FÖDERALISMUS ALS WELTANSCHAUUNG - Brauweiler Kreis · Föderalismus als Weltanschauung...

18
Peter Heil FÖDERALISMUS ALS WELTANSCHAUUNG Zur Geschichte eines gesellschaftlichen Ordnungsmodells zwischen Weimar und Bonn "Föderalismus als Weltanschauung" war der Titel eines kleinen Bändchens, das Edgar Julius Jung, schillernder Protagonist der "konservativen Revolution" der Weimarer Repu- blik, 1 1931 veröffentlichte. 2 Die vieldiskutierte Reichsreform, so argumentierte Jung, müsse man endlich als ideologischen Grundsatzstreit begreifen. Es gehe nicht um eine Frage der Zweckmäßigkeit der Staatsorganisation, sondern darum, ob man einen organischen, auf Gemeinschaften aufgebauten oder einen gleichmacherischen Einheitsstaat wolle, in dem der einzelne in einer "atomisierten Masse" untergehe. Die Entscheidung zwischen "organischem Ganzen" und "kollektivistischer Summierung" sei zu treffen . 3 Nicht nur die Dichotomisierung ist zeittypisch; Jung greift vielmehr eine Diskussion auf, die vor allem in der katholischen Publizistik geführt wurde. Föderalismus wurde nicht nur von Jung als "Weltanschauung" aufgefaßt , sondern von einer ganzen Gruppe konfessionell geprägter Intellektueller, als deren führender Kopf sich Benedikt Schrnittmann erwies, bis 1933 Professor für Sozialpolitik in Köln und 1939 in Sachsenhausen ermordet. 4 Diese Debatte blieb jedoch keineswegs auf die Weimarer Jahre beschränkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr sie eine erstaunliche Renaissance. Unter den veränderten Bedingungen der Nachkriegszeit konnte die Idee der Föderalisierung von Staat und Gesellschaft aufblühen und auch praktische Wirkung erlangen. Erst seit Mitte der 1950er Jahre verlor der Begriff seine ideologischen Implikationen und wurde zu einem "Staatsstrukturprinzip" der Staatsrechtslehre. Es bestand nun kein Bedarf mehr an einer anti-modernen bürgerlichen Ideologie. Es ging den "Föderalisten" - so die Selbstbezeichnung der hier in Augenschein genommenen Gruppe von lntellektuellen 5 - letztlich um die Wiedereinsetzung einer vormodernen Bürger- g(!sellschaft, in der die hegelianische Trennung von Staat und Gesellschaft aufgehoben sein sollte. Aus diesem Grund wurde gegen den bürokratisierten Zentralstaat genauso argumen- I Zu Jung vgl. Kar! Martin GraB, Edgar Jung . Papenkreis und Röhmkrise 1933/34, Diss. Heidelberg 1966. - Norbert Frei, Art. Edgar Jung, in : Wolfgang Benz/Hermann Gram! (Hg.), Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik, München 1988, S. 166. 2 Edgar Julius Jung, Föderalismus als Weltanschauung, München 1931. - Vgl. auch Benedikt Schmitt- mann, Der Föderalismus als Weltanschauung, in: Reich und Heimat 2 (1926), Nr. 1/2, S. 2 f. - "Födera- lismus ist eine Weltanschauung", so äußerte sich ebenfalls Roman Michael Faber, Der deutsche Weltberuf. Constantin Frantz als politischer Denker und Erzieher, in: Hochland 30,2 (1932/33), S. 344- 363, hier: S. 359. J Jung (wie Anm. 2), S. 11 f. 4 Vgl. Lenz , Prof. Benedikt Schmittmann, in: Föderalistische Hefte 3 (1950), S. 72-75. - Hugo Stehkäm- per, Benedikt Schmittmann , in: Jürgen Aretz!Rudolf Morsey/Anton Rauscher (Hg.) : Zeitgeschi chte in Lebensbildern, Bd. 6, Mainz 1984, S. 29-49. 5 Vgl. etwa Benedikt Schmittmann, Vom innerpolitischen zum sozialen und übernationalen Föderalismus, in: Allgemeine Rundschau 23 (1926), S. 17f. 165 aus: Geschichte im Westen, Jahrgang 1994, Heft 2, S. 165–182

Transcript of FÖDERALISMUS ALS WELTANSCHAUUNG - Brauweiler Kreis · Föderalismus als Weltanschauung...

Peter Heil

FÖDERALISMUS ALS WELTANSCHAUUNG

Zur Geschichte eines gesellschaftlichen Ordnungsmodells zwischen Weimar und Bonn

"Föderalismus als Weltanschauung" war der Titel eines kleinen Bändchens, das Edgar Julius Jung, schillernder Protagonist der "konservativen Revolution" der Weimarer Repu­blik, 1 1931 veröffentlichte.2 Die vieldiskutierte Reichsreform, so argumentierte Jung, müsse man endlich als ideologischen Grundsatzstreit begreifen. Es gehe nicht um eine Frage der Zweckmäßigkeit der Staatsorganisation, sondern darum, ob man einen organischen, auf Gemeinschaften aufgebauten oder einen gleichmacherischen Einheitsstaat wolle, in dem der einzelne in einer "atomisierten Masse" untergehe. Die Entscheidung zwischen "organischem Ganzen" und "kollektivistischer Summierung" sei zu treffen.3 Nicht nur die Dichotomisierung ist zeittypisch; Jung greift vielmehr eine Diskussion auf, die vor allem in der katholischen Publizistik geführt wurde. Föderalismus wurde nicht nur von Jung als "Weltanschauung" aufgefaßt, sondern von einer ganzen Gruppe konfessionell geprägter Intellektueller, als deren führender Kopf sich Benedikt Schrnittmann erwies, bis 1933 Professor für Sozialpolitik in Köln und 1939 in Sachsenhausen ermordet.4 Diese Debatte blieb jedoch keineswegs auf die Weimarer Jahre beschränkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr sie eine erstaunliche Renaissance. Unter den veränderten Bedingungen der Nachkriegszeit konnte die Idee der Föderalisierung von Staat und Gesellschaft aufblühen und auch praktische Wirkung erlangen. Erst seit Mitte der 1950er Jahre verlor der Begriff seine ideologischen Implikationen und wurde zu einem "Staatsstrukturprinzip" der Staatsrechtslehre. Es bestand nun kein Bedarf mehr an einer anti-modernen bürgerlichen Ideologie. Es ging den "Föderalisten" - so die Selbstbezeichnung der hier in Augenschein genommenen Gruppe von lntellektuellen5 - letztlich um die Wiedereinsetzung einer vormodernen Bürger­g(!sellschaft, in der die hegelianische Trennung von Staat und Gesellschaft aufgehoben sein sollte. Aus diesem Grund wurde gegen den bürokratisierten Zentralstaat genauso argumen-

I Zu Jung vgl. Kar! Martin GraB, Edgar Jung. Papenkreis und Röhmkrise 1933/34, Diss. Heidelberg 1966. - Norbert Frei, Art. Edgar Jung, in: Wolfgang Benz/Hermann Gram! (Hg.), Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik, München 1988, S. 166.

2 Edgar Julius Jung, Föderalismus als Weltanschauung, München 1931. - Vgl. auch Benedikt Schmitt­mann, Der Föderalismus als Weltanschauung, in: Reich und Heimat 2 (1926), Nr. 1/2, S. 2 f. - "Födera­lismus ist eine Weltanschauung", so äußerte sich ebenfalls Roman Michael Faber, Der deutsche Weltberuf. Constantin Frantz als politischer Denker und Erzieher, in: Hochland 30,2 (1932/33), S. 344-363, hier: S. 359.

J Jung (wie Anm. 2), S. 11 f. 4 Vgl. Lenz, Prof. Benedikt Schmittmann, in: Föderalistische Hefte 3 (1950), S. 72-75. - Hugo Stehkäm­

per, Benedikt Schmittmann, in: Jürgen Aretz!Rudolf Morsey/Anton Rauscher (Hg.) : Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 6, Mainz 1984, S. 29-49.

5 Vgl. etwa Benedikt Schmittmann, Vom innerpolitischen zum sozialen und übernationalen Föderalismus, in: Allgemeine Rundschau 23 (1926), S. 17f.

165 aus: Geschichte im Westen, Jahrgang 1994, Heft 2, S. 165–182

Peter Heil

tiert wie für die Neuordnung der Gesellschaft in korporativistischer Weise. Es ist sicherlich kein Zufall, wenn sich hier Parallelen zum jüngst von Paul Nolte exzellent analysierten "Gemeindeliberalismus" des badischen Vormärz entdecken lassen. Nicht nur der auf traditio­naler Grundlage entstandene, gegen den modernen Anstaltsstaat aufbegehrende frühe Libe­ralismus interpretierte die zentralistische Staatsbildung der Frühen Neuzeit als "Irrweg der Geschichte" . Die Föderalisten des frühen 20. Jahrhunderts sahen dies ebenfalls so und bildeten ebenfalls "eine entschiedene Abwehrideologie gegen die politische Moderne" aus. 6

