des Guten durch die Natur des Begehrungsvermögens substantieller als der durch die Anschauung der Erkenntnis gewonnene.

Wenn Gott die Vernunft von dem Willen trennen und beide Naturen gesondert erhalten würde, dann würde die Vernunft anscheinend wohl ihre frühere Gestalt behalten können; sie wäre nämlich eine rationale Form. Der Wille hingegen würde seine Gestalt ändern; denn er wäre ein Begehrungsvermögen ohne die Auswahl der Vernunft. Doch würde sich fürderhin die Vernunft ganz und gar keines Gutes mehr erfreuen; sie wäre nämlich wie ein Lebewesen ohne den Geschmackssinn, nichts würde ihr behagen, nichts würde sie billigen, weder einem anderen noch sich selbst würde sie beistimmen. Der Wille hingegen würde noch seine Güter nach Kräften genießen. Das Genießen des höchsten Gutes gehört mithin wohl mehr dem Willen als dem Intellekt an. Mit Recht kommt also wohl dem Willen das Ziel der Bewegung, d.i. die Glückseligkeit, zu, auf die auch der Anfang der Bewegung hinzielt.

Der Intellekt erkennt seiner Natur entsprechend die Dinge und zieht sie sozusagen zu sich hin, und deshalb kann man von ihm nicht im eigentlichen Sinne sagen, er bewege die Seele. Der Wille hingegen strebt, die Dinge so zu erlangen, wie sie an sich selbst sind, zieht die Seele nach außen, und somit ist der Anfang der Bewegung der Wille. Das Ziel aber der allgemeinen Bewegung ist ein Äußeres, was sich end­lich gleichsam als eine Form mit der Seele verbindet. Dieses Ziel ge­nießt die Seele hauptsächlich durch den Willen, weil jeder Arbeiter seines Lohnes wert ist. Die Sorge aber und der Antrieb in Bezug auf das Erlangen des Guten und der Vermeidung des Übels beruht im Af-

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fekt. Der Wille genießt nicht nur deshalb in höherem Maße Gott, weil er größeres Verdienst hat als der Intellekt, sondern auch, weil ihm die Unterscheidung der Glückseligkeit zukommt. Je inbrünstiger man nämlich liebt, desto glückseliger wird man; auf sich selbst blickt ja die Substanz der Glückseligkeit hin. Weil nun viel mehr Menschen Gott inbrünstig lieben als deutlich erkennen können, ist auch der Weg der Liebe für die Menschen sicherer und gangbarer zum höchsten Gut, welches sich selbst so vielen als möglich mitteilen will. Das Erlangen kommt also dem Willen zu.

Ferner: Die Bewegung der vernünftigen Seelen ist frei, und weil sie frei ist, vermag sie jede endliche Grenze zu überschreiten und durch ihre Verdienste solche Leistungen zu erzielen, daß sie sogar manche Engel an Seligkeit übertreffen kann; dies ist aber eher durch Liebe und Freu­de möglich als durch Erkennen. Indem wir also Gott erkennen, ziehen wir seine Größe zur Fassungskraft und zum Vorstellungs begriff unse­rer Vernunft zusammen; hingegen während wir ihn lieben, erweitern wir unsern Geist zur unermeßlichen Weite der göttlichen Güte. Dort ziehen wir Gott sozusagen zu uns hinab; hier aber erheben wir uns zu Gott. Wir erkennen ihn nach Maßgabe unserer Fassungskraft. Wir lie­ben ihn hingegen, soweit wir ihn anschauen, über die deutliche An­schauung hinaus aber durch unsere Ahnung von der ganzen Uner­meßlichkeit der göttlichen Güte. Während wir die unergründliche Tie­fe der göttlichen Unendlichkeit nur matt und dunkel erkennen, lieben wir sie hingegen mit Inbrunst und haben an ihr unsere Wonne. Keines­wegs ist, wie man sonst wohl meint, das Schauen das Maß der Wonne; denn wer wenig sieht, kann sehr lieben, und umgekehrt.

Endlich ist das höchste Gut der Seele das, worin sie ihre Befriedigung findet. Sie findet aber nicht eigentlich ihre Befriedigung in der An­schauung Gottes; denn die Anschauung, welche in der schauenden See­le aufgenommen wird, ist ein in Stufen der Vollendung abgeschlossenes Geschaffenes, wie auch die Seele. Diese aber findet niemals ihre Befrie­digung an einem geschaffenen und endlichen Gut. Die Schauung ist al­so nicht das Höchste. Ihre Befriedigung findet die Seele eher an dem geschauten Gott als in der Anschauung Gottes. Das Genießen eines Gutes in der Sinnlichkeit besteht nicht eigentlich darin, daß das Gut

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den Sinn erregt, sondern darin, daß der Sinn sich zu dem dargebotenen Gut hinwendet, in es verwandelt wird und in ihm aufgeht. Diese geisti­ge Verwandlung, dieses Aufgehen ist nichts anderes als die Lust, wie ich in meinem Buche Über die Lust ausgeführt habe. So besteht bei dem körperlosen Geiste sozusagen das Genießen Gottes nicht eigentlich darin, daß Gott sich dem Geiste zeigt, - dies ist eher Gottes als unser Akt - sondern darin, daß der Geist sich in Gott verwandelt, worin die Wonne besteht.

Es ist auch nicht anzunehmen, daß die Seele sich in die Anschauung Gottes verwandelt, um in ihr zu verharren, sondern in den angeschau­ten Gott; denn sie will die Schauung wegen des Geschauten, welches sich mit ihr gleichsam wie eine Form verbindet. So erweitert sich auch der Geschmackssinn nicht in das Schmecken, sondern in den genosse­nen Geschmack, da er das Schmecken um des Genossenen willen be­gehrt. Kein Begehren strebt nach einem vorgestellten Gegenstand, sondern nach einem substantiellen; sonst würde dem Begehrenden die Erinnerung und die Vorstellung des abwesenden Gutes genügen.

Die Anschauung Gottes in uns ist aber ein Gegenstand der Vorstellung und, wie oben ausgeführt, endlich. Deshalb besitzt der Willensakt, wel­cher die substantielle Verwandlung und Auflösung in den unendlichen Gott ist, in höherem Maße den Anspruch der Unendlichkeit als der Erkenntnisakt, welcher ein Begreifen Gottes nach Maßgabe der Fas­sungskraft der Vernunft ist. Das höchste Gut also ist Gott, die Seligkeit aber das Genießen Gottes, und wir genießen durch den Willen. Denn durch ihn streben wir in der Liebe zu Gott; in der Wonne aber breiten wir uns aus und verwandeln uns in Gott.

Die verschiedenen Seelen genießen Gott durch die verschiedenen Tu­genden und Ideen. Eine jede ist im Besitze hauptsächlich der Tugend, welche sie im Leben vor allem liebte und die sie nach bestem Können ausbildete. Alle aber genießen Gott ganz; denn er ist ganz in den ein­zelnen Ideen. In vollkommenerem Maße aber besitzen den ganzen Gott die, welche ihn in der vollkommenen Idee anschauen. Weil aber eine jede Gott ganz nach Maßgabe ihrer Fassungskraft besitzt und ihn

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in dem Maße genießt, als sie ihn liebte, deshalb ist, wie Platon sagt, der Neid aus dem göttlichen Chore ausgeschlossen. Da es aber das Erfreu­lichste ist, den geliebten Gegenstand zu besitzen, so lebt ein jeder im Besitze dessen, was er liebt, in voller Zufriedenheit. Wenn also zwei Liebende in den Besitz ihres Glückes gelangen, so findet ein jeder seine Ruhe im Besitz des Geliebten und macht sich keine Sorge darüber, ob der andere einen schöneren Geliebten hat. Obwohl ferner dort der eine eine größere Fassungskraft besitzt als der andere, so erreicht doch ein jeder den Höhepunkt seiner Fassungskraft und trägt darüber hinaus kein Begehren.

