Erziehungskunst Spezial 2015

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07/08 | 2015 Juli/August | 3,50 Kinder stärken fördern begleiten erziehungs kunst Waldorfpädagogik heute spezial

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Kinder stärken - fördern - begleiten

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07/08 | 2015 Juli/August | 3,50 €

Kinderstärkenfördernbegleiten

erziehungskunstWaldorfpädagogik heute

spezial

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M. Glöckler: Kinder in der Gegenwart.Entwicklung von körperlicher, seelischer und geistiger Gesundheit 4

J. Greiner: Die wichtigsten Lehrer sind die Schüler.Über die Bedeutung des pädagogischen Blicks 9

R. Reichle: Missverständnisse.Wodurch unterscheiden sich Waldorfschüler als Patienten von anderen Schülern? 13

M. Bennett: Der erste Mondknoten und die Malerei.Kunstunterricht kann dem Ich auf die Sprünge helfen 18

B. Burghardt: Singen – Spielen – Erkennen.Drei Wege des Musikalischen in der Schulzeit 22

D. Krüger: Sprich Dich gesund 26

E. Leiste: Heileurythmie in der Schule – wozu eigentlich? 30

A. Berlin-Zinkhahn: Bewegung macht den Menschen 32

Im Luftstrom der Laute. Die Chirophonetik hilft nicht nur bei Sprachproblemen.Im Gespräch mit Dieter Schulz 37

A. Natterer: Entspannt in den Schultag 40

Bücher 45

Die Entwicklung unserer Kinder 47

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

2 INHALT

erziehungskunst spezialWaldorfpädagogik heute

79. Jahrgang, Heft 07, Juli/August 2015, Auflage 70.500

Herausgeber: Bund der Freien Waldorfschulen e.V., Wagenburgstr. 6, 70184 Stuttgart, Tel.: 07 11/2 10 42-0

Redaktion: Dr. Ariane Eichenberg, Mathias Maurer, Lorenzo Ravagli

Anschrift der Redaktion: Wagenburgstraße 6, D-70184 Stuttgart, Tel.: 07 11/2 10 42-50/-51 | Fax: 07 11/2 10 42-54E-Mail: [email protected], Internet: www.erziehungskunst.deManuskripte und Zusendungen nur an die Redaktion. Die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge tragen die Verfasser.

Gestaltungskonzept: Maria A. Kafitz

Herstellung: Verlag Freies Geistesleben, Maria A. Kafitz

Verlag: Verlag Freies Geistesleben, Postfach 13 11 22, 70069 Stuttgart, Landhausstraße 82, 70190 StuttgartTel.: 07 11/2 85 32-00 | Fax: 07 11/2 85 32-10, Internet: www. geistesleben.com Ti

telfoto: flausenimkopf / photocase

Kindergesundheit

Pädagogik

Psychiatrie

Kunst

Musik

Sprache

Heileurythmie

Förderunterricht

Chirophonetik

Chronobiologie

Erlesen

Kongress 2015

Impressum

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Heile GänschenJulian kommt gelangweilt ins Wohnzimmer geschlurft. Er scheint auf der Suchenach Aktion, oder sagen wir, er ist in bester Diskussionslaune. Sein Blick fällt aufein Buch mit dem Titel Heilende Erziehung. »Was ist denn das? Wieso heilt Erziehen?So’n Quatsch! Erziehen heißt nerven, nöhlen und nix tun dürfen! Das macht dochkrank, oder?« Ich blicke von meiner Zeitung auf und prüfe erstmal die Ernsthaftig-keit seiner Steilvorlage. »Ja, es gibt aber viele Kinder, die krank sind. Nicht nur kör-perlich, sondern auch psychisch.« Julian kontert: »Meinst Du denn, jeder, derrumzappelt, ist krank?« – »Naja, es gibt schon viele Zivilisationsschäden: falscheErnährung, zuviel Medien, zuwenig Bewegung, Stress, oder ab in die Krippe mit dreiMonaten ... Schon mal was von Wohlstandsverwahrlosung gehört?«, frage ich.Julian kommt auf Touren: »Erziehung soll da helfen? Schwachsinn! Ich sag nur: Frei-heit für die Kinder!« – »Wenn’s so einfach wäre. Kindheit ist heute eine stressige An-gelegenheit – besonders für Eltern. Eigentlich bräuchten die eine besonders heilendeZuwendung. Heilend klingt doch gut«, versuche ich mich in einer Erklärung.Julian höhnt: »Meinst Du eia poppeia, softimäßig?« – »Hör’ mal zu«, antworte ich,»Heilen ist ja etwas Schönes, heil machen heißt ganz machen. Du erinnerst Dich:›Heile, heile Gänschen ... ‹, da ist doch was dran, geholfen hat´s bei Dir auch. Undwenn Erziehen heilt, dann ist das doch eine gute Sache ...« – »Ei, wie schön, ei, wieromantisch«, unterbricht mich Julian, »typisch Waldorf! Abgesehen von krassenFällen: Ein bisschen Ansage, ein bisschen Dampf, ein bisschen Kante täte mancherWaldorflusche gut.« Ich versuche, ruhig zu bleiben: »Wenn Du mit Fieber im Bettliegen würdest, und ich Dir sagen würde: ›Los, steh’ auf, Du Simulant, geh’ joggen,mach’ Deine Hausaufgaben ...‹, wäre das nicht ganz angesagt, oder? Heilsam wärenvielleicht Wadenwickel, und die gibt es auch bei der Erziehung.« – »Wadenwickelvom Lehrer? Verschone mich!« Ich gebe nicht auf: »Na, ich meine wenn man Unterstützung bekommt, um sich besser konzentrieren zu können oder ...« – »Heil -eurythmie, Sprachgestaltung und Hauschka lassen grüßen«, jault Julian auf. »Aber«,insistiere ich, »hattest Du nicht mal wegen Deiner Buchstabendreher in der Drittenein paar Einheiten beim Förderlehrer? Geholfen hat’s ja.« – »Ist ja gut, ist ja gut,Eurem Heilerwillen scheint keiner zu entkommen. Da lohnt es sich ja richtig, einige Macken und Malaisen zu haben«, Julius schaut mich triumphierend an. Als ich nicht gleich reagiere, schiebt er hinterher: »Heile, heile Gänschen ...« ‹›

Aus der Redaktion grüßt

Mathias Maurer

EDITORIAL 3

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Liebe Leserin, lieber Leser,

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Kinder in der GegenwartEntwicklung von körperlicher, seelischer

und geistiger Gesundheit

von Michaela Glöckler

KINDERGESUNDHEIT4

Kinder leben in der Gegen-wart. Sie freuen sich, wennwir sie sehen, uns für sie in-teressieren und offen sind für

das, was sie erleben undsagen. Ähnlich ist es mit

allem, was wir »gesund« nen-nen, denn Gesundheit istreine Gegenwart – sie ent-steht in jedem Augenblick

neu. Wenn ich heute gesundbin, heißt das nicht, dass iches morgen auch sein werde.

Daher ist es wichtig, zu wissen, wie Gesundheit gefördert werden kann

und was sie beeinträchtigt.

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Drei Faktoren bestimmen die Entwicklung der körperlichen, seelischen und geis -tigen Gesundheit:• Genetische, naturgegebene Veranlagungen, durch die »Reaktionsnormen« fest-gelegt sind; zum Beispiel wird im ersten Lebensjahr alle Aufmerksamkeit daraufkonzentriert, den Körper aufzurichten, im zweiten Lebensjahr liegt alle Aufmerk-samkeit auf dem Sprechen. Nicht die erworbenen Fähigkeiten sind vererbt, sondern jeweils nur die Disposition, sie zu erlernen. Daher braucht es altersent-sprechende Lernangebote.• Einflüsse aus der Umwelt, die über die Vielfalt der Sinneseindrücke und ihr Miter-leben auf die körperliche Entwicklung des Kindes unmittelbar Einfluss nehmen. Nurdas kann nachgeahmt werden, was das Kind zu sehen bekommt. Fehlen bestimmteEindrücke und Erfahrungen, können sich bestimmte Anlagen nicht entfalten.• Die Individualität des Kindes, die sowohl seine körperliche Veranlagung als auchsein Milieu durch ihre tätige Anteilnahme mitbestimmt. Aus der Resilienzforschungwissen wir, wie zutreffend der Hinweis Rudolf Steiners war, das Kind müsse liebe-voll angesprochen, durch Interesse und Anteilnahme in den Leib und durch diesenin die Welt »hereingerufen« werden. Je mehr das Kind erlebt, dass es »gewollt« und»angenommen« ist, um so stärker folgt es diesem Ruf und bemüht sich, für sichund die Mitwelt »da zu sein«. So konnten manche Kinder sich zu gesunden lebens-bejahenden Menschen entwickeln, die eine familiäre genetische Belastung hattenoder aus einem traumatisierenden Milieu stammten, während viele andere es nichtschafften und wegen mangelnder Ansprache gewaltbereit, kleinkriminell, alkohol-oder drogenabhängig wurden.Diese drei Faktoren: genetische Veranlagung, Umwelteinflüsse und die sich inkar-nierende einmalige Individualität bestimmen im Laufe der Entwicklung den Grad derkörperlichen, seelischen und geistigen Gesundheit.Jedes Kind setzt sich individuell mit seiner genetischen Veranlagung und seinemMilieu auseinander. Eltern und Erziehern kommt die Aufgabe zu, wahrzunehmen,

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Die drei funktionellen Haupt-systeme (Nerven-Sinnessy-stem, rhythmisches Systemund Stoffwechsel-Glied-maßensystem) kommennacheinander zur Ausreifung

was das Kind jeweils braucht, was es lernen kann und will. Dabei gilt die vonSteiner charakterisierte Grundhaltung, »Erziehung« als einen vom Kind aktiv pro-vozierten und gesteuerten Lernprozess zu betrachten, den der Erwachsene zwar un-terstützen, fördern und begleiten kann, jedoch nicht konditionierend beeinflussensollte. Je besser dies verstanden und realisiert werden kann, umso selbstbestimmterund »authentischer« kann sich das Kind entwickeln und die Meilensteine seinerkörperlichen, seelischen und geistigen Reifung erreichen.

Matrix der EntwicklungDie drei funktionellen Hauptsysteme – Nerven-Sinnessystem, rhythmisches Trans-port- und Verteilungssystem und Stoffwechsel-Gliedmaßensystem – kommen nichtgleichzeitig, sondern in typischer zeitlicher Abfolge nacheinander zur Ausreifung:• Die Ausreifung der Sinnesfunktionen und etwa 90 Prozent der Kapazitäten desZentralnervensystems erreichen bereits in den ersten acht, neun Lebensjahren dievolle Funktionstüchtigkeit.• Entwicklung und Stabilisierung der biologischen Rhythmen einschließlich derAusreifung der Frequenzabstimmung zwischen Atem- und Herzrhythmus sind imAlter von 15-16 Lebensjahren abgeschlossen.• Das Wachstum des Skelettsystems zur Erwachsenenform und die Stabilisierung derStoffwechselvorgänge und des Hormonhaushaltes dauern je nach Hautfarbe undgenetischer Veranlagung vom 18. bis 23. Lebensjahr.

2015 | Juli/August erziehungskunst spezial Foto: Charlotte Fischer

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KINDERGESUNDHEIT6

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Körperliche Gesundheit im ersten JahrsiebtDas Nervensystem und die sensomotorische Koordination – das heißt, die Ver-knüpfung von Sinnesfunktionen mit der muskulären Tätigkeit – können sich um sogesünder und leistungsfähiger differenzieren, je vielseitiger sie benützt, geübt undbetätigt werden. Das Kleinkind experimentiert mit verschiedensten Bewegungen,lernt sich aufzurichten und entdeckt mit Hilfe all seiner Sinne die Welt. Daher giltes, Bewegungs- und Spielräume zu schaffen, in denen die Kinder sich aus eigenemAntrieb altersentsprechend bewegen und betätigen können. Durch die in diesemAlter so beliebten musikalisch-rhythmischen Singspiele wird auch die zur Soziali-sation notwendige Fähigkeit des Zuhörens und des harmonischen Zusammenspielsveranlagt. Die Hirnforschung berichtet, dass ein Kleinkind 20 bis 50 Mal am Tageinen Zustand größter Begeisterung erlebt. Dabei kommt es im Gehirn zur Aktivie-rung der Zentren für emotionale Erlebnisse, was das Kind dazu veranlasst, das, wases mit Begeisterung macht, zu wiederholen und immer besser zu machen.

Stützen, Fördern, Begleiten durch:• Anregung von Initiative durch eigenes Tun und »Vorbild-Sein«, anstatt vom Kindetwas zu fordern.• Spielmaterial, das die Eigenaktivität fördert: einfache Gegenstände und Materia-lien, die der Phantasie Raum lassen und viele Gestaltungsmöglichkeiten zulassen.• Aktivierung und Pflege der Sinne durch entsprechend ausgestattete Spielräume.• Veranlagen guter Gewohnheiten durch regelmäßiges Tun, kleine Rituale am Mor-gen, beim Essen, am Abend vor dem Schlafengehen.• Rhythmische Gestaltung des Tages-, Wochen-, Monats- und Jahreslaufes.• Momente ungeteilter Aufmerksamkeit für das Kind, zum Beispiel beim Aufste-hen und Zubettgehen und im Verlauf des Tages. Wenn der Tag mit vielen Pflichtenangespannt verläuft – das Kind im Bewusstsein haben, es »in Gedanken tragen«,mitnehmen. Dann sind die Momente der Begegnung intensiv und substantiell.• »Nonverbaler« Erziehungsstil: Nicht das Wort, sondern die Handlung, das Vorbildzeigt, worum es geht. Nur so erlebt sich das Kind als freigelassen. Denn es ahmt auseigenem Antrieb nach.• Vermeiden von Multimedia-Angeboten und technischem Spielzeug, weil sie dieSinnestätigkeit und körperliche Aktivität massiv einschränken.• Lebensfreude und Dankbarkeit zeigen.• Klare Grenzen setzen und »leben«, das gibt Sicherheit und Orientierung.

Seelische Gesundheit im zweiten JahrsiebtPhysiologisch steht die Entwicklung der Organe des Rhythmischen Systems im Vor-dergrund: Lunge und Herz-Kreislaufsystem. Das bedeutet, dass es jetzt um Ge-

Nervensystem

EigeninitiativeRhythmusGrenzen

Rhythmisches System

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KINDERGESUNDHEIT 7

KunstGesprächFragen

sprächs- und Gefühlskultur geht, um emotionale und soziale Reifungsprozesse.Denn jedes Gefühl, das im Wechselspiel mit der Umwelt und mit den Menschen zuHause und in der Schule angeregt wird, hat unmittelbaren Einfluss auf die Rei-fungsprozesse dieser Organsysteme. Nicht nur im Erröten und Erblassen, auch amKalt- oder Warmwerden von Händen und Füßen kann abgelesen werden, wie es derBlutzirkulation geht und ob die Atmung stockt, flach wird, unregelmäßig oder tiefund ruhig ist.

Stützen, Fördern, Begleiten durch:• Die von Steiner empfohlene »künstlerische« Methodik und Didaktik im Unter-richt.• Gesprächskultur erleben zuhause, in der Schule und sonst in der Gesellschaft.• Mit inneren Fragen leben: Wie war unser letztes Gespräch? Wann hatte ich Zeit, In-teresse? Habe ich das Anerkennenswerte bemerkt, lobe ich genug oder bringe icheher zum Ausdruck, was mich stört?• Aus Fehlern lernen: Wer aus seinen Fehlern lernt, entwickelt sich nachhaltig – ent-sprechend auch ein Team zusammenarbeitender Menschen. Wie gehe ich mit Feh-lern und Fehlverhalten der Kinder und Jugendlichen zuhause und in der Schule um?Wie helfe ich, aus Fehlern zu lernen, den positiven Gewinn daraus zu ziehen? Solange Fehler machen mit Angst behaftet ist und Schamgefühle auslöst, entstehenDemütigungen, gefolgt von Lernunlust, Lernblockaden. Auch werden dadurch kri-minelle Energien geweckt in Form von Sinnen auf Betrug und Vorspiegelung falscherTatsachen. Denn man möchte kompetenter erscheinen, als man tatsächlich ist.• Klare Führung in Grundsatzfragen im Tagesablauf unter Einbezug der Wünsche derKinder. Verabredungen treffen und klar vereinbaren, wie sie eingehalten werden.• Künstlerische Betätigung, insbesondere Erlernen eines Musikinstrumentes, Singenund Musizieren in Gemeinschaft.• Kontrollierter Multimediagebrauch zu Hause und, wo immer möglich, das Aufar-beiten des Gesehenen und Erlebten im Gespräch. In der Schule sollte der Einsatzelektronischer Medien als Unterrichtsmittel noch konsequent vermieden werden zu-gunsten kreativer und menschlich-interaktiver Lern- und Entwicklungsprozesse.