Daß sich zwischen Gemeindeliberalismus, Föderalismus im hier betrachteten Sinn und dem heute diskutierten Kommunitarismus deutliche Parallelen erkennen lassen, kann hier nur am Rande erwähnt werden. In bezugauf den Föderalismus ist besonders interessant, in welcher unmittelbaren Kontinuität die Nachkriegsdebatte zur Weimarer Diskussion steht. Dies wurde bisher übersehen und damit auch der föderalistische Neuordnungsversuch nach 1945 unzureichend gewürdigt. Hans­Peter Schwarz kann bei den Föderalisten nur "[d]ie Sehnsucht nach den überschaubaren, kleinstaatliehen Verhältnissen der Zeit des Deutschen Bundes" erkennen.7 Rheinische Inter­essenpolitik habe eine Aufwertung des Föderalismus bewirkt. Wolfgang Benz glaubt demge­genüber in Bayern die strengsten Föderalisten entdecken zu können, denen er allerdings nur "weltanschauliche Enge" testieren kann. Eine weitergehende Untersuchung glaubt er sich deshalb ersparen zu können. 8 Auch die übrige Literatur zum Föderalismus nach 1945 beschränkt sich meist auf verfassungsgeschichtliche Fragestellungen.9 Lediglich in der katho­lisch geprägten Literatur wird ansatzweise die Bedeutung des Föderalismus-Konzepts erkannt. Ernst Deuerlein, der selbst im föderalistischen Organ Neues Abendland publizierte, gibt eine ganze Reihe von Beiträgen aus der Föderalismusdiskussion der Nachkriegszeit wieder. 10 Allerdings arbeitet er nicht die Konfliktlinien der Diskussion und die am Föderalis­musbegriff hängenden Staats- und Demokratievorstellungen heraus. Deuerlein weist zu Recht darauf hin, daß Föderalisten zum Teil "aus dem Prinzip Föderalismus eine Weltanschauung" machen. Er untersucht dies jedoch nicht historisch, sondern wendet sich - sozusagen als Teilnehmer der Debatte - gegen diese Sicht. 11 Deuerleins Föderalismus-Buch ist von daher im vorliegenden Zusammenhang eher eine Quelle denn historische Untersuchung. Die "Neubelebung föderativer Vorstellungen in Deutschland" sieht Deurlein verursacht durch die Erfahrung mit dem zentralistischen Nationalsozialismus. 12 Zuletzt hat Jochen Huhn zwar die

6 Paul Nolte, Gemeindebürgertum und Liberalismus in Baden 1800-1850, Göttingen 1994, S. 429. 7 Hans-Peter Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen

Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945-1949, Stuttgart 21980, S. 414. s Wolfgang Benz, Verfassungspläne und Demokratiekonzepte im Widerstand, im Exil und unter alliierter

Herrschaft, in: ders.: Zwischen Hitler und Adenauer. Studien zur deutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt/M. 1991, S. 24-38, hier: S. 34.

9 Volker Otto, Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rats, Düsseldorf 1971, (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 42), S. 104-109. - Marie Elise Foelz-Schroeter, Föderalistische Politik und nationale Repräsentation 1945-1947, Stuttgart 1974, (Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 7).

IO Ernst Deuerlein, Föderalismus. Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips, München 1972, S. 230-248.

II Vgl. ebd. S. 329. 12 Vgl. ebd. S. 230.

166

Föderalismus als Weltanschauung

weitergehenden Vorstellungen angesprochen, die sich hinter dem Begriff Föderalismus ver­stecken, den Zusammenhang zwischen Bonnerund Weimarer Debatte dabei aber übersehen und für die Nachkriegszeit ein Lernen aus der Geschichte unterstellt. 13 Die Frage ist aber, ob nicht nach dem Krieg relativ unabhängig von der historischen Erfahrung bestimmte Topoi, die kontinuierlich das Denken ihrer Protagonisten prägten, wieder öffentlich debattierbar waren und in der veränderten Situation höhere Beachtung erlangen konnten.

Die Weimarer Debatte

"Es wird manchem gewagt oder gar unzulässig erscheinen, Föderalismus mit Weltanschauung in Verbindung zu bringen." Dieser Hinweis von Benedikt Schmittmann verweist darauf, daß die vollständige Begriffsbesetzung durch die weitreichenden Implikationen, wie sie Schmitt­mann vorschwebten, nicht gelang. Nur "einen kleinen Teilausschnitt des Föderalismus", nämlich das politische Organisationsmodell, hätten die meisten vor Augen. 14 Demgegenüber entwickelte er sein Programm einer "föderativen Sozialordnung" .15 Schmittmann brachte auf den Punkt, was das "Wesen des Föderalismus", so seine bezeichnende ontologische Formulie­rung, ausmachte: "Er will oben die Zentralismen zurückdrängen, auflockern und dafür von unten her die natürlichen Volksgemeinschaften wieder beleben. [ ... ] Die natürlichen Gemeinschaftsglieder des Volkes sind dem Blute nach: Familie und Stamm; dem Territorium nach: Nachbarschaft, Gemeinde und heimatliche Selbstverwaltung; der aus der Arbeit ent­springenden Gemeinschaft nach: der Berufsstand." Der Föderalismus sollte "vor der Überwu­cherung durch Staat, Wirtschaft und Maschine" retten. 16 Schmittmann war der führende Kopf der Föderalisten. Die "Wiedererweckung des Regionalismus und Föderalismus" lobte Anton Hilckman als sein größtes VerdienstY Der Kölner Sozialwissenschaftler setzte sich publizi­stisch und organisatorisch für seine Idee ein. Er gab ab 1925 die Zeitschrift Reich und Heimat und die Wochenzeitung Heimat und Volk heraus. Ende 1924 gründete Schmittmann mit dem Herausgeber der Allgemeinen Rundschau, dem zum Katholizismus konvertierten Otto Kunze, und dem Jesuiten Petrus Saedler aus Essen den Reichs- und Heimatbund deutscher Katholi­ken, der vom Kölner Polizeipräsidenten als Gefahr für die Reichseinheit gebrandmarkt wurde. 18 Diese Vereinigung ging dann zwei Jahre später zusammen mit ihrem evangelischen Pendant, dem Deutschen Föderalisten-Bund, in der Reichsarbeitsgemeinschaft deutscher Föde-

13 Jochen Huhn, Lernen aus der Geschichte? Historische Argumente in der westdeutschen Föderalismus­diskussion 1945-1949, Melsungen 1990 (Kasseler Forschungen zur Zeitgeschichte, Bd. 8).

14 Benedikt Schmittmann, Föderalismus und Weltanschauung, in: Allgemeine Rundschau 25 (1928), S. 814f. - Vgl. auch Jung (wie Anm. 2), S. 8.

15 Bruno Jacob, B. Schmittmanns "Wirtschafts- und Sozialordnung als Aufgabe", in: Allgemeine Rund­schau 25 (1928), S. 491 f.

16 Schmittmann, Innerpolitischer Föderalismus (wie Anm. 5), S. 17f. (Hervorhebungen im Original). 17 Anton Hilckman, Univ. Prof. B. Schmittmann 60 Jahre alt, in: Allgemeine Rundschau 29 (1932),

S. 490f. 1s Vgl. Reich und Heimat. Mitteilungen des Reichs- und Heimatbundes Deutscher Katholiken. Zur

Belebung und Vertiefung des großdeutschen Föderalismus 1 (1925), Nr. 3/4, S. 23.

167

Peter Heil

ralisten auf. 19 Otto Kunze hegte noch weitergehende Pläne. 1926 beklagte er, "daß es keine geschlossene Reichstagsfraktion aller Föderalisten gibt. "20 Gleiches hatte der Vorsitzende der Reichsarbeitsgemeinschaft, Ludwig Alpers, schon 1925 gefordert.21

Benedikt Schmittmann verfaßte "Grundlagen zu einem Bundesprogramm" der Reichsarbeits­gemeinschaft deutscher Föderalisten. Dort wird der umfassende Anspruch seines Föderalis­mus-Begriffs greifbar. "Der organisch-föderalistische Gedanke weist uns die Formen deut­schen Gesellschafts- und Staatslebens, die unserer Geschichte, Volksart und Weltanschauung entsprechen." Der organische Aufbau der Gesellschaft und des Staates von unten her sei "Wesen und Kern des föderalistischen Prinzips". Darin, so erläutert Schmittmann, bestehe die grundlegende Differenz zum hegelianischen Staatsbegriff, der "im Staat eine Institution neben und über dem Volk" sieht. An die Grundsätze des Bundesprogramms schließen sich Vorschläge zur außenpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen sowie zur geistig-sittlichen Erneuerung an. Es zeigt sich der enge Zusammenhang von Abendland-Idee, berufsständi­scher Ordnung, Siedlungs- und Bodenpolitik.22 Schmittmann betont auch an anderer Stelle den Zusammenhang dieser Themenkreise. "Unser innenpolitischer und sozialer Föderalismus sind im Wesen das Gleiche: das Ringen um die Wiederbelebung volksnaher Gemeinschaften. So sind in unserer Arbeit scheinbar so fern voneinander liegende Aufgabengebiete aufs engste miteinander verbunden, wie z. B. der Kampf gegen preußische Übermacht und für genossen­schaftlich-berufliche Selbstverwaltung, für Heim, Siedlung, Familienkultur und Heimatliebe." Auch die Außenpolitik, in der die übernationale Zusammenarbeit zur - wie es im Bundespro­gramm Schmittmanns heißt - "glückbringenden Auferstehung des Abendlandes" belebt werden müsse, beziehe der Föderalismus mit ein.23 Siedlungsidee, Abendlandvorstellung, Staatskritik und berufsständische Ordnung werden im folgenden kurz als Kernideen des weltanschaulichen Föderalismusbegriffs vorgestellt. Gegen Bürokratisierung, Kapitalisierung und Technisierung, also gegen die wachsende Kom­plexität der modernen Gesellschaft richtete sich der Föderalismus als spezifisch bürgerlicher Entwurf. 1928 stellte Mila Radakovic fest, die moderne Gesellschaft leide daran, daß sich "alles Eigentum in ein bloßes Netz von Beziehungen" verwandele. Der "Verlust des Eigen­tumsgefühles" aber verursache eine "Proletarisierung der Allgemeinheit" .24 Der Verlust des Greifbaren und Anschaulichen als Preis für zunehmende Komplexität erschien zu hoch. Das ist das eigentliche Thema des Föderalismus. Den Wunsch nach Abbau komplexer Lebenssi­tuationen äußern die Föderalisten, wenn sie die Auflösung der proletaroiden Großstadt und ihre Ersetzung durch gepflegte Eigenheimsiedlungen auf dem Land fordern. Das Spezifische des Häuschens mit Garten wird gerade darin gesehen, daß der Einzelne selbst seinen Bedarf erwirtschaftet und nicht in ein System von Produktion und Konsumtion eingebunden wird, das er selbst nicht mehr überblicken kann. Die als zerrüttet empfundene Gesellschaft zu harmoni-

19 Vgl. Stehkämper (wie Anm. 4), S. 43. 20 [Otto Kunze), Zusammenschluß der Föderalisten, in: Allgemeine Rundschau 23 (1926), S. 67. 21 Vgl. den Bericht in: Reich und Heimat 1 {1925) , Nr. 3/4, S. 34. 22 Benedikt Schmittmann, Grundlagen zu einem Bundesprogramm, in: Reich und Heimat 1 (1925), Nr. 11

2,5.9-11. 23 Schmittmann, Föderalismus als Weltanschauung (wie Anm. 2) . 24 Mila Radakovic, Die kulturelle Funktion des Eigentums, in: Hochland 26,1 (1928/29), S. 264-276, hier:

s. 265.

