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Fach Ethnologie Sibirienexkursion 1999 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“ Eine partizipative Feldstudie bei Angehörigen der deutschen Minderheit in einem sibirischen Dorf Michael Schönhuth Felix Kupper / Dagmar Horn Materialien zur Trierer Ethnologie

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Fach EthnologieSibirienexkursion 1999

„Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“Eine partizipative Feldstudie bei Angehörigen der deutschen Minderheit

in einem sibirischen Dorf

Michael Schönhuth Felix Kupper / Dagmar Horn

Materialien zur Trierer Ethnologie

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Universität Trier / Institut für Ethnologie

Trierer Materialien zur Ethnologie Heft 1Kontakt: [email protected]

ISSN 1616-7147

Redaktion, Gestaltung: Michael Schönhuth, Dagmar HornSatz / Druck: Technische Abteilung der Universität Trier

(verantw.: H. Mitscher und F. Martin) Bindung: Wolfgang Schwind, Trier

Alle Rechte vorbehaltenPrinted in Germany

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Die Sibirienexkursion der Trierer Ethnologie

Die Trierer Ethnologie bietet im Rahmen ihres Studienange-bots regelmäßig eine große Exkursion an. Über diese Exkur-sionen sollen die Studierenden an den Forschungsgegen-stand der Ethnologie, das „kulturell Fremde“, praktisch her-an geführt werden. Sie bekommen einen Einblick in die kul-turelle Dimension von Entwicklung und erhalten Gelegen-heit, einzelne Methoden ethnologischer Feldforschung aus-zuprobieren. Der für ethnologische Verhältnisse kurze Fel-daufenthalt von 3–4 Wochen erfordert eine jeweiligeSchwerpunktsetzung der Exkursion. Bei der Exkursion nachNepal im Herbst 1997 lag dieser neben den sichtbaren Mani-festationen der Religion (Hinduismus, Buddhismus) vorallem auf kulturellen Fragen der Entwicklungszusammenar-beit und der Regionalentwicklung. Für die Sibirienexkursion 1999 stand inhaltlich die Frage derkulturellen Identität von Russlanddeutschen und methodischdie Verknüpfung von ethnologischen mit partizipativen For-schungsmethoden im Vordergrund. Noch vor der Exkursionrecherchierte eine Studentengruppe über die Situation derRußlanddeutschen in Trier, machte Interviews und drehtedazu einen Film.1

Der übrige Teil der Exkursion führte in enger Kooperationmit dem ethnographischen Institut von Novosibirsk in dieautonome Republik Burjatien:● zu zwei Dörfern von Altgläubigen (einer Gruppe, die

Kirchenreformen der vergangenen Jahrhunderte ablehntund sich äußerlich wie innerlich von der vorherrschendenrussisch-orthodoxen Kirche distanziert);

● in ein Fischerdorf am Baikalsee und ein Bergdorf in denOstsayanen, die beide mehrheitlich von Burjatenbewohnt sind und in denen Schamanismus undBuddhismus verbreitete Glaubens- beziehungsweiseReligionsformen sind.

Dieser Teil der Exkursion ist videographisch und fotogra-phisch dokumentiert, aber nicht Gegenstand der vorliegen-den schriftlichen Dokumentation im Dorf Zakovrjazhino.

Michael Schönhuth im August 2000

1 Rußlanddeutsche: den Deutschen gleichgestellte Ausländer. Integrationund Identität von russisch-deutschen Aussiedlern in Trier. Video VHSFarbe, 43. Min. Trier 1999.

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4 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

Dank

Vorweg möchten wir uns bei den Bewohnern desDorfes Zakovrjazhino für die überaus herzliche Auf-nahme und den schönen Aufenthalt bedanken. DieDorfbewohner zeigten sich immer kooperativ undoffen unseren Fragen gegenüber.Ein spezieller Dank geht an die unermüdliche FrauEkatharina Abramowskaja, die unseren fünftägigenBesuch maßgelich koordinierte.Ein herzliches Danke geht an die Familie Abramows-ki, Frau Axt, die Familie Hahn, das Ehepaar Otto, dieFamilie Steinpreis, das Ehepaar Trautwein und FrauWolf, bei denen wir leben durften. Bei Herrn Schönhuth möchten wir uns bedanken,dass er diese Exkursion angeboten hat, da man solcheMöglichkeiten nicht als selbstverständlich betrachtendarf.

Felix Kupperim Namen der

Exkursionsteilnehmer

Begrüßung in traditioneller russischer Tracht

Dank

Vorweg möchten wir uns bei den Bewohnern desDorfes Zakovrjazhino für die überaus herzliche Auf-nahme und den schönen Aufenthalt bedanken. DieDorfbewohner zeigten sich immer kooperativ undoffen unseren Fragen gegenüber.Ein spezieller Dank geht an die unermüdliche FrauEkatharina Abramowskaja, die unseren fünftägigenBesuch maßgelich koordinierte.Ein herzliches Danke geht an die Familie Abramows-ki, Frau Axt, die Familie Hahn, das Ehepaar Otto, dieFamilie Steinpreis, das Ehepaar Trautwein und FrauWolf, bei denen wir leben durften. Bei Herrn Schönhuth möchten wir uns bedanken,dass er diese Exkursion angeboten hat, da man solcheMöglichkeiten nicht als selbstverständlich betrachtendarf.

Felix Kupperim Namen der

Exkursionsteilnehmer

Begrüßung in traditioneller russischer Tracht

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Inhalt

1 Zusammenfassung und Ergebnisse ....................................................................................................................... 6

2 Einleitung................................................................................................................................................................. 8

3 Exkursionsvorbereitung ......................................................................................................................................... 9

3.1 Theoretische und methodische Vorbereitung ............................................................................................................ 9

3.1.1 Filmethnologie .......................................................................................................................................................... 9

3.1.2 Rapid Rural Appraisal (RRA) und Participatory Appraisal (PRA) .......................................................................... 9

3.1.3 Vorbereitungsseminar Sibirien.................................................................................................................................. 10

3.2 Ergebnisse der Vorbereitung ..................................................................................................................................... 10

3.2.1 Vorstellungen und Erwartungen................................................................................................................................ 10

3.2.2 Forschungsfragen und -ziele ..................................................................................................................................... 11

3.2.3 Zeitliche Planung des Dorfaufenthaltes .................................................................................................................... 12

4 Der Feldaufenthalt .................................................................................................................................................. 13

4.1 Geographie und Klima des Gebiets um Zakovrjazhino............................................................................................ 13

4.2 Methoden .................................................................................................................................................................. 14

4.2.1 Contracting................................................................................................................................................................ 14

4.2.2 Mapping .................................................................................................................................................................... 14

4.2.3 Transekt (Dorfbegehung) .......................................................................................................................................... 15

4.2.4 Systemdiagramm (Ressourcenkreislauf) .................................................................................................................. 15

4.2.5 Venn-Diagramm (Institutionen-/Akteursdiagramm)................................................................................................. 17

4.2.6 Feedbacktreffen......................................................................................................................................................... 17

4.3 Ergebnisse der Dorferhebung.................................................................................................................................... 18

4.3.1 Kolchose als Wirtschaftsform ................................................................................................................................... 18

4.3.2 Öffentliche Gebäude und soziale Einrichtungen der Kolchose ................................................................................ 20

4.3.3 Besitzverhältnisse und Landrecht ............................................................................................................................. 22

4.3.4 Leben außerhalb der Kolchose.................................................................................................................................. 22

4.3.5 Die Geschichte des Dorfes Zakovrjazhino ............................................................................................................... 25

4.3.6 Sammlung von Einzelinformationen ........................................................................................................................ 25

4.3.7 Zukunftsszenarien ..................................................................................................................................................... 26

4.4 Deutsche in Zakovrjazhino ....................................................................................................................................... 27

4.4.1 Deutsche in Russland – ein geschichtlicher Überblick............................................................................................. 27

4.4.2 Verhältnis der Nationalitäten zueinander ................................................................................................................. 28

4.4.3 Vertreibung und Heimatverständnis.......................................................................................................................... 28

4.4.4 Deutsche untereinander............................................................................................................................................. 29

4.4.5 Deutschlandbild ........................................................................................................................................................ 30

4.4.6 Aussiedlung nach Deutschland ................................................................................................................................. 31

4.5 Auswertung und Feedback........................................................................................................................................ 31

5 Schlusswort .............................................................................................................................................................. 34

6 Literatur................................................................................................................................................................... 35

7 Anhang ..................................................................................................................................................................... 36

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6 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

1 Zusammenfassung und Ergebnisse

Ziel des fünftägigen Feldaufenthaltes in dem sibirischen OrtZakovrjazhino war es, mit teilnehmender Beobachtung undpartizipativen Erhebungsmethoden2 den Alltag in einem bäu-erlich geprägten russischen Dorf und insbesondere die Lageder Bewohner deutscher Nationalität zu untersuchen. InAnbetracht der kurzen Aufenthaltsdauer haben wir viel inErfahrung gebracht. Wir erhielten Einblick in die Funktionsweise und die Akti-vitäten der verschiedenen Kolchoseeinrichtungen, in die sichwandelnden Besitzverhältnisse und das seit 1992 veränderteBodenrecht. Wir ermittelten neue Wirtschaftsstrategien vonselbständigen Bauern und Strategien der Selbstversorgung.Wir diskutierten über die Rolle der Kirchen im Ort und dieFrage, wie es mit dem Dorf Zakovrjazhino in Zukunftweitergehen könnte.Auch über das „Deutschtum“ erhielten wir eine Fülle vonInformationen und Einschätzungen. Die Privilegien derDeutschen im zaristischen Russland kennt die heutige Gene-ration der Alten nur noch vom Hörensagen. Ihre Schicksalesind voller Geschichten der Unterdrückung und Vertreibung,die uns nicht unberührt ließen. Wir stellten fest, dass in derälteren Generation noch ein ausgeprägtes Wir-Gefühl alsDeutsche existiert. Es definiert sich vor allem über● die Pflege der gemeinsamen Sprache ● das erinnerte gemeinsame Schicksal des Ausgegrenzt-

seins und der Vertreibung ● die gepflegten Verwandtschafts- und Heiratsbeziehungen ● „deutsche“ Feste und Lieder ● den Bezug auf eine empfundene deutsche Mentalität, die

sich insbesondere durch Charakteristika wie Zielstrebig-keit, Fleiß, moralische Integrität, Sauberkeit und Ord-nung auszeichnet

● ein Gefühl der technischen und intellektuellen Überle-genheit beziehungsweise der Rolle von „Kulturbringern“gegenüber den Einheimischen in der Zeit nach dererzwungenen Ankunft in Sibirien.

Wir konnten auch feststellen, dass für die Jungen der Unter-schied zwischen Deutschen und Russen immer mehr in denHintergrund rückt und die Zugehörigkeit zu einer Nationa-lität als ethnische „Grenzmarker“ immer unbedeutenderwird.3

Das Heimatverständnis, so hatten wir den Eindruck, ist eingleichzeitig starkes und gebrochenes. Für viele ist die Wol-garegion die eigentliche Heimat, ein Traum, der mit Jelzinsnicht eingelöstem Versprechen auf eine autonome Wolgare-publik Anfang der 90er Jahre neue Nahrung erhielt. Für dieAlten ist Deutschland die zweite Heimat; für manche auchnur noch imaginierter Ort historischer Identifikation. Für dieJungen ist Russland fast uneingeschränkt die erste Heimat,„… mein liebes Land,“ wie der 17-jährige Jaroslaw im Vide-ointerview feststellt, „… und Deutschland ist, wie sagt man,Land, wo kommen meine Eltern, meine Urgroßeltern, – nurdas“.Das bestehende überwiegend positive Deutschlandbild stütztsich hauptsächlich auf Berichte von ausgesiedelten Ver-wandten oder Bekannten, die Briefe schreiben oder zuBesuch nach Zakovrjazhino kommen und in der Regel vorallem die positiven Erfahrungen weitergeben. Aber es gab

auch differenzierte Stellungnahmen, die eine realistischeEinschätzung der nicht ganz einfachen Startbedingungen fürRusslanddeutsche im heutigen Deutschland wiedergaben.Eine ungefähr 50-jährige Frau, die zum Abschlussfest extraaus einem Nachbarort gekommen war, brachte ihr Deutsch-landbild folgendermaßen auf den Punkt: „Von Deutschland,was wissen wir? Wir wissen von Deutschland aus der Schu-le, was wir in der Schule gelernt haben. Nu, so wissen wirüber Deutschland nix.“Die Aussiedlung nach Deutschland war während der ganzenWoche Gesprächsthema. Viele, die ausreisen wollten, habendas in den letzten Jahren getan. Manche sitzen aufgepackten Koffern und warten nur noch auf die Ausreisepa-piere. Der Informationsbedarf über die Formalitäten warenorm und nicht alle Fragen konnten wir beantworten. „Hättich Fliegel, würd’ ich nach Deutschland fliegen“, sagte unseine alte Dorfbewohnerin. Wie andere Vertreter der älterenGeneration hat sie abgewogen: die Argumente zu bleibenhaben trotz der Sehnsucht nach der „Heimat“ überwogen.Den einen ist es, nach einem Leben voller Vertreibungser-fahrungen zu viel, noch einmal umzusiedeln, andere habenKinder, die mit Russen verheiratet sind und die sie nicht ver-lassen wollen. Russische Familienmitglieder wollen in derRegel nicht nach Deutschland: „Nu, mein Mann will mit mirin Russland wohnen. Leben ist besser, wie mir leben“, wieeine Bewohnerin sagte, auch wenn sie besuchsweise schongern mal nach Deutschland fahren würde.Wie ist der Erfolg der Exkursion einzuschätzen? Was stehtauf der Haben-Seite? Die relativ intensive Vorbereitung mitverteilten Spezialaufgaben (Filmgruppe, PRA-Gruppe) hatsich gelohnt. Die Filmgruppe hat im Dorf weitgehend selb-ständig agiert und neben Aufnahmen unserer Aktivitätenaussagekräftige Einzel-Interviews geführt und, wie beimLiedgutvortrag von „Oma Sophie“, unwiederbringlicheMomente festgehalten. Die PRA-Methoden haben sich aus-nahmslos als taugliche Erhebungsinstrumente erwiesen. Wosie eingesetzt wurden, generierten Dorf-Mapping, Transekt,Venn-Diagramm, Ressourcen-Diagramm und die anderenVisualisierungsmethoden eine Fülle an Informationen. Auchdie abendlichen Rückmeldungs- und Auswertungsrundenerfüllten ihren Zweck. Erkenntnisbausteine, die einer Grup-pe fehlten, wurden von anderen Kleingruppen aus ihrenTagesaktivitäten geliefert. So konnten wir zum Beispiel erstdurch das Zusammenfügen von Einzelinformationen zu

2 Partizipative Forschung geht auf die siebziger Jahre zurück und wurdedort als integratives Konzept verstanden, das wissenschaftliche Unter-suchung, Aufklärungsarbeit und Handlungsorientierung in sozialenKontexten miteinander verband. Als „Rapid Rural Appraisal“ (RRA)hielt der Ansatz Anfang der 80er Jahre Einzug in die Entwicklungszu-sammenarbeit. Er verbindet qualitative Erhebungs- und Visualisie-rungstechniken mit der Einbeziehung der lokalen Bevölkerung in dieUntersuchung (Hall 1981; Schönhuth 1996 & 2000; Smith et al. 1997).

3 Wir sind uns auf der anderen Seite durch Beispiele der jüngsten Zeit inRuanda, Jugoslawien oder den sowjetischen Nachfolgestaaten ebensobewusst, dass die ethnische Karte eine aktualisierbare Kategorie imKampf um die Verteilung von Ressourcen bleibt und unter sich ver-schärfenden politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Bedingungenwieder „gezogen“ werden kann. So berichteten uns potentielle Aus-siedler aus der Republik Kasachstan von einer dort zunehmend feind-lichen Stimmung gegenüber Deutschen und anderen Nichtkasachen(vgl. auch Ohliger 1999).