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»Jedes Kind setzt sich individuell mit seiner genetischen Veranlagung und seinem Milieu auseinander. Eltern und Erziehern kommt die Aufgabe zu, wahrzunehmen, was das Kind jeweils braucht, was es lernen kann und will.«

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KINDERGESUNDHEIT8

Zur Autorin: Dr. med. Michaela

Glöckler war Kinderärztin am

Gemeinschaftskrankenhaus in

Herdecke und an der Universitäts-

Kinderklinik in Bochum, schulärzt-

liche Tätigkeit in der Rudolf-Steiner-

Schule in Witten und hat seit 1988

die Leitung der Medizinischen

Sektion am Goetheanum.

Literatur:

G. Opp, M. Fingerle (Hrsg.): Was

Kinder stärkt. Erziehung zwischen

Risiko und Resilienz, München 2008

G. Soldner, H. M. Stellmann: Indivi-

duelle Pädiatrie, Stuttgart 2011

W. Goebel, M. Glöckler: Kinder-

sprechstunde, Stuttgart 2013

P. Selg: Ich bin anders als Du.

Vom Selbst- und Welterleben des

Kindes in der Mitte der Kindheit,

Arlesheim 2011

J. W. Rohen, E. Lütjen-Drecoll:

Funktionelle Anatomie des Menschen,

Stuttgart 2006

B. Rosslenbroich: On the Origin of

Autonomy. A New Look at the Major

Transitions in Evolution, Heidelberg,

New York 2014

www.gerald-huether.de/populaer/

veroeffentlichungen-von-gerald-

huether/texte/begeisterung-gerald-

huether/index.php

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

Geistige Gesundheit im dritten JahrsiebtDie Entwicklung von Skelett und Stoffwechselsystem zur Erwachsenennorm wird ambesten gefördert durch alles, was »aufrichtet« und begeistert. Sich selber Ziele steckenlernen, Ideale verfolgen, seine Hoffnung auf etwas setzen können – man sieht esden Jugendlichen am Gang an, ob sie das haben oder nicht. Drogenabhängige wer-den von Dealern am Gang erkannt. Wärmebildung und Aktivität der Verdauungs-prozesse werden durch eigenständige geistige und seelische Verarbeitungsprozesseunterstützt.

Stützen, Fördern, Begleiten durch:• Zeit haben zum Gespräch.• Selbstdenken, Beobachten, Forschen und Auswerten anregen.• Freund und Begleiter sein, Interesse haben für das, was den Jugendlichen be-schäftigt.• Wachsendes Freiheitsbewusstsein und Selbstständigkeit respektieren, eigene Er-wartungen zurückstellen.• »Familienrat« halten. Verabredungen gemeinsam treffen, deren Erfolg oder Mis-serfolg analysieren und das weitere Vorgehen beraten.• Sich über das »ganz Andere« freuen lernen, verstehen wollen, was den Jugendli-chen bewegt.• Vertrauen riskieren und signalisieren: Ich stehe zu dir – egal was kommt – und bingespannt, wie Du werden wirst.• Medienkompetenz entwickeln durch bewussten Einsatz elektronischer Medien,wo es altersentsprechend sinnvoll ist und den Unterricht fördert.

Bewegung und Spiel unterstützen insbesondere das Nervensystem in seiner Aus-bildung. Das Organ für die geistige Tätigkeit braucht für seine gesunde Entwicklungkörperliche Aktivität. Die seelische Tätigkeit und Gefühlsreifung stimuliert hinge-gen die Ausbildung des rhythmischen Systems, das seinerseits die körperlicheGrundlage des Gefühlslebens ist. Die geistige Entwicklung, das selbstständige Den-ken, wirkt sich fördernd auf die gesunde Entwicklung der Stoffwechsel- und Glied-maßen-Funktionen aus. Körperliche, seelische und geistige Entwicklungsprozessestehen so in Wechselwirkung mit einander – wie auch die Entwicklungsprozesse,die Gesundheit bewirken. ‹›

»Das Organ für die geistige Tätigkeit braucht für seine gesunde Entwicklung körperliche Aktivität. «

�›Skelett und Stoffwechsel

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PÄDAGOGIK 9

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Mein pädagogisches Schlüsselerlebnis hatte ich mit einer Klavierschülerin, die sehr,sehr große Mühe hatte, mit dem Klavier vorwärts zu kommen. Sie konnte sich nichteinmal den Anfangston eines Liedes merken. Dabei nahm ich alle Tricks und pä-dagogischen Kniffe zu Hilfe, die ich kannte. Ich erklärte ihr die Tastatur als Abfolgevon Zwillingen und Drillingen (schwarzen Tasten), malte entsprechende Bilder undso weiter. Kaum war sie zu Hause, wusste sie nicht mehr, wo sie beginnen sollte undkam die Woche danach wieder, ohne geübt zu haben. Schnell merkte ich, dass siestark legasthenisch veranlagt war. Sie verwechselte immer wieder die rechte undlinke Hand, konnte sich die Nummerierung der Finger nicht merken, konnte nurmühsam lesen, noch mühsamer schreiben und nichts mit Noten anfangen. Sie warsehr klein für ihr Alter – als wäre sie zurückgeblieben. Ihre Mutter hatte wohl keinegroße Meinung von ihr. Sie sprach von dem »Dreikäsehoch«, dem man zeigenmuss, wo‘s lang geht. Als Monate um Monate verstrichen, ohne dass wir merk-bare Lernerfolge erzielen konnten, wurde mir klar, dass ich eine Kollegin fragenmüsste, ob sie das Mädchen übernehmen kann. – Doch ließ dieses Versagen mirkeine Ruhe.Immer wieder musste ich an mein pädagogisches Scheitern denken – schließlichwar ich ein Klavierlehrer mit mehr als 18 Jahren Unterrichtserfahrung. Das kratzteganz schön an meinem Ego. Konnte ich wirklich nichts erreichen? Musste ich auf-geben? Meine Gedanken schweiften immer wieder zu dieser Schülerin. Ich fragtemich, wie man nur so schlecht sein kann. Wie ist das möglich? Konnte sie wirklichnichts? Das konnte ich nicht glauben! Etwas musste sie doch können! Ich nahmmir vor, dafür wach zu sein, was sie konnte.Bei den nächsten Klavierstunden fielen mir Dinge auf, die ich noch nie wach be-merkt hatte, obwohl sie immer schon so waren: Das kleine Mädchen schaute mirbei der Begrüßung immer ganz gerade in die Augen! Das ist etwas Besonderes!Viele Menschen weichen dem Blick aus und streifen die Augen höchstens kurz. Sieschaute mich immer klar und lange an, wenn sie mir ihre Hand zur Begrüßung ent-gegenstreckte. Außerdem beobachtete ich, wie sorgfältig sie das Aufgabenbüchleinund das Liederheft auf das Klavier legte. So, als wären das ganz kostbare Dinge.

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Die wichtigsten Lehrer sind die SchülerÜber die Bedeutung des pädagogischen Blicks

von Johannes Greiner

Um die individuelle Entwick-lung seiner Schüler zu fördern, muss der Lehrer sichvor allem von seinen Vorur-teilen befreien. Oft reicht esschon, anders auf die Kinderzu blicken, um ihre verborge-nen Fähigkeiten zu entdecken.Wir sind, weil andere unssehen.

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10 PÄDAGOGIK

Dabei konnte sie die Noten und das Geschriebene ja kaum lesen. Und doch dieseordentliche Hingabe und Sorgfalt bei dieser Handlung! Das rührte mich! Etwa dreioder vier Wochen lang beobachtete ich einfach diese zwei Dinge, die sie so schönund besonders tat. Das war etwas, was sie konnte! Dann geschah ein Wunder: Plötz-lich löste sich die Blockade und sie begann zu lernen. In etwa drei Monaten holtesie das nach, was sie in einem Jahr nicht geschafft hatte.

Vertrauen in Fähigkeiten, schafft FähigkeitenIch hatte weder pädagogisch noch didaktisch etwas geändert! Ich habe sie nur an-ders angeschaut. Und damit habe ich ihr die Möglichkeit gegeben, plötzlich etwaszu können. Die Schnecke kam aus dem Schneckenhaus und die Blume konnte sichentfalten! Durch den Blick, der das Gute und Schöne sucht. Diesem Mädchen verdanke ich mehr als allen pädagogischen Büchern, die ich ge-lesen habe. Es öffnete meinen Blick für etwas Wichtiges: Wir können uns in dieje-nigen Richtungen entwickeln, in Bezug auf die uns der Blick der anderen Menschenoffen lässt oder gar anspornt. Wenn ein Lehrer davon überzeugt ist, dass ein Schü-ler etwas nicht kann, so kann er es meist auch nicht. Ein solcher Blick richtet Mau-ern auf, über die der Schüler nicht mehr springen kann. Doch das Umgekehrtewirkt auch: Das Vertrauen im Lehrer gibt dem Schüler Flügel, etwas zu lernen, waser von sich aus vielleicht nie könnte. Ich konnte in den letzten Jahren an den bei-den Rudolf-Steiner-Schulen, an denen ich arbeite, beobachten, wie sich die Vorur-teile der Lehrer im Lernerfolg der Schüler auswirken. Besonders deutlich ist es zubeobachten in der Mathematik: Ist der Lehrer überzeugt von der fehlenden Intelli-genz der Schülerin, so kann sie nichts begreifen. Ein hilfsbereiter Mitschüler kanndann manchmal in einer halben Stunde das erklären und beibringen, was im Unter-richt nicht zu begreifen war. Doch zeigt es sich in allen Fächern.

Unser Blick ist mächtigDurch vertrauenslose Blicke bauen wir Mauern. Hinter solchen Mauern sind vieleSchüler und auch Lehrer eingesperrt. Diese Mauern gilt es durch geübte Vorur-teilslosigkeit und liebevolles Interesse für die Stärken des anderen Menschen zuüberwinden. Wir müssen lernen, auf unseren Blick zu achten. Unser Blick ist mäch-tig. Wir schaffen mit ihm an den anderen Menschen mit. Wir können andere inder Entfaltung hindern, wir können sie auch beflügeln und bestärken. Nichts istwirkungsvoller in der Pädagogik als der Blick. Wenn der Schüler vom Lehrer gese-hen wird, so kann er sich entwickeln. Schüler, die niemand sieht, werden pädago-gisch misshandelt. Es wird an ihrem Wesen vorbei unterrichtet. Man tut ihnendamit Gewalt an. Ich müsste so ehrlich werden, dass ich mir eingestehe, dass icheinen Schüler nicht unterrichten kann, den ich nicht sehe. Wenn ich keinen Blick

Freies Geistesleben

Henning Kullak-UblickJedes Kind ein Könner.Fragen und Antworten zur Waldorfpädagogik. 147 Seiten, zzgl. 16 S. farb.Bildteil, gebunden mit SU | € 19,90 (D) ISBN 978-3-7725-2725-8

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Jeder Mensch will lernen, wenn man es ihm nicht austreibt.»

Henning Kullak-Ublick

Die richtige Schule für ihr Kind zu finden, ist für Eltern eine Heraus-forderung. Bezüglich der Waldorf-schulen gibt es zwar viele Erfolgs-geschichten, aber auch Vorurteile. Henning Kullak-Ublick beantwortet prägnant die häufigsten Fragen zur Waldorfpädagogik, gibt Einblicke in den Unterricht und bietet so Eltern Orientierung bei der Suche nach einer Schule, die nicht nur geeignet, sondern gut für ihr Kind ist.

Der erfahrene Pädagoge berichtetaus der Praxis und gibt eine Ein-fuhrung in die Waldorfpädagogikfur Eltern und angehende Lehrer.

Lernen mit Kopf, Herz undHand

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Henning Kullak-Ublick

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für sein Wesen habe, kann ich ihn nur behindern in seiner Entwicklung. Man kannnur unterrichten, wenn man immer wieder neu nach dem Anderen sucht. Vieles,was wir meinen zu sein, sind wir nur durch die Anderen. Vieles, was wir formulie-ren können, kommt uns nur in den Sinn, weil wir danach gefragt werden. Vieles,was wir an uns entdecken und schulen können, wird uns im Spiegel anderer Augenbewusst. Diese anderen Augen, die uns sehen wollen, helfen uns, wir selbst zu wer-den. Die Ohren, die uns hören, helfen uns, unsere Worte zu finden. Was wir sind,verdanken wir auch den Anderen. Und es gibt keine Kraft, die uns so stark zu unsselber führen kann, wie die Liebe eines anderen Menschen. Ein Mensch, der inLiebe auf uns schaut, wird Hebamme am Geburtsprozess unseres Werdens. Wirsind, weil Andere uns sehen.

Es ist schwer den Anderen zu sehen, wenn es dunkel um ihn istEs fällt nicht so schwer einen Menschen zu sehen, wenn er leuchtet. Schwerer istes, wenn es ihm nicht gut geht und er mit inneren oder äußeren Widrigkeiten kämp-fen muss. Um so wichtiger ist es dann, dass wir ihn nicht aus unserem innerenBlick verlieren, dass wir ihn trotzdem sehen. Vielleicht ist gerade unser Glaube andas, was in ihm schlummert, der einzige Halt, ohne den er tief stürzen müsste.Hierbei geht es um eine Treue im Blick, die bedeutet, dass man immer wieder neuanknüpft an das lichte Bild des Menschen, das man einmal gesehen hat. Die an-

Durch vertrauenslose Blicke bauen wir Mauern. Hinter solchen Mauern sind viele Schüler und auch Lehrer eingesperrt.

Diese Mauern gilt es durch geübte Vorurteilslosigkeit und liebevolles Interesse für die

Stärken des anderen Menschen zu überwinden.

Vieles, was wir meinen zusein, sind wir nur durch die Anderen.

Wir sind, weil Andere uns sehen.

Foto: pixelputze / photocase

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erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

»Wenn wir in anderen

Menschen den gött-

lichen Funken

suchen, so helfen wir

ihnen, sich bewusst

zu machen, was sie

ohne uns nicht

finden könnten.«

Zum Autor: Johannes Greiner

studierte Musik (Hauptfach Klavier)

und Eurythmie. Er ist als Klavier-

lehrer tätig und Lehrer für Singen,

Orchester, Chor, Eurythmie, Ge-

schichte, Kunstgeschichte und Mu-

sikgeschichte an den Steinerschulen

Birseck und FOS Muttenz.

Seit 2005 im Vorstand der Anthro-

posophischen Gesellschaft

in der Schweiz.

12 PÄDAGOGIK

throposophische Psychotherapeutin Annemarie Richards hat dafür ein treffendesBild gefunden: Wenn wir mit einem Menschen gemeinsam in einer Stadt unterwegssind und ihn dann verlieren, so werden wir – sofern wir kein Mobiltelefone dabeihaben – selbstverständlich an den Ort zurückgehen, wo wir den anderen Menschenzuletzt gesehen haben. Das wird auch er irgendwann tun. So werden wir uns wie-der finden. Das gilt auch für zwischenmenschliche Verirrungen und Entfremdun-gen. Wenn wir hierbei heilend mithelfen wollen, so müssen wir innerlichzurückgehen zu der Situation, in der wir ihn zuletzt wirklich gesehen haben. Dortgilt es anzuknüpfen. Damit rufen wir auch ihn zu seinem eigenen Urbild zurück.

