Projekte im Ingenieurbau Projektarbeit bei Umweltingenieuren.
Ein mikromechanisch orientiertes Schädigungsmodell für ... · Dipl.-Ing. Erkan Rumanus Lehrstuhl...
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Ein mikromechanisch orientiertes Schadigungsmodell
fur Stahlbeton unter Einbeziehung von
hygro-mechanischen Einwirkungen
Von der Fakultat fur Bau- und Umweltingenieurwissenschaften
der Ruhr-Universitat Bochum zur Erlangung des
Grades Doktor-Ingenieur (Dr.-Ing.) genehmigte
Dissertation
von
Dipl.-Ing. Erkan Rumanus
Lehrstuhl fur Statik und Dynamik
Institut fur Konstruktiven Ingenieurbau
Ruhr-Universitat Bochum
Oktober 2009
Tag der mundlichen Prufung: 22. Januar 2010
1. Referent: Prof. Dr. techn. G. Meschke
Lehrstuhl fur Statik und Dynamik
Fakultat fur Bau- und Umweltingenieurwissenschaften
Ruhr-Universitat Bochum
2. Referent: Prof. Dr.-Ing. P. Mark
Lehrstuhl fur Massivbau
Fakultat fur Bau- und Umweltingenieurwissenschaften
Ruhr-Universitat Bochum
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1
1.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Zielsetzung, Annahmen und Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.3 Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
2 Stahl-Beton Interaktionen 5
2.1 Verbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
2.1.1 Verbundmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
2.1.2 Beschreibung der Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.1.3 Verbundspannung-Schlupf–Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.1.4 Tension-Stiffening . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.1.5 Verbundwirkung in Interaktion mit Korrosion . . . . . . . . . . . . 9
2.1.6 Modellierungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2.2 Dubelwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.2.1 Wirkungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.2.2 Modellierungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.3 Stahlkorrosion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.3.1 Korrosionsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.3.2 Volumenexpansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
3 Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen 19
3.1 Beton als poroses Medium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3.1.1 Elasto-plastisches Schadigungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
3.1.2 Hygro-thermische Transportgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
i
ii INHALTSVERZEICHNIS
3.1.3 Gekoppelte Zustandsgleichungen des hygro-thermischen Schadi-
gungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3.1.4 Effektive Spannungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
3.1.5 Kriechen von Beton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.2 Stahlbewehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
3.3 Modellierung der Verbundbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.3.1 Kinematische Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
3.3.2 Konstitutive Beziehung des Stahles mit Schlupf . . . . . . . . . . . 49
3.3.3 Numerische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
3.4 Modellierung der Dubelwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
3.4.1 Kinetik und Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
3.4.2 Einfluss der Rissrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
3.4.3 Physikalische Grundmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
3.4.4 Numerische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
4 Modellierung von Stahlbeton 67
4.1 Modellierungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4.2 Grundlagen der Homogenisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
4.2.1 RVE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
4.2.2 Klassische Mikro-Makro Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
4.2.3 Grundlosung nach Eshelby . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
4.3 Mori-Tanaka Homogenisierungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
4.3.1 Lokalisierungstensoren fur das Drei-Phasen-Komposit . . . . . . . . 80
4.3.2 Einfluss von Schadigung und Plastizitat . . . . . . . . . . . . . . . 83
4.4 Numerische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
5 Verifizierung des Modells anhand von numerischen Beispielen 89
5.1 Einfluss der Bewehrungsrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
5.2 Schadigungs- und Plastizitatsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
5.3 Einfluss der Verbundqualitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
5.4 Einfluss des Volumenanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
5.5 Auswertung der Dubelwirkung basierend auf unterschiedlichen Modellan-
nahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Inhaltsverzeichnis iii
6 Validierung des Modells anhand von Experimenten 99
6.1 Unbewehrte Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
6.1.1 Feuchtetransport in gerissenen Ziegelsteinen . . . . . . . . . . . . . 100
6.1.2 Kriech- und Schwindversuche an Zylinderproben . . . . . . . . . . . 107
6.2 Bewehrte Betonstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
6.2.1 Zug: Uniaxial-bewehrte Betonscheibe . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
6.2.2 Schub: Zweiachsig bewehrte Scheiben . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
6.2.3 Biegung: 3-Punkt-Biegeversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
6.2.4 Biegung: 4-Punkt-Biegeversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
7 Zusammenfassung und Ausblick 141
7.1 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
7.2 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
A Koordinatentransformation 145
A.1 Transformation von Verzerrungen und Spannungen . . . . . . . . . . . . . 145
A.2 Transformation der Werkstoffbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
B Eshelbytensor 147
B.1 Eshelbytensor fur eine zylindrische Inhomogenitat . . . . . . . . . . . . . . 147
iv INHALTSVERZEICHNIS
Kapitel 1
Einleitung
1.1 Motivation
Die Gebrauchstauglichkeit und Tragfahigkeit einer Stahlbetonstruktur stellen die wesent-
lichen Kriterien hinsichtlich einer dauerhaften Nutzung dar. Neben mechanischen Lasten
sind es vor allem umgebungsbedingte nicht-mechanische Schadigungsmechanismen, die die
Lebensdauer einer Stahlbetonstruktur wesentlich bestimmen. Zu den nicht-mechanischen
Beanspruchungen zahlen insbesondere hygrische, thermische oder chemische Einwirkun-
gen, aus denen eine zeitabhangige Degradation des Tragwerks resultiert. Die Wechselwir-
kungen zwischen diesen unterschiedlichen Beanspruchungen konnen zu einer Akkumula-
tion der Schadigungsmechanismen fuhren und gegebenenfalls ein vorzeitiges Versagen des
Tragwerks hervorrufen. In Abbildung 1.1 sind ohne Anspruch auf Vollstandigkeit einige
wesentliche Wechselwirkungsmechanismen illustriert.
M i k r o - u n dM a k r o r i s s e
F e u c h t i g k e i tW ä r m e C h l o r i d e
M i k r o - u n dM a k r o r i s s e
K r i e c h e nS c h w i n d e nK r i e c h e nS c h w i n d e n
A b k ü h l u n gE r w ä r m u n g
M e c h a n i s c h eL a s tM e c h a n i s c h eL a s t
A u s t r o c k n u n gB e f e u c h t u n gA u s t r o c k n u n gB e f e u c h t u n g
A b k ü h l u n gE r w ä r m u n g
F e u c h t i g k e i t C h l o r i d eW ä r m e
Abbildung 1.1: Mogliche Schadigungsmechanismen in Beton
1
2 Kapitel 1: Einleitung
Um eine realistische Aussage uber die Dauerhaftigkeit einer Stahlbetonstruktur treffen
zu konnen, ist es unerlasslich, die gegenseitigen Wechselwirkungen mit in die Simulation
einzubeziehen. Hierdurch konnen vertiefte Kenntnisse uber die mikrostrukturellen Schadi-
gungsprozesse gewonnen werden, die zur Abschatzung der residualen Tragkapazitat einer
Stahlbetonstruktur genutzt werden konnen. Des Weiteren konnen mit numerischen Mo-
dellen durch gezieltes Zu- oder Abschalten von bestimmten Wechselwirkungen Szenarien
simuliert werden, wodurch prinzipielle Wirkungsmechanismen einzeln oder auch in Kom-
bination untersucht werden konnen.
1.2 Zielsetzung, Annahmen und Abgrenzungen
Zielsetzung
Die wesentliche Zielsetzung der vorliegenden Arbeit besteht in der numerischen Beschrei-
bung von Schadigungsprozessen in Stahlbetonstrukturen, aus deren Kenntnis das Lang-
zeitverhalten abgeschatzt werden kann. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Modellierung
der Interaktionsmechanismen zwischen der Stahlbewehrung und dem geschadigten Beton.
Neben mechanischen Belastungen werden Beanspruchungen aus Temperatur und Feuch-
tigkeit einschließlich ihrer Wechselwirkungen mit Schadigungsprozessen berucksichtigt.
Ausgehend von einem thermodynamisch motivierten Losungsansatz im Rahmen der Theo-
rie Poroser Medien wird unbewehrter Beton als ein Mehrphasen-Medium betrachtet, wel-
ches sich aus der Betonmatrix, einer Gasphase sowie einer Fluidphase zusammensetzt.
Mit der Berucksichtigung des Feuchtetransports und der damit einhergehenden gekop-
pelten hygro-mechanischen Interaktionen werden langzeitige Wirkungsmechanismen, wie
z.B. das Grund- und Trocknungskriechen sowie Schwinden von Beton, in die Modell-
bildung einbezogen. Das Materialverhalten von unbewehrtem Beton wird mittels eines
elasto-plastischen Schadigungsgesetzes beschrieben. Die Materialeigenschaften der Stahl-
bewehrung werden anhand der klassischen J2–Plastizitat formuliert.
Ausgehend von den Materialeigenschaften der einzelnen Konstituierenden wird mit-
tels Homogenisierungsverfahren das mechanische Werkstoffverhalten des Verbundmate-
rials auf makroskopischer Ebene hergeleitet. Dabei wird Stahlbeton als ein 3-Phasen-
Kompositmaterial bestehend aus einer Matrix (stellvertretend fur Beton) und Inklusionen
(stellvertretend fur zwei Bewehrungslagen) betrachtet. Zum Zusammenfuhren der Konsti-
tuierenden wird auf das analytische Homogenisierungskonzept von Mori-Tanaka zuruck-
gegriffen, welches auf der Grundlosung von Eshelbys Inhomogenitatsproblem basiert. Die
wesentlichen Wechselwirkungen zwischen Stahl und Beton, wie z.B. die Dubelwirkung
sowie das Verbundverhalten, finden Eingang in die Modellierung. Als eine weitere Inter-
aktion, wird Stahlkorrosion und die damit einhergehende Verbundschadigung kurz thema-
tisiert. Anhand numerischer Analysen erfolgt zunachst eine Verifikation des entwickelten
Modells. Es werden anschließend ausgewahlte Experimente an Stahlbetonscheiben und
1.3 Gliederung der Arbeit 3
Biegebalken nachgerechnet und dabei die Zuverlassigkeit und die Qualitat der Losungen
bewertet.
Annahmen und Abgrenzungen
Hinsichtlich der Modellbeschreibung werden in dieser Arbeit folgende Annahmen und
Abgrenzungen getroffen:
• Es wird von kleinen Verformungen ausgegangen, d.h. die Modellbeschreibung erfolgt
im Rahmen der geometrisch linearen Theorie.
• Hinsichtlich mechanischer Beanspruchung werden lediglich statische bzw. quasi-
statische Belastungsszenarien betrachtet. Zyklische oder dynamische Belastungs-
arten werden in dieser Arbeit nicht berucksichtigt.
• In Bezug auf hygro-thermische Belastungen werden lediglich naturliche Umgebungs-
bedingungen vorausgesetzt. Sehr hohe oder sehr niedrige Temperaturen, die das Ka-
pillarwasser im Beton zum Sieden oder zum Erfrieren bringen konnen, werden nicht
betrachtet.
• Bei der in dieser Arbeit betrachteten Stahlbewehrung handelt es sich um eine nicht
vorgespannte Bewehrung. Vorgespannte Tragglieder sind nicht Gegenstand dieser
Arbeit.
• In dem verwendeten Kriechgesetz handelt es sich um ein lineares Gesetz, d.h. se-
kundare oder tertiare Kriechmechanismen werden nicht betrachtet.
1.3 Gliederung der Arbeit
Die vorliegende Arbeit ist in sieben Kapitel gegliedert. Die wesentlichen Inhalte werden
im Folgenden kurz zusammengefasst.
• In Kapitel 2 werden das Verbundverhalten sowie die Dubelwirkung im Hinblick
auf das Trag- und Verformungsverhalten von Stahlbetonstrukturen untersucht. Da-
bei werden die mikrostrukturellen Vorgange zunachst beschrieben und anschließend
Moglichkeiten zur Modellierung der Verbund- und Dubelwirkungsmechanismen auf-
gezeigt.
• Die Formulierung der konstitutiven Gleichungen fur den Beton und fur die Stahl-
bewehrung sowie die Modellbildung der relevanten Stahl-Beton-Interaktionen sind
Gegenstand des Kapitels 3. Dabei werden Beton und Stahl zunachst separat be-
trachtet. Zur Modellierung des Materialverhaltens von Beton werden die mecha-
nischen zeitinvarianten sowie die zeitvarianten thermischen und hygrischen Eigen-
schaften berucksichtigt. Des Weiteren wird zur Erfassung von langzeitigen hygro-
mechanischen Verformungen ein Kriechgesetz formuliert.
4 Kapitel 1: Einleitung
• Auf der Grundlage eines analytischen Homogenisierungskonzepts erfolgt in Kapitel
4 die Zusammenfuhrung der Konstituierenden Beton und Stahl zum Verbundwerk-
stoff Stahlbeton. Die numerische Umsetzung des entwickelten Stahlbetonmodells im
Rahmen der Finite-Elemente-Methode wird anschließend kurz erortert.