Überdies fügt sich dort ein jeglicher freiwillig in seinem Liebesaffekt dem Willen und der Anordnung der göttlichen Gerechtigkeit. Niemals aber kann die selige Seele von Gott fern sein. Auch nicht einmal durch Gewalt könnte dies geschehen. Denn woher könnte einer von der un­endlichen Macht Gottes ergriffenen Seele Gewalt geschehen? Auch frei­willig geschieht es nicht. Denn da ein Wille nur um des Guten willen zu etwas hinstrebt, so strebt er niemals zu einem andern hin, nachdem er einmal an dem haftet, in welchem der Inbegriff alles Guten ist, und nachdem er es kennt. Weil es zum Wesen des Guten gehört, dem nach ihm Strebenden Gewalt anzutun, so folgt daraus, daß das unendliche Gute ohne Ende Gewalt ausübt. Weil wiederum der Wille so lange in etwas seine Ruhe findet, als dieses als ein Gutes gilt, darum findet er im unendlichen Guten Ruhe ohne Ende. Und wenn die Seele, während sie sich in körperlicher Bewegung befindet, eine Glückseligkeit er­wählt, welche die Veränderung ausschließt, so wird sie es noch in viel höherem Maße tun, wenn sie über der Bewegung steht. Auch können die niederen Seelenteile die höheren nicht von dort ablenken. Sie wi­chen von ihnen in Ewigkeit, als die Seele sich zum unendlichen Still­stand Gottes wandte.

Überhaupt, wenn die Seele von dort trennbar ist, ohne es zu wissen, so ist sie nicht selig, weil sie nämlich unwissend ist; weiß sie es aber, so entbehrt sie der Seligkeit, weil sie furchtsam und krank ist. Stets also genießt Gott, wer ihn einmal genießt. Lies glückselig, Du glückseliger Lorenzo, was Dein Marsilio Ficino hier großenteils von Dir über die

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Glückseligkeit Erdachte kurz zusammengefaßt hat. So erfordert es ja der Umfang eines Briefes. Sehr ausführlich behandelt er aber den Ge­genstand in seinem Buche Über die Liebe und in seiner Theologie. Sei gegrüßt!

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EIN THEOWGISCHES GEBET ZU GOTT

Marsilio Ficino entbietet Bernardo Rucellai, dem vortrefflichen Manne und lieben Freunde, seinen Gruß.

Es gibt für mich nichts Angenehmeres über die Menschen hinaus, als mit Gott zu reden. Es gibt für mich nichts Angenehmeres unter Men­schen, als mit Dir zu sprechen. Was ich mit Dir spreche, das hört immer Gott, der Führer des Lebens und der Vermittler unserer Freund­schaft. Was ich oftmals mit Gott rede, das sollst Du nun vernehmen. Dieses Gebet, lieber Rucellai, spreche ich täglich zu Gott, damit Gott meiner Vernunft aufleuchte und meinem Willen gnädig beistehe. Sprich es auch Du dann und wann, wenn Du gerade einmal nichts Besseres hast! Es gibt nämlich niemanden, dem ich mehr wünsche, daß Gott ihm gnä­dig beistehe, als Dich. Ich hörte auch einmal unseren Lorenzo de' Me­die i etwas von dieser Art zum Saitenspiel singen, wie ich meine, von einer göttlichen Begeisterung ergriffen. Doch vernimm jetzt das Gebet:

o unermeßliches Licht, das du selbst dich schaust, in dir alles schaust, o unendliches aus dir selbst leuchtendes Schauen, das alles erleuchtet, o geistiges Auge, mit dem und das allein die Geistesaugen schauen, o unsterbliches Leben der Schauenden, o Allgut der Lebenden.

Gut, das alles Sehnen der Liebenden stillt, Gott, du allein entflammst in uns das Sehnen nach jedem Gut, der du allein jedes Gut bist. Ich flehe dich an, du reinstes Licht, in deinem eigenen Namen, mache klar den umdunkelten Blick, daß ich mit ihm dich sehe, der du das eiskalte Herz in Flammen setzest! Weite mein enges Auge, damit ich dich er­blicke, daß du den niedergeschlagenen Blick aufrichtest, auf daß ich aufschaue.

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Du durchdringst ja mein Innerstes, 0 Tiefe der Tiefen, du erhebst auch mein Erhabenes, 0 Erhabenheit aller Erhabenheiten. Was durchdringt mein Inneres? Was hebt mein Höchstes empor? Die wunderbaren Strahlen deiner wunderbaren Güte und Schönheit, die sich durch die Geister, die Seelen, die Körper unaufhörlich ergießen. Durch sie wirkst du auf mich ein, ohne daß ich es weiß, durch sie ziehst du mich an, zwingst mich, brennst mich, ach wie gewaltig, 0 du herrliche Gestalt! Siehe da, sieh, schon eile ich zu dir in Sehnsucht, du einzige Schönheit. Doch lahm ist, ach leider, dein Liebender hier, lahm ist er, der Arme. Reiche, ich bitte dich, meine Hoffnung, dem Lahmen deine barmherzi­ge Hand. Führe, ich bitte dich, ihn, den du anlockst, nimm ihn auf, den du zwingst, kühle ihn wieder, den du brennst, erquicke ihn, den du quälst. Bald wirst du, ich hoffe es, den Deinen hier wunderbar er­freuen, 0 wunderbare Wonne, 0 Quell aller Wonnen. Ich weiß es wohl, daß in dir allein, nein vielmehr, daß du allein das Eine bist, das wir überhaupt ersehnen. Wenn uns dieses oder jenes Gut gefällt, so ist es nicht deshalb, weil wir dieses oder jenes, sondern das wirklich Gute, die Eigenschaft des Guten, in den Einzeldingen begehren. Wenn der heilsame Quell, der sich überallhin über die Einzeldinge ergießt, aus dem einzigen Urquell der Güte strömt, der in sich selbst kraftvoll lebt und über das einzelne hinüberströmt, so wünschen wir ohne Zweifel von Herzen, aus dem Urquell der Güte an sich zu trinken.

o ewiger Quell alles Guten, nach dir, nach dir dürsten wir überall. Darum stillt nicht unseren Durst dieses oder jenes Gute oder wieder einmal dieses und jenes, weil wir richtig ahnen, daß das Gute an sich über diesem und jenem Guten steht. Du also, unser Gott, du allein wirst diesen brennenden Durst stillen, du, das Gute alles Guten, damit du alle Deinen nicht so lange vergebens zum Dürsten gezwungen hast, o höchste Vernunft, die fern ist von aller Unvernunft, 0 höchste Weis­heit ohne alle Unweisheit, vor der nichts verborgen ist von dem, was du weise ausführst. Du verschmähst nicht, du erweisest Wohltaten durch deinen Willen, du bewirkst überhaupt alles. Kümmerst du dich nicht etwa um das Kleinste der Erdendinge, sogar um das, was sich um dich nicht kümmert? Kümmerst du dich nicht um das Kleinste, nährst und sättigst auch dies? Uns allein aber solltest du nicht beachten, die wir allein auf Erden deine Hoheit nicht mißachten? Uns allein solltest

du immer unruhig irre gehen lassen, die wir allein darauf bauen, in dir allein ruhen zu können? Fern sei von dem höchsten Wohltun so bös­willige Undankbarkeit! Fern sei von der höchsten Wahrheit die Täu­schung! Du täuschest uns allerdings, du täuschest uns Arme, wenn du uns, die wir wund durch deinen Stachel sind, täglich zwingst, angstvoll zu seufzen, und uns niemals heilst, wenn du uns gebietest, um deiner Verehrung willen das Zeitliche außer acht zu lassen, und uns für das Zeitliche nicht durch Ewiges entschädigst, wenn du beschlossest, daß deine eifrigen Verehrer hier auf Erden ein elenderes Leben führen sol­len als die Tiere, ohne ihnen für die Zukunft ein seligeres Leben vorzu­behalten.

Doch du behältst es uns vor, wie wir alle beharrlich hoffen, 0 Erhalter der Welt, 0 einziges Heil und einzige Zuflucht des Menschenge­schlechts, bei dem alles für den Menschen Gute und ohne den nichts für ihn Gutes ist. Denn wie deine hellstrahlende Vernunft und deine heiße Liebe unsern Intellekt und unsern Willen, dich anzuschauen und dich zu lieben, erleuchtet und entflammt, zu sich hinformt und mit sich vereinigt, so belebt dein ewiges Leben immerfort unser Leben in sich selbst. Und wie denjenigen, welchen die Vernunft der U nsterbli­chen und der zur Herrschaft über die Sterblichen fähige Wille zugeteilt ist, viel früher und in höherem Maße das ewige Leben zukommt, durch dessen Kraft mit der Ewigkeit verbunden und den zeitlichen Lei­denszuständen enthoben, der Geist so das Ewige faßt, wie er die zeitli­chen Affekte beherrscht, ebenso reicht auch ein jeder Akt der Seele auf seine Weise an die Ewigkeit heran: der Wille im Wollen, der Intellekt im Begreifen, das Leben im Leben. Auch teilt sich die Ewigkeit, die sich den späteren Akten der Seele mitteilt, schon dem ersten in ihrem Ansichsein als Leben mit. Du wirst uns also dereinst, allgütiger Vater, sowohl nach dem Erbrecht wie auch aus Gnade deiner Seligkeit teilhaf­tig machen.