Wer den Minotaurus überwinden will, braucht Hilfe von außenAus der griechischen Mythologie gibt es ein Bild, das auch als Leitbild über allerPädagogik stehen kann: Theseus und Ariadne. Theseus stieg in das finstere Labyrinth, um in dessen Zentrum dem wütenden Minotaurus zu begegnen. DieÜberwindung des Minotaurus im Inneren des Labyrinths ist auch die Ausein-andersetzung mit den eigenen Abgründen. Auf diesem Weg vom Umkreis zumZentrum führt Theseus die leuchtende Krone der Göttin Amphitrite, die er auf derReise von Athen nach Kreta erhalten hatte. Mit Götterhilfe steigt der Mensch in seinLabyrinth, das ihn zur Individualisierung und zur Auseinandersetzung mit seinemSchatten, dem Doppelgänger führt. Doch würde Theseus nicht mehr aus dem Labyrinth herausfinden, wenn nicht Ariadne ihm die Verbindung halten würde.Ein Faden verbindet seine Hand im Zentrum und ihre Hand im Umkreis. Sie war-tet außen auf ihn. Sie glaubt an seinen Sieg. Sie kann ihm nicht ins Finstere folgen,hält aber die Hand immer bereit zur Hilfe, wenn er zurück nach draußen kommenmöchte. Eine solche Ariadne kann man den jungen Menschen auch werden, die ge-duldig wartet und vertraut, aber in dem Moment, in dem man sie braucht, wirklichda ist und hilft, den Weg zum Licht zurückzufinden. Denn den Weg nach innen fin-det Theseus mit Götterhilfe. Für den Weg nach außen braucht er Menschenhilfe.Da wirkt die Götterkraft durch den helfenden Menschen.Wenn uns andere Menschen in unserem Streben sehen, können die Kräfte ins Un-ermessliche wachsen. Wenn wir in anderen Menschen den göttlichen Funken su-chen, so helfen wir ihnen, sich bewusst zu machen, was sie ohne uns nicht findenkönnten. Im Blick, mit dem wir die anderen Menschen sehen, liegt eine Kraft, dieuns erst langsam in der Zukunft bewusst werden kann. Es gibt nichts Aufbauen-deres und nichts Zerstörenderes als den Blick eines Menschen. Durch die Art, wiewir schauen, können wir Menschen beflügeln und fesseln. In unserem Blick habenwir eine Gabe, die zum Höchsten und zum Niedrigsten führen kann. ‹›

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PSYCHIATRIE

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Bei Waldorfschülern aller Altersstufen kann ich darauf bauen, dass sie den The-men, die wir im Unterricht behandeln, echtes Interesse entgegenbringen, wenndie Blockaden einmal überwunden sind und der Blick in die Zukunft gerichtet ist.Sie sind in der Regel für ihr Alter umfassend gebildet und fragen nach Zu-sammenhängen. Sie sind oft bemerkenswert fantasievoll und darin geübt, eigeneWahrnehmungen wichtig zu nehmen und wenden nicht vorschnell bekannte Er-klärungsmuster an. Sie bereichern fast immer eine Lern- und Arbeitsgruppe.Es gibt aber auch in der Schule entstandene Probleme, die bei Waldorfschülernüberraschend häufig vorkommen:

Anorexie»Das kann ich jetzt gar nicht verstehen. Sie war doch letzte Woche noch so munterim Unterricht. Hat sie denn einen Unfall gehabt?« – »Nein, Diana ist im Koma beiuns eingeliefert worden. Sie leidet an einer lebensbedrohlichen Essstörung. Sie istbis auf die Knochen abgemagert.« – »Und ich hielt gerade noch gestern so ein schönes Epochenheft von ihr in Händen. Sind Sie sich da ganz sicher mit Ihrer Diagnose?«

Deutlich häufiger als bei anderen Schülern wird von Waldorflehrern Rückzug inTiefe, das perfekte Epochenheft in besonderen Sinn für Schönheit und Beschrän-kung auf formales Können und lexikalisches Wissen in Bienenfleiß uminterpre-tiert. Verkannt wird die umfassende Geste der Verweigerung gegenüber derErdenwelt, die mitunter von den Patienten als tödlich vergiftend und heimatlicheWärme verweigernd erlebt wird. Ihren Rückzug auf das formale Lernen sehen diePatienten als konsequente und nötige Distanzierung, die sich in der Verweigerungder Nahrungsaufnahme fortsetzt. Die sich verschärfende Anorexie wird von Elternund Lehrern nicht wahrgenommen, mitunter, wie diese rückblickend sagen, als ir-ritierend ausgeblendet.

MissverständnisseWodurch unterscheiden sich Waldorfschüler als Patienten

von anderen Schülern?

von Rüdiger Reichle

In der Ita-Wegman-Schule,einer Waldorfschule besonderer Art, suchen und finden täglich rund 65 Patienten der kinder- undjugendpsychiatrischen Stationen des Gemeinschafts-krankenhauses Herdecke(KJP) Anschluss an schulisches Lernen, an soziales Miteinander und an die eigenen Entwicklungs-impulse. Etwa fünf Prozentder Schüler kommen aus Waldorfschulen.

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Depression»Wir haben Emmanuel vor kurzem von der Schule abgemeldet, nachdem die Leh-rer der Oberstufe gesagt haben, dass sie ihn nach der achten Klasse nicht über-nehmen wollen. Der Klassenlehrer sagte, er sei bisher in der Klasse immer liebgewesen und weiter nicht aufgefallen. Sehr hilfsbereit sei er. Gut, zuletzt habe eretwas traurig und still gewirkt. Im Klassenspiel hat er ja dann doch keine Rolle über-nommen. Ist da etwas passiert? Meinen Sie, dass Sie ihm helfen können?«

Regelmäßig werden mir Waldorfschüler gegen Ende der Klassenlehrerzeit vorge-stellt, bei denen sich scheinbar plötzlich die Frage stellt, ob sie in der Schule nochrichtig sind. Dabei zeigt sich immer wieder das folgende Bild: Frühzeitig habenFachlehrer darauf hingewiesen, dass sie Lernschwierigkeiten bei dem Kind wahr-nehmen, dass es sich schwer in die Klasse eingliedern kann, dass es sich dem unter-richtlichen Geschehen nicht öffnet. Regelmäßig hat der Klassenlehrer in solchenFällen versprochen, das Kind werde sich schon noch entwickeln, man müsse ihmnur Zeit lassen. Am Ende der Klassenlehrerzeit sehen wir ein Kind, das nichts rich-tig kann, längst nicht mehr innerlich an den Themen beteiligt ist, welche die Klassebeschäftigen, keine spezifische und rechtzeitige Förderung erhalten hat und ohnedie Erwartung dasteht, irgendetwas Sinnvolles bewirken zu können. In der Kinder-und Jugendpsychiatrie setzen wir uns mit seiner Depression auseinander.

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Foto: inkje / photocase

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15PSYCHIATRIE

Autistisches Spektrum»Ich habe dann gar nicht verstanden, was er meinte, und ich habe dann den Tischumgestoßen. Er ist ihm auf die Zehen gefallen, mit der Kante, und er hat sehr lautgeschrien. Da war ich erst einmal erleichtert, weil er mir jetzt nichts mehr tunkonnte. Herr Müller hat mich dann erst einmal hinaus geschickt. Er hat gesagt, ichdürfe wieder hereinkommen, wenn ich mich beruhigt habe. Ich war aber gar nichtunruhig. Nach dem Hauptunterricht behielt er mich im Klassenzimmer und sagte:›Martin, schon wieder so ein Vorfall! Du hast wirklich keinen guten Willen.‹ Das hater auch im Zeugnis geschrieben.«

Erscheinungsformen des autistischen Spektrums (darin vor allem der Asperger-Autismus) werden heute noch selten von Kollegien richtig erkannt und von Disso-zialität und Disziplinlosigkeit unterschieden. Die immer wiederkehrendeBesonderheit bei Waldorfschülern: Ihnen wird wegen ihrer VerhaltensproblematikCharakterschwäche und moralische Beschädigung unterstellt.Kinder und Jugendliche mit Asperger-Autismus fühlen sich nicht erkannt und inihrer Not alleingelassen. Statt einer Unterstützung, die nur aus einem Verständnisihrer Eigenart entspringen kann, sehen sie sich negativ etikettiert; sie leiden unterder Verkennung ihres Charakters. Sie reagieren aus dieser Überforderung herausmit Fremd- und Autoaggression, verfallen später häufig in Depression. Erst die letzt-genannte Symptomatik führt dazu, dass sie psychiatrischer Hilfe bedürfen.

Schulabsentismus»Mathilde hat sich jetzt auch aus dem Orchester abgemeldet. Anfangs war sie sofreudig dabei.« – »Bei mir hat sie den Löffel nicht fertig geschnitzt.« – »In Englischhat sie die letzten Tests nicht mehr mitgeschrieben.« – »Ja, eigenartig, sie ist auchschon längere Zeit nicht mehr zu hören gewesen mit ihren schönen Rezitationen.«– »Nun ja, letzten Endes ist das ja schon ein Begabungsproblem; sie kann halt nichtmithalten; im Rechnen ist es schon lange zu sehen.« – »Es ist mehr das Tempera-ment, so ein melancholisches Wesen hat es eben schwer.« – »Ist das nicht viel mehrder Medienkonsum? Sie wirkt auf mich so kraftlos.«

Bei Mathilde hat eine genaue anamnestische Exploration ihrer Schulgeschichteunter Einbezug von Eltern und zumeist auch Lehrern das Folgende ergeben: Sie hateinen schönen Schulanfang erlebt. Freudig ist sie in das Lernen eingestiegen undhat innerlich an allem Anteil genommen, was ihr das Schulleben zu bieten hatte.Während der zweiten Klasse hat sie im Rechenunterricht den Schritt in die abstrakteAuffassung des Zahlenwesens nicht mitvollzogen und blieb auf Anschauung undHandlungsbezug angewiesen. Eine spezifische Unterstützung und Förderung blieb�›

Freies Geistesleben

Henning KöhlerWar Michel aus Lönnerberga aufmerksamkeitsgestört?Der ADS-Mythos und die neue Kindergeneration.296 Seiten, kartoniert€ 19,90 (D) | ISBN 978-3-7725-1937-6www.geistesleben.com

Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom –so lautet die häufigste Diagnose in kindertherapeutischen Sprech-zimmern. Doch Vorsicht: Hinter dieser Feststellung verbirgt sich nur allzu oft eine auf physikalisch-chemische Prozesse reduzierte Sichtweise, die an der eigentlichenRealität der Kinder vorbeigeht.

Henning Köhler betrachtet kritisch die gegenwärtige Medizin und zeigtdie Schwächen und Widersprüche dieses eindimensionalen Menschen-bildes auf, das das Wesen einer neuenKindergeneration vollständig igno-riert. Eltern gibt Köhler Hilfestellungfür das Verständnis und die Therapieder sogenannten «ADS-Kinder» undmacht ihnen Mut, ihre Kinder liebe-voll wahrzunehmen und zu einer wesensgemäßen Therapie beizutragen.

Ist ADS nur ein Mythos?

War Michelaus Lönnebergaaufmerksamkeits-gestört?

Henning Köhler

Verlag Freies Geistesleben

Der ADS-Mythos unddie neue Kindergeneration

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PSYCHIATRIE16

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aus. Mathilde verlor den Bezug zur Entwicklung eines beweglichen denkerischenRechnens in der Klasse und fühlte sich isoliert. Sie sprach sich die Schuld dafür zuund entwickelte eine vermeidende Blockade gegenüber dem Rechnen. Zunehmendgeneralisierte sie diese Blockade. Immer häufiger blieb sie der Schule fern. Lehrerund Eltern wandten Erklärungsmuster an, die sich über einzelne Waldorfschulenhinweg in erstaunlicher Weise ähneln.

Was zeigt sich auf Seite der Schüler?All diesen Schülern ist gemeinsam, dass sie von Seiten ihrer Lehrer schon längerkeine Hilfe mehr erwarten. Alle prägen eine umfassende Misserfolgserwartungaus. Sie verlieren vor allem die Erwartung, maßgebliche Themen für ihren Le-bensweg, für ihre Schicksalsgestaltung zu finden. Oft geht damit die Tendenz zurSomatisierung einher, zur Entwicklung leiblicher Krankheiten und Schwächen.Ausstieg und Verweigerung sind konsequente Antworten auf solche Selbsterfah-rung, Depressionen und Suchtverhalten die Folgen.

Diesen Lasten sind Waldorfschüler genauso wie Schüler anderer Schularten aus-gesetzt, wenn eine Fehlentwicklung einmal eingesetzt hat und fortgeschritten ist.Die Situation der Waldorfschüler wird allerdings durch Missverständnisse er-schwert, die eng mit einer eher dogmatischen Handhabung und rigiden Interpre-tation von waldorfpädagogischen Grundsätzen in Verbindung zu bringen sind.

Was zeigt sich auf Seiten der Lehrer und der Schule?Aus der Befragung von Schülern, Lehrern und Eltern und der Analyse von Zeug-nissen ergibt sich, dass Lehrer in der Waldorfschule oft nicht sagen können, was ihreSchüler wirklich selber können und was nicht. Die – zu Recht – für wichtig gehal-

Die Situation der Waldorf-schüler wird durch Missver-

ständnisse erschwert.

»Alle Schüler, Erstklässler, Abiturienten, junge wie ältere, sind erleichtert, wenn sie vorsichtig, aber direkt auf ihre Not angesprochen werden, und wenn man sie fragt […] Keine Belehrung. Kein Pflichtprogramm. Kein Wort zu viel. Viele offene Fragen, wenige Antworten. Immerwährendes Interesse. Keine Routine.«

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PSYCHIATRIE 17

Große Gesten eines vermeintlichen Schutzes

Was erwartest Du von mir?

Zum Autor: Rüdiger Reichle ist

Leiter der Klinikschule am Gemein-

schaftskrankenhaus Herdecke,

Kinder- und Jugendpsychiatrie,

Waldorflehrer, Heilpädagoge und

Dozent.

tene Grundstimmung des Kommen-Lassens, des Abwartens, der Entschleunigungscheint mitunter dazu zu führen, dass Kinder in ihrem individuellen Handeln nichtmehr differenziert wahrgenommen werden. Kommt noch die Haltung hinzu: »Daswird sich alles noch geben«, erhält ein Kind möglicherweise nicht rechtzeitig – oderallzu häufig überhaupt nicht – professionelle Unterstützung und Förderung.Auch zeigt sich bei meinen Schüler-Patienten immer wieder, dass sie zu wenig odergar keine Erfahrungen mit einem differenzierten Üben haben. Oft zeigen sie sichregelrecht überrascht und dann erleichtert, wenn sie die Erfahrung machen, dasssie sich Fertigkeiten und Kenntnisse durch Üben erwerben können. Mitunter äußern sie, sie hätten sich für dumm gehalten, weil sich der Lernerfolg bei ihnennicht durch das Dabeisein und Miterleben eingestellt hätte. Auf solche Aussagen an-gesprochene Kollegen sind teils betroffen, teils rechtfertigen sie sich damit, einestärkere Betonung des Übens in ihrer Klasse untergrabe den freiheitlichen Char-akter des Lernens. Diese Haltung kann ich nicht teilen.

Manche Klassenlehrer, mit denen ich im Gespräch war und die sich noch nicht aufeine zeitgemäßere Rolle in ihrer Zusammenarbeit mit dem Klassenkollegium ein-gestellt haben, verhindern geradezu eine reflektierende Betrachtung und Interpre-tation der Entwicklung von Kindern. Sie empfinden es als Eingeständnis vonUngenügen, wenn sie Hilfe für den Umgang mit einem Kind brauchen. Ich sehemitunter große Gesten eines vermeintlichen Schutzes, den sie Kindern zukommenlassen wollen, die sich darunter dann unsichtbar machen.