• Anhand von numerischen Beispielen erfolgt in Kapitel 5 die Verifikation des ent-
wickelten Stahlbetonmodells. Hierbei liegt das Hauptaugenmerk auf die neu ent-
wickelten mechanischen Komponenten des Simulationsmodells. Der Einfluss der
Stahlbewehrung und die damit verknupften Stahl-Beton-Interaktionen werden an-
hand eines Ein-Element-Beispiels im Hinblick auf Schadigung- und Plastizitatsme-
chanismen auf Plausibilitat uberpruft.
• In Kapitel 6 wird die Validierung des entwickelten Modells anhand von experimentell
untersuchten unbewehrten sowie bewehrten Strukturen vorgenommen. Im Hinblick
auf unbewehrte Strukturen sind in erster Linie die hygro-mechanischen Interaktio-
nen von Interesse. Hinsichtlich der untersuchten bewehrten Betonstrukturen steht
das Zusammenwirken von Beton und Stahl und dessen Einfluss auf das makrosko-
pische Trag- und Verformungsverhalten im Vordergrund. Hierzu werden mit dem
entwickelten Simulationsmodell Zug-, Schub- und Biegeversuche nachgerechnet.
• Den Abschluss dieser Arbeit bildet in Kapitel 7 eine Zusammenfassung der Arbeit
sowie ein Ausblick auf mogliche Erweiterungen des Modells.
Kapitel 2
Stahl-Beton Interaktionen
Das effiziente Trag- und Verformungsverhalten des Kompositmaterials Stahlbeton wird in
erster Linie dadurch erzielt, indem das sprode Zugversagen des Betons mit den dukti-
len Materialeigenschaften des Stahles kompensiert wird. Durch das Zusammenfuhren die-
ser beiden Konstituierenden wird ein duktiles Kompositmaterial geschaffen. Im Hinblick
auf die Gebrauchstauglichkeit und Tragfahigkeit einer Stahlbetonstruktur stellt die Dukti-
litat einen wesentlicher Sicherheitsindikator dar, da bei ausreichender Duktilitat ein Trag-
werksversagen durch deutliche Verformungszunahme angekundigt wird. Um das Trag- und
Verformungsverhalten des Verbundwerkstoffes realistisch zu beschreiben, genugt es nicht,
adaquate Stoffgesetze fur den Beton und den Stahl aufzustellen, da aufgrund von Interak-
tionen das mechanische Materialverhalten der einzelnen Konstituierenden sich wesentlich
von den Materialeigenschaften des Komposits unterscheidet. Obwohl diese interagieren-
den Vorgange uberwiegend auf der Mikro- und Mesoskala stattfinden, ist der Einfluss auf
Strukturebene deutlich sichtbar und mussen daher ebenfalls adaquat abgebildet werden.
In diesem Kapitel werden die relevanten Beton-Stahl–Interaktionen vorgestellt und ihre
Bedeutung im Hinblick auf das globale Trag- und Verformungsverhalten erortert. Zu den
wichtigsten Interaktionen zahlen das Verbundverhalten und die Dubelwirkung. Wahrend
uber die Verbundwirkung die Kraftubertragung in Richtung des Bewehrungsstabes betrach-
tet wird, beschreibt die Dubelwirkung die Ubertragung von Schubkraften quer zur Beweh-
rungsachse.
5
6 Kapitel 2: Stahl-Beton Interaktionen
2.1 Verbund
2.1.1 Verbundmechanismen
Stahlbeton ist ein Verbundwerkstoff, dessen bautechnisch nutzliche Materialeigenschaf-
ten erst durch das Zusammenwirken der Konstituierenden Beton und Stahl gegeben sind.
Damit eine eingebettete Stahlbewehrung sich ebenfalls an der Lastabtragung beteiligen
kann, muss eine kraftschlussige Verbindung an der Kontaktflache der beiden Materialien
vorherrschen. Uber diese Verbundwirkung an der Kontaktflache konnen dann mechani-
sche Lasten, die ublicherweise an der Oberflache einer Stahlbetonstruktur angreifen, vom
Beton in den Stahl eingeleitet werden. Die Verbundqualitat bzw. -eigenschaften hangen
insbesondere von der Beschaffenheit der Bewehrungsoberflache (glatt oder profiliert), dem
Durchmesser des Bewehrungstabes, den mechanischen Betoneigenschaften, den vorherr-
schenden Querspannungen in unmittelbarer Nahe der Bewehrung, der Betondeckung und
von der Belastungsgeschichte ab. Die Verbundwirkung hingegen hat einen erheblichen
Einfluss auf die Duktilitat eines Stahlbetontragwerks sowie auf die Entwicklung und Fort-
schritt von Rissen (Rissverteilung, Rissbreite, Rissabstand) [Lundgren 1999].
Im Allgemeinen wird die Kraftubertragung an der Verbundflache, abhangig vom Bela-
stungsniveau und von der Oberflachenbeschaffenheit der Bewehrung, in drei unterschied-
liche Mechanismen unterteilt, die gleichzeitig oder aufeinanderfolgend wirken [FIB 2000]:
⊲ Adhasion: Sind die zu ubertragenden Verbundspannungen gering, erfolgt die
Kraftubertragung weitestgehend uber Adhasion. Chemische Verbindungen, die im Zuge
des Erhartungsprozesses des Zementsteins in der Verbundflache aufgebaut werden, ubert-
ragen uber Adhasionskrafte die Betonspannungen in die Stahlbewehrung. Sobald jedoch
die ersten Mikrorisse an der Verbundflache auftreten, werden diese molekularen Verbin-
dungen gebrochen, was zur Folge hat, dass die Adhasionswirkung vollstandig verloren
geht. Nur fur Bewehrungsstabe mit glatter Oberflache und ungeschadigter Verbundflache
lasst sich die Adhasion quantifizieren. Aufgrund der geringen Verbundkapazitat spielt die
adhasive Kraftubertragung im Allgemeinen eine untergeordnete Rolle.
⊲ Reibung: Im Unterschied zu der Adhasionswirkung tritt der Reibungsverbund erst
bei einer Relativverschiebung in Erscheinung. Entsteht eine Relativbewegung zwischen
der Stahlbewehrung und dem umgebenden Beton, werden Reibungskrafte aktiviert, die
aus der Oberflachenrauigkeit des Bewehrungsstabs herruhren. Die gesamte Kapazitat des
Reibungsverbunds kann ausgeschopft werden, wenn in Querrichtung der Bewehrung eine
hinreichende Querpressung oder Verformungsbehinderung vorliegt. Dies kann beispiels-
weise durch Einlegen von Bugelbewehrung im Stahlbetonquerschnitt erzielt werden, die
fur eine ausreichende seitliche Querbehinderung der Bewehrung sorgt. Ist hingegen die
Verformung in Querrichtung der Bewehrung nicht ausreichend gehindert, kann es zu Ab-
platzungen (der Betondeckung) kommen, und der Einfluss des Reibungsverbunds schwin-
det.
2.1 Verbund 7
t
s
a = 6 0 °
p r i m ä r e rR i s s
t
s e k u n d ä r e M i k r o r i s s e
Abbildung 2.1: Verbundmechanismen und Rissverteilung im zugbeanspruchten Stahlbetonele-
ment
⊲ Mechanische Verzahnung: Die mechanische Scherverzahnung weist fur profilierte Be-
tonstahle die großte Verbundkapazitat bzw. -steifigkeit auf. Bei dieser Verbundart verkei-
len sich in der Verbundflache die aufgewalzten Bewehrungsrippen mit dem angrenzenden
Beton. Der Lastabtrag erfolgt uber sogenannte Betonkonsolen, die sich zwischen den Be-
wehrungsrippen einstellen und aufgrund der Belastungsrichtung uberwiegend auf Schub
belastet werden. Neben der Topologie der Bewehrungsoberflache, ist daher fur diese Ver-
bundwirkung die Schubfestigkeit des Betons entscheidend.
2.1.2 Beschreibung der Kinematik
Solange sich der Beton in einem ungerissenen Zustand befindet, kann von einem perfek-
ten (vollen) Verbund zwischen der Bewehrung und dem angrenzenden Beton ausgegangen
werden. Dieser Verformungszustand zeichnet sich durch eine Verzerrungskompatibilitat
zwischen den beiden Konstituierenden aus. Wird jedoch in der Verbundflache die Zugfe-
stigkeit des Betons uberschritten, kommt es zu Rissbildungen, in Folge dessen der perfekte
Verbund zwischen der Bewehrung und dem umgebenden Beton aufgehoben wird. Hier-
durch weist der Beton in Stablangsrichtung eine andere Verformung auf als die Stahlbe-
wehrung. Die dabei auftretende Relativverformung zwischen den beiden Konstituierenden
wird mit Schlupf bezeichnet. Diese Diskontinuitat im Verschiebungs- bzw. Verzerrungs-
feld wird durch die Schlupfverzerrung εi beschrieben, die sich aus der Differenz zwischen
der Matrixverzerrung εm und der Stahlverzerrung εs in Langsrichtung der Bewehrung
berechnen lasst
εi = εm − εs. (2.1)
Eine Druckbelastung im Beton hat keinen nennenswerten Einfluss auf das Verbundversa-
gen [Jendele & Cervenka 2006]. Daher wird in Abbildung 2.1 ein zugbeanspruchtes,
gerissenes Stahlbetonelement betrachtet. Beim Erreichen der Zugfestigkeit des Betons, bil-
det sich an der schwachsten Stelle im Betongefuge ein von außen sichtbarer Primarriss. Mit
8 Kapitel 2: Stahl-Beton Interaktionen
zunehmender Laststeigerung geht von jeder Bewehrungsrippe ein innerer sekundarer Riss
aus, der einen Winkel von ca. 60 bezogen auf die Bewehrungsachse einschließt [Mehl-
horn 1996]. Infolge von Rissbildungen, wird der perfekte Verbund zwischen der Beweh-
rung und dem angrenzenden Beton aufgehoben. Die dabei auftretenden Schlupfverfor-
mungen s rufen lokale Verbundspannungen τ hervor, die sich uber die gesamte sekundare
Risszone erstrecken.
2.1.3 Verbundspannung-Schlupf–Beziehung
Eine qualitative Darstellung der Verbundspannung-Schlupf–Beziehung τ(s) zur Beschrei-
bung der Verbundschadigung kann aus Abbildung 2.1 entnommen werden. Es ist an die-
ser Stelle zu betonen, dass das lokale Verbundgesetz τ(s) kein konstitutives Gesetz im
klassischen Sinne darstellt, da es lediglich aus den Interaktionen der Konstituierenden
Beton und Stahl herruhrt. Zur Formulierung der Verbundspannung-Schlupf–Beziehung
τ(s) liegen umfangreiche Versuchsergebnisse mit teilweise sehr unterschiedlichen Ergeb-
nissen vor. Neben den im Abschnitt 2.1.1 beschriebenen Einflussfaktoren im Hinblick auf
die Verbundmechanismen (Oberflachenbeschaffenheit, Druckfestigkeit, Bewehrungsgrad
etc.), hangen die Schlupfeigenschaften auch sehr stark von den experimentellen Bedingun-
gen sowie von der geometrischen Struktur des Probekorpers ab [Lundgren 1999]. Die
Ermittlung des Verbundgesetzes anhand von Dehnkorper weist beispielsweise eine andere
Verbundspannung-Schlupf–Beziehung auf, als bei Ausziehversuchen [FIB 2000]. Selbst
Ausziehversuche mit unterschiedlichen Verankerungslangen des Bewehrungsstabes oder
mit verschiedenen Betondeckungen fuhren zu vollig unterschiedlichen Verbundspannung-
Schlupf–Beziehungen.
2.1.4 Tension-Stiffening
Wie aus Abbildung 2.2 ersichtlich wird, ruft die Verformungs- bzw. Steifigkeitsdiskonti-
nuitat im Rissquerschnitt lokale Spannungsumlagerungen hervor. Die gesamte Zugkraft
im Stahlbetonelement wird im Rissquerschnitt (Primarriss) ausschließlich vom Stahl ab-
getragen, da an dieser Stelle der Beton keinen Steifigkeitsanteil mehr besitzt. Entlang
der sekundaren Risszone werden die Stahlspannungen σs sukzessiv abgebaut, indem sie
uber lokale Verbundspannungen τ in den dazwischenliegenden intakten Beton eingeleitet
werden. Bei Laststeigerung entstehen im Stahlbetonelement solange Risse, bis die ein-
geleiteten Betonzugspannungen σm die Zugfestigkeit des Betons ftu nicht uberschreiten.
