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Als die Erklärung von Bern im September 2011 das Buch «Rohstoff: das gefährlichste Ge- schäft der Schweiz» lancierte, waren unsere Erwartungen zwar hoch, doch dass es für so viel Furore sorgen würde, haben selbst wir nicht zu hoffen gewagt. Dank glücklichem Timing und brisantem Inhalt hat das Buch eine Lawine von Berichten zum Rohstoffsektor ausgelöst und ist zu einem heiss diskutierten politischen Thema geworden. TEXT_OLIVER CLASSEN, URS RYBI, MARC GUéNIAT Der Skandal ist, dass es kein Skandal ist: Dieser Grundbefund aus dem Rohstoffbuch fusst nicht zuletzt auf der medialen Ignoranz, mit der dieser Boom-Sektor vom Schweizer Journalismus für ihre Geheimniskrämerei jahrzehntelang faktisch belohnt wurde. Mit dem definitiven Abtauchen des skandalumwitterten Marc Rich verschwand Mitte der 90er-Jahre auch seine «Erbengemein- schaft» Glencore vom medialen Radar. Und die am Genfersee ansässigen Ölhändler wurden bis vor Kurzem überhaupt noch nicht wahr- und ernstgenommen. Gut recherchierte Berichte wa- FORTSETZUNG>> DAS MAGAZIN DER ERKLÄRUNG VON BERN # 05 NOVEMBER_12 MEHR TRANS- PARENZ IM ROH- STOFFHANDEL: Auch die Schweiz soll Verantwor- tung übernehmen. Schlagzeilen statt Stillschweigen ROHSTOFFE Audrey Gallet erklärung!_05_2012

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EvB-Magazin «erklärung!» November 2012

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Als die Erklärung von Bern im September 2011 das Buch «Rohstoff: das gefährlichste Ge­schäft der Schweiz» lancierte, waren unsere Erwartungen zwar hoch, doch dass es für so viel Furore sorgen würde, haben selbst wir nicht zu hoffen gewagt.Dank glücklichem Timing und brisantem Inhalt hat das Buch eine Lawine von Berichten zum Rohstoffsektor ausgelöst und ist zu einem heiss diskutierten politischen Thema geworden.

TexT_Oliver Classen, Urs rybi, MarC GUéniaT

Der Skandal ist, dass es kein Skandal ist: Dieser Grundbefund aus dem Rohstoffbuch fusst nicht zuletzt auf der medialen Ignoranz, mit der dieser Boom-Sektor vom Schweizer Journalismus für ihre Geheimniskrämerei jahrzehntelang faktisch belohnt wurde. Mit dem definitiven Abtauchen des skandalumwitterten Marc Rich verschwand Mitte der 90er-Jahre auch seine «Erbengemein-schaft» Glencore vom medialen Radar. Und die am Genfersee ansässigen Ölhändler wurden bis vor Kurzem überhaupt noch nicht wahr- und ernstgenommen. Gut recherchierte Berichte wa-

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Auch die Schweiz soll Verantwor­tung übernehmen.

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ren ein rarer Rohstoff, was wir vor allem bei den aufwendigen Buchrecherchen spürten. Seit 2011 hat sich die Berichterstattung zum Rohstoffsek-tor allerdings radikal geändert: Im laufenden Jahr wurde in der Deutschschweizer Presse bereits über 1300-mal über Glencore berichtet, satte zehnmal häufiger als noch vor zehn Jahren. Und auch der, bis vor Kurzem noch völlig unbekann-te, weltgrösste Ölhandelskonzern Vitol stand bis Oktober 2012 dreimal mehr im öffentlichen Ram-penlicht als noch im gesamten Vorjahr.

Basis und Auslöserin für diese mediale – und in der Folge dann auch politische – Aufmerk-samkeitsexplosion für die lichtscheuen Roh-stoffakteure waren die fundierten Fakten, die unser Buch erstmals versammelte und auf die sich viele Medienschaffende bis heute explizit beziehen. Wichtige Vorarbeit leistete die ökume-nische Kampagne von Fastenopfer und Brot für Alle, die im März letzten Jahres schon zeigte, «wie Bergbauunternehmen den Kongo plün-dern». Auch Glencores Börsengang zwei Monate darauf sorgte für Schlagzeilen. Richtig lanciert wurde die Debatte um die Rohstoffhandelssuper-macht Schweiz dann durch den Buchvorabdruck im deutschen Wochenblatt «Die Zeit» und ein veritables Dossier in der «Sonntagszeitung», das die Haupterkenntnisse unserer Recherchen auf vier Seiten zusammenfasste.

Danach entwickelte sich das über 400-seitige Werk zum Selbstläufer, so dass aktive Medien-arbeit kaum mehr nötig war, reaktive dafür aber umso mehr. Diese bestand in der Erteilung von Auskünften und Statements, dem Versand un-zähliger Rezensionsexemplare sowie vielen neu-en Recherchen, die sich teils aus dem Buchstoff, teils durch Tagesaktualitäten oder externe Hin-weise ergaben. Art und Qualität der zunehmend auch internationalen Berichterstattung über den Rohstoffplatz Schweiz wandelte sich im Laufe der Monate. Basierten die Rohstoffgeschichten zu Beginn meist fast vollständig auf unserem Buchmaterial, hat die Berichterstattung dank dem EvB-Bestseller markant zugenommen. Un-ser «wirtschaftspolitischer Krimi» (Deutschland-funk) hat ein komplexes wie relevantes Thema nicht nur auf die Agenda gesetzt, sondern auch für die nun auf Hochtouren laufende politische Debatte den Informationsteppich gelegt. Mehr kann ein entwicklungspolitisches Buch nicht wollen.

