Extrazelluläre Ableitung von AP Laura, Nina, Arabella, Svenja.
Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer ... · Da dieses Paradigma bisher nur über...
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Universität Trier
Fachbereich I – Psychologie
Eine elektrophysiologische Untersuchung inhibitorischer
Mechanismen der Selektiven Aufmerksamkeit im Paradigma
des Negative-Location-Priming
Diplomarbeit
vorgelegt von Hannes Ruge
im Mai 2000
Betreuer:
Dr. Ewald Naumann
Prof. Dr. Dieter Bartussek
0 Zusammenfassung und Dankeszeilen................... 1
1 Allgemeiner Überblick......................................... 2
1.1 Klärung des Begriffs Aufmerksamkeit und ein
Vorwort ................................................................ 3
1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit............. 5
1.2.1 Exogene versus endogene Aufmerksamkeit......... 5
1.2.2 Frühe versus späte und periphere versus
zentrale Selektion ................................................. 6
1.2.3 Automatische versus kontrollierte Verarbeitung 7
1.2.4 Feature Integration: Die besondere Rolle
räumlicher Information ........................................ 8
1.2.5 Die Spotlight-Metapher........................................ 8
1.2.6 Exekutive Kontrolle.............................................. 9
1.2.7 Drei empirische Fragestellungen...........................10
2 Inhibition .............................................................. 12
2.1 Exitation und Inhibiton .........................................12
2.2 Das konnektionistische Modell von Houghton
und Tipper ............................................................ 13
2.3 Das Negative-Priming Paradigma.........................16
2.3.1 Das experimentelle Basis-Design und
allgemeine Hypothesen ........................................ 16
2.3.2 Negative-Identity-Priming versus Negative-
Location-Priming ................................................. 17
2.3.3 Auf welcher Verarbeitungsebene findet
Hemmung statt? ................................................... 18
2.3.4 Alternativerklärung I: Episodic Retrieval............. 19
2.3.5 Alternativerklärung II: Feature Mismatch............ 20
3 Psychophysiologie der visuellen Selektiven
Aufmerksamkeit: Experimentelle Designs,
EKP-Komponenten und Einflußvariablen ........... 23
3.1 Reiz-Perzeption..................................................... 24
3.1.1 Visuell-räumliche Aufmerksamkeit...................... 25
3.1.2 Visuell-nicht-räumliche Aufmerksamkeit............ 26
3.2 Reiz-Evaluation.................................................... 27
3.3 Sukzessive versus simultane Darbietung
relevanter und irrelevanter Reize ......................... 29
3.4 Negative-Priming?................................................ 30
3.4.1 Visuelle Suche...................................................... 30
3.4.2 Späte Selektion bei bereits vorbereiteten
Reaktionsalternativen .......................................... 31
4 Die Planung der Untersuchung............................. 34
4.1 Die Logik der Untersuchung................................ 34
4.1.1 Versuchspläne und Hypothesen............................ 36
4.2 Die Prozedur..........................................................39
4.2.1 Anordnung der räumlichen Positionen................. 39
4.2.2 Zeitliche Abfolge.................................................. 40
4.2.3 Instruktionen und Ablauf..................................... 41
4.3 Das Reizmaterial.................................................. 42
4.3.1 Zusammensetzung................................................ 42
4.3.2 Sequenzierung...................................................... 43
4.3.3 Die Distanzen zwischen Target und Distraktor
als Prime-Probe Kontingenzhäufigkeiten............. 46
4.3.4 Die Darbietungsseiten von Target und Distraktor
als Prime-Probe Kontingenzhäufigkeiten............. 47
4.4 Duchführung......................................................... 49
4.4.1 EEG- und EOG-Ableitung.................................... 49
4.5 Auswertungsstrategien.......................................... 50
5 Ergebnisse............................................................. 51
5.1 Verhaltensdaten.................................................... 51
5.1.1 Auswertung nach Versuchsplan A....................... 52
5.1.2 Auswertung nach Versuchsplan B........................ 52
5.1.3 Analyse des Einflusses der Kontingenzen
der Prime-Probe-Distanzen auf den Negative-
Priming-Effekt...................................................... 53
5.1.4 Analyse des Einflusses der Kontingenzen
der Prime-Probe-Darbietungsseite auf den
Negative-Priming-Effekt.......................................54
5.2 EKP Ergebnisse.....................................................55
5.2.1 Qualitative Analyse der EKPs
nach Versuchsplan A............................................ 56
5.2.2 Qualitative Analyse der EKPs
nach Versuchsplan B............................................ 59
5.2.3 Quantitative Auswertung nach Versuchsplan A 61
5.2.4 Quantitative Auswertung nach Versuchsplan B 64
5.3 Abschließende Diskussion.................................... 65
Literaturverzeichnis.......................................................... 69
Anhang............................................................................. 75
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung und Dankeszeilen 1
0 Zusammenfassung
In dieser Diplomarbeit wurde anhand ereigniskorrelierter Hirnrindenpotentiale (EKPs)untersucht, inwieweit inhibitorische Prozesse an der Selektion relevanter Informationen(Targets) beteiligt sind, wenn simultan präsentierte irrelevante Reize (Distraktoren) ignoriertwerden müssen. Als experimenteller Zugang wurden verschiedene Abwandlungen des„Negative-Location-Priming“ verwendet. In explorativer Weise sind drei verschiedeneFragestellungen näher beleuchtet worden. Erstens sollte die spezifische EKP-Charakteristikfür die Selektion bei simultaner Darbietung von Target und Distraktor herausgearbeitetwerden. Hierfür wurden die EKPs miteinander verglichen, wie sie unter den beidenBedingungen mit und ohne Präsentation eines Distraktors gefunden wurden. Es hat sichgezeigt, daß die links-frontalen Komponenten P2 und N2 und eine posteriore N2 ganzspezifisch diejenigen Prozesse widerspiegeln, die hinter einer möglicherweise inhibitorischenKontrolle irrelevanter Information stehen. Zweitens sollte –als originäre Negative-Priming-Fragestellung– geprüft werden, ob inhibitorische Nacheffekte (Negative-Priming-Effekt) imEKP sichtbar gemacht werden können. Drittens ist der Frage nachgegangen worden, ob dieserEffekt (falls vorhanden) qualitative Unterschiede unter den beiden Aufmerksamkeits-bedingungen „Sustained-Attention“ und „Transient-Attention“ aufweist. Im Sustained-Attention-Setting fand sich in der Negative-Priming-Bedingung im Vergleich zur Kontrolleeine erhöhte centro-parietale Negativität zwischen 150 und 400 ms, die als Nd-Phänomenklassifiziert wurde. Im Gegensatz dazu, sind im Transient-Attention-Setting die frontalenKomponenten P2 und P3a verstärkt, sowie die Latenzen von frontaler N2 und P3a verlängert.Die Befunde werden im Rahmen der Theorie der „Aufmerksamkeitsspur“ (Näätänen, 1990)und dem Modell von Houghton und Tipper (1994) interpretiert.
Dank gilt an erster Stelle meinen Eltern, die in jeder Hinsicht die Grundlagen meiner Existenzgesichert und damit auch das Entstehen dieser Diplomarbeit gewährleistet haben.Wie ich erleben durfte, ist die Aufnahme von Hirnströmen keine Sache, die ohne große Erfahrung unddas „gewisse Händchen“ bewerkstelligt werden könnte. Diese Eigenschaften vereint glücklicherweiseRenate Freudenreich in sich, die unter Mithilfe von Sabine Christ und Johannes Hewig eine saubereErzeugung der EEG-Daten sichergestellt hat. Viele unverzichtbare Verbesserungen des Textesberuhen auf der Durchsicht von Tanja Mletzko, Beate Hoves und Johanna Trosbach, die trotz teilweisegroßer thematischer Verständnislosigkeit (wie man sich überhaupt mit so etwas beschäftigen kann)entscheidende Schwachstellen aufgedeckt haben.Schließlich gebührt Ewald Naumann Dank, weil er es schafft, durch großes Vertrauen in dieFähigkeiten seiner Studenten, eine Atmosphäre ohne Leistungsdruck herzustellen, in der einideenreiches, motiviertes und selbständiges Arbeiten möglich ist.
1. Allgemeiner Überblick 2
1 Allgemeiner Überblick
In dieser Diplomarbeit wird untersucht, welche Rolle die Unterdrückung irrelevanter
Information spielt, wenn handlungsrelevante Aspekte aus externen Quellen selegiert werden
sollen. Ein in der Kognitiven Psychologie etabliertes Paradigma zur Untersuchung dieser
Fragestellung, ist das sogenannte „Negative-Priming“ (Tipper, 1985). Die vermutete
Hemmung wird hier anhand einer Probe-Technik „sichtbar“ gemacht. Das heißt, es wird die
Beeinträchtigung der Weiterverarbeitung auf den betroffenen Repräsentationen nach bereits
erfolgter Selektion betrachtet.
Da dieses Paradigma bisher nur über die Messung von Verhaltensdaten exploriert wurde,
sollen über die Ableitung von Hirnströmen und die daraus gewonnen ereigniskorrelierten
Potentiale (EKPs) ergänzende und weiterführende Aussagen erarbeitet werden.
Als konkrete experimentelle Prozedur wurde das „Negative-Location-Priming“ (Tipper et al.,
1990; Neill et al., 1992; Park und Kanvisher, 1994) adaptiert. Hier besteht die Aufgabe der
Versuchsperson darin, bestimmte Reize zu identifizieren und ihre räumliche Position zu
bestimmen. Mit dieser speziellen Variante verbundene Probleme, werden ausführlich in
Abschnitt 2.3 erörtert.
Da keine direkt vergleichbaren psychophysiologischen Untersuchungen verfügbar sind,
wurde eine explorative Herangehensweise gewählt und vielfältige experimentelle Variationen
vorgenommen. Es soll auf diese eher unbestimmte Art und Weise ein erster Eindruck der
verschiedenen am Geschehen beteiligten und möglicherweise im EKP beobachtbaren
Prozeßebenen gewonnen werden (dazu die „Logik der Studie“ in Abschnitt 4.1).
Hinsichtlich der Aufbereitung der psychophysiologischen Literatur gilt ähnliches. Deshalb
basiert der Überblick auf der Darstellung von Erkenntnissen, die in anderen Paradigmen
gewonnen wurden und deshalb nicht unbedingt direkt übertragbar sind. Trotzdem wurde auf
diese Darstellung nicht verzichtet, weil einige sehr interessante Anhaltspunkte für die
Interpretation der eigenen Ergebnisse herausgearbeitet werden konnten (Abschnitt 3).
Viele implizite und einige explizite Annahmen unter denen in dieser Arbeit inhibitorische
Prozesse untersucht und gedeutet werden, sind in einem formalen Modell von Houghton und
Tipper (1994) manifestiert, das aus diesem Grund in Abschnitt 2.2 recht ausführlich
beschrieben wird und auf das im folgenden immer wieder gern verwiesen wird.
An erster Stelle jedoch soll ein allgemeiner Überblick über Phänomene und theoretische
Ansätze zur Selektiven Aufmerksamkeit stehen. Dies geschieht in groben Zügen, denn das
Feld ist sehr weit.
1.1 Klärung des Begriffs Aufmerksamkeit und ein Vorwort 3
1.1 Klärung des Begriffs Aufmerksamkeit und ein Vorwort
„Aufmerksamkeit“ ist zunächst ein alltagssprachlicher Begriff, der einen Bedeutungsrahmen
für psychische Zustände wie Wachheit, Aktiviertheit, Zerstreutheit, Konzentration,
Gespanntheit, Anspannung, Ablenkbarkeit oder auch die Kraft des Willens darstellt. Der
Begriff Aufmerksamkeit wird auch im Zusammenhang mit der Beschreibung von Leistungen
benutzt, wie „sich auf eine Sache zur Zeit konzentrieren können, ohne sich ablenken zu
lassen“ oder aber auch „mehrere Tätigkeiten gleichzeitig verfolgen, ohne durcheinander zu
geraten“. Aus der Schulzeit oder anderen sozialen Zwangssituationen wohl vertraut sind
Anforderungen wie „still sitzen, ohne spontanen Impulsen nachzugeben“. Oder wer hat sich
noch nicht dabei ertappt, plötzlich eine Praline im Mund gehabt zu haben ohne eine Ahnung,
wie sie dort hineingeraten sein könnte. Schließlich ist es eines jeden Erfahrung (zumindest
feste Überzeugung), daß man nur laut genug schreien muß, um Gehör zu finden – unabhängig
davon, was man denn loswerden will.
Die Wissenschaft gibt sich selbstverständlich mit Alltagserfahrungen und
Selbstbeobachtungen nicht zufrieden und wählt zur Illustration von Sachverhalten lieber
Beispiele aus dem (möglichst niederen) Tierreich. Beispielsweise fragt man sich, wie es denn
ein hungriger Raubfisch schaffen kann, einen einzelnen Fisch zu packen, der sich in einem
Schwarm fortbewegt (Houghton und Tipper (1994), S.57). Oder andersherum, warum es so
eine gute Erfindung der Evolution war, sich als einzelner Fisch in einem Schwarm zu
verstecken, obwohl das doch erst einmal widersinnig erscheint, da ein Schwarm auffälliger ist
und damit leichter zu entdecken sein sollte.
Außerdem geht die Forschung systematisch vor und beschreibt die Welt in Fachbegriffen, die
wohl definiert sein sollten, damit jeder sie im gleichen Sinne verwenden möge. Wer sich mit
Konstrukten der Psychologie beschäftigt, wird jedoch bald ernüchtert und leicht verstimmt
feststellen müssen, daß dem nicht so ist und Verwendungen von Fachtermini eine relative und
höchst subjektive Angelegenheit sind. Dies sei im Hinblick auf die in den folgenden Kapiteln
besprochenen Theorien und empirischen Untersuchungen angemerkt. Speziell gilt das
hinsichtlich der Komponentenbezeichnungen für die „Berge“ und „Täler“ im gemittelten
ereigniskorrelierten Hirnrindenpotential (EKP), die oft sehr sorglos vergeben erscheinen. Es
werden gleiche Bezeichnungen vergeben für morphologisch grob ähnliche Strukturen, die
zwar zu ähnlichen Fragestellungen, aber im Detail höchst unterschiedlichen experimentellen
Prozeduren ermittelt wurden. Andersherum werden in verschiedenen experimentellen
Kontexten, unterschiedliche Bezeichnungen für Komponenten mit identischer Topographie
1.1 Klärung des Begriffs Aufmerksamkeit und ein Vorwort 4
und Latenz vergeben. Ich werde mich an diesem Spiel ebenfalls beteiligen, denn es scheint
mir im Grunde eine vertretbare Strategie zur Annäherung an einen so unklaren und
komplexen Gegenstand wie die menschliche Informationsverarbeitung zu sein. Insbesondere
wenn obendrein auch noch mit so indirekten und schwachen Verfahren wie
Reaktionszeitmessungen und Hirnstromaufnahmen operiert wird. Es sei also nachdrücklich
davor gewarnt, die folgenden Ausführungen allzu „faktisch“ aufzufassen, sie stellen vielmehr
eine sehr subjektive Interpretation der Interpretationen der rezipierten Autoren und der im
vierten Abschnitt dargestellten eigenen Untersuchungsergebnisse dar.
Die alltagssprachlichen Facetten der Aufmerksamkeit werden in der wissenschaftlichen
Auseinandersetzung mit dem Thema in vier große Bereiche eingeteilt (Birbaumer und
Schmidt, 1991; Posner und Raichle, 1994)
Arousal oder Aktiviertheit stehen für tonische Zustände erhöhter unspezifischer
Leistungsbereitschaft (Kapazität, Potential, Ressourcenbereitstellung) und sind eng mit
physiologischen Modellen verknüpft. So wird beispielsweise das Retikuläre-Aktivierungs-
Systems (RAS) mit unterschiedlichen Wachheitszuständen in Verbindung gebracht
(Birbaumer und Schmidt, 1991, S.496).
Mit Vigilanz werden ebenfalls tonische Zustände bezeichnet, die sich einstellen, wenn über
einen längeren Zeitraum auf bestimmte Reize reagiert werden muß, die aber sehr selten und in
einer allgemein sehr reizarmen Umwelt auftauchen. Als Beispiel sei das nächtliche
Autofahren auf einer Landstraße genannt, wo Zusammenstöße mit sporadisch
entgegenkommenden Autos verhindert werden müssen. Posner und Raichle (1994) haben
hierfür mit PET-Studien ein spezialisiertes neuronales System ausgemacht.
Im Paradigma der Geteilten Aufmerksamkeit werden Prozesse untersucht, die zur simultanen
Berarbeitung verschiedener Anforderungen notwendig sind. In diesem Zusammenhang
werden Modelle limitierter Verarbeitungskapaziät beschrieben.
Der Begriff Selektive Aufmerksamkeit überschneidet sich teilweise mit dem Begriff der
Geteilten Aufmerksamkeit und ist sicherlich der vielschichtigste der vier Kategorien. Er ist
für Situationen reserviert, in denen – ganz allgemein gesprochen – relevante von irrelevanter
Information getrennt werden muß. Auf den nun folgenden Seiten werden die Facetten der
Selektiven Aufmerksamkeit dargestellt.
1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 5
1.2Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit
In diesem Abschnitt soll ein Eindruck von der Vielfalt an empirischen Fragestellungen und
theoretischen Konzepten vermittelt werden, die mit dem Begriff Selektive Aufmerksamkeit
verbunden sind.
1.2.1 Exogene versus endogene Selektive Aufmerksamkeit
Was sind relevante Informationen?
Zum einen definieren momentane Handlungsziele, welche Informationen zur Zielerreichung
benötigt werden. In der Forschung hauptsächlich behandelter Aspekt ist die Extraktion
relevanter Information aus externen Reizen, was seit Broadbent (1958) in diversen
Filtertheorien („Flaschenhalstheorien“) seinen Ausdruck findet und als endogene Selektive
Aufmerksamkeit bezeichnet wird. Nach Michie et al. (1999, S.419) ist Selektive
Aufmerksamkeit „essential for coherent action“. Laut Wijers (1996, S.479) gewährleistet erst
Selektivität in der Informationsverarbeitung die offenkundige Flexibilität des Verhaltens,
denn „Selektion schützt den Organismus davor, auf seine Umwelt reflektorisch zu reagieren“.
Zum anderen können neben den momentan aktivierten Handlungszielen auch Reize mit
besonderen Qualitäten automatisch Aufmerksamkeit auf sich ziehen und damit
handlungsrelevant werden. Welche Reizeigenschaften Effekte der sogenannten exogenen
Selektiven Aufmerksamkeit erzeugen können, ist in der evolutionär geprägten grundlegenden
Funktionsweise des sensorischen Systems begründet. In diesem Sinne sind exogene
Aufmerksamkeitsreaktionen (Orientierungsreaktionen) für das Einsetzen eines Reizes
(besonders nach langer Pause), die Unterbrechung eines Reizes, hohe Reizintensität,
Veränderungen im Blickfeld oder „pop-out“ durch bestimmte gestaltartige Reizgruppierungen
beobachtet worden (Näätänen, 1988). Für die auditive Modalität beschreibt Näätänen die
EKP-Komponenten N1 und MMN als Indikatoren dieser von ihm so bezeichneten „Attention-
Triggering Processes“. Darüber hinaus können automatische Aufmerksamkeitsreaktionen
auch durch Überlernen gelernt werden (Shiffrin und Schneider, 1977).
Schließlich sei noch angemerkt, daß die Ausführung einer Handlung nicht allein von der
adäquaten Verarbeitung von Umweltreizen abhängig ist, sondern vielmehr als eine komplexe
Integration extern und intern generierter und selegierter Information angesehen werden sollte
(Norman und Shallice, 1986).
1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 6
1.2.2 Die Ebene der Selektion: Früh versus spät, peripher versus zentral, präkategorial
versus postkategorial
Theorien zur Selektiven Aufmerksamkeit unterscheiden sich darin, auf welcher Stufe in der
Verarbeitungssequenz Selektion stattfinden kann. Schlagwortartig wird zwischen früher und
später oder – teilweise mit überlappender Bedeutung verwendet – zwischen peripherer und
zentraler oder präkategorialer und postkategorialer Selektion unterschieden. Erstere
Dichotomie bezieht sich auf den Zeitpunkt in der Verarbeitungssequenz zwischen Input und
Output, beginnend in der Retinazelle, endend an der motorischen Endplatte. Für die zweite
Dichotomie gilt, daß eine Repräsentation um so zentraler ist, je weiter sie von Input- oder
Outputverarbeitung entfernt ist. Zentrale Enkodierformate liegen also ungefähr zwischen
frühen und späten Prozessen und frühe Verarbeitung geschieht nah an der peripheren
Sensorik, während späte Verarbeitung nah an der peripheren Motorik stattfindet.
Die wesentlichen theoretischen Positionen zur frühen Selektion verorten
Aufmerksamkeitsprozesse auf der Ebene sensorischer Repräsentationen physikalischer
Merkmale (Treisman und Gelade, 1980; Harter und Aine, 1984). Also auf einer
präkategorialen Ebene der merkmalsgetrennten Form mentaler Repräsentation, die nicht
bewußt erlebt wird. In anatomischen Modellen sind diese Repräsentationen für die visuelle
Modalität in thalamischen Strukturen und den primären visuellen Kortexarealen angesiedelt.
In diesem Zusammenhang wird Selektion häufig als thalamisches „Gating“ sensorischen
Inputs oder als „Gain-Control“ der kortikalen sensorischen Netzwerke verstanden (Desimone
et al. 1990, Birbaumer und Schmidt, 1991).
Von später, zentraler Selektion kann gesprochen werden, wenn die Reizinformation zum
Zeitpunkt der Selektion bereits in einem postkategorialen Enkodierformat vorliegt, das dem
bewußten Erleben potentiell als Perzept zugänglich ist und den Inhalt des
Arbeitsgedächtnisses (Baddeley, 1990) bilden kann, zum Beispiel als Objekt oder als Wort
(Deutsch und Deutsch, 1963; Houghton und Tipper, 1994).
Späte Selektion schließlich kann sich auch auf Aspekte der Reaktionsvorbereitung, wie der
Selektion eines adäquaten Motorprogramms beziehen (Fox, 1995).
Die genannten Positionen werden in der Regel als Gegensätze formuliert, können aber auch
sich gegenseitig ergänzend und in Abhängigkeit der Anforderungen durch die Aufgabe
verstanden werden (Tipper, 1994; Fox, 1995).
1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 7
1.2.3 Automatische versus kontrollierte Verarbeitung
Es wird in zweierlei Hinsicht eine Unterscheidung zwischen automatischer (unbewußt,
parallel, nicht zielgeleitet) und kontrollierter (bewußt, seriell, zielgeleitet, limitierte
Verarbeitungskapazität) Verarbeitung getroffen (Shiffrin und Schneider, 1977). Zum einen
und eng verwandt mit der Fragestellung aus Abschnitt 1.2.2 wird überlegt, ob eine
automatische Weiterverarbeitung über die sensorische Registrierung hinaus ohne
Aufmerksamkeitszuwendung stattfinden kann. Während Theorien der späten Selektion dies
annehmen müssen, kommen Theorien der frühen Selektion ohne diese Annahme aus. Zum
anderen kann sowohl für die frühe als auch für die späte Selektion untersucht werden, ob
nicht-selegierte Information in irgendeiner Form automatisch weiter verarbeitet wird.
Näätänen (1988) gibt zu bedenken, daß automatische Aufmerksamkeitsreaktionen, die auf
semantische Inhalte in eigentlich ignorierten Kanälen beobachtet werden können, nicht
einfach als Beleg für Theorien der späten Selektion herangezogen werden können, weil
kurzzeitige „Attention-Switches“ zum ignorierten Kanal bei jedem Reiz stattfinden und damit
ein in der Regel nicht bemerktes Fenster zu ignorierter Information geöffnet wird. Wenn diese
Information eine subjektive Relevanz (z.B. der eigene Name) besitzt, kann der
Aufmerksamkeitsfokus vollständig umgelenkt werden.
Für eine automatische semantische Enkodierung sprechen nach Houghton und Tipper (1994)
interessanterweise bestimmte Negative-Priming-Effekte. Tipper und Driver (1988) konnten
nämlich zeigen, daß ignorierte semantische Information, wenn sie im folgenden Probe-Trial
ein Merkmal des beachteten Objekts war, zu einer relativen Reaktionszeitverlangsamung
führte.
1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 8
1.2.4 Feature Integration: die besondere Rolle räumlicher Information
Treisman und Gelade (1980) schlagen ein Modell vor, das eine Doppelfunktion für die
Selektive Aufmerksamkeit vorsieht. Neben der Auswahl relevanter Information dient
Aufmerksamkeitsfokussierung der Integration separat enkodierter physikalischer Merkmale
zu kohärenten Objektrepräsentationen, auf die dann höhere Verarbeitungsprozesse zugreifen
können. Zur Zusammenführung der Merkmale dient die ko-registrierte räumliche
Information, die sinnbildlich als Klebstoff („glue“) wirkt. Zu dieser Vorstellung paßt die
Organisation der sensorischen kortikalen Areale, in denen Merkmale wie Farbe oder
Orientierung getrennt kodiert sind, aber jeweils die ursprüngliche retinale räumliche
Anordnung topologisch erhalten bleibt1 (Hubel und Wiesel, 1977; Desimone et al., 1990).