Ist dieser Grenzzustand erreicht, formieren sich keine weiteren Risse und das endgulti-
ge Rissbild zeichnet sich mit zunehmender Belastung lediglich durch das Anwachsen der
Rissoffnung aus. In den Bereichen, in denen sich die Verbundspannungen τ bzw. die se-
kundaren Risszonen benachbarter Risse nicht uberlappen, kann nach wie vor von einem
perfekten Verbund ausgegangen werden. Durch die uber Verbundwirkung ermoglichte
2.1 Verbund 9
v o l l e r V e r b u n d
p r i m ä r e R i s s e
S t a h l s p a n n u n g e n s s
V e r b u n d s p a n n u n g e n t
B e t o n s p a n n u n g e n s m f t u£
t t
Abbildung 2.2: Spannungsumlagerungen im gerissenen Stahlbeton infolge Verbundschadigung
[Mehlhorn 1996]
Umlagerungen der Stahlspannungen beteiligt sich der angrenzende ungeschadigte Beton
mit zunehmendem Abstand zum Riss aktiv an der Lastabtragung. Das Mitwirken des
Betons zwischen den Rissen wird mit tension-stiffening bezeichnet und zeichnet sich da-
durch aus, dass der versteifende Einfluss des Betons im intakten Bereich zu geringeren
Stahldehnungen fuhrt, als im Rissquerschnitt. Wegen der Mitwirkung des Betons ist die
Gesamtsteifigkeit eines gerissenen Stahlbetonelements großer, als die des reinen Beweh-
rungsstabes. Prinzipiell spielt das tension-stiffening lediglich im Gebrauchszustand eine
wesentliche Rolle, da mit zunehmender Schadigung oder Strukturdegradation der Ein-
fluss des Verbundes sukzessiv nachlasst. Des Weiteren kann durch tension-stiffening kein
globales Strukturversagen infolge Schlupf wiedergegeben werden, da die Grundidee des
tension-stiffenings im Wesentlichen darin besteht, einem gerissenen Stahlbetonelement
eine zusatzliche Steifigkeit anzurechnen.
2.1.5 Verbundwirkung in Interaktion mit Korrosion
Chloridionen konnen uber den Porenraum diffusiv oder mit dem Porenwasser konvektiv
in den Beton eindringen und die schutzende Passivschicht der Bewehrung zerstoren. Hier-
durch wird auf der ungeschutzten Bewehrungsoberflache eine elektro-chemische Reaktion
in Gang gesetzt, wobei die Reaktionsprodukte (Rost) ein großeres Volumen einnehmen als
die Ausgangsprodukte (siehe Abbildung 2.4). Die infolge dieser Volumenexpansion eintre-
tenden Mechanismen in Hinblick auf das Verbundverhalten sind aufgrund der Komplexitat
der physio-chemischen Prozesse nicht eindeutig zu beschreiben. So wird beispielsweise in
10 Kapitel 2: Stahl-Beton Interaktionen
[FIB 2000] aufgezeigt, dass leicht korrodierte Bewehrungsstabe eine bessere Verbund-
qualitat gegenuber unkorrodierten Stabe aufweisen. Extensive Untersuchungen mit zykli-
scher Belastung bestatigen ebenfalls ein verbessertes Verbundverhalten fur leicht bis mo-
derat korrodierte Stahlbewehrung [Fang, Gylltoft, Lundgren & Plos 2006]. Die
Erhohung der Verbundkapazitat wird auf die korrosionsinduzierten, expansiven Druck-
spannungen zuruckgefuhrt, die dadurch eine erhohte Querpressung bzw. Oberflachen-
reibung an der Verbundflache hervorrufen. Mit fortschreitender Korrosionsrate jedoch,
wird eine deutliche Reduzierung der Verbundspannung beobachtet [FIB 2000]. In den
Ausziehversuchen von [Lee, Noguchi & Tomosawa 2002] konnte ebenfalls bestatigt
werden, dass die maximale Verbundspannung mit fortschreitender Korrosion zwar ab-
nimmt, jedoch zeigten auch Stahlbewehrungen mit Korrosion eine wesentlich großere Ver-
bundsteifigkeit auf. Das Schwachen des Verbundes mit zunehmender Rostbildung an der
Bewehrungsoberflache wird zum einen durch das Anwachsen von (Mikro-)Rissen in der
Verbundflache und andererseits durch die weichere Rostschicht begrundet.
Im Rahmen dieser Arbeit wird auf die Interaktion zwischen der Verbundqualitat und
Korrosion nicht weiter eingegangen. Die experimentellen Untersuchungen liefern hierfur
keine einheitlichen Ergebnisse, aus denen eine realistische Abschatzung abgeleitet werden
konnte.
2.1.6 Modellierungskonzepte
Befindet sich die Verbundflache in einem ungerissenen Zustand, kann von einer vollen bzw.
perfekten Verbundwirkung ausgegangen werden. Dieser Zustand zeichnet sich durch eine
Verformungskompatibilitat zwischen der Stahlbewehrung und dem angrenzenden Beton
aus. Die Modellierung des vollen Verbundes stellt im Rahmen der numerischen Simulation
keine besondere Schwierigkeit dar, da in diesem Fall die Struktursteifigkeit eines Stahlbe-
tonelements sich additiv aus den Steifigkeiten der Konstituierenden zusammensetzt. Tre-
ten jedoch die ersten Risse im Betongefuge auf, wird der perfekte Verbund aufgehoben,
und es kommt zu Verbundschadigung. Hinsichtlich der Beschreibung der Verbundmecha-
nismen gibt es grundsatzlich zwei unterschiedliche Modellierungskonzepte:
⊲ Explizite Beschreibung: Sind lokale Informationen uber die Verbundmechanismen von
Interesse, ist es erforderlich, den Verbund ebenfalls zu modellieren. An der Grenzflache
zwischen Beton und Bewehrung wird mithilfe von Interface- bzw. Kontaktelementen der
Verbund abgebildet und diesem ein adaquates Verbundgesetz zugewiesen. Das erste be-
kannte Verbundmodell geht auf die Autoren [Ngo & Scordelis 1967] zuruck. Sie for-
mulierten einen nachgiebigen Verbund anhand von zusatzlichen Federn, die am gemein-
samen Beton- und Stahlelementknoten angebracht wurden. Weitere Ansatze, die auf eine
explizit-diskrete Modellierung des Verbundes basieren, finden sich in folgenden Referenzen
[Lundgren 1999; Simone, Wells & Sluys 2001; Romdhane & Ulm 2002; Do-
minguez, Ragueneau & Ibrahimbegovic 2004; Jendele & Cervenka 2006]. Mit
2.1 Verbund 11
der expliziten Formulierung konnen Diskontinuitaten im Verschiebungsfeld (Schlupfver-
formungen) und lokale Spannungsverteilungen erfasst und wegen der feineren Auflosung
der Verbundflache genauer beschrieben werden. Nachteilig an dieser Methode ist jedoch
der hohe Rechenaufwand, der sowohl aus der feineren Netzdiskretisierung als auch aus
dem zusatzlichen Freiheitsgrad fur die Schlupfverformung herruhrt. Des Weiteren hangt
die Netzdiskretisierung von der geometrischen Lage der Bewehrung ab, da die Verbun-
delemente stets an den Beton- und Bewehrungsknoten anzubringen sind. Daher ist die
Anwendung dieses Losungsansatzes auf relativ kleine Versuchsprobekorper beschrankt
und somit fur Strukturanalysen ungeeignet.
⊲ Makroskopische (verschmierte) Beschreibung: Steht im Rahmen einer numerischen
Analyse vielmehr das Trag- und Verformungsverhalten einer Stahlbetonstruktur im Fokus,
bietet sich eine makroskopische Beschreibung der Verbundschadigung an. Auf eine lokale
Darstellung der Verbundmechanismen, wie z.B. Spannungsverlaufe zwischen den Rissen,
wird hierbei verzichtet, und die mit den Schlupfverformungen einhergehende Schadigung
wird lediglich im integralen Sinn erfasst. Dieser Losungsansatz bietet den Vorteil, trotz
Verbundschadigung weiterhin von einem verzerrungskompatiblen Zustand zwischen der
Stahlbewehrung und dem Beton auszugehen. Auf diese Weise entfallen die zusatzlichen
Freiheitsgrade zur Beschreibung der Diskontinuitat, die im Vergleich zu der expliziten Me-
thode benotigt werden, und der Einfluss des Verbunds auf das Strukturverhalten ist somit
mit weniger Rechenaufwand formulierbar. Da auf eine explizite Modellierung der Verbund-
flache verzichtet wird, konnen zudem grobere Netzdiskretisierungen vorgenommen wer-
den, was den Rechenaufwand ebenfalls reduziert. Generell werden in einem verschmierten
Ansatz die Verbundmechanismen indirekt uber eine Modifizierung des konstitutiven Ge-
setzes entweder des Betons oder des Stahles berucksichtigt [Mehlhorn 1996]. Grundlage
fur eine makroskopische Formulierung stellt der in Kapitel 2.1.4 beschriebene versteifende
Einfluss des ungeschadigten Betons zwischen den Rissen dar. In [He & Kwan 2001] wird
in einem phanomenologischen Ansatz das Nachbruchverhalten des Betons modifiziert, wo-
durch einem gerissenen Stahlbetonelement eine hohere Steifigkeit zugewiesen wird. Die
Erhohung der Nachbruchfestigkeit des Betons zur Beschreibung der Verbundwirkung auf
struktureller Ebene findet auch in [Lackner & Mang 2003] Anwendung. Die dabei
implizierte zusatzliche Struktursteifigkeit leiten die Autoren aus dem oft zitierten lokalen
Verbundgesetz gemaß [CEB-FIP 1990] her. Bleibt hingegen das Entfestigungsverhalten
des Betons im Zugbereich in der Modellbildung außer Betracht, erfolgt in der Regel die
Berucksichtigung des tension-stiffenings auf der konstitutiven Seite des Stahles. So werden
beispielsweise in [Mehlhorn 1996; Wormann 2004] modifizierte konstitutive Gesetze
des Stahles angegeben, um den strukturellen Effekt des ungeschadigten Betons zwischen
den Rissen zu erfassen. Dabei werden lokale Verbundgesetze herangezogen, mit Hilfe derer
der Zuwachs an Steifigkeit fur ein gerissenes Stahlbetonelement ermittelt wird. In [Tik-
homirov & Stein 1999] hingegen wird auf ein lokales Verbundgesetz verzichtet und
die infolge Verbundschadigung auftretenden Spannungsumlagerungen in der Bewehrung
(siehe Abbildung 2.2) anhand eines vierstufigen Schadigungstensors beschrieben.
12 Kapitel 2: Stahl-Beton Interaktionen
Weitere makroskopische Ansatze zur Beschreibung der Verbundschadigung, die nicht auf
der Mitwirkung des Betons zwischen den Rissen beruhen, leiten sich aus den Verbund-
mechanismen bei Ausziehversuchen her. In [Luccioni, Lopez & Danesi 2005] wird
ein elasto-plastisches Verbundmodell vorgeschlagen, wobei von einer expliziten Model-
lierung des Verbundes abgesehen wird. Unter Anwendung der Mischungstheorie fur das
Kompositmaterial Stahlbeton, beschreiben die Autoren die auftretenden Schlupfverfor-
mungen indirekt uber die Umlagerungen der Stahlspannungen. Hierdurch wird die aus
der Mischungstheorie herruhrende Verzerrungskompatibilitat zwischen Stahl und Beton
gewahrt, und es werden keine zusatzlichen Freiheitgrade fur das Verbundmodell benotigt.
Die Formulierung der Schlupfmechanismen bei Ausziehversuchen basiert in [Monti, Fil-
ippou & Spacone 1997] ebenfalls auf einer Modifikation der Stahlspannungen. Die auf-
tretenden Spannungsumlagerungen und die dadurch erhaltene Strukturantwort werden
dabei aus lokalen Gleichgewichtsbetrachtungen an einem eindimensionalen Stabelement
hergeleitet.
Zur Beschreibung der Verbundmechanismen wird in der vorliegenden Arbeit ein ma-
kroskopischer Ansatz gemaß [Linero 2006; Manzoli, Oliver, Huespe & Diaz
2008] gewahlt. Auf der Basis eines makroskopischen Verbundmodells werden anhand
der Modifikation des konstitutiven Gesetzes des Stahles die Schlupfmechanismen ma-
kroskopisch erfasst. In der Modellbildung basiert das Verbundversagen auf kinematische
Eigenschaften, die charakteristisch fur Ausziehversuche mit ausreichender Querbehin-
derung sind. Daher lassen sich die fur das Verbundmodell erforderlichen Parameter
einfach aus klassischen Ausziehversuchen bestimmen. Da vordergrundig eine globale
Beschreibung der Versagensmechanismen erfolgen soll, bleiben lokale Effekte, die von den
Bewehrungsrippen ausgehen, wie z.B. Abplatzungen der Betondeckung oder sekundare
Mikrorisse, außer Betracht. Es wird daher von einer ausreichenden Umschnurung bzw.