168

Föderalismus als Weltanschauung

sierenstand als Leitbild hinter dem FöderalismusmodelL Vordringliches Ziel der Auflösung der Großstadt war nicht etwa die Erreichung eines höheren Lebensstandards. Es ging vielmehr darum, den Gefahren der "Atomisierung" durch die "Vermassung" in der Großstadt Herr zu werden. Was fehlte, lag auf der Hand: der "Gemeinschaftsgeist". Und das sei, so Ferdinand Kimberger in der Allgemeinen Rundschau, "der Grund, warum ein echter Födera­lismus, denn das ist der Aufbau des öffentlichen Lebens aus der Gemeinschaft, so schwer Fuß fassen kann. Renaissance und Reformation haben den Faden zerschnitten, der die Perlen zur Kette formte. Der Rationalismus, der die reine Vernunft als Göttin verehrte, führte notwen­dig zum Egoismus. "25

Vor der Reformation war also die Welt noch in Ordnung. Das mittelalterliche Reich oder das "Abendland" wurden dementsprechend als Bollwerk gegen die Gefahren der Vermassung gesehen. Diese Vermassung glaubte man sowohl in Amerika als auch in "Sowjetrußland" entdecken zu können. Der Bolschewismus galt dabei freilich als die bei weitem größere Bedrohung als der "Amerikanismus". Die Abendlandsvorstellungen gehören zur unmittelbaren Vorgeschichte der Buropabewe­gung der Nachkriegszeit. Der späteren Aussöhnung mit Frankreich wurde dabei gleichzeitig der Weg geebnet.26 Walter Hagemann erklärte, es sei eine "oberflächliche Zeitbetrachtung", von einer tausendjährigen Erbfeindschaft zwischen deutschem und französischem Volk zu sprechen. Dies gelte schon allein deshalb, weil Nationen im üblichen Verständnis erst relativ kurze Zeit existieren würden. Aus dieser grundlegenden Erkenntnis ergab sich konsequent der Ruf nach Aussöhnung mit dem westlichen Nachbarn. 27 In diesem Zusammenhang beriefen sich die Föderalisten auch gern auf den Bismarck-Zeitgenossen Constantin Frantz. Frankreich habe er als Kulturmacht gesehen, von "deren Zusammengehen mit dem Deutsch­tum er geradezu die Rettung des Abendlandes vor dem Verfall erwartet. "28 Auch personell begann die Nachkriegsära der deutsch-französischen Annäherung in der Zwischenkriegszeit Schon in den zwanziger Jahren traf Robert Schumann auf einige katholische Intellektuelle wie Hermann Platz und auf Heinrich Brüning.29 Der Wunsch zur Aussöhnung war keineswegs auf die katholische Publizistik beschränkt. Wenn das Berliner Tageblatt im November 1932 eine deutsch-französische Währungsunion zur Debatte stellte, so war dies allerdings ein für die meisten Zeitgenossen etwas zu weit in die Zukunft weisender Schritt.30

Auf der Grundlage der soziologischen, philosophischen und historischen Kritik ergab sich die Kritikambestehenden Staat. Anläßlich des Kellogg-Pakts schreibt Schmittmann 1928: "Wir

25 Ferdinand Kimberger, Volksgemeinschaft?, in: Allgemeine Rundschau 23 (1926), S. 354 (Hervorhe­bung im Original).

26 Vgl. auch Heike Arend, Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren. Verständigungskonzepte und kulturelle Begegnungen in den deutsch-französischen Beziehungen der Zwischenkriegszeit, in: Francia 20,3 (1993), s. 131-149.

27 Walter Hagemann, Deutsch-französische Erbfeindschaft?, in: Hochland 29,1 (1931132), S. 11 ff. 28 Roman Michael Faber, Der deutsche Weltberuf. Constantin Frantz als politischer Denker und Erzieher,

in: Hochland 30,2 (1932133), S. 193-223, hier: S. 214. 29 Vgl. Vincent Beming, Die Begründung des Katholischen Akademikerverbandes. Geistesgeschichtliche

Voraussetzungen und Wirkungen im deutschen Katholizismus, in: Renovatio 49 (1993) , S. 189-200, hier: S. 197.

JO Vgl. "Wir stellen zur Debatte: Deutsch-französische Währungs-Union", in: Berliner Tageblatt und Handelszeitung, 61. Jg., Nr. 567 v. 30. 11. 1932 (Morgenausgabe) , S. 2.

169

Peter Heil

ächten den Krieg auf dem Papier, ohne den falschen Staatsbegriff zu überwinden, der die Hauptursache der fortwährenden Kriegsgefahr ist. Das Wesentliche dieses falschen Staatsbe­griffs ist, daß der Staat als etwas Absolutes in sich aufgefaßt wird. "31 Positiv formulierte Anton Hilckman: "Die Staatsklammern mögen ruhig gelockert werden; der Staat soll ja auch - so will der Föderalismus - nicht alle Lebensäußerungen beherrschen und reglementieren wollen. Für den Föderalismus ist der Staat ja gar nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Das Primäre ist ihm das Volk."32 Vom diagnostizierten "Staatsabsolutismus" war es kein weiter Weg zur Anprangerung des "Parlamentsabsolutismus". Besonders verachtet wurden die sogenannten "Massenparteien". Man liest etwa in der Allgemeinen Rundschau 1932: "Man darf die Verschiedenheit der politischen Richtungen nicht zur Zerreißung des Volkes in Parteiarmeen und in kolossale Massenungeheuer mißbrauchen." Es ist sicherlich kein Zufall, daß im gleichen Artikel für ein "stark föderiertes Deutschland [ ... ] mit den kulturpolitischen Schwerpunkten im Westen und im Süden" argumentiert wird und diese Forderung in die im konservativen Katholizismus Weimars stark verankerte Reichsideologie eingebettet wird.33 Klaus Breuning hat bereits auf deren Verbindung zur Abendland-Idee hingewiesen.34 Hier zeichnet sich das Bild einer antiparlamentarischen, sich selbst aber nichtsdestoweniger als demokratisch begreifenden, katholisch-konservativen Staatsidee ab. Den Angriffen auf die "formale Demokratie" ent­sprachen Angriffe auf den "juristischen Formalismus", gemeint war der Rechtspositivismus. Dieser habe "immer wieder den Bestrebungen des ,souveränen' - heute sagt man ja ,totalen' - Staates auf Auslöschung des unter ihm wachsenden Lebens Vorschub" geleistet. Die unterhalb des Staates existierenden Gemeinschaften müsse man aber stärken, um die Erstickung der Persönlichkeit in der Masse zu verhindern.35

Es klangen bereits die wirtschaftlichen Neuordnungsideen an, die zum Föderalismus zu zählen sind. Selbstverwaltung, ein mit dem Föderalismus eng verknüpfter Schlüsselbegriff, wurde nicht nur territorial, sondern ebenso berufsständisch begriffen. Die ständische Ordnung sollte dazu dienen, die "Plutokratie" oder den "Kapitalismus" ebenso wie die "Parteienwirtschaft" zu überwinden. Die korporative Neuordnung als "dritter Weg" - nicht zwischen, eher über Kapitalismus und Sozialismus - sollte den einzelnen in einen Lebenszusammenhang einbin­den und die Trennung von Arbeits- und privater Lebenswelt überwinden helfen. In diesem Zusammenhang kann das eigenartige Verhältnis der Föderalisten zum Weimarer Staat am deutlichsten erkennbar werden. Bei aller Verbundenheit mit der Republik war man doch auf der Suche nach einerneuen Staatsform. Ein Ständetheoretiker formulierte: "Die Republik ist

31 Benedikt Schmittmann, Friedensidee und Föderalismus, in: Allgemeine Rundschau 25 (1928), S. 546f. 32 Anton Hilckman, Nationalismus und Föderalismus, in: Allgemeine Rundschau 25 (1928), S. 540f.,

hier: S. 541. 33 Hans Weinzierl, Der ,dritte Weg' des deutschen Katholizismus, in: Allgemeine Rundschau 29 (1932),

S. 670-672 (Hervorhebung im Original). - Zur Reichsideologie vgl. Klaus Breuning, Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929-1934), München 1969. - "Reich" und "Föderalismus" verbindet auch Otto Kunze, Nach dem Zentrumsparteitag, in: Allge­meine Rundschau 25 (1928), S. 811.