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Zusammenfassung und Ergebnisse 7

einem Verwandtschaftsdiagramm feststellen, dass wir zwarin ganz unterschiedlichen Familien, aber mehr oder wenigerinnerhalb eines großen, verzweigten Familienclans unterge-bracht waren. Auch erleichterten die Visualisierungen dieVorbereitung auf das Dorf-Feedback am Schluss des Aufent-haltes. Ein unschätzbarer Vorteil war die Unterbringung in Fami-lien. Auch wenn diese Form des Feldaufenthaltes in der Vor-bereitung und Organisation aufwändiger und für manchenphysisch und emotional anstrengender war, die Studierendenbekamen auf diese Weise eine Ebene der Begegnung ver-mittelt, die intensiver und verbindlicher war, als wenn dieGruppe eine zentrale, „geschützte“ Unterkunft bezogen hät-te. Wir achteten darauf, dass in jeder Familie zumindest einTeammitgied mit Russischkenntnissen untergebracht war.Trotzdem war neben der Offenheit, Gastfreundlichkeit undGeduld unserer Gastgeber die gemeinsame deutsche Sprach-ebene ein wichtiger Kommunikationskitt. Der schwäbisch-hessisch-russisch durchsetzte Dialekt war für manche vonuns allerdings gewöhnungsbedürftig. Auch einige Gastfami-lien mussten sich an den intensiven Austausch in der jahr-zehntelang in Russland verpönten und unterdrückten Spra-che der als „Faschisten“ apostrophierten Deutschen erst wie-der gewöhnen. Für manche war es das erste mal seit Jahren,dass sie sich auch untereinander auf deutsch unterhieltenoder auf einem Fest traditionelles deutsches Liedgutanstimmten.Was gibt es auf der Soll-Seite zu verbuchen? Was hat nichtgeklappt? Das geplante Highlight des Aufenthaltes, die Vor-führung und Diskussion unseres im Vorfeld gedrehten Filmsüber Russlanddeutsche in Trier war keines. Wir bekamendazu keine Rückmeldung von unseren Gastgebern. Das magteilweise am für manche doch nicht so leicht verständlichendeutschen Kommentar des Films gelegen haben. Ein Grundkönnte auch sein, dass man sich das schöne Deutschlandbildnicht beeinträchtigen lassen, die teilweise kritischen Innen-ansichten der Ausgereisten nicht mit uns diskutieren wollte.Auch die zum Abschluß geplanten Kleingruppendiskussio-nen anhand unserer Plakate kamen nicht zustande. Vielleichtwar der Bedarf an Information und Austausch auf der Seiteunserer Gastgeber gedeckt. Vielleicht war unsere Agenda zuBeginn unseres Aufenthaltes nicht transparent genug oder esgab für uns nicht sichtbare Gründe. Aus Zeitgründen konn-ten wir dies nicht mehr in Erfahrung bringen. Die Begegnung mit dem „Deutschtum“ war für die Studie-renden wie auch die Exkursionsleitung ambivalent. Als Gastaus Deutschland war es ein angenehmes Gefühl, quasi alsVertreter der „Heimat“ empfangen und behandelt zu werden.Allerdings entsprach unser Auftreten wohl in vielem nichtdem Bild, das unsere Gastgeber mit dem Deutschsein ver-binden. Auch für uns war die Begegnung gelegentlichbefremdlich, wenn nicht gar bedrückend: in Situationen, wounverhohlener Nationalstolz zum Ausdruck gebracht wurdeoder wenn abwertende Bemerkungen über Nicht-Deutsche(„die Russen“, „die Juden“) geäußert wurden. Mit etwas mehr Zeit wäre noch einiges möglich gewesen:

Primärquellenstudium (amtliche Dokumente, Kataster), ver-tiefende Einzel- und Gruppeninterviews zu den obengenannten Themenbereichen, Familiengenealogien, Schü-leraufsätze zum Thema „Identität“ zum Beispiel oder einsystematischer Survey (Totalerhebung oder Stichprobe) zurValidierung der sich aus unserer nichtstandardisiertenZufallsauswahl und Einzelbefragungen ergebenden Hypo-thesen. Auch die Einbindung der russischen Bewohner wäreim Fortgang einer solchen Untersuchung unabdingbar gewe-sen. Erste Kontakte für die russisch Sprechenden unter unsergaben sich schon während unseres Aufenthaltes. Ein Fazit bezüglich der Verknüpfung partizipativer Untersu-chungsmethoden mit anderen, rein forschungsorientiertenAnsätzen lässt sich schon jetzt ziehen. Die Ergebnisse dieserkleinen Gruppen-Feldforschungsübung ließen sich zurFokussierung eines konventionellen Surveys ebenso nutzenwie als Einstieg in eine klassische anthropologische Feldfor-schung. Im Vergleich zur Situation eines allein forschendenEthnologen hat der partizipative Gruppenansatz folgendeVorteile: ● Einbeziehung einer Vielzahl von Informanten von

Anfang an (das reduziert die potentielle Verzerrungdurch die klassische ethnologische „Loyalitätsfalle“gegenüber einem oder wenigen Schlüsselinformanten)

● Offenheit und relative Transparenz der Untersuchungs-fragen und des Forschungsprozesses für die sich beteili-genden Dorfbewohner beziehungsweise das ganze Dorf

● regelmäßige Feedbackmöglichkeiten innerhalb desTeams und mit den Bewohnern

● relativ rasche Produktion von vorläufigen Forschungser-gebnissen und Hypothesen, die an die Beforschtenzurückgemeldet, mit ihnen diskutiert und anschließendnoch einmal korrigiert werden können.

Allerdings vermag partizipative Gruppenforschung den Vor-teil der langfristigen teilnehmenden Beobachtung mit ihremWechsel zwischen erfahrungsnaher („dichter“) und struktu-rierter („dünner“) Beschreibung nicht zu ersetzen. Ein Ver-gleich zwischen beiden Ansätzen zeigt „… ganz deutlich,daß Methoden wie das RRA nur im Kontext zusätzlicher,qualitativer, auf intime Kenntnisse lokaler Strukturen undkultureller Zusammenhänge beruhender Forschungsergeb-nisse sinnvoll sind, (und) „… daß die teilnehmende Beob-achtung und damit das Entwickeln einer kommunikativenund persönliche Beziehung zur Bevölkerung für die Erfas-sung sozialer Phänomene unersetzlich ist“ (Hess et al. 1998:20).Partizipative Methoden und ethnologischer Feldforschungs-ansatz lassen sich für Raum-, Sozial- und Wirtschaftswissen-schaftler nutzen. Sie sind in der Dorf- oder Regionalentwik-klung genauso einsetzbar wie in der Unternehmensberatung.Was die Verknüpfung beider Ansätze im Rahmen einerexplorativen Studie anbetrifft, so können Sie sich als LeserInanhand dieser Dokumentation ein eigenes Urteil bilden. AusSicht der Exkursionsleitung war die Lehrforschung inZakovrjazhino ein starker Beleg für den Wert einer solchenKombination.

Michael Schönhuth

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8 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

2 Einleitung

Im Rahmen einer Sibirien-Exkursion des Faches Ethnologieder Universität Trier besuchten wir in der Woche vom 21.August bis zum 26. August 1999 das Dorf Zakovrjazhino.

Wo liegt eigentlich das Dorf mit dem für uns so unaus-sprechlichen Namen Zakovrjazhino und wie kamen wir dort-hin? Die etwa 1600 Seelengemeinde Zakovrjazhino liegt imRajon (russische Gebietsverwaltungseinheit) Suzun in Sibi-rien, etwa 170 km südlich von Novosibirsk. Der Kontakt zudiesem Dorf kam durch die Ethnologie-Studentin DagmarHorn und ihre russlanddeutsche Bekannte in Trier zustande.4

Ziel des einwöchigen Aufenthaltes in Zakovrjazhino Ziel des Aufenthaltes war es, mit Hilfe teilnehmender Beob-achtung und partizipativen Methoden den Alltag in einembäuerlich geprägten russischen Dorf und insbesondere dieLage der Deutschen zu erheben. Schwerpunkte legten wirdabei auf folgende Fragen:● Was bedeutet bäuerliches Leben und Wirtschaften auf

dem Land heute (Kolchose, selbständige Bauern, Subsi-stenzwirtschaft, Liberalisierung des Marktes)?

● Wie war die Situation der Deutschen in Russland früher,wie hat sie sich nach der Wende in den 1990ern gewan-delt? Wo liegen die Perspektiven?

● Gibt es so etwas wie eine „deutsche“ Identität? Woranmacht sie sich fest?

● Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Deutschenund Russen im Alltag? Gibt es noch wahrnehmbare oderdiskutierte Unterschiede?

● Welches sind die Motivationsgründe hier zu bleiben odernach Deutschland zu gehen? Gibt es Unterschiede zwi-schen den Generationen?

Die Studierenden sollten eine Woche lang in Familien woh-nen, deren Lebensverhältnisse kennenlernen und an derenAlltag teilnehmen. Für die Exkursionsleitung war der Auf-enthalt auch ein Experiment, inwiefern eine partizipativeGruppenerhebung als sinnvolle Vorbereitung für eine ethno-logische Feldforschung dienen kann.

KontaktpersonenUnsere Kontaktperson in Zakovrjazhino war die dort leben-de, deutschstämmige Deutschlehrerin Ekatharina Abra-mowskaja. So wurden im Vorfeld in Zakovrjazhino deutsch-stämmige und deutschsprachige Familien ausgesucht, diejeweils zwei Studenten aus unserer Gruppe aufnehmen soll-ten. Dies wurde so organisiert, da nur wenige Exkursions-teilnehmer russisch sprachen. Einen weiteren glücklichenUmstand bedeutete für uns die ständige Begleitung durch diejunge Ethnologin Natascha Goppe vom ethnographischenInstitut in Novosibirsk. Sie war uns nicht nur äußerst hilf-reich beim Bewältigen der Sprachprobleme, sondern erklär-te uns vielfach jene Hintergründe, die nötig waren, um Russ-land und seine Bewohner besser zu verstehen.

Wir über unsUnsere Exkursionsgruppe unter der Leitung von Dr. MichaelSchönhuth und Dagmar Horn setzte sich zusammen aus drei-zehn Studierenden der verschiedensten Fachbereiche, diealle Ethnologie im Nebenfach studieren. An der UniversitätTrier wird Ethnologie ausschließlich als Nebenfach angebo-ten. Die vertretenen Hauptfachrichtungen waren Geogra-phie, Psychologie, Kunstgeschichte und Politik. Das ver-deutlicht die interdisziplinäre und anfangs inhomogeneGruppenstruktur. Die Namen der Teilnehmer sind am Endedes Berichtes aufgeführt.

4 Dagmar Horn, zu der Zeit Wissenschaftliche Hilfskraft in der Ethnolo-gie und Sibirienkennerin, nutzte im Vorfeld ihre Kontakte zu Rußland-deutschen in Trier und zur Universität in Novosibirsk, um die Exkur-sion mit vorzubereiten. Im März/April 1999 war sie für drei Wochen inNovosibirsk und am Baikalsee, um die Exkursionspunkte mit denBeteiligten vor Ort durchzusprechen, ein geeignetes (und bereitwilli-ges) Dorf für unsere Aufnahme zu finden und die notwendigen finan-ziellen und visarechtlichen Vereinbarungen zu treffen .

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Exkursionsvorbereitung 9

3 Exkursionsvorbereitung

3.1 Theoretische und methodische Vorbereitung

Im Sommersemester 1999 wurden im Fach EthnologieSeminare zum ethnographischen Film, zu partizipativen Ver-fahren und zu Sibirien angeboten, die von Exkursionsteil-nehmern zur Vorbereitung genutzt wurden:

3.1.1 Filmethnologie

In einem Seminar zur Filmethnologie erlernten drei Studen-tinnen die notwendigen Schritte zur Fertigstellung eines eth-nographischen Films. Als Abschluss dieses Seminars dreh-ten sie einen 45-minütigen Videofilm, der anhand von Inter-views die Situation der Russlanddeutschen in Trier festhieltund sich vor allem um die Erfahrungen der Integration als(Russland-) Deutsche in Deutschland drehte.5 Den zweitenTeil dieser Videodokumentation sollten Interviews mitBewohnern in Zakovrjazhino bilden, die nach ihrer Identität,als „Deutsche“ unter Russen, und zu ihren Vorstellungen vonDeutschland als Heimat befragt wurden.

Interview mit einem Dorfbewohner in Zakovrjazhino (D.F.)

Das in Trier gedrehte Video wurde am Ende des Dorfaufent-haltes in Zakovrjazhino den dortigen Bewohnern gezeigt,um ihnen ein „Bild“ von der durchaus differenzierten Situa-tionsbeschreibung der Ausgereisten zu vermitteln und mitihnen möglicherweise in eine Diskussion über die unter-schiedliche Wahrnehmung der „deutschen“ Heimat einzu-steigen.

3.1.2 Rapid Rural Appraisal (RRA) und ParticipatoryAppraisal (PRA)

In einem Seminar zu „Participatory Appraisal (PRA)“erlernten weitere Exkursionsteilnehmer zentrale Instrumenteder partizipativen Dorferhebung, wie sie in der Dorfentwik-klung immer häufiger Verwendung finden. Neben der teil-nehmenden Beobachtung bildeten diese Instrumente dasmethodische Rückgrat unserer Dorfaktivitäten.

„Rapid Rural Appraisal (RRA) ist ein in der Entwicklungszu-sammenarbeit Anfang der 80er Jahre entstandener sozialwis-senschaftlicher Ansatz, bei dem ein multidisziplinäres Teamvor Ort mittels nicht standardisierter, einfacher Methoden undunter Einbeziehung des Wissens der lokalen Bevölkerung in

kurzer Zeit handlungsrelevante Informationen und Hypothesenüber ländliches Leben und ländliche Ressourcen sammelt, ana-lysiert und bewertet.“ Participatory Appraisal (PRA) betont dieaktiven Rolle der Bevölkerung bei der Problemanalyse und Pla-nung. Sie soll sich als Besitzer der Untersuchungsergebnissefühlen können und die daraus abgeleiteten Aktivitäten selbst indie Hand nehmen ( vgl. SCHÖNHUTH & KIEVELITZS, 1993: V).

RRA und PRA greifen auf einen Korb von informellen, aberstrukturierten und aufeinander aufbauenden Erhebungsin-strumenten zurück. Sie reichen von gemeinsamer Ortsbege-hung, über Beobachtungstechniken und halbstrukturierteInterviews bis zu gemeinsam erstellten Diagrammen, Kartenund Modellen. Die Instrumente werden nach ihrem Partizi-pationsgrad ausgewählt, das heißt, sie müssen klar, anschau-lich, einfach, lokal angepasst und für Veränderungen offensein. Dabei spielt die gemeinsame Visualisierung eine zen-trale Rolle. Beide Ansätze sind darüber hinaus mit Schlüsselprinzipienverbunden. Zu den wichtigsten zählen:● Mindestens mehrtägiger Dorfaufenthalt und Arbeiten im

multidisziplinären Team● Überprüfen der Information durch Triangulation ver-

schiedener Erhebungstechniken● „optimale Ignoranz“ und „angepasste Ungenauigkeit“

bei der Sammlung von Daten (Ausblenden von nichtuntersuchungsrelevanten Dimensionen; Verzicht auf zugroße Exaktheit bei der Erhebung von Einzelinformationzugunsten eines Gesamtbildes)

● sequentielles Aufeinanderfolgen sich ergänzender Instru-mente

● allabendlicher Erfahrungsaustausch im Team und rollen-de Planung für den nächsten Tag

● Validierung der Ergebnisse mit den Betroffenen● regelmäßige Folgetreffen und Begleitung von angestoße-

nen Prozessen.

Zum Verhältnis partizipativer und ethnologischerFeldforschungsansätzePartizipative Ansätze haben mit Ethnologie vieles gemein, inDeutschland werden sie teilweise sogar als „ethnologische“Methoden gehandelt. Wie in der ethnographischen Feldfor-schung stehen die Erfassung lokaler Traditionen und lokalenWissens im Zentrum der Aktivitäten. Wie die Ethnologie, diedafür den Begriff „emische Perspektive“ geprägt hat, beto-nen partizipative Ansätze die Bedeutung der Innenperspekti-ve von betroffenen Gruppen. Für partizipative Forscher undBerater wie für Ethnographen ist der Aufbau eines guten per-sönlichen, möglichst machtfreien Kontakts mit den Gruppen(„building rapport“) eine wichtige Grundvoraussetzung fürden gewünschten Dialog. Wie bei der ethnographischen For-schung sind die Akteure in erster Linie die Gruppen selbst.Die Externen beobachten, begleiten, versuchen zu verstehen.Sie kommen als „Lernende“, um für lokale Systeme, darausentstandene Strategien und dahinter stehende Werthaltungen

5 Rußlanddeutsche: den Deutschen gleichgestellte Ausländer. Integrationund Identität von russisch-deutschen Aussiedlern in Trier. Video VHSFarbe, 43. Min. Buch und Regie: Andrea Haller, Janette Janko, KirstenJoppe; Ethnologie: Michael Schönhuth. In Zusammenarbeit mit demIWF Göttingen. Göttingen und Trier 1999.

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10 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

offen zu sein. Selbst auf der Ebene der Methoden gibt esÜbereinstimmungen: Für beide Gruppen spielt die Teilnah-me an Alltagsprozessen eine Rolle. Formen der Beobachtung(von unauffälliger und unaufdringlicher bis teilnehmender)und des Interviews (von Schlüsselinformanten bis Gruppen,von unstrukturiert bis strukturiert) kommen beibeiden zum Einsatz, ebenso das Nachzeichnenvon Dorfgeschichte und Einzelbiographien unddas Arbeiten mit lokalen Klassifikationen undKategorien.Die deutlichsten Unterschiede bestehen im Zielund der Zeit in der man dies erreichen will:Rasche und partizipative Forschungsansätze, wiezum Beispiel das RRA, sind aus einem Hand-lungskontext heraus entstanden. Ihr Ziel ist es, inmöglichst kurzer Zeit Information für einegemeinsame und damit in der Regel konsensfähi-ge Planung mit Gruppen bereitzustellen.Geforscht wird idealer Weise in interdisziplinärenTeams gemeinsam mit den Betroffenen und nur soweit, wie es dem Handlungsziel dient (was müs-sen wir wissen, um entscheidungsfähig zu sein?).Am Ende solcher Dorfprozesse stehen deshalbauch die Rückmeldung und gemeinsame Diskus-sion der Ergebnisse sowie erste Schritte zum wei-teren Vorgehen.Wo immer lokale Bewertungskriterien und Ein-schätzungen eine Rolle spielen, wo Handlungsra-tionalitäten, Präferenzen, Beziehungen zwischenPersonen, Gruppen und Institutionen im Mittel-punkt einer Untersuchung stehen, nutzen inzwi-schen Wissenschaftler partizipative Erhebungsin-strumente als zusätzliche Erkenntnisquelle. Beiethnologischen Untersuchungen fügen sie derklassischen Feldforschungsmethode der „teilneh-menden Beobachtung“ ein visuelles und partizipa-tives Element hinzu. Daten können so mit deruntersuchten Gruppe gemeinsam erhoben undausgewertet werden (vgl. Hess et al. 1998).