Das Modell geht von einer hierarchischen Abhängigkeit weiterer Verarbeitung von der
Fokussierung auf räumliche Konstellationen getrennter physikalischer Merkmale aus. Soll
beispielsweise auf einen bestimmten farbigen Buchstaben reagiert werden, geschieht dies,
indem ein zu spezifizierender Aufmerksamkeitsmechanismus den Ort ermittelt, der den
relevanten Merkmalen (Farbe und Orientierung der Linien) gemeinsam ist, die Verarbeitung
der an diesem Ort befindliche Information erleichtert und andere Orte und die darin enthaltene
Information in ihrer Aktiviertheit abschwächt. So kann dann ein an diesem Ort befindliches
Objekt als solches wahrgenommen werden.
1Nachbarschaftsbeziehungen aller räumlicher Punktepaare bleiben bestehen, maßstabsgetreue
Distanzverhältnisse gehen verloren.
1.2.5 Die Spotlight-Metapher
Man kann sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten vorstellen, in welcher Weise räumliche
Konstellationen beachtet werden könnten. So wird in objektbasierten Modellen der
räumlichen Aufmerksamkeit angenommen, daß die Form eines zu beachtenden Objektes den
hervorgehobenen Bereich umreißt (Buchner, 1988; Duncan 1996). Üblicherweise wird aber
ein objektunabhängiger Mechanismus propagiert, über den konzentrische Flächen
hervorgehoben werden. In diesem Rahmen kommt man zu Modellvorstellungen, die
Analogien zu Lichtkegeln („Spotlight“), Lichtstrahlen („Beam“) oder flexiblen Gummilinsen
herstellen (Eriksen und Yeh, 1985). Es kommt wohl auf das spezifische experimentelle
Design an, zu welchen Vorstellungen man kommt. So wird durch das übliche Vorgehen in
Studien zur räumlichen Aufmerksamkeit unter Verwendung eines direkten räumlichen
1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 9
Hinweisreizes nahelegt, daß um den Fixationspunkt herum sich ausdehnende konzentrische
Flächen beachtet werden.
In der psychophysiologischen Forschung liegen einige Arbeiten vor, die Unterschiede in der
selektiven räumlichen Verarbeitung finden, abhängig davon, ob zusammenhängende globale
visuelle Areale (Quadranten oder Halbfelder), diese Areale überschneidende Konfigurationen
wie konzentrische Ringe (Eimer, 1999) oder Bereiche innerhalb dieser globalen Felder
(Wijers, 1989b) beachtet werden sollen.
Weiterhin liegen Erkenntnisse vor, die auf grundlegende funktionale Unterschiede zwischen
der Selektion aufgrund räumlicher und nicht-räumlicher Information und den beteiligten
neuronalen Strukturen hinweisen (Ungerleider und Mishkin, 1982).
1.2.6 Exekutive Kontrolle
Wie werden aktuelle Handlungsziele zur aktiven Ausrichtung der Aufmerksamkeit
verwendet? Lassen sich also Mechanismen spezifizieren, die eine etwas „handfestere“
Aussage zulassen, als die, daß endogene Aufmerksamkeit zielbezogene Selektion ermöglicht?
In der Neurophysiologie und -anatomie ist diese Frage verbunden mit der Suche und
Identifizierung spezialisierter Areale, die die attentionale Kontrolle leisten. Posner und
Petersen (1990, S.26) formulieren folgende Forschungsstrategie: „We proceeded from a
perspective which views the attention system of the human brain as anatomically seperate
from the data processing systems that perform operations on specific inputs“. Danach werden
die relevanten Prozesse gesehen als „operation of a seperate set of neural areas whose
interaction with domain specific systems... is the proper subject for empiric investigation“. In
Posner und Raichle (1994) sind Ergebnisse von PET-Studien zur räumlichen Aufmerksamkeit
präsentiert, die diesen Ansatz verfolgt haben. Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß ein
posteriores und ein anteriores neuronales Aufmerksamkeitssystem jeweils der exogenen bzw.
der endogenen Aufmerksamkeitssteuerung dienen.
Cummings (1995) kommt zu einer sehr konkreten und detaillierten Beschreibung eines
anterioren Kontrollsystems. Der Autor unterteilt den Präfrontalkortex (PFC) in drei funktional
eigenständige Regionen: erstens das hinter der Stirn gelegene dorsolaterale Areal, zweitens
das orbitofrontale Areal, daß den vorderste Teil des PFC bildet und nach innen
zurückgebogen ist und schließlich der ganz innen, an der sagitalen Symmetrieachse gelegene
mediale PFC (anteriorer Gyrus Cingularis). Der orbitofrontale PFC ist an der Steuerung des
Sozialverhaltens beteiligt (mimische Imitation, Aggression, Annäherung), der mediale PFC ist
in motivationale Prozesse involviert und der dorsolaterale PFC ist nach Cummings das
1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 10
zentrale, integrative Exekutionssystem („...the principle organ for integrating information...“,
S.5) und ist an verschiedensten kognitiven Funktionen beteiligt (Handlungsplanung,
Arbeitsgedächtnis, Selektive Aufmerksamkeit, Episodisches Gedächtnis). Allgemeines
klinisches Bild nach organischen Schädigungen des PFC ist eine verstärkte
Außenweltabhängigkeit, weil die planvolle Selbstinitiierung von Verhalten beeinträchtigt ist.
Alle drei Regionen sind untereinander verbunden und während sie alle drei in ähnlicher Art
und Weise jeweils in einer schleifenartigen Verbindungsstruktur verschaltet sind (PFC�
Basalganglien (Pallidum, Caudatum, Substantia Nigra)�
Thalamus�
PFC), weist der
dorsolaterale PFC auch hier Besonderheiten auf. Erstens hat er direkte, bidirektionale
Verbindungen mit posterioren Assoziationsarealen(!) und zweitens erhält er direkte
Projektionen aus dem Caudatum, das seinerseits Afferenzen aus fast allen Kortexarealen
erhält.
Ein zu dieser Beschreibung passendes formales Modell der Selektiven Aufmerksamkeit, das
sogar inhibitorische Mechanismen annimmt, haben Houghton und Tipper (1994) entwickelt.
Sie siedeln die Repräsentation für sogenannte „Attentional Targets“ im dorsolateralen PFC
an. Nach Fuster (1980) sprechen sie dem PFC hauptsächlich eine inhibitorische Funktion zu.
Außerdem wird mit dem „Mismatch-Field“ eine zusätzliche Schnittstelle zwischen „Target-
Field“ und „Object-Field“ postuliert, wie sie auch als anatomische Struktur im Caudatum
vorhanden ist. Eine nähere Beschreibung des Modells folgt in Abschnitt 2.2.
Experimentelle Paradigmen zur Untersuchung dieser Fragestellung beinhalten in der Regel
einen Instruktionswechsel („Switch“), um die Neuausrichtung von Kontrollparametern zu
provozieren und dadurch zum Vorschein kommende Phänomene studieren zu können. Dies ist
auch die Grundlage vieler neuropsychologischer Testverfahren, die zur Diagnose des
„Dysexecutive Syndrome“ (Kolb et al., 1996) benutzt werden.
Laut Michie et al. (1999) haben Rogers & Monsell (1995) eine Unterscheidung zwischen
einer antizipatorischen Komponente und einer reizabhängigen Komponente beim Task-
Switching getroffen, um zu erklären, warum die rechtzeitige Vorbereitung eines
Aufgabenwechsels nur einen Teil entstandener „Switch-Kosten“ neutralisieren kann.
Einen ähnlichen Eindruck vermittelt die EKP-Forschung. Hier wurde in Target-Switch-
Situationen oder auch zu Beginn eines experimentellen Blocks konsistent beobachtet, daß die
Ausbildung bestimmter EKP-Komponenten, die mit der Selektion relevanter Information
zusammenhängen, abhängig sind von „afferenter Verstärkung“. Dies äußert sich darin, daß
diese Komponenten (P1 und Nd) erst nach einigen Trials ihre maximale Amplitude erreichen
(Wijers et al., 1996). Hierzu finden sich detailliertere Informationen im dritten Abschnitt.
1.2 Facetten der Selektiven Aufmerksamkeit 11
1.2.7 Drei empirische Fragestellungen
Angelehnt an Wijers et al. (1996) lassen sich unabhängig von spezifischen theoretischen
Ansätzen drei empirische Fragestellungen formulieren, die für ein vollständiges Bild der
Prozesse, die an Phänomenen der Selektiven Aufmerksamkeit beteiligt sind, beantwortet
werden müssen:
Die erste Fragestellung bezieht sich auf den Selektionsvorgang selbst. In diesem Kontext soll
untersucht werden wie der Zugang zu einem relevanten Kanal vor sich geht. Es sollte
spezifiziert werden, welche Eigenschaften spezifische Kanäle aufweisen und wie Reize
charakterisiert sein müssen, damit sie selegiert werden. Es wird also die Interaktion zwischen
Reiz und Kanal untersucht.
Die zweite Fragestellung beschäftigt sich mit den exekutiven Kontrollmechanismen zur
Einrichtung, Beibehaltung und Änderung eines Kanals. Anders ausgedrückt, könnte man
fragen, wie im experimentellen Kontext eine Instruktion zur selektiven Beachtung bestimmter
Merkmale umgesetzt wird.
Schließlich stellt sich noch eine dritte Frage, und zwar danach wie Reize weiterverarbeitet
werden, nachdem sie über einen Kanal selegiert wurden – oder auch gerade nicht selegiert
wurden – und welche Rückwirkungen dies möglicherweise (auch im Sinne von Lerneffekten)
auf weitere Selektionsvorgänge hat.
Die erste und die dritte Fragestellung sind bisher reichlich beforscht worden. Hingegen wird
immer wieder von verschiedenen Autoren betont, daß die zweite Problemstellung noch viele
offene Fragen enthält (Wijers et al., 1996; Mangun und Hillyard, 1995; Kok, 1999).
Allerdings liegen speziell in der neurophysiologischen, neuroanatomischen und
neuropsychologischen Forschung einige wegweisende Erkenntnisse hierzu vor (Posner und
Raichle, 1994; Cummings, 1995; Kolb et al., 1996).
2.1 Exitation und Inhibition 12
2 Inhibition
2.1Exitation und Inhibition
Spotlight-Theorien beleuchten lediglich den Aspekt, wie die Verarbeitung beachteter
Information erleichtert wird. Sie betrachten Selektion in der Regel als einen alleinig
exitatorisch arbeitenden Mechanismus (Fox, 1995; Broadbent, 1958).
Kok (1999, S.130) beschreibt den Zustand der Forschung zur Selektiven Aufmerksamkeit
folgendermaßen: „Although most studies of selective attention have focused on the facilitation
of relevant target information against a background of non-relevant information, there is
growing evidence that non-selected items are not passivly ignored but may also be activly
suppressed“. Der Mangel an Empirie zu inhibitorischen Mechanismen verwundert ein wenig,
wenn man bedenkt, daß schon in den Anfängen der experimentellen Psychologie kontrovers
über Inhibition und Exitation in der Aufmerksamkeit diskutiert wurde (Pillsbury, 1908).
Ein Grund für diesen Zustand liegt vermutlich auch in der Schwierigkeit geeignete
experimentelle Paradigmen zu entwerfen. In der Reaktionszeitforschung können
inhibitorische Prozesse nur als Nacheffekte gemessen werden, weil man hier auf offene
Reaktionen als Meßvariable angewiesen ist und zu ignorierende Reize eben gerade keine
offenen Reaktionen erfordern. Beispiele hierfür sind das Vorgehen im Negative-Priming-
Paradigma (Tipper, 1985), oder auch der Inhibition-of-Return-Effekt in einem Paradigma zur
exogenen räumlichen Aufmerksamkeit (Posner und Snyder, 1975). Eine Möglichkeit
neuronale Antworten auf irrelevante Information zu messen, eröffnet das EKP. Allerdings
bestehen hier große Probleme in der Implementierung einer geeigneten Kontrollbedingung
(mehr dazu in Abschnitt 3).
In biologisch ausgerichteten Forschungsfeldern wird das Thema offensiver angegangen. So
findet sich bei John Eccles (1977) das Zitat: „I always think that inhibition is a sculpturing
process. The inhibition, as it were, chisels away at the diffuse and rather amorphous mass of
excitatory action and gives a more specific form to the neuronal performance at every stage
of synaptic relay“. Zu dieser Sichtweise passend, vertritt Kok (1999) die Position, daß
herabgesetzte kognitive Leistungsfähigkeit nach einem Verlust neuronalen Zellmaterials in
präfrontalen und posterior-parietalen Arealen in erster Linie mit mangelhafter Inhibition
zusammenhängt. Ein mehrheitlicher Anteil der Neuronen in diesen Arealen wäre demnach für
Inhibition zuständig. Die Hauptaufgabe höherentwickelter neuronaler Strukturen wird in der
inhibitorischen Kontrolle automatisch gebahnter Aktivität gesehen. Rafal und Henik (1994)
2.2 Das Modell von Houghton und Tipper 13
führen hier als Beispiel die zunehmende Reflexkontrolle während der Ontogenese an, die in
dramatischer Weise nach Hirnschäden zusammenbrechen kann.
Weiterhin konnten Moran und Desimone (1985) und Desimone (1990) mit Hilfe von
Einzelzellableitungen zeigen, daß Zellen in V4 und im inferioren Temporallappen, deren
rezeptive Felder einen Distraktor erfassen, in ihrer Aktivität reduziert werden.
2.2Das Modell von Houghton und Tipper
Die Autoren möchten mit ihrem Modell zwei Mißstände beseitigen. Erstens müßten die
Repräsentationsformen spezifiziert werden, auf denen attentionale Prozesse arbeiten und
zweitens müßten auch die Algorithmen zur Ausführung dieser Prozesses genau gefaßt
werden.
Sie sehen ihren Ansatz als in den Annahmen grundlegend verschieden zu einem Modell von
LaBerge und Brown (1989). Dort werden drei Annahmen gemacht:
1. Selektion findet auf einer präkategorialen Ebene statt, dadurch erst wird der Zugang zu
einem Identifikationssystem mit begrenzter Kapazität ermöglicht.
2. Die aufmerksamkeitsbezogene Modulation der sensorischen Repräsentationen läuft immer
über eine Lokationsreferenz.
3. Diese Modulation ist eine exitatorische und erleichtert die Weiterleitung relevanter
Information.
Das Modell von Houghton und Tipper unterscheidet sich in allen drei Punkten. In ihrem
Modell sollen folgende Forderungen erfüllt werden:
1. Selektion kann nach automatischer Objektkodierung und semantischer Analyse
stattfinden, attentionale Operationen beziehen sich auf objektbasierte Repräsentationen.
2. Als wirksamen Modulationsmechanismus sieht das Modell neben Exitation auch eine
aktive Inhibition irrelevanter Information vor.
Die Autoren gehen mit Neumann (1987) davon aus, daß Selektion hauptsächlich wichtig für
Handlungen und nicht für die perzeptuelle Analyse ist, weil z.B. nicht eine Hand gleichzeitig
zwei Gläser Bier heben kann oder nicht zwei Wörter gleichzeitig ausgesprochen werden
können. Diese einer Handlung immanente Serialität prägt die höhere
Informationsverarbeitung und leitet selektive Vorgänge. Perzeption hingegen ist in normaler
Umgebung weitgehend schemageleitet automatisiert. Als einschränkende Ausnahme sehen sie
künstliche Laborbedingungen, in denen möglicherweise auch die Wahrnehmung künstlich
serialisiert wird, weil keine Wahrnehmungsschemata vorhanden sind.
2.2 Das Modell von Houghton und Tipper 14
Aus einer funktionalistischen Perspektive begründen die Autoren, warum eine objektbasierte
Repräsentation von Distraktoren sinnvoll ist. Nach ihrer Auffassung, sollten Non-Targets
nicht als störende Ablenker gesehen werden, sondern – in natürlicher Umwelt – als hilfreicher
Kontext, der die Verarbeitung des Targets erleichtert. Erst für eine Handlung muß dann die
relevante Targetinformation selegiert werden. Wie gesagt gilt dies natürlich nicht für
Laborexperimente, wie z.B. die Eriksen-Flanker-Task, wo Distraktoren zu Interferenz und
nicht zu Erleichterung führen. Entscheidend ist aber sicherlich, welche Bedingungen die
Funktionsweise des Aufmerksamkeitssystems phylo- und ontogenetisch geprägt haben, und
das sind nicht Laborbedingungen, sondern die natürliche Umwelt. Die Rolle der Selektiven
Aufmerksamkeit liegt also nicht so sehr in der Bildung einer internen Repräsentation der
Umwelt, sondern vielmehr in der geeigneten Verknüpfung von relevanten Objekten mit
relevanten Aktionen.
Für die Konzeption eines inhibitorischen Teilmechanismus wird angeführt, daß lediglich
Verstärkung im Sinne eines „Gain-Control“ schnell an die Grenzen der biologischen
Hardware stoßen würde. Wenn nämlich sowohl Target als auch Distraktor eine hohe
Intensität hätten, wäre allein über die Verstärkung des Targets bald ein Deckeneffekt erreicht
und eine Kontrastierung von Target und Distraktor wäre nicht mehr möglich. Das selbe
Problem gälte auch für einen isolierten Inhibitionsmechanismus bei in diesem Fall zu geringer
Intensität. Deshalb nehmen die Autoren einen opponenten Exitations-Inhibitions-
Mechanismus an, so daß immer ein relativer Kontrast hergestellt werden kann.
Die entscheidende Schnittstelle, an der Selektion eingreift, ist zwischen Objekt-
Repräsentation und Handlungsschema. Ein Handlungsschema stellen sich Houghton und
Tipper in Anlehnung an Norman und Shallice (1986) und Arbib (1990) als Programm mit
offenen Parametern (Variablen) vor. Nachdem ein bestimmtes Schema durch zentrale
Planungs- und Ausführungssysteme aktiviert worden ist, müssen die Variablen durch
Parameter von Objektmerkmalen aus Gedächtnis und Wahrnehmung spezifiziert werden.
Dieser Vorgang wird als „Binding“ bezeichnet. Damit nun kein beliebiges Binding durch
Merkmale irgendwelcher Objekte stattfindet, muß ein geeigneter Mechanismus dafür sorgen,
daß die Variablen nur durch Parameter eines einzigen Objekts – und zwar des richtigen –
besetzt werden. Für diesen als „Coupling“ bezeichneten Vorgang bedarf es eines
„strategically controlled selective attention mechanism“, der aus aktuellen Handlungszielen
heraus ableitet, wie ein Target auszusehen hat. Diese Vorgaben werden als “Attentional
Target“ (synonym mit Näätänens „Attentional Trace“) in einer separaten Repräsentation
kodiert. Das Parameter-Binding geschieht kompetitiv, was bewirkt, daß Informationen von
2.2 Das Modell von Houghton und Tipper 15
passenden und nicht-passenden Objekten derart verstärkt bzw. gehemmt werden, daß ein
erfolgreiches Coupling gewährleistet ist.
Die beschriebenen Leistungen werden in einem künstlichen neuronalen Netzwerkmodell
implementiert. Die Struktur des Modells wird nun folgend erläutert.
Im „Object-Field“ werden Objekte über spezifische synchrone Zusammenschaltungen von
merkmalstragenden Einheiten („Property-Units“) in „Cell-Assemblies“ repräsentiert. Jede
dieser Einheiten besitzt über jeweils eine selbstreferentielle exitatorische „On-Cell“-
Verbindung („On-Channel“) und eine selbstreferentielle inhibitorische „Off-Cell“-
Verbindung („Off-Channel“) eine im Freilauf neutrale „Gain-Control“-Einheit. Alle On- und
Off-Zellen sind paarweise miteinander verbunden, gleichartige Zellen exitatorisch und
verschiedenartige Zellen inhibitorisch, so daß objektrepräsentierende Cell-Assemblies
lediglich gespiegelt werden. Der Zustand der Property-Nodes wird also durch das Gain-
Control-System nicht verändert. Wird an irgendeiner Stelle im Gain-Control-System einer
Cell-Assembly eingegriffen, werden alle dazugehörigen Property-Units derart moduliert, daß
sich selbststabilisierend ein neuer Gleichgewichtszustand einstellt, der das Aktivationsniveau
der beteiligten Units geschlossen hebt oder senkt.
Das schon erwähnte Attentional-Target wird im „Target-Field“ wiederum in Property-Units
repräsentiert, die auch sensorische Merkmale tragen können, aber vollständig vom Object-
Field getrennt sind. In der biologischen Realität soll das Target-Field im präfrontalen Kortex
lokalisiert sein.
Die Beeinflussung des Parameter-Bindings geschieht nun nicht über direkte Verbindungen
zwischen Target- und Object-Field, sondern vermittelt durch das „Match-Mismatch-Field“.
Dieses Feld wird durch Paare von „Match-Mismatch-Units“ gebildet, die mit den Property-
Units der beiden anderen Felder korrespondieren. Eine Match-Unit wird nur aktiv, wenn
sowohl das zugeordnete Attentional-Target-Merkmal als auch das zugeordnete Objekt-
Merkmal aktiv sind, ansonsten feuert die komplementäre Mismatch-Unit. Die Match-Unit
aktiviert korrespondierende On-Zellen und inhibiert Off-Zellen, in genau umgekehrter
Richtung wirkt die Mismatch-Unit. Welches von mehreren Objekten nun den Binding-
Wettstreit gewinnt und an das Response-Schema gekoppelt wird, hängt davon ab, welches
Objekt das beste Verhältnis von aktivierten Match-Zellen zu aktivierten Mismatch-Zellen hat.
Die Verknüpfungen zwischen den im Object-Field repräsentierten Objekten und Kategorien
(z.B. „linker Finger“) einer Response-Variablen (z.B. „Finger heben“) werden in einer
Initialisierungsphase über eine Lernregel gelernt.
2.2 Das Modell von Houghton und Tipper 16
Das Netzwerkmodell ist dynamisch, d.h. es verändert sich mit der Zeit. Dies wird erreicht,
indem die Aktivierungszustände spontan abfallen, wenn sie positive Werte einnehmen
(„Passive Decay“) oder sich spontan erholen („Passive Recovery“), wenn sie negative Werte
einnehmen. Durch diese Zeitdimension können quasi-realistisch Verläufe von Inhibition und
Exitation modelliert werden.
2.3 Das Negative-Priming Paradigma
2.3.1 Das experimentelle Basis-Design und allgemeine Hypothesen
Das Negative-Priming Paradigma bietet die Möglichkeit, die Verarbeitung von ablenkender
Information zu analysieren. Wie bereits in Abschnitt 2.1 erwähnt, zeichnen sich Distraktoren
gerade dadurch aus, daß nicht auf sie reagiert werden soll. Man kann also entweder
untersuchen, wie sich die Anwesenheit von Distraktoren auf die Verarbeitung von relevanten
Zielreizen auswirkt, oder – und das ist der Ansatz des Negative-Priming – man versucht
herauszufinden, ob das Ignorieren eines Ablenkers irgendwelche Nachwirkungen auf
nachfolgende Reaktionen hat, wenn der neue Zielreiz eines oder mehrere derselben zuvor
ignorierten Reizmerkmale hat. Die Prozedur ist prinzipiell immer die gleiche: in einem Prime-
Trial werden Target und Distraktor(en) simultan dargeboten und nur auf das Target soll
reagiert werden. In einem darauf folgenden Probe-Trial wird der vorherige Distraktor (oder
Merkmale des Distraktors) zum relevanten Target, auf das reagiert werden soll. Als neutrale
Kontrollbedingung wird im Probe-Trial ein Reiz zum Target, der im Prime-Trial nicht
vorgekommen ist.
Geht man von einer rein exitatorischen Kontrastierung des Targets vor einem Distraktor-
Hintergrund aus, sollte im Probe-Trial noch eine Restaktivierung des Distraktors vorhanden
sein, je nach dem, wie schnell ein passiver Abfall der erhöhten Aktivierung vor sich geht und
abhängig davon, wie tief der Distraktor enkodiert wurde. Es würde im Vergleich zur
Kontrollbedingung eine erleichterte Verarbeitung stattfinden, also müßten schnellere
Reaktionszeiten erwartet werden.
Im Falle einer opponenten exitatorisch-inhibitorischen Kontrastierung (siehe Abschnitt 2.2),
wäre zu fragen, wie stark inhibitorische Einflüsse die initiale Aktivierung der
Distraktorrepräsentation senken. Würde sie unter ein neutrales Niveau gedrückt, wäre –
abhängig vom Ausmaß der passiven Erholung zurück zum neutralen Zustand– eine
Reaktionsverlangsamung im Vergleich zur Kontrollbedingung zu erwarten. Anderenfalls
dürften sich Kontroll- und Negative-Priming-Bedingung nicht unterscheiden oder es könnte
2.3 Das Negative-Priming Paradigma 17
Inhibition Inhibition
Variante I Variante II
Exitation
initiale Aktivierung
neutrales Niveau
sogar noch eine Restaktivierung vorhanden sein, so daß eine Reaktionszeitverkürzung
beobachtet würde. Diese drei Möglichkeiten sind in der Abbildung 2.1 veranschaulicht.2
Abbildung 2.1 Verschiedene Exitations- und Inhibitionsvarianten in Relation zu zwei vorstellbaren Kontrollbedingungen
2 Eine Überlegung um sinnvollere Kontrollbedingungen zu schaffen, könnte eine Positive-Priming-Bedingung
ohne Distraktor im Prime-Trial oder eine Negative-Priming-Bedingung ohne Target im Prime-Trial sein, um die
hypothetische Kontrolle in Abbildung 2.1 zu realisieren.