34 Vgl. Breuning (wie Anm. 33), S. 49. 35 Ferdinand Aloys Herrnens, Bürger, Bourgeois und Grundrechte, in: Hochland 30,2 (1932133), S. 177-

179, hier: S. 178.

170

Föderalismus als Weltanschauung

bis heute ohne positiven Inhalt geblieben; [ ... ] Daraus entspringt gegenwärtig das Verlangen nach neuen Formen politischen Lebens, in denen sich die gesunden Volkskräfte betätigen und im Dienst der Gesamtheit auswirken können. Eine der wichtigsten Erscheinungsformen dieses Verlangens ist der Gedanke, die Berufsstände als Verkörperung der schaffenden Arbeit in den Staat einzugliedern und ihre Kraft für das Staatsleben nutzbar zu machen. "36 Das Hochland hatte schon 1923 gemeint: "Für eine staatsaufbauende Politik gibt es nur einen Ausweg: darauf hinzuarbeiten, daß die realen Träger der Macht eben aufhören, bloße ,Interessengruppen' zu sein, daß sie wieder zu Ständen werden, mit solidarischem Verantwor­tungsgefühl, Standesehre und Standespflicht Diese ethische Haltung kann nur anerzogen werden durch weitgehende Selbstverwaltung. "37 Dies weist darauf hin, daß es bei der Neuordnung der Wirtschaft nicht einfach um eine andere Organisierung der Gesellschaft ging, sondern um eine ethische Rückbindung. Die Wirtschaft schien sich immer mehr eigengesetz­lich zu entwickeln und damit nicht nur Lebenszusammenhänge zu zerreißen, sondern auch Wertbindungen zu verlieren. Selbstverwaltung könne diesen Prozeß aufhalten. Ohne sie werde der Staat zum "Leviathan, der alles frißt[ ... ] auf der anderen Seite zum Mädchen für alles", der in jeder Notlage zu helfen habe. Ein "Solidaritätsgefühl mit dem Staate" müsse naturgemäß "organisch vom kleineren Kreis auf den größeren ausstrahlen." Hier zeigt sich, wie eng die Begriffe Selbstverwaltung, Ständestaat und Föderalismus verbunden waren. Derartige wirtschaftliche Neuordnungsvorstellungen wurden für die katholische Soziallehre und Publizistik schließlich durch die Enzyklika Quadragesima Anno 1931 sanktioniert, in der Pius XI. die "Entproletarisierung des Proletariats" forderte, die er über eine "Erneuerung der ständischen Ordnung" glaubte erreichen zu können.38 Auch die Allgemeine Rundschau sah nur im Standeswesen den Ausweg aus der Krise: "Wirths Staat der formalen Demokratie ist den Deutschen nicht begreiflich zu machen. Dem Volk, wo das Wort Bürger ein Klassenname geworden ist. Wir steuern rettungslos auf den Faschismus, wenn wir nicht den Ständegedan­ken selbst für das Gemeinwesen nutzbar machen. "39 Kar! Muth, der Herausgeber des Hochlands, sah das große Problem darin, daß das Bürgertum sich als Klasse wie das klassenbewußte Proletariat begreife und deshalb kein Verständnis dafür aufbringe, daß man gerade diesem Proletariat Bildung und Besitz ermöglichen müsse, wobei insbesondere in bezug auf Besitz großer bürgerlicher Widerstand zu brechen sei.4ü Die Einführung einer Ständegesellschaft war also kein Selbstzweck, sondern sollte dazu dienen, die Klassengesell­schaft in eine allgemeine Bürgergesellschaft zu überführen.

36 Heinrich Herrfahrdt, Berufsstände und Verwaltung, in: Der Arbeitgeber 12 (1922), S. 203 f. (Hervorhe­bung im Original).

37 Otto Gründler, Selbstverwaltung und Sozialversicherung, in: Hochland 21,1 (1923/24), S. 310-312, hier: S. 310 (Hervorhebung im Original).

38 Pius XI., Quadragesima Anno, in: Die Rundschreiben Leos XIII. und Pius' XI. über die Arbeiterfrage und über die gesellschaftliche Ordnung, Köln 51935, S. 29-67, hier: S. 49.

39 o. A., Stand und Staat, in: Allgemeine Rundschau 25 (1928), S. 150 (Hervorhebung im Original). 40 Kar! Muth, Die Stunde des Bürgertums, in: Hochland 28,1 (1930/31), S. 1-14.

171

Peter Heil

Die veränderte Situation nach dem Zweiten Weltkrieg

Während in den zwanziger Jahren die konfessionellen Föderalisten eine Außenseiterposition vertraten, veränderte sich die Lage in der Nachkriegszeit ganz entscheidend, die "kulturelle Hegemonie" verschob sich. Dies wurde auch so empfunden. Ludwig Alpers, früherer Reichs­tagsabgeordneter und Vorsitzender der Reichsarbeitsgemeinschaft Deutscher Föderalisten stellte im Juli 1946 mit der Resignation des allzu spät Bestätigten fest: "Föderalismus ist in Deutschland plötzlich Mode geworden. Während die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Födera­listen bis 1933 den Föderalismus (Constantin Frantz) nahezu allein vertrat, bekennen sich nach dem Zusammenbruch des zentralisierten Einheitsstaates unter den neuen Verhältnissen alle Parteien zum Föderalismus. Inwieweit diese rasche Handlung durch die Konjunktur beeinflußt ist, bleibe ununtersucht. "41

Daß der Föderalismus Mode wurde, hängt nicht nur mit der teilungsbedingten Aufwertung des deutschen Westens und Südens zusammen, in dem die föderalistischen Hochburgen lagen. Es hängt auch damit zusammen, daß in der unmittelbaren Nachkriegszeit der Unitarismus desavouiert war, erschien doch weithin das Dritte Reich als höchste Stufe eines ungehemmten Zentralismus. Das Dritte Reich wurde nicht als Betriebsunfall der Geschichte angesehen, sondern als extreme Ausformung eines viel älteren "Staatsabsolutismus", der in gewagten Interpretationen bis auf den mittelalterlichen Universalismusstreit zurückgeführt wurde. Der bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner beklagte, daß weder das Bismarckreich noch die Weimarer Republik wirkliche Bundesstaaten gewesen seien und behauptete sogar: "Die Gleichschaltung der Länder durch die Nationalsozialisten war nur der folgerichtige Abschluß einer Entwicklung, die bereits mit der Weimarer Verfassung eingesetzt hatte. "42

Unitarisch argumentierende Liberale wie Wilhelm Mommsen verstummen nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend, während auf der anderen Seite beispielsweise die vom Bonner Roma­nisten Hermann Platz herausgegebene Zeitschrift Abendland nun als Neues Abendland in Augsburg wieder auftaucht. Die Reichsarbeitsgemeinschaft wird 1947 in Bad Ems als Arbeits­gemeinschaft Deutscher Föderalisten wiederbelebt. 43 Die Initiative hatte der rheinland-pfälzi­sche Justizminister und Verfassungsvater Adolf Süsterhenn ergriffen. Ihm war es gelungen, Ludwig Alpers - wie man sagte, ein "alter Kämpfer des Föderalismus"44 - für diese Wiedergründung zu gewinnen.45 Wie stark man sich rückgebunden fühlte, zeigt der Grün­dungsaufruf, der sich auf den evangelischen Bismarckzeitgenossen und -kritiker Constantin Frantz und auf Benedikt Schmittmann bezog.46 Dessen Witwe Ella gehörte zu den Grün-

41 Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK) Best. 700, 177 Nr. 751. 42 "Föderalismus, Unitarismus oder Separatismus", in: Süddeutsche Zeitung v. 13. 11. 1945. - Vgl. auch

Ernst von Hippel, Die Heimatlosigkeit des Menschen im modernen Staat, in: Föderalistische Hefte 2 (1949), S. 10-19, hier: S. 12.

43 Archives d'Occupation Fran~aise en Allemagne et en Autriche, Colmar (AdOC) C 1015, P 13, D 00021 12, "Tagung der Föderalisten zu Bad Ems am 9. und 10. August 47".

44 Ebd. 45 Vgl. auch über die Gründung der Arbeitsgemeinschaft: o. A., Die föderalistische Bewegung, in:

Föderalistische Hefte 1 (1948), S. 74 f. Dort wird allerdings die Bedeutung von Alpers für die Gründung der Arbeitsgemeinschaft in Ems überschätzt.

4ö AdOC C 1015, P 13, D 0002/12. - Die Föderalistischen Hefte veröffentlichten eine Reihe von Aufsätzen von Constantin Frantz.

