Einführung in die Ethnomethodologie

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TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Pat zelt Einführung in die Ethnomethodologie Am Beispiel: Die sozialen Konstruktion von ‚Stimmung, Atmosphäre, Milieu‘

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Einführung in die Ethnomethodologie. Am Beispiel: Die sozialen Konstruktion von ‚ Stimmung, Atmosphäre, Milieu‘. Oft gilt: Räume / Situationen … haben eine gewisse ‚ Atmosphäre ‘ versetzen in eine gewisse ‚ Stimmung ‘ - PowerPoint PPT Presentation

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Einführung in die Ethnomethodologie

Am Beispiel:

Die sozialen Konstruktion von ‚Stimmung, Atmosphäre, Milieu‘

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Der Gegenstand I

Oft gilt: Räume / Situationen …

haben eine gewisse ‚Atmosphäre‘

versetzen in eine gewisse ‚Stimmung‘

halten einen selbst oder andere zu bestimmten ‚Anschlußpraxen‘ an oder raten von anderen Praxen ab, weswegen sich in ihnen ein gewisses ‚Milieu‘ verbreitet

Beispiele:

die Kathedrale von Chartres oder die Dresdner Semper-Oper

das Konzentrationslager Dachau oder das Münchner Olympiagelände

die Krebsabteilung eines Krankenhauses oder ein Festzelt auf dem Oktoberfest

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Der Gegenstand II

an gleichwelchen Orten und in gleichwelchen Situationen gilt:

selten teilen alle die gleiche ‚Stimmung‘

oft konstituieren ‚komplementäre Stimmungen‘ ein ‚kohärentes Milieu‘

oft koexistieren verschiedene Stimmungen in ‚pluralen Milieus‘

Beispiele:

Opernbesucher: Pauschaltouristen vs. Kenner

Justizvollzugsanstalt: Aufsichtspersonal vs. Insassen

Paris, Kathedrale Notre Dame, während des Sonntagsgottesdiensts: Teilnehmer vs. Touristen

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Die Fragestellung(en)

Was geschieht eigentlich, und wie geschieht das seitens von wem, wenn in Räumen und Situationen, oder um Räume und Situationen herum, sich (unterschiedliche) Stimmungen, Atmosphären, Milieus entwickeln?

Wie kann man solche Prozesse der Erzeugung von Atmosphäre, Stimmung, Milieu herbeiführen und verstetigen, oder gefährden und abbrechen?

Eine mögliche analytische Perspektive für

Antworten auf diese Fragen: die

Ethnomethodologie

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Was ist ‚Ethnomethodologie‘?

Nicht das, was der Name nahezulegen scheint: eine besondere ‚Methodologie‘, deren Spezifikum vom Präfix ‚Ethno-‘ bezeichnet würde!

Sondern: eine der Psycho-‘logie‘ oder Geo-‘logie‘ analoge ... ‚-logie‘ jener Methoden, die von kompetenten Mitgliedern einer ‚Ethnie‘ verwendet

werden, um die von ihnen wechselseitig in Rechnung gestellte und

ihren gemeinsamen Handlungen zugrunde gelegte Wirklichkeit ...

aufzuzeigen, zu deuten in Geltung zu halten.

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Der analytische Ansatz der Ethnomethodologie

gefragt wird nach den Prozessen der Konstruktion, Reproduktion, Transformation und Destruktion von lokal-situativ hervorgebrachter Wirklichkeit

Hypothesen und Antworten werden formuliert in einer spezifischen Beschreibungssprache, zu deren Quellen u.a. die Phänomenologie, die Sprachphilosophie, die Ethnologie und die Mikrosoziologie gehören

empirischer Wahrheitsgehalt der vorgetragenen Antworten wird erarbeitet und überprüft anhand v.a. der folgenden Methoden: (teilnehmende) Beobachtung, Feld- und Laborexperimente, Analyse von Konversationssequenzen, Sekundäranalyse ethnographischen Schrifttums

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‚Warnhinweise‘ Ursprünglich – und folgenreich bis heute – verstand sich die von

Harold Garfinkel, Aaron V. Cicourel und Harvey Sacks in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren entwickelte Ethnomethodologie nicht als Teil, sondern als Alternative der Soziologie! was ich selbst zu keiner Zeit so sah oder akzeptierte!