3.1.3 Vorbereitungsseminar Sibirien

Alle Exkursionsteilnehmer nahmen an einem Vorbereitungs-seminar Sibirien teil. In diesem Seminar brachten uns dieTeilnehmer der PRA-Gruppe die Methoden näher, mit demZiel, diese später bei unserem „Feldaufenthalt“ in Zakovr-jazhino gemeinsam anzuwenden. Rollenspiele sollten unshelfen, uns in möglichst viele verschiedene Situationen hin-einzudenken, wie zum Beispiel in eine Verständigung amKüchentisch in einer russisch sprechenden Familie oder inkulturell bedingte Meinungsunterschiede, wie etwa derUmgang mit dem Kosovokonflikt. Weitere RRA-Methodenund deren Ergebnisse werden im folgenden dargestellt. Zusätzlich wurden mehrere Referate zu den unterschiedlich-sten Themen in den Vorbereitungsseminaren vorgetragen.Diese befassten sich mit geschichtlichen Hintergründen,dem Tourismus in Sibirien, Verhaltensregeln, der Nationali-tätenpolitik in der UdSSR, den sibirischen Religionen undnatürlich mit den Russlanddeutschen. Ein besonderes High-light während der Vorbereitung war Dagmars Russisch-Crashkurs. Gesellige Abende ließen die Gruppe näherzusammenrücken und rundeten die Vorbereitungen ab.

3.2 Ergebnisse der Vorbereitung

3.2.1 Vorstellungen und Erwartungen

In mehreren Vorbereitungstreffen sammelten wir etlicheVorstellungen über das, was uns erwarten könnte

Plakat 1: „Was fällt zu Russland ein?“ – Brainstorming

Auf dem Plakat „Was fällt zu Russland ein?“ ordneten wirdie in einem Brainstorming gesammelten Begriffe hierar-chielos unter den vier Oberbegriffen „Wissenschaft/ Kul-tur“, „aktuelle politische Fragen“, „der Russe schlecht hin“und „politisch-historisches Erbe“. Anschließend wurden dieBegriffe und Stichpunkte in unserer Gruppe diskutiert underläutert.Natürlich hatten auch wir diverse Vorurteile, welche wiranalysieren und im Verlauf der Exkursion sowie danachüberprüfen und gegebenenfalls verändern wollten. Zur Ana-lyse unserer Ansichten bedienten wir uns einer durch EdgarScheins Kulturdechiffrierungsmodell inspirierten und ähn-lich in der Vorurteilsforschung verwandten Übung (vgl.Schein 1995). Hier wird in einem ersten Schritt nach sicht-oder beobachtbaren Artefakten (in diesem Fall der fremdenKultur) gefragt (Fremdstereotyp). In einem weiteren Schrittwerden die Teilnehmer danach gefragt, was sie mit denArtefakten assoziieren (Vorurteilsebene). In einem drittenSchritt folgt die Frage an die Teilnehmer, welche Werthal-tungen die Russen mit den Artefakten verbinden bezie-hungsweise welchen rational nachvollziehbaren Grund wirihnen unterstellen könnten (Begründungsebene für dasFremdstereotyp).

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Exkursionsvorbereitung 11

Mit dem Plakat „Russenvorurteile“ wollten wir diese nichtnur sammeln, beurteilen und erklären, sondern vor Ort auchdie lokalen Begründungen zu erfahren suchen. Die nachträg-lich im Plakat angebrachten Kommentare in der dritten Spal-te: „Was hat sich im Verlauf der Exkursion verändert ?“beziehen sich auf eine kurze Evaluierung nach unserer Rük-kkehr. So wurde das Vorurteil der „vollen Tische“ und diedamit verbundene Begründung (Lebensqualität) absolutbestätigt, während vom „KGB“ beziehungsweise dem damitassoziierten Überwachungsstaat „nichts zu sehen“ war. Eigentlich war daran gedacht, mit unseren russischen Gast-gebern vom archäologisch-ethnographischen Institut inNovosibirsk eine ähnliche Übung über ihr Bild der Deut-schen zu machen und unsere Plakate am Ende der Exkursionmiteinander zu vergleichen. Aus organisatorischen und Ter-mingründen hat dieser Versuch, ebenso wie eine „Über-kreuz-“ Übung (was glauben wir, denken die anderen überuns) nicht mehr stattfinden können.

3.2.2 Forschungsfragen und -ziele

Die Fragen, die wir im Verlauf unseres Dorfaufenthaltes andie Bewohner stellen wollten, sammelten wir im Vorfeld derExkursion in mehreren Sitzungen. So sind letztendlich fol-gende Überlegungen und Ansatzpunkte zustande gekom-men:

● Was ist „Heimat“ für Deutschstämmige?● Was heißt es, deutsch in der UdSSR beziehungsweise in

Russland zu sein?● In welchen Situationen fühlt man sich deutsch?● Gibt es deutsche Wertvorstellungen und welche sind die-

se?● Welche Bilder von Deutschland existieren und wodurch

werden sie geprägt?● Warum kehren manche Spätaussiedler nach Russland

zurück?● Wie wichtig ist die deutsche Sprache im Alltag?

Plakat 2: „Russenvorurteile“ – Brainstorming und Analyse in einem Vorbereitungsseminar

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12 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

● Welche Rolle spielen die Literatur, die Volksmusik undFeste für das Deutschtum?

● Gibt es in den Familien Überlegungen zur Ausreise undvon was sind diese abhängig ?

● Welche Personen reisen aus? Sind die Umstände undFormalien einfach zu bewältigen?

● Wie gestaltet sich das Zusammenleben von Russen undDeutschen?

● Welche Veränderungen gab und gibt es in der Dorfstruk-tur und welche Erwartungen stellen die Bewohner an ihrDorf?

● „Altert“ das Dorf, gibt es Generationenkonflikte?

Die Fragen dienten dazu, das Dorf möglichst genau zu ana-lysieren und zu lernen, wie die Menschen dort leben und wassie bewegt. Mit dieser Analyse – den gesammelten Informa-tionen – wollten wir den Dorfbewohnern einen „Spiegel“darstellen, um ihnen zu zeigen: „So haben wir euch gese-hen“.

Unsere Überlegung war, dass dieser „Spiegel“ auch als einSprachrohr für die Bedürfnisse der Bewohner von Zakovr-jazhino dienen könnte. Zumindest wollten wir möglichstumfangreich und präzise den Aufenthalt und das Erlebtedokumentieren. Dabei lernten wir aus ethnologischer Sichtviel über die teilnehmende Beobachtung und über verschie-dene RRA-Methoden.

3.2.3 Zeitliche Planung des Dorfaufenthaltes

Im Vorfeld hatten wir in Absprache mit Frau Abramowskajaeinen Zeitplan aufgestellt, den wir als Rahmen für unserenfünftägigen Aufenthalt in Zakovrjazhino im Auge behaltenwollten.Diese grobe Zeiteinteilung half uns dabei, gemeinsame Tref-fen mit den Dorfbewohnern frühzeitig zu organisieren undzeitliche Räume für tägliche gruppeninterne Rückmeldun-gen zu schaffen. Gleichzeitig diente sie auch unseren Gast-gebern als Orientierungshilfe.

Plakat 3: „Zeitplan“

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Der Feldaufenthalt 13

4 Der Feldaufenthalt

4.1 Geographie und Klima des Gebietsum Zakovrjazhino

Zakovrjazhino liegt auf 54° nördlicher Breite, das heißt aufder fast identischen Breite wie Rostock oder Greifswald inMecklenburg-Vorpommern und auf einer östlichen Länge

von E 82°. Somit ist Rostock (E 12°) rund 4600 km Luftlinievon Zakovrjazhino entfernt. Nach Suzun, der Rajon-Haupt-stadt, sind es etwa 30 km in südlicher Richtung. Die Höhebeträgt etwa 220 m über dem Meeresspiegel, unweit (40 kmLuftlinie) des Flusses Ob, in welchen der vor Ort fließendekleine Fluss Suzun entwässert. Großräumig ist Zakovrjazhi-no zwischen der Kulunda- und Barabaebene im Westen unddem Kuznetzbecken im Osten gelegen.

Die landläufige Meinung, dass es in Sibirien ganzjährigimmer nur kalt sei, stimmt nicht.Sibirien erstreckt sich vom Uralge-birge bis zum Pazifik und ist damitso vielfältig, wie es groß ist – dasgilt ebenso für die klimatischenVerhältnisse.

Während der Winter dem Dorfmanchmal eine mannshoheSchneedecke beschert und nurdurch tägliches Schneeräumen dieHäuser erreichbar bleiben, sind dieSommer oft so trocken, dass dieLandwirtschaft leidet. Der Sommer1999 war erneut zu trocken. Selbstdeutsche Medien berichteten imFrühsommer über große Trocken-heit mit einer nachfolgenden undnoch nicht da gewesenen Heu-schreckenplage. Die Dorfbewohnerbestätigten die Heuschreckenplagefür Zakovrjazhino allerdings nicht.

Für das unweit gelegene Novosi-birsk (162 m ü. N.N.) gibt es Kli-madaten, die tendenziell auch fürZakovrjazhino gelten. Der Januarist der kälteste Monat mit einerdurchschnittlichen Tagestempera-tur von -19°C (Trier: 0,6°C), derJuli mit 18,7°C (Trier: 17,8°C) derwärmste Monat. Die meistenNiederschläge fallen in den Som-mermonaten in Form von Platzre-gen. Im Monat Juli sind dies durch-schnittlich 74 mm (Trier: Juli: 70mm; Maximum im August: 80mm), der geringste Niederschlagfällt im Februar mit 12 mm (Trier:Februar: 51 mm; Minimum imMärz: 37 mm).

Die fehlende Nähe zu den Ozeanenund die Abgeschirmtheit von war-men und feuchten Luftmassenerklären das wintertrockenkalteund sommerwarme Klima mit einerdurchschnittlichen Jahrestempera-tur von -0,2°C (Trier: 9,3°C), einerstarken Jahresdurchschnittstempe-raturschwankung von 37,7° (Trier:16,6 °C) und dem mäßigen Jahres-durchschnittsniederschlag von 425mm (Trier: 719 mm). Karte 1:“ Das Gebiet um Zakovrjazhino“

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14 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

4.2 Methoden

Ein Teil der Methoden bezog sich auf „klassische“ ethnolo-gische Feldforschungsinstrumente: teilnehmende Alltagsbe-obachtung (gemeinsames Kochen, Feldarbeit, Pilzesammeln…) und deren Dokumentation in Feldtagebüchern, offeneGespräche am Küchentisch, fokussierte Einzel- und Grup-peninterviews zu Einzelthemen. Daneben setzten wirMethoden aus der „Kiste“ partizipativer Erhebungsmetho-den (RRA /PRA) ein, die wir hier vorstellen wollen.

4.2.1 Contracting

Mit dem „Contracting“ begann unser Aufenthalt offiziell inZakovrjazhino. In einem der größeren Schulräume stelltenwir uns alle, Dorfbewohner und Exkursionsteilnehmer, reih-

um vor. Von beiden Seiten wurden Ziele, Erwartungen,Zweifel und Wünsche erklärt. Dabei drehten sich die Fragenweniger um das Ziel unseres Aufenthaltes als um Ausreise-bestimmungen und die derzeitige Situation in Deutschland.Außerdem schienen unsere Gastgeber sich über diesenaußergewöhnlichen Besuch aus der „Heimat“ herzlich zufreuen. Die zwei festen Tagespunkte: Mittagessen in den Gastfami-lien (Geschirrsymbol/vgl. Plakat 3) und Tages-Feedback amSchulhaus (17°° – 19°°) gaben dem Aufenthalt einen gewis-sen ritualisierten Rahmen. Beim Mittagessen konnten dieFamilien über den Fortgang der Untersuchung auf dem Lau-fenden gehalten werden. Das abendliche Feedback dientedem gruppeninternen Austausch von Neuigkeiten, die tags-über in den Interviews oder über andere Erhebungsmethodengesammelt wurden. So war eine Rückspeisung der Informa-tion in die Gesamtgruppe möglich. Auch konnte mit denZwischenergebnissen die „rollende“ Planung für den näch-sten Tag vorgenommen werden.

4.2.2 Mapping

Nach dem „Contracting“, als das zwischenmenschliche Eisgebrochen war, luden wir die interessierten Dorfbewohnerzum „Mapping“ ein. Das „Mapping“ war die erste angewen-dete RRA-Methode. Hierbei motivierten wir die Dorfbe-wohner zum Zeichnen ihrer Dorfkarte. Uns diente die Kartezur ersten Orientierung im Dorf und als Grundlage für dieanschließende Dorfbegehung. Beim Entstehungsprozess

diskutierten die „Kartographen“ miteinander, und verliehenuns so den ersten Eindruck vom Dorfleben. Im Laufe der Woche wurde die Karte immer weiter ergänzt,wenn weitere Bewohner sie studierten und vergessene Häu-ser oder persönliche Informationen zufügten. Am Schlusshaben Schüler die Karte noch einmal umgezeichnet und ver-vollständigt. Wie methodisch auch vorgesehen, ließen wirdie Karte im Dorf zurück – es war schließlich „ihre“ Karte.Ein schöner Nebeneffekt war, dass es nun wieder eine Kartevom Dorf gab, da die alte, offizielle Karte als verschollengalt.

Diskussion der Ziele, Erwartungen und des Programms(E.M.)

Plakat 4: „Erste Umzeichnung der von Bewohnern gemein-sam erstellten Dorfkarte“

Das Plakat „Dorfkarte“ wird von den Dorfbewohnern erar-beitet (E.M.).

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Der Feldaufenthalt 15

4.2.3 Transekt (Dorfbegehung)

Eine weitere Methoden, die wir in Zakovrjazhino angewen-det haben, war das „Transekt“.

„Eine der wichtigsten RRA-Methoden ist das Transekt, hierbeiwird das Untersuchungsgebiet mit ortskundigen Informantenzusammen systematisch durchschritten. Alles, was einembegegnet, auffällt und von den Informanten erwähnt wird, wirddiskutiert und notiert. Die Transekte führen zu einfachen Kar-ten, die verschiedene dörfliche Einheiten sowie deren Problem-bereiche voneinander unterscheiden“ (SCHÖNHUTH & KIEVE-

LITZ, 1993: 63f.).

Die Dorfbewohner erklärten anhand wichtiger Gegenständeund örtlicher Gegebenheiten ihre Lebensbedingungen vorOrt. Der Sinn dieser Methode besteht darin, dem Auswärti-gen Einblicke in das Dorfleben zu ermöglichen. Schließlichsollen die gesammelten Einblicke auf einem Plakat visuali-siert werden. Während der Dorfbegehung war es ratsam,möglichst viel zu notieren, da etliche wichtige Informationenteilweise nur am Rande erwähnt wurden. Diese „nebensäch-lichen“ Mitteilungen erkannten wir im Nachhinein oft alsBruchstücke wichtiger Zusammenhänge im Dorfleben. Beidieser Methode übernahmen wir, die Gäste, den Teil derVisualisierung.So entstanden diese einfachen Karten mit vielen Informatio-nen. Jedes einzelne Symbol markiert einen Stationspunkt,über den wir etwas erfahren haben.

4.2.4 Systemdiagramm (Ressourcenkreislauf)

Um die Komplexität von verschiedenen Systemen besser zuverstehen und zu veranschaulichen kann man sich der

Methode der Fluss- oder Systemdiagramme bedienen. Auchhierbei tritt der Experte nur als Moderator auf und hilft diegesammelten Systeminformationen der „Insider“ zu visuali-sieren.Als Hilfestellung kann man folgende vier Schritte zur Ent-stehung eines solchen Ressourcenkreislaufs anwenden:

● die Sammlung der typischen Einzelkomponenten deslandwirtschaftlichen Betriebssystems oder Haushaltes,beginnend mit dem Haus oder Gehöft

● die Verbindung der Binnenkomponenten durch Pfeile fürRessourcen-Flüsse oder Kreisläufe

● die Verbindung der beeinflussenden Komponentenaußerhalb des eigentlichen Binnen-Systems, wie Märkteoder fremde Versorgungseinrichtungen

Teilnehmer einer Dorfbegehung (N.L.)

Plakat 5: „Transektplakat – Kalinin – Puschkinstraße“

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16 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

Plakat 6 Methodenbeispiel: „Ressourcenkreislaufdiagramm eines Haushalts in Zakovrjazhino“

● die anschließende Erörterung und Diskussion über zeit-liche Veränderungen oder Flussunterbrechungen undderen Folgen (PRETTY et al., 1995: 244ff).