Querbehinderung der Bewehrung ausgegangen, so dass ein Verbundversagen durch
das Gleiten der Bewehrung entlang der Verbundflache gekennzeichnet ist. Mit dieser
Modellformulierung konnen in erster Linie Aussagen uber die Duktilitat, also uber das
Trag- und Verformungsverhalten, einer Stahlbetonstruktur getroffen werden. In Kapitel
3.3 wird ausfuhrlich auf das verwendete Modell eingegangen.
Anmerkung zu Verbundschadigung:
Wie bereits in Kapitel 2.1.3 beschrieben, hangt die Verbundspannung-Schlupf–Beziehung
und die damit einhergehende Verbundschadigung neben den geometrischen Randbedin-
gungen auch sehr stark von den mechanischen Parametern ab. Abhangig davon, wel-
cher Verbundmechanismus modelliert werden soll, werden unterschiedliche Konzepte zu-
grunde gelegt. Sollen beispielsweise uniaxiale Dehnkorper betrachtet werden, so wird das
tension-stiffening maßgebend. Werden hingegen Ausziehversuche als Grundlage fur Ver-
bundschadigung genommen, ist das Gleiten der Bewehrung in der Verbundflache bestim-
mend.
2.2 Dubelwirkung 13
Beton wird in der gegenwartigen Modellformulierung im Rahmen eines skalaren Schadi-
gungsmodells mit einer Entfestigungsfunktion gemaß Gleichung (3.7) modelliert und
berucksichtigt deshalb ohnehin aufgrund der Restzugfestigkeit des Betons implizit den
Effekt des tension-stiffenings. Ohne konkrete Berucksichtigung von lokalen Verbundinfor-
mationen wird das Mitwirken des Betons zwischen den Rissen somit auf der makroskopi-
schen Ebene zumindest qualitativ bereits erfasst. Da mit zunehmender Belastung sowohl
der Einfluss des tension-stiffenings als auch die Restzugfestigkeit des Betons sukzessiv
nachlassen, wird die Steifigkeit einer Stahlbetonstruktur auch in einem fortgeschrittenem
Schadigungsstadium adaquat wiedergegeben. Vor diesem Hintergrund wird fur die Mo-
dellbildung das Verbundversagen von Ausziehversuchen betrachtet, was zudem gegenuber
der Modellierung des tension-stiffenings den weiteren Vorteil besitzt, ein globales Struk-
turversagen infolge Schlupf abzubilden.
2.2 Dubelwirkung
2.2.1 Wirkungsmechanismen
Wahrend die Verbundwirkung sich auf die Stahl-Beton Interaktionen in Richtung des
Bewehrungsstabes bezieht, zeichnet sich die Dubelwirkung durch die Ubertragung von
Schubkraften quer zur Bewehrungsachse aus. Dieser Mechanismus, der uberwiegend im
mode-II Zustand von Bedeutung ist, wird in der Literatur mit dowel action bezeichnet.
Hierbei ist das Trag- und Verformungsverhalten eines gerissenen Stahlbetonelements unter
einer Schubbelastung von Interesse. In Abbildung 2.3 ist schematisch ein gerissenes Stahl-
betonelement dargestellt. Belastet wird das Element durch eine globale Schubverformung
γ∗, wodurch sich die Rissoberflachen parallel zueinander verschieben. Der Bewehrungs-
stab wirkt hierbei wie ein Dubel und widersetzt sich den Schubverformungen γ∗, indem in
unmittelbarer Nahe des Risses innere Krafte im Bewehrungsstab hervorgerufen werden.
Dabei erfahrt der Bewehrungsstab eine Beanspruchung, die sich uberwiegend aus Bie-
gung und Schub zusammensetzt [Linero 2006]. Des Weiteren wird aus Abbildung 2.3
ersichtlich, dass der versteifende Einfluss der Bewehrung abhangig von der Rissrichtung
αc ist. Fur αc = 0 verfugt die Struktur uber keine Steifigkeit, wohingegen fur αc = 90
die maximale Dubelsteifigkeit zu erwarten ist.
Es soll an dieser Stelle betont werden, dass der zusatzliche Steifigkeitseffekt, der aus der
Verzahnung der gegenuberliegenden Rissoberflachen herruhrt (aggregate interlock), im
Rahmen dieser Arbeit außer Betracht bleibt. Wie bereits in Kapitel 2.1.6 angemerkt, wird
das aggregate interlock, ahnlich wie das tension-stiffening aus Kapitel 2.1.4, implizit uber
das isotrope Schadigungsmodell anhand der Nachbruchfestigkeit des Betons zumindest
qualitativ bereits berucksichtigt.
14 Kapitel 2: Stahl-Beton Interaktionen
g *
g *
a c
l
( a ) e i n g e s p a n n t e r B a l k e n
l 0
( b ) S c h u b m e c h a n i s m u s ( c ) e l a s t i s c h e B e t t u n g
Abbildung 2.3: Schematische Darstellung der Dubelwirkung (dowel action) anhand eines ge-
rissenen Stahlbetonelements und mogliche Modellierungskonzepte
2.2.2 Modellierungskonzepte
Die Steifigkeitsreserven, uber die ein gerissenes Stahlbetonelement verfugt, konnen
abhangig vom Belastungszustand einen bedeutenden Einfluss auf die globale Struktur-
steifigkeit haben. In einem gerissenen Stahlbetonelement, welches hauptsachlich uniaxial
in Richtung des Bewehrungsstabes beansprucht wird, gibt es keine Dubelwirkung, da die
Belastung uberwiegend vom Zugstab aufgenommen wird. In schubbeanspruchten Schei-
ben oder aber auch in Biegebalken hingegen kann infolge der Dubelwirkung eine erhohte
strukturelle Steifigkeit beobachtet werden. Des Weiteren beeinflusst die Dubelwirkung vor
allem bei schwach bewehrten Tragwerken das Nachbruchverhalten und somit die Dukti-
litat einer Stahlbetonstruktur, welches auf das Plastifizieren des Stahles zuruckgefuhrt
werden kann.
Die konzeptionelle Vorgehensweise zur Modellierung der Dubelwirkung besteht darin, aus-
gehend von einem geeigneten physikalischen Grundmodell, auf die Kraftubertragung des
Bewehrungsstabs im Riss zu schließen. Aus Abbildung 2.3 konnen die gebrauchlichen
Grundmodelle entnommen werden, aus denen ublicherweise das konstitutive Gesetz fur
dowel action abgeleitet wird. Hierbei muss sichergestellt werden, dass ein numerisches
Modell aufgrund der Kinematik ebenfalls die Schubdeformationen des Bewehrungsstabs
berucksichtigt. Mit lediglich einer eindimensionalen Beschreibung der Bewehrung als Zug-
stab kann die Dubelwirkung nicht abgebildet werden. Daher sollte die Bewehrung vorzugs-
weise entweder als Biegebalken oder als 3D-Kontinuum in die numerische Formulierung
2.2 Dubelwirkung 15
des Stahlbetons eingehen, um so die mehrdimensionale Kinematik im Riss zu erfassen.
In [Pietruszczak & Winnicki 2003] wird als Grundmodell ein beidseitig einge-
spannter Biegebalken der Lange l betrachtet, wobei l einen geschatzten Risszonenbe-
reich darstellt [Abbildung 2.3(a)]. Der dabei beschriebene Biegemechanismus gemaß
Timoshenko-Balkentheorie reprasentiert die zusatzliche Steifigkeit infolge Dubelwirkung.
Unter Berucksichtigung der Rissrichtung und Plastifizierung des Biegebalkens, findet die
Dubelwirkung auf makroskopischer Ebene Eingang in das konstitutive Gesetz des Stahl-
betons.
Im Ansatz von [Linero 2006; Linero, Oliver, Huespe & Pulido 2006] wird ne-
ben der eindimensionalen, elasto-plastischen Modellierung der Bewehrung, ein weite-
res eindimensionales, elasto-plastisches Schubmodell herangezogen, welches die Dubel-
mechanismen abbildet. Die Dubelsteifigkeit wird dabei als eine effektive Schubsteifig-
keit interpretiert und findet im konstitutiven Gesetz des Stahles Berucksichtigung. Zur
Herleitung der effektiven Schubsteifigkeit unterscheiden die Autoren zwischen zwei un-
terschiedliche Dubelmechanismen. Der Biegemechanismus, der uberwiegend in mode-I-
Belastungszustanden maßgeblich wird, wird ahnlich wie in [Pietruszczak & Winnicki
2003] anhand eines beidseitig eingespannten Biegebalkens beschrieben [Abbildung 2.3(a)],
wobei in diesem Ansatz jedoch die Balkenlange l anders als in [Pietruszczak & Win-
nicki 2003] der Rissbreite entspricht. Fur l → 0 wird der im mode-II dominante Schub-
mechanismus aktiviert, und die Dubelsteifigkeit zeichnet sich durch den Schubmodul des
Stahles Gs aus [Abbildung 2.3(b)] . In der Modellformulierung wird in [Linero 2006;
Linero, Oliver, Huespe & Pulido 2006] stets ein zu der Bewehrungsachse senk-
recht verlaufender Riss angenommen, d.h. der relevante Einfluss der Rissrichtung auf die
Dubelwirkung, wie er aus Abbildung 2.3 ersichtlich wird, bleibt unberucksichtigt.
Das physikalische Grundmodell zur Herleitung der Dubelsteifigkeit ist in [Martın-Perez
& Pantazopoulou 2001], wie in den vorangegangenen Ansatzen zwar ebenfalls ein Bie-
gebalken, jedoch ist dieser elastisch gebettet [Abbildung 2.3(c)]. Der Beton stellt dabei die
elastische Bettung des Biegebalkens dar. Unter Berucksichtigung der Druckfestigkeit des
Betons wird ein phanomenologisches, konstitutives Gesetz fur die Dubelkraft angegeben,
welches in die Werkstoffbeziehung des Stahles integriert wird. Die Verformungen im ge-
rissenen Stahlbetonelement werden unter Beachtung der Rissrichtung basierend auf dem
Konzept der verschmierten Risse hergeleitet. Dieser Ansatz setzt des Weiteren voraus,
dass mit zunehmender axialer Stahlspannung die Dubelwirkung abnimmt. Es wird ange-
nommen, dass sobald der Stahl anfangt zu plastifizieren, die Dubelwirkung vollstandig
verloren geht.
Ebenfalls basierend auf der Theorie der elastischen Bettung eines Biegebalkens wird in
[El-Ariss 2006] ein ahnliches konstitutives Gesetz fur die Dubelkraft wie in [Martın-
Perez & Pantazopoulou 2001] angesetzt. In diesem Ansatz wird jedoch die zu der
Dubelkraft korrespondierende Verformung aus einer diskreten Rissweite ermittelt. Ausge-
hend von der Differentialgleichung der elastischen Bettung wird zur Herleitung der Ver-
16 Kapitel 2: Stahl-Beton Interaktionen
formung die analytische Losung gemaß Timoshenko ausgewertet. Die benotigte Bettungs-
steifigkeit des Betons wird ebenso wie in [Martın-Perez & Pantazopoulou 2001]
aus experimentellen Daten abgeschatzt. In diesem Ansatz bleibt jedoch die Plastizitat des
Stahles in Bezug auf die Dubelwirkung unberucksichtigt.
Ein Losungsansatz zur Beschreibung der Dubelwirkung, welches auf dem Konzept der ver-
schmierten Risse basiert, wird in [He & Kwan 2001] vorgestellt. Die Bewehrung wird
im Kontext der Mischungstheorie ebenfalls verschmiert berucksichtigt. Die verschmierte
Betrachtung gestattet, das konstitutive Gesetz der Dubelwirkung anders als in [Martın-
Perez & Pantazopoulou 2001; El-Ariss 2006] nicht in Kraft und Verschiebung
sondern in Spannung und Verzerrung zu formulieren. Das zugrundeliegende physikalische
Grundmodell ist ebenfalls ein Biegebalken, der elastisch im Beton gebettet ist [Abbildung
2.3(c)]. Die effektive Schubsteifigkeit des Grundmodells leitet sich aus der analytischen
Losung der elastischen Bettung, wobei die benotigte Bettungssteifigkeit des Betons aus
experimentellen Daten abgeschatzt wird. Die gesuchte effektive Schubsteifigkeit des Stahl-
betonelements wird zunachst abhangig von der Rissrichtung ermittelt und findet anschlie-
ßend in der konstitutiven Matrix des Betons Berucksichtigung. Die maximal mogliche
Dubelkapazitat wird basierend auf experimentellen Auswertungen durch den plastischen
Belastungszustand der Stahlbewehrung definiert.