Heute hat sich die Ethnomethodologie vor allem zweifach entfaltet: als Konversationsanalyse und als Analyse professioneller Praktiken, wobei als ihr Markenzeichen ‚Gegenstandsspezifik‘ und ‚Verzicht auf generalisierende Theoriebildung‘ gelten. während ich selbst von jeher glaube, ‚spezielle Ethnomethodologien‘

sollten ihre Forschungen ganz in die Perspektive einer generalisierend um die Prozesse der Wirklichkeitskonstruktion gelagerten ‚allgemeinen Ethnomethodologie‘ stellen.

seit jeher liegt meine eigene ‚konventionalistische‘ Position quer zum Verständnis der wohl meisten Ethnomethodologen weswegen mein Buch zur Ethnomethodologie zwar bis heute im

deutschen Schrifttum das dickste ist und in der Lehre sehr häufig benutzt wird, ich selbst aber für die Ethnomethodologenzunft ganz randständig und untypisch bin.

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Stimmung, Atmosphäre, Milieu – ethnomethodologisch ausgedrückt

Es handelt sich um Aspekte von sozialer (und sozial konstruierter!) Wirklichkeit.

Es handelt sich um einen ‚bewirkten Bestand‘ an Wirklichkeitselementen, deren selbstverständliche (Weiter)-Verfügbarkeit eines kontinuierlichen ‚reality work‘ bedarf, das ‚Reflexivitätsprozesse‘ auf (einstweilige) Dauer stellt.

Die Methoden dieses ‚reality work‘ sind zu gliedern nach Interpretationsverfahren, Darstellungstechniken und szenischen Praktiken. Zweckgerichtet und kombiniert eingesetzt, lassen sie sich in

die Methodengruppen der ‚politics of reality‘ gliedern. Wer diese Methoden routinemäßig anwendet, ist

‚kompetentes Mitglied‘ einer – eine bestimmte, gemeinsame Wirklichkeit in Geltung haltenden – ‚Ethnie‘. Wer das nicht tut, ist ein Außenseiter oder Störer.

Geht um summarische Einführung ethnomethodologischer Konzepte

ethnomethodologische Frage: Wie wird eine spezifische Stimmung / Atmosphäre / Milieuvariante anstelle einer alternativen konstruiert, reproduziert und gesichert?

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‚Wirklichkeit‘

gemeint ist nicht nur die ‚Wirklichkeit im Kopf‘ (= Perzeptionswirklichkeit), sondern auch jene ‚Wirklichkeit da draußen‘, welche durch die eigenen (Anschluß-) Handlungen erzeugt, in ihrer Existenz beglaubigt oder diskreditiert wird.

Wirklichkeitskonstruktion ist lokal und situativ.

Gelingt in Tausenden von Alltagsszenen über längere Zeit verläßlich die Reproduktion eines immer wieder gleichen ‚bewirkten Bestands‘ an Wirklichkeitselementen, so entsteht die in der ‚natürlichen Einstellung‘ (Schütz) festgefügt erscheinende und verläßlich erwartbare Alltagswirklichkeit

Perzeptionswirklichkeit: ‚Gott ist in dieser Hostie anwesend‘

Anschlußpraxen (= Thomas-Theorem): Wir verhalten uns so, als ob …

folgenreiches Erleben dieser Wirklichkeit als ‚Novize‘, ‚kompetentes Mitglied‘, ‚faszinierter Außenseiter‘ …

Für alle praktischen Zwecke ist Gott nicht ‚ganz allgemein‘ da, sondern ‚hier und jetzt‘ da - oder eben nicht da.

Begleiten einen von Kindheit an gemeinsam mit anderen Menschen vollzogene Praktiken durchs Leben, in denen Gottes Präsenz ‚hier und jetzt‘ als glaubhaft behandelt wird, dann ‚ist‘ Gott für alle praktischen Zwecke da – und wird Nicht-Erkennen von Gottes Präsenz als ein ‚Wahrnehmungsdefekt‘ wahrgenommen und behandelt, der den von ihm Betroffenen vom ‚kompetenten Mitglied‘ zum ‚Außenseiter‘ macht.

Beispielskette:Konzepte /

Theoreme

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‚Bewirkter Bestand‘ I

Allenfalls materielle Wirklichkeit (Poppers Welt 1) ist ‚einfach da‘.

