Einführung in die Neurobiologie der SuchtEdelmann & Tononi 2000). „Naturalistisches Modell“ –...
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Hinweis:
Vortrags- und Seminar-Unterlage, nur für Teilnehmer am Vortrag und demSeminar „Neurobiologie der Sucht“ (Version vom 15.2.07;© Tretter undQuellenangaben)
Verfasser: Prof. Dr. Dr. Dr. Felix Tretter, Suchtabteilung, Isar-Amper-Klinikum, Klinikum Ost, Haar
A) ALLGEMEINE GRUNDLAGEN 2
1. Verhaltensbiologie 2
2. Das Gehirn – Strukturen, Prozesse und Funktionen 3
2.1 Anatomie (Makroanatomie) 32.2 Struktur hirnlokaler Netzwerke (Mikroanatomie,
Histologie) 92.3 Die Nervenzelle und ihre Verknüpfungen 112.4 Die Nervenzelle – chemische Impulse 152.5 Innerzelluläre molekulare Signalketten 172.6 Neurophilosophie – das „Gehirn-Geist“-Problem
und das „Mikro-Makro“-Problem 19
B) NEUROBIOLOGIE DER SUCHT 20
3. Drogen 20
4. Neurochemische Dynamik 24
5. Neuroanatomie der Sucht 28
5.1 Die zentrale Rolle des Dopamin-Systems 285.2 Das Gesamtbild der funktionellen Architektur des
süchtigen Gehirns 305.3 Hirn-Schädigungen als Konsumfolge 31
C) LITERATUR 32
Einführungin die Neurobiologie der Sucht
2
A) ALLGEMEINE GRUNDLAGEN
1. Verhaltensbiologie
Sucht ist erlerntes Verhalten und kann auch tierexperimentell erzeugt
werden (s. Wolffgramm, Spanagel; vgl. Abb. 1). Man spricht in diesem
Zusammenhang vom „Suchtgedächtnis“ als veränderungsresistente
Verhaltensbereitschaft, Drogen (= legale und illegale psychoaktive
Substanzen) zu konsumieren, auch wenn aktuell keine Drogen konsumiert
werden. Bei Konfrontation mit Drogen trotz längerer Abstinenz kann der
Antrieb bzw. Drang zu erneutem Konsum auftreten. Das entspricht dem
Rückfall, er lässt sich auch an Tieren zeigen.
Abb. 1: Entwicklung der Opiatsucht und Suchtgedächtnis – langsamerAnstieg der Opiat-Dosis bis zum 10. Monat, dann 4 MonateAbstinenzphase, dann erneute Exposition gegenüber Opiaten mit Rückfallmit sofortigem Hochdosis-Konsum sogar bei mit Chinin vergällteOpiatzubereitungen (von Wolffgramm 2003).Anmerkung: Nicht-süchtige Ratten (graue Balken) zeigen anderen Verlauf –keine Dosissteigerung und daher auch keinen Rückfall.
Aus diesen Befunden und aus der klinischen Beobachtung stellt sich die
Frage an die Neurobiologie, welche Gehirnstrukturen für die
Suchtentwicklung, das Suchtgedächtnis, die Entzugssymptomatik, das
Craving und den Rückfall zuständig sind.
3
2. Das Gehirn – Strukturen, Prozesse und Funktionen
2.1. Anatomie (Makroanatomie)
Folgende Strukturen des Gehirns sind allgemein wichtig und teilweise auch
für die Sucht bedeutsam (vgl. Abb. 2, siehe Roth 2001, Koob und Le Moal
2006):
Kortex:
Präfrontaler Kortex (PFC): Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit, auch
Impulskontrolle und Verhaltenshemmung
Thalamus: Schaltstelle und Filter für sensorische Inputs/ Wahrnehmung
Stammganglien: automatisiertes Verhalten
- Putamen
- Pallidum (P. internum, P. externum)
- Nucleus Caudatus
- Striatum = Putamen + Pallidum externum + Pallidum internum
+ Nucleus Caudatus (Definition ist in der Literatur uneinheitlich)
Limbisches System: Affekte, Gefühle
- Nucleus Accumbens: Lustzustände, Belohnung
- Amygdala: Angst und Aggression
- Hippocampus: Langzeit-Gedächtnis
Mittelhirn
- Substanzia nigra (SN): Dopamin-Zell-Zentrum mit Faserprojektion
in das Putamen; motorische, prozessorientierte Verhaltens-
organisation
- ventrales Tegmentum (VTA): Dopamin-Zell-Zentrum mit Faser-
projektion in den Nucleus acumbens mit Belohnungsfunktion
FÜR INTERESSIERTE:
Hier, im Mittelhirn, gibt es auch Zellgruppen, die als Zentrum von anderen
Transmittersubstanzen anzusehen sind (Nucleus Raphe: Serotonin, Locus
coeruleus: Noradrenalin).
4
NucleusCaudatus
Putamen
Hippocampus
Abb. 2: Einige Strukturen des Gehirns in 3D-Darstellung(Quelle: Spektrum 1988)
Präfrontaler Cortex: Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Planen
– bei chron THC-Konsum mehr kortikales Areal nötig !