2.3.2 Negative-Identity-Priming versus Negative-Location-Priming
Es deutet einiges darauf hin, daß Aufgaben mit räumlichem Reaktionsbezug andere Systeme
involvieren als Aufgaben mit einem Reaktionsbezug auf die Identität eines Reizes.
Es wurden drei Dissoziationen zwischen diesen beiden Arten von Informationsverarbeitung
im Negative-Priming beobachtet, die die Annahme getrennter Systeme und unterschiedlicher
Mechanismen begründet. Zum einen wurde festgestellt, daß Negative-Location-Priming im
Gegensatz zu Negative-Identity-Priming, schon bei Kindern und auch noch bei Älteren
funktioniert (Fox, 1995). Zweitens kann die in Abschnitt 2.3.5 behandelte Feature-Mismatch
Hypothese zwar unter bestimmten Umständen Location-Priming erklären, Identity-Priming
hingegen niemals. Drittens finden sich konsistente Identitäts-Effekte nur bei Distanzen, die
kleiner als ca. 1° Sehwinkel sind. Lokations-Effekte sind auch bei größeren Distanzen
zwischen Target und Distraktor zu beobachten.
Im Hinblick auf die Besprechung der Psychophysiologie der Selektiven Aufmerksamkeit
(Abschnitt 3), ist wichtig festzuhalten, daß sich die gerade getroffene Unterscheidung
zwischen räumlicher und nicht-räumlicher Verarbeitung auf die Verwendung eines zu
selegierenden Reizes bezieht. Im dritten Abschnitt werden auch Dissoziationen bezüglich der
Art perzeptueller Selektionskriterien thematisiert. Im einen Fall geht es um „Selection for
Action“ (im Sinne von Norman und Shallice, 1986), im anderen Fall um „Selection for
Perception“ (im Sinne von Treisman und Gelade, 1980).
Target Distraktor DistraktorNeutraleKontrolle
hypothe-tischeKontrolle
Mögliche Voraktivierungen im Prime-Trial
2.3 Das Negative-Priming Paradigma 18
2.3.3 Auf welcher Verarbeitungsebene findet Hemmung statt?
In Abschnitt 1.1.2 wurde die Frage behandelt, auf welcher Verarbeitungsebene Selektion
stattfindet. Deshalb muß auch für Hemmungsprozesse geklärt werden, auf welche
Repräsentationen sie einwirken. Es gab eine Vielzahl von Studien, die sehr widersprüchliche
Ergebnisse geliefert haben. Es wurde sowohl auf der Ebene verschiedenster physikalischer
Merkmale, als auch auf der Ebene semantischer Kategorien Negative-Priming nachgewiesen
(Fox, 1994). Eine integrative und klärende Perspektive wird von Tipper et al. (1994)
eingenommen. Die Autoren reanalysieren einige Studien und kommen zu dem Schluß, daß
immer nur diejenigen Merkmale eines Objektes selektiv gehemmt werden, die für das
Handlungsziel relevant sind. Es wird damit explizit der aktuellen Version des Modells von
Houghton und Tipper (1994) widersprochen. Das Modell ist so konzipiert, daß die
Modulation der Aktivation eines einzelnen Merkmals die Neustabilisierung der gesamten
Object-Cell-Assembly auf einem neuen Niveau nach sich zieht. Deshalb werden Negative-
Priming-Effekte bezüglich aller –und nicht nur der zielbezogenen– Eigenschaften des
ignorierten Objektes vorhergesagt.
In einer Serie von Studien (Tipper et al., 1994; Milliken et al., 1994) werden Lokalisierungs-
und Identifikationsaufgabe orthogonal mit identischem Reizmaterial variiert. Die Reize
bestehen aus farbigen Buchstaben, die auf vier sternförmig angeordneten Positionen
(Distanzen zwischen 0.8° und 2.4°) erscheinen und aufgrund ihrer Farbe ausgewählt werden
sollen. Es wurde nun für beide Aufgaben variiert, wieviel der drei Buchstabeneigenschaften
(Farbe, Identität, Lokation) von Prime-Distraktor und Probe-Target geteilt werden. Die
Vorhersage war, daß immer nur bei Beteiligung der aufgabenbezogenen Dimension (entweder
Identität oder Lokation) ein Effekt eintreten würde. Die Ergebnisse sind nur teilweise
hypothesenkonform. Für die Lokationsaufgabe sind die Vorhersagen klar bestätigt. In der
Identitätsaufgabe spielt die Lokation aber eine sogar größere Rolle als die Identität. Letzteres
könnte etwas mit den relativ großen Winkeln zu tun haben, denn Identitätseffekte wurden –
wie bereits erwähnt– konsistent nur für Winkel kleiner als ca. 1° gefunden (Fox, 1995).
2.3.4 Alternativerklärung I: Episodic Retrieval
Als Alternative zur Inhibitionstheorie geht diese Erklärung davon aus, daß Informationen aus
dem Probe-Trial als Abruf-Cue für die Prime-Episode wirken. Zusammen mit der gesamten
raum-zeitlichen Struktur der Episode wird auch abgerufen, daß auf den Distraktor nicht
reagiert werden durfte. Dies führt zu einem Widerspruch mit der aktuellen
2.3 Das Negative-Priming Paradigma 19
Handlungsanweisung, nämlich diesmal auf den zuvor ignorierten Reiz zu reagieren. Es gibt
nun zwei Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit des korrekten Abrufs der Prime-Episode
beeinflussen. Erstens läßt sich fragen, wie spezifisch die Abruf-Cues im Probe die Prime-
Episode reaktivieren. Hierzu haben DeSchepper und Treisman (1991) gezeigt, daß Nonsense-
Figuren signifikant größeres Negative-Priming produzierten, wenn sie nicht wiederholt
dargeboten wurden sondern nur einmal im ganzen Experiment auftauchten.
Ein ähnliches Argument für die Retrieval-Hypothese bezieht sich auf die kontextuelle
Ähnlichkeit von Prime- und Probe-Trial. Es wurde immer wieder gefunden, daß der Negative-
Priming-Effekt zum Teil radikal reduziert sein kann, wenn kein Distraktor im Probe
vorhanden ist (Fox, 1995). Diesen Effekt kann allerdings auch das Modell von Houghton und
Tipper (1994) bestens vorhersagen, weil hier der entscheidende Prozeß bei der
Reaktionsgenerierung das konkurrierende Response-Binding simultan aktivierter Target- und
Distraktor-Repräsentationen ist. Diese Konkurrenz dauert um so länger an, je mehr Aufwand
notwendig ist, die Target Repräsentation auf ein relativ zum Distraktor höheres
Aktivationsniveau zu bringen. Wenn keine Konkurrenz besteht, kann die korrekte Reaktion
initiiert werden, ohne das auf den durch Inhibition verzögerten Vergleichsprozeß gewartet
werden muß. Ähnlich argumentieren auch Desimone et al. (1990), die vergleichbare
Phänomene auf Zellebene beobachten. Sie gehen davon aus, daß Aufmerksamkeitsprozesse
nur dann eingreifen, wenn Mehrdeutigkeiten aufgelöst werden müssen.
Ein zweiter Gesichtspunkt ist die zeitliche Diskriminierbarkeit der Prime-Episode.
Neill et al. (1992) zeigen in einer Untersuchung zur Permanenz von Inhibition mit einem
Location-Priming-Setting, daß der Negative-Priming-Effekt nur sehr schwach von der
absoluten zeitlichen Distanz zwischen Prime und Probe abhängt. Viel entscheidender wirkt
sich die Wahrscheinlichkeit eines korrekten Abrufs der Prime-Episode aus. Das hängt
wiederum von der zeitlichen Diskriminierbarkeit dieser Episode vor dem Hintergrund
vergangener Episoden ab. Die Diskriminierbarkeit hängt nach Baddeley (1976) direkt vom
Verhältnis von zeitlichem Abstand der Prime-Episode zu zeitlichem Abstand vorhergehender
Episoden ab. Vergeht zwischen Prime und Probe nur wenig Zeit (RSI = 500 ms) und
zwischen Prime und dem vorherigen Trial viel Zeit (PRSI = 4000 ms), so ist die Prime-
Episode gut von vorherigen Episoden abgehoben. Beträgt das RSI 500 ms und das PRSI
ebenfalls 500 ms, so ist die Diskriminierbarkeit schlechter und bei einem RSI von 4000 ms
und einem PRSI von 500 ms schließlich ist die Diskriminierbarkeit am schlechtesten. Die
Ergebnisse von Neill et al. entsprechen genau diesem Modell. Der Negative-Priming-Effekt
war um so größer, je besser die Prime-Episode diskriminierbar und damit abrufbar war. Die
2.3 Das Negative-Priming Paradigma 20
Beispiel 1: (Prime) X O Übliches Vorgehen, z.B. Neill et al. (1992), Target =O¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯
(Probe) O X¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯
__________________________________________________________________________________________________
Beispiel 2a: (Prime) X O Beispiel 2b: X O Match/Mismatch vs.¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ Inhibition/Facilitation,
(Probe) O X X O nach Park & Kanvisher (1994)¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ Experiment 4
_________________________________________________________________________________________________
Beispiel 3a: (Prime) X O Beispiel 3a: X O Park & Kanvisher, Experiment 5¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ ¯ Target im Probe = O
(Probe) O X X O
absolute zeitliche Distanz zwischen Prime und Probe (500 ms vs. 4000 ms RSI über beide
PRSI aggregiert) spielte hingegen nur eine geringe Rolle.
Insgesamt bewertet, bietet die Episodic-Retrieval Theorie eine mögliche Erklärung des
Negative-Priming Effekts, ohne Inhibition annehmen zu müssen. Allerdings lassen sich – bis
auf eines – alle Ergebnisse auch durch selektive Inhibition erklären. Allein die Ergebnisse von
Neill et al. zum Einfluß der zeitlichen Diskriminierbarkeit, lassen sich nur im Rahmen der
Theorie von Baddeley (1976) erklären. Allerdings kann Inhibition als grundlegende Ursache
der Reaktionszeitverlangsamung nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr kann gefolgert
werden, daß Inhibition an die spezifische Prime-Episode gebunden ist und nur beim
erfolgreichen Abruf der Episode auch offenbar wird.
2.3.5 Alternativerklärung II: Feature Mismatch
Park und Kanvisher (1994) haben mit einer prinzipiell gleichen experimentellen Anordnung
wie Neill et al. (1992), ihrer Meinung nach zeigen können, daß ein vorheriges Ignorieren des
Probe-Targets weder notwendig noch hinreichend ist, um einen Effekt im Negative-Location-
Priming zu erhalten. Ihrer Auffassung nach ist dieses Phänomen vielmehr eine Folge eines
sogenannten „Feature-Mismatch“. Dieser Mismatch kommt zustande, weil Objekte an Orte
gebunden werden und diese Assoziation wieder gelöst werden muß, wenn ein neues Objekt
mit veränderten Merkmalen an einen zuvor schon besetzten Ort gebunden werden soll.
Üblicherweise wird in dieser Art von Location-Priming Prozedur einer von zwei Buchstaben
dauerhaft zum Target erklärt. Target und Distraktor erscheinen gleichzeitig an zwei von vier
Positionen. Eine Negative-Priming-Bedingung ist dann hergestellt, wenn das Probe-Target an
der selben Stelle wie der Prime-Distraktor erscheint (Abbildung 2.2, erstes Beispiel).
Abbildung 2.2 Beispiele für verschiedene Abwandlungen des Negative-Lokation-Priming.
2.3 Das Negative-Priming Paradigma 21
Wenn das Target (O) im Probe an der Stelle des vorherigen Distraktors (X) erscheint, sind die
Reaktionszeiten verlängert und die Fehlerraten erhöht. Park und Kanvisher postulieren nun,
daß nicht die ignorierte Lokation gehemmt wird, sondern daß in der Negative-Priming-
Bedingung zwangsläufig immer auch ein Wechsel des Buchstabens (vom festen Distraktor-
zum festen Target-Buchstaben) an der ignorierten Position stattfindet und einen Mismatch
auslöst, der Reaktionszeiten und Fehlerraten erhöht.
In diesem Sinne konnten Park und Kanvisher – wie in Abbildung 2.2 im zweiten Beispiel
veranschaulicht – zeigen, daß, selbst wenn die Probe-Target-Lokation im Prime beachtet
wurde, eine sehr starke Reaktionszeitverlängerung verglichen mit einer Kontrollbedingung
beobachtet werden konnte ( ��������� ������������������� 2 = 0.56; dx3= -65 ms; 144
Trials/Bedingung). Und zwar genau dann, wenn die Identitäten von Prime-Target und Probe-
Target verschiedene waren (Mismatch Bedingung). Genauso verkürzten sich die
Reaktionszeiten drastisch (t(15) = 4.8; mit MW � 2 = 0.41; dx= 45 ms), wenn die Identitäten
von Prime-Distraktor und Probe-Target dieselben waren und jeweils an derselben Stelle
präsentiert wurden (Match-Bedingung). Nach der Inhibitionstheorie wäre genau
entgegengesetzt im ersten Fall eine Verkürzung (Facilitation) und im zweiten Fall eine
Verlängerung (Inhibition) der Reaktionszeiten erwartet worden. Diese beiden Bedingungen
lassen sich jedoch nur realisieren, indem der zu beachtende Buchstabe von Prime zu Probe
gewechselt wird (Switch). Das ist eine Modifikation des bis dahin praktizierten Vorgehens
mit einem festgelegtem Target-Buchstaben.
In Experiment 5 (siehe Abbildung 2.2, Beispiel 3) wurden Effekte in die gleiche Richtung
gefunden, wenn im Prime-Trial nicht selegiert und reagiert werden sollte und im Probe auf
einen festgelegten Zielreiz (O) reagiert werden mußte (Nonswitch). Die Effektgrößen sind
hier allerdings deutlich geringer. Für die Match-Bedingung ergibt sich ein 2 = 0.26 (t(25)=
4.4; mit MW; dx= 24 ms) und für die Mismatch-Bedingung ein 2= 0.17 (t(25)= 3.4; mit
MW; dx= -17 ms ).
In Experiment 1 von Neill et al. mit üblichem Vorgehen wurde ein Negative-Priming-Effekt
von 2= 0.83 (F(1,17)= 177.2; mit MW; dx= -25 ms; 300 Trials/Bedingung) und in
Experiment 2 von 2= 0.61 (F(1,17)= 55.4; mit MW; dx= -25 ms) gefunden.
Vergleicht man die sehr unterschiedlichen Effektgrößen, scheint es notwendig, entgegen der
eindeutigen Interpretation von Park und Kanvisher, vielleicht doch andere Überlegungen mit
einzubeziehen.
3 Legende: MW=Meßwiederholung; dx=Mittelwertsdifferenz
2.3 Das Negative-Priming Paradigma 22
Milliken et al. (1994) konnten zeigen, daß die Match-Mismatch-Erklärung nicht mehr gültig
ist, wenn der Farb-Cue gleichzeitig (statt 300 ms vorher) mit dem Probe-Reiz dargeboten
wird. Wenn nämlich der Cue Informationen über den Prime-Distraktor enthält, kann schon im
Cue-Probe Intervall die Inhibition der Distraktor-Repräsentation wieder abgebaut werden, so
daß Positive-Priming-Effekte gefunden werden. Dieser „Pre-Cue“-Vorteil besteht bei
simultaner Darbietung von Cue und Probe nicht mehr.
Ebenfalls gilt die Mismatch-Erklärung offenbar nicht für Negative-Identity-Priming
Prozeduren. Allport (1985) und Tipper und Cranston (1985) haben nachgewiesen, daß
Negative-Priming-Effekte in einer Aufgabe zur Benennung von überlagerten Buchstaben
nicht durch Mismatch sondern nur durch selektive Inhibition erklärt werden können.
Ein weiterer Einwand gegen die allgemeine Gültigkeit der Feature-Mismatch Hypothese liegt
in den großen Distanzen zwischen Distraktor und Target begründet, die in der typischen
Location-Priming-Prozedur weit größer als 1° sind. Konsistente Negative-Identity-Priming-
Effekte finden sich aber nur bei Distanzen, die kleiner als ca. 1° sind.4
4 Allerdings könnte gerade deshalb die Wahl der großen Distanzen für Location-Priming-Prozeduren sinnvoll
sein, denn nach dieser Logik wären dann Identity-Priming-Effekte ausgeschlossen und reine Lokation-Priming-
Effekte könnten unbeeinflußt untersucht werden, wenn sie denn bei so großen Distanzen existierten.
Fazit: Abschließend sollte festgehalten werden, daß wohl alle vorgeschlagenen Einflüsse
ihren Beitrag zum Negative-Priming-Effekt leisten. Unter bestimmten Umständen werden
Inhibitionseffekte überlagert (Feature-Mismatch) oder an zusätzliche Bedingungen geknüpft
(Episodic-Retrieval). Möglicherweise bietet das EKP die Möglichkeit, die verschiedenen
Einflußvariablen voneinander zu trennen.
3. Psychophysiologie der visuellen Selektiven Aufmerksamkeit ... 23
3 Psychophysiologie der visuellen Selektiven Aufmerksamkeit:
Experimentelle Designs, EKP-Komponenten und Einflußvariablen
EKP-Untersuchungen bringen den großen Vorteil mit sich, daß auch zu ignorierende Reize
eine hirnelektrische Antwort produzieren, ohne daß eine offene Reaktion erforderlich wäre.
(Wijers et al., 1996; S.485). Es kann somit die Aussage getroffen werden, daß spätestens ab
Einsetzen eines Differenzpotentials zwischen beachteten (relevanten) und ignorierten
(irrelevanten) Reizen die selektive Verarbeitung begonnen haben muß. Keine Aussage ist
allerdings möglich, ob die Effekte gerichteter Aufmerksamkeit in einer zusätzlichen oder
verstärkten Verarbeitung des relevanten Reizes bestehen, oder ob beispielsweise mit Tipper
(1985) nicht genauso gut eine zusätzliche oder inhibierende Verarbeitung irrelevanter
Information denkbar ist (siehe auch Näätänen 1988; Kok, 1999, S.140).
Für einen direkten Test müßte eine neutrale Kontrollbedingung mit weder zu ignorierenden
noch zu beachtenden Reizen realisiert werden. Bleibt allein die Frage, wie so etwas aussehen
sollte (Rugg, 1990; Rafal, 1994, S.10)!
Ein Ansatz hierzu wurde von Posner (1978) vorgeschlagen. Ein Cue gibt vor, an welcher
Position der nächste Reiz mit größerer Wahrscheinlichkeit erscheint. In der „validen“
Bedingung ist die Position richtig angezeigt, in der seltenen „invaliden“ Bedingung ist die
Cue-Information falsch. In einer dritten „neutralen“ Bedingung enthält der Cue keine
Information über die Position des folgenden Reizes. Kritisch betrachtet, wird hier allerdings
eher die Verarbeitung unter fokussierter (valide und invalide Cues) mit der unter geteilter
Aufmerksamkeit (neutrale Cues) verglichen (EKP-Ergebnisse siehe unten).
Ein anderer Ansatz findet sich nach Kok (1999, S.140) in De Ruiter, Kok und Schoot (1998),
die eine starke okzipitale Positivierung (150-320 ms) auf visuelle Stimuli beobachten, wenn
gleichzeitig eine stark fordernde auditorische Aufgabe bewerkstelligt werden muß. Die
Topographie ist dieselbe, wie die einer „Selection-Negativity“, wenn dieselben visuellen
Reize ohne eine Zusatzaufgabe verarbeitet werden. Allerdings ist auch hier die Frage, ob die
Positivität einfach nur den Abbruch der Aktivierung visueller Repräsentationen bedeutet oder
eher eine modalitätsbezogene aktive Unterdrückung der visuellen Information darstellt. Im
letzteren Fall wäre die Bezeichnung „Rejection-Positivity“ berechtigt (Alho, Woods und
Algazi, 1994). Für die auditorische Modalität wurde ähnliches gezeigt (Michie, Solowij,
Crawford und Glue, 1993).
Die Interpretation der Differenzpotentiale bleibt also dem theoretischen Rahmen geschuldet,
oder muß auf empirisch begründete Zusatzannahmen bauen. So findet sich beispielsweise im
3. Psychophysiologie der visuellen Selektiven Aufmerksamkeit ... 24
Paradigma von Posner (1978) eine endogene Verstärkung der P1 und N1 für valide versus
invalide Reize bei räumlicher selektiver Aufmerksamkeit (Mangun und Hillyard, 1991). Ein
Vergleich dieser beiden Bedingungen mit der neutralen Bedingung, zeigt eine qualitative
Dissoziation auf: Während valide Trias ausschließlich mit einer Erhöhung der N1-Amplitude
einhergehen, findet sich für invalide Trials ausschließlich eine Reduktion der P1-Amplitude in
Relation zur Kontrollbedingung. Man könnte nun also argumentieren, daß Inhibition sich in
der P1 und Exitation sich in der N1 widerspiegelt (Hillyard, Luck und Mangun, 1994). Für die
nicht-räumliche Selektion scheinen solche Vergleiche mit dieser Art von „neutraler“
Bedingung nicht unternommen worden zu sein.
Die übliche Prozedur zur Erfassung des Differenzpotentials beinhaltet nach Wijers et al.
(1996, S.486, S.499) die zufällig sequenzierte, sukzessive und schnelle (<1000 ms ISI)
Darbietung einzelner relevanter und irrelevanter Reize. In räumlichen Selektionsaufgaben in
der Regel mit einem Abstand zum Fixationspunkt von mindesten 3° visuellem Winkel. Damit
ist leider die Situation gegeben, daß fast alle Untersuchungen zu grundlegenden Mechanismen
der Selektiven Aufmerksamkeit in einer prozeduralen Form durchgeführt wurden, die mit
dem üblichen Vorgehen im Negative-Priming-Paradigma nicht kompatibel ist, da hier
relevanter und irrelevanter Reiz in einer mehrgliedrigen Reizvorlage simultan dargeboten
werden. (Wijers et al., 1996; Kok, 1999).
Ein zum Negative-Priming eher vergleichbares Vorgehen findet sich im Paradigma der
„Visuellen Suche“, das vorrangig zum Studium von Prozessen im Arbeitsgedächtnis benutzt
wird. Sich also eher mit „später“ Reizevaluation im Arbeitsgedächtnis als mit „früher“,
perzeptiver Reizselektion auseinandersetzt.
Eine häufig verwendete analytische Erweiterung ist die Berechnung des lateralisierten
Bereitschaftspotentials (LRP) (Wijers et al., 1996; Sommer, Ulrich, Leuthold, 1995; Coles et
al., 1995). Hierin spiegeln sich reaktionsvorbereitende Prozesse wider.
Es steht also mit den angesprochenen experimentellen Designs ein Spektrum an
Einsichtsmöglichkeiten zur Verfügung, mit denen Aufmerksamkeitsprozesse auf allen Ebenen
der Informationsverarbeitung erfaßt werden können.
Im folgenden sind nun einige für die vorliegende Studie relevante experimentelle Prozeduren
und experimentelle Variationen detaillierter vorgestellt.
3.1Reiz-Perzeption
Mit der „Einfachen Selektionsaufgabe“ (Wijers, 1996, S.487) können selektionsbezogene
EKP-Phänomene auf perzeptueller Ebene untersucht werden. Es wird definiert, welches
3.1 Reiz-Perzeption 25
physikalische Reizmerkmal zu beachten ist oder auch welche Konjunktion mehrerer
Merkmale relevant ist. Jeder Reiz, der dem Selektionskriterium entspricht, soll beachtet
werden. Reaktionen sind nicht erforderlich, aber sinnvoll, um die Vpn zu motivieren. Es
können mit diesem Paradigma Aspekte der in Abschnitt 1.2.7 genannten ersten empirischen
Fragestellung behandelt werden. Es kann nun geprüft werden, ob Selektion aufgrund
verschiedener Merkmale, unterschiedliche Variationen im EKP hervorruft, oder ob Klassen
von Merkmalen existieren, die den selben Prozessen unterliegen. Indem Reize in ihrer
Ähnlichkeit mit dem relevanten Merkmal variiert werden, kann anhand der Größe und Latenz
des Potentials die Bandbreite des Aufmerksamkeitskanals bestimmt werden. Mit
mehrdimensional bestimmten Kanälen, können hierarchische Abhängigkeiten der Selektion
untersucht werden.
3.1.1 Visuell-räumliche Verarbeitung
In der visuellen Modalität hat sich gezeigt, daß grundlegend verschiedene EKP-Phänomene
für einerseits räumliche und andererseits nicht-räumliche Selektion zu beobachten sind.
Die räumliche Selektion ist mit lateralisierten Modulationen der exogenen posterioren
Komponenten P1 und N1 verbunden (weil weder Latenzen noch Topographien anders als bei
der exogenen Auslösung sind). Es wurden auch spätere Effekte gefunden, die aber sehr
uneinheitlich und vermutlich aufgabenspezifisch sind (Wijers, S.500). Nach Mangun und
Hillyard (1995) sind diese Effekte einer Schwellenkontrolle („Gain-Control“ oder „Sensory
Gating“) zuzuschreiben, die die Erregbarkeit derjenigen neuronalen Netzwerke moduliert, die
für eine sensorische Kodierung zuständig sind. Vergleicht man das EKP auf relevante mit
dem auf irrelevante Reizen, findet sich ein Verstärkungseffekt für P1 und N1. Wie schon in
der Einleitung zu Abschnitt 3 beschrieben wurde, setzt er sich zusammen aus einer Reduktion
der P1 für irrelevante und einer Verstärkung der N1 für relevante Reize verglichen mit einer
neutralen Bedingung. Während die P1 in ersten Durchgängen einer Sequenz noch nicht
vorhanden ist, wird die N1 gerade von ersten Reizen besonders gut ausgelöst (Wijers, 1996).