Die eigentliche Kampagne mit neuen und ver-tieften Recherchen sowie politischem Druck steht jedoch erst am Anfang. Es bleibt noch viel zu tun, bis Rohstoffgewinne gerecht verteilt werden.

IMpRESSuM erklärung! 5/2012 AuFLAGE 22 500 Exemplare hERAuS GEBERIn Erklärung von Bern (EvB), Die-nerstrasse 12, Postfach, 8026 Zürich, Telefon 044 277 70 00, Fax 044 277 70 01, [email protected], www.evb.ch

RE DAk TIon Susanne Rudolf, Angela Birrer GESTALTunG Clerici Partner Design, Zürich DRuck ROPRESS Genossen-schaft, Zürich; gedruckt mit Bio farben auf Cyclus Print, 100% Altpapier, klimaneutraler Druck

«ERkLäRunG!» ERSchEInT 4­ BIS 5­MAL jähRLIch. MIT GLIEDER­BEITRAG: FR. 60.– pRo kALEnDERjAhR (InkLuSIVE ABonnEMEnT «ERkLäRunG!» unD EVB­ DokuMEnTATIon). poSTkonTo 80­8885­4

Ein sauberer Rohstoffhandelsplatz Schweiz ist möglich – und nötigWie war es möglich, dass ein Schweizer Wirt-schaftssektor seit der Jahrtausendwende explosi-onsartig wachsen und weltweit führend werden konnte, von der Politik aber weitgehend unbe-achtet blieb? Notabene eine Branche mit beson-ders ausgeprägtem Risikoprofil? Bei manchen Parlaments- und Regierungsmitgliedern dürfte

diese Frage in den letzten Monaten einiges Unbe-hagen ausgelöst haben. Auch wegen der Hilflo-sigkeit des Bundesrates im Parlament, die just am 19. September 2011, dem Erstverkaufstag un-seres Rohstoffbuches, offenkundig wurde: Im Zusammenhang mit Sanktionen gegen Libyen um Auskunft zu den Aktivitäten von Schweizer

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susanne rudolf

rohstoff- fundstücke

«Schweizerische handelshäuser im Geschäft mit der Dritten Welt: die kolonialherren aus der Schweiz» titelte die Erklärung von Bern in ihrer Dokumentation nr. 5/1986. Bereits drei jahre frü­her hatte die EvB den handel mit nahrungsmit­teln vertieft beleuchtet und konstatierte in der Dokumentation 1/1983: «Weizen: ein Drittel des Welthandels läuft via Schweiz». Die eklatanten ungerechtigkeiten im weltweiten Rohstoffhandel beschäftigte die EvB schon damals. So kritisierte sie nahrungsmittelspekulation und Warentermin­geschäfte mit Baumwolle sowie das profitable zusammenspiel mit dem Schweizer Finanzplatz.

Rund ein Vierteljahrhundert später reifte in eini­gen EvB­köpfen der Gedanke, den Rohstoffhan­del erneut gründlich zu untersuchen. Mit der Globalisierung massiv gestiegene handelsströ­me, neue Finanzierungsinstrumente und eine für Rohstofffirmen lukrative Steuergesetzgebung nährten den Verdacht, dass die Schweiz trotz des niedergangs traditioneller handelshäuser eine unregulierte Drehscheibe blieb.

Ausgelöst durch ein substanzielles Legat nahmen wir Ende 2009 die Recherchen für ein Buchprojekt mit ungewissem Ausgang in Angriff. Rasch war klar, dass sich die Rohstoffdrehscheibe Schweiz schneller entwickelt hat, als vermutet. Dank Fi­nanz­, handels­, Recherche­ und Medienexperti­sen im zürcher und Lausanner Team konnte das Buch «Rohstoff: das gefährlichste Geschäft der Schweiz» im September 2011 publiziert werden. Vom Erfolg waren wir selbst überrascht. «Die Ent­hüllungen rufen Erstaunen hervor und geben zu denken», urteilte die nicht leicht zu überzeugende «neue zürcher zeitung».

Im zentrum der zukünftigen Arbeit der EvB zum Rohstoffhandel bleibt die gerechte Verteilung der Rohstofferlöse. Denn es kann nicht angehen, dass ressourcenreiche Länder arm bleiben, während der Wirtschaftsstandort Schweiz auf ihre kosten profitiert.

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Ölhandelsfirmen gebeten, erklärte Bundesrat Jo-hann Schneider-Ammann damals lapidar: «Der Handel über die in der Schweiz niedergelassenen Händler ist dem Bundesrat unbekannt. Er geht davon aus, dass Handel betrieben wird.» Wahr-lich kein Ruhmesblatt für den Wirtschaftsmi-nister der weltweit führenden Ölhandelsnation. Und ein Jahr später muss sich das Staatssekre-tariat für Wirtschaft von der «Handelszeitung» ‹Naivität› vorwerfen lassen, weil Vitol unbemerkt und ungestört iranisches Öl kaufen konnte, was in den USA und der EU verboten wäre. Ist poli-tisch also alles beim Alten geblieben?

Definitiv nicht. Verbindliche Regeln sind zwar noch nicht greifbar; die Branche hat ihr Lobbying in Bundesbern in den letzten Wochen erst begonnen und prüft nun die Gründung eines nationalen Verbandes. Mittelfristig wird sie sich Mindeststandards und mehr Transparenz aber kaum verwehren können. Denn das politische Reputationsrisiko, auf welches selbst der Bun-desrat in den letzten Monaten mehrfach verwie-sen hat, ist inzwischen weitherum (an-)erkannt. Erfahrene Diplomaten und engagierte Verwal-tungsangestellte schilderten uns ihre Sorge, dass es der Schweiz mit den Rohstoffkonzernen ähn-lich wie mit den Banken ergehen könnte. Für po-litische Prophylaxe plädierte Mitte September auch der ehemalige Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty an einer Konferenz des Aussendeparte-mentes (EDA) und konstatierte, dass die Zivilge-sellschaft hier einmal mehr sensibler sei als Par-lament und Regierung.