Im Zentrum des Ressourcendiagramms (Plakat 6) steht dasHaus. Wichtige Einzelkomponenten im Binnensystem bil-den der „Garten“, die Viehhaltung und die Haustiere, wäh-rend Kolchos, Händler, Wald oder „Suzun“ (= städtischerMarkt) Außenressourcen darstellen. Interessant ist, wiegering die Bedeutung der Außenressourcen und der monetä-ren Flüsse zu sein scheint. Wir haben es hier mit einer klas-sischen Subsistenzversorgung zu tun.*

Zum Vergleich das Diagramm eines Altgläubigenhaushaltsam Baikalsee (vgl. Plakat 7). Auffällig waren hier die (durch den Marktbezug und die imGegensatz zu Zakovrjazhino funktionierenden Lohnzahlun-gen) ausgeprägteren monetären Flüsse. Sie drückten sich ineinem für uns auch sichtbar größeren materiellen Wohlstanddes Haushalts aus.

Ein Student als Moderator beim Erstellen des Ressourcen-Diagramms eines Haushalts (M.S.)

* vgl. zur weiteren Analyse den Punkt „Selbstversorgung“ unter Kap.4.3.4 auf Seite 22.

Plakat 7 Methodenbeispiel: „Ressourcenkreislaufdiagrammeines Altgläubigen-Haushalts am Baikalsee“

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Der Feldaufenthalt 17

4.2.5 Venn-Diagramm (Institutionen-/Akteursdiagramm)

Mit Hilfe des Venn-Diagramms lassen sich einzelne Akteureeines Systems sowie ihre Beziehungen untereinander dar-stellen. Der Bezugspunkt ist das gemeinsame System derBefragten (ein Dorf, eine Organisation – in diesem Fall dieKolchose).Dieser Bezugspunkt steht auch im Zentrum der Visualisie-rung. Danach wird eine Liste der relevanten Akteure oderRessourcen (Institutionen) erstellt. In einem weiteren Schrittwird die Relevanz der Akteure für das Überleben desSystems durch die unterschiedliche Größe der Aufkleber

4.2.6 Feedbacktreffen

Die täglichen Rückmeldungen sowie das abschließende„große“ Feedbacktreffen dienten der Reflexion und der Prä-sentation der vorläufigen Ergebnisse. So trafen wir uns täg-lich mindestens einmal an der Schule, um uns gegenseitigBemerkenswertes zu berichten, über Zwischenergebnisseauszutauschen oder die nächsten Schritte zu planen.Das abschließende Dorffeedback sollte nicht nur das Erlebtean das Dorf zurück spiegeln, sondern auch zur Kritik, Kor-rektur, zu Ergänzungen und Diskussion über die Ergebnisseanregen. So waren anschließend an das Feedback kleineInterviewgruppen zu den sich herausschälenden Kernthemen(Zukunft des Dorfes, Rolle der Kirche, Verhältnis Russen –Deutsche, Heimatverständnis, Deutschlandbild) geplant. Der tägliche Treffpunkt – die Schule (A.H.)

Plakat 8 Methodenbeispiel: „Das Venn-Diagramm: Kolcho-seeinrichtungen“

festgelegt. Deren Zugänglichkeit oder gegenwärtige Funk-tionsfähigkeit wird durch den Abstand der Aufkleber zu demBezugspunkt dargestellt. Eine Einrichtung die einen großenKreis bekommt, aber relativ weit vom Zentrum entfernt pla-ziert wird, wie zum Beispiel Zakovrjazhinos Fabrik zur Pro-duktion von Sonnenblumenöl, steht dabei also für eine Insti-tution, die für die Überlebensfähigkeit des Systems (Kol-chos) bedeutsam wäre, die aber kaum (mehr) zugänglich istbeziehungsweise (nur noch) schlecht funktioniert. Die Gründe für somit zu Tage tretende Schwachstellen undProbleme innerhalb der betrachteten Organisation können ineinem weiteren Schritt erfragt werden. Der Vorteil dieserMethode ist, dass eine Gruppe in einem gemeinsamen Pro-zess ein Bild ihres Systems entwerfen kann und durch dasVerschieben der Elemente über einen Diskussionsprozess all-mählich zu einem konsensfähigen Istzustand gelangen kann. Durch Verschieben der Kreise oder Pfeile in Richtung dergewünschten Veränderung lässt sich mit dieser Methodeauch der Wunschzustand für die befragten Systemmitgliederdarstellen (Wunschszenario). In einer Beratungssituationwäre eine wichtige Frage, welche Veränderungen für dieBefragten nicht nur wünschenswert, sondern auch realistischund für die Teilnehmer mit vertretbarem Ressourcenauf-wand zu realisieren sind (realistisches Szenario). In unseremFall waren sich unsere Gesprächspartner jedoch einig, dassnur die Veränderung des gesamten Kolchos-Konzeptes einelangfristige Verbesserung bringen würde („das ganze Systemmüßte sich ändern“).

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18 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

4.3 Ergebnisse der Dorferhebung

Hier wollen wir exemplarisch einige „Stationspunkte“ imLeben der Dorfbewohner dokumentieren. Die zusammenge-tragenen Informationen beruhen auf den Ergebnissen vonEinzelbefragungen, Gesprächen mit den Dorfbewohnernwährend der Dorfbegehung, Interviews am Küchentisch,teilnehmender Alltagsbeobachtung sowie aus gemeinsamerstellten Diagrammen und Karten.

4.3.1 Kolchose als Wirtschaftsform

Die zentrale Einrichtung im Dorf ist die Kolchose. Sie istauch der wichtigste Arbeitgeber im Dorf. Grundsätzlich istdas Dorfterritorium in drei verschiedene Brigaden aufgeteilt.Jede einzelne Brigade hat ihre eigenen Abteilungen wieMilchviehfarm, Felder und Verwaltung. Die Kolchose bezie-hungsweise die drei Brigaden besitzen zusammen eineSchweinefarm, einen Fuhrpark und ein Maschinenwerksowie eine gemeinsame Administration mit dem Hauptbuch-halter. Die Kolchose wird von drei russischen und drei deut-schen Leitern geführt. Die Leitungsebene entwickelte dieIdee sich zu privatisieren. Mittlerweile ist die Kolchose eineFirma ähnlich der Aktiengesellschaft. Das Venn-Diagramm (Plakat 8) zeigt, dass innerhalb derKolchose Zakovrjazhino nicht nur die rein landwirtschaftli-che Produktion des Dorfes mit Getreide- und Gartenbau,Molkerei und Viehzucht organisiert ist, sondern auch verar-beitende Betriebe wie Mühle, Bäckerei, Milchverarbeitungs-fabrik sowie ein Sägewerk integriert sind. Gleichzeitig ver-fügt die Kolchose über einen eigenen Fuhrpark, Werkstättenund eine Baubrigade, so dass nahezu alle anfallenden wirt-schaftlichen Aktivitäten des Dorfes im Kolchos-System inte-griert sind. Aus dem Venn-Diagramm wird ersichtlich, dass

zwar die landwirtschaftliche Produktion des Ortes noch aus-reichend funktioniert, die weiterverarbeitenden Betriebe,deren Produkte einen relativ großen Beitrag zu finanziellenEinnahmen des Kolchos leisten, hingegen heute kaum nochfunktionsfähig sind.Vor 1991 war die Kolchose die alles beherrschende Organi-sationsform, heute bröckelt diese herausragende Stellungjedoch zusehends. Die Gründe liegen zum großen Teil außer-halb des Einflussbereiches der einzelnen Kolchosen. Dieschlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Russ-land lasten auf ihnen und übertragen sich noch weiter bis indie kleinsten Organisationseinheiten, die Familien (vgl. Pla-kat 10: „Dörfliche Wirtschaft in Sibirien – Gegenwart undZukunft“).

Unser „Tagungsraum“ war das Klassenzimmer für denDeutschunterricht, hier bei der Einführung durch FrauAbramowskaja (A.H.)

Plakat 8 : „Das Venn-Diagramm: Kolchoseeinrichtungen“

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Der Feldaufenthalt 19

Molkerei – Brigade 3 Neben dem landwirtschaftlichen Anbau von Weizen ist dieViehhaltung das wichtigste Standbein der Kolchose, wobeidie Milchviehhaltung im Vordergrund steht. Die Arbeit beider Melkstation erfordert, dass die Melkfrauen täglich zwei-mal (früh morgens und abends) auf die Weiden kommen. DieMelkerinnen werden mit einem Bus zu der Melkstationgefahren, da die Weiden mehrere Kilometer außerhalb desDorfes liegen. Bei der Molkerei Brigade 3 sind mehreredeutschstämmige Melkerinnen beschäftigt.Der erste Arbeitsschritt beim Melken ist das Erhitzen vonWasser, um später vor dem Melken die Euter der Kühe zusäubern. Die Tiere finden in ihrem täglichen Rhythmus fastalleine den Weg zur Koppel an der Melkstation. Für die 280Kühe der Brigade 3 gibt es sechs Hirten, die in Schichten dasVieh zu den Weideplätzen treiben und beaufsichtigen. Damitdie Melkerinnen erkennen, für welche Kühe sie zuständigsind, ist jedes Tier mit einer Nummer gekennzeichnet. Ander Kennzeichnung kann man zusätzlich erkennen, wie altdie Kuh ist und wie oft sie befruchtet wurde. Jede Kuh wirddrei bis vier Minuten maschinell gemolken. Die tägliche Milchleistung einer Kuh lag dieses Jahr bei achtLitern Milch. Diese relativ schlechte Ausbeute lag an dervorherrschenden Trockenzeit. Die Brigade 3 verfügt über diebesten Weiden im Dorf und führt dementsprechend in derMilchleistung gegenüber den beiden anderen Brigaden,deren Milchleistung bei vier bis fünf Litern Milch pro Kuhund Tag liegt.Die Kühe kalben jährlich, die sogenannten Sommerkälbersind in den Monaten Juni, Juli und August auf der Weide undwerden im Herbst mit dem restlichen Bestand auf die Farmim Dorf gebracht. In früheren Jahren wurde die Milch in dasnächste Dorf, nach Baltova, gebracht, wo Käse und Butterhergestellt wurden. Jetzt wird sie ins entferntere Novosibirsktransportiert, wo die Kolchose im Gegensatz zu früher direktGeld bekommt. Den Transport übernimmt die Molkerei ausNovosibirsk. Der Verkaufspreis für einen Liter Milch beträgt 2,60 Rubel.Um kostendeckend zu wirtschaften, müsste die Kolchosemindestens 10 Rubel erhalten. Den Erlös aus der Milch nutztdie Kolchosenverwaltung, um Treibstoffe und Maschinen zufinanzieren. In den Monaten Juni / Juli haben die Beschäf-tigten zum letzten Mal einen Teillohn bekommen, ansonstenwerden sie mit Milch bezahlt. Trotz der schwierigen finan-ziellen Versorgung gehen die Frauen regelmäßig und pflicht-bewusst arbeiten. „Ein Streik führe doch zum Versiegen derMutterkuhmilch“ erklärte eine Melkerin ihre Einsatzbereit-schaft trotz der schwierigen Lage.

MaterialbeschaffungVor der Perestrojka gab es eine kostenlose Materialbeschaf-fung durch die Kolchose. War ein bestimmtes Ersatzteilnicht innerhalb der Kolchose zu besorgen, wurde die Bestel-lung nach außen weiter gegeben, erst innerhalb des Rajons,dann im Bezirk, bis hin zur Sowjetregierung, um es nötigen-falls aus dem Ausland zu importieren. Heute ist die Kolcho-se mit ihren eigenen beschränkten Mitteln selbstverantwort-

lich. Ersatzteile werden nach unseren marktüblichen Vorstel-lungen besorgt, allerdings unter prekären Marktbedingun-gen, weshalb die Ersatzteilbeschaffung oft schwierig ist. ImFalle der neuen Mähdrescher der Firma Claas aus Deutsch-land gab es einen Zuschuss vom Bezirk beziehungsweise derOblastverwaltung in Novosibirsk.

Der Milchlaster wird „geladen“.Die Melkerinnen der Brigade 3

Der Fuhrpark der Kolchose

Bis 1990 (Perestrojka) Heute (1999)Traktoren 90 48/49Mähdrescher 48 14LKW 64 wenigerAutos mehr 44Land 14 000 ha 10 000 haGeschäfte ein Lebensmittel-, zwei staatliche und

ein Haushaltswaren- und ein privates Geschäftein Industriewarengeschäft

Mitglieder k.A. 481 Arbeiter, 792 Aktionäre

Des weiteren verfügt die Kolchose über technische Geräteund Maschinen, die man für die Pflege des Fuhrparksbraucht. Bis auf die schon erwähnten Mähdrescher stammtalles noch aus der Sowjetzeit.

Tabelle 1: Ein Teil des Kolchosenbestandes und seine Verän-derung

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20 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

Die Tabelle soll die Veränderungen in der Kolchose verdeut-lichen. Durch die wirtschaftliche Misere, in der sich die Kol-chose befindet, fallen immer mehr Maschinen aus. DieseTendenz wird sich auch in naher Zukunft nicht zum Positi-ven wenden.

Bezahlung durch die Kolchose In der Vergangenheit gab es keine freie Arbeitsplatzwahl.Der Kolchoseleiter bestimmte, wo die Beschäftigten zuarbeiten hatten. Heute liegt die größte Unzufriedenheit derDorfbewohner gegenüber der Kolchose im Bereich der Ent-lohnung. Viele der Kolchosenmitglieder haben schon langekeinen Lohn mehr bekommen und werden meist nur noch inNaturalien wie Milch, Getreide oder Jungkälbern ausgezahlt.Trotzdem gibt es immer noch eine starke Abhängigkeit zwi-schen den Dorfbewohnern und der Kolchose. Jeder ist umseinen Arbeitsplatz bei der Kolchose froh, da diese immernoch Vergünstigungen für ihre Mitglieder abgibt und über-haupt die Möglichkeit einer Verdienstquelle erschließt.Außerdem besteht eine enge soziale Bindung an die Kolcho-se, sei es durch Arbeitsfreundschaften oder gegenseitige Hil-fe.

In den Jahren von 1930 bis 1965 ging es den Dorfbewohnernwirtschaftlich am besten. Mit 24 Arbeitstagen im Monat(300 Tage im Jahr), gab es eine geregelte Arbeitszeit undeine Bezahlung nach Arbeitstagen in Form von Naturalien.Am Ende des Jahres wurde die Ernte ausgewertet und dieVerteilung von Naturalien entsprechend der Arbeitstage vor-genommen. Ein Teil wurde an die Regierung verkauft undder Rest an die Kolchosmitglieder verteilt. Es gab damalsnoch vier Brigaden, geleitet von einem Kolchosvorsitzendenund einem Rat, der sämtliche Entscheidungen traf.Ab dem Jahr 1965 wurde das Arbeitstage-System abge-schafft und ein Monatslohnsystem eingeführt. Dadurch ver-änderte sich die materielle Situation der Kolchosmitgliederkaum. Die Monatslöhne orientierten sich an einem festge-legten Soll. Bei einer 100 %igen Sollerfüllung gab es einenGrundlohn, zum Beispiel x Hektar gemäht = x Rubel Lohn.War das Soll zu 150 % erfüllt, gab es entsprechend den 1 1/2-fachen Lohn. Zusätzlich gab es Prämien für besondereArbeitsleistungen. So bekam beispielsweise ein Traktorist,dessen Traktor durch gute Wartung und Pflege selten kaputt

war und wenig Ausfallzeit hatte, einen monetären Zuschuss.Die vorbildlichsten Traktoristen erkannte man an einemStern am Traktor. Sie wurden auf einer Tafel im Kontorgeehrt. Manchmal war mit dieser Ehrung auch ein Dankes-brief an die Ehefrau verbunden.

RenteEs gibt in Zakovrjazhino etwa 450 Rentner. Die monatlicheZustellung der Rente erfolgt durch die Post. Auch hier tretenUnregelmäßigkeiten auf. Die Rente beträgt nach dem Gesetz70 % des Lohnes, aber die Dorfbewohner erhalten nur 50 %.Manche bekommen nur 400 Rubel Pension, manche 500Rubel6. Ein Rentner meinte: „man muss nehmen was mankriegt und still sein“. Ein durchschnittliches Rentnerehepaarbekommt zusammen 900 Rubel, aber sie leben hauptsächlichdurch die Selbstversorgung aus Gartenbau und Viehhaltung. „Ich fühl´ in Herzen, ich bin beleidigt.“ sagte ein Dorfbewohnerbezüglich seinen Rentenansprüchen, die nicht erfüllt werden.

4.3.2 Öffentliche Gebäude und soziale Einrichtungender Kolchose

Viele soziale Einrichtungen Zakovrjazhinos wurden von derKolchose erbaut und unterhalten.Das erste Kulturhaus im Rajon entstand 1956 unter den Hän-den der Baubrigade des Kolchos und wurde nach der Fertig-

Ein Rentner bei der Pflege seines wichtigsten Transportmit-tels (E.M.)

Schlosser, Dreher und Fahrer in der Maschinenwerkstatt derKolchose (N.L.)