Wie in Abschnitt 3.3 genauer beschrieben wird, scheint der N1-Effekt weniger ein Index für
Schwellenregulierung als vielmehr eine Switch-Operation oder die Bereitstellung zusätzlicher
Verarbeitungsressourcen anzuzeigen. Nimmt man die Ergebnisse von Moran und Desimone
(1985) hinzu, die auf neuronaler Ebene ausschließlich Hemmungsprozesse in den
sensorischen okzipito-temporalen Arealen finden konnten, so deutet sich an, daß das „Sensory
Gating“ ausschließlich durch Hemmung bewerkstelligt wird. Nach Mangun und Hillyard
(1995) setzt sich die N1 aus einer Vielzahl von über den Schädel verteilten
3.1 Reiz-Perzeption 26
Unterkomponenten mit leicht unterschiedlichen Latenzen zusammen. So gibt es z.B. eine
okzipito-temporale und eine okzipito-parietale N1 (Johannes et al., 1992; Mangun et al.
1993), die beide lateralisiert sind. Demgegenüber wird eine frontale, nicht-lateralisierte N1
mit einer etwas früheren Latenz beobachtet.
3.1.2 Visuell-nicht-räumliche Aufmerksamkeit
Die nicht-räumliche Selektion findet ihren Ausdruck in einer erhöhten posterioren Negativität
frühestens ab ca. 150 ms und wird – weil sie ein ähnliches Verhalten zeigt – in Anlehnung an
Erkenntnisse aus der auditiven Modalität auch als Negative-Difference (Nd) bezeichnet
(Näätänen, 1988, 1990). Nach Smid et al. (1997) wird das selbe Phänomen auch „Selection
Negativity“ (SN) genannt. In der auditiven Modalität ist Selektion merkmalsunspezifisch
immer mit einer Nd verbunden (schon ab ca. 70 ms). In der visuellen Modalität geht diese
posteriore Negativität (ab 150 ms) nach Wijers et al. (1996, S.500) mit einer anterioren
Positivität einher und wird ab ca. 200 ms gefolgt von einem zweiphasischen N2b-P3a
Komplex. Der Autor vermutet, daß der frühe Effekt die Selektion selbst widerspiegelt,
während der N2b-P3a Komplex den Zugang der selegierten Information zur
kapazitätslimitierten Weiterverarbeitung widerspiegelt. Kok (1999) charakterisiert N2b und
P3a (Novelty-P3, max. FCz) auch als Orientierungsreaktion auf neuartige, unerwartete Reize,
die schnell habituiert. Dieser Komplex kann auch durch Reize im unbeachteten Kanal
ausgelöst werden und wird dann als kurzzeitige Orientierungsreaktion hin zum irrelevanten
Kanal interpretiert (Wijers et al., 1996). Nach Mangun und Hillyard (1995) wird häufig auch
eine frontale P2 auf relevante Reize beobachtet. Diese Komponente ist vermutlich identisch
mit einer von Wijers (1996) beschriebenen anterioren Positivität.
Die nicht-räumliche Selektion ist in der Regel der räumlichen hierarchisch untergeordnet.
Diese Hierarchie zeigt sich z.B. wenn Reize aufgrund von Farbe und Ort selegiert werden
sollen. Die Verstärkung von P1 und N1 (siehe Abschnitt 3.1.1) findet immer statt, auch wenn
die Farbe nicht relevant ist, die Nd hingegen wird nicht mehr generiert, wenn der Ort
irrelevant ist. Diese Hierarchie ist allerdings nicht absolut. Wenn die Bestimmung der
Lokation erschwert wird, findet man eine Nd auf relevante Farben bei gleichzeitig irrelevanter
Lokation (Hillyard und Münte, 1984). Diese und andere Ergebnisse werden so interpretiert,
daß Selektion über Orte der schnellere und effektivere aber nicht obligatorische Weg ist.
Die Nd wird berechnet, indem das Potential für relevante von dem für irrelevante Reize
subtrahiert wird. Es hat sich gezeigt, daß für jeden Reiz eine Negativität entsteht, die jedoch
um so länger anhält und um so größere Amplituden entwickelt, je ähnlicher sie dem
3.2 Reiz-Evaluation 27
relevanten Kanal ist. Diese Negativität wird auch Processing-Negativity (PN) genannt
(Näätänen, 1990) und hält solange an, bis der Vergleich zwischen kanaldefinierenden
Merkmalen und dem aktuellen Reiz abgeschlossen ist. Dieser Vergleich ist nicht erschöpfend,
d.h. sobald ein Merkmal als nicht-passend erkannt ist, wird die Analyse des Reizes
abgebrochen. Ein Target-Reiz wird solange verarbeitet, bis jedes Merkmal abgeglichen ist.
Aus den genannten Gründen ist die Latenz der Nd um so größer, je ähnlicher sich Non-Target
und Target sind. Die Nd ist in eine frühe perzeptionsbezogene Komponente (Nde) und eine
späte, nur vom Target beeinflußte evaluationsbezogene Komponente (Ndl) aufgeteilt worden
(Wijers et al., 1996). Die Nde entwickelt sich erst nach einigen (3-6) Durchgängen zu
maximaler Amplitude und minimaler Latenz. Auch nach längeren ISIs zwischen Reizen einer
Sequenz oder wenn die relevanten Reize seltener auftreten, ist sie reduziert. Näätänen (1988,
1990) interpretiert die Nde im Sinne eines Abgleichs zwischen anstehendem sensorischen
Input und einem Modell der relevanten sensorischen Information. Dieses Modell – als
„Attentional Trace“ bezeichnet – ist von „afferenter“ Verstärkung abhängig und kann deshalb
erst nach Interaktion mit relevanter Information in die Verarbeitung eingreifen.
Es wird allerdings auch die Vermutung geäußert (Wijers et al., 1996; Mangun und Hillyard,
1995), daß die visuelle Nd ein spezifischer Effekt der Farbselektion ist und Negativitäten auf
andere Merkmale eher mit objektbasierter später Selektion oder Weiterverarbeitung unter
serieller Kontrolle zusammenhängen. In dieser Weise können z.B. die lateralisierten Effekte
von N2 und N2pc interpretiert werden (siehe auch Abschnitte 3.2 und 3.4.1). Dies wären dann
eher Indizes der Reiz-Evaluation.
3.2Reiz-Evaluation
Die in diesem Abschnitt behandelten Fragen, sind relevant für diejenigen Prozesse, die beim
Negative-Lokation-Priming – nach erfolgter perzeptueller Analyse – dem Response-System
die Lokation des relevanten Reizes verfügbar machen.
Die „Zweifache Selektionsaufgabe“ (Wijers et al., 1996) definiert wie gehabt einen „Kanal“,
allerdings sind jetzt nicht alle durch den Kanal herausgefilterten Reize auch gleichzeitig
relevant für eine weitere Analyse. Unterschiede im EKP lassen dann Schlüsse über die
aufgabenbezogene sogenannte „Evaluation“ eines einmal selegierten und als Perzept
zugänglichen Reizes zu (Abschnitt 1.2.7: dritte empirische Fragestellung). Evaluation heißt
hier soviel wie die Bedeutung eines Reizes im aktuellen Kontext zu erschließen und damit
auch seine auf das aktuelle Handlungsziel bezogene Verwendbarkeit zu erkennen. Evaluation
ist auch als Form der kontrollierten, seriellen Verarbeitung zu verstehen.
3.2 Reiz-Evaluation 28
Die hier gemachte klare Trennung zwischen Selektions- und Evaluationsprozessen verwischt,
wenn die den Kanal definierenden Eigenschaften nicht mehr rein physikalisch-sensorische
Reizmerkmale, sondern eher objektbezogene oder gar zweckbezogene Qualitäten betreffen.
Die in Abschnitt 3.1 beschriebenen perzeptionsbezogenen EKP-Effekte werden von allen
Reizen ausgelöst, die dem definierten sensorischen Kanal entsprechen, egal ob sie weiter
verwendet werden sollen oder nicht. Die Komponenten, die spezifisch nur für
aufgabenrelevante Reize ausgelöst werden, sind einmal die zentro-parietale P3b und weiterhin
sogenannte „Processing-Negativities“ (PN), wie z.B. die lateralisierte posteriore N2 oder
N2pc (Heinze et al., 1990; Eimer, 1996; Luck et al. 1993). Anders als Nd und P1 werden sie
auch schon durch erste Reize einer Sequenz hervorgerufen. Das bedeutet, daß Selektion auch
auf einer späten Verarbeitungsebene stattfinden kann, wenn frühe Mechanismen noch nicht
eingreifen konnten. Die Latenz der P3b wird als Index für das Ende der Reizevaluation
gesehen. Die P3b selbst gilt als Index für „Context-Updating“. Was soviel bedeutet, wie das
Arbeitsgedächtnis auf den neuesten Stand zu bringen und alle möglichen Parameter aufgrund
der neuen Ereignisse für zukünftige Informationsverarbeitung neu anzupassen. Die
Reizevaluation selbst geht einher mit den erwähnten PNs, die je nach Aufgabe verschiedene
Topographien aufweisen (Wijers, 1996; Mangun und Hillyard, 1995). Sowohl die P3b-
Amplitude als die Negativitäten sind empfindlich für die Aufteilung von
Verarbeitungsressourcen. So zeigte sich im Zweitaufgaben-Paradigma, daß die P3b-
Amplitude nach einer Trade-Off Funktion zwischen beiden Aufgaben aufgeteilt wird, je nach
dem wie wichtig (z.B. über Belohnung induziert) die Aufgaben jeweils sind (Wijers, 1996).
Mein Eindruck ist, daß nicht klar herausgearbeitet ist, worin der Unterschied zwischen
selektionsbezogener und evaluationsbezogener PN besteht (siehe Wijers et al., 1989:
„Selection-Negativity“ versus „Search-Negativity“). Möglicherweise spiegeln sie in
vergleichbarer Weise selektive Verarbeitung auf unterschiedlichen Ebenen wider. Im einen
Fall heißt es dann Perzeption und im anderen Fall Evaluation.
Direkt reaktionsvorbereitende Prozesse bilden sich nicht in P3b-Amplitude oder -Latenz ab,
sondern im Bereitschaftspotential, das aus mehreren Komponenten zusammengesetzt ist
(Kok, 1999, S.137). Die spezifische „Programmierung“ motorische Abläufe wird im
Lateralisierten Bereitschaftspotential (LRP) sichtbar (Sommer et al., 1996). Die Beiträge zum
LRP werden vermutlich im motorischen Kortex generiert und zwar kontralateral zur zu
bewegenden Körperhälfte (Coles et al., 1995). Prozesse, die mit der Selektion bei simultan
aktivierten Reaktionen zusammenhängen, werden in Abschnitt 3.4.2 dargestellt.
3.3 Sukzessive versus simultane Darbietung... 29
3.3Sukzessive versus simultane Darbietung relevanter und irrelevanter Reize
Es gibt einige Befunde im Zusammenhang mit räumlicher Aufmerksamkeit, die auf
bedeutende Unterschiede für sukzessiv versus simultan dargebotene Reize hindeuten.
Inwieweit diese Unterschiede auch für nicht-räumliche Selektion gelten ist nicht systematisch
untersucht worden. In jedem Fall machen diese Erkenntnisse deutlich, daß viele Studien mit
sukzessiver Darbietung möglicherweise nur bedingt für die Interpretation der EKPs im
Negative-Priming-Paradigma verwendbar sind.
So wurden nach Wijers (1996, S.503-504) für unilaterale Darbietungen kontralaterale N1-
Verstärkungen für relevante Reize nachgewiesen. Für die P1 ist die Befundlage uneinheitlich:
es wurden sowohl kontralaterale auch ipsilaterale Verstärkungen gefunden (Wijers, 1996,
S.505). In Kok (1999, S.143) findet sich ein Verweis auf eine Studie von Hopfinger und
Mangun (1998), die nahelegt, daß die widersprüchlichen P1-Ergebnisse möglicherweise auf
unterschiedliches Cue-Stimulus-Timing zurückgeführt werden können. Hier zeigte sich eine
kontralaterale P1-Verstärkung für ein ISI von 100 ms und eine kontralaterale P1-Reduktion
für ein ISI>300 ms. Dies könnte mit dem Inhibition-of-Return-Phänomen (Posner und Cohen,
1984) zusammenhängen, das für kurze Latenzen (bis 100 ms) eine Erleichterung und für
größer Latenzen eine Hemmung mit sich bringt.
Bei simultaner, bilateraler Darbietung findet sich keine N1 Modulation, dafür aber eine
kontralaterale Verstärkung der P1 (Heinze et al. 1990). Dieselben Autoren interpretieren in
Luck et al. (1990) die Unterschiede zwischen diesen beiden Darbietungsformen so, daß in der
unilateralen, sukzessiven Darbietungsform automatische Aufmerksamkeitsverlagerungen zur
irrelevanten, reizbesetzten Seite hin stattfinden und deshalb in der Hälfte der Trials ein
Neuorientierung zurück zur (konstanten) Targetseite stattfinden muß, der sich in dem N1-
Effekt niederschlägt (die N1-Switch-Hypothese wird auch von Näätänen (1988) vertreten. Er
spricht auch von einem „call for processing resources“).
In Studien mit Einzelzell-Ableitung wurde beobachtet, daß inhibitorische Effekte der
räumlichen Aufmerksamkeit in dem prästriaten visuellen Areal V4 und im inferioren
Temporalkortex nur bei simultaner Darbietung von Target und Distraktor gefunden werden
konnten (Desimone et al., 1990; Moran und Desimone, 1985). Aus der
Reaktionszeitforschung schließlich ist bekannt, daß der Negative-Priming Effekt nur bei
Vorhandensein eines Probe-Distraktors konsistent auftritt (Fox, 1995). Eine diesem
Sachverhalt gerecht werdende theoretische Konzeption ist in dem kompetitiven
Netzwerkmodell von Houghton und Tipper (1994) zu finden (siehe Abschnitt 2.2).
3.4 Negative Priming? 30
3.4Negative-Priming?
Wie gesagt ist ein definierender Bestandteil des Negative-Priming-Paradigmas die simultane
Darbietung von Target und Distraktor, um kompetitive Mechanismen der Selektion studieren
zu können. Wie ebenfalls schon mehrfach betont wurde, gibt es in der psychophysiologischen
Forschung kaum Studien, die in dieser Hinsicht ein einigermaßen geschlossenes Bild ergeben
würden. Die nächsten beiden Abschnitte behandeln Studien, die eine gewisse Relevanz für
das in dieser Diplomarbeit durchgeführte Experiment besitzen. Es wird sich zeigen, daß die
Befundlage gar nicht so mager ist, wie befürchtet.
3.4.1 Visuelle Suche
Im Paradigma der Visuelle Suche wird eine mehrgliedrige Reizvorlage auf das Vorkommen
eines Zielreizes hin „durchsucht“. Der Zielreiz ist über nicht-räumliche Objekt-Merkmale
definiert, anders als in den Studien zur räumlichen Aufmerksamkeit bei mehrgliedrigen
Reizvorlagen, die in Abschnitt 3.3 behandelt wurden (Luck et al. 1993). Dieses Paradigma
kommt dem Aufbau des Negative-Lokation-Priming recht nahe, denn auch hier muß ein
räumlich angeordneter Zielreiz vor einem Distraktorhintergrund identifiziert werden.
Allerdings ist die Aufgabenbelastung in Suchaufgaben normalerweise wegen einer größeren
Anzahl potentieller Zielreize und simultan dargebotener Distraktoren höher.
Ein Experiment, daß fast schon als Negative-Priming bezeichnet werden kann, wurde von
Luck et al. (1993) durchgeführt. Sie beziehen sich auf die schon erwähnte Studie von Heinze
et al. (1990), in der neben den oben erläuterten Befunden auch gezeigt wurde, daß ein völlig
unspezifischer, unstrukturierter Probe-Reiz (ein „Lichtfleck“) genauso wie ein Buchstaben-
Probe eine erhöhte P1 mit sich bringt, wenn er an einer zuvor beachteten verglichen mit einer
nicht-beachteten Lokation dargeboten wird. Das wird als Nachweis für ein
merkmalsunabhängiges räumliches Gating gewertet.
Luck et al. benutzten nun nicht eine räumliche Selektionsaufgabe, sondern die visuelle Suche,
um auch hier nachzuweisen, daß die Identifikation eines Targets an die dazugehörige
räumliche Position gebunden ist. Es wurden 16 t-förmige Reize dargeboten, von denen 14
irrelevante, sämtlich rote Distraktoren waren. Die beiden anderen Reize wurden in
verschiedene Halbfelder projiziert und einer sollte aufgrund seiner Farbe (blau oder grün)
gefunden und seine Orientierung per Tastendruck indiziert werden. Diese Aufgabe war mit
einer posterioren, kontralateral zum Target maximalen sogenannten N2pc Komponente
zwischen 200 und 300 ms verbunden, die spezifisch für Selektion im Kontext der visuellen
3.4 Negative Priming? 31
Suche sein soll. In einigen Trials wurde ein Probe-Reiz (als Rahmen um eine Position)
entweder an der Targetposition oder an der kontralateralen Distraktorposition in das aktuelle
Display hinein projiziert. Geschah dies 250 ms nach Einsatz des Such-Displays, so wurde
sowohl die P1 als auch die posteriore N1 für die Targetposition verglichen gegen die
Distraktorposition verstärkt. Nach 400 ms fand sich nur noch eine N1-Verstärkung. In beiden
Fällen wurde auch die anteriore N1 verstärkt. Die Autoren interpretieren diese Ergebnisse im
oben genannten Sinne einer positionsabhängigen visuellen Suche und nehmen an, daß die P1-
Effekte davon abhängig sind, ob der Mechanismus der N2pc noch aktiv ist.
Wijers et al. (1989) haben aus einer Studie auf einen Unterschied zwischen einem schnellen
prä-attentiven Klassifikationssystem und einem langsamen weil seriellen attentionalen System
unterschieden, die beide in der Lage sind, Reize in Targets und Non-Targets zu klassifizieren.
Während Ersteres mit einer posterioren N2 (vielleicht identisch mit N2pc) und einer zentralen
N2b verknüpft ist, ist letzteres in einer zentralen langsamen „Search-Negativity“ sichtbar.
Luck und Hillyard (1994) haben weitere Eigenschaften der N2pc aufgezeigt. Erstens wird sie
auch von Non-Targets ausgelöst, die dem Target ähnlich sind. Zweitens tritt die N2pc nicht
auf, wenn keine Distraktoren vorhanden sind. Drittens wird sie auch von Targets ausgelöst,
die über eine Kombination von Merkmalen selegiert werden sollten, ein reizgesteuerter „Pop-
Out“ Mechanismus also ausgeschlossen werden kann. Viertens konnten sie zeigen, daß die
Komponente in den prästriaten okzipito-temporalen visuellen Arealen generiert wird. Aus
diesen Erkenntnissen haben die Autoren auf eine Rolle dieser Komponente in der aktiven,
top-down gesteuerten Unterdrückung(!) irrelevanter Information geschlossen.
Eimer (1996) hat diese Hypothese weiter untersucht und konnte zeigen, daß die N2pc auch
bei nur einem Distraktor vorhanden ist und zwar genauso stark, wie bei drei Distraktoren. Er
schließt daraus eher auf targetbezogene Bahnung, weil keine Variation in der N2pc mit der
Anzahl an Distraktoren und damit mit dem Aufwand an Hemmung einhergeht.
3.4.2 Späte Selektion bei bereits vorbereiteten Reaktionsalternativen
Zusammenfassungen von Eimer (1999) und Kok (1999) ist zu entnehmen, daß in bestimmten
Situationen unter Umgehung attentionaler Kontrolle falsche Reaktionen über direkte
perzeptuo-motorische Verbindungen gebahnt werden können. Diese Prozesse bilden sich im
LRP ab. Wenn beispielsweise ein Reiz auf der Seite, die der Reaktionshand gegenüberliegt,
dargeboten wird, kommt es in dieser inkompatiblen Bedingung („Simon-Effekt“) zunächst
zur Vorbereitung einer Reaktion mit der falschen Hand, die mit der Darbietungsseite
assoziiert ist. Im LRP ist das als eine frühe motorische Aktivierung in die falsche Richtung
3.4 Negative Priming? 32
sichtbar. Die korrekte Aktivierung setzt dann im Vergleich zur kompatiblen Bedingung
(Darbietungsseite gleich Reaktionsseite) erst verspätet ein (De Jong et al., 1994). Ähnliche
LRP-Effekte finden sich beim Eriksen-Flanker-Effekt, wenn inkompatible Buchstaben den
zentralen reaktionsrelevanten Buchstaben umgeben (Coles et al., 1988). Diese Befunde
machen deutlich, daß unter bestimmten Umständen Selektion auf höherer Ebene erforderlich
ist, um widersprüchliche motorische Befehle zu klären und fälschlicherweise vorbereitete
Reaktionen zugunsten einer korrekten Reaktion zu verhindern. Prozesse, die mit der Selektion
bei gleichzeitig aktivierten Reaktionen verbunden sind, können auch im Stop-Change-
Paradigma untersucht werden (De Jong et al., 1995). Hier soll auf schnell hintereinander
dargebotene Reize mit z.B. linker oder rechter Hand reagiert werden. In einigen Fällen wird
ein Stop-Change Signal gesetzt, daß die Ausführung der intendierten Reaktion untersagt. Statt
dessen soll mit der anderen Hand reagiert werden. Auch für diese Situation wird
angenommen, daß auf einer späten Verarbeitungsebene Selektion stattfinden muß, um die
neue Anweisung gegen die alte durchzusetzen. Als eine Möglichkeit wird die Inhibition der
alten Anweisung erwogen.
Eimer (1999) und Eimer und Schlaghecken (1998) haben eine Art sukzessives Negative-
Priming realisiert, indem sie Target-Reize (Pfeil-links oder Pfeil-rechts) einem entweder
reaktionskompatiblen, -inkompatiblen oder neutralen maskierten Prime-Reiz (ebenfalls Pfeile,
bei 16 ms Darbietungszeit) folgen ließen. In kompatiblen Durchgängen wurden abhängig von
der SOA zwischen Prime und Target für kurze SOA verkürzte und für längere SOA
verlängerte Reaktionszeiten im Vergleich mit der neutralen Bedingung gefunden. Die
Verläufe im LRP lassen vermuten, daß dieses etwas paradoxe Muster durch einen
Inhibitionsmechanismus zustandekommt, der auf die Prime-Verarbeitung einwirkt.
Abbildung 3.1 Die LRP-Verläufe bei Eimer und Schlaghecken (1998). Die involvierten Elektroden sind C3‘ und C4‘. Der Prime
wurde von 0-16 ms dargeboten, die Maske von 16-116 ms und das Target von 116-216 ms.
Maske Target
Prime-Onset
3.4 Negative Priming? 33
Fällt die Reaktionsvorbereitung für das Target in das erste Intervall (Abbildung 3.1:
schwarzer Pfeil, 200-280 ms), so findet sich eine Erleichterung der Verarbeitung. Fällt sie in
das zweite Intervall (weißer Pfeil, 280-400 ms), so muß die Hemmung erst überwunden
werden, bevor die korrekte Reaktion vorbereitet werden kann.
Warum aber wird die automatische Reaktionsvorbereitung des Prime-Reizes gehemmt? Das
Modell von Houghton und Tipper (1994) nimmt eine Hemmung für den Fall an, daß ein Reiz
nicht mit dem „Attentional-Target“ übereinstimmt. In der besprochenen Studie sind aber die
konsistenten Prime-Reize gleich den Target-Reizen, d.h. sie können gar nicht wie
Distraktoren behandelt werden.
Die Konzeption von Eimer (1999) postuliert einen zentralen Überwachungsmechanismus, der
aktuelle Reaktionsanweisungen mit aktueller perzeptueller Information vergleicht. Wird keine
Übereinstimmung festgestellt, werden die fälschlicherweise aktivierten Repräsentationen
gehemmt.
4.1 Logik der Untersuchung 34
4 Die Planung der Untersuchung
4.1Logik der Untersuchung
Es sollen Inhibitionseffekte als Teilmechanismus der visuellen selektiven Aufmerksamkeit im
EKP sichtbar gemacht werden. Zu diesem Zweck soll eine Negative-Priming-Prozedur
verwendet werden.
� Welche experimentelle Prozedur?
Aufgrund sehr großer Effekte auf Verhaltensebene wurde die experimentelle Prozedur von
Neill et al. (1992) adaptiert. Für den Negative-Priming Haupteffekt der Reaktionszeiten
wurde eine Größe von 2=.83 gefunden! In dieser Untersuchung wurde Negative-Location-
Priming realisiert. Obgleich die Autoren die Untersuchung zur Aufdeckung von Effekten
durch Episodic-Retrieval (nach der Theorie von Baddeley, 1976) angelegt haben und ihre
Ergebnisse auch entsprechend interpretieren, spricht die Abhängigkeit des Negative-Priming-
Effektes von der zeitlichen Diskriminierbarkeit der Prime-Episode –wie in Abschnitt 2.3.4
erläutert– nicht zwangsläufig gegen Inhibition. Für diese Studie wird angenommen, daß die
Inhibition der Distraktorrepräsentation an die entsprechende Episode gebunden ist.
Das Experiment eignet sich auch besonders gut zur EKP-Analyse, weil sowohl die Reize als
auch die Reaktionen lateralisiert sind, und deshalb lateralisierte Potentiale berechnet werden
können, anhand derer die Verarbeitung von Target und Distraktor getrennt betrachtet werden
kann.