Quelle: NIDA
Hören
Sehen
Abb. 3: Linke Gehirnhälfte von der Seite, von außen aus gesehen(Quelle: NIDA 2006)
Lokalisation von Funktionen
Aus neurochirurgischen und klinisch-neurologischen Beobachtungen weiß
man, dass die Aktivitäten einzelner Gehirngebiete mit unterschiedlichen
psychischen Funktionen einhergehen (siehe Abb. 4).
5
VORNE HINTEN
Judgement
reward
Quelle: NIDA
Bewegung Berührung
Sehen
Koordination Gedächtnis
Belohnung
Urteilen
Abb. 4: Rechte Gehirnhälfte von innen, von der Mitte aus gesehen (linkeGehirnhälfte ist weggeklappt; Quelle: NIDA 2006)
Neben Hirnverletzungen, hirnlokalen Entzündungen, Hirndurchblutungs-
störungen und Hirntumoren stellen auch bestimmte Formen der
epileptischen Anfallsaktivität, die sich im Hirnstrombild (EEG) zeigen,
Quellen für diese Informationen dar. Diese Anfälle gehen mit
Veränderungen des wachen Bewusstseins einher und lösen beispielsweise
in hinteren Gehirnregionen akustische, optische oder olfaktorische
Halluzinationen aus.
FÜR BESONDERS INTERESSIERTE:
Wichtige Schaltkreise des Gehirns
Die Verbindungen zwischen den einzelnen Gehirngebieten stellen sich als
komplexe Netzwerke von hin und her verlaufenden Fasern dar, die sich als
Schaltkreise mit einer bestimmten Verschaltungsstruktur begreifen lassen.
Die Funktionsweise der jeweiligen Verschaltungsstruktur ist durch die
Anzahl der hintereinander geschalteten Hemmungen charakterisiert: eine,
drei, fünf etc., also eine ungerade Anzahl von Hemmungen. Diese führt –
beispielsweise bei zirkulären Verschaltungen - meist zu einem
oszillatorischen Verhalten dieses Schaltkreises. Bei einer geraden Anzahl
von hintereinander geschalteten Hemmungen tritt meist eine Eskalation der
Aktivität auf (Prinzip: „Enthemmung“ bei z.B. doppelter Hemmung).
6
Abb. 5: Gehirn-Geist-Beziehung: Das Gehirn und die über das EEGabgeleitete elektrische Aktivität bei komplexen lokalen epileptischenAnfällen mit Krampfpotenzialen (links unten) und gleichzeitig auftretendenErlebnissen wie optische, olfaktorische oder akustische Halluzinationen undmotorische Erscheinungen, je nachdem, wo der Herd im Gehirn lokalisiertist (rechts, unten; Quelle: Netter 1986).
a) Schaltkreise von PsychosenBei Cannabis, Ecstasy, Kokain und Amphetaminen können
schizophrenieähnliche psychotische Zustände vorkommen. Dabei spielt
chemisch betrachtet eine Überaktivität des Dopamins eine wichtige Rolle,
wenngleich dies noch nicht vollständig aufgeklärt ist. Auf Verhaltensebene
muss - ähnlich wie es die Befunde zur Epilepsie zeigen – eine kortikale
Überaktivität vorliegen. Dies lässt sich über ein Schaltkreismodell zur
Schizophrenie verstehen (siehe Abb.6).
EEG – Komplexität der Aktivitäts-MusterMusterMuster
7
Thalamus
Kortex
S.nigra/ VTA
+
Striatum
_
Sinnessysteme
GABA_
Glutamat
Dopamin
Motorisches Verhalten
1
23
Abb. 6: Schaltkreise, die nach dem Medizin-Nobelpreisträger ArvidCarlsson für psychotische Zustände (z.B. Drogenpsychose, Schizophrenie)verantwortlich gemacht werden können (Carlsson 2006): Halluzinationenkönnen als Resultat einer übermäßigen neuronalen Aktivität im Kortexaufgefasst werden. Dies beruht vermutlich auf einem zu starken Input, derüber den Thalamus (1) an den Kortex vermittelt wird. Dieser ist wiederumauf eine gestörte, zu schwache Hemmung zurückzuführen, wie sienormalerweise von dem Striatum auf den Thalamus ausgeübt wird (2).Diese pathologische Schwächung der Hemmung im Thalamus ist wiederumdurch eine verstärkte Hemmung im Striatum durch eine Überaktivität desDopaminsystems bedingt, das dort über hemmend wirksame Dopamin-Rezeptoren vom D2-Typ seine Informationen überträgt (3).
b) Netzwerk der psychiatrisch wichtigen Schaltkreise
Wenn man wichtige Schaltkreise, die bei psychischen Störungen relevant
sind, zusammenfasst, ergibt sich ein komplexes Bild, das erkennen lässt,
dass ein Funktionsverständnis schwer möglich ist (siehe Abb. 7).
Die Bedeutung der Komplexität der „Konnektivität“, wie sie in der
Gehirntheorie von Edelmann und Tononi (2002) betont wird, wird anhand
eines Schemas deutlich, dass nur 64 Gehirngebiete und ihre 1.134
Verbindungen darstellt – ein Verständnis der in diesem Netzwerk
ablaufenden Signalmuster ist ohne Mathematik und Computersimulation
nicht mehr möglich (siehe Abb. 8).
8
36
Neurochemie und Topographie der Gehirnstrukturen die für die Sucht relevant sind, hier als neuronales Schaltkreisgefüge dargestellt (nach Dworkin et al. 1993, Shepherd 1994, Gray 1995, von Tretter 2000).