Hingegen gibt es gemeinsame Selbstverständlichkeiten und auf ihnen aufruhende Rollen oder gar Institutionen nur insofern und so lange, wie sie ‚hier und jetzt‘ in Geltung gehalten und als geltend weitergegeben werden

D.h.: als ‚bewirkter‘ und immer wieder neu zu bewirkender ‚Bestand‘ an Wirklichkeitselementen (Poppers Welt 2 und 3)

die Erde und ihre Kontinente unsere Spezies (und andere) Bodenschätze, Elektrizität …

Existenz Gottes, insbesondere in Brot und Wein; generell: Glaube – an ganz gleich was

Glaubensgemeinschaften (auch: politische Parteien)

Institutionen: ihre Leitidee(n) und deren Anschlußpraxen

‚Selbstverständlichkeiten‘ wie: Achtung von Menschenwürde, Gewaltfreiheit in Konflikten, Rechtsstaatlichkeit …

Beispielsserie:Konzepte /

Theoreme

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‚Bewirkter Bestand‘ II

Menschen können ganz unterschiedliche Bestände an Wirklichkeitselementen bewirken und in Geltung halten.

Also können ganz unterschiedliche Wirklichkeiten (ko)existieren.

Darum ist es sinnvoll, bei der Analyse von Wirklichkeitskonstruktion zu unterscheiden … deren (ethniepezifische) Inhalte die formalpragmatische Struktur

der Wirklichkeitskonstruktion

Glaube und seine soziale Organisation: Katholiken -Protestanten; Christen –Moslems – Hindus

Religion: Gläubige vs. Agnostiker

Aufführung des ‚Lohengrin‘: Wagnerianer vs. Tourist

spezielle Ethnomethodologie

allgemeine Ethnomethodologie

Konzepte /

Theoreme

Beispielsserie:

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Wie wird ein spezifischer „Bestand an Wirklichkeitselementen“ ‚bewirkt‘?

Ausgangsmaterial: Zeichen (oder ‚Zeichenmittel‘; Peirce), die es hier und jetzt zu deuten gilt (‚Indexikalität‘)

‚Gestaltung‘ dieses Materials durch Kompetenzen der Zeichendeutung, nämlich durch Beherrschung … ethniespezifischer Wissensbestände

(‚bona fide-Mitgliedschaft) Fähigkeit zur situationsangemessenen,

‚inhaltlich aufgeladenen‘ Benutzung (formalpragmatischer) Interpretationsverfahren

Resultat: ‚Reflexivitätsprozesse‘ = Beglaubigung ‚korrekter‘ Deutung (bzw. ‚Korrektur‘ erster Deutungs-versuche) indexikaler Zeichen seitens von Ego durch Anschlußpraxen seitens von Alter

Hochheben von Hostie oder Kelch durch einen Priester nach Ankündigung durch Glockenschlag

‚Aha - es werden transsubstanziierte Substanzen als real-mystischer Leib Jesu zur Verehrung vorgezeigt!‘

formalpragmatisch gleiche Interpretationsschemata, wenn etwa Lenin- oder Mao-Bilder bei einer Demonstration mitgeführt werden

Messe: ernsthafter Blick, Kniebeuge … Demonstration: verbale und gestische

Respektsbekundungen von den Personen, Gedanken und Taten Lenins oder Maos

Konzepte /

Theoreme

Beispielsserie:

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Reflexivitätsprozesse

Wirklichkeit (also u.a.: lokal-situativ bestehende Stimmungen, Atmosphären, Milieus) wird erzeugt durch gelingendes ‚reality work‘ (d.h. durch routinemäßig ablaufende Reflexivitätsprozesse)

Reflexivitätsprozesse werden gestört oder unterbrochen, wenn Hintergrunderwartungen von bona fide-Mitgliedern (nachhaltig) diskreditiert werden

Bestandteile von Reflexivitätsprozessen: Interpretationsverfahren Darstellungstechniken szenische Praktiken

in einer Liturgie erleben die einen Gottes Gegenwart, die anderen nicht

die einen erleben einen Besuch im KZ-Dachau als seelisches Purgatorium, die anderen als einen ‚blöden Klassenausflug‘

eine Liturgie oder eine Opernaufführung wird von Störern ‚gesprengt‘

die Stimmung auf einer Party wird ‚verdorben‘ von ‚Kotzbrocken‘

Wie ‚muß‘ ich was verstehen? Wie zeige ich, was ‚gemeint ist‘? Was ist ‚kompetentes Verhalten‘

in meiner Rolle oder Position?

NICHT gemeint im Sinne von ‚Prozesse des Nachdenkens‘, SONDERN: im Sinne von ‚Deutungsversuche bestätigenden Anschlußpraxen‘ !