6 Der Umtauschkurs von DM zu Rubel betrug im Sommer 1999 circa1:13.

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stellung verstaatlicht. Die Schule (1956, 1975 erweitert), dasSportstadion (1975), der Kindergarten (1977) waren ebensoBeiträge der Kolchose. Das Krankenhaus wurde 1985 neugebaut. Das alte Spital, in dem sich heute die Apothekebefindet, wurde bis 1957 von der MTS (Maschinen undTraktoren Station) betrieben.Des weiteren unterhielt beziehungsweise unterhält die Kol-chose eine Post, ein Haus der Dienstleistung, eine Apotheke,einen Bus nach Novosibirsk, eine Tankstelle, die Wasserver-sorgung und ein Heizwerk.

KindergartenZakovrjazhino hat seit 1977 einen Kindergarten für Kinderim Alter von anderthalb bis sechs Jahren. Sechs Betreuerin-nen kümmern sich in zwei Schichten, von 8.00 bis 18.30Uhr, um die Kinder. Das seit zwei Jahren genutzte Programm„Regenbogen“ soll den Kindern die russische Kultur näherbringen. Es gibt für jede Gruppe einen Stundenplan, in demfür die ältesten Kinder ein Vorschulprogramm mit denGrundschullehrern eingerichtet wurde. Seit drei Jahren wer-den im Kindergarten Osterfest, Weihnachten und Neujahrvorbereitet und gefeiert.Früher, als die Betreuung kostenlos war, gab es vier Gruppenmit jeweils 32 Kindern, heute gibt es drei Gruppen mit ins-gesamt nur noch 36 Kindern. Ein Kindergartenplatz kostet7,5 Rubel pro Tag für das erste Kind und für das zweite nurnoch die Hälfte. Diese Beträge können sich viele Familiennicht leisten und betreuen ihre Jüngsten zu Hause. DieAdministratur der Kolchose kündigte zur Unterstützung derKindergartenkinder ab September 1999 eine Beteiligung anden Essensbeiträgen von 50 % an.

SchuleSeit 1956 hat die Ortschaft eine Schule und 1975 wurde derNeubau fertiggestellt. Im Jahr 1964 waren 600 Schüler in derBibliothek eingeschrieben, heute sind es nur noch 250. Etli-che Schüler lernen die deutsche Sprache und haben für denDeutschunterricht ein eigenes Klassenzimmer. Die Anzahlder Schüler ist rückläufig und wahrscheinlich wird es imnächsten Jahr keine erste Klasse mehr geben. Grund für die-se Entwicklung ist das Abnehmen der Geburten als Folge derschlechten wirtschaftlichen Lage.

PostDie Post kommt dreimal wöchentlich und wird von zweiBriefträgern ausgetragen.Die Preise für Post nach Deutschland betragen für einenBrief 7,40 Rubel und für eine Karte 6 Rubel und sind nachetwa ein bis zwei Wochen am Zielort. Ein Brief nachMoskau ist drei Tage unterwegs. Zur Aufgabe von Postsen-dungen, für Telefonate und zum Empfang der monatlichenRentenzahlungen steht den Bewohnern Zakovrjazhinos einkleines Postamt zur Verfügung.

KrankenhausIm Rajon Suzun gab es bis zum Jahr 1920 zwei Kranken-häuser, in Suzun-Stadt und im etwa 30 km entfernten Bitkir.Heute gibt es im Rajon vier Krankenhäuser, fünf ambulanteArztstationen und in jedem Dorf eine Medizinstation miteinem Arzt und einer Sanitäterin oder Krankenschwesterhel-ferin. Vor 1920 gab es auf den Dörfern nur Heilerinnen undkeine weiteren medizinischen Einrichtungen. Im Jahre 1962 wurde in Zakovrjazhino das erste Gebäudedes Krankenhauses mit 40 Betten auf zwei Etagen fertigge-stellt. 1985 finanzierte und baute die Kolchose das zweiteGebäude. Die häufigsten Krankheiten sind heute neben Herzerkran-kungen, grippalen Infekten und Erkältungen vor allem Kno-chen- und Muskelkrankheiten, die durch körperliche Bela-stungen hervorgerufen werden und sich durch die winter-lichen Temperaturen in Kombination mit mangelhafter Hei-zung verstärken. Auch Erbkrankheiten sind im Dorf bekannt.Im Verlauf der Perestrojka wurden die körperlichen Schädi-gungen durch radioaktive Strahlung bekannt, die hauptsäch-lich in den 50er und 60er Jahren Opfer forderten. In Zakovr-jazhino sind als mögliche Folge 1995 zwei Kinder an Krebsverstorben. Krebserkrankungen liegen an fünfter bis sechsterStelle in der Häufigkeit der Krankheitsbilder. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt in Zakovrjazhi-no für Frauen bei 74 Jahren und für Männer bei 63 Jahren,was für russische Verhältnisse als sehr hoch eingestuft wer-den kann. Die Säuglingssterblichkeit ist sehr gering. Seit dreiJahren ist kein Säugling mehr gestorben. Der Erfolg ist nichtzuletzt auf eine gute Betreuung und Versorgung der Kinderim ersten Lebensjahr zurückzuführen, auf die hier sehr vielWert gelegt wird. Seit der Perestrojka ist die Geburtenratejedoch rückläufig. Für bestimmte Berufsgruppen in der Kolchose gibt es spe-zielle Prophylaxen, so werden zum Beispiel die Traktoristenregelmäßig untersucht.Die Bezahlung der Behandlung basiert seit 1996 auf einerVersicherung, die bis 1997/1998 fast alles tragen konnte.Heute zahlen in diese Versicherung nur noch Werktätige3,6 % ihres Lohnes ein. Da dem Krankenhaus nur 19 000Rubel jährlich zur Verfügung stehen, müssen die Medika-mentenkosten von den Patienten selbst getragen werden.Notfälle werden in den ersten zwei Tagen kostenlos behan-delt, danach werden die nächsten Verwandten in die Pflichtgerufen. Die Auslastung des Krankenhauses beläuft sich in den Som-mermonaten auf 15 bis 25 Patienten und in den Wintermona-ten auf 45 bis 50 Patienten am Tag. Auch das Personal imKrankenhaus klagte über den Lohn und vor allem über dieUnregelmäßigkeiten bei der Auszahlung. Zwar bekamen sieKinder vor der Schule (N.L.)

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1999 den Lohn monatlich, aber in anderen Jahren tratenschon Sachgüter anstelle des Entgeltes.Auch das medizinische Personal klagte über den zu geringenLohn und vor allem über die Unregelmäßigkeiten bei der Aus-zahlung. Zwar bekamen sie 1999 den Lohn monatlich, aber inanderen Jahren traten schon Sachgüter anstelle des Entgeltes.Der Besuch bei der Zahnärztin prägte nachhaltig die Erinnerun-gen unserer Gruppe, waren doch ihre Hilfsmittel auf rudimentä-re Ausrüstungsgegenstände beschränkt. Auch hier zeigte sichuns das Bild des fehlenden Geldes.

4.3.3 Besitzverhältnisse und Landrecht

Grundsätzlich gehört der gesamte bebaute Boden der Kolchoseund ist mit einer Steuer oder Abgabe an die Administration ver-sehen. Wenn die Häuser in Eigenleistung errichtet worden sind,werden sie als vererbbares, jedoch nicht als veräußerbaresEigentum angesehen. Es entsteht eine Art Pachtabhängigkeitzwischen Kolchose und Hausbesitzern.Laut Gesetz ist es auch möglich, mehrere Häuser zu bauen undanschließend zu vermieten. Dies wurde bisher in Zakovrjazhinonicht praktiziert. Die Kolchose hat in den vergangenen Jahren mehrere Zweifa-milienhäuser gebaut. Alle diese Häuser sind mit genügend Platzfür Gärten versehen worden. Wer eine Unterkunft hat, muss sie beim Austritt aus der Kol-chose nicht verlassen. Jedoch beeinflusst der Austritt oft diesozialen Bindungen zur Kolchose und deren Mitgliedern. EinBewohner wörtlich: „man wird dann nicht mehr so gut behan-delt“.

4.3.4 Leben außerhalb der Kolchose

Selbständige BauernSeit 1991 gibt es selbständige Bauern. Nach einem von Jelzinerlassenen Gesetz müssen für private Initiativen 10 % der Kol-chose freigegeben werden, das heißt 1000 ha sind inzwischen inPrivatbesitz. Die Privatisierung ist allerdings nicht risikolos.Einige Bauern haben schon wieder aufgegeben. In Zakovrjazhi-no gab es zur Zeit der Exkursion sechs selbständige Bauern.Einer von ihnen hat drei Angestellte und bewirtschaftet den Hofzusammen mit seinem Sohn. Der größte Bauer beschäftigt sogarsechs Mitarbeiter in seinem Betrieb. Die Ernte wird an selbstän-dige Bäcker verkauft, was in diesem Jahr sehr einfach war, daeine schlechte Erntemenge die Nachfrage steigen ließ. Privat-bauern erwirtschaften höhere Hektarerträge als die Kolchose,sie rechnen mit 25 Zentner pro Hektar. Die Verkaufspreise lie-gen bei 2 Rubel für das Kilo Getreide und bei 8 Rubel für dasKilo Mehl. Deshalb versuchen die Bauern eine Mühle zu bauen

oder zu kaufen. Ihren Wunsch nach Unterstützung trugen sieauch (jedoch bisher erfolglos) einem Mitarbeiter der GTZ7 vor.Private Zwischenhändler kaufen das restliche Getreide und zah-len den gleichen oder auch einen besseren Preis als staatlicheAbnahmestellen. Von staatlicher Seite gibt es keine Subventio-nen für Privatbauern.

Zusammenarbeit mit der KolchoseDie Privatbauern sehen in anderen Dörfer bessere Kooperatio-nen zwischen den selbständigen Betrieben und den Kolchosenals in Zakovrjazhino, obwohl sogar Familienmitglieder der Kol-chosleitung Zakovrjazhinos als selbständige Bauern arbeiten.Die Privatisierung steht und fällt mit einer guten Zusammenar-beit zwischen Selbständigen und Kolchose. Weiteres Ackerlandwird von der Kolchose momentan nicht verkauft, aber vielleichtdemnächst verpachtet, was einem Wunsch der Privatbauern ent-sprechen würde.

SelbstversorgungDie meisten Bewohner kann man als Selbstversorger bezeich-nen. Der überwiegende Teil der Nahrungsmittel wird selbstangebaut, gezüchtet und gesammelt. In der Regel hat jede Familie mindestens eine Milchkuh.Bezüglich der Selbstversorgung kommt ihr ein besonderer Stel-lenwert zu. Die Pflege und vor allem der Melkprozess bestim-men bei vielen Hausfrauen den Tagesablauf. Im Sommer wirddie Kuh zweimal am Tag gemolken (10 l pro Tag und Kuh), imWinter sogar dreimal am Tag (17 l). Die unterschiedlichen Men-genangaben kann man auf unterschiedliche Fütterungsmetho-den zurückführen. Im Winter stehen die Kühe in einem Stall undwerden mit Heu und Silage gefüttert, im Sommer dagegen sindsie sich auf den mageren Dorfweiden selbst überlassen.Das Weiterverarbeiten der Milch ist ebenfalls die Aufgabe derHausfrau. Die Milch wird durch ein Tuch gegossen und so„gefiltert“. Durch eine Zentrifuge wird sie in Magermilch undSchmand getrennt. Meist wird diese fettfreie Magermilch demViehfutter beigemischt. Der Schmand dient als Brotaufstrichoder wird anderen Speisen zugeführt, zum Beispiel Suppen.Natürlich wird aus der Vollmilch auch Butter und Käse herge-stellt (leider gibt es kein Bild dieses Vorganges, da es selbst füruns schon in dieser kurzen Zeit zu alltäglich war.)

Die riesigen Felder der Kolchose

7 Die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ)unterstützt, von der Bundesregierung finanziert, mit einer Reihe wirt-schaftlicher und sozialer Projekte die deutschstämmige Minderheit inSibirien. Sie bemüht sich dabei, alle Bewohner der geförderten Regionzu unterstützen, um Nationalitätenkonflikte zu vermeiden. Da zwischenDeutschland und Russland jedoch kein offizielles Entwicklungsabkom-men besteht, ist ein Bezug zur deutschen Minderheit Voraussetzung fürdie Projekte.

Ein Junge hat Brot gekauft (E.M.)

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Der Feldaufenthalt 23

Die meisten Familien besitzen außerdem Kälber und Schweine,die zum Verkauf oder zum Schlachten gehalten werden. Ein weiteres wichtiges Standbein der Selbstversorgung ist derHausgarten. Auf einem etwa drei Hektar großen Grundstückwerden hauptsächlich Kartoffeln und Gemüse jeder Art, allenvoran Kohl, angebaut. Obstbäume und Sträucher wie Himbee-ren, Johannisbeeren, Sanddorn, Kirschen und kleine, bittereÄpfel erweitern das Speiseangebot.

Auch der ans Dorf grenzende Wald dient als zusätzliche Nah-rungsquelle. Man sammelt dort etliche Früchte wie Brusnika(Preiselbeeren), Chernika (Blaubeeren), Kreiniki oder Ranjetki(kleine Äpfel) und Pilze. Die Pilze werden unter anderemzusammen mit Dill, Kümmel, Knoblauch und Sauerampfer ein-gelegt und stellen, kalt gegessen, eine schmackhafte Beilagedar.

Das Angeln im örtlichen Stausee dient lediglich der Abwechs-lung und bietet keine nennenswerte Erweiterung des üblichenSpeiseplans.Das folgende Systemdiagramm einer Familie in Zakovrjaz-hino soll exemplarisch die Selbstversorgungssituation dar-stellen. Auch hier ist der Garten als Einzelkomponente fürdie Nahrungskette von enormer Wichtigkeit.

Familie beim Sammeln von Pilzen (N.L.)

Plakat 9:“Selbstversorgung einer Familie in Zakovrjazhino“ (vgl. Plakat 6)

Bilder eines typischen Hausgartens.

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KircheDie UdSSR verstand sich als ein atheistischer Staat. Das reli-giöse Leben war dort eingeschränkt oder gar verboten. DieMessen fanden oft nur in Form von privaten Treffen mit Bet-stunden statt (DIETZ & HILKES, 1994: 103f). Einen ähnlichenEindruck bekamen einige von uns, die einer Messe der bap-tistischen Gemeinde des Dorfes beiwohnten.Unweit der Schule in der Leninstrasse steht ein kleines Ver-sammlungshaus, das der freikirchlichen baptistischenGemeinde als Kirche dient. Der einzige Raum ist karg einge-richtet und durch wenig Dekoration geschmückt. Einmal im

Die Vorstellung des Plakates: „Glaube im Dorf“ (A.H.).

Bilder aus der Banja (D.F. & E.M.)

Der Haushalt wird von einem alten Rentnerehepaarbewohnt. Der Garten (für unsere Verhältnisse eher ein Feldeiner Länge von etwa 30 x 100 m) und der Stall mit demVieh stellen die wichtigsten Ressourcen dieses weitgehendauf Selbstversorgung ausgerichteten Haushalts dar. Dabeisind Kartoffeln Grundnahrungsmittel Nr. 1. Auch Katze undHund übernehmen als Rattenfänger und Wächter Funktionenin diesem Haushalt. Der Kolchos hingegen tritt nur noch alsGetreidelieferant (für das selbstgebackene Brot oder dieNudeln) und Heulieferant (für die Kuh) in Erscheinung. Der See liefert Fisch, der Wald Pilze, gelegentlich Wild undHolz, das früher kostenlos zur Verfügung stand, heute aber inRubeln bezahlt werden muss. Interessant ist, wie gering die Bedeutung der Außenressour-cen und der monetären Flüsse zu sein scheint. Die Rente(vom Kolchos) wird derzeit gar nicht mehr ausbezahlt. DerMarkt in der Regionalstadt ist für das alte Paar zu weit (außerfür einen Besuch im Jahr, um Federkissen und -betten inSuzun zu verkaufen). Als Abnehmer erscheinen hin und wie-der Privatleute aus der Regionshauptstadt Novosibirsk, diesich mit Kartoffeln, frischem Gemüse oder Obst eindecken,oder fliegende Händler, die zum Beispiel die Kuhhäute auf-kaufen.

FreizeitDer Dorftreffpunkt der Jugend befindet sich beim Kultur-haus in der Ortsmitte. Das Kulturhaus existiert seit 1956 undist ein stattliches Gebäude mit zwei Sälen. Für Jugendlichewerden dort zweimal wöchentlich Diskos organisiert (derEintritt beträgt 2 Rubel), wobei bei diesen Veranstaltungenkein Alkohol ausgeschenkt wird. Vielleicht werden dem-nächst auch Videofilme im Kulturhaus gezeigt. Zusätzlich wird in den heißen Sommermonaten der Stauseevon den Dorfbewohnern zum Picknick, Angeln oder Badengenutzt.