? Für das „Verstehen“ benötigen wir mathematische Modelle und Computersimulationen (Tretter 2005)!
NEURONALE MAKROSCHALTKREISE
Abb. 7: Schema von 5 wichtigen Schaltkreisen (I-V), die bei Schizophrenie,Angststörungen, Depressionen und Sucht im Einzelnen und im Verbundgestört sind.Thal = Thalamus, Put = Putamen, Pal = Pallidum, Sep = Septum, EnCo =entorhinaler Cortex, Amyg = Amygdala, Hypo = Hypothalamus, N.Ac = NucleusAccumbens, Hippo = Hippokampus, V.Teg = Ventrales Tegmentum, L.Coer =Locus coeruleus, N.Raphe = NucleusRaphe, S.nig = Substanzia nigra
7
Konnektivität im Gehirn: 64 Gebiete mit 1.134 (wechselseitigen) Verbindungen (Edelmann & Tononi 2000).
„Naturalistisches Modell“ – strukturelle Komplexität
Abb. 8: Schema zur „strukturellen Komplexität“ des Gehirns im Konzept vonEdelman und Tononi, das die hohe Vernetzung (Konnektivität) hervorhebt(2002).
9
2.2 Struktur hirnlokaler Netzwerke (Mikroanatomie, Histologie)
Die lokalen Schaltkreise bzw. lokalen Netzwerke in bestimmten
Gehirngebieten, wie beispielsweise in der Rinde des Großhirns (=
zerebraler Kortex), zeigen eine komplizierte Struktur, die schon im
Lichtmikroskop erkennbar ist. Dabei ist zu beachten, dass sich die
Verbindungen über die Nervenfasern (Konnektivität) im Laufe der frühen
Entwicklung verdichten (siehe Abb. 9). Neuerdings wurde festgestellt, dass
sich Nervenzellen auch im Laufe des Lebens neu bilden (Neuroneogenese,
siehe Abb. 10). Man hat auch versucht, in der Vielzahl der Nervenzellen
und Verbindungen eine Ordnung zu finden und unterscheidet nun „Säulen“
und „Schichten“, die aus bestimmten Zellen (Pyramidenzellen, Sternzellen
und hemmenden Zellen) aufgebaut sind (siehe Abb.11).
Abb. 9: Gehirnrinde beim Neugeborenen, nach 3 Monaten, im Alter von 15Monaten und 2 Jahren – Zunahme (und Optimierung) der Verdrahtung, einProzess der bis etwa zum 20. Lebensjahr anhält (Quelle: Dia vonLiljenström 2005).
10
41
Neuroneogenese
Abb. 10: Bildung neuer Neurone = Neuroneogenese (Quelle: Bearns et al.2006)
Aus der Gegend des Seitenventrikels wandern Vorläufer-Zellen in die
Hirnrinde, wo sich die Zellen ausdifferenzieren.
Analyse des Kortex- Säulen und SchichtenSzentagothai, Mountcastle (mot.), Hubel & Wiesel (Vis.), Singer (vis), Goldman-Rakic (fro),
Abb. 11: Strukturmodell des Cortex mit Säulen (links) und Schichten(rechts)
Szentagothai
11
2.3 Die Nervenzelle und ihre Verknüpfungen (Synapsen)
Struktur
Die Nervenzellen haben Fasern als Empfangsstrukturen (Dendriten) und
Fasern, die zur Weitergabe von Signalen dienen, die Axone. Die Axone
sind auf andere Zellen aufgeschaltet. An diese Kontaktstellen (Synapsen)
werden die elektrischen Entladungen der Nervenfaser der vorgeschalteten
Zelle zunächst in chemische Signale übersetzt (siehe Abb. 12). Diese
Chemikalien sind Botenstoffe (Transmitter) wie vor allem Dopamin,
Noradrenalin, Acetylcholin, Gamma-Amino-Buttersäure (GABA), Glutamat
und Serotonin. Diese Stoffe werden in den synaptischen Spalt, der
zwischen der ankoppelnden Nervenfaser und der Zellmembran der
nachgeschalteten Nervenzelle besteht, von der Nervenfaser ausgeschüttet.
Der Transmitter kann dann an die Rezeptoren der nachgeschalteten
Nervenzelle ankoppeln (siehe Abb. 13). Auf diese Weise werden die
Rezeptoren aktiviert, die ihrerseits elektrische Austauschprozesse, die über
Ionen-Kanäle ablaufen, aktivieren: Natrium- und Kalzium-Ionen können bei
Öffnung der Ionenkanäle vom Zelläußeren in das Zellinnere strömen,
währenddem Kalium-Ionen etwas zeitversetzt dann vom Zellinneren in das
Zelläußere strömen können, je nachdem welche Ionen-Kanäle von den
Rezeptoren aktiviert werden. Andere Rezeptoren aktivieren innermolekulare
Signalketten, die vor allem über phosphathaltige Moleküle, wie Cyclo-AMP,
ablaufen und Prozesse im Zellkern ansteuern können.
12
Abb. 12: Die Nervenzelle (A) und die Synapse mit Rezeptoren (B) und denIonenkanälen (C); Quelle: Bear et al. 2006).