Im vergangenen Jahr wurden von verschie-denen ParlamentarierInnen ein Dutzend Vorstös-se zum Rohstoffplatz Schweiz eingereicht. Gleich zum Auftakt des Buchs forderte SP-Nationalrätin Hildegard Fässler in einem Postulat einen Grund-lagenbericht vom Bundesrat. Dass sich die Regie-rung dazu bereit erklärte, war ein erster wichtiger Zwischenerfolg. Im März zog es der Nationalrat allerdings mit einer knappen Mehrheit von fünf Stimmen vor, weiter unwissend zu bleiben und lehnte das Postulat ab, was den Bundesrat frei-lich nicht daran hinderte, eine interdepartemen-tale Rohstoffplattform mit der Erstellung eines verwaltungsinternen Reports zu beauftragen. Der unter der Leitung von Volkswirtschafts-, Finanz- und Aussendepartement (zurzeit alle bürgerlich

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zahlen sagen Mehr als Worte...

2011/2012 wurde in der Deutschschweizer presse bereits über

2200­mal über Glencore berichtet, mehr als im gesamten jahrzehnt davor.

Das Buch «Rohstoff: das ge­fährlichste Geschäft der Schweiz» wurde insgesamt schon rund 10 000­mal

verkauft.

Sprunghafter Anstieg der Medien­ berichterstattung zur «Rohstoffbranche»

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___«ein intransparenter bericht über diese intrans-parente branche Wäre eine allzu bittere ironie des schicksals für dieses politikuM.»

geführt) erstellte Bericht wird nächstens an den Bundesrat gehen. Unverständlich bis unver-schämt ist, dass dieser seine Erkenntnisse nicht mit der Öffentlichkeit teilen will. Ein intrans-parenter Bericht über diese intransparente Bran-che wäre eine allzu bittere Ironie des Schicksals für dieses Politikum. Flankiert wurde diese Regierungsinitiative von zahlreichen parlamen-tarischen Vorstössen zu Rohstoffthemen wie Korruption, Geldwäscherei, Konfliktmineralien, Sanktionen und Straflosigkeit. Und parallel dazu macht die Kampagne «Recht ohne Grenzen», an der die EvB massgeblich beteiligt ist, Druck für verbindliche Minimalstandards bezüglich Um-welt- und Menschenrechte bei Auslandgeschäf-ten in sämtlichen Branchen.

Auch international kam 2012 viel Bewegung in die Rohstoffpolitik. Zu seinem 10-jährigen Be-stehen erhielt das einflussreiche Netzwerk Pu-blish What You Pay das schönste aller möglichen Geburtstagsgeschenke: Die USA verabschiede- ten gegen alle Branchenwiderstände Gesetzesbe-stimmungen («Dodd-Frank»), die Rohstoffunter-nehmen zur Offenlegung aller Zahlungen an Regierungen verpflichten. Die EU wird bald ähn-liche Regeln erlassen. Will sie sich nicht wieder wirtschaftspolitisch isolieren, muss die Schweiz ihren nicht unmassgeblichen Beitrag zum ent-stehenden globalen Transparenz-Standard bei-tragen. Eine dieser Tage eingereichte, breit abge-stützte Motion fordert genau dies. Umso mehr ir-ritiert es, dass sich das EDA Anfang Oktober in der «Handelszeitung» plötzlich gegen verbind-liche Regeln ausspricht und nur mehr auf das Freiwilligkeitsprinzip setzen will. Wird sich der Bundesrat tatsächlich eine solche Blösse geben und mit der Zahnbürste in der Hand zum Haus-putz erscheinen?

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___«greift eine schWeizer rohstofffirMa selbst in brüssel zu solchen Mitteln, Wie sieht dann die eigene geschäftspraxis in entWick-lungsländern aus?»

Korruption bei Glencore – der heisse Draht zum EU-Getreidemarkt

In der Schweiz erhielt die Korruptionsaffäre um Glencore nur in einzelnen Medien ein Echo. Doch sie wirft ein grelles Licht auf die zweit-grösste Schweizer Firma und zeigt auf, wozu diese bereit ist, um sich auf dem angeblich freien Markt durchzusetzen.

Am 27. Juni 2012 wurde die niederländische Tochtergesellschaft Glencore Grain Rotterdam BV mit einer Busse belegt sowie Mitarbeiter Aldo G. in erster Instanz für die Bestechung eines EU-Funktionärs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Karel B., ein Angestellter der EU-Generaldirek-tion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, war für die Festlegung der wöchentlichen offi-ziellen An- und Verkaufspreise für Getreide zu-ständig. Von 1999 bis 2003 lieferte er vertrau-liche Informationen an Glencore und erhielt da-für verschiedene materielle Gegenleistungen. Be-troffen waren mindestens 15 Getreide-Auktionen im Umfang von 6,17 Millionen Euro. In Dut-zenden von Fällen konnten die Verdachtsmo-mente nicht bewiesen werden. Doch bei Glen-core und Aldo G. sowie bei einigen weiteren Ein-zelpersonen und Firmen halfen vor Gericht alle Ausflüchte nichts mehr.Gemäss dem Gericht erhielt Karel B. von Glen-core unter anderem ein Mobiltelefon und die Kostenübernahme seiner «astronomischen» Te-lefonrechnungen: exakt 19 637.45 Euro für 3178 Anrufe zwischen Februar 2002 und Oktober 2003 – also durchschnittlich vier Anrufe pro Arbeits-tag. Mehr als zwei Drittel der Anrufe gingen an Glencore, die meisten an Aldo G. Die Revisions-firma von Glencore führte an, es gebe «keine Korrelation» zwischen den Telefonanrufen und den von Glencore erlangten Getreidegeschäften. Karel B. rechtfertigte seine häufigen Anrufe mit der Begründung, er habe verhindern wollen, dass Aldo G. «sich allzu alleine in den Niederlanden fühlt». Dies fanden die Richter zum Lachen,