BanjaEin besonderes Augenmerk verdient nach unserer Auffas-sung die Banja. Dies ist eine Art Badezimmer, ähnlich einerfinnischen Sauna. Auf dem Land scheint sie die typischeForm des Waschraumes für alle kalten Gebiete der ehemali-gen UdSSR zu sein. Die Nutzung war für uns entweder einganz besonderer Genuss oder ein kreislaufstörendes Übel. Banjas sind meist niedrige, etwa bis zwei Meter hohe, inBlockhausform gebaute Räume, in denen sich ein Ofen(erstes Bild), verschiedene Waschutensilien wie Schüsseln,häufig eine Badewanne und eine Bank befinden. Der oft ausStahlblech zusammengeschweißte Ofen wird mit Holzbeheizt und somit das im darüber gelegenen Speicherbeckebefindliche Wasser erhitzt. Mit diesem heißen Wasserwäscht man sich. Im Winter wird das kleine Badehäuschenso stark beheizt, dass darin saunaähnliche Temperaturenherrschen. In den heißen Sommermonaten begnügt man sichmeist mit lauwarmem Wasser. Die Banja wird aufgrund des großen Energieverbrauchsnicht täglich geheizt, im Sommer etwa dreimal wöchentlichund im Winter einmal wöchentlich. Dadurch entstehenBadetage, an denen sich die ganze Familie wäscht. Natürlichsind Badezimmer mit fließendem Wasser, die es in Einzel-fällen auch in Zakovrjazhino gibt, komfortabler – aber mitSicherheit nicht gemütlicher.

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Monat kommen drei Priester aus Novosibirsk, um den Got-tesdienst zu halten und die Kommunion zu geben. Ansonstentrifft sich die Gemeinde zum Reden, Beten und Singen. Dieaktive Gemeinde ist sehr klein. Am Sonntag, den 22.8.99, besuchten zwei Exkursionsteil-nehmerinnen den Gottesdienst mit etwa zehn älteren, zweijüngeren Frauen und einem Mann. Eine der beiden Exkur-sionsteilnehmerinnen wurde darauf aufmerksam gemacht,einen Rock zu tragen, wie es für Frauen in der Dorfkircheüblich ist. Der Gottesdienst dauerte zwei Stunden undbestand aus Bibellesungen, Gesang und Gedichtvorträgen.Er endete mit dem Spenden der heiligen Kommunion. Nach dem Gottesdienst wurde der Altar zum Esstischumfunktioniert, um die mitgebrachten Speisen für die Prie-ster aufzutischen. Die Geschichte der Dorfkirche ist für rus-sische Verhältnisse beispielhaft (vgl. DIETZ & HILKES, 1994:103ff). Bis 1941 gab es die russisch-orthodoxe Kirche, diedanach als Lagerraum genutzt wurde. Bis etwa 1990 wurdenauch hier die Gläubigen bei ihrer Religionsausübung behin-dert und man traf sich in privaten Kreisen.

4.3.5 Die Geschichte des Dorfes Zakovrjazhino

In einem Küchentischgespräch mit der Bibliothekarin derDorfbibliothek entstand eine Timeline (Zeittafel), die unsüber die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse in Zakovr-jazhino informierte. Schon im 17. Jahrhundert soll auf dem Gebiet des Ortes eineerste Siedlung entstanden sein. Doch seinen Namen bekamdas Dorf von Zakovrjazhin Slabodchikov, einem alten Sibir-jaken, der nach 1850 an dem kleinen Fluss Suzun zwei Müh-len baute und eine Ortschaft gründete.8 Nach der Oktoberre-volution begann mit dem Bürgerkrieg für Zakovrjazhinoeine schwere Zeit. Der Führer der Weißen Armee Kolchakwar mit seinen Truppen bis in dieses abgelegene Gebiet vor-gedrungen. Seinem Terror fielen etliche Dorfbewohner zumOpfer. Mitte der 1920er Jahre hatte die Rote Armee die uneinge-schränkte Herrschaft errungen und nun begann der sozialisti-sche Aufbau im Dorf mit der Gründung von vier Kolchosenund der Schaffung sozialer und medizinischer Einrichtun-gen. Während des Krieges nahm das Dorf viele Deportierteund Flüchtlinge auf und so musste der erste Klubraum vor-übergehend zur Bäckerei umfunktioniert werden. Dochschon bald nach Kriegsende entstanden neue und bessereVersorgungseinrichtungen. Im Jahr 1950 wurden die vierkleinen Kolchosen zur Kolchose „Kalinina“ vereinigt. In den 1960er Jahren soll die Gegend durch Atomversuche inder kasachischen Steppe um Semipalatinsk verseucht wor-den sein. Genaues weiß niemand darüber, doch die Zahl derKrebserkrankungen stieg an.Wie überall in der Sowjetunion waren die kommenden 20Jahre durch eine zunehmende Technisierung der Produktiongekennzeichnet, wobei sich der Lebensstandard langsamverbesserte. Doch in den 1980er Jahren stagnierte die Ent-wicklung zunehmend. Mit der Perestrojka, die 1985 begann,versiegten in Zakovrjazhino schon bald die staatlichen Geld-ströme zur Förderung der Kolchose und Kredite wurden sounerschwinglich, dass der wirtschaftliche Verfall des Dorfesunausweichlich war. Seit 1993 haben viele Menschen (vor allem Deutsche) dasDorf verlassen. Doch gleichzeitig siedeln sich neue Familien

aus anderen Regionen an. Viele von ihnen kommen aus demnahen Kasachstan, wo Russen und Deutsche seit der Unab-hängigkeit zunehmend als Ausländer betrachtet und behan-delt werden. Trotzdem stellt die Bibliothekarin besorgt fest,dass die Zahl der Kinder im Dorf immer weiter fällt. Waren1965 noch 600 Mädchen und Jungen in der Bibliothek ange-meldet, so sind es heute nur noch 250.

4.3.6 Sammlung von Einzelinformationen

Im folgenden sind interessante Einzelbeobachtungen oder-informationen aufgelistet, die thematisch nicht eindeutigeinem Thema zuzuordnen sind oder aufgrund des beschränk-ten Zeitbudgets nicht weiter verfolgt werden konnten.

● Mit Holz geheizt werden, neben der bereits erklärtenBanja, die meisten Küchenherde und die Einfamilienhäu-ser. Das Holz, das sich vor den Häusern befindet, ist Pri-vateigentum der Hausbewohner. Es wird im nahen Waldgeschlagen. Mit Kohle wird weniger geheizt, denn diesemuss für Geld von außerhalb zugekauft werden.

● Nicht alle Dorfbewohner haben private Felder oder Gär-ten direkt am Haus.

● Die Wohnhäuser der Angestellten der Administration derKolchose sind aus Stein und die Bewohner klagen überdie schlechte Wärmeisolierung.

● In der Leninstraße steht ein zweistöckiges Holzhaus. Diemeisten Wohnhäuser sind nur einstöckig.

● Auf manchen Briefkästen steht der Straßenname. ● An den Fenstern mancher Häuser befindet sich Plastikfo-

lie zum Schutz gegen den Staub der Straße, aber auch alsKälteisolierung im strengen Winter.

● Verkehrsschilder sind aus Holz.● Alte Traktorreifen dienen, zur Hälfte in die Erde einge-

graben, als Blumenrabatte.

● In jeder Straße gibt es mindestens einen Brunnen, flie-ßendes Wasser haben die wenigsten der Einfamilienhäu-ser.

● Ein hoher Feuerturm steht auf einer Anhöhe im Dorf,einen weiteren gibt es im Wald.

8 Noch heute leben im Dorf einige Bewohner, die den FamiliennamenZakovrjazhin tragen.

„Blumenreifen“ neben typischen Brunnen (A.H.)

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26 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

● Am Rande des Ortes befindet sich ein kleiner Friedhofmit Gräbern, die durch Zäune nochmals einzeln abge-grenzt sind.

● An vielen Häusern sind Hinweistafeln angebracht. Esgibt Schilder die den guten sanitären Zustand bestätigenoder einen verdienten Kriegsteilnehmer ausweisen. Esgibt auch runde Schilder, auf denen ein Eimer oder eineSchaufel abgebildet sind. Sie geben an, wie sich dieBewohner im Falle eines Brandes verhalten sollen bezie-hungsweise was sie mitbringen müssen, um den Brand zu

löschen. Trotzdem gab es auch abgebrannte Häuser imDorf.

● Die Strommasten sind mit Betonpfeilern verstärkt, damitsie bei Tauwetter nicht umfallen. Die Stangen zwischenden Betonpfosten der Strommasten und den Gartenzäu-nen dienen zum Festbinden der Pferde und verhinderndas „Falschparken“.

● Oft stellen die Maschinenführer die Kolchosmaschinenvor ihren Wohnhäusern ab – aus Angst, dass Teileabmontiert werden, wenn sie im Kolchosfuhrpark abge-stellt sind.

4.3.7 Zukunftsszenarien

Aus den Ergebnissen der Befragungen, Interviews undgemeinsamen Diagrammen zur Kolchose erstellten wir einPlakat mit drei möglichen Zukunftsszenarien der dörflichenWirtschaft:

● Selbstversorgung● Genossenschaftsmodell und / oder Kolchose● bäuerliche Privatisierung

Die Visualisierung des Istzustandes diente dabei als Grund-lage für eine Rückmeldung der von uns gewonnenenErkenntnisse an die Dorfbewohner, die damit gleichzeitigzur kritischen Prüfung der Ergebnisse aufgerufen wurden.Die Zukunftsszenarien waren als Anregung zu einer (Grup-pen-) Diskussion am Ende des Aufenthaltes bestimmt. Mit

Plakat 10: „Dörfliche Wirtschaft in Sibirien – Gegenwart und Zukunft“

„Geparktes Pferd“ (N.L.)

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Der Feldaufenthalt 27

den Dorfbewohnern wollten wir erörtern, welche Wege undStrategien sie für ihre Zukunft am wahrscheinlichsten bezie-hungsweise realisierbar hielten.

4.4 Deutsche in Zakovrjazhino

An dieser Stelle soll nochmals vermerkt werden, dass allegemachten Beobachtungen in einem sehr kurzen Zeitraumentstanden sind und dass wir nicht über eine zuverlässigeEmpirik verfügen. Die gesammelten Zitate sind Meinungenvon Einzelpersonen und in einer Ausnahmesituation entstan-den. Grundsätzlich sind uns keine Probleme oder gar Natio-nalitätenkonflikte aufgefallen. Die Bewohner leben unterdenselben Bedingungen im Dorf, gleich welcher Nationalitätsie angehören. Die Zitate können belegt werden, sollen aberfür den Leser keine Rückschlüsse auf bestimmte Personenzulassen.

4.4.1 Deutsche in Russland – ein geschichtlicher Überblick

Um zu verstehen wie es dazu kam, dass Menschen deutscherNationalität in Russland überhaupt gesiedelt haben, müssenwir einen Blick in die Vergangenheit werfen (vgl. „Zeittafel“im Anhang).Geschlossene deutsche Siedlungsgruppen mit zumeist bäu-erlichem Charakter entstanden durch die planmäßigeAnsiedlung unter der Zarin Katharina II und den Zaren PaulI. sowie Alexander I. im 18. und 19. Jahrhundert. KatharinaII. lud in einem 1763 erlassenen Manifest ausländische Sied-

ler nach Russland ein und lockte diese mit Vergünstigungenwie Religionsfreiheit, freier Ortswahl, Steuerfreiheit undMilitärdienstbefreiung. Grund für diese liberale Siedlungs-politik waren die großen ungenutzten und fruchtbarenGebiete an der Südflanke des Zarenreiches, die durch neueSiedler, Kolonisten genannt, urbar gemacht werden sollten.Durch Kriege, Frondienste, Hungersnöte, politische Unter-drückung und fremde Besatzung gab es Auswanderungswil-lige, die der beengenden deutschen Heimat entfliehen woll-ten. Der Versuchung der in Aussicht gestellten Privilegienfolgten schon kurz nach dem erlassenen Manifest 27 000Menschen ins Wolgagebiet. Diese großen Ansiedlungendeutscher Bauern und Handwerker dauerten bis 1842 undeinzelne Kolonien wurden noch bis 1862 angelegt. Nach denursprünglichen Kolonien, den Mutterkolonien, entstandendurch die prosperierende Wirtschaftsweise und die Möglich-keit des Landerwerbs weitere, sogenannte Tochterkolonien. Die noch von Zar Nikolaus I. bestätigten Privilegien hobAlexander II. im Jahr 1871 auf. Grund dafür war ein wach-sender Neid der russischen Oberschicht auf die Privilegiender Deutschen, nicht zuletzt bedingt durch das wirtschaftli-che Wachstum der Kolonien. Als offizieller Anlass diente derdeutsch-französische Krieg und die Gründung des deutschenReiches, sah man doch einen nationalen Fremdkörper inRussland heranwachsen. Im Jahr 1914 lebten rund 1,6 Milli-onen Deutsche in Russland.Politische Umwälzungen und die zwei Weltkriege sollten dieLage der Russlanddeutschen im 20. Jahrhundert tiefgreifendverändern und die gewachsene Integration zerstören. Wäh-rend des ersten Weltkriegs gab es aufgrund von Liquida-

tionsgesetzen erste Vertrei-bungen Deutscher. So kamenrund 200 000 Wolhynien-deutsche, durch Enteignungvöllig verarmt, nach Sibirien.In den Jahren 1929/1930wurden durch Stalins „Entku-lakisierung“ im Zuge derKollektivierung viele Deut-sche, vor allem Männer, nachSibirien verschleppt. Als am 22.6.1941 Deutsch-land die UdSSR angriff, setz-te eine weitere Verhaftungs-welle ein. Am 24.8.1941erließ das Präsidium desObersten Sowjets einen Ukas(Erlass) über die Aussiedlungder Deutschen aus dem Wol-gagebiet, in dem die Russ-landdeutschen der aktivenUnterstützung der deutschenTruppen beschuldigt wurden.Kurze Zeit später wurden dieDeportierungen auf dengesamten europäischen Teil

Plakat 11: „Das Bild derDeutschen / das Bild der Rus-sen“

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der UdSSR ausgedehnt. Insgesamt wurden 800 000 Menschen nach Sibirien undKasachstan deportiert und etwa 400 000 lebten bereits imasiatischen Teil der UdSSR. Männer zwischen 15 und 60Jahren sowie kinderlose Frauen kamen in die „Trudarmija“,in Zwangsarbeitslager. Etwa 300 000 Russlanddeutsche sindin dieser Zeit umgekommen. Der Zustand der Diskriminierung deutschstämmiger Sowjet-bürger änderte sich erst 1955, nachdem diplomatische Bezie-hungen zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR aufge-nommen wurden (WIENS 1997: 2ff, 12ff; DIETZ & ROLL,1998: 22f). Seit der Perestrojka erhalten die in den 1940erJahren aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen eine Ent-schädigung in Form einer kleinen Zusatzrente oder auch alsSofortzahlung. Diese bleibt jedoch, wie viele andere Zahlun-gen, häufig aus oder bedarf langer Bürokratiewege.

4.4.2 Verhältnis der Nationalitäten zueinander

Im September 1941 kamen die ersten Deutschen nachZakovrjazhino. Sie bekamen anfangs Wohnungen vom Dorfgestellt, wohnten in kleinen Häusern oder nur in Erdhüttenim Wald. Andere wieder haben anfänglich in russischenFamilien gelebt. Die Deutschen wurden von allen Dorfbe-wohnern freundlich aufgenommen, wie uns von einigenDeutschen und von russischen Bewohnern des Dorfesberichtet wurde. Die Deutschen wurden als Evakuierte undnicht als Deutsche (Staatsfeinde) betrachtet. Einige deutsche Dorfbewohner erinnern sich an die Ankunftim Dorf nicht so positiv. Sie wurden von den Russen als„Fritzis“ empfangen. Oft wurden Assoziationen mit demNS-Regime hergestellt und Deutsche durch das Schimpf-wort „Nazis“ abgefertigt. Deutsche wurden so als Faschistenbezeichnet, „aber kein Russe würde heute zugeben, dass erdies in der Vergangenheit getan hat“. Kam im Krieg ein rus-sischer Soldat aus dem Dorf um, „ gab es schon mal Rache-akte“. „Die Russen haben sich immer gegen die Deutschengewendet.“ So lauten die Zitate einer Zeitzeugin. Bei derArbeit in der Kolchose gab es ebenfalls Benachteiligungenfür Deutsche: „… hat erst der Russ’ gekriegt und was dablieb, war für Deutsche“, obwohl man sich als mindestensgenauso fleißig einstufte. Auch durfte ab den 1940er Jahrennicht mehr deutsch gesprochen werden. Darauf hin ändertenmanche ihren deutschen Namen oder versahen diesen mitrussischen Änderungen. Sie erhofften sich dadurch, den Dis-kriminierungen und Benachteiligungen durch die Russenentkommen zu können.Es gab mit Sicherheit Diskriminierungen, vor allem in denJahren 1941–1956, als Deutsche sogar unterschreiben mus-sten, das Dorf nicht zu verlassen. So berichtete eine Bewoh-nerin aus dieser Zeit: „Es gab eine kranke Frau im Dorf, dieaber nicht zur nötigen Behandlung nach Novosibirsk insKrankenhaus gelassen wurde“. Die Deutschen beschrieben die Russen als Wilde und sahensich als die „Kulturbringer“ in der Vergangenheit, die mitOrdnung, Sauberkeit und neuen Anbaumethoden das Landkultivierten. Ein ältere Frau verriet uns: „Eine Banja ohneRauchabzug ist typisch für Russen“, Russen haben deshalbeine „schwarze Banja“, die Deutschen eine saubere, „wei-ße“. Ein anderer Dorfbewohner erklärte uns die in seinen Augenmangelhafte russische Arbeitsmotivation: „Russen haben in

mindestens drei Generationen seit der Oktoberrevolution dasselbständige Wirtschaften verlernt und eigentlich wollen sieauch nicht arbeiten.“Die deutschen „Kulturbringer“ sahen sich dann oft unver-standen: „Deutsche bringen Russen soviel Gutes bei, trotz-dem werden sie verfolgt.“Die Jugendlichen sehen heute keine Unterschiede mehr zwi-schen Deutschen und Russen. Zwar ist von vielen die Natio-nalität allgemein bekannt, aber diese spielt im täglichenUmgang miteinander keine entscheidende Rolle. Eine jungeFrau erklärte: „Bei uns gibt es keine typischen Eigenschaf-ten, weil die Menschen das ganze Leben hier wohnen undwir sind gleich so wie russische Leute hier.“ Viele sehen dieZuordnung zu ihrer Nationalität als gänzlich unbedeutend:„Ich habe mehrere russische Freunde. Meine Freunde, dassind die Mädchen und die Jungen, die, mit denen ich mit-lernte … , aber ich habe darüber wirklich nicht gedacht“.Weitere Beispiele sind die vielen gemischten Ehen, die heu-te herrschende Gleichberechtigung in der Kolchose oder diegemeinsame russische Sprache. Bei einem Transekt trafenwir auf ein großes Haus in dem eine deutsche und eine russi-sche Familie zusammen wohnen. „Sie waren befreundet undsind dann zusammengezogen“, so einfach und plausibel wardie Erklärung unserer Begleiterin.