Im Rahmen dieser Arbeit wird die Dubelwirkung sowohl als Biegemechanismus als auch
als Schubmechanismus berucksichtigt. Je nach dem welcher Mechanismus maßgebend
wird, erfolgt die Abschatzung der Dubelsteifigkeit aus dem entsprechenden Modell. Zur
Herleitung der Dubelwirkung, die aus dem Biegemechanismus herruhrt, wird als physi-
kalisches Grundmodell der elastisch gebettete Biegebalken gemaß [He & Kwan 2001]
betrachtet [Abbildung 2.3(c)]. Ausgehend von der Differentialgleichung der elastischen
Bettung wird die analytische Losung gemaß Timoshenko ausgewertet, wobei das Mitwir-
ken des Betons anhand der Bettungssteifigkeit Berucksichtigung findet. Wird der Beweh-
rungsstab in der Rissebene hingegen uberwiegend auf Schub belastet, kommt die Modell-
formulierung des Schubmechanismus gemaß [Linero 2006; Linero, Oliver, Huespe
& Pulido 2006] zur Anwendung [Abbildung 2.3(b)]. In beiden Modellansatzen wird
der Einfluss der Rissrichtung und der Plastizitat des Stahles berucksichtigt. Des Weite-
ren zeichnet sich der vorliegende Ansatz durch eine Konformitat mit dem Konzept der
verschmierten Risse und Bewehrung aus, welches ebenfalls in der gegenwartigen Modell-
beschreibung des Stahlbetons verwendet wird. Das konstitutive Gesetz der Dubelwirkung
wird in Form von Spannungen und Verzerrungen formuliert und anders als in [He &
Kwan 2001] in das Materialgesetz des Stahles integriert. Hinsichtlich der genaueren
Beschreibung des Dubelmodells und der numerischen Umsetzung sei auf Abschnitt 3.4
verwiesen.
2.3 Stahlkorrosion 17
F e 2 +F e 2 +
e -e -
e -e -
e -e -
O H- O H
-
O H O H
F e
O H O H
F e
e -
O H-
e -
O H-
S t a h l
A n o d e
K a t h o d e
W a s s e r
R o s t
H 2 O O 2
Abbildung 2.4: Schematische Darstellung der anodischen und der kathodischen Reaktion
2.3 Stahlkorrosion
Ein weiterer Interaktionsmechanismus zwischen Stahl und Beton stellt die Stahlkorrosi-
on dar. In der gegenwartigen Modellformulierung werden Korrosionsmechanismen zwar
nicht berucksichtigt, jedoch wurde im Rahmen dieser Arbeit eine Schnittstelle imple-
mentiert, uber die die Betonschadigung infolge Rostbildung berucksichtigt werden kann.
Diese Schnittstelle basiert auf einem eindimensionalen Transportmodell, welches die Initi-
ierungsphase des Korrosionsprozesses unter Berucksichtigung von Karbonatisierung und
Chloridtransport beschreibt [Steffens 2000]. Am Lehrstuhl fur Statik und Dynamik
wurde dieses eindimensionale Transportmodell aufgegriffen und fur die Verknupfung mit
dem gegenwartigen Stahlbetonmodell basierend auf einem Mikrozellen-Modell [Maeka-
wa & Ishida 2002] aufbereitet und weiterentwickelt [Kemper 2008]. Dabei wird der
relevante Einfluss von Chlorid auf die Korrosionsrate berucksichtigt. Ziel dieses Kapitels
ist es, die maßgebenden Einflusse hinsichtlich Stahlkorrosion und die damit einhergehende
Betonschadigung zu thematisieren.
2.3.1 Korrosionsmechanismen
Bei der Korrosion handelt es sich um eine elektrochemische Reaktion, bei der zwei gekop-
pelte Teilprozesse gleichzeitig ablaufen. Zum einen die anodische Reaktion (Oxidation)
und zum anderen die kathodische Reaktion (Reduktion). Bei der anodischen Reaktion
wird das Eisen der Stahlbewehrung oxidiert. Indem sich Wassermolekule an der Stahl-
oberflache anlagern, werden positiv geladene Eisen-Ionen aus der Stahlstruktur gelost.
Dieser Prozess geschieht infolge des geringen elektrochemischen Potentials des Eisens. We-
gen der hohen metallischen elektrischen Leitfahigkeit konnen sich die zuruckgebliebenen
Elektronen innerhalb der Stahlstruktur bewegen und sich vom Anodenbereich entfernen.
Beim Ablauf der kathodischen Teilreaktion wird im Porenwasser geloster Sauerstoff an der
Stahloberflache durch Aufnahme der freigesetzten Elektronen reduziert. Unter Verbrauch
18 Kapitel 2: Stahl-Beton Interaktionen
e x p a n s i v eD r u c k s p a n n u n g e n p rp r
Abbildung 2.5: Rostexpansion infolge fortschreitender Korrosion
von Wasser wandelt sich der Sauerstoff in Hydroxidionen um. Die an der Anode freigesetz-
ten Ionen und die an der Kathode entstehenden Hydroxidionen ziehen sich aufgrund ihrer
gegensatzlichen Ladungen an und reagieren somit zu Eisenhydroxid. Das Eisenhydroxid
bildet eine Vorstufe von Rost, der sich an der Stahloberflache absetzt. In einer weite-
ren chemischen Reaktion entsteht aus dem Eisenhydroxid unter Abspaltung von Wasser
schließlich das Eisenoxid. In Abbildung 2.4 sind die chemischen Reaktionen schematisch
dargestellt.
2.3.2 Volumenexpansion
Da die Endprodukte aus den anodischen und kathodischen Reaktionen ein großeres Volu-
men einnehmen als die Ausgangsstoffe, tritt infolge Rostproduktion auf der Bewehrungs-
oberflache eine Volumenexpansion auf. Aufgrund von Zwangungen werden hierdurch ex-
pansive Spannungen induziert, die auf die umgebende Betonmatrix wirken. Wird in un-
mittelbarer Nahe der Bewehrung die Zugfestigkeit des Betons uberschritten, kommt es
zunachst zu Mikrorissen. Mit zunehmender Rostproduktion jedoch sind Verbundschadi-
gung, Abplatzungen der Betondeckung sowie klaffende Makrorisse die Folgen. In Ab-
bildung 2.5 sind die Betonschadigungen infolge Rostexpansion schematisch dargestellt.
Hinsichtlich des Einflusses von Korrosion auf die Verbundeigenschaften sei an dieser Stel-
le auf Kapitel 2.1.5 verwiesen. Da die Expansion der Korrosionsprodukte stark von den
Umgebungsbedingungen anhangt, begunstigen die entstehenden Risse ein verstarktes Ein-
dringen von weiteren korrosionsfordernden Schadstoffen.
Kapitel 3
Modellierung der
Materialverhaltensweisen und der
relevanten Interaktionsmechanismen
Nachdem im vorangegangenen Kapitel die wesentlichen Interaktionen zwischen Stahl und
Beton erortert wurden, erfolgt in diesem Kapitel die Formulierung der konstitutiven Glei-
chungen fur den unbewehrten Beton und fur die Stahlbewehrung sowie die Modellbildung
der relevanten Stahl-Beton Interaktionen. Was die Materialgesetze anbelangt, so werden
beide Materialien (Beton und Stahl) zunachst separat betrachtet. Erst in Kapitel 4.3 er-
folgt dann unter Verwendung von Homogenisierungsstrategien die Zusammenfuhrung die-
ser Materialien zu Stahlbeton.
Im Rahmen der Modellbildung wird unbewehrter Beton als ein teilgesattigtes poroses Ma-
terial betrachtet. Das mechanische zeitinvariante Materialverhalten wird anhand eines
elasto-plastischen Schadigungsmodells abgebildet. Die thermo-hygrischen zeitvarianten Ei-
genschaften werden in Rahmen der Mehrphasigkeit berucksichtigt, indem die zusatzlichen
Feldvariablen Temperatur und Feuchtigkeit eingefuhrt werden. Neben Schwindverformun-
gen werden basierend auf dem Konzept der effektiven Spannungen Kriechmechanismen
berucksichtigt. Die Beschreibung des Materialverhaltens der Stahlbewehrung erfolgt an-
hand eines elasto-plastischen Materialgesetzes mit isotroper Verfestigung. Fur eine wirk-
lichkeitsnahe Modellierung des Kompositmaterials Stahlbeton ist die Berucksichtigung der
relevanten Interaktionen zwischen Stahl und Beton unerlasslich. Zu diesem Zweck werden
ein Verbundgesetz und ein Gesetz zur Beschreibung der Dubelwirkung zum Ende dieses
Kapitels vorgestellt.
19
20 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
3.1 Beton als poroses Medium
In diesem Abschnitt werden die konstitutiven Gleichungen des gekoppelten hygro-thermo-
mechanischen Modells zur Beschreibung des Materialverhaltens von Beton hergeleitet. Die
mechanische (zeitinvariante) Komponente des Betonmodells ist auf [Meschke, Lackner
& Mang 1998] zuruckzufuhren. Unter Einfuhrung der zusatzlichen Feldvariablen Tem-
peratur und Feuchtigkeit wurde in der Arbeit von [Grasberger 2002] das mechanische
Betonmodell zu einem (zeitvarianten) Mehrphasen-Modell weiterentwickelt [Meschke &
Grasberger 2003; Grasberger & Meschke 2004].
Die Grundidee des entwickelten hygro-thermo-mechanischen Betonmodells basiert auf der
Biot’schen Theorie, die eine makroskopische Formulierung poroser Medien gestattet [Bi-
ot 1941]. Eine Erweiterung dieser Theorie fur teilgesattigte porose Materialien geht auf
Coussy zuruck, der eine thermodynamische Formulierung der Biot’schen Theorie auf-
stellte [Coussy 1995; Coussy 2004]. Darin setzt Coussy die Existenz eines makrosko-
pischen Spannungstensors sowie die Gultigkeit der klassischen kontinuumsmechanischen
Feldgleichungen auf der makroskopischen Ebene voraus. Unter der Annahme einer Poten-
tialfunktion mit den entsprechenden Symmetrieeigenschaften lassen sich somit samtliche
makroskopische Zustandsvariablen thermodynamisch motivieren. Diese makroskopische
Betrachtung erweist sich insofern als eine sinnvolle Basis fur die Formulierung des gekop-
pelten Materialmodells, als die zugrunde liegenden Feldgleichungen unmittelbar auf die
Strukturebene angewandt werden konnen.
Im Rahmen der verwendeten makroskopischen Theorie wird vereinfachend angenommen,
dass Beton sich aus folgenden drei Phasen zusammensetzt:
• einer festen Phase (Matrix) bestehend aus Zuschlagstoffen und Zementstein (inklu-
sive eingeschlossener Poren),
• einer flussigen Phase bestehend aus adsorptivem und kapillarem Wasser
• und aus einer Gasphase als ideale Mischung aus trockener Luft und Wasserdampf.
Es wird ferner postuliert, dass in jedem Materialpunkt des porosen Materials eine Drei-
phasigkeit vorliegt, d.h. jede Phase ist in allen Raumpunkten gleichzeitig vertreten. Das
betrachtete Kontinuum, welches sich aus der Summe aller Raumpunkten zusammensetzt,
wird dabei vollstandig von allen Konstituierenden (Phasen) ausgefullt. Die komplexen
mikromechanischen Interaktionen, die sich zwischen den Phasen abspielen, insbesondere
zwischen der Matrix und dem Adsorptions- und Kapillarwasser, werden phanomenolo-
gisch anhand eines makroskopischen Kapillardrucks pc beschrieben [Bear & Bachmat
1991]. Der Kapillardruck pc, der eine integrative Große darstellt, gibt den durchschnitt-
lichen Druck zwischen der Gasphase und der liquiden Phase an
pc = pg − pl , (3.1)
3.1 Beton als poroses Medium 21
wobei pg dem durchschnittlichen Druck in der Gasphase und pl dem durchschnittlichen
Druck in der liquiden Phase entspricht [Coussy, Ulm & Mainguy 1999]. Wird vor-
ausgesetzt, dass der Druck in der Gasphase pg sich in einem thermodynamischen Gleich-
gewicht mit dem konstanten atmospharischen Druck befindet, kann pg wegen seiner ver-
nachlassigbarer Großenordnung zu Null gesetzt werden [Grasberger 2002]. Somit gilt
fur den Kapillardruck pc vereinfachend die Beziehung
pc = −pl . (3.2)
Der Zusammenhang zwischen der liquiden Sattigung Sl und dem Kapillardruck pc wird
anhand der Kapillardruck-Sattigungs-Funktion Sl(pc) beschrieben. Die Funktion Sl(pc)
stellt eine wesentliche Kenngroße eines porosen Stoffes dar. Sie erfasst makroskopisch
Informationen uber die Porengroßenverteilung und gibt somit Auskunft uber die Topologie
des Porenraums. Abhangig von der Porenradienverteilung eines porosen Stoffes lassen sich
die entsprechenden Feuchtespeichereigenschaften ableiten, d.h. das Speichervermogen des
Porenraums anWasser wird imWesentlichen von der Topologie des Porenraums bestimmt.