Rücktransporter
Überträgerstoffe
postsynaptischerD-2-Rezeptor
D-1-Rezeptor
Adenylatcyclase
Kalzium
Aktionspotenzial der vorgeschalteten Zelle
lokales D1-Rezeptor-Signal der nachgeschalteten Zellemit Membrandepolarisation
Membran des Dendriten dernachgeschalteten Zelle
PräsynaptischerD-2-Autorezeptor
Abb. 13: Die Dopamin-Synapse mit Rezeptoren an der vorgeschaltetenNervenzelle (präsynaptischer hemmender D2-Autorezeptor), dempräsynaptischen Rücktransporter und mit Rezeptoren an der
A B
C
B
13
nachgeschalteten Nervenzelle (postsynaptische Rezeptoren) in Form deraktivierenden D1-Rezeptoren und der hemmenden D2-Rezeptoren. ErstesZielmolekül in der innermolekularen Signalkaskade ist die Adenylatzyklase,die cyclo-AMP als energiereiche Phosphatverbindung synthetisiert, dasvielfältige Prozesse der Zelle aktiviert (nach Tretter und Albus 2004).
aktivierend wirkender Rezeptor
hemmend wirkender Rezeptor
Funktionen
Grundsätzlich hat eine Zelle aufgrund einer Ungleichverteilung von Ionen
zwischen Zellinnerem und Zelläußerem einen negativen Ladungszustand
(elektrisches Potenzial von -70 mV im Ruhezustand). Durch Aktivierung
von Rezeptoren, die Natrium-Ionen-Kanäle öffnen (z. B. Acetylcholin-
rezeptoren, siehe Abb. 14) wird der Ladungszustand zunächst relativ
positiver. Es kann sich ein „Aktionspotenzial“ ausbilden (siehe Abb. 15),
das über das Axon zur nächsten Nervenzelle weitergeleitet wird. Wenn
GABA-Rezeptoren aktiviert werden, öffnen sich dort Chlorid-Ionen-Kanäle,
die Chlorid in das Zellinnere strömen lassen, wodurch die Zelle dann
negativer geladen wird, so dass ihre Entladungsbereitschaft sinkt – die
Zelle ist also gehemmt. An der jeweiligen Kontaktstelle (Synapse) treten
somit lokale Potenzialveränderungen auf, die als exzitatorische
postsynaptische Potenziale (EPSP) bzw. als inhibitorische postsynaptische
Potenziale (IPSP) bezeichnet werden. Da die meisten Nervenzellen
tausende von Synapsen aufweisen, ist der Aktivitätszustand der Zelle von
den räumlichen und zeitlichen Summierungsprozessen dieser
Mikropotenziale abhängig. An einer gewissen Schwelle (-60 mV) zeigt die
Zelle dann eine starke Entladung (Aktionspotenzial). Diese Entladung wird
über das Axon an die nächste Zelle weitergeleitet.
14
Aktionspotenzial
Kalium-Ionen
Natrium-IonenZellumgebung
Membran
Zellinneres
-70 mV
-60 mV
+ 30 mV
Abb. 14: Die ungleiche Verteilung der elektrischen Ladungsträger (A, mehrNatrium-Ionen außen, mehr Kalium-Ionen innen) führt bei Öffnung vonIonenkanälen durch raschen Ausgleich der Natrium-Ionen zu einerEntladung (Aktionspotenzial, B) und gleich darauf zur Wiederherstellungdes Ruhezustandes über den Kalium-Ionen-Ausstrom aus der Zelle.
A BNatrium /
KaliumNikotin
Zellmembran
Ionenkanal
REZEPTOREN
Kalzium
Abb. 15: Acetylcholin-Rezeptor (ACh-R) als Steuereinheit von Natrium-/Kalzium-Ionenkanälen und auch mit Effekten auf die Kalium-Durchlässigkeit dieser Ionenkanäle. An den ACh-R setzt auch Nikotin an.2.4 Die Nervenzelle – chemische Inputs
Da Zellen im Prinzip die gleiche genetische Ausstattung aufweisen, können
sie auch alle Rezeptoren produzieren. Dies sind überwiegend Rezeptoren
für die Transmitter Noradrenalin (NA), Acetylcholin (ACh), GABA (Gamma-
Amino-Buttersäure), Glutamat (Glu), Serotonin (5-Hydroxytryptamin =5HT)
und Dopamin (DA). Auch Opiatrezeptoren und Cannabisrezeptoren spielen
hier eine bedeutsame Rolle. Wichtig ist auch zu berücksichtigen, dass jede
15
Zelle einige Tausend Synapsen hat, sodass das Funktionieren einer Zelle
von dem relativen Gewicht der einzelnen Transmissionssysteme bestimmt
wird, die beispielsweise durch das Einwirken von Alkohol in eine
Ungleichgewichtslage gebracht werden (siehe Abb. 16).
_+AMPA-RNMDA-RD1-Ra1NA-R5HT2A-R
Aktionspotenzial
GABA-RD2-Ra2NA-R5HT1A-R
Alkohol
Abb. 16: Das hypothetische zelluläre Gleichgewicht von Erregung (+) undHemmung (-) durch die quantitative Verteilung des Anteils der jeweiligenRezeptoren. Zusätzlich ist der auf die Zellaktivität hemmende Effekt vonAlkohol, schematisiert am Beispiel von einem Neuron mit Spines („spinyneuron“) im Striatum dargestellt.