Was folgt aus alledem?Ich habe nur selten Schüler in der Klinikschule erlebt, die nicht irgendwann er-reicht werden konnten. Voraussetzung dafür ist oft der Verzicht auf alles, was irgend-wie an die missglückten Lern- und Lebensversuche in der Schule erinnert. AlleSchüler, Erstklässler, Abiturienten, junge wie ältere, sind erleichtert, wenn sie vor-sichtig, aber direkt auf ihre Not angesprochen werden, und wenn man sie fragt.Der Lehrer fragt: »Was erwartest Du von mir? Wie kann ich Dich unterstützen?Wie machst Du das?« Keine Belehrung. Kein Pflichtprogramm. Kein Wort zuviel. Viele offene Fragen, wenige Antworten. Immerwährendes Interesse. KeineRoutine. Der Unterricht ist ein Angebot, das der Schüler wählen kann. Die Ein-trittskarte? Die Befolgung der Regeln. Alle kommen.

Waldorfpädagogik in der KJP ist nichts anderes als Waldorfpädagogik. Um ihreWeiterentwicklung bemühen wir uns seit Jahren. Die Schüler in der KJP konfron-tieren uns mit dem noch nicht Erreichten. Die Arbeit an einer inklusiven Pädago-gik ist der Weg.‹›

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KUNST18

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

Die rhythmische Wiederkehr des Mondknotens im Lebenslauf ist oft mit »Geburts -situationen« verbunden. Alle 18 Jahre, 7 Monate und 9-10 Tage durchkreuzt derMond die Sonnenbahn (Ekliptik) an fast derselben Stelle wie zum Geburtszeit-punkt. Dieser Moment bedeutet eine Wiederkehr der Sternenverhältnisse, diezur Geburtsstunde bestanden. Rudolf Steiner bezeichnet die Nächte dieser Zeitals die wichtigsten im Leben. Wie durch ein geöffnetes Fenster wird die Sternen -wirksamkeit des Makrokosmos als ein großer Atmungsvorgang spürbar und derMensch kann gewahr werden, dass er vom Makrokosmos ausgeatmet wird, umsich auf der Erde zu inkarnieren. 18 Atemzüge hat der Makrokosmos vollendet,18 mal hat die Weltenseele auf ihrem jährlichen Weg durch Sommer und Winterein- und ausgeatmet. Dieser Atmungsrhythmus entspricht laut Steiner einer makro kosmischen Minute. Der Mond als erdnaher, nächtlicher Spiegel des Sternenhimmels kommt in seinen veränderlichen Rhythmen dem menschlichenFreiheitsbedürfnis sehr nahe. Seine abwechselnde Ferne und Nähe, seine emp-findliche Reaktion auf andere Wandelsterne und sein in Winkel und Breite immerneues Sichelbild machen den Mond zu einem vertrauten Begleiter der Seele beiihrem Weg durch die Höhen und Tiefen der Freude und der Trauer.Für kurze Zeit leuchtet bei der Wiederkehr des Mondknotens das Geburtssternenlichtin unser Leben herein und erinnert uns an die Schicksalsimpulse, die wir mitge-bracht haben. Am Lesezeichen der Mondbewegung öffnet sich das Lebensbuch, indessen von uns selbst geschriebener Erzählung sich Vergangenheitsbewältigung undZukunftsahnung in wachsender Selbsterkenntnis begegnen. Mit zunehmender In-tensität wird dieser Augenblick im Laufe der Biographie zu einer ernsten Stunde in-nerer Rechenschaft. Denn hier stehen sich Schicksalsaufgaben – Begabungen undHindernisse – und bewusste Selbstgestaltung gegenüber. Mondhaftes (Vergangenes)

Am Ende der Oberstufenzeitbietet sich eine besondereMöglichkeit der Förderung

durch die Kunst. Der Übergang vom 12. zum

13. Schuljahr liegt in der Nähedes ersten Mondknotens

(18 2/3 Jahre) und fällt mit derstaatlichen Abiturprüfung zusammen. Man kann

prüfungsrelevante Aufgabenso gestalten, dass nicht nur

das kognitive Lernen gefördert, sondern auch

tieferliegende Entwicklungs-bedürfnisse der Jugendlichen

berücksichtigt werden.

Der erste Mondknoten und die MalereiKunstunterricht kann dem Ich auf die

Sprünge helfen

von Michael Bennett

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und Sonnenhaftes (Zukünftiges) schauen sich gegenseitig an. Mit dem 21. Jahr wirddann das Sonnenhafte im Menschen geboren, sein Ich.

Der Mondknoten bietet eine Chance für den Kunstunterricht Die Epoche der expressionistischen Malerei bietet viele lohnende Ansätze. Auflö-sung und Entstehung von Neuem durchziehen die Lebenswirklichkeit der europä-ischen Menschheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Alte Formen und Maßstäbeweichen rapide zurück. Kaum ein Lebensbereich bleibt davon unberührt. Neue Im-pulse erschüttern das Fundament von Gesellschaft, Wirtschaft, Religion und Wis-senschaft und lösen Tiefenkräfte aus ihren Bindungen. Oft gehen Neuschöpfungund Zerstörung fast Hand in Hand. Im deutschen Großstadtexpressionismusschafft sich dieses Geschehen einen bildhaften Ausdruck mit vielen Facetten.Das Mitempfinden der Geburtswehen des 20. Jahrhunderts bildet eine fruchtbareGrundlage für Bildinterpretationen, bei der die Kunstwerke mit der Biographie desKünstlers und dessen Zeit zusammen geschaut werden können. Von empfindsa-mer Wahrnehmung über die stilistische Analyse und die Würdigung des Zeitge-schehens können die Schüler im Erkennen des Darstellungsinteresses zu einemkreativen Aufsatz auf hohem Niveau gelangen. Besonders förderlich für das Erfassender malerischen Stilmittel ist die aktive Pflege der Eigenschaftsworte. Ein Hell-Dun-kel-Kontrast zum Beispiel wirkt qualitativ ganz anders bei Ernst L. Kirchner als bei

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Das Mitempfinden der Geburtswehen des 20. Jahr-hunderts bildet eine frucht-bare Grundlage

Foto: DMK1 / photocase

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erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

Die Bilder zeigen seelische Selbstporträts vonSchülern der 13. Klasse …

20 KUNST

Lyonel Feininger. Auf dem Hintergrund des durch die Mond- dynamik ausgelösten Empfindungsreichtums ist die versach -lichende Pflege der Eigenschaftswörter sehr wohl tuend.Noch reicher ist der erzieherische Gewinn beim Malen. Die Ent-deckungen der expressionistischen Maler übend mitzuerleben,aus ihren kreativen Quellen zu schöpfen und Innerlich-Erlebtesmalerisch umzusetzen, ist an dieser Stelle viel mehr als nur Ler-nen. Dank der biographischen Gunst der Stunde kann sich hierTugend entwickeln. Ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnisder expressionistischen Malerei liegt im neuen Verhältnis zwi-schen Farbe und Räumlichkeit. Das größte Hindernis für die Ent-faltung der malerischen Phantasie wurde im perspektivischenRaum gesehen. Damit die Schwere überwunden, eine schwereloseMalerei erreicht werden konnte, musste die zweite Dimension,die reine Fläche erobert werden. Hier sollte auch das innere Flu-ten der Bilder eine neue Heimat finden. Folglich wandte sich dieneue Kunst auf ihrer Suche nach Ursprungsquellen vom passi-ven Abbilden der Dreidimensionalität ab. Die Grundelemente derMalerei – Punkt, Linie, Farbe und Fläche – sollten davon befreitwerden, den herkömmlichen Sehraum abzubilden. Durch die Ver-selbstständigung der bildnerischen Elemente wurden nun Punkte,Linien, Farben und Flächen selbst zu Themen, zu bildwürdigenschöpferischen Kräften. In diesem Zusammenhang ist auch diedramatische Zertrümmerung des herkömmlichen Raum-Zeitge-füges durch die Kubisten und Futuristen zu verstehen. Zur Formgewordene Bildekräfte der Dreidimensionalität wurden entfesseltund wirkten rauschhaft, verwirrend, chaotisierend, zum Teil auchzerstörerisch.

Ein Fenster zur Welt in mirAnsätze für das übende Malen bietet besonders das Werk Kandinskys und sein Ringen um den »inneren Klang« der Welt.Die Bilder »Komposition IV« (1911) und »Improvisation 35« (1911)sind der Versuch, ein Fenster zur Weltinnerlichkeit zu öffnen,wo Farbräume sehend und hörend erlebt werden. Fast zeitgleichenthüllte Rudolf Steiner die Welt des imaginativen Schauens, inder Farben Ausdruck von Wesenheiten sind und unterschied -liche Sinnesqualitäten ver schmelzen. Die beiden Hauptschrif-ten Kandinskys »Über das Geistige in der Kunst« (1911) und

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Zum Autor: Michael Bennett ist seit 1986 Kunstpädagoge an der Freien

Waldorfschule Flensburg. Seit 2014 ist er Schulberater für den Ober-

stufenaufbau an der Freien Waldorfschule Berlin, Prenzlauer Berg.

Literatur:

J. Schultz: Rhythmen der Sterne, Dornach 1977

F. Roder: Der Mondknoten im Lebenslauf, Stuttgart 2007

R. Steiner: Entsprechungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos,

GA 201, Dornach 1920

R. Steiner: Das Lukas-Evangelium, GA 114, Dornach 1909

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»Punkt und Linie zur Fläche« (1926) bieten eine Fülle von An-regungen für den praktischen Mal unterricht.Ergänzt durch Steiners Charakterisierung der Glanz- und Bild-farben, Goethes Farbenlehre und die sieben Kontraste von Johannes Itten kann der praktische Lehrgang im expressionisti-schen Malen die Schüler befähigen, die Flächendynamik vonKomposition und Farbklang (Kolorit) so zu handhaben, dass sieihre eigene Bildvorstellung umsetzen können. Eine möglicheAufgabe kann zum Beispiel lauten: Erstellen Sie ein Selbstporträt,in dem Sie vergangene, gegenwärtige oder zukünftige oder alledrei Ebenen Ihrer Persönlichkeit darstellen. Verwenden Sie vor-rangig die von Kandinsky entwickelte Methode der Verselbst-ständigung der bildnerischen Elemente.Gerade der Zeitpunkt zwischen dem ersten Mondknoten und derIch-Geburt ist ein fruchtbarer Boden für das malerische Bemühenum ein stimmiges Verhältnis zwischen Komposition und Kolorit.Während graphische Momente in der Komposition zur Gerinnungund Verfestigung neigen, sind farbige Flächen in ihrem Dahin-fluten musikalische Gesten der Auflösung. In diesem Sinne übenderwerben die Schüler ein Gespür dafür, dass alle Erscheinungenaus Gewordenem und Werdendem, aus Mondhaftem und Sonnen haftem geflochten sind, auch sie selbst. Natürlich sindsolche Seelenereignisse intim. Nie dürfen sie zum Unterrichts ge-genstand werden. Und doch ist die Hoffnung berechtigt, dass diefördernde Kraft der Kunst hier Pate stehen kann für eine wichtigeStufe der inneren Reife. Wenn das eintritt, dann wird der Jugend -liche vielleicht am Ende der Schulzeit die Empfindung haben:»Ich sage Ja zu mir selbst und zu den Aufgaben, die ich in mirahne. Und ich möchte in aller Klarheit meine eigenen Entschei-dungen und Motive durch mich selbst verantworten.« ‹›

… im Zusammenhang mit der Beschäftigungmit Wassily Kandinsky.

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»Die Erziehung durch Musik ist darum die vorzüglichste, weil der Rhythmusund die Harmonie am meisten in das Innerste der Seele dringen und sie amstärksten erfassen.« Mit diesem Gedanken hat der Philosoph Platon in seinenDialogen schon vor über zweitausend Jahren den Zusammenhang zwischen demerzieherischen Wert der Musik und der inneren Wesenheit des Menschen erläu-tert. Dieses »vorzügliche« Wechselspiel zwischen den tönenden Kräften derMusik und dem seelischen Erleben ist seitdem nicht nur konstant, sondern hatsich durch die abendländische Musikentwicklung eher noch intensiviert. Auch im Schulzusammenhang stellt sich das Musikalische als eine einzigartige,übergreifende künstlerische und soziale Kraft dar. Die tief in die menschlicheSeele hineinwirkenden und zudem stark Menschen verbindenden Eigenschaf-ten machen ihren besonders hohen pädagogischen Wert aus.Im Hinblick auf die drei seelischen Grundkräfte Fühlen, Denken und Wollen lassen sich in den Entwicklungsphasen der Schulzeit drei grundlegende Wegeebnen, die das Kind und den Jugendlichen in seinen sich verwandelnden Erlebnis-und Fähigkeitsbereichen begleiten und fördern: das Singen, als vornehmlich ge-fühlsorientierte Tätigkeit, das instrumentale Spielen, durch das insbesondere derWille angesprochen und kultiviert wird, sowie das musikalische Erkennen, dasvom Denken her die musikalischen Zusammenhänge erschließt. Alle drei Wegedurchlaufen altersentsprechende Metamorphosen, die im Folgenden skizziertwerden.

Das SingenIn den ersten Schuljahren steht neben elementaren instrumentalen Erfahrun-gen das gemeinsame einstimmige Singen im Vordergrund. Hier gilt es zunächst,das lauschende Hören zu üben, und damit Sinne, Aufmerksamkeit und Empa-thie zu schulen.Eine weitergehende Stufe des Singens wird in der 3. Klasse erreicht, wo die Kräftezum Erfassen und Gestalten der Mehrstimmigkeit freiwerden. Jetzt wird nichtmehr allein aus der natürlich-musikalischen Veranlagung gemeinschaftlich ein-

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Das Musikalische stellt sichim Unterricht und Leben desgesamten Schulorganismusals eine einzigartige, über-

greifende künstlerrische undsoziale Kraft dar.

Die tief in die menschlicheSeele wirkenden und drüber

hinaus stark Menschen verbindenden Eigenschaftenmachen ihren besondernpädagogischen Wert aus.

Durch Singen das Hören kultivieren

22 MUSIK

Singen – Spielen – ErkennenDrei Wege des Musikalischen in der Schulzeit

von Benedikt Burghardt

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stimmig gesungen, sondern es werden die individuellen Kräfte durch ein auf-merksames musikalisches Erleben mehrerer Töne zur gleichen Zeit heraus-gefordert. Ein neuer Klangreichtum wird entdeckt und kann als geradezu be- glückend erlebt werden. In ihm spiegelt sich die nun auch neu wahrgenommeneVielfalt der Klassengemeinschaft. Damit wird die Basis für einen Mittelstufen-chor gelegt, in dem durch die größere Klangfülle das Singen noch einmal als Steigerung des Klassensingens erlebt werden kann. In der Oberstufe – nachDurchschreiten der Taltiefe des Stimmbruchs – eröffnet sich dann die Fülle dergemischten, männlichen und weiblichen Stimmen in der Mehrstimmigkeit. Hierkönnen wieder neue Klang- und Farbgebungen, Dialoge und Stimm-Verknüp-fungen in der Musik erlebt werden, die zum Klang-Bild eines differenzierten undkultivierten Miteinanders einer größeren Gemeinschaft werden.