denn die Untersuchung der belgischen Justizbe-hörden ergab unter anderem, dass die Kontakte besonders oft mittwochabends und donnerstag-morgens stattfanden – knapp vor der wöchent-lichen Sitzung der EU-Behörden zur Festlegung

der Getreidepreise. Die Anrufe erlaubten Glen-core, über die Angebote der Konkurrenz im Bild zu sein und einige Minuten vor Angebotsende eine passende Offerte einzureichen.

Anlass zu Verdacht gab den belgischen Jus-tizbehörden der ausschweifende Lebensstil Karel B’s. Sein Lohn aus der EU-Bürokratie wurde durch Annehmlichkeiten wie von Glencore gesponserte Familienferien an der Côte d’Azur aufgebessert.

Mit den Korruptionsrisiken von Rohstoffge-schäften in Entwicklungsländern konfrontiert, verweisen Firmen und Politik oft auf die welt-weit führenden Anti-Korruptionsgesetze in den OECD-Staaten und schieben die Schuld allein den «leider korrupten» Regierungen der Ent-wicklungsländer in die Schuhe. Greift eine Schweizer Rohstofffirma selbst in Brüssel zu solchen Mitteln, wie sieht dann die eigene Geschäfts praxis in Entwicklungsländern aus?

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DAS GEFähRLIchSTE GESchäFT

DER SchWEIz» (2012)

440 Seiten mit zahlreichen Illustrationen 15,5 cm 5 22 cm, Salis Verlag, chF 34.80, EvB­Mitglieder chF 29.–

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kambodscha ist mit einem gesetz­lichen Mindestlohn von 61 uS­Dollar eine der weltweiten Tiefpreisinseln. Dank einem Fabrik­Monitoringpro­gramm der Internationalen Arbeits­organisation (IAo) der uno gilt das Land als vergleichsweise risikoarm für Arbeitsrechtsverletzungen. Doch seit kurzem mehren sich negativ­schlagzeilen: Gleich reihenweise fal­len näherInnen in zulieferbetrieben von Adidas, puma, h & M und weite­ren Grosskunden in ohnmacht.

TexT_ ChrisTa lUGinbühl

Kambodscha: Schluss mit den Ausreden – Existenzlohn für alle

Allein im Jahr 2011 sind über 2400 Ohnmachtsfälle bekannt geworden. Firmen wie H & M versuchen, dieses «Phänomen» als Massenhysterie klein-zureden. Doch die Fakten sind klar: Die Menschen sind mangelernährt und kollabieren deshalb nach stun-denlanger Arbeit in den heissen Fa-brikhallen. Moa Chenda, 27-jährig, Näherin bei Evergreen Apparel, einem Levi’s-Lieferanten, ist eine von ihnen. Pro Tag kann sie rund einen Dollar für ihr Essen ausgeben. Damit bekommt sie Suppe und etwas Reis, insgesamt 1400 – 1500 Kalorien, obwohl für mit-

telschwere körperliche Arbeit 2000 – 2200 Kalorien nötig wären. Chenda ist wie die meisten kambodschanischen Näherinnen permanent und gravie-rend mangelernährt. «Letzten Monat litt ich an einer ernsthaften Unterzu-ckerung und musste 25 Dollar für die Behandlung bezahlen. Da die Versi-cherung der Fabrik nur berufsbedingte Risiken abdeckt, musste ich selber für alles zahlen. Heute bin ich wegen der Müdigkeit und dem unzureichenden Essen viel häufiger krank als früher.» Nach neun Jahren Arbeit in der Tex-tilbranche will sie weg aus der Fabrik

existenzlohn

Nach der Massenentlassung in einer Tochterfirma des Un-terwäschekonzerns Triumph im Jahr 2008 haben 13 Frauen mit der Produktion einer eigenen Unterwäschelinie, der Try Arm begonnen. Die EvB hat bereits 2009 in einer Soli-daritätsaktion Unterhosen verkauft und den Aufbau der selbstverwalteten Frauenkooperative unterstützt. Heute gilt Try Arm für viele Arbeits- und Menschenrechtlerinnen in Asien als motivierendes Vorbild. Noch hat die Kooperative nicht genug Umsatz, damit sich die Frauen einen Existenz-lohn auszahlen können. Mit dieser Aktion erhoffen sie sich daher eine grössere Bekanntheit und weitere Produktions-aufträge. Für die EvB-Unterwäsche vergüten wir Try Arm einen Aufpreis von 65 Rappen pro Unterhose für einen Existenzlohn sowie einen Beitrag an einen Investitions-fonds. Selbst in einer kleinen Kooperative mit vergleichs-weise geringer Produktivität und höheren Overheadkosten braucht es für einen Existenzlohn also nur wenige Rappen mehr – und der Endverkaufspreis wird dadurch trotzdem kaum höher!

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skandalfälle

Todesfalle Textilfabrik Fabrikbrände in pakistan Mitte September forderten hunderte von Leben. ursache der Tragödie ist die nichteinhaltung von Sicherheits­bestimmungen.