Konzepte /

Theoreme

Beispielsserie:

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Interpretationsverfahren

Schütz‘sche Idealisierungen

Herstellung von ‚Indexikalitätstoleranz‘

Verwendung der Normalitätshypothese

Deutung von Normalitätsabweichung als Information

Unterstellung der … Vertauschbarkeit der Standpunkte Kongruenz der Relevanzstrukturen

Ansonsten: Etikettierung von Außenseitern

Let it pass, filling in, unless-Annahme, retrospektiv-prospektive Interpretation

Indikatoren für ‚Normalität‘: Typikalität, Wahrscheinlichkeit, Vergleichbarkeit, kausale Eingebundenheit, instrumentelle Effizienz, Notwendigkeit gemäß einer natürlichen oder moralischen Ordnung, substanzielle Kongruenz

= ‚Normalformenerwartung plus praktizierte Indexikalitätstoleranz‘

Darstellungstechniken (‚Accounts‘): dienen Ego bei der gezielten Auslösung einzelner Interpretationsverfahren seitens von Alter

szenische Praktiken: verkörpern Normalformen des unter bona fide-Mitgliedern wechselseitig erwarteten Verhaltens

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‚politics of reality‘

dienen der Geltungssicherung der einen Wirklichkeits(konstruktion) in Auseinandersetzung mit den Geltungsansprüchen konkurrierender Wirklichkeiten und ihrer Konstrukteure

umfassen die basalen Ethnomethoden der Interpretationsverfahren, Darstellungstechniken und szenischen Praktiken

gliedern sich in die … Vorfeldmethoden (Sozialisation,

Absicherung von ablaufendenReflexivitätsprozessen)

Entproblematisierungmethoden Ausgrenzungsmethoden

Das alles dient dazu, u.a.

spezifische Stimmungen,

Atmosphären, Milieus gegen

ihre Alternativen und Konkurrenten in Geltung und

Wirkung zu halten!

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Methoden der Absicherung ablaufender Reflexivitätsprozesse

Routinemäßige Nicht-Herstellung von Transparenz bezüglich der Zusammenhänge zwischen einzelnen Wirklichkeitsmerkmalen

Routinemäßiger Verzicht auf abweichende Deutungen

Routinemäßige Einführung von ‚normalisierenden intervenierenden Variablen‘

Routinemäßige Verwendung normalisierender Kontexte als Zeichen kompetenter Mitgliedschaft

Routinemäßige Interpretation von Wahrnehmungen ausschließlich anhand der Hypothese, die eigene Wirklichkeitsbeschreibung sei korrekt

Routinemäßige Beseitigung von Falsifikationschancen

Routinemäßige Interpretation von Wirklichkeitsmerkmalen aller Art nur im Einklang mit den eigenen Interessen

Routinemäßiger Verzicht auf neuartige Sprechweisen

= Absicherung von spezifischen

Stimmungen, Atmosphären, Milieus …

= eines verläßlich erwartbaren Nexus zwischen Zeichen(mittel) und Anschlußpraxis

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Entproblematisierungsmethoden

Dienen dem ‚Nachweis‘, daß im Grunde eben nur Mißverständnisse hinsichtlich der ‚doch gemeinsamen Wirklichkeit‘ vorlägen, es also eigentlich kein ‚echtes Problem‘ konkurrierender Durchsetzungsansprüche verschiedener Wirklichkeiten zu lösen gilt

Verlangen ihren Anwendern geistig ziemlich viel ab. Darum: meist rasch substituiert durch die Ausgrenzungsmethoden wenn verwendet: Zeichen ziemlicher Kultiviertheit und eines

trotz aller konkurrierenden Wahrheitsansprüche ziemlich verläßlich weiterhin zu bewirkenden Bestands gemeinsamer Wirklichkeitselemente

Details (nach Peter Eglin) in Patzelt, Ethnomethodologie, S. 119, behandelt nur auf Nachfrage

bei Störungen einer gemeinsamen Stimmung, Atmosphäre, Milieuvariante

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Ausgrenzungsmethoden

kommunikative Deprivation

strategische Kontextbildung

Degradierung

Liquidierung nur kommunikativ auch physisch

Störer einer Liturgie oder eines ‚politisch korrekten Diskurses‘ werden zum Schweigen gebracht.