Mache uns, wir bitten dich, obendrein in der Gegenwart ihrer teilhaf­tig, tue gütigst auch dies, wir bitten dich darum. Wenn es dir noch nicht gefällt, weil wir es noch nicht verdienen, so gewähre wenigstens dies, daß wir uns nicht von den trügerischen Lockungen oder Drohun­gen dieser Welt umgarnen lassen und ihren Schlägen unterliegen! Er-

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barme dich unser, allbarmherziger Vater, erbarme dich deiner Kinder, hege und pflege uns und schaffe neu, die du geschaffen hast! Aus dir sind wir ja geboren und du allein vermagst unsere Vernunft und unsern Affekt durch deine Wahrheit und deine Güte zu befriedigen. Erbarme dich also deiner Kinder, die fern von der himmlischen Heimat in die­sem Walde voller Pein umherirren! Erbarme dich der Deinen, wir bit­ten dich, die allenthalben bei Tag und Nacht nach dir, als ihrem Vater und Vaterland, seufzen! In der Heimat ist die Ruhe, das wahre Gut; in der Verbannung ist die Unruhe, das falsche Gut, das wahre Übel. Wir aber haben nur dann auf ein Weilchen das Gefühl, fern vom Übel zu leben und ein wenig des Guten und der wahren Ruhe zu genießen, wenn wir ein Weilchen durch Anspannung des Geistes oder den Affekt der Andacht an dir hängen.

Verbanne also weit von uns, mildherziger Vater, alles, was uns von dir trennt: Mißtrauen, Verzweiflung und Lauheit. Gewähre uns hingegen das, mildherziger Vater, was uns mit dir verbindet: rechten Glauben, feste Hoffnung, heißeste Liebe, damit wir nicht von dir getrennt, du Leben der Leben, du Licht der Lichter, und uns selbst überlassen, so­gleich wie tot in die äußere Finsternis sinken, sondern daß wir in Frömmigkeit leben, soweit es möglich ist, und weil wir mit Eifer dir gelebt haben, auch allzeit mit dir leben und leuchten, zugleich strahlen und brennen, glühen und genießen, glückselig sind ohne Endziel unse­res Sehnens, in dem absolut Unendlichen deine unendliche Schönheit ohne Bangigkeit lieben und das unendliche Gut in Ewigkeit ohne Übersättigung genießen.

DIE RHETORISCHE, MORALISCHE, DIALEKTISCHE UND THEOLOGISCHE

loBPREISUNG DER PHILOSOPHIE

Marsilio Ficino entbietet dem Rechtsgelehrten und Ritter Bernardo Bembo, dem durch Gelehrsamkeit und Autorität

ausgezeichneten Orator Venedigs, seinen Gruß

Du fragst, warum ich, da ich doch schon viele Gegenstände und Künste ohne Unterschied gepriesen, dennoch der Philosophie, deren Studium ich stets obliege, noch nirgends eine Lobpreisung gewidmet habe. Die gleiche Frage stellte zufällig vor einigen Tagen mein Achates Giovanni Cavalcanti an mich. Darauf antworte ich nun zunächst, daß wohl bis­weilen die menschlichen Erfindungen von Menschen wegen ihres Wer­tes gepriesen werden können, daß hingegen die Philosophie als eine Erfindung Gottes die menschliche Beredsamkeit in beträchtlichem Ma­ße übersteigt, dann aber, daß ich beim Feiern der einzelnen Gegenstän­de und Künste die Philosophie als die Erfinderin und Meisterin aller Künste mitgefeiert habe. Nur durch ihre Macht der Rede preist man ja in würdiger Weise das einzelne, und nur in dem Maße hält man einen jeden Wissenszweig des Lobpreises für wert, als er an dem Wert und dem Vorzug der Philosophie teilnimmt. Da nun aber einmal diese unsere Mutter und Nährerin wohl einen besonderen Vortrag mit vol­lem Recht von uns beansprucht, so wollen wir sogleich mit Verlaub be­gmnen.

Die rhetorische Lobpreisung der Philosophie

o Führerin des Lebens, Philosophie, die du die Tugend ausfindig machst und die Laster verscheuchst, was hätten wohl nicht nur wir, sondern das menschliche Leben überhaupt ohne dich sein können? Du gebarst Städte, du riefest die Menschen aus der Zerstreuung in die Lebensge­meinschaft zusammen, du vereinigtest sie zuerst in Wohnstätten, dann durch Ehebund, dann durch die Gemeinschaft der Schrift und der

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Sprache, du warst die Erdenkerin der Gesetze, du die Lehrerin der Sitt­lichkeit und der Zucht 1 •

Doch wohin bin ich Vermessener ausgeschweift? Ein oratorisches Lied nach Ciceros Art stimmte ich an. Süß ist freilich solche Melodie; da man aber die Philosophie, welche die Norm eines jeglichen Gesanges sowohl wie eines jeden zu besingenden Gegenstandes ist, nur auf philo­sophische Art besingen muß, so wollen wir das Spiel von einer anderen Seite aus neu beginnen.

Die moralische Lobpreisung der Philosophie

Wenn die Philosophie von allen als die Liebe und der Eifer für die Wahrheit und die Weisheit definiert wird, Gott allein aber die Wahr­heit und Weisheit an sich ist, so folgt daraus, daß einerseits die rechte Philosophie nichts anderes ist als die wahre Religion und andererseits die rechte Religion nichts anderes als die wahre Philosophie. Nun leitet sich die Bedeutung der Wörter nach den höchst scharfsinnigen U nter­suchungen eines Platon, eines Aristoteles, eines Varro und eines Aure­lius Augustinus teils von der Bedeutung der Gegenstände, teils von der Bedeutung der Begriffe her, und somit hat sicher die Philosophie als die Erforscherin der Dinge und die Erfinderin der Begriffe die Gram­matik als die Norm des richtigen Redens und Schreibens hervorge­bracht.

Wenn die Philosophie allein oder wenigstens im höchsten Maße die Natur der Seelen, die Tragweite der Handlungen, die Form der Her­vorbringungen, die örtliche Lage und die gelegene Zeit kennt, so lehrte sie ohne Zweifel die Redner, wozu, auf welche Weise, wen und wann sie überreden sollen, und ebenso die Dichter die Art der Darstellung, der Erregung der Affekte und der Unterhaltung; daraus erfolgt noch, daß auch die Historiker ohne sie ihren Wert nicht wahren können. Sie verlieh den Staaten die Seele, als sie nach dem Ebenbilde der himmli­schen und göttlichen Gesetze die irdischen und menschlichen erdachte. Sie gebar den Leib des Staates und brachte ihn zum Wachstum, als sie den Ackerbau, die Baukunst, die Heilkunde, die Kriegskunst und alle

übrigen Fertigkeiten aufbrachte, die zum Lebensunterhalt, zum Schmuck oder zur Verteidigung dienen.

Kurz, sie vor allem erlöst die Sterblichen aus dem Elend und gewährt ihnen Glückseligkeit, indem sie das Gute vom Übel zu unterscheiden lehrt und wie man das Übel durch Vorsicht vermeiden muß, damit es nicht schade, oder wenigstens, wie man es tapfer zu ertragen vermag, damit es sich weniger fühlbar mache. Außerdem zeigt sie, wie man das Gute mit größerer Leichtigkeit erlangen und dazu, wie man es, sei es vom gütigen Geschick gewährt oder durch Fleiß erworben, recht ge­brauchen soll, damit es Nutzen bringe.

Hiermit wollte ich, mein bester Bernardo, eigentlich meinen Brief schließen, um diesmal nicht weitschweifiger zu sein, als ich es sonst bin. Du weißt ja selbst, wie verdrießlich uns, außer bei unserem Platon, dem Quell der göttlichen Redekunst, die Weitschweifigkeit ist. Doch siehe, die göttliche Matrone, welche wir vor allem verehren, bean­sprucht gar viel. Vernimm also mit Verlaub die Rede, welche sie noch von mir verlangt, nein vielmehr, mir eingibt.