� Der explorative Charakter der Studie
Es sollen alle Ebenen des Selektionsprozesses beleuchtet werden, um mögliche
Inhibitionseffekte (den Inhibitionsvorgang selbst, oder die Auswirkungen von Inhibition auf
spätere Prozesse) über den gesamten Selektionszyklus nachvollziehen zu können. Diese
Ebenen beziehen sich nach Wijers et al. (1996) erstens auf reizbezogene Selektionsvorgänge
(Perzeption), zweitens auf aufgabenbezogene Evaluationsvorgänge und drittens auf exekutive
Kontrollfunktionen zur Einrichtung, Aufrechterhaltung und Veränderung eines
Selektionskanals (siehe Abschnitt 1.7).
Die ersten beiden Ebenen sollen anhand früher (N1, P1, Nd) und später (N2, P3, LRP) EKP-
Komponenten voneinander getrennt werden, während die Untersuchung der exekutiven
Prozesse eine eigene experimentelle Variation in Form einer Switch-Bedingung (siehe unten)
erfordert.
4.1 Logik der Untersuchung 35
� On-Line Beobachtung des Inhibitionsvorgangs während des Selektionsprozesses
Die Analyse von EKPs ermöglicht es, die Verarbeitung des Distraktors
„on-line“ zu beobachten ohne allein auf die sehr indirekte Prime-Probe-Technik der
Verhaltensanalyse angewiesen zu sein. Um dies leisten zu können, muß aber irgendwie der
distraktorbezogene Anteil des EKP vom targetbezogenen Anteil isoliert werden.
Es wurde deshalb ein eigenständiges Experiment konzipiert (Exp31), in dem Target und
Distraktor entweder simultan dargeboten werden (Select-Bedingung) oder das Target alleine
erscheint (Nonselect-Bedingung). Unterschiede dieser beiden Bedingungen im EKP
kennzeichnen dann im besten Fall Inhibitionsvorgänge während des Selektionsprozesses.
� Manipulation der exekutiven Kontrolle und resultierende Implikationen
Die Zielsetzung, auch exekutive Prozesse zu untersuchen, wurde in einem weiteren
eigenständigen Experiment (Exp30) durch die Einführung eines Instruktionswechsels
(Switch) verwirklicht. Diese Manipulation hat zur Folge, daß das zu beachtende Merkmal in
der einen Hälfte der Fälle geändert wird (Switch-Bedingung) während es in den übrigen 50%
gleich bleibt (Nonswitch-Bedingung). Diese Manipulation hat neben der eigentlich damit
verknüpften Intention weitergehende Implikationen:
Erstens haben Park und Kanvisher (1994) genau diese Variation eingeführt, um ein generelles
Problem der vorliegende Art von Location-Priming Prozeduren zu thematisieren: die Feature-
Mismatch-Hypothese. Die Ergebnisse sprechen allerdings nach Meinung der Autoren
eindeutig gegen die Inhibitionstheorie und für die Feature-Mismatch-Hypothese. Deshalb
wurde eine weitere unabhängige Variable eingeführt, um wenigstens ansatzweise die
Einflüsse von Switch und Feature-Mismatch zu orthogonalisieren. Damit soll gezeigt werden,
daß mit dem Switch verbundene Konfundierungen zu den Ergebnissen von Park und
Kanvisher geführt haben.
Eine dieser Konfundierungen liegt in Erkenntnissen der EKP-Forschung begründet, die eine
Differenzierung zweier unterschiedlicher Selektionsformen nahelegen. Zum einen
lokationsbezogene Selektion durch direkte Modulationen (Gating) auf der Ebene sensorischer
Repräsentationen (Harter und Aine, 1984), zum anderen die indirekte Selektion durch
Vergleich der sensorischen Information mit einer Aufmerksamkeitsspur (Näätänen, 1990).
Während die Einrichtung einer Aufmerksamkeitsspur afferente Verstärkung voraussetzt,
4.1 Logik der Untersuchung 36
funktioniert die intraperzeptive Selektion auch ohne afferente Verstärkung.5 Im Vergleich zu
Exp31 kann in Exp30 keine konsistente Aufmerksamkeitsspur angelegt werden, weil das
relevante Merkmal hier ständig wechselt. In Exp31 findet Selektion in einem „Sustained-
Attention-Setting“ statt, während in Exp30 ein „Transient-Attention-Setting“ hergestellt wird.
Innerhalb von Exp30 sollte in der Nonswitch-Bedingung ein gewisser Vorteil durch eine
rudimentär angelegte Aufmerksamkeitsspur vorhanden sein, während in der Switch-
Bedingung noch keinerlei afferente Verstärkung stattgefunden hat.
Eine zweite Konfundierung liegt vor, weil der Cue in der Switch-Bedingung Informationen
über den Prime-Distraktor enthält und deshalb schon im Cue-Probe Intervall die Inhibition
wieder abgebaut werden könnte (Milliken et al., 1994). Dieser Fall ist in Anhang A1 in der
Bedingung [NP-Switch-OhneWechsel] veranschaulicht.
Schließlich könnte der Instruktionswechsel zu einer Neutralisierung aller vorheriger
Inhibitionen führen („Reset“), so daß nur noch der Mismatch-Effekt übrig bleibt.
5 Allerdings ist das nach dem detaillierten Studium der Literatur nicht mehr ganz so eindeutig. Während die P1
ebenso wie die Nd auch von afferenter Verstärkung abhängt, gilt dies nicht für die N1. Sowohl P1 als auch N1
gelten beide als Indikatoren für frühe Gating-Prozesse. Siehe Abschnitt 3.1.1.
4.1.1 Versuchspläne und Hypothesen
Der vollständige Versuchsplan für Exp30, der aus den oben genannten Überlegungen
resultiert, ist sehr komplex und bezüglich der Auflösung der besprochenen Konfundierungen
auch nicht wirklich in allen Aspekten aufschlußreich. Er ist deshalb nur im Anhang A1
aufgeführt. Im Rahmen dieser Diplomarbeit werden daraus lediglich die Bedingungen [NP-
NonSwitch-OhneWechsel] und [KO-NonSwitch-OhneWechsel] besprochen. Diese beiden
Bedingungen sind in ihrem Reizaufbau identisch mit [NP-Select-Select] und
[KO-Select-Select] aus Exp31. Der vollständige Versuchsplan für Exp31 ist in Anhang A2 zu
finden. Aus der Beschreibung der Sequenzbildung in Abschnitt 4.3.2 wird deutlich, daß jeder
Probe-Reiz gleichzeitig als Prime-Reiz für den nächsten Reiz in einer kontinuierliche Sequenz
dient. Da, wie beschrieben, in Exp31 auch eine Nonselect-Bedingung untergebracht ist,
werden wegen der speziellen Methode der Sequenzierung zwangsläufig auch Fälle erzeugt, in
denen im Prime kein Distraktor vorhanden ist. Hinsichtlich des Negative-Priming-Effektes ist
diese Bedingung natürlich sinnlos. Deshalb werden diese Fälle in der Analyse unterschlagen.
4.1 Logik der Untersuchung 37
Die folgende Abbildung 4.1 gibt die übrig gebliebenen vier Anordnungen für Prime-Probe-
Abfolgen aus Exp30 und Exp31 wieder, die einer Analyse unterzogen werden.
Abbildung 4.1 Beispiele für die analysierten vier Prime-Probe-Anordnungen.
Diese vier Anordnungen werden nach den folgenden beiden Versuchsplänen verschiedenen
experimentellen Bedingungen zugeordnet. Alle Bedingungen werden innerhalb der Personen
variiert.
Versuchsplan A (VPL A)
Faktor [Priming]
Negative-Priming Kontrolle
Select NP-Select-Select KO-Select-SelectFaktor
[Probe-Select] Nonselect NP-Select-NonSelect KO-Select-NonSelect
Versuchsplan B (VPL B)
Faktor [Priming]
Negative-Priming Kontrolle
Sustained (Exp31) NP-Select-Select KO-Select-SelectFaktor
[Attention] Transient (Exp30) NP-NonSwitch-OhneWechsel KO-NonSwitch-OhneWechsel
Abbildung 4.2 Versuchspläne A und B.
Mit diesen beiden Versuchsplänen wird der Negative-Priming-Effekt in drei verschiedenen
Selektions-Settings untersucht. Einmal im Select- bzw. Sustained-Attention-Setting (realisiert
in VPL A bzw. VPL B), weiterhin im Nonselect-Setting (in VPL A) und schließlich im
Transient-Attention-Setting (in VPL B).
X o O Prime
O o X Probe
X o O Prime
O o Probe
X o O Prime
O o X Probe
X o O Prime
O o Probe
[NP-Select-Select] bzw.
[NP-NonSwitch-OhneWechsel]
[KO-Select-Select] bzw.
[NP-NonSwitch-OhneWechsel]
[NP-Select-NonSelect] [KO-Select-NonSelect]
4.1 Logik der Untersuchung 38
�Gerichtete Hypothese A1
Im Select-Setting sind die Reaktionszeiten für Negative-Priming größer und die
Fehlerraten höher als für die Kontrolle. Dieser Effekt ist die Replikation des üblichen
Vorgehens im Negative-Location-Priming und sollte sehr groß sein.�
Gerichtete Hypothese A2
Auf Verhaltensebene sollte der Negative-Priming-Effekt im Nonselect-Setting kleiner als
im Select-Setting ausfallen oder gar nicht mehr vorhanden sein.�
Ungerichtete Hypothese A3
Unterschiede im EKP bezüglich der Bedingungen Select und Nonselect, sollten Hinweise
auf distraktorbezogene Selektionsprozesse geben.
�Ungerichtete Hypothese B1
Unter Transient-Attention ist der Unterschied in den Verhaltensdaten zwischen Negative-
Priming und Kontrolle in seiner Größe oder seiner Richtung anders als im Sustained-
Attention-Setting, weil hier keine konsistente Aufmerksamkeitsspur angelegt werden kann
und die Selektion deshalb „irgendwie“ anders bewerkstelligt werden muß.�
Ungerichtete Hypothese B2
Eventuell im EKP sichtbare Negative-Priming-Effekte, sind für Sustained-Attention
andere als für Transient-Attention (Begründung wie in Hypothese B1).�
Ungerichtete Hypothese B3
Zu prüfen ist, ob sich die unter Hypothese B2 genannten Effekte in frühen (P1, N1, Nd)
oder späten Komponenten (N2b, N2pc, LRP) niederschlagen.
4.2 Die Prozedur 39
4.2Die Prozedur
Da sich das Experiment an der Studie von Neill et al. (1992) orientiert, wäre nichts
naheliegender, als das prozedurale Vorgehen zu übernehmen. Leider sind dem Artikel nur
sehr wenige detaillierte Informationen zum Ablauf des Experimentes zu entnehmen. Es ist zu
erfahren, daß vier horizontal auf einer Geraden angeordnete gleichabständige Positionen
durch Gleichheitszeichen markiert sind, ein Fixierkreuz zwischen den beiden inneren
Positionen erscheint (aber wie lange?) und das RSI zufällig zwischen 500 ms und 4000 ms
variiert. Ein Hinweis verweist auf eine Untersuchung von Tipper und McLaren (1990), an der
sich Neill et al. orientiert haben. Hier erfährt man mehr über Sehwinkel zwischen – allerdings
nicht horizontal auf einer Geraden und nicht gleichabständig angeordneten – Positionen. Der
Sehwinkel zwischen den inneren Positionen betrug 4.3° (also 2.15° zwischen der
Bildschirmmitte und der Buchstabenposition), zwischen den äußeren Positionen 8.2° (also
4.1° zwischen der Bildschirmmitte und der Buchstabenposition). Die Distanz zum Monitor
lag bei 45 cm. In diesem Experiment wurde kein Fixierkreuz angezeigt und die Prime-Probe
Abfolge war gepaart. Dieselbe Anordnung wurde auch von Park und Kanvisher (1994)
benutzt.
4.2.1 Anordnung der räumlichen Positionen
In einer Reihe von Target-Identifikationsaufgaben wurde eine umgekehrt proportionale
Abhängigkeit der Größe des Negative-Priming-Effektes von der räumlichen Distanz zwischen
Target und Distraktor im Probe festgestellt (Fox, 1995, S.157). Konsistent wurden nur Effekte
bei Distanzen beobachtet, die kleiner als ca. 1° waren. Möglicherweise gelten diese Angaben
aber nicht für Aufgaben der Target-Lokalisierung, jedenfalls liegen hierzu anscheinend keine
Untersuchungen vor. Vielleicht liegt aber gerade in der Distanzabhängigkeit eine Begründung
für die Ergebnisse von Park und Kanvisher (1994), die in Abschnitt 2.3.5 erläutert wurden. In
diesen Experimenten konnte unter Umständen deshalb keine Inhibition nachgewiesen werden,
weil die Distanzen dort mit 1.3°, 4.3° und 8.9° zu groß waren.
In einer Voruntersuchung zum vorliegenden Experiment wurden alle vier Positionen in die
Fovea projiziert (zentraler Sehwinkel = 1°). Die Faktoren [Switch], [Change], [Prime-Select]
und [Probe-Select] waren hier noch nicht realisiert. Es zeigte sich in einer Varianzanalyse mit
dem Design [Priming: NP vs. Kontrolle] x [Distanz Prime: eine Position vs. zwei/drei
Positionen] x [Distanz Probe: eine Position vs. zwei/drei Positionen] über sechs Vpn kein
Haupteffekt [Priming] (F(1,5)=2.6, p(F)=0.164), allerdings ein marginal signifikanter
4.2 Die Prozedur 40
Wechselwirkungseffekt [Priming] x [Distanz Prime] x [Distanz Probe] (F(1,5)=4.3,
p(F)<0.093). Aufgrund einer Effektgröße von 2=0.83 bei Neill et al. für den Haupteffekt
[Priming] (F(1,17)=177.17), ist auch bei nur sechs Vpn mit einer genügend großen Power
( �! #"�$&%'%)(&*,+ -! #". #/ )6, die Aussage zu treffen, daß dieser Effekt unter den fovealen
Projektionsbedingungen nicht gefunden werden konnte. Der Vergleich Negative-Priming
versus Kontrolle für die Prime-Distanz=1 und eine Probe-Distanz=2 ergibt im t-Test ein
signifikantes Ergebnis (t(5)=2.15, p(t)<0.042; dx=28.2 ms), allerdings mit einem sehr viel
kleineren Effekt von 2=0.23. Alle anderen distanzbezogenen einfachen-einfachen
Haupteffekte für [Priming] gingen sogar in die falsche Richtung. Schweren Herzens wurde
unter dem Eindruck dieser Ergebnisse, eine Entscheidung für die extrafoveale Projektion der
vier Positionen getroffen, weil es einfach das übliche Vorgehen ist. Die Anordnung sah also
zusammenfassend folgendermaßen aus:
Abbildung 4.3 Anordnung der Reize in Exp30 und Exp31
6 Die Powerberechnungen wurden mit dem Programm Gpower (Faul und Erdfelder, 1992) durchgeführt.
4.2.2 Zeitliche Abfolge
Die Abfolge der Reize ist entgegen dem üblichen Vorgehen als kontinuierliche Sequenz von
zeitlich gleichabständigen Reizen angelegt. So ist jeder Probe-Reiz gleichzeitig Prime-Reiz
für den folgenden Reiz. Dies macht die Aufgabe weniger durchschaubar, als wenn isolierte
Prime-Probe Paare dargeboten werden. So soll verhindert werden, daß die Vpn eine
Abfolgestruktur erkennen können und möglicherweise der Distraktor beachtet wird, um ihn
strategisch zu nutzen und somit schon im Prime-Trial die Inhibition wieder reduziert wird.
Außerdem spart man natürlich viele zusätzliche Prime-Trials!
Für eine Entscheidung über die zeitliche Trennung der Reize ist zu beachten, daß
möglicherweise bei zu langen Abständen keine Inhibition mehr vorhanden ist und
andererseits bei zu kurzen Abständen noch keine Inhibition aufgebaut wurde. Die Frage, ob
Inhibition passiv auf ein neutrales Niveau abfällt („Passive Recovery“) und wenn ja wie
16cm
O+X
0.8cm1.3°4.25°
100cm
VP
5.5cm
4.2 Die Prozedur 41
schnell, ist nach Fox (1995, S.164) noch nicht eindeutig geklärt. Für das vorliegende
Experiment von hervorgehobener Bedeutung ist die schon vielzitierte Studie von Neill et al.
(1992), die wahrscheinlich die Widersprüche zwischen verschiedenen Studien aufklären kann
(siehe Abschnitt 2.3.4). Sie finden nur einen marginalen Recovery-Effekt (p<0.1) zwischen
500 ms und 4000 ms RSI, wenn die episodische Diskriminierbarkeit konstant gehalten wird.
Bezüglich einer Untergrenze für Negative-Priming findet Yee (1991) Positive-Priming bei
einer Stimulus-Onset-Asynchrony (SOA) von 500 ms und erst ab 600 ms SOA einen
Negative-Priming-Effekt. Um wegen der vielfältigen Abwandlungen zur Studie von Neill et
al. sicher zu gehen, daß mögliche Inhibition noch nicht wieder verschwunden ist, wurde trotz
der Ergebnisse ihrer Studie, die auch ein längeres RSI als zulässig erscheinen lassen würde,
ein kurzes RSI von konstant 750 ms gewählt.
Das Fixierzeichen (Cue) wurde 500 ms vor dem Reiz dargeboten und blieb bis zur Reaktion
stehen, 250 ms nach der Reaktion wurde der nächste Trial mit einem neuen Cue gestartet. Das
ISI zwischen Cue und Reiz wurde auf 500 ms gesetzt, damit noch eine vollständige
Reizanalyse im EKP auf den Cue bis zur P3 gemessen werden kann7. In Exp30 wurde das
Fixierzeichen durch einen der drei verwendeten Buchstaben (X,O,T) gebildet, in Exp31 war
es wie in Abbildung 4.3 ein Pluszeichen (+).
500ms max. 1000ms 250ms
Zeit
Cue ein Reiz ein Reaktion neuer Cue ein
Cue und Reiz aus
Abbildung 4.4 Das Timing
7 Zum Zeitpunkt der Planung waren leider die Erkenntnisse von Milliken et al. (1994) noch nicht bekannt.
Danach wäre eine simultane Darbietung von Cue und Reiz empfehlenswert!
4.2.3 Instruktionen und Ablauf
In eine ähnliche Richtung wie die kontinuierliche Abfolge der Reize zielt die Anwendung der
„Accuracy-Speed“ Instruktion. „Accuracy“, damit die Vpn auch sorgfältig selegieren und also
auch inhibieren und „Speed“, damit nicht noch Zeit für die bewußte Verarbeitung des
Distraktors bleibt. Alle ca. 70 Trials bekommen die Vpn deshalb Rückmeldung über ihre
durchschnittliche Reaktionszeit und Fehlerquote. Fehlerhafte Trials werden mit zwei
Vorgängern und einem Nachfolger nach einer vollständig durchlaufenen Sequenz wiederholt.
In Exp30 werden 576 und in Exp31 384 korrekte Trials ermittelt.
4.3 Das Reizmaterial 42
4.3 Das Reizmaterial
4.3.1 Zusammensetzung des Reizmaterials
Als Reize kommen grundsätzlich alle möglichen Zweierkombinationen von Target und
Distraktor auf vier horizontal angeordneten Positionen in Frage. So kommt man auf zwölf
unterschiedliche Reize.
Neill et al. (1992) erhalten nach der Logik, daß auf jeden Prime der Zielreiz zufällig (p=0.33)
an einer von drei Positionen erscheinen kann, und unter Berücksichtigung zweier weiterer
Einschränkungen folgende Auswahlsituation für aufeinanderfolgende Prime-Probe
Sequenzen:
Abbildung 4.5 Das Reizmaterial bei Neill et al. (1992)
Per Zufall wird also in einem Drittel der Fälle ein Negative-Priming-Durchgang und in zwei
Drittel der Fälle ein Kontroll-Durchgang ausgewählt. Die exakte Zusammenstellung der
verwendeten Reize (absolute Häufigkeiten und Zuordnungshäufigkeiten zu den Bedingungen)
ist erst nachträglich nach erfolgtem Zufallsprozeß zu bestimmen.
Das Vorgehen von Neill et al. (1992) gewährleistet nicht, daß jeder Reiz gleich häufig in jeder
Bedingungen verwendet wird. Das mag bei der Gleichartigkeit der zwölf verschiedenen Reize
weniger von Bedeutung sein, stellt aber trotz allem eine Verletzung des Prinzips der
Konstanthaltung nicht-hypothesenrelevanter Variation im Reizmaterial dar. Da eine spätere
Prime-Reiz (z.B.): T D _ _
Nachfolgeroptionen für den Probe-Reiz:
Negative Priming:
Option 1: entweder _ T D _ oder: _ T _ D (zufällige Platzierung von „D“)
Kontrolle:
Option 2: _ _ T D
Option 3: _ _ D T
Die drei Nachfolgeroptionen sind unter folgenden Einschränkungen ausgewählt:
1. Kein Positive-Priming, d.h. Zielreiz [T] darf nicht unmittelbar folgend an derselben Stelleerscheinen.
2. Der Distraktor [D] darf weder an derselben Stelle wie der vorherige Distraktor noch an der
selben Stelle wie der vorherige Zielreiz erscheinen.
4.3 Das Reizmaterial 43
Erweiterung der Untersuchung auf komplexeres Reizmaterial (z.B. semantische Merkmale)
vorgesehen ist, wurde auch hier schon Wert auf Einhaltung dieser Forderung gelegt.
Wie im Anhang A3 vollständig aufgeführt ist, wurde a priori für jeden der zwölf möglichen
Reize unter Berücksichtigung der oben genannten Einschränkungen bestimmt, welcher Reiz
unter welcher Bedingung als Nachfolger erlaubt ist. Es zeigt sich (durch auszählen), daß auf
diese Weise die geforderte Konstanthaltung der Bedingungszuordnung gewährleistet ist, wenn
alle möglichen Nachfolger realisiert werden . Im Gegensatz zu Neill et al. (1992) ergibt sich
ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Positive-Priming-, Negative-Priming- und Kontroll-
Bedingungen, da jedem Reiz pro Bedingung genau zwei Reize als Nachfolger zugeordnet
werden können. In Abbildung 4.5 bedeutet dies, daß immer beide Nachfolgeroptionen unter
der Negative-Priming-Bedingung deterministisch realisiert werden müssen und nicht
probabilistisch nur eine der beiden ausgewählt wird. Wie im folgenden Kapitel beschrieben
ist, erzeugt ein geeigneter Zufallsgenerator zufällige Sequenzen in denen garantiert und
deterministisch jeder im Anhang A3 aufgeführte Reiz verarbeitet ist.
Warum Neill et al. das Verhältnis ein Drittel zu zwei Drittel gewählt haben, bleibt offen.
Möglicherweise wollten sie vermeiden, daß durch die Realisierung beider Negative-Priming
Optionen ein verdecktes Positive-Priming stattfindet, weil für beide Optionen dieselbe
Zielreizposition verwendet wird. Über alle Reize und die gesamte Sequenz hinweg gilt aber,
daß der Zielreiz in der Negative-Priming-Bedingung und genauso in den anderen
Bedingungen exakt gleich häufig an jeder der vier Positionen auftritt, wenn beide Negative-
Priming-Optionen realisiert werden.
4.3.2 Erzeugung der Zufallssequenzen
Im Gegensatz zum üblichen Vorgehen im Negative-Priming-Paradigma mit paarweiser
Präsentation von Prime und Probe, werden hier die Reize in einer kontinuierlichen Sequenz
dargeboten. Das bedeutet: jeder Probe ist gleichzeitig Prime für den folgenden Reiz in der
Sequenz. Anders als bei der paarweisen Präsentation, wo jedes Paar eine abgeschlossene
Analyseeinheit darstellt und die Reihenfolge der Paare unerheblich ist, müssen bei der
sequentiellen Darbietung nicht nur die verschiedenen Reize auf die verschiedenen
Bedingungen zufällig aufgeteilt werden, sondern diese Aufteilung muß auch kompatibel mit
dem vorherigen Reiz sein. Die dieser Arbeit zugrundeliegende Untersuchung von Neill et al.
läßt aufgrund der Beschreibung ihrer experimentellen Prozedur vermuten, daß auch sie eine
kontinuierliche, d.h. nicht gepaarte Sequenzierung der experimentellen Bedingungen
vorgenommen haben.
4.3 Das Reizmaterial 44
Es bleibt aber völlig offen, inwieweit eine kombinatorische Kontrolle stattgefunden hat:
erstens bezüglich der absoluten Häufigkeiten der einzelnen verwendeten Reize (siehe
Abschnitt 4.4.1), zweitens bezüglich der Zuordnungshäufigkeiten Reiz 0 Bedingung und
drittens bezüglich der Frage wie häufig je zwei spezifische Bedingungen einander in der
Sequenz folgen. Es wird nun kurz beschrieben, wie diese Kontrolle in der vorliegenden
Untersuchung ausgesehen hat. Das Prinzip sei mit einem der zwölf möglichen Reize
beispielhaft demonstriert.
Abbildung 4.6 Beispiel für die Zuordnung von Prime-Probe Abfolgen
Die Auswahlsituation für alle zwölf Reize ist im Anhang A3 aufgeführt. Dort kann auch
nachvollzogen werden, wie auf diese Weise tatsächlich gewährleistet ist, daß erstens jeder
Reiz insgesamt exakt gleich häufig vorkommt und zweitens jeder Reiz exakt gleich häufig
unter jeder Bedingung verwendet wird.