172

Föderalismus als Weltanschauung

dungsmitgliedern des Nachkriegsbundes. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, daß Süsterhenn für seine Tätigkeit als maßgeblicher rheinland-pfälzischer Verfassungsaut01'17

vor allem Bücher von Schmittmann, aber auch die von diesem herausgegebene Zeitschrift Reich und Heimat und andere Weimarer katholische Blätter wie die Allgemeine Rundschau oder das Neue Reich von Bekannten erbat.48

Die Durchsetzbarkeit der föderalistischen Vorstellungen schien, nach dem Scheitern der großen Ideologien, eine logische Folge zu sein. Die grundlegende Bedeutung sowohl für den zukünftigen Staats- und Gesellschaftsaufbau als auch für die historische Erklärung des deutschen Zusammenbruchs galt deshalb als gesichert: "Unter Staatsphilosophen besteht heute kaum noch ein Zweifel, daß die politischen Wirren unserer Zeit nichts anderes sind als die Wehen, unter denen der zentralistische Staat, der unmittelbare Nachkomme des Absolu­tismus, den föderalistischen Staat gebären wird. "49

Gerade in der französischen Zone, aber durchaus auch in den anderen Westzonen erschien im übrigen die föderalistische Neuordnung als zeitgemäß, weil sie dem alliierten Interesse entsprach. Selbst Konrad Adenauer sang zeitweilig das Hohelied des Föderalismus. Dies mag ein weiterer Hinweis darauf sein, wie aktuell die Idee erschien. In streng föderalistischen Kreisen erkannte man den ehemaligen Kölner Oberbürgermeister allerdings nicht ohne weiteres als Seinesgleichen an. Während der Weimarer Republik habe er für Benedikt Schmittmann nie die nun entdeckten Sympathien gezeigt.50

Föderalismus nach 1945

Eine hervorragende Zusammenfassung der weitestgehenden föderalistischen Argumentation nach 1945 legte der Bonner Staatsrechtier Ernst von Hippe11947 in seinem Büchlein "Vom Wesen der Demokratie" vor. Hier wird noch einmal deutlich erkennbar, wie sehr man bemüht war, den Föderalismus philosophisch zu verankern. Der Universalismusstreit ist das erste Glied in Hippels Argumentationskette. Den mittelalterlichen Nominalismus stilisiert er zum europäischen Sündenfall. Daran sei das christlich-universalistische Reich des Mittelalters zerbrochen. Dann springt er zur Französischen Revolution. Diese habe zwar zu Recht den Cäsarismus bekämpft. Sie habe jedoch nur die Symptome, nicht die "Krankheitsursache eines glaubens- und ordnungslosen Denkens" angegriffen. Anstelle der Krone habe man nun dem Parlament die ,Souveränität' zugesprochen. Damit sei die nominalistische Grundposition erhalten geblieben, wonach das Recht nicht einen göttlichen, sondern menschlichen Ursprung habe. Gleichzeitig sei nun an die Stelle der Christen- und Menschheit die "Nation" getreten. "Und indem die Marseillaise als Hymne der Nation die ,Kinder des Vaterlandes' ,marschie­ren' läßt für den ,Tag des Ruhms', leitet sie jene Bewegung emanzipierter Willenskräfte ein,

47 Vgl. Helmut Klaas, Die Entstehung der Verfassung für Rheinland-Pfalz. Eine Dokumentation, Bop­pard 1978. - Peter Brommer, Kirche und Verfassung. Zum rheinland-pfälzischen Verfassungsent­wurf Süsterhenns aus dem Jahr 1946, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 16 (1990), s. 429-519.

48 LHAK Best. 700, 177 Nr. 751. 49 Franz Oppenheimer, zit. n. Walter Ferber, Das Wesen des Föderalismus, in: Neues Abendland 1,1

(1946/47), S. 4 f., hier: S. 4. so Ebd.

173

Peter Heil

die von Napoleon zu Hitler führt. "51 Walter Dirks wandte allerdings ein, hier werde wohl "oft gar zu summarisch verfahren". Man könne nicht einfach die gesamte europäische Geschichte seit Abälard als "achthundertjährige Linie des Verfalls" interpretieren.52 Das aber tat von Hippe!. Die Aufklärung interpretierte er als "Stufenweg nach unten". 53 Sie habe eine weitgehende Individualisierung bewirkt. Diese aber verursache im Verbund mit dem Kapita­lismus durch die Auflösung der gewachsenen, organischen Gemeinschaften der Ständeord­nung die Vermassung und damit auch die Klassengesellschaft.54

Dies war keine Außenseiterposition, wie nicht zuletzt die Aussagen Süsterhenns zur Genese des Dritten Reichs zeigen. Bereits in seiner Dissertation von 1928 hatte er den Rechtspositivismus angeprangert und dafür plädiert, "das Recht anstatt auf den subjektiven Willen der Staaten auf eine objektive vor- und überstaatliche Basis" zu stellen. 55 Es war für ihn deshalb nach 1945 keine Frage, daß im Rechtspositivismus die tiefere Wurzel für die nationalsozialistische Willkür zu finden sei. Im NS-Staat sei die Formel ,Gesetz ist Gesetz' zur Parole ,Der Wille des Führers ist das höchste Gesetz' ausgeweitet worden. So habe sich ein diktatorisches Willkürsystem in den Mantel der Legalität hüllen können.56 Diesem Tenor folgte auch der "Studienausschuß für Verfassungsfragen" der nordrhein-westfäli­schen Katholiken: Das "positivistische Rechtsdenken" widerspreche "dem Wesen echter Demokratie und führe zur Tyrannei der Mehrheit".57

Auf diesem rechts- und geschichtsphilosophischem Hintergrund ist es kein Wunder, daß ausdrücklich liberale nicht weniger wie marxistische Positionen angegriffen wurden. Für Eugen Kogon hat - dies sei die Ironie der Geschichte - der Liberalismus den Staat "zur Allgewalt ausgebaut". Der Marxismus wolle dieses hervorragende Machtmittel nun überneh­men. Aus dieser Analyse ergibt sich die Ablehnung der bestehenden Demokratievarianten: "Die modernen Formen der Demokratie sind entweder vom Individualismus oder vom Kollektivismus bestimmt. Beide sind einander nahe verwandt, wenn auch einander vielfach feindlich gesinnt; sie haben eine gemeinsame Herkunft: die Atomisierung der Gesellschaft. "58

51 Ernst von Hippe!, Vom Wesen der Demokratie, Bonn 1947, S. 40f.- Zur grundsätzlichen Ablehnung des "Nominalismus" und damit des Rechtspositivismus vgl. auch die Arbeit des von-Hippel-Schülers Valentin Tomberg, Degeneration und Regeneration der Rechtswissenschaft, Bonn 1946.

52 Waller Dirks, Das Abendland und der Sozialismus, in: ders.: Die zweite Republik, Frankfurt!M. 1947, S. 44-66, hier: S. 50.

53 Hippe!, Wesen der Demokratie (wie Anm. 51), S. 19. 54 Eugen Kogon, Demokratie und Föderalismus, in: Frankfurter Hefte 1,6 (1946), S. 66-78, hier: S. 67. 55 Adolf Süsterhenn, Das polnische Konkordat vom 10. Februar 1925, Diss. jur. (masch.) Köln 1928,

s. llf. 56 Adolf Süsterhenn, Der Durchbruch des Naturrechts in der deutschen Verfassungsgesetzgebung nach

1945, in: Gegenwartsprobleme des Rechts. Beiträge zum Staats-, Völker· und Kirchenrecht sowie zur Rechtsphilosophie N. F., H. 1 (1950), S. 43-52, hier: S. 45.

SI Zit. nach Burkhard van Schewick, Die katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945-1950, Mainz 1980, S. 142.

58 Kogon (wie Anm. 54), S. 69 (Hervorhebungen im Original). - Zur Liberalismus-wie auch Marxismus­Kritik vgl. auch mit besonderem Bezug zur Wirtschaftstheorie: Wilhelm Andreae, Kritik des Liberalis­mus. Naturrecht, freier Wettbewerb und Mitbestimmung, in: Neues Abendland 7 (1952), S. 587-596. - Vgl. auch: Adolf Süsterhcnn, Wir Christen und die Erneuerung des staatlichen Lebens, in: ders./ Vinzenz Rüfner (Hg.) , Wir Christen und die Erneuerung des staatlichen Lebens. Mit Quellentexten zur Naturrechtslehre und Staatsauffassung, Bamberg 1948, S. 9-38, hier: S. 16-21.

174

Föderalismus als Weltanschauung

Die Auflösung der natürlichen Gemeinschaften, also Familie, Gemeinde, Berufsstand, habe die Neuzusammenfassung in Massenparteien und reinen Interessenverbänden hervorgerufen. Von Hippe! versteigt sich sogar zur Ansicht, die "quantitative Demokratie mit ihrer Abstel­lung auf die ,Masse'" trage "in sich notwendig die Tendenz zum Bürgerkrieg. "59

Die "Quantitätsdemokratie" sollte überwunden werden und damit deren Erscheinungen Parlamentarismus und Parteien. Jürgen von Kempski meinte 1948, der westeuropäische Parlamentarismus könne für ein neues Deutschland kein Vorbild sein, "[d]a er selbst von Krise in Krise gerät oder, sofern er noch, wie in England, funktioniert, auf historischen Voraussetzungen beruht, die bei uns schlechterdings nicht gegeben sind. "60 Das spezifisch deutsche Problem liege darin, daß das "deutsche Volk[ ... ] bis heute kein eigenes staatstheo­retisches Bewußtsein ausgebildet" habe. Ansätze dazu könne man aber bei Gneist und in Gierkes Genossenschaftstheorie61 erkennen, die es nun weiterzuentwickeln gelte. Der Bun­desstaat wurde als deutsche Demokratievariante begriffen, in der das Parlament lediglich legitimiert sein sollte "als Stätte, in der die Minderheit sich in aller Öffentlichkeit aussprechen kann" .62 Der Regierungschef sollte danach "vom Staatenhaus vorgeschlagen, vom Volkshause auf vier Jahre" gewählt werden.63 Überwindung der Vermassung und des Herdeninstinkts wurden wie früher vom Föderalis­mus erwartet. Er galt als die Verwirklichung von Subsidiarität und Solidarität.64 Selbstbe­wußt und durchaus mit Recht wurde deren Herkunft aus der Sozialenzyklika Quadragesima Anno von 1931 als deutscher Reimport deklariert.65 Föderalismus ist nach Süsterhenn "eine Bezeichnung für diejenigen politischen Bestrebungen, die auf eine bündische Verfassung eines Volkes abzielen." Eine föderalistisch-genossenschaftliche Ordnung gelte es herzustel­leri.66 Dieses Motiv blieb für die Föderalisten durchgehend das bestimmende Prinzip. Bodo Dennewitz meinte 1947, in der Weimarer Republik sei die föderale Neuordnung deshalb gescheitert, weil man nur an der Oberfläche diskutiert habe. Es sei nicht um die "organ­schaftlichen, bündisch-gemeinsamen Elemente" gegangen, sondern nur noch um ein "formal verstandenes staatliches Gliederungssystem. "67 Auf das eigentliche Prinzip müsse man sich aber zurückbesinnen.