Das SpielenDas Instrumentalspiel folgt ebenso einem stufenweisen Entwicklungsweg, beidem in den ersten Schuljahren zunächst einfache instrumentale Abläufe im Klas-senverband geübt werden. Die Pflege und Achtung der Instrumente begleitet dienoch an der Bilderwelt orientierten musikalischen Ereignisse. Wir erleben in derKlasse einen einheitlichen Klang. Dabei gehört zu den elementaren Anforderungen,

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Durch Spielen den Willen schulen

Foto: Charlotte Fischer

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die Feinmotorik zu wecken, auf gesunde Atemvorgänge beim Flöten zu achten,einfachen Holz-, Metall- oder Fellinstrumenten einen erzählenden Klang zu ent -locken und beim Spielen aufmerksam zuzuhören. In der 3. Klasse wählt jedes Kind nun sein eigenes Instrument. Jetzt ist große Um-sicht ist gefragt in der individuellen Begleitung jedes Kindes vom Klassen-, Musik-und Instrumentallehrer, zusammen mit den Eltern. Ist das Instrument gefun-den, beginnt für das Kind ein langjähriger Übungsweg an der Musik – und damitan sich selbst!Mit viel Geduld, Willenskraft und Hingabe können erste Instrumentalstücke er-lernt und in kleinen Darbietungen präsentiert werden. Die erworbenen instru-mentalen Fähigkeiten ermöglichen nun den Weg über das Klassenorchester insMittelstufenorchester, in dem, selbst bei einfacher Literatur, bereits eine enormeVielfalt im Zusammenklang der verschiedenen Instrumente erlebt werden kann.Hier, wie auch in dem später sich anschließenden Oberstufenorchester, dessenProgramme mit größeren Werken neue Ziele setzen, stellt das Abwägen von eigenem Einsatz und Hingabe an die Musik die immer wieder neue Herausfor-derung dar. Am gelungenen Orchesterklang oder -werk lässt sich zuletzt nichtnur der ästhetische Genuss oder die künstlerische und soziale Leistung erleben,sondern auch das »Klang-Bild des ganzen Menschen«.

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Geduld und Hingabe

Foto: Charlotte Fischer

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Page 25: Erziehungskunst Spezial 2015

25MUSIK

Das ErkennenIm Bereich des Erkennens von Musik begegnen wir einer ganz eigenen und ge-nialen Form ›musikalischer Intelligenz‹, die in der existenziellen Verknüpfungdes Musikalischen mit dem menschlichen Fühlen begründet liegt. Diese Intelli-genzkräfte erwachen allmählich im Verlauf der 3. Klasse, wo sich zum bisherigenreinen Hörerleben jetzt das visuelle Erfassen von Musik gesellt. Hier können an-hand der schriftlichen Notation zuvor nur traumhaft erlebte Abläufe erstmaligerkannt und benannt werden. Elementare musikalische Ereignisse werden inOhren- und Augen-Schein genommen. Nun kommen zu den einzelnen Tönendie übrigen Zeichen der Musikschrift, wie Notenlinien und -schlüssel, hinzu. Imfolgenden Schuljahr stehen die Tonlängen und dann die Tonabstände – die Intervalle mit ihren unterschiedlichen Erzählgesten – im Mittelpunkt. In der Mit-telstufe eröffnet sich eine neue Ebene der Musikerkenntnis mit dem Versuch,sich dem musikalischen Verlauf und seiner Erzählwelt in Worten oder Farben zu nähern. Hier schließt sich im Laufe der Oberstufe eine weitere Ebene der Musik erkenntnis an. Diese orientiert sich enger am musikalischen Geschehenmit der Herausforderung, das Erlebte differenziert und nachvollziehbar in Worteoder Bilder zu fassen. Weder Gefühlsmäßig-Klischeehaftes, noch Theoretisch-Kluges ist dabei gefragt, sondern bewusstes In-sich-hinein-Hören, Reflektierenund präzises Erfassen des am Musikwerk Erlebten. Ergänzende Motive eröffnenabschließend die Betrachtung der Musikgeschichte sowie Fragen nach demWesen und der Wirklichkeit der Musik. Zwischen den gängigen Missverständnissen, blasse Begriffs-Musik-Theorie fürMusik-Erkenntnis zu halten oder das musikalische Urteil allein dem persön lichenGeschmack unterzuordnen, lässt sich so ein sinnstiftender Weg beschreiten, derdem Jugendlichen entwicklungsfördernde Qualitäten vermitteln kann.Auf diesen Wegen kann durch Singen, Spielen und Erkennen die »Erziehungdurch Musik die vorzüglichste sein«, wenn sie von einer pädagogischen Intentiongetragen ist, die sich am heranwachsenden Menschen orientiert. ‹›

Zum Autor: Benedikt Burghardt ist

Komponist, Dirigent und Dozent am

Seminar für Waldorfpädagogik

Hamburg und war langjähriger Musik-

lehrer an Waldorfschulen.

Publikationen: Die Obertonreihe – eine

Betrachtung harmonikaler Phänomene

(2013) und Mitherausgeber der Vorträge

zur Musik von Peter-Michael Riehm

(2014) / PMRI-Schriften bei der Päda-

gogischen Forschungsstelle, Stuttgart.

Literatur:

Platon: Der Staat / Politeia

S. Ronner: Praxisbuch Musikunterricht –

Ein Wegweiser zur Musikpädagogik an

Waldorfschulen, Stuttgart 2005.

R. Brass: Hörwege entdecken – Musik-

unterricht als Audiopädie, Edition

Zwischentöne, Weilheim/Teck 2010.

2015 | Juli/August erziehungskunst spezial

Durch Musikerkennen die Intelligenz entwickeln

Es gibt Momente in der Musik, Bruchteile von Sekunden

einer Aufführung, da meine ich sehen zu können, was hinter

den Sternen liegt.« Günter Wand (1912 – 2002 / Dirigent)

»

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Die meisten Kinder lernen die Laute von außen nach innen: die Lippenlaute (Mama,Papa) können vor den Gaumenlauten gebildet werden. Manche sagen noch lange»Tanne« statt »Kanne«, bevor sie ganz hinten im Gaumen angekommen sind. Aberes gibt auch Kinder, denen die Gaumenaktivität leichter fällt, als die der Zungen-spitze, zu denen also die »Kanke« zu Besuch kommt. Am schwierigsten sind dieZischlaute, die mit der Zunge am Zahndamm gebildet werden. Die Zitrone kanndaher auch zur Kastrone werden. Ein wirklich scharfes »s« oder »z« setzt die Abgrenzung durch den Zaun der Zähne voraus und ist daher erst nach dem Zahn-wechsel zu erwarten.

Jeder Laut entspricht einer seelischen HaltungJeder einzelne Laut hat eine ihm eigene Gebärde. Was geschieht zum Beispiel, wennwir ein »b« sprechen? Es schließen und öffnen sich die Lippen, aber nicht nur dieLippen. Wenn wir ein Kind beobachten, das seinen Mund nie schließt, wenn wir be-denken, in welchen Momenten uns »der Mund offen stehen bleibt« oder wenn wireinen Gegenstand mit offenem und geschlossenem Mund betrachten, wird unsdeutlich, dass sich im Öffnen und Schließen der Lippen auch die seelische Haltungzur Umgebung ausdrückt. Beim »m« sind die Lippen geschlossen, aber die Atem-luft strömt durch die Nase. Dem Duft einer leckeren Speise antwortet die Seelegerne mit dieser Lautgebärde, während wohl noch niemand »b« zum duftendenMarmorkuchen gesagt hat. »Ssssst« wird nirgends als Aufforderung zum Lärmeneingesetzt werden. So stellen wir uns mit jeder Lautbildung anders zu unserer Um-welt, wir verändern unsere »Weltanschauung«. Übung und Pflege einer guten Ar-tikulation können die Seele zur fein differenzierten Begegnung mit der Umweltanregen.

Kräftigung am gesunden WiderstandEs ist immer ein kleines Fest, wenn ein Kind einen neuen Laut erlernt hat. Es hat sichdann ein Stück Welt erobert. Wenn ein Kind, das gewöhnlich nuschelt, plötzlich klarund deutlich spricht, kann man den Eindruck haben, dass es wie neu geboren ist: DerBlick erscheint wacher, die Haltung strafft sich, es wirkt selbstbewusster und kon-zentrierter. Wie kommt das?

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

Das Sprechen wirkt auf die Atmung und über diese auf

den Herzrhythmus des Menschen. Eine menschen- kundlich fundierte Sprach-pflege wirkt gesundend.

Grundlegend ist die Arbeit mit Lauten

und Rhythmen.

Öffnen und Schließen der Lippen

Harmonische Lautbildung

26 SPRACHE

Sprich Dich gesundvon Dorothea Krüger

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2015 | Juli/August erziehungskunst spezial

Bei jeder Konsonantenbildung verengen oder verschließen die Sprachwerkzeugeden Atemweg. Hierzu muss eine Vielzahl von Muskeln aktiviert werden. Eine har-monische Lautbildung erfasst also den ganzen Menschen und bewirkt einen ge-sunden Atemwiderstand, an dem sich die Stimmkraft in wohltönender Weiseentfaltet. Die Rückstauung der Atemluft versetzt den ganzen Leib in Schwingung.Diese Sprachvibrationen können wir äußerlich nachempfinden, wenn wir unsereHände auf den Rücken, auf unseren Kopf oder auf unser Gesicht legen und unter-schiedlich kräftig artikulieren. Wir spüren dann die entsprechende Intensität der Vi-bration. Dass insbesondere die Pflege einer durchatmeten Lautbildung der Nasale»m« und »n« vorbeugend und therapeutisch gegen Nasennebenhöhlenerkrankun-gen wirken kann, wird dann nicht überraschen.

Harmonisierung durch RhythmusMit jeder Silbe wird der Atemstrom mindestens einmal durch einen Konsonanten un-terbrochen oder zumindest gehemmt. In dieser wilden Zergliederung des Atemsliegt zunächst nichts Gesundendes. Sprechen heißt: Chaotisierung des Atem-Puls-Rhythmus. Die Ausatmung wird verlängert und zergliedert, die Einatmung verkürzt.Die Poesie zergliedert den Atem jedoch in rhythmischer Weise. Wir können unmit-telbar erleben, wie wir in eine andere Sphäre eintauchen, wenn wir vom Prosa-sprechen ins rhythmische Sprechen übergehen. In jedem Hauptunterricht wird mitden Rhythmen der Sprache gearbeitet. Ein markantes Beispiel ist das Hexameter-sprechen in der 5. Klasse. Im Hexameter, dem Rhythmus, in dem die großen Epender Griechen verfasst sind, vollzieht sich die Rhythmisierung des Atemsprechstromesim Verhältnis 1:4.

Sage mir, Muse, die Taten, des vielgewanderten Mannes_ . . _ .. _ . (. _.) . _.(.) _.. _.

1 2 3 4 1 2 3 4Welcher so weit geirrt nach der heiligen Troja Zerstörung

Eine Zeile ist in zwei viergliedrige Atembögen unterteilt, wobei das vierte Glied jeweilsin der Pause liegt, also nicht gesprochen wird. So wird beim Hexametersprechenzwar die Ausatmung extrem verlängert und die Einatmung verkürzt, doch in einerrhythmischen Form, die einem harmonischen Atem-Puls-Verhältnis entspricht.Hierin liegt die Heilkraft des Hexameters begründet: Unvoreingenommene Ver-suchspersonen beschreiben ihr Befinden nach der Hexameterrezitation mit Äuße-

Beispiel Hexameter

27SPRACHE

�›

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Page 28: Erziehungskunst Spezial 2015

rungen wie »klarer im Kopf, tiefere Atmung«, »im guten Sinne schwer«, »frischer,wie nach dem Schlafen«. Dies bestätigen Messergebnisse: Im Anschluss an das He-xametersprechen wird eine Synchronisation von Puls- und Atem erreicht, die sonstnur im Schlaf zu finden ist.Durch Steiners Anregung wird der Hexameter in der 5. Klasse mit den Schülerngeübt. Untersuchungen des Schularztes Matthiolius zeigen, dass in diesem AlterPuls und Atmung synchronisiert sind wie nie zuvor und danach, mit Beginn derPubertät, zunächst nicht mehr. Die Lehrplanangabe nutzt also ein Entwick-lungsfenster, in dem eine Anlage zur Harmonie aufgegriffen und zur Fähigkeitausgebildet werden kann. Die Einprägung dieses Rhythmus in den kindlichenOrganismus kann und soll den Sturz ins Pubertätschaos nicht verhindern, aberdazu beitragen, dass der menschliche Grundrhythmus wieder gefunden werdenkann.

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

Entwicklungsfenster nutzen

28 XXXXXXXXXX ???

Foto: Charlotte Fischer

»Wir können nicht anders, als gehörte Sprache mittun. Wäre das im Mitdenken

und Mitfühlen genauso, würden wir uns nie missverstehen.«

�›

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Page 29: Erziehungskunst Spezial 2015

2015 | Juli/August erziehungskunst spezial

Das atemgetragene Sprechen verbindet den Gedanken- und den Willensstrom imMenschen. Es kann pädagogisch mehr in die eine oder andere Richtung gearbeitetwerden.Beim Hexametersprechen dominiert das Vorstellen. In der vierten Klasse, wennsich die Kinder nach dem »Rubikon« mit wachem Blick und neuer Kraft auf denBoden stellen, wird der Stabreim geübt, bei dem der Wille ausschlaggebend ist.Damit sich im Sprechen Gedanken- und Willensstrom gesund verbinden kön-nen, braucht das Kind zu beiden einen Zugang. Steiner betont daher, dass manein Kind niemals etwas sprechen lassen sollte, was es nicht versteht. Damit istnicht intellektuell-interpretierendes Verstehen gemeint und keinesfalls, dass einKind nicht sprachlich anspruchsvolle Dichtung sprechen könnte, sondern es gehtum die Möglichkeit, sich seelisch mit dem Inhalt, dem sprachlichen Bild, zu ver-binden. Das ist durchaus auch bei Dichtung möglich, die das intellektuelle Auf-fassungsvermögen übersteigt.

Der Körper spricht und hört mitDie lautliche Sprache ist nur ein Teil des durch den ganzen Körper sprechenden Men-schen. Lautbildungsschwierigkeiten oder ein mangelndes Rhythmusempfindenäußern sich gleichermaßen in der äußeren Bewegung wie in der Sprache, die alsverinnerlichte Bewegung betrachtet werden kann.Bei der Sprachwahrnehmung vollzieht der Hörende feinste, mit gewöhnlicher Be-obachtung unsichtbare Muskelbewegungen. Er ist mit seinem ganzen Körper mit-bewegtes Sprach-Ohr. Diese Aktivität des Muskelmenschen kann nicht bewusstbeeinflusst werden. Wir können nicht anders, als gehörte Sprache mittun. Wäre dasim Mitdenken und Mitfühlen genauso, würden wir uns nie missverstehen.

Empathiefähigkeit stärkenDas Mitfühlen beruht auf dem Mitschwingen im Atem. Eine diese Tatsache berück-sichtigende musikalische und sprachkünstlerische Erziehung stärkt die Empathie-kräfte. Die Alltagssprache lässt das Atemschwingen nur begrenzt zu. Hierin liegtwohl eine Begründung dafür, dass Steiner für Vortragsredner und Lehrer die Annähe-rung an ein künstlerisches Sprechen anstrebte: »Man sollte fortwährend ... daraufbedacht sein, die Sprache als solche zu kultivieren.« Bevor Steiner den Lehrern die Sprachpflege der Schüler ans Herz legte, entwickelteer Sprachübungen, die schon vor der Eröffnung der ersten Waldorfschule mit den Kol-legen geübt wurden. Die durch ihn und Marie Steiner initiierte Kunst der Sprachge-staltung ist auch heute ein zentraler Bestandteil der Waldorflehrerbildung, wirkt sichdoch jegliches Sprechen des Erziehenden stets unmittelbar auf die leibliche und see-lisch-geistige Gesundheit der Kinder aus. ‹›

29SPRACHE

Zur Autorin: Dorothea Krüger arbei-

tet als Sprachgestalterin an der

Freien Waldorfschule Uhlandshöhe.

Literatur:

S. Maintier: Sprache – die unsichtbare

Schöpfung in der Luft. Forschung zur

Aerodynamik der Sprachlaute, Ham-

burg 2014

H. Matthiolius, H.-M. Thiemann

und G. Hildebrandt: »Wandlungen

der Rhythmischen Funktionsord-

nung von Puls und Atmung im

Schulalter«, in: Der Merkurstab 1995,

Jahrgang 48, Heft 4, S. 297-312

D. von Bonin u.a.: »Wirkungen

von Sprachtherapie auf die kardio-

respiratorische Interaktion. Teil 2.:

Menschenkundliche Gesichts-

punkte», in: Der Merkurstab 2005,

Jahrgang 58, Heft 2. S. 185-196

J. Zinke (Hrsg. R. Patzlaff): Luftlaut-

formen sichtbar gemacht. Sprache als

plastische Gestaltung der Luft,

Stuttgart 2001

R. Steiner: Erziehung und Unterricht

aus Menschenerkenntnis (GA 302a).