Die dritte kombinatorische Problemstellung, nämlich, daß jede Bedingung jeder anderen
gleich häufig folgen soll, wurde approximativ gelöst: jede vollständig erzeugte Sequenz
wurde einem Testkriterium unterzogen und erst nach bestandenem Test akzeptiert. Die
Der Prime-Reiz [m1]
z.B. Target[O] Distraktor[X] CUE[O] ________ ________
dann ergeben sich für den Probe-Reiz folgende Möglichkeiten:
SwitchChange
SwitchNonchange
NonSwitchChange
NonSwitchNonChange
SelectSelect
SelectNonSelect
NonSelectSelect
NonSelectNonSelect
PositivePriming
m5,m10 m5,m10 m5,m10 m5,m10 m5,m10 m5,m10 m5,m10 m5,m10
NegativePriming
m7,m11 m7,m10 m5,m10 m7,m11 m7,m11 m7,m10 m5,m10 m7,m11
Kontrolle m3,m4 m3,m4 m3,m4 m3,m4 m3,m4 m3,m4 m3,m4 m3,m4
Angenommen Reiz [m7] sei ausgewählt worden, und zwar für die Switch/Change Bedingung, dann
sieht der Probe-Reiz folgendermaßen aus:
Der Probe-Reiz [m7]
_______ Target[ T ] CUE[ T ] _______ Distraktor[O]
Der grafisch dargestellte Prime-Reiz [m1] mit Target [O] sei in der Sequenz für Stelle s ermittelt
worden, dann wird einer der darunter aufgeführten Reize nach einer Zufallsauswahl der Nachfolger
in der Sequenz an Stelle s+1 sein.
Nachdem ein Reiz für Stelle s+1 ausgewählt wurde, ist er “verbraucht” und kann nicht mehr als
Nachfolger für diesen speziellen Vorgänger verwendet werden. Im Beispiel gilt dies z.B. für [m7] als
Nachfolger von [m1], wenn die Negative-Priming/Switch/Change Bedingung ausgewählt wird.
4.3 Das Reizmaterial 45
tatsächlich erzeugten Kontingenzhäufigkeiten durften nur um vier Fälle nach oben oder drei
Fälle nach unten von der optimal zu erwartenden Häufigkeit (4 Fälle pro
Kontingenzbedingung) abweichen. Wie beschrieben, wurde dieser Test für die
experimentellen Bedingungen durchgeführt, bezogen auf die einzelnen Reize gilt diese
Verteilungseigenschaft nicht.
Es wäre sicherlich wünschenswert gewesen, das Abweichungskriterium enger zu fassen. Es
zeigte sich jedoch, daß bei zu strenger Auswahl gar keine vollständigen Sequenzen oder nur
ca. vier unterschiedliche Sequenzen erzeugt werden konnten.
Es wurde daher die Strategie gewählt, nicht für jede einzelne Vp streng gleich verteilte
Kontingenzhäufigkeiten zu fordern, sondern über alle Vpn eine gemittelte nährungsweise
Gleichverteilung anzustreben. Für Exp30 verbesserte sich das Verhältnis Mittelwert zu
Standardfehler durch die Mittelung über die verwendeten 19 Sequenzen von 2.7 (bei einem
Mittelwert=4 und einem Range zwischen 1 und 8) für eine einzelne Sequenz, auf 134 (bei
einem Mittelwert=76 und einem Range zwischen 59 und 95). Die genauen Ergebnisse dieser
Analyse für Exp30 und Exp31 sind im Anhang A4 zu finden.
Abbildung 4.7 Anzahl der verwendeten Reize
Es werden 48 (576/12 bzw. 384/8) Trials pro Bedingung realisiert, was für die Mittelung des
EEGs in EKPs eine ausreichende Anzahl darstellt, um den Signal-Rausch-Abstand auf ein
handhabbares Maß zu reduzieren. Für eine EKP-bezogene Analyse der Faktoren [Distanz
Target-Distraktor im Prime] x [Distanz Target-Distraktor im Probe] stehen leider mit 8 bzw.
16 Trials pro Bedingung (siehe nächster Abschnitt 4.4.3) zu wenige Trials zur Verfügung.
In Exp30 wird ein 3x2x2 Versuchsplan verwirklicht:
[Positive-Priming, Negative-Priming, Kontrolle] x [Switch, Nonswitch] x [Nonchange, Change].
Daraus resultieren:
12 (Bedingungen) • 2 (Nachfolger pro Bedingung) • 2 (jeweils zweimal vergeben) • 12 (Reize)= 576 Trials.
In Exp31 wird ein 2x2x2 Versuchsplan verwirklicht:
[Negative-Priming, Kontrolle] x [PrimeSelect, PrimeNonselect] x [ProbeSelect, ProbeNonselect].
Daraus resultieren:
8 (Bedingungen) • 2 (Nachfolger pro Bedingung) • 2 (jeweils zweimal vergeben) • 12 (Reize) = 384 Trials.
4.3 Das Reizmaterial 46
4.3.3 Die Distanzen zwischen Target und Distraktor als Prime-Probe
Kontingenzhäufigkeiten
Bei genauer Analyse des Reizmaterials zeigt sich, daß die Stufen des Faktors [Priming] mit
den Distanzen zwischen Target und Distraktor in Prime und Probe Trial konfundiert sind. Die
Abbildungen 4.8 gibt die Häufigkeiten der Reize aufgeteilt nach Prime und Probe Distanzen
und Priming-Bedingungen wieder. Diese Aufteilung ist austauschbar für PrimeSelect-,
PrimeNonselect-, ProbeSelect-, ProbeNonselect- Switch-, Nonswitch-, Match- oder
Mismatch- Bedingungen. Zwischen diesen Bedingungen gibt es also keine Unterschiede in
den beschriebenen Kontingenzhäufigkeiten. Eine vollständige Tabelle der
Kontingenzhäufigkeiten, die nach allen drei vorkommenden Distanzen differenziert, ist in
Anhang A5 zu finden.
Um das Problem etwas handlicher zu gestalten, bietet es sich an, die ursprünglich drei
distanzbezogenen Reizkategorien (ungleich verteilt im Verhältnis 72:48:24 in Exp30 und
48:32:16 in Exp31) in zwei gleich verteilte Kategorien (72:72 in Exp30 bzw. 48:48 in Exp31)
zusammenzufassen. Die Kontingenzhäufigkeiten sehen dann wie folgt aus:
Probe Distanz =1 Probe Distanz >1 Summe
Prime Distanz =1 NP: 8 NP: 16 24KO: 16 KO: 8 24PP: 8 PP: 16 24
Summe Exp30 (mit PP) 32 40 72Exp31 (ohne PP) 24 24 48
Prime Distanz >1 NP: 16 ( 132 24) NP: 8 ( 132 24) 24KO: 8 ( 132 24) KO: 16 ( 1#2 24) 24PP: 16 ( 132 24) PP: 8 ( 132 24) 24
Summe Exp30 (mit PP) 40 32 72Exp31 (ohne PP) 24 24 48
Summe total Exp30 (mit PP) 72 72 144Exp31(ohne PP) 48 48 96
Abbildung 4.8 Vereinfachte Darstellung der Kontingenzen der Prime-Probe Distanzen
Betrachtet man die Verteilung für Prime- und Probe-Distanzen getrennt, sind die
Bedingungen (NP, KO, PP) für jede Prime- bzw. Probe-Kategorie gleichhäufig ( 465 24)
vertreten. Erst für die Prime-Probe-Kontingenzen ergibt sich eine problematische
Verschiebung des Gleichgewichts. Während z.B. bei einer Prime-Distanz=1 für NP und PP
die Probe-Distanz=1 acht mal und die Probe-Distanz>1 in 16 Fällen vertreten ist (Verhältnis
8:16), ist diese Verhältnis für KO genau andersherum (16:8) ausgeprägt. Dieses
spiegelbildliche Verhalten für KO versus NP/PP ist für alle Kontingenzen gleichartig.
4.3 Das Reizmaterial 47
Angenommen eine geringere Distanz sei mit erhöhter Interferenz verbunden, dann würde dies
über alle Trials gemittelt bedeuten, daß für die Negative-Priming-Bedingung hohe Interferenz
im Prime-Trial mit geringer Interferenz im Probe-Trial einhergeht und geringe Prime-
Interferenz mit hoher Probe-Interferenz verknüpft ist. In der Kontroll-Bedingung verhält es
sich genau spiegelbildlich. In der Literatur (siehe Fox, 1995) sind leider nur Daten bezüglich
einer Variation der Distanz und damit der Interferenz im Prime-Trial diskutiert. Es lassen sich
also keine Vorhersagen über die Auswirkungen der hier vorhanden Kontingenz-Verzerrung
machen. Eine Möglichkeit mit dem Problem umzugehen, besteht darin die Hälfte der Reize
per Zufallsauswahl nicht in die Analyse aufzunehmen, so daß in der obigen Tabelle 4.8 alle
Zellhäufigkeiten =8 betragen, was aber die Ausbalanciertheit der Reizsequenzen zerstören
würde (siehe vorheriger Abschnitt 4.3.1). Eine weitere Option wäre es, die Faktoren [Prime
Distanz] und [Probe-Distanz] in die Varianzanalyse mit aufzunehmen. Auf diese Weise
könnte über die dreifache Wechselwirkung [Prime-Distanz] x [Probe-Distanz] x [Priming]
getestet werden, ob der Negative-Priming-Effekt mit den Distanzkontingenzen variiert.
4.3.4 Die Darbietungsseiten von Target und Distraktor als Prime-Probe
Kontingenzhäufigkeiten
Eine ähnliche Situation ergibt sich, wenn man die Reize in Kontingenzhäufigkeiten einteilt,
abhängig davon, ob Target und Distraktor auf derselben visuellen Halbfeldseite oder auf
unterschiedlichen Seiten erscheinen. Denn Distanzen>1 gehen immer einher mit
unterschiedlichen Halbfeldseiten, während bei der Distanz=1 vier Reize existieren, in den
Target und Distraktor auf derselben Seite vorkommen. Die Situation ist hier sogar noch
extremer.
Probe Seite gleich Probe Seite ungleich Summe
Prime Seite gleich NP: 0 NP: 16 16KO: 16 KO: 0 16PP: 0 PP: 16 16
Summe Exp30 (mit PP) 16 32 48Exp31 (ohne PP) 16 16 32
Prime Seite ungleich NP: 16 ( 132 16) NP: 16 ( 1#2 32) 32KO: 0 ( 132 16) KO: 32 ( 1#2 32) 32PP: 16 ( 132 16) PP: 16 ( 1#2 32) 32
Summe Exp30 (mit PP) 32 64 96Exp31 (ohne PP) 16 48 64
Summe total Exp30 (mit PP) 48 96 144Exp31 (ohne PP) 32 64 96
Abbildung 4.9 Kontingenzen der Prime-Probe Darbietungsseiten
4.3 Das Reizmaterial 48
Auch hier sind nur die Kontingenzhäufigkeiten (Prime x Probe) ungleich auf die drei
experimentellen Bedingungen verteilt. Wenngleich die Häufigkeiten für die „einfachen
Haupteffekte“ wie auch schon bezüglich der Prime-Probe-Distanzen für alle Bedingungen
gleich sind. Da in vier Bedingungen überhaupt keine Fälle auftreten, läßt sich diese
Konfundierung nicht einmal mehr varianzanalytisch handhaben.
Wird z.B. eine Bedingung mit Probe-Seite-gleich realisiert, gilt für die Kontrollbedingung
immer Prime-Seite-gleich, für NP- oder PP-Bedingungen hingegen immer Prime-Seite-
ungleich.
Außerdem ergibt sich, daß Reize mit bilateraler Plazierung von Target und Distraktor doppelt
so häufig vorkommen. Es ist also zu vermuten, daß die Vpn nach einigen Trials eine
Erwartung der bilateralen Anordnung entwickeln.
Zur möglicherweise gravierenden Bedeutung, ob Reize über „generell areas of visual space“
(wie z.B. visuelle Halbfelder) hinweg oder über „contiguous regions“ (z.B. innerhalb eines
Halbfeldes) selegiert werden, siehe Eimer (1999b). Auch Wijers et al. (1989b) haben
unterschiedliche Prozesse für die Aufteilung der Aufmerksamkeit zwischen Halbfeldern und
innerhalb von Halbfeldern identifiziert.
Abbildung 4.10 Tabelle der Darbietungsseite von Probe-Target und Probe-Distraktor in Abhängigkeit der Prime-Anordnung. Die Werte
geben die Häufigkeiten der Fälle an.
Wie Abbildung 4.10 zeigt, sind die Häufigkeiten für den Probe-Distraktor in allen drei
Bedingungen gleichsinnig verteilt. Die Häufigkeiten für das Probe-Target sind aufgrund der
immanenten Logik für die drei Bedingungen verschiedenartig auf beide Halbfeldseiten
verteilt. Das führt natürlich ebenfalls zu einer Konfundierung zwischen Bedingungen und den
Kontingenzen der Prime-Probe-Halbfeldseite. Dies läßt sich für die bilaterale Darbietung aber
grundsätzlich nicht vermeiden.
Probe- Target erscheint auf Probe- Target erscheint auf Probe- Target erscheint auf Probe- Target erscheint aufder Seite des Prime-Target der gegenüberliegenden der Seite des Prime-Distraktors der gegenüberliegenden
Seite des Prime-Target Seite des Prime-Distraktors
PP: 192 0 64 128NP: 64 128 192 0KO: 64 128 64 128
Probe- Distraktor erscheint auf Probe- Distraktor erscheint auf Probe- Distraktor erscheint auf Probe- Distraktor erscheint aufder Seite des Prime-Distrakors der gegenüberliegenden der Seite des Prime-Targets der gegenüberliegenden
Seite des Prime-Distraktors Seite des Prime-Distraktors
PP: 64 128 64 128NP: 64 128 64 128KO: 64 128 64 128
4.4 Durchführung 49
4.4Durchführung
Die beiden Experimente Exp30 und Exp31 wurden den Versuchspersonen in abwechselnder
Reihenfolge präsentiert. Direkt nach Eintreffen, wurden die Vpn über den groben Ablauf des
Experimentes, über die Umstände einer EEG-Ableitung und ihr Recht jederzeit ohne Angabe
von Gründen das Experiment abbrechen zu können, aufgeklärt. Alle Vpn haben daraufhin ihre
Bereitschaft zur Teilnahme schriftlich bestätigt. In Anhang A6 sind die schriftlichen
Instruktionen dokumentiert, die jeder Vp zu Beginn vorgelegt wurden. Vor jedem Experiment
sollten die Vpn so oft eine Serie von 20 Testdurchgängen durchlaufen, bis ihre Fehlerrate auf
unter 10% gesunken war. Im Laufe der Experimente wurde ca. alle 70 Durchgänge eine Pause
von 15 Sekunden mit einer Information über Fehlerrate und durchschnittliche Reaktionszeit
gezeigt. Jeder Teilnehmer erhielt 25 DM für die Teilnahme. Exp30 hatte eine Dauer von ca.
23 Minuten und Exp31 von ca. 15 Minuten. Alle Teilnehmer waren Studenten und
Rechtshänder. Die Darbietung wurde von einem DOS-PC gesteuert und die Reaktionen
wurden mit einer normale PC-Tastatur erfaßt (siehe Instruktionen im Anhang).
4.4.1 EEG- und EOG-Ableitung
Das EEG wurde über 29 Ag/AgCl-Elektroden nach dem internationalen 10-20-Standard ohne
Elektrodenkappe gegen Cz abgeleitet. Die Positionen waren Fp1, Fpz, Fp2, F7, F3, Fz, F4,
F8, FC3, FCz, FC4, T3, T4, C3, Cz, C4, CP3, CPz, CP4, P3, Pz, P4, T5, T6, O1, Oz, O2 und
die beiden Mastoiden. Die Kopfhaut wurde mit Alkohol gereinigt und mit abrasivem
Elektrodengel (Theodor-Körner-Apotheke, A-8010 Graz) aufgerauht. Die Elektroden wurden
dann mit der Elektrodencreme EC2TM (GRASS INSTRUMENT DEVISION) fixiert. Durch
diese Maßnahmen ist es gelungen, die Impedanzen auf unter 5kOhm zu bringen. Das
horizontale EOG wurde bipolar zwischen den äußeren Augenpositionen von linkem und
rechtem Auge mit Ag/AgCl-Elektroden abgeleitet. Das vertikale EOG wurde am linken Auge
ebenfalls bipolar abgeleitet. EEG und EOG wurden über einen Verstärker vom Typ SYNAMP
(Model 5083, Neuroscan©, Herndon, Vs., USA) mit AC-Charakteristik verstärkt (Lowpass:
30Hz, Highpass: 0.05Hz, Notch: 50Hz) und mit 200Hz digitalisiert. Diese Daten wurden
online mit der AQUIRE-Software (Version 3.2, NEUROSCAN, INC.© 1993) auf einem
DOS-Rechner aufgezeichnet und abgespeichert. Über eine serielle Verbindung mit dem
Darbietungs-PC wurden reiz- und reaktionssynchrone Markierungen ebenfalls online
eingefügt. Die offline Weiterverarbeitung der Rohdaten erfolgte mit BRAIN-VISION
(Version 1.02, Brain Products© 1998-1999) und der laboreigenen Softwareentwicklung
EKPSCAN (Version 1.03, Seifert, 1998-2000) bei 100 Hz.
4.5 Auswertungsstrategien 50
4.5Auswertungsstrategien
Zur Vorbereitung auf die Mittelung des EEG zum EKP wurde von Cz auf verbundene
Mastoiden umreferenziert. Weiterhin wurde der in BRAIN-VISION implementierte Augen-
Korrektur Algorithmus nach Coles und Gratton angewandt (vor der Aufspaltung nach
experimentellen Bedingungen). Und schließlich wurde ebenfalls anhand einer BRAIN-
VISION Prozedur die Beseitigung nicht-physiologischer Artefakte durchgeführt.
Die Erzeugung der EKPs wurde nach drei verschiedenen Strategien vorgenommen. Erstens
wurden reizsynchrone Epochen in einem Intervall von –600 ms (Exp30) bzw. –700 ms
(Exp31) bis 1250 ms um den Reiz herum ausgeschnitten und gemittelt, um reizbezogene
Komponenten klar herauszufiltern. Zweitens wurden reaktionssynchrone Epochen in einem
Intervall von –1005 ms bis 750 ms gemittelt, um reaktionsgekoppelte Komponenten optimal
bestimmen zu können. Drittens sollten sowohl reizsynchrone (-700 ms bis 1250 ms) als auch
reaktionssynchrone (-1005 ms bis 750 ms) lateralisierte Potentiale berechnet werden. In
einem ersten Schritt wurden die Potentiale auf alle Reize, in denen Target und Distraktor auf
verschiedenen Halbfeldseiten erschienen sind, getrennt für links und rechts dargebotene
Targets berechnet. Von den hierfür geeigneten Reizen, stehen 32 (von 48) pro experimenteller
Bedingung zur Verfügung. Für jede Targetseite sind dies also 16 Reize. Anhand einer
BRAIN-VISION Prozedur wurden über diese Zwischenergebnisse die lateralisierten
Potentiale hergestellt. Die Berechnung folgt der Standardformel, wie sie z.B. in Coles et al.
(1995) beschrieben ist. Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, daß alle habituellen
Hemispherenasymmetrien (wie z.B. linksseitige verbale Dominanz) herausgefiltert werden.
Abbildung 4.11 Die Formel zur Berechnung lateralisierter Potentiale
Für a priori nicht bekannte Lateralisierungseffekte ist es günstig, die nach Darbietungsseite
getrennt berechneten EKPs zu inspizieren, um zu sehen, ob man es mit ipsi- oder
kontralateralen Lateralisierungen zu tun hat. Je nach dem sind dann „korrekte“ Aktivierungen
als positive oder negative Ausschläge zu beobachten.
Die Formel zur Berechnung eines lateralisierten Potentials am Beispiel des LRP:
LRP = [Mittel(C3‘-C4‘)linke Hand + Mittel(C4‘-C3‘)rechte Hand] /2
Wird wie im Beispiel jeweils die Differenz ipsi- minus kontralateral berechnet, erhält man folgende
Amplitudenpolaritäten:
kontralateral negativer: Positivierung; kontralateral positiver: Negativierung
ipsilateral negativer: Negativierung; ipsilateral positiver: Positivierung
5.1 Verhaltensdaten 51
5 Ergebnisse
Es werden zunächst die nach Versuchsplan A und B ausgewerteten Verhaltensdaten
dargestellt. Danach wird die ebenfalls nach beiden Versuchsplänen gestaltete Analyse der
Ereigniskorrelierten Potentiale beschrieben. Die Betrachtung der Verhaltensdaten schließt
auch eine Analyse der Prime-Probe-Kontingenzen für die Anordnung von Target und
Distraktor mit ein. Eine Auswertung der EKPs für derart aufgespaltete Bedingungen erübrigt
sich, wegen der wenigen darin enthaltenen Trials (8 bzw. 16 Trials pro Bedingung reichen für
einen akzeptablen Signal-Rausch-Abstand nicht aus).
Grundsätzlich werden Effekte nur erwähnt, wenn die Signifikanzen mindestens auf einem
Fehlerniveau von p<0.1 angesiedelt sind8. Folgetests (t-Test) werden nur gerechnet, wenn ein
ANOVA-Effekt mindestens marginal signifikant ist.
5.1Verhaltensdaten
In beiden Versuchsplänen wurden Reaktionszeiten und Fehlerraten in jeweils einer
zweifaktoriellen Varianzanalyse mit Meßwiederholung auf beiden Faktoren analysiert. Die
Reaktionszeiten sind für jede VP median-gemittelt in die Varianzanalyse eingegangen. Die
Fehlerraten sind Absolutwerte in den einzelnen Bedingungen (Fehler pro 48 Trials). Die
Fehlerraten sind im Schnitt sehr klein (7.3%), was ihre Reliabilität stark einschränken dürfte,
die Diskussion wird deshalb auf Basis der Reaktionszeiten geführt.
Im Anschluß daran wird die Problematik der Prime-Probe-Kontingenzen für die Distanzen
zwischen Target und Distraktor aufgegriffen. Wie bereits in Abschnitt 4.3.3 erläutert, werden
beide Versuchspläne zur Aufhellung des Sachverhaltes mit den Faktoren [Prime-Distanz] und
[Probe-Distanz] angereichert. Ansatzweise wird auch versucht, die Kontingenzen bezüglich
der Darbietungsseite etwas zu durchleuchten.
5.1.1 Auswertung nach Versuchsplan A
Die beiden Haupteffekte [Priming] und [Probe-Select] sind für die Reaktionszeiten mit
p<0.001 (F(1,18)=55.5 bzw. F(1,18)=142.9) hoch signifikant. Die Interaktion ist mit
p<0.018 (F(1,18)=6.7) signifikant. Für die Fehlerraten sind der Haupteffekt [Priming] mit
p<0.062 (F(1,18)=4.0) und die Interaktion mit p<0.096 (F(1,18)=9.5) marginal signifikant.
Der Haupteffekt [Probe-Select] ist mit p<0.014 (F(1,18)=7.2) signifikant.
8 Terminologie: p<0.1: marginal signifikant; p<0.05: signifikant; p<0.001 hoch signifikant.
5.1 Verhaltensdaten 52
Negative Priming Kontrolle
Select 464.1 ms (s=61.7)5.4 Fehler (s=6.1)
435.3 ms (s=56.6)3.4 Fehler (s=4.0)
Nonselect 426.0 ms (s=58.4)2.6 Fehler (s=3.0)
411.8 ms (s=55.1)2.6 Fehler (s=2.8)
Abbildung 5.1 Tabelle der Zellmittelwerte nach der Analyse von Versuchsplan A
Der Negative-Priming-Effekt ist auf der Select-Stufe bei einer absoluten Differenz von –28.7
ms und einem 2=0.60 mit peinseitig<0.001 (t(18)=7.6; Nobs=38) für die Reaktionszeiten hoch
signifikant. Auf der Nonselect-Stufe ist der Negative-Priming-Effekt für die Reaktionszeiten
mit pzweiseitig<0.003 signifikant und erreicht ein 2=0.22 (t(18)=3.4; Nobs=38)
5.1.2 Auswertung nach Versuchsplan B
Sowohl die Haupteffekte [Priming] und [Attention] als auch die Interaktion sind für die
Reaktionszeiten mit p<0.001 (F(1,18)=19.9; F(1,18)=74.2; F(1,18)=15.8) hoch signifikant
von Null verschieden. Für die Fehlerraten ist nur der Haupteffekt [Priming] mit p<0.009
(F(1,18)=8.6) signifikant.
Negative Priming Kontrolle
Sustained Attention 464,1 ms (s=61.7)5.4 Fehler (s=6.1)
435,3 ms (s=56.6)3.4 Fehler (s=4.0)
Transient Attention 539,4 ms (s=73.4)3.1 Fehler (s=2.4)
533,3 ms (s=67.5)2.4 Fehler (s=2.3)
Abbildung 5.2 Tabelle der Zellmittelwerte nach der Analyse von Versuchsplan B
Der Negative-Priming-Effekt auf der Sustained-Stufe ist identisch mit dem Negative-Priming-
Effekt auf der Select-Stufe in Versuchsplan A 798;:=< 2= 0.60). Auf der Transient-Attention
Stufe kann der Negative-Priming-Effekt nicht abgesichert werden (pzweiseitig<0.29; t(18)=1.1).