TexT_JUlia speTzler

Am Abend des 11. September 2012 bra-chen in einer Schuhfabrik in Lahore und in einer Textilfabrik in Karachi Feuer aus. Über 300 ArbeiterInnen ka-men ums Leben. Das Unglück der bei-den Fabrikbrände macht ersichtlich, dass die Bemühungen zur Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen noch immer nicht genügen und Fabriküber-prüfungssysteme von Auditfirmen ver-sagen. Die Brandursache in der Textil-fabrik ist noch unklar. Fest steht, dass die Fabrik über mangelnde Sicherheits-standards verfügte und die Einge-schlossenen dem Feuer nicht entrinnen konnten. Fenster waren vergittert und Notausgänge mit Ware blockiert oder verriegelt. Bisher ist nur bekannt, dass

die Firma KIK, siebtgrösster Textilein-zelhändler Deutschlands, in der abge-brannten Fabrik produzieren liess. Für die EvB steht fest, dass nebst lokalen Fabrikbesitzern und Regierungsstellen auch internationale Markenunterneh-men Mitverantwortung bei der Einhal-tung und Umsetzung von Sicherheits-bestimmungen in ihren Produktions-stätten tragen. Beunruhigend in diesem Fall ist, dass die Prüfungsstelle Social Accountability International (SAI) der Fabrik im August 2012 ein SA8000-Zertifikat u.a. auch für den Bereich Si-

cherheit ausstellte. Dies wirft die Frage auf, ob Prüfungsstellen ihre Unabhän-gigkeit wahren können, wenn sie von Unternehmen mitfinanziert sind. Die Fabrikbrände in Pakistan lassen diesbe-züglich Zweifel aufkommen.

und sich als Schneiderin selbstständig machen. Doch dazu fehlt das Geld; ihre Ersparnisse belaufen sich auf ge-rade mal neun Dollar.

Ein Existenzlohn in Kambodscha würde gemäss Asia-Floor-Wage-Alli-anz 274 US-Dollar betragen – Firmen stöhnen auf, wenn sie mit dieser Lohn-forderung konfrontiert werden. Wie zynisch, denn Konzerne wie H & M oder Inditext/Zara haben dank den Produkten, die von NäherInnen wie Chenda hergestellt werden, in den letzten Jahren kräftig zugelegt. H & M hat von 2008 bis 2011 den Umsatz um

fast 24 Prozent gesteigert, Inditex/Zara um gut 32 Prozent. Beide Unterneh-men erwirtschafteten 2011 einen Ge-winn von über 2 Mia. Franken und er-öffneten in den letzten vier Jahren weltweit 1263 Shops (Inditex/Zara) bzw. 734 Shops (H & M). Das Vermö-gen von Amanico Ortega, Gründer, Verwaltungsratsmitglied und Haupt-aktionär von Inditex/Zara, wird auf 37,5 Mia. US-Dollar geschätzt, dasjeni-ge von Stefan Persson, Verwaltungs-ratspräsident und Hauptaktionär von H & M auf 26 Mia. US-Dollar. Diese un-gleiche Profitverteilung ist himmel-

schreiend, die Tatsache, dass die Fir-men ihren Näherinnen und Nähern keinen Existenzlohn bezahlen, schlicht ein Skandal. Die Clean Clothes Cam-paign hat deshalb zusammen mit kam-bodschanischen Gewerkschaften eine europaweite Kampagne gestartet und fordert Gap, H & M, Inditex/Zara und Levi’s als Hauptkunden der kambod-schanischen Bekleidungsindustrie auf, mit gutem Beispiel voranzugehen und endlich einen Existenzlohn zu bezah-len.

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TAn gegen die unge­nügenden Sicher­heitsvorkehrungen in Fabriken Z

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Beteiligen Sie sich an unserer Protestaktion: www.evb.ch/livingwage

Fordern Sie gemeinsam mit der EvB die Belangung der verantwortlichen Re­gierungsbehörden und Fabrikbesitzer sowie eine gerechte Entschädigung für die überlebenden und hinter bliebenen.

www.evb.ch

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Dies war die Reaktion des promi­nenten chinesischen Dissidenten harry Wu, als er erfuhr, dass die Schweiz mit china ein Freihandels­abkommen verhandelt.

TexT_ThOMas braUnsChweiG

Seine Betroffenheit ist verständlich, kämpft Wu doch seit Jahrzenten gegen Menschenrechtsverstösse in China. «Die Schweiz muss Druck auf China ausüben, damit es im Rahmen des Frei-handelsabkommens die Menschen-rechte respektiert», forderte er anläss-lich seines Besuches in der Schweiz.

Auf Einladung der Erklärung von Bern und ihrer Partnerorganisationen der China-Plattform weilte Harry Wu Mitte September während einer Wo-che in der Schweiz. Das Programm umfasste Lobby- und Pressegespräche, Sitzungen und öffentliche Veranstal-tungen in Zürich, Bern und Genf. Im

unternehMenssteuern

handelspolitik

Sonderregeln für Unternehmen im Visier

«Ich bin wirklich geschockt»

Seit jahren fordert die EvB die Ab­schaffung der Steuerprivilegien für Domizil­, gemischte und holding­gesellschaften. unter dem Druck der Eu geht es nun voran.