von Abweichlern wird – auch mittels Medienkampagnen – systematisch gezeigt, daß sie in allen wichtigen Aspekten von den ‚Normalformen‘ der Ethnie abweichen und darum eine Bedrohung für die Aufrechterhaltung eigener Identität und Wirklichkeit sind

‚Herunterputzen vor anderen‘, Rufmord, Schauprozesse …

ums Amt oder die öffentliche Rolle bringen

für geistig verwirrt erklären und in eine Irrenanstalt einweisen

einsperren, verbannen; Schriften auf den Index setzen

umbringen

anzuwenden gegen die Störer

spezifischer Stimmungen,

Atmosphären, Milieus …

Konzepte Beispielsserie:

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Wie führt man von diesen Konzepten geleitete empirische Studien durch?

Sekundäranalyse von Texten, in denen Prozesse der Wirklichkeitskonstruktion und Wirklichkeitsdestruktion beschrieben werden (z.B.: Hinwendungen zum und Abwendungen vom Kommunismus)

teilnehmende Beobachtung von prinzipiell fragilen (und auch immer wieder gestörten) Prozessen der Wirklichkeitskonstruktion (z.B. Liturgien, Theater- und Opernaufführungen, Museumsführungen, Parties, Einladungen im Bekanntenkreis …)

Feldexperimente zur gezielten Unterbrechung wirklichkeitskonstruktiver Prozesse: Man selbst (oder ein Mitarbeiter) stört – gezielt an den vermuteten zentralen Hintergrunderwartungen ansetzend – z.B. eine Liturgie oder Theateraufführung, eine private oder öffentliche Feier, beobachtet und dokumentiert (etwa durch Ton- und Bildaufzeichnungen) was geschieht, und wertet diese Befunde dann aus.

allgemeine Fragestellungen: • Was geschieht eigentlich, und wie geschieht das seitens von wem, wenn in Räumen und um Räume herum, sich (unterschiedliche) Stimmungen, Atmosphären, Milieus entwickeln?• Wie kann man solche Prozesse der Erzeugung von Atmosphäre, Stimmung, Milieu herbeiführen und verstetigen, oder gefährden und abbrechen?

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Sozialwissenschaftliche Relevanz: Es werden soziale Konstruktionen genau dort aufgesucht, wo sie

tatsächlich stattfinden, nämlich in den alltäglichen Sinndeutungen und Interaktionen von Personen, die eine gemeinsame Wirklichkeit aufbauen, in Geltung halten, verändern oder sie auch zerstören.

Der Theorie- und Forschungsansatz erlaubt einen Brückenschlag von idiographischer Mikroanalyse und generalisierender Makroperspektive

Empirische Relevanz: Die Analyse bleibt nicht auf der metaphorischen Ebene stehen,

sondern kann – nachweislich – überaus präzise Konzepte benutzen, die sowohl empirisch gut operationalisierbar als auch Bestandteile einer gut ausgearbeiteten und erklärungskräftigen Theorie sind.

Interdisziplinäre Relevanz: Viele ethnomethodologische Konzepte sind leicht anschlußfähig für die

Diskurse anderer Disziplinen oder Forschungsbereiche (etwa: Indexikalität/Reflexivität Semiotik) – nicht zuletzt deshalb, weil die Ethnomethodologie ihre Wurzeln weit außerhalb des Mainstreams der (strukturfunktionalistischen) Soziologie hat.

Hier: bei der Analyse der sozialen Konstruktion von

Stimmung, Atmosphäre und Milieu

Was ist der besondere Wert des ethnomethodologischen Ansatzes?

Ob ich letzteres wirklich überzeugend präsentiert habe, werden

wohl die Reaktionen in der Disussion zeigen ….

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Literaturhinweise

umfassend mit internationalen Literaturangaben bis Mitte der 1980er Jahre: Werner J. Patzelt, Grundlagen der Ethnomethodologie. Theorie, Empirie und politikwissenschaftlicher Nutzen einer Soziologie des Alltags, München 1987 (Fink)

knapp, mit Hinweisen auf zentrale Neuerscheinungen seither: Werner J. Patzelt, Ethnomethodologie, in: Günter Endruweit / Gisela Trommsdorff, Hrsg., Wörterbuch der Soziologie, 2., völlig neubearb. u. erw. Aufl., Stuttgart 2002 (Lucius & Lucius), S. 124-129.

Im übrigen gibt es inzwischen viele (und über Google leicht zu findenden) ethnomethodologische Websites mit vorzüglichen Materialien und weitergehenden Hinweisen.