4.4.3 Vertreibung und Heimatverständnis

Einer der älteren Dorfbewohner berichtete sehr ausführlichüber die Deportation, die er als Kind erlebte. Wenige Tagenach Kriegsbeginn, im Juni 1941, wurde die Verschleppungder Deutschen aus dem Wolgagebiet eingeleitet. Zakovrjaz-hino, das Dorf in Sibirien, wo er auch heute noch wohnt, warEndziel der langen Reise. Seine Familie erreichte den Ort imOktober 1941. Obwohl er sein ganzes Leben hier verbrachthat, betrachtet er die Gegend nicht als richtige Heimat. Er hatsich hier zwar vieles aufgebaut, was er zum Leben braucht,aber nicht mehr: „… alles hab´ ich aufgebaut und Heimathaben wir keine nicht, nicht in Russland und nicht an dieWolga und auch nicht hier, ich rechen, ich hab´ keine Heimatmehr.“ Verbittert über die Vertreibung machte er uns erstma-lig auf den Ukas vom 18.8.1941 „Über die Umsiedlung derDeutschen, die in den Volga-Rayons leben“ (WIENS, 1997:16) aufmerksam. Diese Anordnung sah er als die Zerstörungseiner Heimat an.

Gehöft in Zakovrjazhino: Heim oder nur Wohnort? (N.L.)

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Der Feldaufenthalt 29

Die finanziellen Entschädigungen für die Wolgadeutschenwerden nur schleppend gezahlt. Einer Frau aus dem Dorfstand eine solche Entschädigung von 8349 Rubel zu. „Da sienicht lesen und schreiben kann, hat sich alles verzögert, bisein Dritter endlich die Sache in die Hand genommen hat“,erläuterte ein Bewohner und kritisierte in diesemZusammenhang die Regierung: „… auch heute noch werdenDeutsche von Russen tyrannisiert“.Wir haben keine Russlanddeutschen getroffen, die meinten,Deutschland sei ihre Heimat. Vielen ist Deutschland sehr fremd und sie haben Angst, inDeutschland als Russen betrachtet zu werden. Diese Angstist oft berechtigt, wie auch wir in unserer Vorstudie überRusslanddeutsche in Trier feststellen konnten. Viele wurdennoch bis in die achtziger Jahre als Deutsche verachtet undfühlen sich deshalb auch in Russland fremd: „Mir sindFaschisten, weiter nix. No und dort in Deutschland, sprechenunsere, tun heißen Russenschweine. Das gefällt mich auchnicht“, so beklagte sich ein Rentnerin über das Dilemma, nir-gends richtig aufgehoben zu sein. Für sie ist auch der BegriffHeimat undefinierbar: „Ich verstehe das nicht, wo meineHeimat ist. Hier in Russland oder in Deutschland?“ Für viele ist Zakovrjazhino und Russland ihre Heimat: „Ichbin hier geboren in Russland und des ist meine Heimat inRussland „ so eine Frau. Ein Schüler differenzierte: „InRussland gefällt mir, dass hier ist, wie sagt man, mein Hei-mat. Das mein liebes Land und Deutschland ist, wie sagtman, Land, wo kommen meine Eltern, meine Urgroßeltern,nur das.“Einige Ältere sehen die Wolgagegend als ihre Heimat an, dasie dort aufgewachsen sind. Für sie ist die Wiedereinführungeiner autonomen Wolgarepublik ein großer Wunsch. Siewürde ihrem Heimatgefühl Rechnung tragen. Gäbe es dieWolgarepublik, wären viele Deutsche nicht nach Deutsch-land ausgesiedelt, sondern hätten sich dort zusammen gefun-den: „… sie wären wieder zusammen gezogen an die Wolgaund täten leben, gut leben“, so ein Bewohner.

4.4.4 Deutsche untereinander

Die deutsche SpracheSTRICKER schreibt zur Sprachentwicklung seit dem zwei-ten Weltkrieg, dass das Deutsche nie einem formellenSprachverbot unterlag. Aber es war einem Erkennungsmerk-mal ähnlich, das den Nutzer der „Sprache der Faschisten“mit Misstrauen strafte und ausgrenzte (STRICKER, 1997:603). Dementsprechend war die Pflege der russischen Spra-che als Mittel zur Integration von enormer Wichtigkeit.Trotzdem ist für viele der älteren und mittleren Generationder Russlanddeutschen die Sprache ein wichtiger Teil desDeutschseins, „selbst wenn ihre tatsächliche Sprachkompe-tenz gering ist“ (DIETZ & ROLL, 1998: 41). Für andere ist dieSprache sekundär: „ … ich spreche auf Rus´sch, keiner kannnicht sagen, dass ich deutsch bin, ich spreche reine Rus´sch“,aber „von Abstammung fühlen mir uns deutsch“, so einBewohner. Es fehlt in Zakovrjazhino die Notwendigkeit,deutsch zu sprechen. Die russische Sprache ist einfach prak-tischer. Dazu kommt, dass viele deutsche Familien sichuntereinander nicht kennen und selbst die älteren Dorfbe-wohner mit ihresgleichen nur wenig deutsch sprechen. EineFrau erklärte uns das allmähliche Verschwinden der deut-schen Sprache: „Meine Eltern sind Deutsche, meine Mutterist Deutsche, Großmutter ist Deutsche und alle unsere sindDeutsch. Unsere Großmutter konnt gar nicht russisch spre-chen. Die hat auch mit meine Mann deutsch gesprochen, noer hat se verstande. Seine Großmutter hat auch nur deutschgesprecht. Meine Muttersprache ist deutsch … aber wir spre-chen zu Hause nicht deutsch. Meine Eltern sprechen wenigdeutsch. Mir sprechen auch russisch mit den Eltern. Mit derGroßmutter ha´ ma deutsch gesprecht. Nu die Großmutter istjetzt tod, da sprechen wir nur russisch.“ So waren es meistdie Großeltern, die die deutsche Sprache vermittelten (DIETZ

& ROLL, 1998: 41f).Wir konnten beobachten, dass unser Aufenthalt vielfach zurBelebung versteckter Deutschkenntnisse führte. Einige derdeutschen Bewohner verständigten sich mit uns auf Deutsch.Anfänglich war dies für sie ungewohnt und schwierig, dadies nicht ihre alltägliche Sprache war. Doch sie hatten vie-les noch nicht vergessen und durch die vorliegende Situation– wir sprachen so gut wie kein russisch – reaktivierten sieüberraschend schnell ihr altes Sprachvermögen.

DialektsammlungDurch die Deportationen wurden die vielfältigen deutschenOriginaldialekte der einzelnen Wolgagebiete in „sprachlicheMischsiedlungen“ verändert, da in den DeportationsgebietenDeutsche aus unterschiedlichen Herkunftsorten zusammenlebten. So wurden verschiedene deutsche Mundartvertreteraus homogenen Dialektgebieten in einer neuen Siedlungzusammengeführt (STRICKER, 1997: 603). Dieses Phänomender verschiedenen Dialektformen begegnete uns auch inZakovrjazhino. Typische Begriffe und Formulierungen dereinzelnen Dialekte wurden von einigen Exkursionsteilneh-mern gesammelt. Jede Variante beschreibt die Mundart eineranderen FamiliVergleicht man die Dialektformen (STRICKER, 1997: 588ff)mit einer Sprachprobe der wolgadeutschen Varietät aus demGebiet Omsk, so trifft man auf weitgehende Übereinstim-mungen. „Unsre Eldern ware viele wo die russ’sche Spracheiwrhaupt ga’ nicht kunde, die sin hiwe gebore un sin großge-

Russlanddeutsche in Zakovrjazhino: Heimat oder nurLebensmittelpunkt?(D.F.)

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30 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

wachse un so sin se aach gstorwe dahier“ (Sprachprobe aus:STRICKER, 1997: 588).

Deutsches Liedgut„Eine Eigenart, die alle Kolonien kennzeichnete, war dieLiebe zum Gesang“ (STRICKER, 1997: 548). In neueren Zei-ten aber ist „die Kenntnis deutscher Volkslieder fast nur nochauf die ältere Generation beschränkt“ (STRICKER, 1997:554f). Letztere Aussage können wir für Zakovrjazhino sobestätigen. Glücklicherweise trafen wir eine alte Frau, diesämtliches Liedgut nicht nur singen konnte, sondern diesesauch akribisch in handschriftlicher Form zusammengetragenhatte. Ihre stattliche Sammlung von Volksliedern besteht ausfast einhundert Liedern in deutscher wie auch in russischer

Sprache. Bei vielen Liedern gab es Versionen in beiden Spra-chen mit der selben Melodie. Der Inhalt der Lieder ist sehrvielfältig, spiegelt aber viele Stationen des Erlebten wider.So geht es in den Texten um den Alltag, das Leben in derVerbannung. „In der Fremde … muss mir mein Brot selbstverdienen, ist oft hart wie Stein.“ Aber auch Lieder, die dasKriegsleid schildern und natürlich Liebeslieder, mit heiterenund melancholischen Inhalten gehören ins Repertoire.

4.4.5 Deutschlandbild

Die gängige Vorstellung von Deutschland war häufig die,dass alles sauber sei, alle Straßen befestigt wären und dassman alles kaufen könne. Auffällig war das überwiegendpositive Bild von Deutschland, wobei der Eindruck entstand,dass viele Aussiedler ihre Entscheidung, ausgewandert zusein, nicht in Frage stellen wollten und überwiegend positiveNachrichten zurück nach Russland sandten. Das bestehendeDeutschlandbild stützt sich hauptsächlich auf Berichte vonAussiedlern, die Briefe schreiben oder zu Besuch nachZakovrjazhino zurück kommen. So trafen wir einen Aus-siedler, der besuchsweise im Dorf war. Er hatte 40 Jahre inKasachstan gelebt und bestätigte: „Deutschland ist schön“. Detailliertere Ansichten waren aber ebenso vertreten: „Nunja, vielleicht wenn mein Mann auch ein Deutsche war, dannvielleicht würde ich unbedingt nach Deutschland gefahren.Aber als ich aus der Literatur weiß und lese, in Deutschlandgibt es auch viele Probleme heutzutage, deshalb bin ich hierauf meinem Platz. Nun ich habe Hochbildung, aber ich spre-che nicht besonders fließend deutsch und ich meine, dass ichin Deutschland für meinen Beruf keine Arbeit finde, deshalbbleibe ich besser hier.“Ein älterer Herr steht in Briefkontakt mit einem ausgesiedel-ten Deutschen. Selbst war er noch nicht in Deutschland.Auch ihn machen die Erzählungen von Aussiedlern etwasmisstrauisch: „was die Leute erzählen, ist doch nicht alleswahr. Man kann es nicht sich so vorstellen, das kann mir nurangucken und spüren, wie und was es ist, in Deutschland zuleben.“

Vorstellung der Resultateunserer „Dialektforschung“

Plakat 12: „Dialektformenin Zakovrjazhino“

Hochdeutsch Variante 1 Variante 2Anrufen AnklingelnBohnen BauneFiltern LeitenFrau WeibsleinGenötigt geneidichtGerste GerschteGummistiefel Galosche Hirse HerscheHuhn HingelMais Weltschkorn Welschkorn Müde marode MarauderPaprika PfefferRoggen KornSchnell scharfTomaten Pomodory PomatoreSonnenblumen Sunrosen Streuselkuchen Grimmelkuche

Tabelle 2: Dialektformen in Zakovrjazhino

Die „Hüterin“ des Liedgutes (A.H.)

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Der Feldaufenthalt 31

Einige wenige waren schon in Deutschland. Eine junge Frau,die Deutschland besucht hatte, berichtete über die Men-schen: „Es gibt verschiedene Leute in Russland und inDeutschland. Ich meine, dass die Deutschen … mehr übersich erzählen und sie können mehr über ihre psychologi-schen Probleme erzählen, weil sie darüber denken und beiuns gibt es wahrscheinlich andere Probleme.“ Eine andere Frau hatte ihre konkreten Vorstellungen vonWest- und Ostdeutschland: Wenn sie die Wahl hätte, möchtesie lieber nach Westdeutschland als nach Ostdeutschland.„Da soll es besser sein“. Schließlich erklärte eine andereFrau: „Von Deutschland, was wissen wir? Wir wissen vonDeutschland aus der Schule, was wir in der Schule gelernthaben. Nu, so wissen wir über Deutschland nix.“

4.4.6 Aussiedlung nach Deutschland

Jeder Deutsche mit Wohnsitz in der ehemaligen Sowjetunionhat die Möglichkeit nach Deutschland überzusiedeln. Auchseine nahen russischen Verwandten dürfen ihn begleiten, sosieht es der Artikel 116 des Grundgesetzes der Bundesrepu-blik vor.Durch das Spätaussiedlergesetz von 1992 und das Kriegsfol-genbereinigungsgesetz von 1993 ist die Zuwanderung vonAussiedlern auf 225 000 Personen im Jahr beschränkt wor-den und seit Mai 1996 ist bei Ausreisewilligen zusätzlich einSprachtest Pflicht, um die seit der Perestrojka gestiegenenAussiedlungen zu begrenzen (DIETZ & ROLL, 1998, 17ff).9

Seit der Einführung des Testes wollen viele nicht mehr aus-reisen, weil ihre Deutschkenntnisse zu gering sind. DieDokumente zur Übersiedlung sind nur zwei Jahre gültig.Danach muss ein neuer Antrag gestellt werden. „Man musseine Menge Papiere sammeln und einen Antrag für einendeutschen Pass stellen“, so erklärte ein Ausreisewilliger. Viele der Dorfbewohner sind an einer Ausreise nachDeutschland interessiert: „… und wenn es jetzt noch mög-lich wär, ich tät auch machen nach Deutschland.“ Aber eswürde die Teilung seiner Familie bedeuten und das ist für ihninakzeptabel, erklärte uns ein Familienvater. So steht in denmeisten Fällen eine Aufspaltung der Familie der Ausreise imWege. Russische Familienmitglieder wollen in der Regelnicht nach Deutschland und meist bleibt aus diesem Grundauch der deutsche Teil in Russland. „Nu, mein Mann will mitmir in Russland wohnen. Leben ist besser, wie mir leben.Leichter wohnt ihr in Deutschland wie mir in Russland“, soeine Frau, die sich Deutschland gerne anschauen würde, umzu „gucken, wie in Deutschland Menschen leben.“ Ein alteFrau beschrieb ihre Gefühle poetisch: „Hätte ich Fliegel,würd’ ich nach Deutschland fliegen“.

4.5 Auswertung und Feedback

Der fünfte Tag unseres Aufenthaltes in Zakovrjazhino standganz im Zeichen einer abschließenden, vorläufigen Auswer-tung und des Feedbacks unseres Feldaufenthaltes. Den Vor-mittag nutzten wir noch, um den entstandenen zahlreichenPlakaten den letzten Schliff zu geben beziehungsweisegesammelte Notizen in eine repräsentierbare Form zu brin-gen.

Für den späten Nachmittag waren alle Interessierten in dasKulturhaus eingeladen. Unter dem Motto „So haben wirEuch gesehen“ wollten wir die Eingeladenen mit unserenvisualisierten Ergebnissen konfrontieren und mit ihnenhinterher in Kleingruppen zu den einzelnen Themen disku-tieren, Kritik und Anregungen aufnehmen sowie Ergänzun-gen oder Korrekturen an unseren vorläufigen Ergebnissenvornehmen lassen.Als erstes zeigten wir den Film über Russlanddeutsche inTrier. Er stieß auf reges Interesse und stille Aufmerksamkeit.Eine richtige Diskussion wollte allerdings danach nicht auf-kommen.