TexT_andreas MissbaCh

In der Schweiz müssen Domizil-, ge-mischte- und Holdinggesellschaften nur einen geringen Teil ihrer auslän-dischen Gewinne versteuern, einige sind ganz steuerbefreit. Dies hat nicht nur dazu geführt, dass als Holding organisierte Unternehmenshaupt- oder Europasitze in den letzten Jahren in grosser Zahl in die Schweiz verlegt wurden. Ebenso sind die Sonderregeln eine Einladung zur aggressiven Steuer-

vermeidung: Gewinne, die eigentlich in anderen Ländern erwirtschaftet wur-den und deshalb dort versteuert wer-den müssten, werden in die Schweiz transferiert. Sonderbesteuerte Unter-nehmen machten 2009 (neuere Zahlen gibt es nicht) 62 Mia. Franken Reinge-winn. Auf Bundesebene bezahlten sie lediglich 3,8 Mia. Franken Steuern.

Doppelte Nichtbesteuerung ist in Zeiten leerer Staatskassen inakzepta-bel. Deshalb erstaunt es nicht, dass die EU die Schweiz unter Druck gesetzt hat, diese unfairen Steuerprivilegien abzuschaffen. Zu diesem Ziel haben Bund und Kantone kürzlich eine ent-sprechende Projektorganisation einge-setzt. In welche Richtung dies führt,

ist im Prinzip klar: Die Sonderregeln werden abgeschafft, dafür werden die regulären Steuern gesenkt. Das Pro-blem dabei ist, dass die Kantone höchst unterschiedlich betroffen sind. In Zug ist die Differenz zwischen den normalen Unternehmenssteuern und der effektiven Steuerbelastung der Pri-vilegierten gering. Eine Anpassung wäre also wenig spürbar. Ganz anders in Genf; hier sollen die normalen Un-ternehmenssteuern auf 13 Prozent ge-senkt werden, wodurch 457 Millionen Franken jährlich an Steuereinnahmen fehlen. Die Genfer Rohstoffhändler (bisher als gemischte Gesellschaften privilegiert) zeigten sich über diesen Vorschlag höchst erfreut.

Mittelpunkt der Diskussionen mit Ver-treterInnen von Uno-Organisationen, der Schweizer Verwaltung und dem Parlament stand die weit verbreitete Zwangsarbeit in China. Wus Schät-zungen zufolge arbeiten heute etwa drei bis fünf Millionen Menschen in den sogenannten «Laogai».

Der heute in Washington lebende Harry Wu, der selbst 19 Jahre in Ar-beitslagern schuften musste, fordert von der Schweiz, dass sie sich im Rah-men des Freihandelsabkommens nicht

nur um die aus dem Ausland bezoge-nen Waren kümmern dürfe, «sondern auch um die Menschen, die diese Wa-ren herstellen».

Mit seinen eindrücklichen Schilde-rungen der Zustände in den Zwangsar-beitslagern und seinem umfassenden Wissen zur Menschenrechtssituation in China – Wu leitet die renommierte Laogai Research Foundation, die die Zwangsarbeit in China dokumentiert und denunziert – zog er das zahlreich erschienene Publikum an den Veran-staltungen in Genf und Zürich in seinen Bann. Und er richtete einen deutlichen Appell an unser Land: Die Schweiz müsse Druck aufsetzen und ihre Bedenken zu den Arbeitsbedin-gungen, den ethnischen Minderheiten und der Religionsfreiheit in China ausdrücken. Entsprechend müsse sie die Menschenrechte in einem künfti-gen Freihandelsabkommen unbedingt berücksichtigen.«LAoGAI»: zwangsarbeitslager in china

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finanzen

Unterstützung für chinesische Organisationen EvB­ostexpansion: Mitte September nahm der EvB­Finanzexperte An­dreas Missbach an einem vom Bank­Track­netzwerk organisierten Training für chinesische nichtregie­rungsorganisationen teil.

TexT_andreas MissbaCh

Seit der Finanzkrise nimmt die globa-le Bedeutung der europäischen und der US-Banken ab, stattdessen werden Banken aus den BRIC-Ländern (Brasi-lien, Russland, Indien und China) im-mer wichtiger. BankTrack, das von der Erklärung von Bern mitgegründete bankenkritische Netzwerk, kontert diesen Trend mit einem BRICK-Pro-gramm (englisch für Ziegelstein). Die-ses hilft den neuen Bankenmächten, die Kapazitäten von lokalen Nicht-regierungsorganisationen (NGO) zur Überwachung von Banken auf- und

auszubauen. Das Training in der Mil-lionen-Stadt Tianjin südöstlich von Peking lehnte sich an das gleichzeitig dort stattfindende «Sommer-WEF» an. Das hatte den Vorteil, dass die Vertre-ter der grösseren chinesischen NGO an beiden Veranstaltungen teilnehmen sowie Banken- und Regierungsvertre-ter leicht für eine öffentliche Veran-staltung gewonnen werden konnten.

Grundsätzlich sind in China die Rahmenbedingungen für ein ökolo-gisch verantwortliches Bankgeschäft besser als in anderen Staaten wie bei-spielsweise der Schweiz. Als einziges Land hat China eine Gesetzgebung, die den Banken vorschreibt, ihre Kredit-vergabe auf Umweltkriterien zu über-prüfen. Jedoch werden progressive Ge-setze in den Provinzen und Regionen oft nicht umgesetzt. Dies erklärt die in den letzten Jahren rasch gewachsene

blühende Szene von chinesischen Um-welt-NGO. Der Pekinger Führung ist es ebenfalls mehr als recht, wenn Unter-nehmen, welche die Umweltgesetze missachten, von NGO unter Druck ge-setzt werden.

Wie kann über Banken Druck auf Umweltsünder gemacht werden? Wel-che Erfahrungen haben NGO mit west-lichen Banken gemacht? Und hat die Finanzkrise die globale Finanzland-schaft verändert? Die Bandbreite der am BankTrack-Training diskutierten Fragen war breit; die Herausforde-rungen, vor denen unsere chinesischen Partnerorganisationen stehen, sind rie-sig. In den Worten von Hao Xin, Direk-tor von Green Zheijang: «Wir sind klei-ne Leute, die die ‹big players› verän-dern wollen.»