Die dialektische und theologische Lobpreisung der Philosophie

Die Philosophie bedient sich eigenhändig hergestellten Handwerks­zeuges zur Ermittlung der Wahrheit bei der spekulativen Beobachtung der Dinge, zur Ermittlung des Sittlichen bei deren Gebrauch und zur Ermittlung des Guten bei beiden. Daher gibt sie viele Prinzipien für die Spekulation an die Hand, viele Vorschriften für das Handeln und viele Regeln für beide Zwecke gemeinsam. Von dem Gemeinsamen aber erscheint nur dies als das Wichtigste, was ich jetzt anführen will. Das Endziel ist gleichsam als der Herr von höherer Bedeutung als das, was gleichsam als in dienender Stellung sich auf das Endziel bezieht, und stets ist das Bedeutendere das Ziel des übrigen. Dienen möge da­her, so ist es notwendig und angemessen, das Vergängliche dem Körper, der Körper der Seele, die Sinnlichkeit der Vernunft, die tätige Vernunft der spekulativen, die Spekulation Gott. Mithin müssen alle Fertigkei­ten, welche auf das Äußerliche, den Körper, die Sinnlichkeit und das

Handeln Bezug haben, vor der Spekulation als der Herrscherin zu­rücktreten und ihr Folge leisten, und mit Recht. Diese Art der Tätig­keit ist nämlich Gott eigentümlich. Sie bedarf weder eines bestimmten Werkzeuges noch Ortes, sie dient auch nicht dem Äußerlichen, ist viel­mehr im höchsten Maße stetig, ja immerwährend. Ihr unvergängliches Objekt begreift sie allgegenwärtig mit freier Willensbestimmung über­all in sich.

Wenn das Leben ein Akt ist, und, wo in höherem Maße Akt, auch in höherem Maße Leben ist, so ist ganz gewiß der Akt der Kontemplation vorzüglicher als alle anderen sowohl an Wert wie an Dauer, und dazu noch bedeutend angenehmer. Denn sie entleiht nicht, wie die Sinne, unreine, falsche, flüchtige Ergötzungen von den inneren Abbildern der Gegenstände, sondern besitzt die wahren und ewigen Urgründe und Wesenheiten der Dinge absolut in sich und weidet sich rein, wahrhaft und ständig am Reinen, Wahrhaften und Beständigen und genießt, ja genießt mit unendlicher Wonne das absolut Unendliche, da ja, was die Hauptsache ist, ein solches Leben dem Leben Gottes am nächsten steht und sich in sein genauestes Ebenbild verwandelt.

Gott ist also zugleich das Licht und das Auge der menschlichen Kon­templation, die Kontemplation aber das Licht und das Auge der Ak­tion. Wenn nun auch ein solchermaßen beschaffenes Auge anscheinend müßig ist, so ist dennoch ohne dasselbe alles in üblem Sinne müßig und im übelsten Sinne betriebsam und ganz und gar dunkel und elend. Aber auf seinen Wink hin verrichtet man das einzelne mit gutem Er­folg. Dieses unstreitig überaus selige Leben auf der höchsten Höhe des Seins zeigt den Menschen die scharfsinnige Philosophie sowohl mit eigenem Auge als auch mit dem Finger ihrer Dialektik. Sie führt nach meiner Meinung hauptsächlich auf viererlei Wegen zu ihm hin: auf dem moralischen, dem naturphilosophischen, dem mathematischen und dem metaphysischen.

Nach dem göttlichen Platon stirbt die Seele gewissermaßen, indem sie in den irdischen und sterblichen Körper eintritt, und lebt wieder auf, indem sie ihn verläßt. Ein Austritt findet schon vor dem natürlichen Tode durch hingebende Betrachtung statt, wenn die Philosophie als

Heilkunst der menschlichen Krankheitszustände das im verderblichen Schmutz der Laster begrabene Seelchen durch moralische Arzneien läutert und erhebt und es dann mit naturwissenschaftlichen Hebeln durch alles aus den vier Elementen Bestehende hindurch und durch die vier Elemente selbst von unten her hinaufhebt und bis zum Himmel emporführt, ihm darauf den erhabenen Aufstieg zu den höchsten Him­melssphären stufenweise auf den Leitern der Mathematik gewährt und es endlich, was unaussprechlich wunderbar ist, über den Zenit des Himmels hinaus auf den Flügeln der Metaphysik zu dem Werkmeister selbst des Himmels und der Welt hinaufträgt. Dort wird die Seele mit Hilfe der Philosophie nicht nur glückselig, sondern wird im Seligwer­den sozusagen Gott und die Glückseligkeit selbst. Dort hören alle ver­gänglichen Dinge, Wissenschaften und Beschäftigungen auf und allein von allem bleibt die heilige Philosophie. Dort gibt es keine andere wah­re Seligkeit als die wahre Philosophie; diese ist ja nach der Definition der Weisen die Liebe zur Weisheit.

Ich meine aber, daß dort die Seligkeit in einem Willensaffekt besteht, der auf der Liebe und Wonne im Hinblick auf die göttliche Weisheit beruht. Daß aber die Seele durch die Hilfe der Philosophie bisweilen zu einem göttlichen Wesen werden kann, entnehmen wir daraus, daß, indem sie unter ihrer Führung die Wesenheiten aller Dinge mit der Vernunft begreift und von denen, die sie begriffen hat, die Formen ganz und gar in sich aufnimmt und überdies durch den Willen die ein­zelnen teils genießt, teils beherrscht, sie in gewissem Sinne alles wird. Und so wird sie, indem sie solchermaßen alles wird, auch nach und nach Gott, welcher der Urquell und der Herr aller Dinge ist. In Wirk­lichkeit vollbringt Gott alles innerhalb sowohl wie außerhalb seiner.

Auch der Geist eines richtig Philosophie Treibenden konzipiert, gleich­sam als ein Gott innerhalb seiner, die wahren und ewigen Begriffe aller Dinge. Werden wir aber auch behaupten, daß der menschliche Geist außerhalb seiner die einzelnen Dinge hervorbringen könne? Um nun nicht davon zu reden, daß der philosophische Genius die verborgenen Werke des allmächtigen Gottes durch Denken, Wort und Schrift offen­bar macht und sie durch die mannigfaltigsten Werkzeuge in dem man­nigfachsten Material auf das Haar genau nachbildet und zum Ausdruck

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bringt, so glaube ich doch darauf ganz besonders hinweisen zu müssen, daß ein höchst kunstvoll angefertigtes Werk eines erfindungsreichen Meisters in seiner Konstruktion nicht ein jeder begreifen kann, son­dern wer in derselben Kunst einigermaßen die gleiche Begabung besitzt.

Niemand wird nämlich verstehen, wie der bekannte Philosoph Archi­medes Sphären aus Metall konstruierte und ihnen Bewegungen verlieh, welche denen der Himmelskörper glichen, wenn er nicht mit einem ähnlichen Talent begabt ist. Wer dies nun auf Grund seiner gleicharti­gen Begabung begreift, der wird sie gewiß ebenso konstruieren kön­nen, wenn er ermittelt hat, welches Instrument und welches Material dazu gehört. Da also der Philosoph die Ordnung der Himmelssphären, den Ursprung, den Verlauf und die Maße ihrer Bewegungen und was sie hervorbringen erkannt hat, ist es da wohl bestreitbar, daß er an gei­stiger Begabung beinahe dem Urheber der Himmelssphären gleich­kommt, und daß er gewissermaßen den Himmel und was in ihm ist herstellen könnte, wenn er die nötigen Werkzeuge und die Himmels­materie erlangt hätte? Konstruiert er ihn doch jetzt, allerdings aus an­derem Material, aber in durchaus gleicher Ordnung.

o überaus wunderbare Vernunft des himmlischen Baumeisters, 0 ewige allein dem Haupte des höchsten Zeus entsprossene Weisheit, 0 unendli­che Wahrheit und Güte der Dinge, du Herrscherin allein der ganzen Welt, 0 wahrhaftiges und gütiges Licht der Vernunft, 0 heilsame In­brunst des Willens, 0 wohltuender Brand unseres Herzens, erleuchte uns, erleuchte und entflamme uns, wir bitten dich, so sehr, daß wir uns in der Liebe zu deinem Licht, d.i. zur Wahrheit und Weisheit, ganz ver­zehren! Das allein ist, beim allmächtigen Gott, das allein ist wahrhaft weise sein, das allein in höchster Seligkeit mit Gott und als Gott leben.

Diejenigen aber, welche fern von deinen Strahlen abirren, werden, da sie nirgends etwas deutlich unterscheiden können, von trügerischen Schattenbildern weit und breit genarrt und erschreckt und überall gleichsam von schrecklichen Träumen in immerwährender Nacht elend gequält. Wer aber mit dir eifrig lebt, vermag allein das Wahre und U nermeßliche unter deinen Strahlen mit seinem Blick zu durchdrin-

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gen, liebt und ergreift es; was in Raum und Zeit eingeschlossen ist, das achtet er für einen kurzen Schattentraum. Darum lassen solche sich we­der durch die Begierde nach dem Irdischen noch durch die Furcht vor ihm aus der hohen Burg der himmlischen Seligkeit verdrängen.