9 Insgesamt 3,69 Mio. Aussiedler sind zwischen 1950 und 1996 in dieBundesrepublik gekommen. Lag ihre Zahl in den 1970er–80er Jahrenetwa bei 50 000 im Jahr, so stieg sie Anfang bis Mitte der Neunziger aufüber 400 000 pro Jahr. Derzeit ist die Zahl der Aussiedler auf etwa100 000 /Jahr zurück gegangen (vgl. Ohliger 1999; Pfetsch 1999 nachZahlen des Statistischen Bundesamtes).

Der Aufbau der Kolchose wird gemeinsam visualisiert

Die Notizen und Mitschriebe werden in die Feedback-Plaka-te integriert

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32 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

Danach stellte jede Kleingruppe auf der Bühne ihre Plakatevor. Hier einige Beispiele:

Vorstellung des Plakates „Dörfliche Wirtschaft in Sibirien,Gegenwart und Zukunft (E.M.)

Glaube im Dorf (A.H.)Bild der Russen, Bild der Deutschen (A.H.)

Dialektformen ( A.H.)Dorfgeschichte (A.H.)

Zuschauerinnen bei der Filmvorführung (E.M.)

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Der Feldaufenthalt 33

Nach der Präsentation schienen die Teilnehmer relativerschöpft. Die geplante Kleingruppendiskussion verlor sich inden Vorbereitungen zum gemeinsamen Kaffeetrinken. DiePlakate pinnten wir an die Wände des Saales, so dass sichzumindest mit dem einen oder anderen doch noch ein span-nendes Gespräch zwischen Kaffee und Kuchen ergab.

Da unsere Gastgeber für den Abend noch eine großeAbschiedsgala geplant hatten und vorher noch die Kühegemolken werden mussten, wurde die Tafel relativ schnellaufgehoben. Der Abend wurde dann ein rauschendes Fest, mitvielen Reden, mit Musik, Tanz, Wodka, Spielen und auf unse-rer Seite durchsetzt mit wehmütiger Abschiedsstimmung.

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34 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

5 Schlusswort

Ein Hinweis vorweg: Der Bericht ist nach bestem Wissenund Gewissen entstanden. Eine „quantitative Erfassung“ desDorfes fand nicht statt. Wir verzichteten nicht nur aus prak-tischen Gründen darauf. Kleinere Fehler sollen uns verzie-hen werden, aber wir nehmen berichtigende Hinweise gerneauf.Nach nur fünf Tagen haben wir dieses Dorf verlassen. Wirhaben vieles mitgenommen und vielleicht auch mancheshinterlassen. Die eigentliche „Veranstaltung“ einer ethnolo-gischen Exkursion war bei vielen von uns in jenen Tagen inVergessenheit geraten. Aus Sicht eines Ethnologiestudieren-den war der Aufenthalt in Zakovrjazhino die „Krönung“ desgesamten Studiums. Die angewandten RRA-Methodenwaren in der Praxis überraschend effektiv und vor allemhaben sie uns und die Bewohner „spielend“ zusammenge-bracht. Wir hoffen, dass man uns gut in Erinnerung behalten wird.Für uns war es mit Sicherheit eine sehr erlebnisreiche Wocheund für manche auch eine prägende Zeit. Es ist selten, auf soviel Gastfreundschaft und Interesse zu stoßen. Die notge-

drungene Selbstversorgung hat auf uns einen tiefen Eindruckhinterlassen. Das Dorf bot uns bei aller wirtschaftlichen Notein Bild der Idylle, wir fühlten uns gut aufgehoben. Es wareinfach nur spannend und schön in dem „staubigen“ Dorfmit dem „unaussprechlichen“ Namen Zakovrjazhino.Wir können es nicht nachvollziehen derart zwischen denStühlen zu sitzen, wie die Bewohner von Zakovrjazhino. Wirbesuchen fremde Länder aus Interesse. Wir wissen mehroder minder wo unsere Heimat liegt; falls nicht, können wirin unserem kleinen Deutschland schnell nach Hause fahren.Wir sind Deutsche unter Deutschen und in unserem Heimat-land keine Minderheit. Es ist beklemmend, den Menschen über Bleiben oder Verlas-sen nichts Verlässliches raten zu können. Man kann Vor- undNachteile nur aufzeigen, sie können nur abwägen und wir fürsie nur hoffen, dass sie die richtige Entscheidung finden wer-den. Einfach wird sie für die Bewohner aus dem Dorf inSibirien nicht sein. Ich wünsche, im Namen aller Exkursionsteilnehmer, denMenschen von Zakovrjazhino alles Gute auf ihrem zukünfti-gen Weg, egal welche Entscheidung sie treffen werden.

Felix Kupper

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Literatur 35

PFETSCH, BARBARA (1999): In Russia we were Germans,and now we are Russians. Dilemmas of Identity Formationand Communication among German-Russian Aussiedler.Discussion Paper FS III 99–103. Wissenschaftszentrum Ber-lin.

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SCHEIN, EDGAR (1995): Unternehmenskultur: Ein Hand-buch für Führungskräfte. Frankfurt [u.a.]: Campus-Verlag

SCHÖNHUTH, MICHAEL (1996): PRA (ParticipatoryRural Appraisal) im Diskurs. In: Entwicklungsethnologie 5(2), S. 11–33.

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SCHÖNHUTH, MICHAEL und KIEVELITZ, U. (1993):Partizipative Erhebungs- und Planungsmethoden in der Ent-wicklungszusammenarbeit: Rapid Rural Appraisal, Partici-patory Appraisal. Eschborn: GTZ.

SMITH, SUSAN, D.G. WILLMS and JOHNSON, N.A.(1997) eds.: Nurtured by Knowledge. Learning to Do Parti-cipatory Action Research. Ottawa: IDRC.

STRICKER, GERD (1997): Deutsche Geschichte im OstenEuropas. – Rußland. Berlin.

WIENS, H. (1997): Volk auf dem Weg. In: Landsmannschaftder Deutschen aus Rußland, Kulturrat der Deutschen ausRußland (Hrsg.), Volk auf dem Weg. – Deutsche in Rußlandund in der GUS. 1763–1997. 5. Aufl. Stuttgart.

6 Literatur

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DIETZ, BARBARA und ROLL, H. (1998): JugendlicheAussiedler – Porträt einer Zuwanderergeneration. Frankfurt/ Main.

DIETZ, BARBARA und HILKES, P. (1994): Integriert oderisoliert? – Zur Situation rußlanddeutscher Aussiedler in derBundesrepublik Deutschland. München.

HALL, BUDD (1981): Participatory Research, PopularKnowledge and Power. In: Convergence 14,3, S. 6–17.

HESS, CARMEN et al. (1998): Partizipation unter derLupe: Ethnologische Begegnungen mit partizipativenMethoden im Forschungs- und Aktionszusammenhang. In:Entwicklungsethnologie 7 (2) 1998, S. 11–48.

OHLIGER, RAINER (1999): Aussiedlerzuzug weiter rück-läufig. In : Rainer Münz & R. Ulrich (Hrg.), Migration undBevölkerung, Bd. 3. Berlin: Bevölkerungswissenschaft, HU-Berlin, S. 2.

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36 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

7 Anhang

Zeittafel

1763 Manifest der Zarin Katharina II. (1762–1796):Aufruf an Ausländer zur Einwanderung nachRussland.

1804 Manifest Alexander I. (1801–1825): Einladungzur Ansiedlung Deutscher im Schwarzmeerge-biet.

1824 Gründung zahlreicher Kolonien am Schwarz-meergebiet durch Einwanderer aus Süddeutsch-land und Danzig-Westpreußen.

1838 Bestätigung der Privilegien der Kolonistendurch Nikolaus I. (1825–1855).

1842 Verleihung der Bürgerrechte an die Kolonisten.1871 Aufhebung des Kolonialstatuts, Ende der

Selbstverwaltung der Kolonien.1874 Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht.1879 Zweibund zwischen Deutschland und Öster-

reich. Folge: Verschlechterung der Lage derDeutschen in Russland.

1881 Ermordung Alexanders II. (1825–1881).Beginn der Russifizierung unter Alexander III.(1881–1894).

1904–1905 Niederlage Russlands im Russisch-japanischenKrieg, teilweise Liberalisierung und wirtschaft-licher wie kultureller Aufschwung in den Kolo-nien.

1908 Geschlossenes deutsches Siedlungsgebiet ent-steht in der Kulundasteppe, Sibirien.

1914 Erster Weltkrieg: 300 000 Russlanddeutschedienen in der russischen Armee.

1915 Pogrom gegen Deutsche: Liquidationsgesetze.1917 Februarrevolution: Abdankung des Zaren Niko-

laus II. (1894–1917). Aufhebung der Liquida-tionsgesetze. Bürgerliche Regierung. Gründungeines Zentralkomitees aller Russlanddeutschen.Oktoberrevolution: Lenin (1917–1922).

1918 Kriegsende. Repatriierungsklausel zugunstender Russlanddeutschen. Gebietsautonomie derWolgadeutschen.

1924 Schon unter Stalin (1922–1953) wird die Auto-nome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolga-deutschen (ASSRdWD) gegründet. Die Haupt-stadt ist Engels. 600 000 Einwohner leben in derWolgarepublik. Offiziell hat diese bis 1945 exi-stiert.

1927 Letzte Siedlungsneugründungen am Amur.1928 Beginn der Kollektivierung, „Entkulakisie-

rung“ und Schließung der Kirchen.1929 14 000 Deutsche versuchen aus der UdSSR aus-

zureisen, 5700 werden nur zur Durchreise nachNord- und Südamerika in Deutschland aufge-nommen.

1938 Einführung des Russischen als Unterrichtspra-che an deutschen Schulen außerhalb der Wolga-deutschen Republik.

1938/39 Auflösung aller deutschen Rajons außerhalbder Wolgarepublik.

1941 Das Deutsche Reich greift am 22. Juni dieUdSSR an. Ab Juli beginnen die Deportationenaus den westlichen Teilen der UdSSR unter Sta-lin (Krim, Kaukasus, Teile des Schwarzmeerge-bietes). Ende August beginnen Deportationender Wolgadeutschen nach Sibirien und Mittel-asien, basierend auf dem Ukas (Erlass) vom 28.August. Erste Ansiedlung wolgadeutscherFamilien auch in Zakovrjazhino.

1945 Kapitulation der Deutschen Wehrmacht (8.Mai). Massenweise Deportation der Russland-deutschen aus den russischen Besatzungszonennach Sibirien und Mittelasien.Offizielle Auflösung der Wolgarepublik.

1948 Verbannung auf „ewige Zeiten“: Verlassen derAnsiedlungsorte ohne Sondergenehmigung mitZwangsarbeit bis zu 20 Jahren strafbar.

1949 Gründung der Bundesrepublik Deutschland.Die Möglichkeit der Rückkehr von Vertriebe-nen und Flüchtlingen nach Deutschland wird imGrundgesetz (Artikel 116, Absatz 1) verankert.

1955 Deutschland erkennt die russische Staatsbür-gerschaft der Russlanddeutschen an. Besuchvon Kanzler Adenauer in Moskau. UnterChruschtow (1958–1964) hebt die UdSSRBeschränkungen in der Rechtsstellung derRusslanddeutschen auf. Eine Rückgabe deskonfiszierten Eigentums findet nicht statt. Esbesteht weiterhin das Verbot der Rückkehr indie Heimatkolonien.

1958–1959 Deutsch-sowjetische Abkommen über dieFamilienzusammenführung.

1964 Noch unter Chruschtow findet eine offizielleRehabilitierung vom Vorwurf der Kollaborationmit Hitler-Deutschland sowie die Aufhebungdes Deportationsdekretes statt.

1972 Nicht veröffentlichter Ukas: Freie Wohnsit-zwahl für Deutsche in der UdSSR.

1973 Den Russlanddeutschen wird unter Breschnew(1964–1982) das Recht auf freie Ausreise undder Minderheitenschutz garantiert.

1981 Kulturliberalisierung: Deutschsprachiges „Dra-mentheater“ wird in Termirtau gegründet.

1986 Neues Gesetz über Ein- und Ausreise erleichtertdie Familienzusammenführung.

1989 Gründung der deutschen Gesellschaft „Wieder-geburt“, mit dem Ziel einer Wiederherstellungder Wolgarepublik. An der Wolga gibt es öffent-liche Proteste gegen die Rückkehr der Deut-schen.

1990 Die Bundesrepublik erschwert durch das Ein-gliederungs-Anpassungs-Gesetz und das Aus-siedler-Aufnahme-Gesetz die Einwanderungder Russlanddeutschen.

1991 Noch unter Gorbatschow (1988–1991) wird der1938 aufgelöste Rajon Halbstadt (Nekrassowo)im Altai wiederhergestellt.

1992 Gründung des deutschen Rajons Asowo imGebiet Omsk. Dekret über die Bildung einesdeutschen Rajon und eines deutschen Bezirks

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37Anhang 37

(Okrug) in den Gebieten Saratow an der Wolgaund Wolgograd. Die Mehrheit der dortigenBewohner sind gegen eine Autonomie derDeutschen. Jelzin (1991–1999) stellt eine stu-fenweise (4–5 Jahre) Wiederherstellung derWolgarepublik in Aussicht.

1993 Durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz derBundesrepublik werden Leistungsbeschränkun-

gen für Spätaussiedler und eine Aufnahmequo-te von jährlich cirka 225 000 Menschenbeschlossen.

1993 Wahl eines Volkstages der Russlanddeutschenals Vorparlament.

1996 Die Bundesrepublik beschließt das zweiteWohnortezuweisungsgesetz. Einführung desSprachtestes für Aussiedler.

Deutsche Familien in Zakovrjazhino

Familienname

Ackermann

Altenhoff

Axt

Bär

Block

Bock

Eckert

Emmer

Emmerich

Ermisch

Felk

Gerlinger

Haan (Hahn)

Karl

Krüger

Mal

Merz

Otto

Reisch

Schmalz

Schmitt

Seibel

Steinpreis

Trautwein

Weigel

Wolf

Zern

Zorn

(Zusammengefasst aus: WIENS, 1997: 40f; STRICKER, 1997: 35ff & 112ff)

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38 „Hätt ich Fliegel, würd ich nach Deutschland fliegen“

BildrechteDie abgebildeten Fotographien wurden von folgendenExkursionsteilnehmer aufgenommen, bei denen wir uns fürdie Zurverfügungstellung von Bildmaterial bedanken möch-ten.

(N.A.) Nicole Arendt(D.F.) Daniela Franzke(A.H.) Andrea Haller(N.L.) Natalie Luckner(E.M.) Ernst Mettlach(M.S.) Michael Schönhuth. Die Bilder ohne Initialen wurden von Felix Kupper gemacht.

Plakate:• Aufgeführte PlakatePlakat 1: „Was fällt zu Russland ein ?“Plakat 2: „Russenvorurteile“Plakat 3: „Zeitplan“ Plakat 4: „Erste Umzeichnung der von Bewohnern

gemeinsam erstellten Dorfkarte“Plakat 5: „Transektplakat: Kalinin-Puschkinstraße“Plakat 6: „Ressourcenkreislaufdiagramm eines Haus-

halts in Zakovrjashino“Plakat 7: „Nahrungskreislauf einer Familie (Altgläubige)

– südlich vom Baikalsee“Plakat 8: „Das Venn-Diagramm: Kolchoseeinrichtun-

gen“ Plakat 9: „Selbstversorgung einer Familie in Zakovrjaz-

hino“Plakat 10: „Dörfliche Wirtschaft in Sibirien – Gegenwart

und Zukunft“Plakat 11: „Das Bild der Deutschen / das Bild der Russen“Plakat 12: „Dialektformen in Zakovrjazhino“

• Nicht abfotographierte Plakate– Vier weitere „Transekt-Plakate“– „Arbeitswoche“

– „Dorfgeschichte“ – „Familiennamen in Zakovrjazhino“– „Familienstammbaum & Verwandtschaftsnetzwerk“ – „Privatgeschichte einer Familie“– „Russlanddeutsche: Familien aus Trier“

TabellenTabelle 1: Ein Teil des Kolchosbestandes und seine Verän-

derungTabelle 2: Dialektformen in Zakovrjazhino

KartenKarte 1: Das Gebiet um ZakovrjazhinoKarte 2: Auswanderung von Deutschen nach Russland im

18./19. Jahrhundert

Videoaufnahmen aus Trier

„Russlanddeutsche. Den Deutschen gleichgestellte Auslän-der. Integration und Identität von russisch-deutschen Aus-siedlern in Trier“. Video VHS Farbe , 43 Minuten. Institut fürden Wissenschaftlichen Film, Göttingen & Universität Trier,FB IV, Ethnologie, Trier 1999. Buch und Regie: Andrea Hal-ler, Janette Janko, Kirsten Joppe (Inhalt: Vorstellung derStadt Trier, Interviews mit Russlanddeutschen, mit der Auf-nahmeverwaltung und einer kleinen Umfrage in der Innen-stadt, sowie Gruppeninterviews mit russlanddeutschenJugendlichen).

Videoaufnahmen und Transskripte aus Zakovrjazhino

Interview mit Studentin (geb. 1976); 23.8.99Interview mit Hausfrau (geb. 1964); 23.8.99Interview mit Schüler (geb. 1983); 23.8.99Interview mit Lehrerin (geb. etwa 1950); 24.8.99Interview mit Rentner (geb. 1931); 24.8.99Interview mit Rentnerin (geb. etwa 1935); 25.8.99

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ISSN 1616-7147

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