EVB­FInAnzExpERTE Andreas Missbach in chinaTIAnjIn: Standort des Sommer­WEFS und eines nGo­Treffens.

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schokolade

Bringt die Welt-Kakaokonferenz neue Lösungen?Die Erklärung von Bern setzt sich an der Welt­kakaokonferenz in Abid­jan (Elfenbeinküste) für benach­teiligte kakaobauern ein und fordert von unternehmen verbindliche Massnahmen.

TexT_sasCha bindler

Seit der ersten Schoggi-Kampagne der Erklärung von Bern 2009 hat sich einiges bewegt im internationalen Ka-kaosektor. Doch noch immer sind die Kräfte zwischen Konzernen und Bau-ern sehr ungleich verteilt. Weltweit stehen 5,5 Millionen Kakaobauern-familien gerade mal zehn transnatio-

nalen Unternehmen gegenüber, die über die Hälfte des Marktes kontrollie-ren. Moralisch besonders stossend ist, dass Kakao- und Schokoladenunter-nehmen trotz Rezession jedes Jahr Ge-winne in Milliardenhöhe ausweisen, während die Misere bei den Rohstoff-produzierenden gleich bleibt. Weil die finanzielle Situation der Pflanze-rinnen und Pflanzer nach wie vor desaströs ist, bleibt missbräuchliche Kinderarbeit ein Problem.

kautschuk und palmöl statt kakaoDie Angst geht um, dass schon im Jah-re 2020 eine Million Tonnen Kakao

fehlen wird. Dies entspricht einem Viertel der heute geernteten Menge. Die Ursachen dafür sind: alte Baumbe-stände und fehlendes Interesse am Kakaoanbau bei den Nachkommen der Bauernfamilien aufgrund der mise-rablen Arbeits- und Lebensbedingun-gen. Diese weichen vermehrt auf Kau-tschuk und Palmöl aus.

neue Firmenbefragung im GangVom 20. bis 23. November findet die Welt-Kakaokonferenz in Abidjan statt. Das Ziel ist die Erarbeitung einer glo-balen Agenda für eine nachhaltige Welt-Kakaowirtschaft. Die EvB ist vor

baobab

Ein Schöpfungsmythos der Tzotzil- MayaEin neues Bilderbuch in der Reihe Baobab hat einen langen Weg hinter sich. «Als die Sonne ein kind war» erzählt einen Mythos der Tzotzil­ Maya aus Mexiko.

TexT_sOnJa MaThesOn, baObab bOOks

Maruch Mendes Peres ist eine ein-drückliche Frau, hat stets ein Lachen im Gesicht und immer etwas zu tun. Vor rund fünfzig Jahren wurde sie ge-boren, in welchem Jahr weiss sie nicht

genau. In ihrem Dorf nahe von San Cristóbal de las Casas in Chiapas ist sie eine respektable Person. Neben ih-rer Arbeit als Hebamme und Heilerin hat sie zahlreiche soziale Projekte lan-ciert und als unverheiratete Frau acht Adoptivkinder grossgezogen. Dass sie Garn spinnt und Stoffe webt, ist für sie ebenso selbstverständlich, wie sie epi-sche Geschichten aus der mündlichen Überlieferung ihrer Kultur erzählt.

Mendes Peres gehört zum Volk der

Geschichtener­zählerin MARuch

MEnDES pERES

Tzotzil-Maya. Ihre Heimat, der Bun-desstaat Chiapas, liegt im Süden Me-xikos. In den 1990er-Jahren gingen die Nachrichten vom Aufstand der zapa-tistischen Befreiungsbewegung um die Welt. Die mexikanische Regierung griff hart durch, doch die Situation der in-digenen Bevölkerung ist immer noch desolat. In den Gemeinden fehlt die Infrastruktur: Das Wasser ist knapp, Strom gibt es nur in wenigen Häusern.

Geschichtenerzählerinnen wie Ma-ruch Men des Peres tragen – den wid-rigen politischen Umständen zum Trotz – zum reichhaltigen kulturellen Schatz der Maya bei. Im Gegensatz zu vielen anderen indigenen Völkern konnten die Tzotzil ihre Sprache und Traditionen bewahren.

Nach einem mehrjährigen Entste-hungsprozess liegt nun die seit Jahr-hunderten überlieferte Maya-Legende von der Schaffung der Gestirne als ein zv

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andrea hüsserkoluMne

Ein Lehrmittel zum Thema Fleisch, herausgegeben vom Schweizer Fleischverband. Lernlektionen zu kernenergie und kernkraftwerken, erstellt von Swissnuclear. Sexualkunde, ein Lerndossier von Bayer. Die Liste löst ein nervöses Räuspern aus. Das klingt dreist. Ist das ernst gemeint? oh ja.

unlängst berichtete die «Sonntagszeitung» über das phänomen, dass Schulen immer öfter auf Lehr­mittel zurückgreifen, die von Firmen gesponsert sind. Im Internet können die Schulmaterialien gratis bezogen werden. Laut Artikel zeigt sich die Inter­kantonale Lehrmittelzentrale besorgt über diese Entwicklung. Eine dieser Internetplattformen heisst kiknet, eine weitere plattform bietet der Verein jugend und Wirtschaft. Dieser fördert laut eigenen Angaben den Austausch zwischen Bildung und Wirtschaft und will vermehrt Begegnungen zwi­schen Schulen und unternehmen ermöglichen. So können Lehrerinnen und Lehrer der Gymnasialstufe beispielsweise auf ein online­Dossier zugreifen, das von nestlé zum Thema unternehmensverantwor­tung erarbeitet wurde – inklusive Fallbeispiel «nes­café­plan». Im Vereinsvorstand sitzen unter ande­rem Vertreter der Economiesuisse und der Bankier­vereinigung. Der Verein sieht die Lehrpersonen klar als Multiplikatoren.