Doch, mein lieber Bernardo, genug schon hat Dein Marsilio, meine ich, im Rahmen eines Briefes vorgetragen. Sei also herzlich gegrüßt, Pa­tron der Philosophen, und lebe weiter, wie bisher, in den seligen Armen der heiligen Philosophie! Lebe auch, ich bitte Dich, dauernd eingedenk des Herzens des Marsilio, Giovanni Cavalcanti.

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FUßNOTEN

VORWOIIT ZU DEN BRIEFEN

1. Alle Wortspiele Ficinos wiederzugeben, ist unmöglich, wie jeder Kundige ein­sehen muß. Schon in diesem Schreiben finden wir ein solches mit den Namen Rossi und Roscius. Gemeint ist Roscius Amerinus, welchen Cicero gegen die Anklage des Vatermordes verteidigte und vor dem Gericht als den liebevollen guten Sohn schilderte. Cicero, Pro Roscio Amerino.

BRIEF I

1. Die Echtheit dieses Briefes Cosimos ist bestritten und daraus der Schluß ge­zogen worden, das ganze Epistolarium sei eine Fälschung. Geltend gemacht wurde, daß der Stil des Schreibens dem Charakter des greisen Mediceers allzu unähnlich sei. Die historische Wirklichkeit ist wohl diese: Cosimo hat nicht ganz in der vorliegenden Form geschrieben; jedoch empfing Ficino von ihm ein Billett mit der Aufforderung, bei ihm zu erscheinen und aus seinen Über­setzungsarbeiten vorzutragen. Dieses Billett ist dem Philosophen wohl abhan­den gekommen und er reproduzierte es nach dem Gedächtnis in seiner eigenen Schreibart.

2. Philebus, 1463 übersetzt.

BRIEF 2

1. Dieser Brief zeigt, da der tatsächlich an Cosimo geschriebene erhalten ist, Fici­nos Überarbeitungsmethode für die Herausgabe. Der ursprüngliche Text lau­tet: "Cosimo de' Medici, dem Vater des Vaterlandes, empfiehlt sich Marsilio Ficino. Da die Ungunst der Zeit mir nicht gestattet, vorzusprechen, beschloß ich, brieflich kurz über meine Arbeit zu berichten. Bis jetzt habe ich neun kleine Werke Platons übertragen. Überdies werde ich noch drei solche, die in die Reihe der obigen anscheinend gehören, übersetzen, so Gott will. Dann endlich werde ich zu Dir eilen, um meine Leistung, wie sonst, vorzulegen. Einstweilen will ich Platons Anschauung über die Glückseligkeit, wie ich sie unlängst fand, diesem Schreiben beifügen. Lies es in glücklicher Stimmung.« Es folg~n Bruchstücke aus dem Euthydemos und Theaitetos in Ficinos lateini­scher Ubertragung. Datiert ist der Brief: Celli, den II. Januar 1464.

2. "Charites« ist das griechische Wort für Grazien.

BRIEF 5

I. Über die göttliche »Begeisterung«. Eigentlich lautet der Ausdruck »Wahnsinn« (furor). Weil dieser aber nicht sympathisch klingt, setzten wir den milderen Ausdruck »Begeisterung« ein. Zu diesem Thema empfiehlt es sich, Friedrich Nietzsches Abhandlung Die Geburt der Tragödie vergleichsweise heranzuzie­hen. Allerdings darf man nicht die Auffassung Nietzsches mit derjenigen Fici­nos identifizieren wollen. Doch ist es immerhin interessant, Stellen aus der Geburt der Tragödie, wie jene über den Prozeß von Schillers Dichten u.a.m., im Zusammenhange mit der Lektüre des vorliegenden Briefes nachzulesen. Zweifellos ist dieser vom Verfasser auf Grund seiner vervollkommneten Kenntnis Platons in späterer Zeit überarbeitet worden.

2. Laut Macrobius sind die Musen das Lied des Alls. Der etruskische Name für sie, Camenae, eine Verformung von Canenanae, wurde abgeleitet von canere, singen. (Macrobius, In Somnium Scipionis, ILiii.4).

BRIEF 8

I. Siehe Ovid, Metamorphosen, Buch III, 407f. Narziß verliebte sich in sein Spie­gelbild im Wasser und erkannte nicht, daß er es selbst war. Er starb vor Schmerz, weil sein Spiegelbild ihm fortwährend entglitt. In De Amore be­schreibt Ficino, wie Narziß, hier die Seele des Menschen, von menschlicher Schönheit angezogen wird, die nur ein Schatten ist, den eigenen Körper ver­läßt und daher stirbt. (De Amore. Oratio Sexta, xvii. Ausg. Marcel. S. 235).

BRIEF 9

I. Polizian wird von Ficino der »homerische Dichter« genannt wegen seiner Übersetzung Homers in das Lateinische (d.h. er übertrug von der Ilias Buch 2 - 5; Carlo Marsuppini hatte das erste Buch übersetzt). Marsilio überschätzte den Wert dieser Übersetzung beträchtlich. Die Hexameter sind zwar im allge­meinen flüssig. Der homerische Stil und die ganze Eigenart der homerischen Epik sind aber völlig verlorengegangen. Aus Homer ist ein Virgil in kleine­rem Ausmaße geworden. Andere Zeitgenossen haben diesen Fehler erkannt. In diesem Brief gibt Ficino das Merkmal für die Echtheit seiner Briefe an: ein jeder muß die Ausführung einer Sentenz darstellen.

2. Aristippus: Gründer der cyrenischen Schule für Philosophie, in der Vergnü­gen zum höchsten Gut erklärt wurde. Er war einige Zeit Schüler des Sokrates.

3. Lucretius räumt dem Vergnügen in seinem Gedicht De Rerum Naturae eben­falls einen wichtigen Platz ein.

BRIEF 13

1. Lukas 9:62. 2. Genesis 19:26.

BRIEF 17

1. Timaeus von Locris schrieb De Anima Mundi, eine Abhandlung über die Na­tur der Weltseele.

BRIEF 19

1. Ficino, De Amore, Oratio Prima, iv. De Utilitate Amoris. Ausg. Marcel. S. 141-2.

2. Plato, Symposium, 206. Siehe auch Plato, Politeia, III. 402D. Ficino sagt in De Amore: »Wenn wir über die Liebe sprechen, meinen wir das Verlangen nach Schönheit. Es gibt eine dreifache Schönheit: die der Seele, die des Körpers und die des Klanges. Die Schönheit der Seele wird durch den Verstand wahrgenom­men, die des Körpers durch die Augen und die des Klanges allein durch die Ohren. Daher sind Verstand, Gesicht und Gehör die einzigen Mittel, durch die wir Schönheit genießen können, und da die Liebe das Verlangen ist, die Schönheit zu genießen, wird die Liebe fortwährend durch den Verstand, die Augen und die Ohren befriedigt. Welche Notwendigkeit besteht für die Sinnesorgane des Geruchs, des Geschmacks und des Tastsinns?« Oratio Prima, iv. Ausg. Marcel S.142). Und weiter: Non den sechs Fakultäten der Seele gehö­ren diese drei zum Körper: Tastsinn, Geschmack und Geruch, aber die ande­ren, wie Verstand, Gesicht und Gehör, gehören zur Seele. Darum sind die ersten drei, die zum Körper neigen, mehr damit verwandt als mit der Seele, aber die höheren Sinnesorgane, über das Körperliche erhoben, zeigen viel mehr Verwandtschaft mit der Seele. (Oratio Quinta, ii. Ausg. MareeI, S. 179).

BRIEF 25

1. Die Wände seines Studierzimmers in dem Landhause zu Carreggi hatte Ficino mit den Bildnissen der Philosophen Demokrit und Heraklit zieren lassen, zu beiden Seiten einer Darstellung des Erdglobus. Die Betrachtung, in der er sich in diesem und den folgenden Briefen ergeht, ist durch Aussprüche jener Philo­sophen angeregt.

2. Demokrit, griechischer Philosoph des 5. Jahrhunderts v. Chr. Durch seine Lehre (die u.a. die Lehre von den Atomen und von dem Wohlgefallen, das heißt, der Ruhe der Seele als das allerhöchste Gut beschrieb) wurde Epikur beeinflußt. Im Altertum war er bekannt als der »lachende Philosoph«. Hera­klit war ein Philosoph aus Ephesus und lebte ebenfalls im 5. Jahrhundert v.