Die Ermittlung der Sl(pc)-Kurve fur ein bestimmtes poroses Medium erfolgt experimentell.
Der zu wahlende Laborversuch hangt davon ab, fur welche Sattigungsbereiche die Sl(pc)-
Kurve aufgestellt werden soll.
Ein gangiges Verfahren zur Ermittlung der Feuchtespeicherkapazitat im (ublichen) Bereich
von 10–98% relative Luftfeuchtigkeit ist das Adsorptions/Desorptions-Verfahren. Mit Hilfe
von Sorptionsisothermen wird fur eine labortechnisch definierte Temperatur und konstante
relative Umgebungsfeuchtigkeit die entsprechende Ausgleichssattigung ermittelt. Die Aus-
gleichssattigung definiert den stationaren Zustand, bei dem die Porenfeuchtigkeit mit den
vorgeschriebenen thermischen und hygrischen Umgebungsbedingungen im Gleichgewicht
steht. Uber das Gesetz von Kelvin zur Beschreibung eines thermodynamischen Gleichge-
wichts an der Grenzflache zwischen der Gas- und Wasserphase (Meniskus) wird zunachst
die vorgeschriebene Porenfeuchtigkeit uber den Kapillardruck pc ausgedruckt. Die kor-
relierende Ausgleichssattigung Sl fur den vorgeschriebenen Kapillardruck pc wird dann
anhand der zusatzlichen Wasseraufnahme (Adsorption) bzw. Wasserabgabe (Desorption)
gravimetrisch ermittelt. Wird der Versuch fur unterschiedliche relative Luftfeuchtigkeiten
bzw. Kapillardrucke wiederholt erhalt man die S-formige Sl(pc)-Kurve. Weitere Labor-
versuche zur Ermittlung der Kapillardruck-Sattigungs-Kurve vor allem fur hohe relative
Luftfeuchtigkeiten (> 98%) ist die Quecksilberdruckporosimetrie (Hg-Porosimetrie) und
das Druckplattenverfahren. Auf eine ausfuhrliche Beschreibung dieser Verfahren wird an
dieser Stelle verzichtet und auf folgende Literatur verwiesen [Cerny & Rovnanıkova
2002; Carmeliet & Abeele ].
In der Regel erweist sich fur Beton die experimentelle Ermittlung der Kapillardruck-
Sattigungs-Kurve Sl(pc) als sehr langwierig, da aufgrund den Transporteigenschaften und
Probengroße ein stationarer hygrischer Gleichgewichtszustand erst in Wochen oder Mona-
ten erreicht wird. Vor diesem Hintergrund sind erganzend zu den experimentellen Tech-
22 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
niken basierend auf numerischen Modellen funktionale Zusammenhange zwischen dem
Kapillardruck pc und der liquiden Sattigung Sl hergeleitet worden, mit dem Ziel, die To-
pologie des Porenraums zu erfassen [Bear & Bachmat 1991]. In dieser Arbeit findet die
analytische Funktion von Van Genuchten fur die Kapillardruck-Sattigungs-Beziehung
Verwendung [van Genuchten 1980]
Sl(pc) =
[(pcp0
) bb−1
+ 1
]−1
b
. (3.3)
Die materialspezifischen Parameter p0 und b werden gemaß [Baroghel-Bouny, Main-
guy, Lassabatere & Coussy 1999] fur Normalbeton zu b = 2.2478 und p0 = 18.6237
N/mm2 gewahlt. Auf die Relevanz der Sl(pc)-Kurve im Hinblick auf hygro-mechanische
Interaktionen wird in Kapitel 3.1.3 genauer eingegangen.
3.1.1 Elasto-plastisches Schadigungsmodell
Die Beschreibung des nichtlinearen mechanischen Materialverhaltens von Beton erfolgt
auf der Basis eines Mehrflachenmodells unter Berucksichtigung plastischer Deformationen
und irreversibler Steifigkeitsdegradation [Meschke, Lackner & Mang 1998]. Plasti-
sche Deformationen werden als Folge von Mikrorissen betrachtet und werden im Rah-
men des Konzept der verschmierten Risse modelliert [Rots & Blaauwendraad 1989;
Hofstetter & Mang 1995]. Mikrodefekte bzw. geschadigte Materialpunkte fuhren zu
einer Steifigkeitsdegradation, die auf der Makroebene am Entlastungspfad gemessen wer-
den kann. Im Folgenden wird das in [Meschke, Lackner & Mang 1998] entwickelte
Modell vorgestellt, aus dem sich die konstitutiven (mechanischen) Gleichungen fur Beton
herleiten lassen.
In Analogie zur klassischen Mehrflachen-Plastizitatstheorie wird anhand von i Fließflachen
fur samtliche zulassige Spannungszustande ein Bereich elastischen Materialverhaltens im
Spannungsraum definiert
IE = (σm, qk) | fk(σm, qk(αk)) ≤ 0, k = 1, ..., i . (3.4)
Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass σm den lastinduzierten (mechanischen) Spannungs-
tensor des Betons symbolisiert. Die Einbeziehung von hygrischen Spannungen in die kon-
stitutiven Gleichungen des Betons wird in Kapitel 3.1.3 naher erortert. Somit beschreiben
die voneinander unabhangigen Fließ- bzw. Schadigungspotentiale fk(σm, qk(αk)) ≤ 0 in
Gleichung (3.4) das mechanische Verhalten von Beton im Druck- und Zugbereich und
bestimmen somit die Degradation der Steifigkeit und den Zuwachs an plastischen Ver-
formungen. Der Index k reprasentiert dabei die jeweilige Fließflache. Die zugehorigen
spannungsaquivalenten Ver- bzw. Entfestigungsfunktionen qk(αk) lassen sich aus den ver-
3.1 Beton als poroses Medium 23
zerrungsaquivalenten internen Variablen αk ermitteln
qk(αk) = − ∂ U∂ αk
. (3.5)
Hierbei beschreibt U die ver- bzw. entfestigungsabhangige Energiedissipation, die mit mi-
krostruktureller Schadigung im Material assoziiert wird. Wahrend die Schadigungspoten-
tiale fk den zulassigen Spannungsraum kontrollieren, wird die Evolution der Schadigung
durch die Ver- bzw. Entfestigungsfunktionen qk(αk) gesteuert.
Im vorliegenden Modell werden drei Rankine-Fließflachen (k = 1, 2, 3) zur Beschreibung
des Materialverhaltens von Beton im Zugbereich angesetzt. Die Bestimmung des dukti-
len Ver- und Entfestigungsverhaltens im Druckbereich erfolgt anhand einer Drucker-
Prager-Fließflache (k = 4). Zur Erfassung mehrachsiger Beanspruchung konnen mehrere
Rissflachen bzw. eine Kombination aus mehreren Rissflachen gleichzeitig aktiv sein.
3.1.1.1 Beton im Zugbereich
Das quasi-sprode Materialverhalten von Beton im Zugbereich wird auf der Basis des Prin-
zips der maximalen Zugspannung σm formuliert. Die Rissflachen, die sich beim Uber-
schreiten der Betonzugfestigkeit einstellen, werden senkrecht zu den Hauptspannungsach-
sen angenommen. Dieses Materialversagen wird anhand von drei Rankine-Fließflachen
widergegeben. Im Hauptspannungsraum formuliert lauten die Fließfunktionen
fR,A(σm, qR) = σm,A − qR(αR) ≤ 0, A = 1, 2, 3 (3.6)
wobei A die jeweilige Hauptspannungsrichtung angibt. Das Nachbruchverhalten des Be-
tons wird gemaß [Meschke, Lackner & Mang 1998] anhand einer hyperbolischen
Entfestigungsfunktion beschrieben
qR(αR) = ftu1
(
1 +αR
αR,u
)2 . (3.7)
In Abbildung 3.1 ist das Entfestigungsgesetz qR(αR) dagestellt. Erst beim Erreichen der
Betonzugfestigkeit ftu wird die Entfestigungsfunktion relevant und beschreibt bei weite-
rer Laststeigerung die residualen Zugspannungen in Abhangigkeit von der internen Va-
riable αR. Der Parameter αR,u in Gleichung (3.7) ist numerisch bedingt und reduziert
die Netzabhangigkeit einer numerischen Losung. Diese Regularisierung ist im Rahmen
des Konzepts der verschmierten Risse erforderlich, um eindeutige Ergebnisse bei einer
Finite-Elemente-Analyse zu erzielen. Entsprechend des Bruchenergiekonzepts hangt der
Parameter αR,u im Wesentlichen von der spezifischen Bruchenergie Gf des Betons im
mode-I Zustand und von der aquivalenten Lange des jeweiligen finiten Elements lc ab.
Aus der Integration des Entfestigungsgesetzes (3.7) fur den Bereich 0 ≤ αR < ∞ lasst
sich der Parameter αR,u bestimmen. Fur weitergehende Informationen sei an dieser Stelle
24 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
q R
αR
ftu
0.0
Abbildung 3.1: Hyperbolisches Entfestigungsgesetz fur Beton im Zugbereich.
auf folgende Referenzen verwiesen [Meschke, Lackner & Mang 1998; Grasberger
2002].
3.1.1.2 Beton im Druckbereich
Die Beschreibung der duktilen Materialantwort von Beton im Druckbereich erfolgt an-
hand eines Plastizitatsmodells gemaß Drucker-Prager mit Ver- und Entfestigungsei-
genschaften. Diese Modellformulierung erweist sich insofern sinnvoll, als die benotigten
Modellparameter durch ein- und zweiachsige Druckversuche schnell gewonnen werden
konnen. Somit lautet die angesetzte Fließfunktion fDP fur den Druckbereich wie folgt
fDP (σm, qDP ) =√
J2 − κDP I1 −qDP (αDP )
γDP≤ 0, (3.8)
wobei J2 die zweite Invariante des Spannungsdeviators und I1 die erste Invariante des
Spannungstensors darstellt. Die Modellparameter κDP und γDP werden in Abhangigkeit
des Verhaltnisses der biaxialen zur uniaxialen Festigkeit des Betons fcb/fcu bestimmt
κDP =1√3
(fcb/fcu − 1
2fcb/fcu − 1
)
und γDP =√3
(2fcb/fcu − 1
fcb/fcu
)
, (3.9)
wobei fcb/fcu = 1.16 als typischer Wert fur Beton angesetzt werden kann.
Das zunachst ver- und dann entfestigende nichtlineare Materialverhalten ist in Abbildung
3.2 dargestellt und wird durch folgende Funktion qDP (αDP ) gemaß [Meschke, Lackner
& Mang 1998] beschrieben
qDP (αDP ) =
fcu − fcu−fcyα2
DP,u
(αDP,u − αDP )2 fur αDP < αDP,u
fcu − fcu−fcc(αDP,c−αDP,u)2
(αDP,u − αDP )2 fur αDP,u ≤ αDP < αDP,c
fcc −DDP,u(αDP,c − αDP ) fur αDP,c ≤ αDP
(3.10)
3.1 Beton als poroses Medium 25
0.0
fcy
fcu
αDP,u αDP,c
αDP
q DP
Abbildung 3.2: Ver- und Entfestigungsgesetz fur Beton im Druckbereich.
mit: fcu Druckfestigkeit
fcy = 0.4fcufcc = fcu/1000
DDP,u = −1.0 · 10−8
Der Parameter αDP,u wird aus den Verzerrungen εu fur σm = fcu fur eine uniaxiale
Druckbelastung ermittelt
αDP,u = c (εu −fcuE
) mit c =1
γDP (1/√3 + κDP )
, (3.11)
hierbei bezeichnet E den Elastizitatsmodul des Betons. Der Wert von αDP,c wird aus der
uniaxialen Bruchenergie des Betons im Druckbereich Gc und der aquivalenten Große des
jeweiligen finiten Elements lc berechnet
αDP,c =3
2
1
fcu
(
cGc
lc− 1
3fcy αDP,u
)
. (3.12)
3.1.1.3 Evolutionsgleichungen
Vereinfachend und auf Anisotropie bei Rissbildung verzichtend, erfolgt die Modellbil-
dung der Steifigkeitsdegradation infolge Mikrodefekte auf der Basis einer isotropen bzw.
skalaren Schadigungsevolution gemaß [Kachanov 1958]. Als Beschreibungsgroße dient
hierbei die Kontinuitat ψ bzw. die Schadigungsvariable d
ψ =A0 −Ad
A0= 1− Ad
A0= 1− d mit 0 ≤ d ≤ 1. (3.13)
Vom Grundgedanken her, gibt d das Verhaltnis von geschadigter Flache Ad zu un-
geschadigter Ausgangsflache A0 an, d.h. fur d = 0 (bzw. ψ = 1) wird ein intaktes und
ungeschadigtes Material beschrieben und bei d = 1 (bzw. ψ = 0) wird von einem vollig
26 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
zerstorten Material ausgegangen, das sich an eine Kraftubertragung nicht mehr beteiligt.