Ein Grund, warum Lehrerinnen und Lehrer diese plattformen nutzen, ist einfach gefunden: Man kommt praktisch und schnell zu fixfertig aufberei­tetem Material. Dass Firmen Schulen als ort der zielgruppenspezifischen Gratiswerbung nutzen für produkte und Geschäftspolitik ist allerdings höchst alarmierend. Bleibt zu hoffen, dass dieser prozess nicht der Anfang einer schleichenden Einmischung der Wirtschaft in die Bildungslandschaft abzeichnet. In diesem umfeld sind die Lehrerinnen und Lehrer einmal mehr gefordert, wachsam zu sein und solche Angebote mit kritischem Geist zu überprüfen.

«Wo schule und Wirtschaft sich

treffen»

Ort und setzt sich dafür ein, dass Ar-beits- und Menschenrechte darin ge-nügend Beachtung finden und Unter-nehmen verbindlich in die Pflicht ge-nommen werden.

Auch die Schweizer Schokoladefir-men sind betroffen. Eine neue Firmen-befragung, deren Resultate Ende Fe-bruar publiziert werden, soll zeigen, wie sich die Schweizer Firmen für die Einhaltung von Arbeits- und Men-schenrechten in ihren Lieferketten einsetzen und ob sie Fortschritte ver-zeichnen können seit der letzten Be-fragung im Jahr 2010.

Gemeinschaftswerk dreier Künstlerin-nen in deutscher Sprache vor: «Als die Sonne ein Kind war». Ein poetischer Mythos mit leuchtenden Bildern.

www.baobabbooks.ch

DOSSIER

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Vor 20 jahren begann die Max­havelaar­ Stiftung (Schweiz) ihr Engagement für gerech­tere handelsbeziehungen mit den Bauern aus Entwicklungsländern. Ins dritte jahrzehnt seines Bestehens schreitet die Fairtrade­organisation mit einer neuen Geschäftsleite­rin: nadja Lang will Fairtrade­produkte noch stärker in der Breite etablieren.

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Als am 14. Februar 1992 das Fairtrade-Max-Ha-velaar-Label aus der Taufe gehoben wurde, ab-solvierte Nadja Lang gerade ihr letztes Lehrjahr bei der Migrosbank. Zürcher Kantonalbank und Betriebswirtschaftsstudium an der Zürcher Hoch-schule in Winterthur vervollständigen die eher untypische Ausbildung für eine Geschäftsfüh-rerin einer Nichtregierungsorganisation (NGO). Klassischer dagegen ist die Sensibilisierung für entwicklungspolitische Probleme auf Reisen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Bei General Mills und Coca-Cola mauserte sich Lang zur Ex-pertin im Lebensmittelmarketing, bevor sie 2005 den Seitenwechsel vollzog. «Ich hatte Max Have-laar als Arbeitgeber gesucht», gesteht sie. Zu prä-

gend waren die Reiseerfahrungen; zu verlockend die Möglichkeit, mit Max Havelaar das in der Privatwirtschaft Gelernte auch für das Wohl der Kleinbauern anzuwenden.

Im Vergleich mit Coca-Cola ist das Marketing-budget der Fairtrade-Organisation beschränkt. Lang zeigte sich erfinderisch, vergrösserte das Sortiment und versuchte Fairtrade-Produkte auch der Gastronomie schmackhaft zu machen. Restaurants und Cafés bieten Konsumierenden «einen geschützten Ort, um Fairtrade-Produkte auszuprobieren und sich von deren Qualität zu überzeugen», sieht Marketingprofi Lang die Vor-teile des neuen Absatzkanals. Der Weg in die Massenmärkte ist Teil der Strategie, die die Max-Havelaar-Stiftung seit Beginn verfolgt. «Bereits bei der Gründung war das Ziel, aus der Nische hinauszutreten und mit den Grossverteilern Fair-trade-Produkte einer grösseren Bevölkerungs-gruppe zugänglich zu machen. Was wir heute tun, ist nur die logische Fortsetzung dieses Grundgedankens.»

Wachstum und Effizienz sind für die 39-Jäh-rige keine ideologisch vorbelasteten Begriffe – sofern sie Gutes bewirken können. Eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung der Universität des Saarlandes zum Thema Fairtrade bestätigt Langs Haltung. Demnach profitiere in Gebieten mit Fairtrade-ProduzentInnen die ganze Region vom fairen Handel. Und: Je mehr Fairtrade-Produkte abgesetzt werden, desto grösser seien die in der Studie gemessenen Vorteile. Um noch mehr Pro-duzentInnen am fairen Handel teilhaben zu las-sen, kommt für Lang deshalb auch eine Zusam-menarbeit mit grossen Unternehmen, deren Kul-tur und Denkweise sie dank ihrer Ausbildung kennt, in Frage. «Es muss aber sichergestellt sein, dass es um namhafte Mengen und langfristiges Engagement geht», fügt Lang an und betont: «Die Standards sind für alle Akteure gleich, egal wie gross diese sind.»

nadja lang

Botschafterin für den fairen Handel

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MAx­hAVELAAR­

GESchäFTSFühRERIn

nADjA LAnG will den umsatz von Fairtrade­produkten erhöhen.

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