Anregungen zur innerlichen Durch-

dringung des Lehr- und Erzieher-

berufes: Erster Vortrag, 15. Oktober

1923, Stuttgart: Gymnast, Rhetor,

Doktor und ihre lebendige Synthese,

Dornach 1972

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Page 30: Erziehungskunst Spezial 2015

Zum Beispiel Lisa. Ein liebenswürdiges elfjähriges Mädchen, strömend freund- lich – sie hat ja auch eine »kommunikative Lücke« zwischen den beiden Front-zähnen, zwischen welchen ihre Seele ungehindert hinausströmen kann. Soliebens würdig, aber leider – schwer erträglich! Sie zappelt unablässig herum, istsofort in allen vier Ecken des Raumes zuhause, redet wie ein Wasserfall, ihre glattenbraunen Haare flattern in alle Richtungen. Wie schafft es bloß ihr Lehrer, sie nochzu unterrichten? Sie ist gekommen mit der Diagnose: Hyperaktivität und Legasthenie. Da gibt es eine wunderbare Heileurythmiereihe: MN BP AU.M – ein Laut, der ruhevoll, warm und verständnisvoll in den Raum hineintastet.N – ein Laut, mit dem man die Außenwelt an sich heranziehen kann, außerdemwirkt er gegen Diarrhoe, warum nicht auch gegen Logorrhoe?B – ein Laut, der eine warme Hülle um einen legt, der einen auch abgrenzen kannvon der Umgebung, mit dem man sich selber Grenzen setzen kann.P – ein Laut, der das B verstärkt, auch wirkt er gegen Bettnässen, gegen Ausfließen,das tut Lisa ja sehr.A – ein Inkarnationslaut, man kommt zu sich,U – ein Laut, der einem einerseits Ruhe geben kann. Andererseits auch ein Laut,der einen auf sanfte Weise in die Umwelt hinausführen kann.Das wäre doch ideal, das alles braucht sie!Also M – behutsam, ruhevoll in den Raum hinein tasten … Aber was macht sie? Sie fuchtelt herum mit ihren dünnen Ärmchen – sie kann es gar nicht. Vielleichtmit Springen? Als Stoffwechsellaut? Alle diese Laute kann man die Kinder auch gutspringen lassen, und ich weiß aus Erfahrung, wenn sie das machen, dann sind sieam Ende wirklich ruhig, so ruhig, dass sie sich gar nicht mehr bewegen wollen …Aber bei Lisa funktioniert das nicht. Nach einer Minute wirft sie sich verzagt undverzweifelt auf den nächstbesten Stuhl: »Ich kann nicht mehr!« – und ich merke,ich habe sie überfordert, ich habe sie gekränkt, verletzt, gar nicht richtig verstanden.Langsam dämmert es mir: Sie kann wirklich nicht, der zarte dünne Leib ist gar nichtin der Lage, diese temperamentvolle sprühende Seele aufzufangen und zu beher-bergen. Seelisch flattert sie herum und ist gar nicht bei sich.

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

Jedes Kind ist ein Rätsel, das erraten werden möchte.Die Heileurythmie kann

helfen, das Rätsel zu lösen,ohne dass das Geheimnis

zerstört wird.

30 HEILEURYTHMIE

Heileurythmie in der Schule – wozu eigentlich?von Erika Leiste

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Page 31: Erziehungskunst Spezial 2015

2015 | Juli/August erziehungskunst spezial

Im Heilpädagogischen Kurs schildert Rudolf Steiner solcheKinder. Er beschreibt, wie bei manchen das Seelisch-Geistigeherausrinnt, wie dadurch das Kind zu weit draußen ist, sichwund stößt. Dadurch, so Steiner, »entsteht ein zu großes Bewusstsein an der Willensentfaltung, es entsteht ein Schmerzbei der Willensentfaltung. Im Entstehungsstadium ist dieserSchmerz da. Man will ihn zurückhalten. Das geschieht inten-siv. Man zappelt im Tun, weil man den Schmerz zurückhaltenwill.«Tief beschämt sage ich mir: Liebe Lisa, jetzt erst verstehe ich Dich.Und ich fühle plötzlich, wie meine eigene Haut Löcher hat, wie ichherausrinne, herausfalle, wie schmerzhaft ich an der Umgebunganstoße. – Und eine tiefe Liebe zu dem Kind wächst in mir, jetztweiß ich, wie ich mit ihr, neben ihr die Laute führen muss, um dasSeelisch-Geistige hereinzulocken, atmend, ein- und ausatmend.Ich weiß, dass ich auch den Leib konsolidieren muss, damit erüberhaupt eine geeignete Hülle für diesen Menschen wird.Die avisierte Lautreihe ist nicht ganz unpassend, aber jetzt mussich sie nicht als Rezept ausführen, sondern nur für Lisa, indivi-duell für sie.M – warm begleitend, sanft, Balsam, ich muss sie mit dem MHand an Hand begleiten, damit Wärme sich bilden kann.B – konsolidierend, und gerne auch angemessen, abgemessen be-schleunigt.A – zum Einatmen,U – zum Ausatmen, also A-U A-U A-U, und das U mit der Saturnbewegung abschließen, das hat eine stark abgrenzende,hautbildende Wirkung.Es wird trotzdem ein langer Weg sein, bis ihre feuchten Hände,ihre mageren Arme wirklich in die Bewegung eintauchen kön-nen. Aber wenn sie es gelernt hat, wenn sie gelernt hat, in ihrenLeib einzuziehen – dann kann sie auch lesen.So ist eigentlich jedes Kind ein neues Rätsel, das erraten werdenmöchte – auch mir, die ich ja schon viele hyperaktive Kinder be-handelt habe.Eine Lehrerin unserer Schule sagte: »Die Heileurythmie ist eineArt Weichenstellung. Anfangs ist es eine feine, fast unmerklicheVeränderung, und dann fährt der Zug in eine andere Richtungweiter.« ‹›

Zur Autorin: Erika Leiste war 24 Jahre lang Heileurythmistin

an der Rudolf-Steiner-Schule München-Schwabing.

31HEILEURYTHMIE

Foto: Charlotte Fischer

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Page 32: Erziehungskunst Spezial 2015

Unser Bewegungsleib ist Ausdruck unseres Seelischen. Ein Leben lang müssen wirdaran arbeiten, gegen Verhärtungen, Blockaden und Stauungen anzugehen.Der gesamte Bewegungsmensch wird, wie man durch die Analyse von Filmauf-nahmen mit Hochgeschwindigkeitskameras entdeckt hat, schon in der embryo-nalen Entwicklung vor allem durch die Laute, Töne und Geräusche der Außenweltgeprägt, das heißt, dass man bei Wiederholung derselben, immer wieder zu exaktdenselben, reproduzierbaren Bewegungsmustern kommt. Daraus bildet jedesKind sein Gehen, Sprechen und Denken zunächst durch Nachahmung aus, verwandelt dieses aber dann durch unermüdliches Tätigsein zu seiner indivi-duellen Körper- und Bewegungsgestalt. Dieses Tätigsein entwickelt sich in dreiPhasen:Zunächst überwiegt die Reflexmotorik, die im Mutterleib beginnt, beim Geburts-prozess überlebenswichtig ist, dann im Laufe des ersten Jahres »gehemmt« oder»integriert« und in Eigen-Bewegung übergeführt wird.In der zweiten Phase strebt der »motorische Mensch« tief unbewusst danach, dieBewegungen der Welt nachzuahmen, um sie schließlich in der dritten Phase zu individualisieren und zu beherrschen. Damit erringt sich der Mensch aus der Bewegung die »Kenntnis« seiner Leiblichkeit, das Körperschema oder die Körper -geographie, die ihm Selbstwahrnehmung, Selbstbewusstsein, Selbstsicherheitund Selbstwertgefühl vermitteln. Auf diesen Prozess des Bahnen-Bildens, Spuren-Legens und der neuronalen Vernetzungen hat die Neurobiologie besonders durchdie Forschungen von Manfred Spitzer in den letzten Jahren aufmerksam gemacht.Durch seine Ausführungen wird heute das Ausmaß der desaströsen Folgen vonBewegungsmangel und Bewegungsverzögerung im ersten Jahrsiebt für die früh-kindliche Entwicklung, besonders für das Lernen deutlich.

Leibgestaltung durch BewegungIn der Waldorfpädagogik sind Bewegungsübungen eine Grundlage für das Lernen.Entscheidend dabei ist, dass wir in der Bewegung eine unmittelbare Begegnungmit dem Sein der Welt haben. Das heißt, auf der einen Seite wird die Motorik selbstzu einem Wahrnehmungsinstrument des Welt-Erlebens und auf der anderen Seiteführt die Eigenbewegung zur einzigartigen Individualisierung des Menschen.

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

»Gerade so wie Fußspurenvon außen eingedrückt sind,so sind in den Körper, beson-ders in das Gehirn und in die Nervenorganisation, einge-drückt diejenigen Dinge,

die aus der Umgebung hereinim nachahmenden Leben erlebt werden, im Gehen-

Lernen, im Sprechen-Lernen,im Denken-Lernen.«

Rudolf Steiner

32 FÖRDERUNTERRICHT

Bewegung macht den Menschenvon Andrea Berlin-Zinkhahn

Die Welt und sich selbst wahrnehmen

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Page 33: Erziehungskunst Spezial 2015

2015 | Juli/August erziehungskunst spezial

Wie schwer dieser Individualisierungsprozess ist, kann jeder von uns erleben,der einmal andere als die gewohnten Bewegungen auszuführen hat, beispiels-weise in der Eurythmie, im Tanz oder der Jonglage.Rudolf Steiner wies die Lehrer darauf hin, dass der Mensch ein Leben lang mitKrankheitsneigungen ringt (z.B. Verhärtung, Verkrampfung, Blockaden, sich andie Umgebung verlieren) und dass er ein Leben lang daran arbeitet, gesünder,menschlicher, vollkommener zu werden. Dabei ist die Bewegung ein ständigerGestaltungs- und Gesundungsvorgang.Können wir das nachvollziehen? Setzen Sie sich einmal an einem heißen Som-mertag in ein Straßencafé einer belebten Fußgängerzone und halten Sie Aus-schau nach Menschen, von denen Sie sagen können, dass ihr Gang, ihre Haltung,ihre Bewegungen und der Gesichtsausdruck harmonisch, ausgewogen oder »ge-sund« wirken. Sie werden plötzlich, auch ohne Therapeut zu sein, feststellen,

33FÖRDERUNTERRICHT

»In der Waldorf-

pädagogik sind

Bewegungsübungen

eine Grundlage für

das Lernen.

Entscheidend dabei

ist, dass wir in der

Bewegung eine

unmittelbare

Begegnung mit dem

Sein der Welt haben. «

Foto: Gerti G. / photocase

�›

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Page 34: Erziehungskunst Spezial 2015

wie seelische Verspannungen, Blockaden, Ängste, mangelndes Selbstvertrauen,Fahrigkeit, Hemmungen, Trägheit oder Depression in der Bewegung der Men-schen zum Ausdruck kommen. Unser Bewegungsleib ist Ausdruck unseres Seelischen.

Was Bewegung offenbartFür die Diagnostik von Lernschwächen und Lernstörungen ist mir die Bewegungeine große Hilfe. Die Übungen zur Zweitklassuntersuchung beinhalten eine Reihevon Bewegungsabläufen, die dem Entwicklungsstand am Ende des 8. Lebensjahresentsprechen. Ballspielen, Vorwärts- und Rückwärtsgehen, Hüpfen, Balancieren,Formenzeichnen – all diese Tätigkeiten offenbaren etwas über die Verbindung desSeelisch-Geistigen mit dem Physisch-Leiblichen: Ist das Kind in seinem Leib zuhause, »bei sich«, fühlt es sich wohl oder ist es etwa »aus dem Häuschen«?

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

Ist das Kind »zuhause« oder»aus dem Häuschen«?

34 FÖRDERUNTERRICHT

�›

Foto: Gerti G. / photocase

EKS_07-08_2015_Layout 1 09.06.15 19:00 Seite 34

Page 35: Erziehungskunst Spezial 2015

2015 | Juli/August erziehungskunst spezial

Das können Sie ganz wörtlich nehmen: Gehen sie in Gedanken einmal durch IhreWohnung. Sie wissen genau, wo Sie sich gerne aufhalten, wo Sie die Sache im Griffhaben und wo die Problemzonen sind, die man am Besten großräumig umschifft.Wie fühlt es sich also an, wenn ich beim einhändigen Ballfangen mit der »freien«Hand unbewusst spreize oder zusammenzucke, oder wenn statt zu greifen, alleFinger ohne mein Zutun sich strecken und den Ball abprallen lassen?Was machen denn die Füße bei einer diagnostischen Ballübung? Steht das Kind festund kommt im Werfen und Fangen in einen Rhythmus, oder fällt es nach jedemWurf fast um und ist »nicht da«, wenn der Ball wieder kommt? Sie glauben garnicht, was man in diesem Bereich alles zu sehen bekommt und ich kann jedemLeser nur raten, mit seinen Kindern, Neffen, Nichten und Enkeln jede Gelegenheitzu nutzen, Ball zu spielen, wobei ich mit »Spielen« nicht das harte Abwerfen oderKicken meine, sondern das rhythmische Hin und Her oder die Ballschule mit ihrenzehn Geschicklichkeitsstufen.

Lernvoraussetzung: GeschicklichkeitAus der Gehirnforschung ist die Zuordnung der Hände zu bestimmten Arealenim Gehirn bekannt. So wurde erforscht, wie die Tätigkeiten der Hände »Spuren«legen, die besonders für das Lernen gebraucht werden. Besonders fein ausgebil-det sind zum Beispiel diese Gehirnregionen bei Musikern, die in besonderemMaße ihr »Fingerspitzengefühl« erübt haben. In meinem Förderunterricht kannich keinen Instrumentalunterricht machen, aber ein Teil der Übungen, die ich mitden Kindern mache, richtet sich auf die Geschicklichkeit der Hände, der Füßeund des Gleichgewichtes. Viele Alltagsbewegungen sind den Kindern nicht mehrvertraut, wie zum Beispiel fegen, rühren oder Wolle wickeln. Aber auch Finger tippen, Klatschspiele, Fadenspiele, Seilchen hüpfen oder Ball spielen sind heute nicht mehr selbstverständlich und manche Kinder müssen sich dazu sehr an-strengen. Die Bewegungsübungen aus der »Extrastunde« von Audrey McAllen, an denenich mich im Förderunterricht orientiere, haben gewissermaßen Urbild-Charak-ter (Kreis, Lemniskate, Spirale) und wirken dadurch ordnend und strukturierendauf die Bewegungsabläufe der Kinder. Mit der Zeit erfassen die Kinder das eigene Körperschema besser und handhaben es auch sicherer. Dazu wird die Beziehung zum Raum, oben-unten, vorne-hinten, rechts-links undder eigene Standpunkt in diesem Raum, der uns erst Sicherheit in Bezug auf dieirdischen Dinge gibt, gründlich erübt. Die Übungen sollen durch den Willen unddie rhythmische Wiederholung das Zusammenspiel des Seelisch-Geistigen mitdem Physisch-Leiblichen harmonisieren und dadurch besseres Lernen möglichmachen.

Urbildliche Bewegungen

35FÖRDERUNTERRICHT

�›

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Page 36: Erziehungskunst Spezial 2015

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

Zur Autorin: Andrea Berlin-Zink-

hahn war in den Heil- und Erzie-

hungsinstituten Bingenheim und

Eckwälden sowie in der Michael

Bauer Schule tätig. Zeitweise Aus-

landstätigkeit in den Waldorfschu-

len Mexiko und Kolumbien. Seit

1998 ist sie Förderlehrerin an der

Freien Waldorfschule Engelberg.