Die skalare Degradation des elastischen Materialtensors C0m fur Beton lasst sich somit wie
folgt angeben
ψ C0m = (1− d)C0
m . (3.14)
Im Rahmen des kombinierten elasto-plastischen Schadigungsmodells wird der Schadi-
gungsanteil ψ und der Zuwachs der plastischen Verzerrungen εpm anhand eines skalaren
Parameters 0 ≤ β ≤ 1 gesteuert [Meschke, Lackner & Mang 1998]. Dabei werden
inelastische Raten in plastische und schadigende Anteile zerlegt, was ein kombiniertes
Materialverhalten aus einem elasto-plastischen Modell (β = 0) und aus einem skalaren
Schadigungsmodell (β = 1) ermoglicht.
Unter Ausnutzung des Prinzips der maximalen inelastischen Dissipation und Einfuhrung
der Lagrange-Multiplikatoren γk ≥ 0 lassen sich fur die assoziierte Normalenregel die
Evolutionsgesetze fur die plastischen Verzerrungen
εpm = (1− β)4∑
k=1
γk∂ fk∂ σm
, (3.15)
fur die Kontinuitat
(ψ−1) = β4∑
k=1
γk
∂ fk∂ σm
: C0m :
∂ fk∂ σm
∂ fk∂ σm
: σm
, (3.16)
fur die verzerrungsaquivalenten inneren Variablen
αR =
3∑
A=1
γR,A∂ fR,A
∂ qR, (3.17)
αDP = γDP∂ fDP
∂ qDP, (3.18)
sowie die klassischen Kuhn-Tucker-Bedingungen
fk(σm, qk) ≤ 0, γk ≥ 0, γkfk(σm, qk) = 0 (3.19)
angeben. Auf eine detaillierte Herleitung der Evolutionsgleichungen und deren Integration
unter Verwendung des Return-Map-Algorithmus wird an dieser Stelle verzichtet und auf
folgende Literatur verwiesen [Simo, Kennedy & Govindjee 1988; Govindjee, Kay
& Simo 1995; Meschke, Lackner & Mang 1998].
3.1.2 Hygro-thermische Transportgesetze
Nachdem im vorangegangenen Kapitel die Modellbildung des mechanischen Materialver-
haltens im Fokus stand, wird nachfolgend auf das in [Grasberger 2002] vorgestellte
3.1 Beton als poroses Medium 27
hygro-thermische Transportverhalten von Beton eingegangen. Im Rahmen der Modellie-
rung gilt es dabei, makroskopische Transportgesetze fur die Feuchtigkeit und fur die Tem-
peratur aufzustellen, die in die homogenisierte (makroskopische) Beschreibung des Betons
als 3-Phasen-Medium Eingang finden. Aufgrund der Tatsache, dass die Transportmecha-
nismen stark von den hygro-thermischen Gegebenheiten abhangen und somit der Warme-
und Feuchtehaushalt sich gegenseitig stark beeinflussen, werden die Transportgesetze fur
Warme und Feuchtigkeit zunachst getrennt betrachtet. Im Anschluss daran werden dann
die fur Beton relevanten hygro-thermischen Kopplungen aufgefuhrt.
Ein besonderes Augenmerk im nachsten Unterkapitel 3.1.2.1 richtet sich auf den Feuch-
tetransport innerhalb von Rissen. Diese Betrachtung ist insofern von Interesse, als der
Fluidtransport im Riss unabhangig von der Mikrostruktur ist und dieser sich grund-
legend vom Feuchtestrom im ungeschadigten Bereich unterscheidet [Aldea, Shah &
Karr 1999; Gerard & Marchand 2000; Oshita & Tanabe 2000]. Abhangig von
der Rissoffnungsweite und den hygrischen Bedingungen stellt sich im Riss ein viel großerer
Feuchtestrom ein als im intakten Beton. Risse beschleunigen den Transportprozess, weil
sie als zusatzliche Fließkanale angesehen werden konnen und somit die Durchlassigkeit
des Betons begunstigen. Abhangig von der Rissoffnungsweite kann die Durchlassigkeit
des gerissenen Betons um mehrere Großenordnungen zunehmen [Bazant & Raftshol
1982; Bazant, Sener & Kim 1987; Reinhardt 1997; Aldea, Shah & Karr 1999;
Gerard & Marchand 2000; Oshita & Tanabe 2000; Roels, Vandersteen &
Carmeliet 2003].
3.1.2.1 Transportgesetz fur Feuchtigkeit
Aufgrund des breiten Porengroßenspektrums treten die unterschiedlichen Transportme-
chanismen mehrskalig und gleichzeitig auf, was eine Differenzierung der einzelnen Trans-
portphanomene wesentlich erschwert. Des Weiteren hangt der vorherrschende Transport-
prozess im Porenraum stark vom Aggregatzustand des Wassers ab, das je nach Umge-
bungsbedingung entweder in gasformiger oder in flussiger Form vorliegt. Aufgrund der
komplexen mikro- und mesoskopischen Interaktionen der Feuchteprozesse erfolgt die Mo-
dellierung der unterschiedlichen Transportmechanismen in integraler Form. Die Grundidee
hierzu basiert auf Darcy’s-Gesetz fur laminare Stromung in gesattigten porosen Medien.
Durch die Einfuhrung der makroskopischen hydraulischen Permeabilitat k werden die un-
terschiedlichen Gas- und Flussigkeitstransportanteile zusammengefasst und anhand der
Feuchtestromdichte ql integrativ beschrieben [Bazant & Najjar 1972; Reinhardt
1997]. Die Abhangigkeit der Permeabilitat k vom Feuchtegehalt gestattet,Darcy’s linea-
res Transportgesetz auf teilgesattigte Medien zu erweitern. Basierend auf [Grasberger
2002] lasst sich somit die makroskopische Feuchtestromdichte ql zunachst ohne Tempe-
raturabhangigkeit wie folgt beschreiben
ql =k
µl· ∇ pc , (3.20)
28 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
wobei der Kapillardruck pc als treibende Kraft angesetzt wird. Der Parameter µl stellt in
der obigen Gleichung die dynamische Viskositat des Wassers dar.
Wie zu Beginn des Kapitels 3.1.2 schon erwahnt, spielt die Wechselwirkung zwischen Ris-
sen und Feuchtetransport eine bedeutende Rolle. Um dieser hygro-mechanischen Wechsel-
wirkung Rechnung zu tragen, wird in der Arbeit [Grasberger 2002] die Permeabilitat
k additiv in zwei Anteile zerlegt
k = kpor + kcrack . (3.21)
Der Parameter kpor beschreibt hierbei die Durchlassigkeit des intakten und un-
geschadigten Betons, die im Wesentlichen von der Topologie des Porenraums und von
der liquiden Sattigung Sl abhangt
kpor = kr(Sl) kφ(φ)k0 . (3.22)
Dabei berucksichtigt die initiale Permeabilitat k0 makroskopisch die Porenraumeigen-
schaften des gesattigten und ungeschadigten Betons. Anhand von praparierten und voll-
gesattigten Betonproben kann k0 experimentell bestimmt werden.
Die relative Permeabilitat kr(Sl) hingegen beschreibt die Durchlassigkeit fur den teil-
gesattigten Zustand. Basierend auf einem Porennetzwerkmodell [van Genuchten 1980]
wird eine von der liquiden Sattigung Sl abhangige Funktion verwendet
kr(Sl) =√
Sl
[
1− (1− S1/ml )m
]2
. (3.23)
Der dimensionslose und materialspezifische Parameter m wird in [Baroghel-Bouny,
Mainguy, Lassabatere & Coussy 1999] fur Normalbeton mit m = 0.4396 angenom-
men.
Die Funktion kφ(φ) in Gleichung (3.22) basiert auf experimentellen Daten und gibt den
Einfluss der veranderlichen Porositat φ auf die Permeabilitat des ungeschadigten Betons
kpor an
kφ(φ) = 10δ mit δ =6 (φ− φ0)
0.3− 0.4φ0
, (3.24)
wobei φ0 die initiale Porositat des Betons im unbelasteten Zustand und φ die verander-
liche (verformungsabhangige) Porositat im belasteten Zustand darstellt [Nyame &
Illston 1981; Grasberger 2002].
Der Parameter kcrack in Gleichung (3.21) tragt dem beschleunigten Fluidtransport im
Riss Rechnung. Wie zu Beginn des Kapitels 3.1.2 angemerkt, stellt sich im Riss abhangig
von der Rissoffnungsweite w und den hygrischen Bedingungen ein viel großerer Feuchte-
strom ein als im intakten Beton. Die erhohte Permeabilitat im Riss kcrack ist unabhangig
3.1 Beton als poroses Medium 29
von der Mikrostruktur und wird in Abhangigkeit der liquiden Sattigung Sl und der Rissoff-
nungsweite w wie folgt formuliert
kcrack = krc(Sl)kd(w). (3.25)
Die Funktion krc(Sl) beschreibt analog zu kr(Sl) in Gleichung (3.23) die relative Permea-
bilitat innerhalb des Risses. In [Grasberger 2002] wird eine exponentielle Formulierung
hierfur angenommen
krc(Sl) = 8 · 10−6 exp(11.7Sl). (3.26)
Der Tensor kd(w) hingegen gibt abhangig der Rissorientierung und von der Rissweite w
die Durchlassigkeit in einem gesattigten Riss an [Grasberger 2002]. Zur Herleitung
des funktionellen Zusammenhangs zwischen w und kd wird als physikalisches Modell das
kubische Fließgesetz gemaß Poiseuille herangezogen. In Abhangigkeit von der Rissweite
w und der Viskositat des Wassers µl wird der Feuchtestrom q zwischen zwei parallelen,
glatten und wasserundurchlassigen Platten ermittelt [Witherspoon, Wang, Iwai &
Gale 1979]
q =w3
12µl
∇ pc. (3.27)
Die glatten Platten reprasentieren dabei die idealisierten Rissflachen. Die Wasserun-
durchlassigkeit senkrecht zu den Rissflachen ist bei Beton aufgrund des dominanten Flus-
ses entlang des Risses eine zulassige Annahme. Da die Rissflachen im Allgemeinen jedoch
eine Rauhigkeit aufweisen und sich aufgrund der Risstopologie zudem eine Tortuositat
einstellt, wird fur die Rissweite w eine aquivalente hydrauliche Rissweite wh bestimmt
[Barton, Bandis & Bakhtar 1985]
wh =w2
R2.5fur w ≥ wh, (3.28)
die die tatsachliche Rissweite w aus Gleichung (3.27) ersetzt. Die Werte fur w und wh sind
in µm einzusetzen. Mit der makroskopischen Rauhigkeit des Risses R wird eine Anpas-
sung an das Platten-Modell vorgenommen. Dieser Parameter wird aus experimentellen
Untersuchungen an geklufteten Gestein phanomenologisch hergeleitet und wird fur Beton
mit R = 15 angegeben [Grasberger 2002].
Unter Berucksichtigung von Gleichung (3.27) und (3.28) kann der Tensor kd(w) fur eine
Rissweite w wie folgt formuliert werden
kd = T T · k′
d · T , mit k′
d =
0 0 0
0 w3h/(12 lc) 0
0 0 w3h/(12 lc)
. (3.29)
Aufgrund der verschmierten Rissmodellierung wird die diskrete Rissweite wh uber eine
charakteristische Elementlange lc verschmiert [Meschke, Lackner & Mang 1998].
30 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
Der Tensor T berucksichtigt die Orientierung des Risses in einem Materialpunkt und
dient zur Transformation der lokalen Große k′
d in das globale Koordinatensystem.
Die Rissweite w ist vom Grad der Betonschadigung abhangig und wird beim Uberschreiten
der Zugfestigkeit ftu maßgebend. Im Rahmen der verschmierten Risse errechnet sich w als
Funktion von der inneren Variablen αR wie folgt [Meschke, Lackner & Mang 1998]
w(αR) = βlc αR,u
3
[(
1 +αR
αR,u
)3
− 1
]
(
1 +αR
αR,u
)2 + (1− β) lc αR. (3.30)
3.1.2.2 Transportgesetz fur Warme
Die Beschreibung der Warmestromdichte qt basiert zunachst unter Vernachlassigung
thermo-mechanischer Kopplungsterme auf Fourier’s linearem Warmeleitgesetz
qt = −Dt∇T . (3.31)
Das Gesetz, welches Fourier fur einen trockenen Festkorper aufstellte, beschreibt eine
Proportionalitat zwischen der Warmestromdichte qt und dem Gradienten der Tempe-
ratur T . Die Warmeleitfahigkeit Dt entspricht hierbei dem Proportionalitatsfaktor. Das
negative Vorzeichen in Gleichung (3.31) tragt der Tatsache Rechnung, dass der Warme-
strom entgegen dem Temperaturgradienten stattfindet. Unter der Annahme eines ther-
misch isotropen Materialverhaltens stellt die materialspezifische Warmeleitfahigkeit eine
skalare Große dar. Fur Normalbeton wird in [Hamfler 1988] die Großenordnung fur
Dt mit 1.2 ≤ Dt ≤ 4.0 [W/(mK)] angegeben. In [Oberbeck 1995] wird die thermische
Leitfahigkeit fur einen trockenen Beton zu Dt = 1.85 W/(mK) bestimmt. Basierend auf
experimentellen Daten von [Hundt 1977] wird in [von Smuda & von Wolfersdorf
1990] eine von der Temperatur abhangige Warmeleitfahigkeit Dt(T ) angegeben
Dt(T ) = Dt,dry [0.93 + 3.5 · 10−3(T − 273.1)], (3.32)
wobei Dt,dry die Warmeleitfahigkeit des trockenen Materials darstellt und hier fur 20C
zu Dt,dry = 1.85 W/(mK) gewahlt wird. Die Berucksichtigung der Feuchtigkeit erfolgt im
nachsten Unterkapitel.