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Chr. Er verkündete, daß »alles ist und nicht ist und daß Feuer vollkommen das Prinzips des Werdens verkörpert, also die Harmonie des Weltalls. Die See­le nähert sich am meisten der Vervollkommnung, wenn sie der feurigen Glut gleicht, aus der sie erschaffen wurde und zu der sie zurückkehrt. Daher sind unsere Seelen, während wir leben, in uns tot, aber wenn wir sterben, gelangen unsere Seelen erneut zum Leben.« Er war bekannt als der »finstere« oder »wei­nende« Philosoph, und zwar wegen seines einsamen Lebens, aber auch wegen der Art seiner Philosophie. Zur Zeit der Renaissance wurden die bei den Philo­sophen oft nebeneinander abgebildet, um zwei entgegengesetzte philosophi­sche Strömungen darzustellen.

BRIEF 28

I. Dieser Ausspruch steht im Buch Hiob 5=13. 2. Erster Korinther 3: 19-20.

BRIEF 30

I. Griechischer Gott der Heilkunde. Sohn Apollos und der Nymphe Coronis. Homer bezeichnet ihn als tüchtigen Arzt, dessen Söhne Machaon und Podali­rius sich im griechischen Lager vor Troja befanden. Von Aesculap wurde ge­sagt, daß er sowohl in der Kunst des Heilens als auch in der Kunst der Jagd vom Centaur Chiron unterrichtet worden war. Siehe Homer, Ilias, IV, 193.

2. Mithridates VII, König von Pontus, mit dem Beinamen »der Große«, dessen Geschicklichkeit in der Heilkunde durch Appianus, Strabo, Justinus und an­dere gerühmt wurde.

3- Ein Autor arabischer medizinischer Schriften, auch bekannt als Johann von Damaskus, der in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts lebte. Seine gesammel­ten Werke wurden 1497 in Venedig gedruckt.

4- Zwei Brüder, die beide Ärzte in Silizien waren. Sie starben im Jahr 303 den Martertod.

BRIEF 31

I. Auch dieses Schreiben, in welchem Marsilio dem leichtlebigen Mediceer seine Zeitvergeudung vorhält, ist ein Beweis seiner freimütigen Gesinnung. Er er­hält dafür von Lorenzo einen ironischen Hieb (Brief 33).

BRIEF 37

I. Arion war ein lyrischer Dichter aus Lesbos, der im 7. Jahrhundert v. Chr. lebte. Der Legende nach entkam er Seeleuten, die ihn ermorden wollten, in­dem er über Bord sprang. Delphine, die unter dem Zauber seiner Leier stan­den, brachten ihn auf ihrem Rücken zur Küste zurück. (Herodot 1. c. S.23-24). In der Mythologie war Amphion der Sohn Jupiters, von dem gesagt wird, daß er die Mauern Thebens durch den Klang seiner Leier emporzog. (Homer, Odyssee II).

2. Aristoxenos, ein pythagoräischer Philosoph und Musiker, der über die Prinzi­pien der Musik schrieb.

BRIEF 38

I. Göttin der Gerechtigkeit, die in der goldenen Zeitperiode auf Erden lebte, aber in der Bronzezeit - enttäuscht durch die Verdorbenheit der Menschen - in den Himmel flüchtete und unter den Sternbildern als Jungfrau ihren Platz fand. Sie wird mit einer Waagschale in der einen Hand und einem Schwert in der anderen dargestellt.

BRIEF 40

I. Jesaja 28:II. Ficino weist hier auf seine aristotelischen Zeitgenossen hin, welche die Gedanken des Aristoteles vornehmlich an hand eines arabischen Kommen­tators mit Namen Averroes studierten.

BRIEF 41

I. Simonides von Ceos (556-468 v. Chr.), lyrischer Dichter, von dem gesagt wird, daß er die Gedächtnistechnik erfunden hat.

BRIEF 44

I. Apollonius von Alabanda, griechischer Redner, der jeden, von dem er annahm, daß er als Redner nicht geeignet sei, entmutigte, seine Schule zu besuchen.

I. Psalm 8:5 2. Psalm 82:6

BRIEF 45

BRIEF 46

1. Die Theologia Platonica über die Unsterblichkeit der Seelen, zwischen 1469 und 1474 geschrieben.

BRIEF 48

1. Zum Verständnis dieses Briefes ist zu beachten, daß Ficino nicht so sehr im eigenen als im Sinne Lorenzos schreibt. Dieser war bekanntlich in der Jugend Aristoteliker gewesen. Entsprechend der Tatsache, daß er mehr fremde als eigene Gedanken vorträgt, fällt Ficino hier zuweilen aus seinem humanisti­schen Stil heraus und bedient sich der scholastischen Latinität.

2. Die Altercazione von Lorenzo de' Medici (Opera Volgari, VoI.III, Scritti Spiri­tuali, Ausgabe Rizzolo, 1958).

BRIEF 50

1. Die ersten Sätze dieses Abschnitts zum Preis der Philosophie sind Ciceros eigene Worte. Siehe sein Tusculanae disputationes V, ii (Gespräche in Tuscu­lum).

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ZEITGENOSSEN FICINOS, DIE IN SEINEN BRIEFEN GENANNT WERDEN

Antonio degli Agli (1399-1477): Sohn Belliciones. Wurde 1429 Kanonikus, war da­nach Hauslehrer von Papst Paulus Ir., Bischof von FiesoIe 1466 und Bischof von Volterra 1470. Er war Mitglied der Platonischen Akademie Ficinos und einer der Redner (Pausanias) im »Symposium«, wie von Ficino in De Amore beschrieben.

Peregrino Agli (144°-1469): Dichter und Humanist. Im Alter von fünfzehn Jah­ren schrieb er bereits Gedichte, die von Gelehrten gerühmt wurden. Mitglied der Akademie Ficinos. Sein Lehrer war Francesco da Castiglione.

Girolamo Amazzi: Arzt und Mitglied der Akademie Ficinos.

Riccardo Angiolieri aus Anghiari (1414-1486): Priester und Theologe, Mitglied des florentinischen Theologen-Kollegiums.

Oliviero di Taddeo Arduini (verst.1498): Bekannter aristotelischer Philosoph, der über natürliche Philosophie und Religion an der Universität von Pisa dozierte (1474-1487). Er nahm teil an den Camaldolensischen Dialogen, die von Landino beschrieben wurden, und diskutierte mit Ficino über die Seele. Seine Schriften sind verlorengegangen.

Francesco Bandini (1440-1489): Priester und Diplomat, stammte aus einem wohl­habenden Geschlecht; wurde von den Medici mit einigen diplomatischen Missio­nen betraut. Er war ein enger Freund Ficinos und Mitglied seiner Akademie. Er wurde zum Mundschenk (Architryclinus) in Platos »Symposium« ernannt, wie von Ficino in De Amore beschrieben. Ficino widmete sein Werk Das Leben Platos (Opera Omnia I, S. 773) Bandini. 1476 wurde er von Lorenzo zu König Matthias von Ungarn gesandt und blieb dort vermutlich bis zu seinem Tod. Ficino korre­spondierte fortwährend mit ihm und hielt auf diese Weise sowohl den König als auch die Humanisten über das Werk der Akademie auf dem laufenden.

Bernardo Bembo (1433-1519): Venezianischer Staatsmann, Vater von Pietro Bem­bo. Er wurde 1474 in Florenz zum Botschafter von Venedig ernannt; war befreun­det mit Lorenzo, Poliziano und Ficino, der ihm sein fünftes Buch der Briefe widmete. In Florenz wurde Bembos platonische Liebe zu Ginevra de Benci in vie­len Gedichten Braccesis besungen. In Venedig besuchte Bembo den literarischen Kreis Aldo Manuzios.

Antonio di Paolo Benivieni (1443-1502): Berühmtester florentinischer Arzt aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts; nahm einen wichtigen Platz ein wegen seiner Kenntnisse in der pathologischen Anatomie. Er war Mitglied der Akademie Ficinos, ein Freund von Lorenzo und Giuliano de' Medici und besaß eine ausge­dehnte Bibliothek, in der sowohl philosophische als auch medizinische Werke ent-

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halten waren. Außerdem war er an Astronomie und Astrologie interessiert. Er wurde ebenso wie Ficino von Filippo Strozzi 1481 um Rat gebeten bei der Festle­gung des rechten Platzes und der rechten Zeit für den ersten Stein zum Palazzo Strozzi.