59 Hippe), Wesen der Demokratie (wie Anm. 51), S. 49f. ro Vgl. Jürgen von Kempski, Betrachtungen zur deutschen Verfassungsfrage, in: Merkur 2 (1948), S. 376-

390, hier: S. 376, ähnlich S. 383. 61 Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht 4 Bde, Berlin 1869-1913. 62 Kempski, Betrachtungen (wie Anm. 60), S. 386. 63 Kempski, Betrachtungen (wie Anm. 60), S. 389. - Kempski trat mit weiteren praktischen Begründun­

gen und Vorschlägen zur Organisierung eines deutschen Bundesstaats hervor: vgl. Jürgen Kempski, Föderalismus und Unitarismus, in: Merkur 1 (1947/48), S. 817-828.

1>1 Friedrich August von der Heydte, Föderalismus, Volkssouveränität und Parteien, in: Adolf Süsterhenn (Hg.): Föderalistische Entscheidung. Ansprachen und Referate der vom Bund Deutscher Föderalisten und vom Institut für Staatslehre und Politik am 9./10. 3. 1961 in Mainz veranstalteten staatswissen­schaftliehen Arbeitstagung, Koblenz [1961], S. 129-144; hier: S. 130.

65 Vgl. Franz Albert Kramer, Die geistigen Grundlagen des Föderalismus, in: Hochland 40 (1947/48), S. 216-225, hier: S. 219.

66 Adolf Süsterhenn, Föderalistische Entscheidung (1947), in: Adolf Süsterhenn, Schriften zum Natur-, Staats- und Verfassungsrecht, hg. v. Peter Bucher, Mainz 1991, S. 98f.

67 Bodo Dennewitz, Der Föderalismus. Sein Wesen und seine Geschichte, Harnburg 1947, S. 147.

175

Peter Heil

Eugen Kogon nannte den Föderalismus folgerichtig "ein Lebensgesetz der staatlich organi­sierten Gesellschaft". 68 Auch der Herausgeber des Rheinischen Merkurs, Pranz Albert Kra­rner, stellte fest: "Der Föderalismus, im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts durch Ausein­andersetzung mit den Gesellschafts- und Staatslehren der Zeit zum System entwickelt, erweist sich [hierbei] als die natürliche Gesellschaftslehre, weil er vorn Seienden ausgeht [ ... ] . "69 Es wird die bereits bei Schrnittrnann feststellbare und nun bei Süsterhenn durchschlagende Tendenz erkennbar, die Trennung von Staat und Gesellschaft letztlich zu verneinen. Der Staat war einer von vielen "Lebenskreisen", die sich konzentrisch um den einzelnen legen. Prinzipiell war er weder von der Gemeinde noch von der überstaatlichen Organisation unterschieden, nicht einmal von der Familie, die als der erste und vornehmste Lebenskreis des einzelnen galt. 70 Deshalb kann man aus föderalistischer Sicht die staatsrechtliche Diskussion nicht von der wirtschaftlichen oder der sozialen Debatte trennen. Auf diesem Hintergrund wird es verständlich und ist es nur konsequent, daß Adolf Gasser 1947 bei der Erörterung der Ständegesellschaft vorn "Wirtschaftsföderalisrnus" spricht.71 In den Föderalistischen Heften ist davon die Rede, daß die neu zu formende organische Gesellschaft geistig auf dem Christen­turn beruhen müsse, "im Materiellen aber ihre Ausprägung zu erfahren hat durch den Föderalismus, den genossenschaftlichen Gedanken". 72

Föderalismus im Parteienstreit

Der Begriff Föderalismus polarisierte in der politischen Auseinandersetzung bis in die Mitte der fünfziger Jahre hinein sehr stark. "Spitzfindige Leute", stellte Theodor Heuss 1947 leicht enerviert fest, hätten "mit dem Spiel begonnen, daß sie für geistreich halten, einen tiefen Unterschied festzustellen zwischen - ,föderativ' und ,föderalistisch"', wobei dann föderativ akzeptiert und föderalistisch als Vorform des Separatismus gebrandmarkt werde. Problema­tisch sei aber auch die Aufladung des Begriffs durch "staats- und gesellschaftsphilosophische Theoreme". 73 Die ideologische Öffnung der beiden großen bundesdeutschen Parteien führte aber mit der Zeit zu einer Abschleifung des zu Beginn mit geradezu kulturkämpferischem Ernst geführten Streits um den Föderalismus. Für Schmittrnann hatte festgestanden, daß "der Föderalismus ein Ausfluß der christlichen Weltanschauung ist". 74 Hier waren sich Freund und

68 Kogon (wie Anm. 54), S. 67 (im Original ist diese Wendung hervorgehoben). fl! Kramer, Geistige Grundlagen (wie Anm. 65), S. 217 (Hervorhebung im Original).- Vgl. Albert Lotz:

"Föderalismus ist eine Sozialanschauung aus einem Guß", in: Rheinischer Merkur v. 16. 7. 1946. 70 Vgl. besonders deutlich die Graphik auf dem Umschlag von Friedrich Fhr. v. Weichs, Wie bauen wir

den Ständestaat. Vorschläge zur praktischen Verwirklichung des berufsständischen Wiederaufbaues nach dem Sendschreiben Papst Pius' XI. "Quadragesima Anno", Graz 1933: Dort steht "die menschli­che Familie im Mittelpunkt der berufsständischen Tätigkeiten".

71 Adolf Gasser, Gemeindefreiheit als Rettung Europas, Basel, 2. stark erw. Aufl. 1947 ('1943), S. 237. 72 Bruno Jacob, Der Wirtschaftsföderalist Marlo (Winkelblech), in: Föderalistische Hefte 2 (1949),

s. 183-190. 73 Theodor Heuss, Zur Frage der staatsrechtlichen Gestaltung Deutschlands (Juli 1947), in: ders.,

Aufzeichnungen 1945-1947, aus dem Nachlaß hg. v. Eberhard Pikart, Tübingen 1966, S. 111-140, hier: S. 126.

74 Schmittmann, Föderalismus und Weltanschauung (wie Anm. 14), S. 814.

176

Föderalismus als Weltanschauung

Feind in der Weimarer Republik einig, nur in der Bewertung unterschied man sich. Für Otto Kunze, Redakteur der Allgemeinen Rundschau, war klar, daß "naturgemäß dem Zentrum" die Führung der Föderalisten zufallen müsse. 75 Dementsprechend versuchten die Föderalisten der Nachkriegszeit, den Föderalismus zum Programm der CDU zu erheben. Das Spiegelbild zur föderalistischen Selbsteinschätzung lieferte die SPD. Sie sah ihre gesell­schaftspolitischen und nationalstaatliehen Hoffnungen nach dem Zweiten Weltkrieg von einem zu weit getriebenen Föderalismus bedroht.76 1948 erschien eine Sopade-Denkschrift, die sich speziell dem Föderalismusproblem widmete. Auf jeder Seite dieses Papiers läßt sich die Wahrnehmung des Begriffs "föderal" als Teil einer katholischen Ideologie greifen. Wenn berichtet wird, daß auf einer Regensburger Föderalistentagung "fast das gesamte bayerische Kabinett als ,Seminaristen"'77 erschien, so ist die Pointe nur unter dieser Voraussetzung zu verstehen. In ihrem Verfassungsentwurf vom 17. 11. 1946 lehnte die SPD den Föderalismus als Relikt des Feudalismus ab. 78 Außerdem warf man den Föderalisten vor, sich nur um die Gunst Frankreichs zu bemühen. Dementsprechend trug die Sopade-Denkschrift den Titel: "Die CDU - französische Einflüsse und der Föderalismus". Adenauer wurde vorgeworfen ein "schwarzes Rhein-Preußen" aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bilden zu wollen, um so - und das ist in diesem Zusammenhang das entscheidende - eine absolute katholische Mehrheit zu schaffen. Aber die SPD veränderte im Lauf der Zeit ihre starre Ablehnung des Föderalismus. Dies war möglich, weil der Begriff selbst - im doppelten Sinn - seine Schärfe verlor. Walter Dirks bestätigte der SPD schon 1946 die Wendung zu einem gemäßigten Föderalismus.79 Selbst im Ellwanger Kreis, dem Forum der einflußreichen Föderalisten der Union, konnte man nicht übersehen, daß die SPD ihre starre antiföderale Haltung abzulegen begann, wenn man darin auch nur ein Lippenbekenntnis zum "Ländergedanken" erkennen wollte. Die SPD konnte sich nicht einfach auf eine ,unitarische' Position zurückziehen, schon allein aufgrund der alliierten Vorgaben für die Weststaatsbildung. Aber auch innerparteilich galt es, neben dem dominierenden zentralistischen einen "föderal-gouvernementalistischen Flügel" um den baye­rischen Ministerpräsidenten Hoegner zu integrieren. 80 Gleichzeitig findet man hier aber auch einen weiteren Ansatz für die allmähliche Auflösung der ideologisch streng fixierten Bedeu­tung des Begriffs. Und selbstverständlich war auch die CDU nicht einfach eine Partei der Föderalisten. Die Notwendigkeit, vielfältige Strömungen einzubinden, förderte auch hier die allmähliche Auflösung des Begriffs in seiner aus den 1920er Jahren übernommenen Form.