Literatur:

Manfred Spitzer: Lernen – Gehirn-

forschung und die Schule des Lebens,

Heidelberg 2002

Audrey E. McAllen: Die Extrastunde,

Stuttgart 2012

36 FÖRDERUNTERRICHT

�› Bei einigen Kindern nehme ich Bewegungsverzögerungen und Ungeschicklich-keiten sowie fortbestehende Reflexe in ganz elementaren Bewegungsbereichenwahr. Das sind oft Kinder, die nicht gerobbt, gekrochen oder gekrabbelt sind und da-durch bestimmte Bewegungsmuster nicht abgebaut und andere nicht ausgebildethaben. Gerade solche Bewegungsverzögerungen können zu massiven Lernschwie-rigkeiten führen. Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Junge, 11 Jahre alt, mit einem per-sistierenden ATNR (Asymmetrisch-Tonischen-Nackenreflex) hatte größte Mühe,die Schreibhand, die durch den Reflex immer in die Streckung gehen wollte, aufdem Papier zu halten. So konnte er nur mit größter Kraftanstrengung und mit zit-ternder Hand schreiben, war schnell erschöpft und hatte keine »Reserven« mehr fürRechtschreibung und dergleichen. Das Schriftbild kann man sich vorstellen.Diese Bewegungen nachreifen zu lassen, dazu bedarf es besonderer, fachlicherKenntnisse und Voraussetzungen über die herkömmliche Ergotherapie hinaus, z.B.eine gezielte Therapie zur Reflexintegration.Obwohl man in der 5./6. Klasse auch noch durch Bewegung fördern und einigesbewirken kann, haben Kinder in diesem Alter schon viele negative Erfahrungengemacht und finden leider auch die Übungen meist »peinlich«. So würde ich mirwünschen, dass sich noch mehr und vor allem jüngere Lehrer, Erzieher und Therapeuten mit der Bedeutung der Bewegung als Voraussetzung für das Lernenbefassen, damit die Probleme vielleicht schon im Vorschulbereich erkannt und behandelt werden können. ‹›

Einige Bilder aus der Praxis: Bei den Ball- und Säckchen-Übungen handelt es sich um ein

zehnjähriges Mädchen mit einer deutlichen Lese-Rechtschreibschwäche. Zwar schreibt sie

rechts, hat aber eine linke Augen- und Ohr-Dominanz. Beim Ballspielen und anderen

Übungen allerdings, erweist sich die linke als die flinkere und geschicktere Hand.

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Page 37: Erziehungskunst Spezial 2015

2015 | Juli/August erziehungskunst spezial

Erziehungskunst |Wie ist die Chirophonetik entstanden?

Dieter Schulz | Alfred Baur* arbeitete mit einem dreijährigen Jungen, der nichtsprach, und er fragte sich, wie er die Wahrnehmung des Kindes verstärken könnte,um seinen Nachahmungswillen zu wecken. Er hatte den Eindruck, dass das Kinddie Sprache direkt am Leib erfahren müsse und fragte sich, was geschieht beimSprechen? Welche Luftformen entstehen, wenn wir die einzelnen Laute artikulie-ren? Es gelang ihm, diese Formen klar nachvollziehbar graphisch darzustellen. Dieandere Frage, wie diese Formen nun auf den Gesamtorganismus übertragen werdenkönnten, beantwortete er aus der praktischen Anwendung der Metamorphose- gesetze, die er in seinem Buch Lautlehre und Logoswirken detailliert beschreibt.

EK |Wie werden die Sprachlaute gebildet, wie wird die Form zu dem jeweiligenLaut gefunden?

DS | Jeder einzelne Laut, den wir sprechen, hat eine charakteristische Luftströ-mungsgestalt, die während des Sprechens entsteht. Wird zum Beispiel ein »L« artikuliert, so drückt die Zungenspitze einen ganz bestimmten Punkt hinter denSchneidezähnen. Die Luft steigt während der Artikulation des »L« auf, umströmtdie Zunge von beiden Seiten und entweicht dem Mund. Der Punkt hinter denSchneidezähnen findet sich metamorphosiert zwischen den Schulterblättern. DieZeichnung zeigt, wie vom unteren Rückenbereich das »L« aufwärts gestrichenwird. Je nachdem, an welcher Stelle des Sprachorganismus der Laut artikuliertwird, findet sich diese Artikulationsstelle am Gesamtorganismus wieder. DiesenEntsprechungen liegt das Gesetz der von Goethe beschriebenen und von RudolfSteiner weiter entwickelten Metamorphose zugrunde. So haben zum BeispielLaute, die im Bereich des weichen Gaumens gebildet werden, ihre Entsprechungim Bereich des Bauches oder des unteren Rückens.

Dr. Alfred Baur wurde 1925 in Wels,

Österreich geboren, studierte

zunächst Maschinenbau, nach dem

Kriegsdienst und russischer Gefan-

genschaft Philosophie, Geschichte

und Germanistik in Graz. Während

der Studien zeit begegnete er der

Anthroposophie. Nach dem Stu-

dium und der Dissertation arbei-

tete er in verschiedenen

heilpädagogischen Einrichtungen.

Ab 1953 baute er gemeinsam mit

seiner Frau Ilse eine heilpädagogi-

sche und sprachtherapeutische

Ambulanz in Linz auf und ent-

wickelte seit 1972 die Chirophonetik.

Baur starb 2008.

37CHIROPHONETIK

Im Luftstrom der LauteChirophonetik hilft nicht nur bei Sprachproblemen

Im Gespräch mit Dieter Schulz

�›

*

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Page 38: Erziehungskunst Spezial 2015

EK |Wie gestaltet sich das in Ihrer Praxis?

DS | B., ein zehnjähriger Junge, fiel in der Schule wegen Konzentrationsstörun-gen und hyperaktivem Verhalten auf. Der Junge besaß eine sogenannte sulfuri-sche Konstitution, die Steiner im »Heilpädagogischen Kurs« beschreibt. Menschenmit einer solchen Konstitution neigen durch den erhöhten Schwefelanteil inihrem Organismus dazu, schnell zu vergessen. Denkt man an Schwefelhölzer,so ist das stichflammenartige Versprühen nach außen typisch. Durch die Tastsinnerfahrung während der Behandlung sollte B. sich seiner Kör-pergrenzen stärker bewusst werden. Ich wählte zum einen Laute, die eine um-hüllende, schützende Wirkung haben, zum Beispiel das »M«; zum anderen Laute,die die Konzentration unterstützen und zu einer verstärkten Selbstwahrnehmungführen. B. mochte die chirophonetischen Anwendungen sehr gerne. Als sein Ölwählte er eines mit Zitronenaroma. Innerhalb von etwa vier Monaten zeigte B. einerhöhtes Konzentrationsvermögen und es fiel ihm leichter, bei sich zu bleiben.Die Eltern führten die Behandlung viermal die Woche durch. Nachdem B. sich ge-festigt hatte, vereinbarten wir, dass er nur noch nach Bedarf oder auf seinen eigenen Wunsch Chirophonetik bekommt.

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

38 XXXXXXXXXX ???

�›

Die Anwendungsgebiete der Chirophonetik

ergeben sich daraus, dass durch die Arbeit am Körper

direkt auf alle zwölf Sinne des Menschen gewirkt wird.

Foto: ig-fotografie / photocase

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Page 39: Erziehungskunst Spezial 2015

2015 | Juli/August erziehungskunst spezial

EK |Welches sind die Anwendungsgebiete der Chirophonetik?

DS | Sie ergeben sich daraus, dass wir durch die Arbeit am Körper direkt auf allezwölf Sinne des Menschen wirken. Die Laute haben auch eine Beziehung zu denElementen und damit zu den Temperamenten. Je nachdem, was einem Men-schen fehlt, kann man ihm das auf der Lautebene chirophonetisch vermitteln.Die Chirophonetik wirkt dadurch auf das Verhalten des Menschen und kann inallen Lebensaltern angewendet werden. Alfred Baur veröffentlichte beim Verlag»Soziale Hygiene« ein Heft mit dem Titel: Chirophonetik-Therapie durch Laut und

Berührung. Wir haben diese Schrift aktualisiert im Verlag »Gesundheit Aktiv« ver-öffentlicht. Darin werden folgende Anwendungsgebiete beschrieben: verzögerteoder fehlende Sprachentwicklung, Sprachverlust, Mutismus, Redeflussstörungen,Schwerhörigkeit, Entwicklungsverzögerungen, Aufmerksamkeits- und Wahrneh-mungsstörungen, herausforderndes Verhalten, psycho somatische und chronischeKrankheiten in Zusammenarbeit mit Ärzten, Begleitung alter Menschen zur Stärkung im Sinne der Salutogenese.Seit 1985 habe ich umfangreiche Erfahrungen mit der Chirophonetik im Rahmenmeiner heilpädagogischen Praxis gesammelt. Ich war von den Ergebnissen oftberührt. In die Liste der Anwendungen möchte ich ausdrücklich ADHS aufneh-men. Die Erfahrungen mit der Chirophonetik sind bei ADHS ermutigend.

EK |Wo kann man eine Chirophonetik-Ausbildung machen?

DS | Die Ausbildung findet in acht Wochenkursen in Kassel und Bad Boll statt,die auch als Halbwochenkurse angeboten werden. In der Regel dauert die ge-samte Ausbildung zweieinhalb Jahre. Neben den Lautformen und der Wirkungder Laute lehren wir auch das Streichen der klassischen griechischen Rhythmenmit ihren differenzierten Wirkungen auf den Menschen. Desweiteren werden inden Kursen menschenkundliche Themen behandelt, insbesondere die Sinnes-lehre, ihr Verhältnis zu den Wesensgliedern sowie ihre diagnostischen und therapeutischen Aspekte. ‹›

Zum Gesprächspartner: Dieter Schulz ist Heilpädagoge, Biografieberater und

Supervisor (WIT, Universität Tübingen) und arbeitet in freier Praxis, Dozent an der

Schule für Chirophonetik und Gastdozent an der Höheren Fachschule für

Heil- und Sozialpädagogik in Dornach, am Camphill-Seminar in Frickingen

und anderen Ausbildungsstätten.

39CHIROPHONETIK

Literatur:

A. Baur: Lautlehre und Logoswirken,

Stuttgart 1996

A. Baur: Chirophonetik. Therapie

durch Laut und Berührung,

Berlin 2011

D. Schulz: Besondere Wege,

Stuttgart 2012

Link: www.chirophonetik.de

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Schon immer fühlten sich der Unterrichtsbeginn um 7:45 Uhr zu früh und dievielen kleinen Fünfminuten-Pausen zu kurz an. Dass nicht wenige Schüler zumUnterricht erschienen, ohne gefrühstückt zu haben und die Konzentrationsfähig-keit der meisten in der vierten Fachstunde nachließ, wurde zwar stets beklagt, dochwie ein Naturgesetz hingenommen. Erst infolge einer Auseinandersetzung mitdem Leitbild der deutschen Waldorfschulen während einer Konferenz im Som-mer 2011 setzten wir uns eingehender als bisher mit einem gesunden Lebens- undSchulrhythmus auseinander.

Annäherung an einen gesunden SchulrhythmusIm Laufe des darauffolgenden Schuljahres beschäftigte sich das Kollegium mitpersönlichen, anthroposophischen und chronobiologischen Fragestellungen zumThema Rhythmus:• Alle Lehrer zeichneten die eigene Tagesform als Kurve auf und verglichen diesemiteinander. Dabei zeigten sich überraschende Übereinstimmungen, wie eine ge-meinsame Hochphase gegen 10:30 Uhr.• Durch Kurzreferate gewannen wir erste Erkenntnisse aus dem Bereich der Chro-nobiologie, zum Beispiel dass es zwei Schlaftypen gibt, die sogenannten Lerchen(Frühaufsteher) und Eulen (Spätaufsteher).• Unter dem Gesichtspunkt einer Kräfte erhaltenden Fächerabfolge wurden fiktiveStundenpläne entworfen und die optimale Länge der Pausen diskutiert.

Fachmännische Beratung und UnterstützungWolfgang Rißmann, Facharzt für Psychiatrie, wurde als erster Experte in Sachengesunder Tagesrhythmus eingeladen. Er wies auf die langfristige salutogenetischeWirkung eines »atmenden«, von Wiederholungen geprägten Tagesablaufs hin. Besondere Bedeutung maß er einem entspannt eingenommenen Frühstück,einem späteren Schulbeginn und einem stets zur gleichen Zeit stattfindendenMittag essen zu.Das Klausurwochenende des Kollegiums in einer Hütte im Schwarzwald war ge-prägt von Aufbruchstimmung. Roland Sonne von der Klagenfurter Waldorfschulewar eingeladen und erzählte von der dortigen Umstellung auf einen späteren

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

40 CHRONOBIOLOGIE

Entspannt in den Schultagvon Alexandra Natterer

Nach einer mehrjährigen Auseinandersetzung mit demThema Rhythmus und den Erkenntnissen der Chrono-

biologie hat die Freie Waldorf-schule Freiburg-Wiehre ihren

Schultag verändert.

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Page 41: Erziehungskunst Spezial 2015

2015 | Juli/August erziehungskunst spezial

Unterrichtsbeginn und der Neugestaltung von Unterrichtsfächern (siehe »Erzie-hungskunst« 1/2013). Der großen Begeisterung und der Hoffnung, auch für un-sere Schule Ähnliches in Gang zu setzen, standen Ängste vor einer möglichenDeputatsverringerung und damit verbundene Sorgen um die Existenz gegenüber.Es erwies sich als befreiend, dass alles in großer Runde benannt werden durfte.Schließlich stand als gemeinsamer Wunsch im Raum: Wir wollen einen neuenWeg gehen. Hoch motiviert bildete sich eine vom Schulführungskollegium bestätigte und mitEntscheidungsvollmacht ausgestattete »Rhythmusdelegation«, die aus sieben Leh-rern verschiedener Fachbereiche, einem Vertreter des Hortes und drei Eltern be-stand. Um die Effektivität der wöchentlichen Treffen zu steigern, wurde eineprofessionelle Prozessbegleiterin engagiert. Ein erstes großes Ziel sollte die Ver-besserung des Stundenplanes unter zeitlichem Aspekt sein. Eine breit angelegteUmfrage ergab, dass zwei Drittel der Oberstufenschüler und über die Hälfte derEltern den aktuellen Unterrichtsbeginn als zu früh empfanden. Auf Lehrerseite wurde der Unterrichtsbeginn um 8:30 Uhr favorisiert, unter denOberstufenlehrern sogar 9 Uhr. Damit folgten die Kollegen einem richtigen Ge-fühl, denn die Erkenntnisse der Chronobiologie gaben Antwort auf die Frage,warum gerade Oberstufenschüler oft müde und wenig aufnahmefähig zum Unter-

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Vorbild Klagenfurt

Foto: IvanR / photocase

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Page 42: Erziehungskunst Spezial 2015

richtsbeginn erschienen: Als Teenager werden die meisten Menschen zu Spät-schläfern (Eulen), weil sich bei ihnen der Nachtmittelpunkt nach hinten verschiebt.Ein Sechszehnjähriger befindet sich dadurch in den frühen Morgenstunden nochmitten in seiner natürlichen Schlafphase. Da hilft auch früheres Zu-Bett-Gehennichts. Das Nerven(zell)system taktet den Schlaf und steuert ihn.

Der aus Graz eingeladeneChrono biologe und Psycho-loge, Maximilian Moser, be-richtete vor Schülern, Elternund Lehrern von den Ergeb-nissen seiner Forschungsar-beiten. Er machte deutlich, wie Kör-per funktionen (Puls/Atmung/Nervensystem) nicht nur Stoff-wechsel prozesse rhythmisie-ren, sondern auch zyklisch aufunser Aktivitäts- und Entspan-nungsbefinden wirken.