Fazit: Es bleibt festzuhalten, daß die Replikation der üblichen Location-Priming Ergebnisse
im Select- bzw. Sustained-Attention-Setting gelungen ist. Sogar die Effektgröße ist annähernd
so groß wie bei Neill et al. (1992). Im Nonselect-Setting ist dieser Effekt auf ein Drittel
reduziert. Die Reaktionszeiten sind hier im Vergleich zum Select-Kontext generell schneller
(-31.2 ms). Unter transienter Aufmerksamkeit bleibt der Negative-Priming-Effekt vollständig
aus. Die Reaktionszeiten sind im Vergleich zu Sustained-Attention generell erheblich
verlangsamt (+86.65 ms). Ob diese Unterschiede zwischen den drei Selektions-Settings
lediglich quantitative Abstufungen eines Inhibitionseffektes darstellen, oder ob hier qualitativ
andersartige Prozesse wirksam sind, wird erst in der Analyse der EKPs transparenter.
5.1 Verhaltensdaten 53
5.1.3 Analyse des Einflusses der Kontingenzen der Prime-Probe-Distanzen auf den
Negative-Priming Effekt
Zunächst wurde eine vierfaktorielle 2x2x2x3 ANOVA mit Meßwiederholung auf allen
Faktoren gerechnet. Die Faktoren waren [Prime-Distanz], [Probe-Distanz], [Priming] und ein
Faktor [Setting], der als Stufen die drei in den Versuchsplänen A und B realisierten
Selektionsvarianten zugewiesen bekommen hat9. Relevant für die vorliegende Fragestellung
sind die beiden Interaktionseffekte mit Beteiligung der Distanz-Faktoren und dem Faktor
[Priming].
Sowohl der Effekt [Prime-Distanz] x [Probe-Distanz] x [Priming] als auch der Effekt [Prime-
Distanz] x [Probe-Distanz] x [Priming] x [Setting] wurden mit p<0.011 (F(1,18)=8.0) bzw.
mit p<0.035 (F(2,36)=3.7) signifikant. Das bedeutet erst einmal, daß die Prime-Probe-
Kontingenzen einen generellen Einfluß auf die Ausprägung des Negative-Priming-Effektes
haben. Dieser Einfluß ist zusätzlich abhängig von der speziellen Variante des
Selektionssettings. Es wurden deshalb noch drei weitere dreifaktorielle ANOVAs gerechnet,
in denen jeweils nur eine Stufe des Faktors [Setting] realisiert war. Hier ist jetzt nur noch
jeweils die einzige dreifache Interaktion relevant. Für die Variante [Probe-Nonselect] wurde
diese Interaktion nicht signifikant (p<0.64; F(1,18)=0.23). Für die Varianten [Probe-Select]
und [Transient-Attention] waren die Effekte mit p<0.03 (F(1,18)=5.4) bzw. p<0.005
(F(1,18)=10.1) statistisch bedeutsam.
Distanz-Kontingenzen
Prime=1Probe=1
Prime=1Probe=2
Prime=2Probe=1
Prime=2Probe=2
Sustained-Attention
bzw. Probe-Select
dx=21.9ms; 2=0.16
t(18)=2.9;p<= 0.01
dx=29.4ms; 2=0.22
t(18)=3.4; p<= 0.003
dx=29.7ms; 2=0.13
t(18)=2.6; p<= 0.02
dx=11.5ms
t(18)=1.4; p<= 0.17
Transient-Attention dx= -8.4ms
t(18)= -0.73; p<= 0.47
dx=24.3ms; 2=0.09
t(18)=2.2; p<= 0.04
dx=12.9ms
t(18)=0.9; p<= 0.38
dx= -24.1ms; 2=0.12
t(18)= -2.5; p<= 0.02
Abbildung 5.3 Tabelle der Negative-Priming-Effekte unter verschiedenen Darbietungsbedingungen. Die Tests sind zweiseitig.
Die Struktur dieser beiden Wechselwirkungen fällt recht unterschiedlich aus. Während in der
Sustained-Attention-Bedingung mit Ausnahme von [Prime=2, Probe=2] alle Negative-
Priming-Effekte in die gleiche Richtung gehen und auch in derselben Größenordnung liegen,
existieren in der Transient-Attention-Bedingung zwei gegenläufige Effekte.
Die Interpretation dieser komplexen Struktur ist völlig offen. Bemerkenswert ist, daß die
Negative-Priming-Effekte im Sustained-Attention-Setting kaum von den Distanzkontingenzen
beeinflußt werden. Ein Grund für den ausgebliebenen [Priming]-Haupteffekt unter
9 Diese drei Stufen sind demnach Probe-Select/ Sustained-Attention, Probe-Nonselect und Transient-Attention
5.1 Verhaltensdaten 54
Transient-Attention, scheint das Muster sich gegenseitig neutralisierender Teileffekte unter
den verschiedenen Distanz-Bedingungen zu sein.10
Jedenfalls kann festgehalten werden, daß da, wo ein Negative-Priming-Effekt auftritt, keine
großen Einflüsse der Distanz-Kontingenzen feststellbar sind. Das Problem der Konfundierung
der Distanz-Kontingenzen mit den Ausprägungen des [Priming]-Faktors ist also vorhanden
aber nicht erheblich, zumal alle Teileffekte in dieselbe Richtung gehen.
5.1.4 Analyse des Einflusses der Kontingenzen der Prime-Probe-Darbietungsseiten auf
den Negative-Priming Effekt
Wie aus Abbildung 4.9 hervorgeht, treten gar nicht alle Kontingenzen zwischen Prime- und
Probe-Darbietungsseiten für Negative-Priming bzw. Kontrolle auf. Eine vollständig gekreuzte
Varianzanalyse wie für die Kontingenzen der Distanzen, ist hier also nicht möglich. Ein
direkter Vergleich zwischen Negative-Priming und Kontrolle ist nur für einen einzigen Fall
(Prime-Seite ungleich und Probe-Seite ungleich) möglich. Hier existiert ausschließlich auf der
Select-Stufe ein signifikanter Negative-Priming-Effekt (F(1,18)=9.6; p<0.006). Die drei
(marginal) signifikanten Effekte der Seiten-Kontingenzen weisen aber darauf hin, daß hier ein
genereller Einfluß besteht. Ob dieser Einfluß zwischen Negative-Priming und Kontrolle
differenziert ausfällt, läßt sich wegen der fehlenden Zellbesetzungen nicht klären.
Seiten-Kontingenzen
Prime-gleichProbe-gleich
Prime-gleichProbe-ungleich
Prime-ungleichProbe-gleich
Prime-ungleichProbe-ungleich
Effekt derSeitenkontingenzen
NP Select / 471.4 ms 456.2 ms 558.4 ms F(2,36)=3.17; p<0.054
KO Select 526.9 ms / / 440.4 ms F(1,18)=3.10; p<0.096
NP Nonselect / 429.9 ms 422.1 ms 417.3 ms ns.
KO Nonselect 404.3 ms / / 413.8 ms ns.
NP Transient / 566.9 ms 555.3 ms 560.4 ms ns.
KO Transient 533.9 ms / / 562.6 ms F(1,18)=10.6; p<0.004
Abbildung 5.4 Tabelle der Reaktionszeiten, abhängig davon, ob Distraktor und Target in Prime und Probe jeweils auf derselben
Halbfeldseite oder auf gegenüberliegenden Halbfeldseiten dargeboten wurden. Die Tests sind zweiseitig.
10 Das ist dasselbe Muster, wie in der Voruntersuchung mit vollständig fovealer Darbietung aber ohne Switch-
Bedingung.
5.2 EKP-Analyse 55
5.2 EKP-Daten
Die Aufbereitung der EEG-Daten nach den in Abschnitt 4.5 erläuterten Strategien hat eine
immense Fülle an EKP-Daten hervorgebracht. Einen ersten intuitiven Eindruck erhält man
sicherlich am besten durch eine eingehende „Meditation“ über den nach verschiedenen
Bedingungen aggregierten Kurven in ihrer vollständigen Topographie. Auf eine umfassende
Visualisierung der Daten wird hier aus Platz- und Übersichtlichkeitsgründen aber verzichtet.
Vielmehr werden wenige beispielhafte Aggregationen und Elektrodenpositionen als Grafiken
dargestellt. Darüber hinausgehende und zum Verständnis ebenfalls notwendige Informationen
werden kurz zusammengefaßt im Text gegeben.
Es wird hier die Philosophie vertreten, daß wichtige Erkenntnisse über die beteiligten
Verarbeitungsprozesse bereits ohne jede Statistik aus der Komponentenstruktur der EKPs
gewonnen werden können. In einem ersten Abschnitt zur qualitativen Analyse der Daten
werden deshalb die auffälligen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen
Bedingungen, systematisch nach den beiden Versuchsplänen beschrieben und klassifiziert.
In dieser visuellen Analyse wird sich zeigen, daß statistische Vergleiche anhand einzelner
Komponenten nur für den Negative-Priming-Effekt jeweils getrennt auf den drei Stufen
Select, Nonselect und Transient-Attention sinnvoll sind. Der Grund liegt darin, daß die
Morphologien der EKPs unter diesen drei Selektions-Settings zu große Eigenheiten
aufweisen, um direkt vergleichbar zu sein. Außerdem ist eine der Grundvoraussetzung für den
quantitativen Vergleich von EKPs nicht gegeben, daß nämlich unspezifische Einflüsse
zwischen Bedingungen konstant gehalten sein müssen (Coles et al., 1995). Hier ist aber davon
auszugehen, daß allein wegen unterschiedlich großer Anstrengung zur Bewältigung der
Aufgaben, unterschiedliche Arousal-Niveaus vorhanden sein dürften.
In der quantitativen Auswertung werden also verschiedene Vergleiche zwischen Negative-
Priming und Kontrolle angestellt. Es wird hier wiederum über eine vorgeschaltete visuelle
Inspektion bestimmt, in welchen Komponenten an welchen Elektroden und innerhalb welcher
Latenzbereiche möglicherweise Unterschiede bestehen. Nur dort wird dann ein
Signifikanztest durchgeführt. Dieses Vorgehen mag die Gefahr zu subjektiver Urteile bergen,
erscheint aber unter dem Eindruck des sehr reichhaltigen und komplexen Materials sinnvoll,
um erst einmal eine grobe Ordnung und Orientierung herzustellen.
5.2 EKP-Analyse 56
Abbildung 5.5 Reizsynchrone EKPs
Baseline: -700 bis –500 msHelle Kurve: EKP für Select über [Priming] aggregiertDunkle Kurve: EKP für Nonselect über [Priming] aggregiert
5.2.1 Qualitative Analyse der EKPs nach Versuchsplan A
Bezüglich des Faktors [Probe-Select] zeigen sich
unabhängig von der Ausprägung des [Priming]-
Faktors große qualitative Differenzen in den
Kurvenverläufen. Die Unterschiede zwischen
Negative-Priming und Kontrolle spiegeln sich
auschließlich in Modulationen der beiden
Grundmuster wider. Es folgt nun die
Beschreibung der Komponenten und eine eher
intuitive Klassifizierung.
In beiden Kurven ist eine etwa gleich stark
ausgeprägte anteriore N1 (150 ms) zu finden.
Wie in der Literatur beschrieben, folgt etwas
später eine posteriore N1 (200 ms). Auch die
Latenzen sind so, wie sie üblicherweise in der
visuellen Modalität vorgefunden werden.
Entgegen der sonst berichteten Topographie, ist
die posteriore N1 nicht okzipital sondern
temporal maximal. In der Select-Bedingung ist
diese späte N1 deutlich größer, als in der
Nonselect-Bedingung. Wie die Betrachtung der
nach Targetseite getrennt gemittelten
lateralisierten Potentiale zeigt, ist die N1 bei der
unilateralen Darbietung im Nonselect-Kontext
stark lateralisiert (Anhang A7). Die jeweiligen
lateralen Peaks sind genauso stark ausgeprägt,
wie die Peaks der bilateralen N1. Deshalb fällt
die lateralisierte N1 im Mittel über die beiden
Targetseiten nur etwa halb so groß aus, wie die N1 bei bilateraler Darbietung. Weiterhin
existieren für beide Kurven eine posteriore P1 und eine sehr breit gestreute P3b. In der
Nonselect-Bedingung ist eine anteriore P3a wegen ihrer deutlich erkennbar kürzeren Latenz
von der weiter posterior verteilten P3b zu trennen. In der Select-Bedingung sind die Latenzen
der anterioren und posterioren P3-Peaks etwas gleich. Allerdings ist in der frontalen
5.2 EKP-Analyse 57
Abbildung 5.6 Reaktionssynchrone EKPs
Baseline: -1005 ms bis –500 msHelle Kurve: EKP für Select über [Priming] aggregiert.Dunkle Kurve: EKP für Nonselect über [Priming] aggregiert.
Querreihe (F7,F3,Fz,F4,F8) ein starke linksseitige Asymmetrie festzustellen. Auch hier wird
deshalb die Bezeichnung P3a für die frontale P3 vergeben. Da dieselbe asymmetrische
Topographie auch für die frühere P3a in der Nonselect-Bedingung gilt, handelt es sich
vermutlich in beiden Bedingungen um ein und dieselbe Komponente.
Der vorherrschende qualitative Unterschied in den Kurvenverläufen zeigt sich erstens in einer
an Fz maximalen P2, mit einer symmetrischen frontopolaren bis fronto-zentralen Topographie
in der Select-Bedingung. Zweitens existiert ebenfalls in der Select-Bedingung, eine an FCz
maximale N2 (vermutlich eine N2b), die an frontalen Elektroden linksseitig asymmetrisch
verteilt ist und ihr Maximum kurz nach 300 ms hat. Nach posterior wird die N2 kleiner, ist
aber bis zu den parietalen Elektroden deutlich sichtbar. Sie unterscheidet sich von der
anterioren N2 durch ein etwas früheres Maximum kurz vor 300 ms und durch eine
symmetrische bilaterale Topographie. Vermutlich handelt es sich hierbei um eine N2pc. In
den reaktionssynchron gemittelten Daten
sind keine grundsätzlich verschiedenen
Muster für die beiden Bedingungen zu
erkennen. Die Differenzierung der P3 in
eine P3a und P3b bestätigt sich hier.
Weiterhin klärt sich die Topographie der
P3b dahingehend auf, daß sie deutlich an
Pz maximal ist. An posterioren Elektroden
deutet sich in der Select-Bedingung ein
positives Zwischenmaximum kurz vor der
Reaktion an. Nach der Reaktion treten
drei Komponenten auf, die entweder als
Off-Potentiale zu deuten sind, oder
ansonsten eine ungeklärte Bedeutung
haben. Diese drei Komponenten sind mit
dem Index pr für “post-reaktion”
gekennzeichnet. Die Npr1 tritt besonders
frontopolar hervor. Die Ppr1 ist an FCz
maximal und linksfrontal asymmetrisch.
Die Npr2 ist an Oz maximal und okzipito-
temporal rechtsseitig asymmetrisch.
5.2 EKP-Analyse 58
Abbildung 5.7 Reizsynchrone lateralisierte EKPs
Baseline: -700 ms bis 0 msHelle Kurve: EKP für Select über [Priming] aggregiert.Dunkle Kurve: EKP für Nonselect über [Priming] aggregiert.
In den reizsynchron gemittelten lateralisierten Potentialen, sind P1 und N1 in der unilateralen
Darbietung (Nonselect-Bedingung) an posterioren temporalen Elektroden maximal. Bei
bilateraler Darbietung (Select-Bedingung), findet sich keinerlei Lateralisierung der P1 oder
N1. Das deutet darauf hin, daß zu diesem
Zeitpunkt (bis ca. 200 ms) die Targetseite
noch nicht erkannt worden ist. Ab 200ms
setzt dann aber kontralateral zum Target
eine lateralisierte N2 ein. Das zeigt
eindeutig, daß nach spätestens 200 ms die
Targetseite identifiziert worden ist. Auch
weil die Latenzen dieser N2 und der
vorher klassifizierten N2pc gut
übereinstimmen, handelt es sich hier
vermutlich um den lateralisierten Aspekt
der N2pc. In der Nonselect-Bedingung
bleibt diese lateralsierte N2pc vollständig
aus. Die ebenfalls um etwa 300 ms
frontocentral maximale negative
Komponente wird aufgrund ihrer von der
N2pc verschiedenen Topographie als LRP
klassifiziert. In der Select-Bedingung hat
das LRP erst ca. 100 ms später ein
Maximum erreicht. Die Positivierungen
nach dem LRP werden in der folgenden
Darstellung der reaktionssynchron
gemittelten EKPs beschrieben.
5.2 EKP-Analyse 59
Abbildung 5.9 Reizsynchrone EKPs in VPL B
Baseline: -600 bis –500 msHelle Kurve: Sustained Attention (Exp31)Dunkle Kurve: Transient Attention (Exp30)
Abbildung 5.8 Reaktionssynchrone lateralisierte EKPs
Baseline: -1005 bis -800Helle Kurve: Select; Dunkle Kurve: Nonselect
In beiden Kurven tauchen nach dem LRP drei lateralisierte Komponenten auf, die lediglich
unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Zeitgleich mit der nicht-lateralisierten, taucht hier eine
posterior-temporal maximale LPpr1 (steht für erste lateralisierte Positivität nach der Reaktion)
auf.
Weiterhin existieren eine ebenfalls
posterior-temporal maximale LNpr1 (Peak
bei ca. 100 ms) und eine LPpr2 nach ca. 200
ms. Welche Bedeutung diese Komponenten
haben könnten, ist unklar. Sie werden hier
zwar beschrieben, aber später weder
statistisch analysiert, noch inhaltlich
interpretiert.
5.2.2 Qualitative Analyse der EKPs nach Versuchsplan B
Die Kurvenverläufe für Sustained- versus
Transient-Attention sind bezüglich der
vorkommenden Komponenten sehr ähnlich.
Einzige Ausnahme ist das Potential auf den
Cue. Hier wird das Bild in der Sustained-
Bedingung im Gegensatz zur Transient-
Bedingung von einer parietalen P2 und P3
dominiert.
5.2 EKP-Analyse 60
Aufgrund der vielfältigen Amplituden- und Latenzunterschiede in den einzelnen
Komponenten, wird in der statistischen Analyse –wie auch schon in Versuchsplan A–
lediglich ein Vergleich zwischen Negative-Priming und Kontrolle jeweils getrennt für die
beiden Stufen des [Attention]-Faktors gerechnet. Für die lateralisierten Potentiale ist die
Situation ähnlich. Abbildungen hierzu sind in Anhang A8 zu finden. Während sich in beiden
Kurven die selben Komponenten wiederfinden, sind die Morphologien im Vergleich dann
doch so gegeneinander verzerrt, daß eine separate Betrachtung des Negative-Priming-Effektes
unter der beiden [Attention]-Stufen sinnvoll erscheint.
Fazit: Festzuhalten bleibt, daß sich die unterschiedlichen Verarbeitungsprozesse bezüglich
Select- und Nonselect-Bedingung (VPL A) in eigenständigen Komponenten widerspiegeln.
Im Kontrast dazu bestehen die Unterschiede bezüglich der Sustained- und Transient-
Attention-Bedingung (VPL B) in Modulationen der Latenzen, Amplituden und
Flankensteilheiten ein und derselben Komponenten.
Nachschlag: Zum Abschluß soll ein Blick auf die über alle Versuchspersonen gemittelten
horizontalen Augenbewegungen aufzeigen, wie schnell „die Augen wissen“ auf welcher Seite
das Target ist. Zum Vergleich sind die sehr viel trägeren Reaktionszeiten eingetragen.
Es wird auch deutlich, daß relativ große Reaktionszeitunterschiede sehr viel kleineren
Unterschieden in den Latenzen der Blickbewegungen gegenüberstehen. Eine quantitative
Analyse der Einsatzlatenzen wurde nicht vorgenommen.
Abbildung 5.10 Reizsynchron gemitteltes Heog
Positive Amplituden sind Blickbewegungen nach rechts. In die Mittelungsind nur die Reize eingegangen, in denen Target und Distraktor aufgegenüberliegenden Halbfeldseiten dargeboten wurden.Die beiden Kurven mit positivem Ausschlag, sind jeweils korrekteAugenbewegungen nach rechts, wenn das Target rechts erschienen ist.
Helle Kurven: Negative-PrimingDunkle Kurven: Kontrolle
RT: 461ms RT: 429ms
RT: 538ms
5.2 EKP-Analyse 61
Abbildung 5.11 Reizsynchron gemittelt, Baseline von -700 bis -500ms
Helle Kurve: Negative-Priming/ SelectDunkle Kurve: Kontrolle/ Select
Es wurden drei Average-Amplituden gerechnet. Die entsprechendenEpochen sind umrahmt und der Latenzbereich ist eingetragen.
5.2.3 Quantitative Analyse nach Versuchsplan A
Es werden jetzt getrennt für die beiden Stufen des [Probe-Select]-Faktors Vergleiche
zwischen Negative-Priming und Kontrolle gerechnet. Begonnen wird mit den reizsynchron
gemittelten Potentialen auf der Select-
Stufe. Hier zeigt sich in der visuellen
Inspektion der Kurven als dominierender
Unterschied eine breit gestreute, erhöhte
Negativität für die Negative-Priming-
Bedingung zwischen ca. 150 und 400 ms.
Dieser Effekt reicht von frontozentral bis
okzipital, ist an Pz maximal und hat eine
leichte linkshemispherische Dominanz.
Eine Betrachtung der Differenzpotentiale
zeigt auf, daß diese Negativität aus zwei
separaten Komponenten besteht. Zum
einen werden posteriore N1 und N2
zwischen ca. 120 und 300 ms von einer
zusätzlichen langsamen negativen
Komponente mit einem Maximum bei
etwa 230 ms überlagert. Die zweite
Komponente ist in der steil abfallenden
Flanke der P3 „versteckt“ (in Abbildung
5.11 als N3 gekennzeichnet) und erstreckt
sich über einen Bereich zwischen ca. 300
und 400 ms, mit einem Maximum bei ca.
350 ms (Anhang A9). Für die statistische
Absicherung dieser vorläufigen Effekte
wurden, entsprechend der beiden relevanten Komponenten, Average-Amplituden über die
Epochen von 150-300 ms und von 300-400 ms gerechnet. Als zusätzliche Baseline wurde
auch noch eine Average-Amplitude zwischen 50 und 150 ms ausgewertet. Es wurden
folgende 19 Elektroden in jeweils eine zweifaktorielle Varianzanalyse für jede Epoche
aufgenommen: FC3, FCz, FC4, T3, C3, Cz, C5, T4, CP3, CPz, CP4, T5, P3, Pz, P4, T6, O1,
Oz, O2.
5.2 EKP-Analyse 62
Abbildung 5.12 Reizsynchron gemittelt, Baseline von -700 bis -500ms
Helle Kurve: Negative-Priming / NonSelectDunkle Kurve: Kontrolle / NonSelect
Es wurden drei Average-Amplituden gerechnet. Die Epochen mitvermuteten Effekten sind umrahmt und der Latenzbereich isteingetragen.
O2
Oz
O1
T6
P4
Pz
P3
T5
CP4
CPz
CP3
T4
C4
Cz
C3
T3
FC4
FCz
FC3
1
0
-1
-2
-3
-4
-5
Bedingung
Kontrolle
Negative-Priming
Weder in der Baseline zwischen –700 und –500 ms noch in der zusätzlichen Baseline
zwischen 50 und 150 ms unterschieden sich Negative-Priming und Kontrolle signifikant
voneinander. Die erwarteten Effekte in den beiden späteren Epochen ließen sich statistisch
absichern.
Latenzbereich 150 – 300 ms Latenzbereich 300 – 400 ms
NP vs. KO F(1,18) = 7.9; p(F) < 0.012 F(1,18) = 6.7; p(F) < 0.018
Die Interaktion mit den Elektrodenpositionen wurde für keine der Epochen signifikant.
Die qualitative Analyse der Kurven auf der Nonselect-Stufe zeigt, daß hier kein Effekt
zwischen 150 und 300 ms vorhanden ist. Allerdings deutet sich ein zur Select-Stufe
vergleichbarer Effekt zwischen 300 und
400 ms an. Ebenfalls über viele
Elektroden verteilt, ist eine erhöhte
Negativierung für Negative-Priming
zwischen 50 und 150 ms zu erkennen. Die
statistische Absicherung bleibt allerdings
weit über akzeptablen Fehlerwahrschein-
lichkeiten, selbst wenn nur die Elektroden
mit den größten absoluten Differenzen
und den kleinsten Streuungen in eine
Varianzanalyse aufgenommen werden.
O2
Oz
O1
T6
P4
Pz
P3
T5
CP4
CPz
CP3
T4
C4
Cz
C3
T3
FC4
FCz
FC3
5
4
3
2
1
0
Bedingung
Kontrolle
Negative-Priming
Die Average-Amplituden im Latenzbereich 300-400 ms
auf der Select-Stufe
Die Average-Amplituden im Latenzbereich 150-300 ms auf
der Select-Stufe
5.2 EKP-Analyse 63
Die Analyse der reizsynchron gemittelten lateralisierten Potentiale, erwies sich als
problematisch, weil starke Schwankungen in der Baseline vorhanden sind. Deshalb wird hier
auf eine statistische Auswertung verzichtet. Wenngleich doch angemerkt werden soll, daß
sich Negative-Priming-Effekte auf der Select-Stufe in einer vergrößerten LRP- und N2-
Amplitude andeuten.