75 Otto Kunze, Zusammenschluß der Föderalisten, in: Allgemeine Rundschau 23 (1926), S. 67. 76 Vgl. Katrin Kusch, Die Wiedergründung der SPD in Rheinland-Pfalz nach dem Zweiten Weltkrieg

(1945-1951), Mainz 1989, S.102f. 77 SPD-Vorstand (Hg.), Die CDU - französische Einflüsse und der Föderalismus, Hannover 1948,

(Sopade-Denkschriften 17/1948), S. 17. 78 Wolfgang Benz, Föderalistische Politik in der CDU/CSU, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25

(1977), S. 776-820, hier: S. 780. 79 Waller Dirks, Ein Deutscher Bund, in: Frankfurter Hefte 1,6 (1946), S. 1-3, hier: S. 1. so Benz, Föderalistische Politik (wie Anm. 78), S. 780f. und S. 777.

177

Peter Heil

Abendland, Europa, Westen

Auf föderalistischer Seite wurde die Mater occidentalis81 angerufen. Das Abendland oder die Latinität, Begriffe, die bereits in der Universalistischen Reichsmythologie gepriesen wurden, bereiteten der Westbindung den Weg. Sie ist nicht ausschließlich Interessenpolitik oder eine zwangsläufige, unentrinnbare Entwicklung des Pufferstaats Bundesrepublik oder die alleinige Leistung Adenauers; sie ist eben auch ideologisch einzuordnen. Daß Interesse und Grundsatz nun nach dem Zweiten Weltkrieg zusammenfielen, stärkte das föderalistische Selbstbewußt­sein. Der aufziehende Ost-West-Konflikt schien aus föderalistischer Sicht dabei im eigenen Interesse instrumentalisierbar zu sein. Bayerns Ministerpräsident Hans Ehard war der Ansicht, es müsse nun zu einer Auseinandersetzung zwischen der abendländischen und der asiatischen Kultur kommen. "Hier sehe ich eine Möglichkeit, wie man für den Gedanken des Föderalismus in Deutschland und darüber hinaus eine gewisse Aufgeschlossenheit schaffen könnte. "82

Aber dieses Kalkül ging nicht auf. Ganz im Gegenteil: Gerade die Westbindung, die heute wohl niemand auf Anhieb mit Föderalismus in Zusammenhang bringen würde, zeigt, wie durch eine auf breite Akzeptanz stoßende Politik der radikale Föderalismusbegriff abgeschlif­fen wurde. Die Ersetzung des Begriffs Abendland durch Westen oder auch durch EuropaS3 ist hier symptomatisch. Sie wurde von den Föderalisten selbst mitgetragen, zuweilen mit leichtem Unbehagen. Ella Schmittmann klagte darüber, daß zu hören sei "Das Abendland ist tot!". Dies müsse man eben verhindern, Europa dürfe nicht nur eine wirtschaftliche und politische Einheit meinen. ",Abendland' ist ein von christlich-personalem Kulturwillen durchformtes Europa. Werden wir schöpferische Abendländer sein?"84 "Abendland" wurde zunehmend durch "Europa" und "Westen" verdrängt. Mit der veränderten Begriffswelt aber wurde schließlich auch der ursprüngliche föderalistische Anspruch aufgegeben. Heinrich Hellwege, Vorsitzender der Deutschen Partei, Bundesminister für die Angelegen­heiten des Bundesrats und später niedersächsischer Ministerpräsident, ein Protagonist der protestantischen niedersächsisch-welfischen Föderalisten, mit denen bereits Schmittmann intensiv zusammengearbeitet hatte,85 sprach 1949 davon, daß das Grundgesetz nicht einen Weststaat begründen solle, "sondern den deutschen Gesamtstaat, der vom Westen aus in einem höchstmöglichen Maße der Freiheit aufgebaut werden sollte." Die Bundesrepublik solle "ein Deutsches Reich auf föderativer Grundlage, wie es in der tausendjährigen Geschichte unseres Gesamtstaates als eine tragende abendländische Idee von jeher entwickelt worden ist" ,86 darstellen. Drei Jahre später sprach er von der "Aufteilung des Vaterlandes in

Bl Johann Wilhelm Naumann, "Neues Abendland", in: Neues Abendland 1,1 (1946), S. 1-3, hier: S. 3. 82 Ehard in: Benz, Föderalistische Politik (wie Anm. 78), S. 806. 83 Vgl. dazu auch den Tagungsbericht von Claudia Albert, Der weite Mantel der Idee. "Europa"­

Zeitschriften in der Zwischenkriegszeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11. 5. 1994, S. N6. 84 Ella Schmittmann, Europa als Aufgabe, in: Föderalistische Hefte 2 (1949), S. 546f. 85 Die Deutsche Partei ging aus der von Ludwig Alpers und Heinrich Hellwege maßgeblich geprägten

Niedersächsischen Landespartei hervor, und war (zunächst) stark föderalistisch geprägt, vgl. Walter Ferber, Ein Ministerium für Föderalismus, in: Föderalistische Hefte 3 (1950), S. 68-71.

86 Heinrich Hellwege, Die Stellungnahme der Deutschen Partei zu Bonn (1949), in: Heinrich Hellwege. Ein konservativer Demokrat. Festschrift zu seinem 50. Geburtstag am 18. 8. 1958, Braunschweig 1958, S. 41-53, hier: S. 41.

178

Föderalismus als Weltanschauung

eine östlich-bolschewistische und eine westlich-freie Hälfte."~ Die Durchsetzung dieser Vorstellung ermöglichte es, alte Konflikte zwischen Gegnern des Nationalsozialismus, zu denen die führenden Anhänger des Föderalismus zählten, und Mitläufern zuzuschütten. 88

Hellwege stellte fest, daß man am Beginn eines neuen Zeitalters stehe und an der Geburt der Vereinigten Staaten von Europa mitwirke. Wer das registriere, dürfe "sich im Einklang wissen mit den besten Kräften der deutschen Jugend, mit der Jugend, die im Feuer des zweiten Weltkrieges ausgehalten hat für Deutschland, die aber zusammen mit anderen europäischen Divisionen in dem guten Glauben gelitten hat, daß sie mit Deutschland zugleich Europa und seine Kultur vor dem asiatischen Bolschewismus schützen würde. "89 Die neuen Verbindungen der Abendland- oder der Reichsidee mit einer allgemeineren, unspezifischeren Idee von "Westen" ermöglichte auch die Überwindung des Antiamerikanismus der Weimarer Jahre. Die Bemerkungen weniger im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehender Zeitgenossen zeigen dies besonders deutlich. "Die Amerikaner vertreten keine nationalistische Enge, sondern haben etwas Universales, ähnlich wie das alte Kaiserreich des Mittelalters[ ... ] Die Verglei­che ließen sich weiterführen von der übernommenen Rolle des alten Kaisertums als Schirm­herrn der Christenheit in Rom bis zum Negersoldaten, dem das amerikanische Besatzungsre­gime verstand, ein umgekehrtes Vorzeichen zu geben, nämlich das eines völkerverbindenden Symbols". 90

Die mit dem Föderalismus verbundene Ausrichtung auf den Westen verband sich im katholischen Süden und Westen auch mit dem alten Konflikt zwischen protestantischem Preußenturn und katholischem Rheinland. Zwar waren die Föderalisten ihrem Selbstver­ständnis nach keineswegs nur Lokalpatrioten, aber ihr ungehemmter Preußenhaß forderte diese Kritik geradezu heraus. Bei der Diskussion um die zukünftige Bundeshauptstadt der Westrepublik wurde Berlin "als das Wahrzeichen jenes Zentralismus, der Deutschland 75 Jahre lang kommandiert hat" attackiert. Die Föderalisten riefen nicht provisorisch ,Ja zu Bonn', sondern wollten auf die Dauer eine südwestdeutsche Bundeshauptstadt sichern. "Der alte deutsche Westen will und darf aber nicht wieder wie in der Vergangenheit von einer Hauptstadt Berlin aus reglementiert werden, sondern muß Kern und Fundament des kommenden neuen Deutschlands werden. Deshalb gehört auch die Hauptstadt nach dem Westen."91

An Preußen waren die vielen Pläne zu einer regionalen Reichsreform seit den Vorschlägen von Hugo Preuß gescheitert. Die Vorstellung, daß der Absolutismus im totalitären Regime ende, führte bereits vor 1933 zu der These, daß Hitlers Aufstieg nur dank des zentralistischen Preußens möglich werde. Nun war Preußen zerschlagen und - wenn auch auf ungeahntem Weg - ein alter föderalistischer Wunsch wahr geworden. Dies hatte aber auf der anderen

117 Heinrich Hellwege, Deutsche Verantwortung. Rechenschaftsbericht auf dem 4. Bundesparteitag der Deutschen Partei am 18. 10. 1952 in Goslar, in: Hellwege (wie Anm. 86), S. 57-66, hier: S. 61.

88 Vgl. auch Axel Schild!, Ende der Ideologien? Politisch-ideologische Strömungen in den 50er Jahren, in: ders./Arnold Sywottek (Hg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993, S. 627-635, hier: S. 630.

89 Heinrich Hellwege, Deutsche Verantwortung (wie Anm. 87), S. 61. 90 o. A., Die Großexploitationen in der französischen Zone, in: Allgemeine Forstzeitschrift (München)

3 (1948) Nr. 16, S. 1. 91 Vgl. Ernst Kunz, Berlin - Bundeshauptstadt?, in: Föderalistische Hefte 1 (1948), S. 313 f.