Wer gegen die im Menschen angelegten Rhythmen arbeitet – zum Beispiel durchSchichtarbeit, verschobene Schlafenszeiten oder ungünstig gelegte Pausen –, wirktirritierend auf den Körper ein und provoziert Krankheiten. Für die Schule emp-fiehlt Maximilian Moser: • einen Schulbeginn nach 8:30 Uhr;• eine Unterrichtslänge von 45 oder 90 Minunten in Anlehnung an den basalenRuhe-Aktivitätszyklus [Brac], der unsere Aufmerksamkeit steuert, dem eine Ruhephase folgt;• eine längere Pause nach 90 Minuten Unterrichtszeit.

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

42 CHRONOBIOLOGIE

»Als Teenager werden die meisten Menschen zu Spätschläfern (Eulen),

weil sich bei ihnen der Nachtmittelpunkt nach

hinten verschiebt. «

Empfehlungen

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Grafik: Stündle / Wikicommons

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Page 43: Erziehungskunst Spezial 2015

2015 | Juli/August erziehungskunst spezial

Erste UmstellungenEs war klar, dass nicht einfach nur der Unterrichtsblock um eine halbe oder eineDreiviertelstunde nach hinten verlegt werden konnte, die Schüler sollten ja zueiner noch vernünftigen Zeit zu Mittag essen. Wir verkürzten den Hauptunter-richt auf 90 Minuten. Da aus den Umfragen deutlich hervorging, dass die Unter-stufenlehrer die bisherige Unterrichtslänge (105 Minuten) beibehalten wollten,legten wir den Unterrichtsbeginn der ersten Klassen eine Viertelstunde vor den deranderen. Die Fünfminutenpausen wurden zugunsten von zwei großen Pausen(zwanzig Minuten und fünfzehn Minuten) abgeschafft, die vierte Fachstunde umfünf Minuten gekürzt. Auf diese Weise war es möglich, trotz eines späteren Schul-beginns von 30 bzw. 45 Minuten, die Mittagspause um nur 20 Minuten zu ver-schieben. Der Unterrichtsvormittag umfasste somit die Zeit von 8:15/8:30 Uhr bis13:30 Uhr.Nicht für alle Eltern stimmten jedoch Arbeitszeit und neuer Schulrhythmus über-ein. Deshalb erwies sich die Einrichtung eines Morgenhortes als notwendig; zwi-schen vierzehn und zwanzig Kinder besuchen diesen allmorgendlich.

EvaluierungDie Ergebnisse wurden hauptsächlich von Oberstufenschülern ausgewertet. DieUmfrage unter den Schülern fiel eindeutig aus: 90 Prozent fanden den späteren Schulbeginn besser, 74 Prozent fühlten sich aus-geschlafener, die Hälfte sagte, sie könne morgens konzentrierter und motivierterin den Unterricht einsteigen. Unter den Hauptunterrichtslehrern bemerkten 80 Prozent eine Steigerung derKonzentrationsfähigkeit bei den Schülern. Drei von vier Kollegen gaben an, dassdie Unterrichtsinhalte trotz der Kürzung vermittelt werden konnten, auch wennein Drittel die Zeit als zu kurz empfand. Als sehr positiv bewertete man die Ein-richtung der neuen zweiten großen Pause. Sie ermögliche es, ohne Hetze etwas zusich zu nehmen oder die Toilette aufzusuchen. Auch war nun mehr Zeit für Ge-spräche mit Schülern zwischen den Stunden. Auf die Pünktlichkeit der Schülerhatte der verschobene Schulbeginn praktisch keine Auswirkung. Wer früher schonknapp dran war, blieb es. Unter den Eltern freuten sich 70 Prozent über ausgeschlafenere Kinder, allerdingsbeurteilte über ein Drittel der Befragten den Unterrichtsschluss um 13:30 Uhr alszu spät. Insbesondere bei Kindern mit einem längeren Schulweg falle das Mittag - essen in den Nachmittag. Eltern mit mehreren Kindern in unserer Schule gabenan, dass es ihnen als Familie aufgrund der unterschiedlichen Schulanfangszeitenin der Unterstufe gegenüber der Mittel- und Oberstufe nicht mehr möglich sei,morgens gemeinsam zu frühstücken. Zudem mussten sich ältere Geschwister als

43CHRONOBIOLOGIE

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Freies Geistesleben

Jens BjørneboeJonas. RomanAus dem Norweg. von Elisabeth Ihle410 Seiten, kartoniert€ 14,90 (D) | ISBN 978-3-7725-1813-3www.geistesleben.com

Der siebenjährige Jonas träumt inder Nacht vor seinem ersten Schultagvon der Freiheit. Aber dann verirrt ersich im Gewirr der Buchstaben unddas Leben wird ihm für lange Zeitzum Albtraum …

Jonas ist ein Sonderfall … Zunächsttäuscht er seine Lehrerin und sichselbst über seine Schwäche hinweg,indem er die Texte, die er nicht entziffern kann, auswendig herun-terplappert. Aber nach dem erstenVolksschuljahr fliegt der Schwindelauf … Ein bemerkenswert einfühl-samer Roman über einen legasthe-nischen Jungen.»

Süddeutsche Zeitung

Bjørneboe versetzt sich so liebevollin die Seele eines Jungen, dass unsda noch das ein oder andere Lichtaufgehen könnte.»

Norddeutscher Rundfunk

Im Gewirr der Buchstaben

Jens Bjørneboe

Jonas

Verlag Freies Geistesleben

Roman

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Page 44: Erziehungskunst Spezial 2015

Wegbegleiter an den früheren Unterrichtsbeginn der jungen anpassen. Aus diesenGründen veränderten wir im darauffolgenden Schuljahr den Stundenplan erneutzugunsten eines gemeinsamen Unterrichtsbeginns um 8:30 Uhr.Das Thema gesunder Schulrhythmus ist mit der Umstrukturierung des Stun-denplans nicht abgeschlossen. Sie ist ein erster großer Schritt in eine gute Rich-tung, der von anderen Waldorfschulen mit ähnlichen Vorhaben interessiertverfolgt wurde. Für die folgenden Jahre steht die Rhythmisierung, Verdichtungund Indivi dualisierung der Unterrichtsinhalte in der Oberstufe auf dem Plan.Die neue Delegation dazu ist schon eifrig am Werk. ‹›

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

Schulen in freier Trägerschaftdürfen ihre Vertragspartner

frei auswählen, auch wenn sieverpflichtet sind, kein Kindwegen einer Behinderung

auszuschließen

Zur Autorin: Alexandra Natterer

ist Klassenlehrerin an der Freien

Waldorfschule Freiburg-Wiehre

44 XXXXXXXXXX ???

Das Thema gesunder Schulrhythmus ist mit der Um-

strukturierung des Stundenplans nicht abgeschlossen.

Sie ist ein erster großer Schritt in eine gute Richtung.«

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Foto: Lise Noergel / photocase

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Page 45: Erziehungskunst Spezial 2015

2015 | Juli/August erziehungskunst spezial

Behindern ist heilbar

Wer täglich auf der Suche nach dem Königsweg einer guten und heilsamen Vor-bereitung auf den Unterricht und das Schulleben ist, mag auch die eine oder andereGelegenheit nutzen, ein wertvolles Buch dieser Art in die Hand zu nehmen.Man scheue sich nicht, dieses dicke Buch aufzuschlagen! Nicht um es von Anfangbis Ende durchzulesen, sondern um eher zufällig zu finden, was man immer schongewusst, vielleicht auch nur geahnt hat. Man lese es, um sich auf seinem Weg bestärktzu finden und Anregungen für den Unterricht und das Schulleben zu bekommen.Ein »Praxisbuch« ist es, weil es mit guten Ideen zur Unterrichtsgestaltung aufwar-tet und die Menschenkunde für die alltägliche Arbeit aufbereitet. Die praktischenErfahrungen langjährig im täglichen Unterrichtsgeschehen forschender und ler-nender Pädagogen werden zur Nachahmung und Weiterentwicklung anregen.Nur eine zufällige, keine dem Thema und der Fülle gerecht werdende Auswahl vonZitaten ist an dieser Stelle möglich. Wenn Michaela Glöckler feststellt: »Waldorf -pädagogik ist ihrem Ursprungsimpuls nach Inklusionspädagogik«, gleich daraufaber anmahnt, dass wir uns darauf nicht ausruhen dürfen, ist damit nicht nur die Ge-fahr benannt, angesichts der »gut gemeinten« und täglich auf uns einströmendenForderungen unsere pädagogische Aufgabe zu versäumen. Es gilt, die Ur-Impulseder Waldorfschule und deren Beziehungen zum heutigen Bewusstseins- und Kennt-nisstand für eine kindgerechte individuelle Begleitung fruchtbar zu machen.Johanna Keller weist auf eine mögliche Fehlinterpretation der UN-Konvention hin:»Inklusion bedeutet nicht, dass alle Kinder immer gemeinsam unterrichtet wer-den müssen, sondern dass allen Kindern der Zugang zu gleichen Bildungsmög-lichkeiten gegeben wird ...« Inklusion oder Integration?, fragt man sich nicht nuran dieser Stelle.Bewusstseinsarbeit, Selbstschulung, Neuorientierung und Umdenken sind not-wendig, um den Boden für Veränderungen vorzubereiten, damit die Kinder nichtzu Versuchskaninchen experimentierfreudiger Erwachsener werden.Thomas Maschke weist auf das Spannungsfeld hin, in dem sich jetzt nicht nur derWaldorflehrer, sondern jede Lehrerin, jeder Lehrer bewegt. Sie sollen einerseits eineoptimale individuelle Entwicklung ermöglichen, andererseits dem Anspruch aufnormierte und messbare Leistungen gerecht werden.Möge dieses Buch auch helfen, die Barrieren zwischen den verschiedenen pädago-gischen Ausrichtungen durchlässiger zu machen. Inklusion fängt bei uns selberan, ganz im Sinne des Zitats, das Walther Dreher in seinem Beitrag nennt: »Behindern ist heilbar.«

Wolfgang Debus

45ERLESEN

Ulrike Barth, Thomas Maschke (Hrsg.): Inklusion – Vielfalt gestalten. Ein Praxisbuch809 S., geb. EUR 39,–Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2014

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Page 46: Erziehungskunst Spezial 2015

Sprache – Schöpfung in der Luft

Das mit einer DVD-Beilage von Serge Maintier erschienene Buch erweist sichschon nach kurzem Lesen als eine Fundgrube für denjenigen, der die Entstehungder Sprachlaute und ihres Abbildes in den Luftlautformen wissenschaftlich undästhetisch betrachtet. Den Keim zu der Erforschung der Luftlautformen legte Rudolf Steiner 1924 indem Vortragszyklus »Eurythmie als sichtbare Sprache« (GA 279), in dem er vor-schlug, die beim Sprechen entstehenden unsichtbaren Luftgestaltungen durchtechnische Hilfsmittel sichtbar zu machen. Diese Anregung griff Johanna Zinke als Pionierin in den 1960er Jahren auf. SergeMaintier vertieft und erweitert mit dem vorliegenden Buch, das aus seiner Disser-tation entstanden ist, diesen Ansatz und bringt ihn durch seine präzise Beobachtungund Dokumentation auf ein diskursfähiges wissenschaftliches Niveau. Darüber hin-aus gelingt es ihm, die Lautbildungsdynamik qualitativ zu betrachten.Aus dieser vertieften Auseinandersetzung mit der Thematik ergeben sich sowohlAnsätze für die sprechpädagogische und therapeutische Arbeit als auch konkreteAnregungen für den künstlerischen Umgang mit den Luftlautformen etwa in derEurythmie. Zudem zeigt der Autor interessante Bezüge und Perspektiven zwi-schen der Lautbildung, ihrem lebendigen Abbild in den Luftlautformen und derStrömungsforschung. In diesem Sinne regt das Buch sowohl den wissenschaft-lich interessierten als auch den künstlerisch schaffenden oder pädagogisch tät igenLeser zum eigenen Forschen an.Die beigelegte DVD ist mehr als eine Ergänzung des Buches; vielmehr spiegelt siemit einzigartigen, beeindruckenden Bildern die Quintessenz der Forschungsarbeitvon Serge Maintier wider. Besonders hilfreich ist dabei die Kommentierung der ein-zelnen Videosequenzen. Der Betrachter kann die Forschungsergebnisse dadurcheinordnen.

Ulrich Maiwald

erziehungskunst spezial Juli/August | 2015

46 ERLESEN

Serge Maintier: Sprache – die unsichtbare Schöpfung

in der Luft: Forschung zur Aerodynamik der Sprachlaute.

Herausgegeben von Rainer Patzlaff,91 S., kart., mit DVD, EUR 65,50, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2014˘

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Page 47: Erziehungskunst Spezial 2015

2. bis 4. Oktober 2015 | Rudolf-Steiner-Schule Dortmund

Der Kongress wird mit einem Vortrag von Dr. Michaela Glöckler über die

körperliche, seelische und geistige Gesundheit unserer Kinder eröffnet

und schließt mit Claus-Peter Röh: Die Entwicklung unserer Kinder –

wahrnehmen – fördern – begleiten.

Es gibt zehn verschiedene Foren, eingeleitet mit Impulsreferaten, in denen die

Entwicklung vom Kindergartenkind bis zum Jugendlichen aus unterschiedlich-

sten Perspektiven bearbeitet wird.

Weiterhin finden 30 verschiedene Arbeitsgruppen zu den Themen statt,

sodass die entwicklungsrelevanten Fragen auf allen Ebenen besprochen

werden können.

Auf dem Offenen Markt kann man sich über verschiedene Einrichtungen

informieren.

Eingeladen sind: Ärzte, Eltern, Erzieher, Heilpädagogen, Therapeuten,

Hortner, Ernährungsspezialisten, Künstler, Lehrer und Schüler.

Das aktuelle Programm mit Online-Anmeldung finden

Sie unter: www.waldorfschule.de/kongress

In Zusammenarbeit mit

Kontakt:

Bund der Freien Waldorfschulen

Wagenburgstr. 6 | D 70184 Stuttgart

E-Mail: [email protected]

Tel.: +49 (0) 711/210 42 13

Kongress 2015

Kongress 2015

Die Entwicklung unserer Kinder

� stärken� unterstützen� begleiten

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Page 48: Erziehungskunst Spezial 2015

Freies Geistesleben : Ideen für ein kreatives Leben

Christel Dhom: Klatschspiele. Reime und Lieder für flinke Hände. | Inkl. DVD mit ausgewählten Spielen. | 174 Seiten, mit Fotos vonRamona Lamb-Klinkenberg, durchg. farbig, gebunden | € 19,90 (D) | ISBN 978-3-7725-2644-2

Christel Dhom: Hüpf- und Murmelspiele | Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Alfred Längler | 112 Seiten, mit Fotos von Ramona Lamb-Klinkenberg, durchg. farbig, gebunden | € 18,90 (D) | ISBN 978-3-7725-2654-1 | www.geistesleben.com

Christel Dhom zeigt, wie mit ein paar Murmeln,etwas Kreide, einem Hüpfgummi und Fantasie jederOrt zum Spielplatz werden kann. Ihre Sammlung analten Spieleklassikern und neuen Ideen lässt auchEltern, Pädagogen und Ärzte begeistert in die Höhespringen, ist aber vor allem für Kinder ein bewegen-der Spaß!

Christel Dhom stellt Koordinations- und Geschick-lichkeitsspiele für drinnen und draußen vor, dieKinder begeistern werden. Ihre Anleitungen zurKreide- und Murmelherstellung ergänzen dieSanmlung.

So gelingt Förderung spielerisch!

Klatschspiele verbinden das natürliche Bedürfnis vonKindern nach spielerischer Herausforderung undgeselliger Freude. Ob zu zweit oder in der Gruppe, obAnfänger oder Fortgeschrittene – im Buch vonChristel Dhom werden alle fündig. Dass diese Spielezudem die Feinmotorik und Sprachfähigkeit fördern, lässt auch Eltern und Pädagogen begeistert in dieHände klatschen!

Christel Dhom hat Koordinations- und Rhythmus-übungen zusammengestellt, die Freude machen. Solassen sich alte Spieleklassiker neu entdecken undmit der beiliegenden DVD leicht erlernen.

DVD Inklusive

mit ausgewähltenKLATSCHSPIELEN

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