Legende:
Aktivierende Rezeptoren (Linker Schenkel des Waagebalkens):
AMPA-R = Aminohydroxy-Methylisoxazol-Propionsäure (Glutamat-Rezeptor-Subtyp)NMDA-R = N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (Glutamat-Rezeptor-Subtyp)D1-R = Dopamin-D1-Rezeptor5HT2A-R = Serotonin-Rezeptor Typ 2Aa1NA-R = alpha1-Noradrenalin-Rezeptor
Hemmende Rezeptoren (Rechter Schenkel des Waagebalkens):
GABA-R = Gamma-Amino-Butter-Säure-RezeptorenD2-R = Dopamin-D2-Rezeptor5HT1A-R = Serotonin-Rezeptor Typ 1Aa2NA-R = alpha2-Noradrenalin-RezeptorDas komplizierte Wechselspiel dieser sechs Transmittersubstanzen lässt
sich schematisch in dem Bild des „neurochemischen Mobile“ erfassen, was
nicht nur das neurochemische Signalgleichgewicht der Zelle, sondern
ganzer Systeme darzustellen erlaubt (siehe Abb. 17).
16
Abb. 17: Das „neurochemische Mobile“ als Schema für die Dynamik derwichtigsten gekoppelten neurochemischen Transmissionssysteme imGehirn – das Mobile bewegt sich u.a. im 24-Stunden-Rhythmus (nachTretter 2000, Tretter u. Albus 2004).
Fast jede Gehirnregion verfügt offensichtlich über diese Rezeptoren,
wenngleich in verschiedenen Gehirngebieten unterschiedliche Häufigkeiten
der einzelnen Rezeptoren zu beobachten sind (siehe Abbildung). Dies kann
durch bildgebende Verfahren, wenn radioaktiv markierte Substanzen
angewendet werden, nachgewiesen werden (siehe Abb. 18).
17
Abb. 18: Verteilung der Opiat-Rezeptoren vom My-Typ imGehirn. Quelle: Essex Pharma 2006. Rot = hohe Rezeptordichte, blau =geringe Rezeptordichte; man sieht in den Stammganglien (Putamen,pallidum usw.) die höchste Rezeptorendichte. Obere Bildreihe: Draufsichtauf das Gehirn, mittlere Bildreihe: Gehirn von hinten, untere Bildreihe:Gehirn von links betrachtet
FÜR BESONDERS INTERESSIERTE:
2.5 Innerzelluläre molekulare Signalketten
Von den Rezeptoren – hier an den Opioid-Rezeptoren (einfacher: Opiat-
Rezeptoren) dargestellt – werden sowohl die Ionen-Kanäle wie auch
wichtige Signalmoleküle und Energieträger aktiviert oder auch gehemmt
(siehe Abb. 19). Eine besondere Rolle spielt dabei Calcium. Diese
molekularen Signalketten steuern letztlich Ableseprozesse von den Genen.
Sie haben überwiegend einen funktionsregulatorischen Charakter für die
jeweilige Zelle, insofern beispielsweise Rezeptoren aufgebaut werden
können oder deren Synthese auch geblockt werden kann (Molekulare
Neuroadaptation).
5
1
My Rezeptoren – [11C]carfentanilIn den Stammganglien
18
Zellen optimieren offensichtlich auf diese Weise ihr Aktivierungsniveau,
indem sie eine anhaltende (1) Über- und (2) Unterstimulation verhindern.
Sie verhindern (1) vor allem durch den Abbau von Rezeptoren bzw. durch
den Aufbau von weniger reagiblen Rezeptoren und sie verhindern (2) durch
verstärkten Aufbau von Rezeptoren oder durch Aufbau von stärkeren
reagiblen Rezeptoren. Diese Vorgänge sind schon nach Minuten
beobachtbar, sie können aber auch 1 – 2 Wochen bei anhaltender
Anwendung von psychoaktiven Substanzen auftreten.
Abb. 19: Intrazelluläre molekulare Prozesskaskade bei akuter undchronischer Opiat-Applikation. Den akut dämpfenden Effekten des Opiatsauf die Reagibilität des Neurons wird bei chronischer Opiatgabe durchSteigerung der Transkription und Translation entgegengewirkt, indem neueRezeptoren aufgebaut werden, die den Natrium-Einstrom und Kalium-Ausstrom steigern und damit die neuronale Reagibilität erhöhen.(nach Maldonado 2003, Tretter 2000, Nestler 2005)Anmerkung: Die kleinen Pfeile bei cAMP, Proteinkinase A und bei derTranslation vor dem Schrägstrich sind die akuten Effekte, die danach sinddie chronischen Effekte. CREB und cFos sind Transkriptionsfaktoren. R =Ribosomen, ER = Endoplasmatisches Retikulum
19
2.6. Neurophilosophie - das „Gehirn-Geist“-Problem und das „Mikro-
Makro“-Problem
Trotz der neuen Erkenntnisse der Hirnforschung (Neurobiologie) sind die
Beziehungen zwischen Gehirn und Geistigem noch nicht voll verstanden
und möglicherweise prinzipiell über eine Korrelationsbeziehung hinaus
nicht klärbar. Vor allem die Erste-Person-Perspektive des Subjekts ist mit
der Dritte-Person-Perspektive des Beobachters (z.B. Hirnforscher)
prinzipiell nicht vereinbar (Innensicht versus Außensicht). Deshalb ist die
Gleichsetzung von Geistigem und Gehirnzuständen auch nur hypothetisch,
d.h. eine – zwar wissenschaftlich fundierte – Glaubenshaltung.