Ioannos Bessarion (1403-1472): Kardinal von Sabina, studierte unter der Leitung von Gemistos Plethon. Kam 1437 zum Konzil von Florenz nach Italien, auf dem er die Union der griechischen und der lateinischen Kirche verteidigte. Von Papst Eugenius IV. wurde er zum Kardinal ernannt und ließ sich in Rom nieder. Er war ein hervorragender Wissenschaftler seiner Zeit. Viele Humanisten, unter anderen Platina und Valla, scharten sich um ihn. Sein Haus war bekannt als Akademie Bes­sarions. Seine Sammlung griechischer Manuskripte war die größte in Europa. Durch Bessarions Werk In calumniatorem Platonis, das 1469 herauskam, wurde Plato einem großen Publikum bekannt. In diesem Werk wird nachdrücklich auf die Übereinstimmung zwischen Platonismus und Christentum hingewiesen.

Antonio Calderini (1446-1494): Jurist und Mitglied der Akademie Ficinos sowie ein intimer Freund Ficinos und der Medici. Er war Sekretär des Kardinals Barbo in Rom (1485-1491) und verteidigte Ficino, als dieser nach seiner Publikation De Vita Libri Tres der Ketzerei beschuldigt wurde.

Giovanni Antonio Campano (1427-1477): Dichter und Wissenschaftler. War in seiner Jugend ein Hirtenjunge. Studierte Recht in Perugia und wurde dort 1455 Professor für Rhetorik. Papst Pius II. ernannte ihn zum Bischof von Cotrone (1460) und danach zum Bischof von Teramo. In Rom war er Mitglied der Akade­mie Bessarions, korrigierte und revidierte viele Jahre klassische Texte. Pius Ir. legte ihm seine Kommentare zur Beurteilung vor. Er schrieb viele Werke, Gedichte, Briefe und Fabeln. Seine Lehrmeister waren unter anderen Demetrius Chalcondy­las und Lorenzo Valla. 1471 hörte Campano, als er Florenz besuchte, Ficino auf der Leier spielen und beschreibt dieses Ereignis in einem Brief an Gentile Becchi.

Giovanni Cavalcanti (1444-1509): Sohn eines florentinischen Edelmannes, stu­dierte Rhetorik bei Landino und war sowohl Staatsmann als auch Diplomat, der 1494 in wichtigen Missionen zum französischen König Charles VIII. gesandt wur­de. Ficino kannte und schätzte Giovanni bereits, als dieser sieben Jahre alt war, und widmete ihm 1463 seine Übersetzung des Alcinous und Speusippius. In der Gesellschaft Cavalcantis schrieb Ficino viele seiner Werke, so auch die Theologia Platonica. Cavalcanti blieb Ficino während seines ganzen Lebens zugeneigt. Als Ficino von einer Depression gequält wurde, riet Cavalcanti ihm, als Heilmittel für seine Krankheit ein Buch zu schreiben, um die »Liebhaber der vorübergehenden Schönheit von der Freude der ewigen Schönheit zu überzeugen«. Dieses Werk wurde die erste Ausgabe von De Amore, des Kommentars zu Platos Symposium, und ist Cavalcanti gewidmet.

Benedetto Coluccio aus Pistoia (geb.1438): Dichter und Politiker, Mitglied der Akademie Ficinos. Er wurde von Lorenzo de' Medici 1473 nach Florenz gerufen. Von 1482 bis 1499 war er Professor auf dem Gebiet der Dichtkunst und Rhetorik

an der Universität von Bologna. Er schrieb fünf Vorträge, die er in der Akademie hielt und in denen er zum Kreuzzug gegen die Türken aufrief.

Diotifeci d'Agnolo Ficino (verst. um 1477): Vater Marsilio Ficinos, Arzt des Cosi­mo de' Medici. Er war ein bekannter Chirurg in Florenz. Marsilio berichtet von seinen Erfolgen bei der Behandlung der Pest in seinem Consilio contro la pestilen­tia. Er war einer der Redner (Eryximachus) im Symposium, das im Sommer des Jahres 1468 gehalten wurde und von dem Ficino in De Amore berichtet.

Alessandra di Nannoccio Ficino (1413-ca.1498): Mutter Ficinos. Ficino lebte bei seiner Mutter bis zu deren Tod und sorgte für sie. Er schrieb einen Trostbrief an seine Eltern anläßlich des Todes seines Bruders 1462. (Sup. Fic. 1I. S.162)

Bartolomeo Fortini (verst.1466): Florentinischer Rechtsgelehrter, der wichtige Staatsämter bekleidete, Griechisch und Latein lehrte und ein Mitglied der Akade­mie Ficinos war. Wie Vespasiano da Bisticci in seinem Buch Vitae feststellte, ein Mann mit beispielhaften Verdiensten.

Domenico Galletti aus Monte San Savino (bei Arezzo): Mitglied der Akademie Ficinos und Domherr der Kathedrale von Arezzo. Er ging 1466 als apostolischer Sekretär nach Rom, um sich mit dem Zusammenfassen von Dokumenten zu be­schäftigen. Er war mit Cavalcanti und Ficino befreundet.

Bernardo Giugni: Florentinischer Staatsmann, Diplomat und Mitglied der Aka­demie Ficinos. Laut Vespasiano da Bisticci auch ein Mann von tadellosem Lebens­wandel.

Cristoforo Landino (1424-15°4): Florentinischer Dichter, Wissenschaftler und Humanist, Mitglied der Akademie Ficinos. Er teilte sich mit Ficino die Aufgabe der Erziehung des jungen Lorenzo. Ab 1458 dozierte er über Dichtkunst und Rhe­torik an der Universität zu Florenz und war Sekretär der Signoria bis 1492. Sein ganzes Leben lang förderte er das Studium des Lebens der drei großen florentini­schen Dichter Dante, Petrarca und Boccaccio. 1481 publizierte er die Ausgabe der Göttlichen Komödie mit Kommentar und mit Illustrationen von Botticelli. Er schrieb auch Kommentare zu den Werken Horaz' und Vergils. Landinos berühm­testes Werk ist Disputationes Camaldulenses von 1475. Ficino widmete ihm sein In­stitutiones ad Platonicam Disciplinam. Landino erklärte die Ansprache des Aristo­phanes während des platonischen Banketts am 7. November 1468 (von Ficino in seinem Kommentar zu Platos Symposium beschrieben). Unter seinen Freunden befanden sich Alberti und Bembo sowie seine englischen Schüler William Grocyn und Thomas Linacre.

Lorenzo Lippi (144°-1485): Dichter und Gelehrter, Professor der Dichtkunst und Rhetorik an der Universität Pisa (1473-1485). Lippi war ein enger Freund der Medi­ci und ihres Dichterkreises. Sein Buch über Sprichwörter ist Lorenzo de' Medici gewidmet. Es enthält beinahe hundert griechische und lateinische Sprichwörter.

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Angelo Manetti: Sohn des berühmten Historikers und hebräischen Gelehrten Giannozzo Manetti. Als Junge sprach und schrieb Angelo lateinisch, griechisch und hebräisch. Er besaß viele Manuskripte und war ein Freund 1..orenzo de' Medicis.

Cosimo de' Medici (1389-1464): Staatsmann, Bankier, Gelehrter und Mäzen. Als Mensch war er haushoch den vielen Funktionen überlegen, die er so vorbildlich ausübte. Standhaft in Glück und Unglück, schnell und weise im Entschluß, hilfs­bereit allen gegenüber, die ihn um Unterstützung baten. Er war mit großem Weit­blick gesegnet und besaß einen philanthropischen Geist. Die Quellen seiner Einkünfte flossen reichlich und wurden trotz seiner Ausgabegewohnheiten nicht weniger. Ab 1429 war Cosimo Leiter eines großen Bankhauses, dessen Interessen in ganz Europa und im Orient lagen. 1433 begann er, leidenschaftlich alte Manu­skripte zu sammeln. 1434 war er der erste Bürger von Florenz. Gemistos Plethon inspirierte ihn dazu, das Studium Platos erneut zur Hand zu nehmen. Daher be­schloß Cosimo, eine neue platonische Akademie in Florenz zu gründen. Er wähl­te Marsilio Ficino zum Leiter dieser Akademie und vertraute ihm 1462 die Übersetzung und Interpretation der Dialoge Platos an. Zwei Jahre später hörte Cosimo auf seinem Sterbebett die Worte von Xenocrates, einem Liebling Platos, über den Trost beim Sterben, die Ficino ihm vorlas. So starb mit fünfundsiebzig Jahren ein vorbildlicher Mensch, sowohl in privater als auch in öffentlicher Hin­sicht, der geehrt wurde wie »Pater Patriae«.

Giuliano de' Medici (1454-1478): Jüngerer Bruder 1..orenzos und Mitglied der Aka­demie Ficinos. Botticelli malte sein Porträt, und Poliziano rühmte seine Liebe zu Simonetta Cattaneo in der Giostra. Er wurde bei der Verschwörung der Pazzi er­mordet und hinterließ einen unmündigen Sohn, Giulio, der Papst Clemens VII. wurde.