179

Peter Heil

Seite zur Folge, daß kein Widerpart mehr vorhanden war. Ohne radikalen Zentralismus - bzw. das, was man dafür hielt - konnte aber auch der radikale Föderalismus nicht überleben. Am eindrückliebsten zeigt sich der Einfluß des föderalistischen Gedankengebäudes und gleichzeitig seine Demontierung durch Verallgemeinerung vielleicht am Staatsnamen der neuen westdeutschen Republik. Bodo Dennewitz schlug im März 1947 vor, ein neues Deutschland solle die Bezeichnungen Vereinigte Staaten von Deutschland, Deutscher Bund oder Bundesrepublik Deutschland tragen. Diese Bezeichnungen hielt Dennewitz für aus­tauschbar, meinte aber, sie seien allesamt den meisten Deutschen sehr fremd. 92 Der Begriff Bundesrepublik Deutschland tauchte zur gleichen Zeit im Ellwanger Kreis auf.93 Süsterhenns Aussagen zeigen, daß dieser Name im Sinne von Bündischer Republik verstanden wurde.94

Die ausdrückliche Ablehnung der Bezeichnung Bundesrepublik einige Monate später durch Theodor Heuss belegt, wie wenig selbstverständlich und wie einseitig weltanschaulich besetzt dieser Ausdruck war. Heuss selber schlug Deutsche Republik als formalrechtliche Bezeich­nung vor.95 Die föderalistische Wurzel des Staatsnamens geriet schnell in Vergessenheit, nicht zuletzt ein Hinweis auf die breite Akzeptanz des neuen Weststaats, mit dem sich eben nicht nur Föderalisten identifizierten.

Föderalistische Politik nach 1945

Im Grundgesetz,96 aber auch und gerade in den Länderverfassungen schlägt sich das föderali­stische Gedankengut nieder. Der bayerische Senat ist ein bis heute erhaltenes Relikt der Idee einer ständischen Vertretung.97 In Rheinland-Pfalzscheiterte die Einrichtung eines zweiten Hauses, in dem neben den Kommunen auch Wirtschaftskammern und Universitäten vertreten sein sollten, nur ganz knapp. Bis heute aber ist in der Landesverfassung immerhin eine sog. "Hauptwirtschaftskammer" (Art. 71) vorgesehen, die ein "Zentralorgan der Wirtschaft" darstellen soll . In den als öffentlich-rechtliche Körperschaften organisierten Kammern sollten Arbeitgeber und -nehmer zusammenwirken, in den IHK sogar paritätisch vertreten sein (Art. 69 LVerf. Rheinland-Pfalz) . Der rheinland-pfälzische Verfassungsautor Adolf Süster­henn übernahm diese Ideen ganz unmittelbar von Benedikt Schmittmann.98 Das war kein christlicher Sozialismus, sondern die institutionalisierte Überwindung des Klassenkampfes im

92 Dennewitz (wie Anm. 67) , S. 15. 93 Benz, Föderalistische Politik (wie Anm. 78), S. 781. 9-1 Vgl. auch Heinrich Hellwege, Die föderalistische Lebensordnung (1953), in: Hellwege (wie Anm. 86) ,

S. 75-83, hier: S. 76. 95 Vgl. Heuss (wie Anm. 73), S. 136. 96 Vgl. zuletzt Huhn (wie Anm. 13), S. 175-235. '17 Vgl. etwa Adolf Süsterhenn, Senats- oder Bundesratssystem? Zum Problem der Gewaltenteilung

innerhalb der Legislative, in: Staats- und Verwaltungswiss. Beiträge. Hg. v. d. Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, S. 73-95.

98 Vgl. Schmittmann, Bundesprogramm (wie Anm. 22), S. 11.

180

Föderalismus als Weltanschauung

Sinne einer ständischen Verfassung. In der Praxis scheiterte diese geänderte Kammerord­nung.99 Aber auch die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung durch die Landesverfassungen der Nachkriegszeit ist Ergebnis der Föderalismusdebatte. Süsterhenn setzte sich in Rheinland­Pfalz noch in den 50er Jahren intensiv für die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern auf der Ebene der Regierungsbezirke ein. 100 Die Einrichtung eines Bezirkstags für die Pfalz ist auf diesem Hintergrund zu sehen. Daß man damit auch dem aus dem Land strebenden Landesteil entgegenkommen wollte, war erst ein pragmatisches Argument, das der grundsätzlichen Überlegung folgte. Die Großstadtkritik der Weimarer Jahre fand ebenso wie der Föderalismus in der Nachkriegs­zeit eine Fortsetzung. Die Forderung nach Auflösung des Molochs Stadt wurde nach dem Krieg ganz unmittelbar aufgegriffen. Es entstanden also nicht etwa aufgrundder Kriegserfah­rung neue Vorschläge zur Lösung der großen Wohnungsnot, sondern alte sozialordnende Konzepte erschienen nun umso angemessener. 1946 forderte Oberregierungsrat Richard Giesen vom Oberpräsidium in Koblenz in Entwürfen für Präsidialerlasse zur "Förderung einer landwirtschaftlichen Nebenbeschäftigung" und zur "Förderung stärkerer Verbindung des Volkes mit Grund und Boden" die "Vermischung von Landwirtschaft und Industrie" . So war bereits seine Kölner Dissertation von 1923 überschrieben. Der Einsatz in der Nachkriegszeit ist ohne diese geistesgeschichtliche Prägung nicht verstehbar .101 Gerhard Schulz geht dagegen davon aus, daß das Eigenheimkonzept Erfahrungen "mit der politischen Radikalisierung der ,Massen' [ . .. ], mit dem Halt und der Orientierung, die die Familie und der Glaube in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur vermittelt hatten, schließlich mit dem Nutzen des Eigenheims und Gartens in den Zeiten des Hungers und der Währungsreform" verarbei­tete.102 Ziel der Siedlungspolitik war die "Entproletarisierung des Proletariats". Hans Kampffmeyer jr., Sohn eines der wichtigsten Protagonisten der Gartenstadtbewegung in Deutschland und selbst an Planungen von Trabantenstädten in der Nachkriegszeit beteiligt, erkennt in der gartenstädtischen Forderung nach Dezentralisierung "so etwas wie die Postulierung eines ,Subsidiaritätsprinzips"' .103 Föderalismus und Siedlungsidee waren Ausprägungen des Wun­sches nach Überwindung der Klassengesellschaft, die in eine harmonisierte Gemeinschaft von Bürgern überführt werden sollte.

'11 Vgl. Georg W. Storch, Die Hauptwirtschaftskammer von Rheinland-Pfalz. Organisation, Ziele, Erfahrungen und Lehren im Hinblick auf die Pläne zur Errichtung eines Bundeswirtschaftsrates, Diss. rer. pol. (masch.) Mainz 1963.

1oo Vgl. LHAK Best. 880 Nr. 6047. 101 Dazu demnächst Peter Heil, "Ein Häuschen mit Garten". Die soziale Utopie des rheinland-pfälzischen

Ministerialrats Dr. Richard Giesen (1900-1972), voraussichtlich in: Jahrbuch für westdeutsche Lan­desgeschichte 1995.

102 Gerhard Schulz, Wiederaufbau in Deutschland. Die Wohnungsbaupolitik in den Westzonen und der Bundesrepublik von 1945 bis 1957, Düsseldorf 1994, S. 263.

103 Vgl. Hans Kampffmeyer, Die Gartenstadt: ein Modell für die Großsiedlung nach dem zweiten Weltkrieg?, in: Franziska.Bollerey/Gerhard Fehi/Kristiana Hartmann (Hg.), Im Grünen wohnen- im Blauen planen. Ein Les~buch zur Gartenstadt mit Beiträgen und Zeitdokumenten, Harnburg 1990, S. 369 ff., hier: S. 371.

181

Peter Heil

Allerdings entwickelte sich im Lauf der 50er Jahre bald aus dem Gedanken der "familienmä­ßigen Bindung an die Scholle" die Idee des Eigenheims mit Garten. Im zweiten Wohnungs­baugesetz heißt es noch, daß eine Kleinsiedlung der Selbstversorgung dienen soll und die vorwiegend gartenbaumäßige Nutzung des Landes und die Kleintierhaltung das Einkommen des Siedlers ergänzen sollen.Hl4 Doch in den fünfzig er Jahren entwickelte sich aus der Förderung des Siedlungswesens eine entideologisierte Wohnungsbauförderung. Auch dieser Wandel weist starke Parallelen zur Entwicklung des Föderalismus-Begriffs auf. Die Umset­zung der Siedlungspolitik lag in der Hand bürokratisierter Zentralen, seien es die einzelnen Siedlungsträger oder die staatlichen und kommunalen Behörden, und sie war auch nur so möglich. Dies war das Dilemma der Föderalisten. Der Föderalismus mußte sich zur Durchsetzung seiner Ideen des modernen Leistungsstaats bedienen, legitimierte ihn damit neu und söhnte sich mit dem Staat aus. Das Scheitern des radikalen Föderalismus verweist wohl auch auf die Aussöhnung des konfessionell geprägten Bürgertums mit der Moderne in der zweiten Repu­blik. Das Neue Abendland oder die Föderalistischen Hefte stellten ab Mitte der 50er Jahre ihr Erscheinen ein. Der Föderalismus hatte seine Funktion als Katalysator der Unzufriedenheit mit der modernen Gesellschaft offenbar erfüllt. Er konnte nun als "Staatsstrukturprinzip" in die juristischen Lehrbücher wandern.

Illl Zit. n. Kleinsiedlungen im Landkreis Bielefeld, in: Georg Wagner, Wohnraum für Alle. Der Soziale Wohnungsbau in Bielefeld 1950-1990. Mit einem Aufsatz von Marina Becker. AussteUungskatalog, Bielefeld 1991, S. 44f. , hier: S. 44.

182