MONISMUS (Gehirn = Geist) – DUALISMUS (Gehirn ? Geist)?
?
Das GEHIRN-GEIST-PROBLEM und die NEUROBIOLOGIE
Abb. 20: Das Gehirn-Geist-Problem – Das Bewusstsein als Produkt desGehirns, ähnlich wie der Urin aus den Nieren kommt?
20
Abb. 21: Die Teile und das Ganze – Vom Verhalten zum Gehirn zu denMolekülen und zurück zum Verhalten: Ein Philosophie- und Theorie-Problem der Forschung, insofern Teile das Ganze erklären sollen.
B) NEUROBIOLOGIE DER SUCHT
3. Drogen
Die molekulare Struktur der Drogen ähnelt den chemischen Strukturen der
Transmitter im Gehirn (siehe Abb. 22). Deshalb können die Drogen an den
Rezeptoren, aber häufiger noch an den Rücktransportern an der Synapse
ansetzen und so ihre Wirkungen entfalten (siehe Tabelle 1). Beispielsweise
greift der Alkohol an den erregend wirkenden Glutamat-Rezeptoren
hemmend an, an den GABA-Rezeptoren erzeugt er aber eine Wirkungs-
verstärkung (Abb. 23).
VERHALTEN
GEHIRN
NETZWERK
NERVENZELLEN
GENE
SYNAPSE
Thalamus
Kortex
Putamen
Pallidum
•Top-down Analyse bis zu den Molekülen, aber Moleküle allein Generieren kein Bewusstsein
• die Dinge zusammenzuführen ist schwierig was das geeignete Level betrifft – bewußte
Informationsverarbeitung = nachhaltige Aktivität von Millionen von Neuronen / gesamte Gehirn ?
Imaging Methoden, (CCT, MRI, PET, SPECT) und EEG, MEG
Pharmakologie, Physiologie, Genetik
Epistemologie: Das Mikro- /Makro Problem und der Reduktio-nismus und die „Erklärung“ (Emergenz-Problem)
Vgl.. Shepherd, Grillner
Top-down Analyse bis zu denMolekülen; die Moleküle alleingenerieren kein Bewusstsein.
Die Dinge zusammenzuführen,ist schwierig, was das geeigneteLevel betrifft – bewussteInformationsverarbeitung =nachhaltige Aktivität vonMillionen von Neuronen/gesamtes Gehirn?
21
Tabelle 1: Neurobiologische Drogeneffekte
DROGE MOLEKULARE EFFEKTE
Alkohol ? hemmt funktionell Glutamat-Rezeptoren
(N-Methy-D-Aspartat-Rezeptoren; NMDA-R) und
Ca-Ionenkanäle,
? verstärkt GABA-Mechanismen
Heroin ? aktiviert My-Rezeptoren des Endorphinsystems,
dieses hemmt die Folgesysteme
Amphetamine ? blockieren den Serotonin- und den Dopamin-
Rücktransporter, sodass mehr Dopamin im
synaptischen Spalt vorhanden ist
Kokain ? hemmt Rücktransporter von Dopaminneuronen
Cannabis ? aktiviert den Cannabis-Rezeptor, der die
betreffende Zelle hemmt; der Signalfluss des
endogenen Cannabis verläuft jedoch von der
postsynaptischen Membran zur präsynaptischen
Zelle!
Ecstasy ? hemmt v.a. den Serotonin-Rücktransporter
LSD ? aktiviert den Serotonin-Rezeptor vom Typ 5
HT2A
22
AmphetaminCH2 - CH- NH2
CH3
Noradrenalin
Dopamin
CH - CH2-NH2
CH2 - CH2-NH2HO
HO
OH
HO
HO
A
LSD
NH
N- CH3
H
SerotoninCH2 - CH2-NH2
NH
HO
B
Abb. 22: Die strukturelle Ähnlichkeit von Drogen wie (A) Amphetamine mitden Transmittern Noradrenalin und Dopamin und (B) LSD, das strukturelldem Serotonin ähnelt (Tretter 2000).
23
Calcium
AUSSEN
INNEN
NMDA-R
Alkohol
GABA-R
MEMBRAN
Chlorid
DARPP-32
PPI_
_
_
Abb. 23: Akut-Effekte der Alkoholbindung auf intrazellulärer Ebene:Der Akut-Effekt von Alkohol besteht in der Verstärkung der Funktion derGABA-Rezeptoren, die einen Chlorid-Einstrom in die Zelle bewirken mit derFolge einer Hyperpolarisation des Membranpotenzials. Darüber hinauswerden die Glutamat-Rezeptoren vom NMDA-Typ durch Alkohol in ihrerFunktion gemindert. Diese Rezeptoren bewirken normalerweise einenCalcium-Einstrom, aber auch einen Natrium-Einstrom und darüber hinauseinen Kalium-Auswärtsstrom (nicht abgebildet). Im nächsten Verarbeitungs-schritt werden andere Moleküle (Calcium, DARPP32 etc.) aktiviert bzw.gehemmt. Das gesamte Zusammenspiel der durch die alkoholbedingteRezeptormodulation ausgelösten Signalketten in der Zelle ist noch nichtaufgeklärt und auch nicht funktionell umfassend verstanden.