Lorenzo de' Medici (1449-1492): Enkel Cosimos und Sohn Pieros. 1..orenzo war einer der vielseitig begabtesten Menschen seiner Zeit, vielleicht der beste italieni­sche Dichter des Jahrhunderts, geschult in philosophischer und religiöser Poesie wie auch in Liebesgedichten und komischen Reimen. Als Staatsmann besaß er Format. Seine Prinzipien, vornehmlich sein Gefühl für Gerechtigkeit, gründeten sich aufseine Liebe zu Religion und Philosophie. Er sah in Ficino, dem Lehrmei­ster seiner frühen Jahre, immer einen nahen Freund. Diese Freundschaft scheint ihren Höhepunkt in der Zeit erreicht zu haben, in der die in Buch I gesammelten Briefe geschrieben wurden. 1..orenzo war erst 21 Jahre alt, als er in Florenz tatsäch­lich an die Macht kam. Er wurde mit Feinden innerhalb und außer halb der Stadt konfrontiert. Die kritischste Zeit seiner Regierung erlebte er während der Ver­schwörung der Pazzi (1478), bei der sein Bruder Giuliano in der Kathedrale von Florenz ermordet wurde und er selbst nur mit knapper Not entfliehen konnte. Nach dieser Verschwörung entstand ein Konflikt mit einer mächtigen Bundesge­nossenschaft der italienischen Staaten unter Leitung des Papstes, den er mit Mut und staatsmännischer Klugheit befriedigend zu lösen vermochte. Danach erlebte Italien bis zum Tod 1..orenzos eine verhältnismäßig friedliche Periode. Das war 1..0-renzos Klugheit und dem Respekt, den er genoß, zu verdanken. Durch seine

kenntnisreiche Liebe zu den schönen Künsten wußte wrenzo der Universität Pisa neues Leben einzuhauchen und entdeckte er das Talent Michelangelos. Er unter­stützte die Gruppe der Künstler, Bildhauer, Dichter, Schüler und Philosophen, die das Herz der Renaissance bildeten.

Michele Mercati: Zusammen mit Antonio Serafico einer der ersten und engsten Freunde Ficinos. Er war Mönch und Lehrer. Um ihm bei seinen Studien zu hel­fen, sandte Ficino ihm ein frühes Essay, die Summa Philosophiae, das die verschie­denen Richtungen der Philosophie zusammenfaßt. Ficino vertraute ihm auch seine Ideen über die epikureische Philosophie und seine frühen Kommentare zu Lucretius' De Rerum Naturae (Sup. Fic. ll, S.81) an. Die Legende berichtet, daß Fici­no nach seinem Tod Mercati erschien, um ihm die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen, was ein Enkel Mercatis bezeugte.

Niccolo di Michelozzo Michelozzi (1447-1527): Sohn des berühmten Architekten. Dieser freundliche Gelehrte, Dichter und Staatsmann war ein guter Freund der Medici. Er diente hintereinander Piero, wrenzo und dessen Sohn Piero di wren­zo de' Medici als Sekretär. 1485 wurde er als Gesandter nach Mailand geschickt, um die Sforzas zu bewegen, nach den Kriegen der Pazzi-Verschwörung der floren­tinischen Republik gegenüber loyal zu bleiben. Als die Medici 1494 aus Florenz verbannt wurden, geriet er in Gefangenschaft. Bei ihrer Rückkehr im November 1512 wurde er nach Machiavelli Kanzler von Florenz. Als die Medici erneut ver­bannt wurden (1527), enthob man ihn seiner Funktionen, und er verstarb nicht lange danach. Michelozzi war befreundet mit Naldi, Della Fonte und Poliziano, der sein Sekretär in der Kanzlei gewesen war. Ficino war von seiner Männlichkeit und Ehrlichkeit beeindruckt und nannte ihn oft »Verus vir«.

Naldo Naldi (ca.1435-I5IO): Hochschullehrer für Poesie und Rhetorik an der Uni­versität Florenz ab 1484 und Mitglied der Akademie Ficinos. Er war einer der fruchtbarsten Dichter des Kreises um die Medici und ein intimer Freund Ficinos, der ihm die Christiana Religione übersandte. Naldi pries Ficino in seiner Poesie und stellte einmal Ficinos Das Leben Platos in Reimen auf einem platonischen Symposium vor. Er schrieb religiöse und pastorale Poesie und an Freunde gerich­tete Liebesgedichte. Drei Bücher seiner lateinischen Trauergesänge sind wrenzo de' Medici gewidmet.

Ottone Niccolini: Rechtsgelehrter und Mitglied der »Chorus Academiae Floren­tinae« (einer aristotelischen Schule). Niccolini nahm einst teil an einer Diskussion mit Argyropoulos und dessen Schülern in Careggi, bei der Cosimo de' Medici an­wesend war. Es wurde die Frage besprochen, ob das Gesetz ein Untergebiet der moralischen Lebensanschauung sei. Niccolini verteidigte diesen Standpunkt.

Piero de Pazzi aus Florenz (verst. 1464): Wurde 1462 zum Ritter geschlagen und war »Gonfaloniere di Giustizia«. Er wurde von Niccolo Niccoli überredet, nicht länger ein nutzloses Leben zu führen, sondern die Klassiker zu studieren. Er brachte eine beachtliche Sammlung von Manuskripten zusammen und war Mit-

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glied der aristotelischen »Chorus Academiae Florentinae« und später auch der Akademie Ficinos.

Angelo Poliziano aus Montepulciano (1454-1494): Zeichnete sich in dem Kreis der Dichter um die Medici aus und war ein großer klassischer Gelehrter. Er hatte Kontakte zu allen führenden Humanisten und Staatsmännern seiner Zeit. Seine Schriften behandeln eine sehr große Themenauswahl. Er war mit Landino be­freundet und wurde von Lorenzo unterstützt (siehe Brief 10), dem er seine lateini­sche Ausgabe von Homers Ilias 1472 widmete. Er wurde zum größten Dichter in Griechisch und Latein ausgerufen, den Italien je hervorgebracht hat, und schrieb auch wichtige Werke in Italienisch. Poliziano wurde Lehrer der Kinder Lorenzos, gab aber diese Stelle nach Meinungsverschiedenheiten mit Lorenzos Frau auf. 1480 wurde er Hochschullehrer für Griechisch und Latein. Er schrieb Lobgesänge, Trauergedichte und Epigramme, den Or/eo und die Stanze per Ia Giostra deI Magni­fico GiuIiano de' Medici. Unter seinen Schülern befanden sich die Engländer Wil­liam Latimer und Thomas Linacre.

Cherubino Quarquagli von San Gimignano: Sprachwissenschaftler, Musiker und Dichter. Er war ein frühes Mitglied der Akademie Ficinos. Später stand er in Rom im Dienst Cosimo Orsinis (dem Sekretär des Heiligen Stuhls), aber er korrespon­dierte weiter mit Ficino.

Girolamo Rossi von Pistoia: Dominikaner und Mitglied der Akademie Ficinos. Ficino sandte ihm seine De Christiana Reiigione und widmete ihm sowohl das zwölfte Buch der Briefe als auch seine gesammelten Briefe, die 1495 auf Kosten Rossis gedruckt wurden.

Bernardo Rucellai (1448-1514): Staatsmann, Humanist und Historiker. Nach dem Tod Lorenzos und Ficinos wurde die Platonische Akademie eingeladen, ihre Zu­sammenkünfte in seinem Garten (Orti) zu halten, der als »Orti Oricellarii« be­kannt war. Bernardo heiratete eine Schwester Lorenzos und war ein großer Freund der Familie De' Medici und auch Luigi Pulcis.

Antonio Morali genannt Serafico von San Miniato (geb.1433): E;!1er der ältesten und besten Freunde Ficinos; Dichter, Musiker und eines der ersten Mitglieder der Akademie Ficinos. Er war ein hervorragender Leierspieler. Ficino widmete ihm ein frühes Essay über Visionen.

Sigismundo della Stufa: Philologe. Er war mit Albiera degli Albizzi verlobt, die am 14. Juli 1473, am Vorabend ihres Hochzeitstages, starb. Dieses Unglück inspi­rierte Poliziano, Francesco da Castiglione und viele andere Freunde zu Briefen und Gedichten. Er wurde »Gonfaloniere«.

Francesco Tedaldi: Anhänger der Philosophie des AristoteIes; widmete sein Werk Disputationes Occidentalium Philosophorum de Anima Lorenzo de' Medici.

Tommaso Valeri von Viterbo: Arzt.

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