Die Analyse der reaktionssynchron gemittelten Potentiale ergab für die späten Komponenten
nach der Reaktion deutlich sichtbare Amplitudenvergrößerungen in der Negative-Priming-
Bedingung für die Select-Stufe. Weder unter Transient-Attention (VPL B) noch in der
Nonselect-Bedingung sind entsprechende Effekte nachweisbar.
Die Betrachtung der nach Targetseite getrennt gemittelten Potentiale zeigt, daß die in
Abbildung 5.13 sichtbare Amplitudenvergrößerung durch eine kontralateral vergrößerte
Positivität in der Negative-Priming-Bedingung zustande kommt.
Die statistische Auswertung der Average-Amplituden zwischen 0 und 250 ms ergab über die
Elektroden P3/4, T5/6 und O1/2 aggregiert, einen marginal signifikanten Unterschied von>@?BAC#DFE#GIH6J9K LNM F(1,18)=3.96; p<0.063).
Abbildung 5.13 Reaktionssynchron gemittelte lateralisierte Potentiale auf der Select-Stufe.Zwischen 0 und 250 ms wurden Average-Amplituden berechnet.
Helle Kurve: Negative-PrimingDunkle Kurve: Kontrolle
5.2 EKP-Analyse 64
Abbildung 5.14 Reizsynchron gemittelt, Baseline von –600 bis –500ms
Helle Kurve: KontrolleDunkle Kurve: Negative-Priming
Die vier gekennzeichneten Epochen wurden statistisch ausgewertet
5.2.4 Quantitative Analyse nach Versuchsplan B
Nachdem die Unterschiede im EKP zwischen Transient- und Sustained-Attention in der
qualitativen Analyse (Abschnitt 5.2.2) thematisiert wurden und die Negative-Priming-Effekte
unter Sustained-Attention im vorherigen Abschnitt 5.4.3 beschrieben sind, bleibt nur noch die
quantitative Auswertung der Effekte unter Transient-Attention. Wie schon auf der Nonselect-
Stufe ist auch hier wieder keine erhöhte Negativität im Latenzbereich zwischen 150 und 400
ms für die Negative-Priming-Bedingung
zu entdecken. Dafür zeigt sich eine
markante anteriore Verstärkung der P2-
und P3a-Amplituden. Zudem scheinen die
Latenzen von N2b und P3a verlängert zu
sein. An posterioren Elektroden deutet
sich eine reduzierte P1-Amplitude in der
Negative-Priming-Bedingung an.
Statistisch abgesichert werden konnten
erstens die P2- und P3a-Amplituden-
unterschiede und zweitens die
Latenzunterschiede für N2b und P3a.
Sowohl mittels Average-Amplituden als
auch mittels Peak-Amplituden konnte der
P1-Effekt an posterioren Elektroden nicht
bestätigt werden. In der folgenden Tabelle
sind die Ergebnisse der Analyse
wiedergegeben.
Latenz Peak-Amplitude Average-Amplitude
Negative-Priming-Effekt
Anteriore P2
n.s. F(1,18)=4.7; p<0.045OQP3RTSVU W XZY\[^]=R,_#U S X F(1,18)=4.3; p<0.054OQP3R6`aU b X\YQ[=]=RVcdU W XNegative-Priming-Effekt
Anteriore N2
F(1,18)=3.7; p<0.07
NP=298.9ms, KO=311.8ms
n.s. n.s.
Negative-Priming-Effekt
Anteriore P3a
F(1,18)=7.3; p<0.01
NP=377.5ms, KO=361.3ms
n.s. F(1,18)=3.8; p<0.067OQP3R6`aU b XZY[=]=RVcdU b XAbbildung 5.15 Die Ergebnisse von 3 ANOVAs mit jeweils den Elektroden F3, F7, F4, FC3, FCz, FC4 und dem Faktor [Priming].
5.3 Abschließende Diskussion 65
5.3 Abschließende Diskussion
Die Analyse der Verhaltensdaten ergibt unterschiedlich große Ausprägungen des Negative-
Priming-Effektes, abhängig davon, in welchem Setting die Selektion und der nachfolgende
Probe-Test stattgefunden haben. Über die Analyse der dazugehörigen EKPs können Aussagen
getroffen werden, die weit über die Feststellung quantitativer Unterschiede zwischen den
Effektgrößen hinausgehen. Bevor dieser Sachverhalt diskutiert wird, sollen aber zuerst
generelle Aspekte der vorgefundenen ereigniskorrelierten Potentiale besprochen werden.
Unabhängig von der Untersuchung des Negative-Priming-Effektes, konnte über den
Vergleich der EKPs zwischen Select- und Nonselect-Bedingung demonstriert werden, daß
hier jeweils sehr unterschiedliche Verarbeitungsprozesse beteiligt sein müssen. In der Select-
Bedingung traten im Vergleich zur Nonselect-Bedingung zusätzlich eine anteriore P2, eine
anteriore N2b und eine posteriore lateralisierte N2pc auf. Diese drei Komponenten scheinen
also spezifisch mit Selektionsprozessen zur Trennung von Target und Distraktor
zusammenzuhängen. Die Eigenschaften der N2pc in dieser Untersuchung, stimmen sehr gut
mit der von Luck et al. (1994) beschriebenen Charakteristik überein (siehe Abschnitt 3.4.1).
Ob die hinter dieser Komponente stehenden neuronalen Vorgänge eher für die Unterdrückung
irrelevanter Information sorgen oder entgegengesetzt eine Erleichterung der
Targetverarbeitung bedeuten, wird von verschiedenen Autoren kontrovers diskutiert (Luck et
al., 1994; Eimer, 1996). Auch die vorliegenden Ergebnisse bringen diesbezüglich keine
Klarheit. Die beiden anterioren Komponenten könnten aufgrund ihrer Topographie die
Aktivität derjenigen Netzwerke widerspiegeln, die an der exekutiven Steuerung der Selektion
beteiligt sind. Möglicherweise hängt diese anteriore Aktivität spezifisch mit der Trennung von
Target und Distraktor zusammen, wie dies im Modell von Houghton und Tipper (1994)
konzipiert wurde. Es ist aber auch vorstellbar, daß die Komponenten immer dann auftauchen,
wenn zur Bewältigung der Aufgabe eine exakte Analyse der Buchstaben notwendig ist. Da in
der Nonselect-Bedingung der allein dargebotene Buchstabe immer auch Target ist, kann eine
Reaktion hier auch schon nach unvollständiger Analyse des Reizes beispielsweise durch
Kopplung an eine frühe Orientierungsreaktion (wie sie in der N1 manifestiert ist) bestimmt
werden. Zur Klärung dieser Frage, wäre eine zusätzliche Bedingung mit der isolierten
Darbietung eines einzigen Distraktors sinnvoll, so daß vor einer Reaktion in der Nonselect-
Situation ebenfalls zwischen Target und Distraktor differenziert werden müßte.
Im Gegensatz zur unilateralen Darbietung in der Nonselect/Sustained-Attention-Bedingung,
konnte in den beiden anderen Bedingungen mit bilateraler Darbietung (Select/Sustained-
5.3 Abschließende Diskussion 66
Attention und Select/Transient-Attention), wie gesagt, eine Aufmerksamkeitsausrichtung hin
zur Targetseite nicht „einfach“ über eine unspezifische Orientierungsreaktion geleistet
werden. Vielmehr ist hier zur korrekten Orientierung zuerst eine Analyse der beiden
Buchstaben zumindest auf der Ebene physikalischer Merkmale notwendig. Wie aus der
Betrachtung der horizontalen Augenbewegungen und der lateralisierten N2pc hervorgeht, ist
die Targetseite unter bilateralen Darbietungsbedingungen spätestens nach ca. 200 ms und nur
wenige Millisekunden später als bei unilateraler Target-Darbietung erschlossen. Die absoluten
Unterschiede zwischen Select/Sustained-Attention und Select/Transient-Attention, einerseits
bezüglich der Reaktionszeiten (461 ms vs. 538 ms) und andererseits bezüglich der HEOG-
Einsatz-Latenzen (ungefähr gleich bei ca. 230 ms) und N2pc-Peak-Latenzen (ungefähr gleich
bei ca. 300 ms) weisen darauf hin, daß Entscheidungen über unwillkürliche Blickbewegungen
und über die Lateralisierung der N2pc von einer anderen Instanz getroffen werden, als
Entscheidungen über willkürliche Reaktionen. Dieses Muster paßt zu den Vorstellungen von
Wijers et al. (1989) über die Unterscheidung zwischen einem schnellen präattentiven
Klassifikationssystem (verknüpft mit einer posterioren N2) und einem seriell arbeitenden
attentionalen System (verknüpft mit einer langsamen „Search-Negativity“). Die Funktion der
präattentiven Klassifikation liegt vermutlich eher in der Optimierung der perzeptuellen
Analyse über unspezifische Orientierungsreaktionen als in der Reizevaluation (Latenz der
P3b) oder der Festlegung von Reaktionsparametern, wie sie im LRP sichtbar werden.
Tatsächlich deutet sich bezüglich der P3b und im LRP an, daß die Unterschiede der Peak-
Latenzen etwa in der Größenordnung der Unterschiede der Reaktionszeiten liegen. Eine
statistische Absicherung der Latenzunterschiede wurde allerdings in keinem der erwähnten
Fälle vorgenommen.
Es folgt nun die Diskussion der Negative-Priming-Effekte. Die quantitative Abstufung der
Effekte für die drei Selektions-Settings findet sich in dieser einfachen Form in den EKPs nicht
wieder. Im Select/Sustained-Attention-Kontext geht der insgesamt größte Effekt aufLfeag�h�>iDFG�e@j'Akea?�e@j&elM 2=0.60; 29.8 ms) mit zwei markanten Veränderungen im EKP einher.
Erstens finden sich in der Negative-Priming-Bedingung im Vergleich zur Kontrolle zwei
erhöhte Negativitäten zwischen 150 und 400 ms nach Reizeinsatz. Zweitens ist im
lateralisierten Potential eine kontralateral zur Targetseite erhöhte, posterior verteilte
Positivität zwischen 0 und 250 ms nach erfolgter Reaktion zu beobachten. Der immer noch
große, aber doch deutlich reduzierte Verhaltens-Effekt im Nonselect/Sustained-Attention-m Cdj#G�e@n&G)M 2=0.22; 14.2 ms), findet im EKP überhaupt keine statistisch bedeutsame
Entsprechung. Besonders interessant ist die Situation im Select/Transient-Attention-Setting.
5.3 Abschließende Diskussion 67
Hier sind keine Effekte in Reaktionszeiten oder Fehlerraten zu beobachten. Dafür sind in der
Negative-Priming-Bedingung zum einen die Amplituden von anteriorer P2 und P3a
vergrößert und zum anderen sind die Latenzen von N2b und P3a verlängert. Dieses
Ergebnismuster wird wie folgt interpretiert:o Select/Sustained-Attention
Die Negativierungseffekte zwischen 150 und 400 ms nach Reizeinsatz können als erhöhte
„Processing-Negativities“ im Sinne von Nd-Komponenten (Näätänen, 1990; Wijers, 1996)
klassifiziert werden. Die Aufteilung in zwei Teilkomponenten wird auch in der neueren
Literatur berichtet (Wijers, 1996). Danach stellt die frühe Negativierung eine
selektionsbezogene Nde dar, während die zweite Komponente zwischen 300 und 400 ms
vermutlich der evaluationsbezogenen Ndl entspricht.
In diesem Rahmen läßt sich der Nde-Effekt als erschwerter Vergleich zwischen Reiz und
Aufmerksamkeitsspur in der Negative-Priming-Bedingung interpretieren. Dieser Vergleich
dauert länger und erfordert mehr Verarbeitungsressourcen, wenn die relevanten
Repräsentationen vorher gehemmt wurden. Die so interpretierte Befundlage bestätigt sehr
geradlinig die theoretischen Vorstellungen von Houghton und Tipper (1994) zur Genese des
Negative-Priming-Effektes. Der Ndl-Effekt könnte als akkuratere Weiterverarbeitung des
selegierten Targets betrachtet werden.
Die nach der Reaktion zu beobachtende kontralaterale Positivierung für Negative-Priming,
verglichen mit der Kontroll-Bedingung, ist in ihrer Bedeutung völlig unklar.o Nonselect/Sustained-Attention
Der reduzierte Negative-Priming-Effekt der Reaktionszeiten im Nonselect-Setting könnte
darauf zurückgeführt werden, daß sich Inhibition hier auf dieselben Prozesse auswirkt, wie im
Select-Setting – nur eben in abgeschwächter Form. In diesem Fall sollten die Effekte im EKP
in geringerer Größe ebenfalls noch vorhanden sein. Die Empirie zeigt nun aber, daß keinerlei
statistisch absicherbare Effekte existieren. Da es aber um die Interpretation von
Nullhypothesen geht, ist natürlich die Power-Problematik zu berücksichtigen. Für die Ndl und
die reaktionsgekoppelten Positivierungen sind absolute Amplitudenunterschiede in die
richtige Richtung vorhanden. Die gescheiterte statistische Absicherung könnte hier also unter
Umständen auf zu geringe Teststärke zurückgeführt werden. Für die frühe Nde ist aber noch
nicht einmal eine absolute Amplitudendifferenz auszumachen, weshalb die Interpretation der
Nullhypothese in diesem Fall vertretbar erscheint.
5.3 Abschließende Diskussion 68
Im Rahmen der Theorie der Aufmerksamkeitsspur (Näätänen, 1990; Houghton und Tipper,
1994), kann der Negative-Priming-Effekt hier also nicht im Sinne einer Nachwirkung von
Inhibition gedeutet werden.o Select/Transient-Attention
Es konnten keine Nd-Effekte nachgewiesen werden. Die absoluten Amplitudenunterschiede
gehen sogar in die falsche Richtung, weshalb eine Aussage zugunsten der Nullhypothese hier
unproblematisch erscheint. Dieses Resultat paßt bestens in den bisher vertretenen
theoretischen Rahmen. Mangels konsistenter afferenter Verstärkung, können im Transient-
Attention-Setting keine Aufmerksamkeitsspuren angelegt werden, weshalb sich inhibitorische
Nacheffekte auch nicht auf die damit verbundenen Prozesse auswirken können. Da in dieser
Bedingung nicht mehr Fehler, als in der Sustained-Attention-Bedingung gemacht wurden,
muß auch hier ein vergleichbarer Mechanismus für eine erfolgreiche Selektion gesorgt haben.
Die Tatsache, daß im EKP Negative-Priming-Effekte nachweisbar sind, zeigt, daß der
Selektionsmechanismus auch hier –zumindest teilweise– über eine Modulation von
Distraktorrepräsentationen wirken muß. Ansonsten dürfte distraktorbezogene Information
keinerlei Einfluß auf die Verarbeitung haben. Die Verstärkungen der anterioren P2 und P3a
weisen darauf hin, daß zur Überwindung der Inhibition exekutive Systeme beteiligt sind.
Fazit: Unter Berufung auf die Theorie der Aufmerksamkeitsspur von Näätänen (1990), das
konnektionistische Modell von Houghton und Tipper (1994) und den von Cummings (1995)
beschriebenen anatomischen Strukturen, werden folgende Arbeitshypothesen aufgestellt:o Ist durch konsistente afferente Verstärkung die Einrichtung einer Aufmerksamkeitsspur
möglich, sorgt dieses System dafür, daß die durch konkurrente Selektion erzeugte
Hemmung der Distraktor-Repräsentationen (Object-Field) überwunden wird. Die
Aufmerksamkeitsspur wird in einem separaten Repräsentationsmodul (Match-Mismatch-
Field) angelegt und ermöglicht eine automatische Selektion unter Entlastung exekutiver
Systeme (Target-Field). Eine plausible anatomische Struktur für das Match-Mismatch-
Field wäre ein Verbundsystem aus Caudatum und kortikalen Assoziationsarealen. Die
elektrophysiologischen Effekte spiegeln dann eine erhöhte Aktivität dieses Systems wider.o Kann keine Aufmerksamkeitsspur angelegt werden, muß die Hemmung durch direkte
Interaktion zwischen frontalen Exekutivsystemen und posterioren Assoziationsarealen
überwunden werden. Die elektrophysiologischen Effekte spiegeln hier also eine erhöhte
Aktivität des frontalen Systems (Target-Field) wider.
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Anhang 75
Anhang
Inhaltsübersicht
A1 ................... Vollständiger Versuchsplan Exp30
A2 ................... Vollständiger Versuchsplan Exp31
A3 ................... Überblick Reizauswahl
A4 ................... Verteilung der Bedingungskontingenzen
A5 ................... Distanz-Kontingenzen
A6 ................... Instruktionen
A7 ................... Vergleich der lateralisierten Potentiale für bilaterale und unilaterale N1
A8 ................... Vergleich der lateralisierten Potentiale für den Faktor [Attention]
A9 ................... Differenzpotential für Negative-Priming versus Kontrolle im Select-Kontext
Switch Nonswitch
ohne Wechsel ohne Wechsel
Mismatch: NP Mismatch: PPInhibition: PP Inhibiton: PPPreCue: -Reset: p Mismatch
PP mit Wechsel mit Wechsel
Mismatch: NP Mismatch: PPInhibition: PP Inhibition: PPPreCue: - Kontrolle zu Switch/ mit WechselReset: p Mismatch
ohne Wechsel ohne Wechsel
Mismatch: PP Mismatch: NPInhbition: NP Inhibition: NPPreCue: p MismatchReset: p Mismatch
NP mit Wechsel mit Wechsel
Mismatch: NP Mismatch: NPInhibition: NP Inhibition: NPPreCue: p Inhibition Kontrolle zu Switch/ mit WechselReset: p Mismatch
ohne Wechsel ohne Wechsel
KO mit Wechsel mit Wechsel
A1 Vollständiger Versuchsplan für Exp30
Hier sind alle in Exp30 realisierten 12 Bedingungen aufgeführt. Die Vorhersagen aus Feature-
Mismatch-Theorie und Inhibitiontheorie sind jeweils angeben. Außerdem ist angedeutet in
welche Richtung Pre-Cueing und Reset die Effekte zugunsten einer der beiden Haupteinflüsse
verschieben sollte. Erläuterung sind in Abschnitt 4.1 zu finden.
Legende: PP = Positive-Priming, NP = Negative-Priming, KO = Kontrolle
X o O
O x X
X o O
O T T
X o O
X O x
X o O
T O T
X o O
O x X
X o O
O T T
X o O
X o O
X o O
T o O
X o O
O X o
X o O
O T o
X o O
X o O
X o O
T o O
A2 Vollständiger Versuchsplan für Exp31
Negative-Priming Kontrolle
PrimeSelect-ProbeSelect
PrimeNonselect-ProbeSelect
PrimeSelect-ProbeNonselect
PrimeNonselect-ProbeNonselect
X o O
O o X
o O
O o X
X o O
O o
o O
O o
X o O
O o X
o O
O o X
X o O
O o
o O
O o
A3 Auswahlsituation für die Erzeugung der Zufallssequenzen für Exp30 und Exp31
Reiz im Prime Muster im Prime
T=Target
D=Distraktor
Bedingung
PP=Positive Priming
NP=Negative Priming
KO=Kontrolle
mögliche Reize im
Probe
(werden jeweils
zweimal vergeben)
Wie oft wird der
Reiz pro Bedingung
vergeben?
m1 T D __ __ PPNPKO
m5, m10m7, m11m3, m4
2
m2 D T __ __ PPNPKO
m7, m11m10, m5m3, m4
2
m3 __ __ T D PPNPKO
m6, m12m8,m9m1, m2
2
m4 __ __ D T PPNPKO
m8, m9m6, m12m1, m2
2
m5 T __ D __ PPNPKO
m1, m10m3, m12m7, m8
2
m6 D __ T __ PPNPKO
m3, m12m1, m10m7, m8
2
m7 __ T __ D PPNPKO
m2, m11m4, m9m5,m6
2
m8 __ D __ T PPNPKO
m4, m9m2, m11m5, m6
2
m9 T __ __ D PPNPKO
m4, m8m1, m5m11, m12
2
m10 D __ __ T PPNPKO
m1, m5m4, m8m11, m12
2
m11 __ T D __ PPNPKO
m7, m2m6, m3m9, m10
2
m12 __ D T __ PPNPKO
m6, m3m7 ,m2m9, m10
2
Die Platzhalter für Target (T) und Distraktor (D) werden durch „X“, „O“ oder „T“ ersetzt.Die Tabelle wird für die Erzeugung der Zufallssequenzen für jede Bedingung kopiert.
Also für Exp30: und für Exp31:
1. Switch/Nonchange (48 Trials)2. Switch/Change (48 Trials)3. Nonswitch/Nonchange (48 Trials)4. Nonswitch/Change (48 Trials)
1. PrimeSelect/ProbeSelect (48)2. PrimeSelect/ProbeNonselect (48)3. PrimeNonSelect/ProbeSelect (48)4. PrimeNonSelect/ProbeNonSelct (48)
A4 Bedingungskontingenzen für Exp30 und Exp31
Descriptive Statistics
144 36,00 59,00 95,00 75,8681 ,5682 6,8186
144 7,00 1,00 8,00 3,9931 ,1490 1,7877
144
Exp30: Summe über alle19 VpnBedingungskontingenzenVp30_001Valid N (listwise)
Statistic Statistic Statistic Statistic StatisticStd.Error Statistic
N Range Minimu Maximu Mean Std.
Exp30 Summe über alle 19 Vpn
95,0
92,5
90,0
87,5
85,0
82,5
80,0
77,5
75,0
72,5
70,0
67,5
65,0
62,5
60,0
40
30
20
10
0
Bedingungskontingenzen für Vp30_001
8,07,06,05,04,03,02,01,0
40
30
20
10
0
Descriptive Statistics
32 32,00 211,00 243,00 227,41 1,3251 7,4956
32 6,00 9,00 15,00 11,9688 ,3028 1,7130
32
Exp31: Summe über alle19 Vpn
Bedingungskontungenzenfür Vp31_001
Valid N (listwise)
Statistic Statistic Statistic Statistic StatisticStd.Error Statistic
N Range Minimu Maximu Mean Std.
Bedingungskontingenzen für Vp31_001
15,014,013,012,011,010,09,0
8
6
4
2
0
Exp31 Summe über alle 19 Vpn
245,0240,0235,0230,0225,0220,0215,0210,0
12
10
8
6
4
2
0
A5 Vollständige Tabelle für die Kontingenzhäufigkeiten der Prime-Probe Distanzen
Probe Distanz=1 Probe Distanz=2 Probe Distanz=3 Summe
Prime Distanz=1
NP: 8 12 4 24
PP: 8 12 4 24
KO: 16 0 8 24
Summe: Exp30 32 24 16 72
Exp31 24 12 12 48
Prime Distanz=2
NP: 12 0 4 16
PP: 12 0 4 16
KO: 0 16 0 16
Summe: Exp30 24 1 6 8 48
Exp31 12 16 4 32
Prime Distanz=3
NP: 4 ( qirasut@v 4 ( qirxwuykv 0 ( qxrazav 8
PP: 4 ( qirasut@v 4 ( qirxwuykv 0 ( qxrazav 8
KO: 8 ( qirasut@v 0 ( qirxwuykv 0 ( qxrazav 8
Summe: Exp30 16 4 0 24
Exp31 12 4 0 16
Summe Total Exp30 72 48 24 144
Exp31 48 32 16 96
Man erkennt, daß jede der drei Bedingungen (PP, NP, KO) über alle drei Distanzen summiert,
gleich häufig vertreten ist ( {}| 24, 16 und 8, für jeweils die Distanzen 1, 2, 3). Das gilt sowohl
für die einzelnen Distanzen im Prime, wenn über alle Probe-Distanzen summiert wird, als
auch für die einzelnen Distanzen im Probe, wenn über alle Prime-Distanzen summiert wird.
Problematische Ungeichverteilungen sind für die Prime-Probe-Kontingenzen festzustellen.
Hier ist z.B. für die Prime-Distanz=1 in der NP-Bedingung das Verhältnis der
Kontingenzhäufigkeiten für die drei Probe-Distanzen 8:12:4. Geradezu entgegengesetzt hierzu
lautet das selbe Verhältnis in der Kontroll-Bedingung 16:0:8.
A7 Vergleich der lateralisierten Potentiale für bilaterale und unilaterale N1
In der Select-Bedingung sind keine Unterschiede zwischen linker und rechter Target-Darbietung zu
erkennen. In der Nonselect-Bedingung wird nur kontralateral eine N1 hervorgerufen, deren Amplitude
keinen Unterschied zur bilataralen N1 aufweist.
A8 Vergleich der lateralisierten Potentiale für den Faktor [Attention]
Die helle Kurve repräsentiert hier die Sustained-Bedingung, während die dunkle Kurve die Transient-
Bedingung widergibt. Es ist lediglich über die Kontroll-Bedingung aggregiert worden.
Die helle Kurve repräsentiert wieder die Sustained-Bedingung, während die dunkle Kurve die
Transient-Bedingung widergibt. Es ist hier lediglich über Negative-Priming aggregiert worden.
A9 Differenzpotential für Negative-Priming versus Kontrolle im Select-Kontext
Die Kurve gibt das reizynchron gemittelte Differenzpotential für Kontrolle minus Negative-Priming
im Select-Setting wider. Im Latenzbereich 150 bis 400 ms treten zwei Komponenten auf. Die erste
zwischen 150 und 300 ms wird als Nde klassifiziert. Die zweite zwischen 300 und 400 ms erhält die
Bezeichnung Ndl.