NMDA-R = N-Methyl-D-Aspartat-RezeptorGABA-R = Gamma-Amino-Buttersäure-RezeptorDARPP-32 = Dopamin and cAMP regulated Phosphoprotein of M 32.000PP-1 = Proteinphosphatase 1-/ /----I = hemmende Wirkungskette mit nicht dargestelltenZwischengliedern
FÜR BESONDERS INTERESSIERTE:
Die Besonderheiten des Cannabinoid-Signal-Systems bestehen darin, dass
der Signalfluss von der postsynaptischen Zelle zur Endigung der prä-
synaptischen Nervenfaser, also in die Gegenrichtung des üblichen
Signalflusses, verläuft.
24
Abb. 24: Endo-Cannabinoid-System (Szabo et al. 2005): Aktivierung desCB1-Rezeptors am präsynaptischen Axonterminal hemmt die Freisetzungdes Transmitters aus dem synaptischen Vesikel. Es können grundsätzlichdrei Mechanismen an dieser Hemmung beteiligt sein: Hemmung vonspannungsabhängigen Calciumkanälen (1), Aktivierung von Kaliumkanälen(2) und direkte Interferenz mit der vesikulären Freisetzungsmaschinerie (3).Der CB1-Rezeptor kann von exogenem Agonisten, aber auch von denEndocannabinoiden Anandamid (AEA) und 2-Arachidonylglycerin (2-AG),die aus dem depolarisierten postsynaptischen Neuron freigesetzt werden,aktiviert werden. Das Signal für die Endocannabinoidsynthese ist entwederein Anstieg der intrazellulären Ca2*-Konzentration (ausgelöst durch einenAnstieg des Membranpotenzials, Vm) oder die Aktivierung von Gq-Proteinen (zum Beispiel durch metabotrope Glutamatrezeptoren, mGluRezeptoren). Die Endocannabinoide gelangen durch Membrandiffusionoder mittels eines Carriers aus dem postsynaptischen Neuron.
4. Neurochemische Dynamik
Das im vorigen Abschnitt dargestellte „neurochemische Mobile“, das das
Zusammenspiel der sechs wichtigsten neurochemischen Transmissions-
systeme sinnbildlich zu erfassen erlaubt, kann zu wichtigen Aspekten der
Sucht, nämlich zur Frage psychischer Risikokonstellationen (Angst,
Depression), zur Akutwirkung, zur Adaptation bei chronischen Konsum und
für das Verständnis von Entzugssymptomen zweckmäßig sein (s. Tretter
2000, Tretter u. Albus 2004).
Zunächst ist die Risikokonstellation bei Depression zu erörtern, wo
neurochemisch betrachtet ein Defizit im Bereich Noradrenalin und
Serotonin vorzuliegen scheint (siehe Abb. 25). Wenngleich ein direkter
Mechanismus noch nicht identifiziert ist, zeigt die klinische Erfahrung, dass
25
Menschen mit depressiven Persönlichkeitsstrukturen besonders anfällig auf
Kokain sind. Das erklärt sich dadurch, dass Kokain das neurochemische
Gleichgewicht in eine günstige Konstellation überführt (Abb. 26). Kokain
dient so als medikamentöse Selbstbehandlung. Allerdings hat es im
Gegensatz zu Antidepressiva eine Vielzahl ungünstiger Nebeneffekte wie
die Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung.
Abb. 25: Die neurochemische Mobile-Konstellation bei Depression
(Tretter u. Albus 2004)
GABAGLUTAMAT
ACETYLCHOLIN
DOPAMIN
SEROTONIN
NORADRENALIN
26
Abb. 26: Wirkung von Drogen im Bilde des neurochemischen Mobiles:Rausch und Psychose durch Dominanz des Dopamin-Systems, Serotonins,und/oder Noradrenalins im Vergleich zu anderen Transmittersystemen
Für die Alkoholabhängigkeit können die neurochemischen Prozesse im
Mobile gut dargestellt werde (Achtung: aus darstellungstechnischen
Gründen sind GABA und Glutamat im Vergleich zu vorigen Mobile-Bildern
umgestellt!)
Abb. 27: Effekt des akuten Alkoholgebrauchs
NORADRENALIN
ACETYLCHOLIN
SEROTONIN DOPAMIN
GLUTAMAT
GABA
LSD, Kokain, Amphetamine,Ecstasy
Ketamin
Alkohol,Benzodia-zepine, THC ?
Tollkirsche
Nikotin
(Tretter u. Albus 2004)
27
Abb. 28: Chronischer Alkoholkonsum und gegenregulatorischeneurochemische Anpassungsprozesse im Noradrenalin-, GABA- undGlutamat-System
Abb. 29: Alkoholentzug mit Schieflage in Richtung Erregungs- undEnthemmungszustand mit der klinischen Symptomatik des Herzrasens undhohen Blutdrucks (Noradrenalin), der Dysphorie (wenig Dopamin) und derKrampfanfälle (viel Glutamat, wenig GABA) usw.
NORADRENALIN
ACETYLCHOLIN
SEROTONIN
DOPAMIN
GABA
GLUTAMAT
28
Abb. 30: Therapie des Alkoholentzugs mit entzugsdämpfendenSubstanzen, die das GABA-System aktivieren und das Noradrenalin-System hemmen
5. Neuroanatomie der Sucht
5. 1. Die zentrale Rolle des Dopamin-Systems
Drogen, die das Dopamin-System, das vom ventralen Tegmentum in den
Nucleus accumbens projiziert, direkt oder indirekt aktivieren, erzeugen
offensichtlich Lustzustände (bzw. Belohnungszustände) und auch
Veränderungen der kognitiven Funktionen. Dies entspricht phänomenal,
d.h. im subjektiven Erleben, einer Rauscherfahrung.
Nach einiger Zeit des wiederholten Rauschmittelgebrauchs wird eine
höhere Dosis erforderlich (Dosissteigerung aufgrund von Neuroadaptation)
und es tritt ein Automatismus auf, der zunächst als reflexartiger
Gewohnheitskonsum einzustufen ist und neurobiologisch betrachtet im
Striatum organisiert ist, wo auch alle anderen motorischen Automatismen
bzw. Verhaltensroutinen programmiert werden (Radfahren, Schifahren
usw.).
NORADRENALIN ACETYLCHOLIN
SEROTONIN
DOPAMIN
GLUTAMAT
GABA
GABAerge Psychopharmaka
Clonidin
29
STRIATUM
VTSN
KORTEX
N. ACC
VTSN
KORTEX
N. ACC
STRIATUM
A
B
I
II
II
I
Abb. 31: Systeme der Belohnung und der Sucht, schematisch dargestelltam Rattengehirn (Mediale Ansicht des Längsschnittes; nach Wolffgramm2003).(A): Das belohnende Lustsystem (System I) dominiert, die Kontrolle überden Drogenkonsum ist noch vorhanden.(B): Das automatisierende Suchtsystem (System II) dominiert, der süchtigeVerhaltensautomatismus ist eingetreten.
Ventrales Tegmentum
THC,OPIOIDE
Nucleus Accumbens
GABA-NeuroneDopamin
GABA
KOKAIN,AMPHETAMINE
ALKOHOL ?
NIKOTIN
GABA-Neurone
Cortico-fugalerInput
Cortico-fugalerInput
ALKOHOL ?
Abb. 32: Detailliertes Schema der Einwirkung wichtiger Drogen auf dasDopamin-Belohnungssystem: Kokain und Amphetamin steigern dieDopaminkonzentration in den Synapsen im Nucleus accumbens. Dort sindhemmende D2-Rezeptoren in der Überzahl, die die GABA-haltigen
30
Neurone dämpfen. Dadurch wird wiederum die Hemmung im ventralenTegmentum geringer mit der Folge der stärkeren Aktivität des Dopamin-Systems usw. (nach Spanagel und Zieglgänsberger 1996)Anmerkung: corticofugal = vom Kortex ausgehende Fasern
5.2 Das Gesamtbild der funktionellen Architektur des süchtigen
Gehirns
Angloamerikanische Autoren betonen in den letzten Jahren eine
ganzheitsorientierte neurobiologische Betrachtungsweise der Sucht. Dabei
geht es um das gestörte Zusammenspiel von verschiedenen makro-
anatomischen Schaltkreisen: neben dem hirnstammnahen „Impulssystem“,
das sich aus dem Dopamin-System und dem Serotonin-System
zusammensetzt, wird zusätzlich ein „Verhaltenssystem“ unterschieden,
dessen Zentren im Striatum liegen und dem ein zu schwaches kortikal
lokalisiertes „reflexives System“ übergeordnet ist (siehe Abb. 33).
Impuls-System
reflexives System
Verhaltens-System
Anatomische Systeme der Sucht verstanden als Zwangsstörung
„Compulsion“ -> Everitt & Robbins 2005, Bechara 2005 (NatNeuroScience )
Abb. 33: Das vom Hirnstamm aufsteigende „Impulssystem“ (DA, 5HT), das„Verhaltenssystem“ im Striatum und das „reflexive System“ im Kortex
FÜR BESONDERS INTERESSIERTE :DLPC = dorsolateraler präfrontaler Cortex, VMPC = ventromedialerprefrontaler Cortex, A = Amygdala, Hip = Hipokampus, AC = anterioresCingulum
31
5.3 Hirn-Schädigungen als Konsumfolge
Schließlich ist noch auf die Schädigungen der Großhirnrinde durch Ecstasy-
Konsum hinzuweisen (Abb. 34). Besonders eindrucksvoll ist die
Schädigung der Serotonin-Fasern nach 4-tägigem Ecstasy-Konsum bei
Affen. 14 Tage nach Konsum zeigt sich eine schwere Schädigung der
Fasern. Auch 7 Jahre nach dem Konsum ist keine vollständige
Wiederherstellung der Verdrahtung erfolgt! Bei Methamphetamin gibt es
Hinweise für noch stärkere Schäden! Allerdings: Tierstudien sind nur
begrenzt auf den Menschen übertragbar, liefern aber Indizien – Drogen
machen das Hirn nicht besser!
Abb. 34: Hirnrinde des Affen nach Ecstasy-Konsum (Quelle: NIDA 2006)
32
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