3.1.2.3 Hygro-thermische Wechselwirkung
Feuchte- und Temperaturprofile in einer Betonstruktur werden neben den hygro-
thermischen Initialzustanden in erster Linie von den naturlichen Bedingungen der
Umgebung bestimmt. Da im naturlichen Zustand die relative Luftfeuchtigkeit und die
Temperatur standig schwanken, stellt sich im Beton sowohl ein Feuchte- als auch ein
Temperaturgradient ein. Hygrische und thermische Transportvorgange im Beton treten
3.1 Beton als poroses Medium 31
demzufolge stets zeitgleich auf und mussen daher hinsichtlich ihrer hygro-thermischen
Interaktionen formuliert werden. Nur in speziell praparierten Laborversuchen werden
zwecks Parameterbestimmung isotherme Umgebungsbedingungen geschaffen, die dann
eine weitgehend entkoppelte Betrachtung erlauben. In allen anderen Strukturanalysen
jedoch muss fur eine realitatsnahe Beschreibung von Transportvorgangen die Wechsel-
wirkung zwischen Warme und Feuchtigkeit berucksichtigt werden [Oberbeck 1995;
Steffens 2000; Grasberger 2002; Wormann 2004].
Einfluss des Feuchtegehalts auf den Warmetransport
Das Porenwasser im Beton, welches uberwiegend als Sorptions- und Kapillarwasser vor-
liegt, beeinflusst den Warmetransport in unterschiedlicher Weise. Zum einen dient das im
Beton befindliche Porenwassser als ein zusatzliches Speichermedium fur Warme und tragt
somit zum Warmehaushalt bei. Die Gesamtwarmekapazitat des Betons setzt sich daher
additiv aus der Warmekapazitat des trockenen Stoffes (Matrix) und aus der Warmeka-
pazitat des Wassers zusammen. Dabei ist der Warmeanteil des Wassers von der liquiden
Sattigung Sl abhangig. Ein weiterer Einflussfaktor des Porenwassers auf den Warmetrans-
port liegt in der Feuchteabhangigkeit der Temperaturleitfahigkeit Dt. Diese Kopplung be-
ruht auf der Tatsache, dass die Warmeleitfahigkeit des Wassers wesentlich hoher als die
der Porenluft ist und daher mit zunehmender liquider Sattigung Sl eine erhohte Tempera-
turleitfahigkeitDt beobachtet werden kann. Zur Beschreibung der Temperaturleitfahigkeit
Dt als Funktion vom Feuchtegehalt wird in der Literatur haufig ein linearer Zusammen-
hang angenommen [Oberbeck 1995; Lewis & Schrefler 1998]. In dieser Arbeit
liegt der Ansatz aus [Grasberger 2002] zugrunde, der sich aus einer Kombination aus
Gleichung (3.32) und dem Ansatz gemaß [Lewis & Schrefler 1998] zusammensetzt
Dt(T, Sl, φ) = Dt,dry [0.93 + 3.5 · 10−3(T − 273.1)]
[
1 + 4φSlρl
(1− φ)ρs
]
. (3.33)
Neben der Dichte des Wassers ρl und der Dichte des Feststoffes (Matrix) ρs findet in
Gleichung (3.33) auch der Einfluss der Porositat φ Berucksichtigung.
Einfluss der Temperatur auf den Feuchtetransport
Eine weitere hygro-thermische Wechselwirkung besteht in der Temperaturabhangigkeit
der hydraulischen Permeabilitat. Es ist zu beobachten, dass sich mit steigender Tempera-
tur ein zunehmender Feuchtestrom einstellt. Dieser Zusammenhang lasst sich mit den tem-
peraturabhangigen Eigenschaften des Wassers, wie z.B. Oberflachenspannung und Visko-
sitat, begrunden [Oberbeck 1995]. Von tiefen Temperaturen bzw. Eisbildung absehend
wird gemaß [Grasberger 2002] die hydraulische Permeabilitat kpor fur den ungeschadig-
ten Materialbereich aus Gleichung (3.22) um eine dimensionslose skalare Funktion kt(T )
erweitert
kpor = kr(Sl) kφ(φ) kt(T )k0 , (3.34)
32 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
die die Temperaturabhangigkeit der hydraulischen Permeabilitat berucksichtigt. In
Abhangigkeit von der absoluten Temperatur T wird fur kt(T ) der Ansatz aus [Bazant
& Najjar 1972] gewahlt
kt(T ) =T
T0exp
[
4680
(1
T0− 1
T
)]
, (3.35)
mit T0 = 293.1 K als Referenztemperatur, die einer ublichen Umgebungstemperatur von
20C entspricht.
3.1.3 Gekoppelte Zustandsgleichungen des hygro-thermischen
Schadigungsmodells
Mogliche Belastungsszenarien des hygro-thermischen Schadigungsmodells sind die auf der
Makroebene messbaren Verformungen sowie messbare Veranderungen des Feuchte- und
Warmehaushaltes in einer Betonstruktur. Die Beschreibung der entsprechenden gekoppel-
ten Materialantwort auf makroskopischer Ebene erfolgt mit Hilfe von externen Zustands-
großen. In [Grasberger 2002] werden als externe Zustandsvariablen das Verzerrungsfeld
εm, die Anderung des Feuchtegehalts ml und das Temperaturfeld T vorgeschlagen. Der
Feuchtegehalt ml [kg/m3] lasst sich uber die Dichte des Wassers ρl, die Gesamtporositat
des Betons φ und uber den Grad der liquiden Sattigung Sl wie folgt ermitteln
ml = ρl φSl. (3.36)
Unter der Annahme kleiner Verformungen, d.h. der geometrische linearen Theorie, lasst
sich der lineare, symmetrische Verzerrungstensor des Betons εm additiv zerlegen
εm = εem + εpm + εthm + εfm. (3.37)
Die reversible mechanische Verformungsenergie wird anhand des elastischen Verzer-
rungstensors εem beschrieben. Bei der Entlastung bleibende (irreversible) Verformungen
hingegen definieren die plastischen Verzerrungen εpm des unbewehrten Betons. Verfor-
mungsanderungen infolge Temperatureinwirkung rufen thermische Verzerrungen εthm her-
vor, und langzeitige Kriechverformungen werden uber den Verzerrungstensor εfm erfasst.
Basierend auf der Biot-Coussy Theorie [Biot 1941; Coussy 1995; Coussy 2004],
die bereits in Kapitel 3.1 kurz Erwahnung fand, lasst sich die thermodynamisch motivier-
te freie Energiefunktion Ψm durch einen Satz interner und externer Zustandsvariablen
eindeutig bestimmen
Ψm = W(εem, ml, T, ψ, γf) + U(αR, αDP ). (3.38)
Die elastische Verzerrungsenergie W wird dabei durch die elastischen Verzerrungen εem,
den Feuchtegehalt ml, die Temperatur T , die Kontinuitat ψ aus Gleichung (3.13) und
3.1 Beton als poroses Medium 33
durch die kriechinduzierten Mikroverformungen γf beschrieben. Auf diesen viskosen mi-
krostrukturellen Verformungen γf wird in Kapitel 3.1.5.3 genauer eingegangen. Die Funk-
tion U hingegen beschreibt den dissipativen Anteil der freien Energie Ψm, der mit dem
nichtlinearen Materialverhalten von Beton verknupft ist und anhand der Ver- und Entfe-
stigungsparameter αR und αDP aus Gleichung (3.17) bzw. (3.18) bestimmt wird.
Das Einsetzen der materiellen Zeitableitung der freien Energiefunktion Ψm in den zwei-
ten Hauptsatz der Thermodynamik und anschließendes Ableiten nach samtlichen internen
und externen Zustandsvariablen liefert die gekoppelten Zustandsgleichungen. Zur Verein-
fachung und aus Effizienzgrunden werden in der vorliegenden Arbeit nicht samtliche ther-
modynamisch konsistenten Wechselwirkungen fur die Herleitung der Zustandsgleichungen
berucksichtigt. Unter den naturlichen hygrischen und thermischen Umgebungsbedingun-
gen konnen einige Kopplungen bzw. Feldgleichungen aufgrund ihres kleinen Anteils ver-
nachlassigt werden, da sie eine untergeordnete Rolle fur den Beton darstellen. So wird
neben der Annahme kleiner Verzerrungen in Gleichung (3.37) und der Vernachlassigung
der Gasphase pg = 0 in Gleichung (3.2) zusatzlich vorausgesetzt, dass keine zu hohen
oder zu tiefen Temperaturen im Porenraum vorherrschen, so dass das Kapillarwasser we-
der im Siede- noch im Gefrierzustand vorzufinden ist. Basierend auf diesen Uberlegungen
werden in den Arbeiten [Coussy, Eymard & Lassabatere 1998] und [Grasberger
2002] im Rahmen der Modellbildung zusatzlich folgende Annahmen getroffen:
• es gibt keine Diskontinuitaten im Temperatur- und Feuchtigkeitsfeld
• der Zuwachs an Porositat φ infolge Mikrorisse wird nicht berucksichtigt
• hygro-mechanische Prozesse bewirken keine Anderung der Temperaturverteilung
• das Schadigungsinkrement dψ hat keinen Einfluss auf den inkrementellen liquiden
Fluiddruck dpl
Des Weiteren haben –abhangig vom verwendeten Kriechmodell– die kriechinduzierten
Mikroverformungen dγf keinen Einfluss auf die Spannungs-, Feuchtigkeits- und Tempe-
raturverteilung, worauf in Kapitel 3.1.5.3 genauer eingegangen wird. Unter Beachtung
der getroffenen Annahmen lassen sich die makroskopischen Zustandsgleichungen mit den
zugehorigen relevanten Kopplungen in inkrementeller Form wie folgt angeben [Grasber-
ger 2002; Grasberger & Meschke 2003]:
Totale Matrixspannungen σm
dσm = ψ C0m :
[dεm − dεpm − dεthm − dεfm
]−B dpl +Λ dψ (3.39)
Fluiddruck pl
dpl = ψMdml
ρl− ψMB :
[dεm − dεpm − dεthm − dεfm
](3.40)
34 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
Entropie S
dS =Cu
T0dT. (3.41)
In Gleichung (3.39) stellt B = b1 den zweistufigen Tensor des tangentialen elastischen
Biot-Koeffizienten b dar und beschreibt den Einfluss eines Feuchtegradienten auf die Ma-
trixspannungen. Ein sinnvoller Ansatz fur b leitet sich aus der Gegenuberstellung der
makroskopischen Zustandsgleichung (3.39) mit einer mikroskopischen Betrachtungsweise
des porosen Mediums her. Unter Verwendung des Kompressionsmoduls des Skelettmate-
rials Ks und des Kompressionsmoduls des Betons K lasst sich in Anlehnung an [Coussy
1995; Carmeliet 2001; Grasberger 2002] folgender Ausdruck fur den Kopplungs-
koeffizient b fur Teilsattigung herleiten
b = Sl
[
1− ψK
Ks
]
. (3.42)
Zur Identifikation der Wechselwirkung zwischen den Matrixspannungen dσm mit der
Schadigungsevolution dψ, wird der Kopplungskoeffizient Λ = Λ(εem, pl) aus den Sym-
metriebedingungen der gemischten Ableitungen des Potentials Ψm aus Gleichung 3.38
hergeleitet. Diese Betrachtung basiert auf der Tatsache, dass die gemischten Ableitungen
des Potentials Ψm nach den Zustandsvariablen unabhangig von der gewahlten Reihenfolge
der Ableitungen sind (Maxwell-Symmetrien). Somit ergeben sich unter Einbeziehung der
Gleichung (3.42) fur den Biot-Koeffizienten b folgende Beziehungen
∂Λ
εem=∂(ψC0
m)
∂ψ= C
0m sowie
∂Λ
∂pl= −∂B
∂ψ= Sl
K
Ks. (3.43)
Das Einsetzen der obigen Symmetriebedingungen in die inkrementelle Formulierung des
Kopplungskoeffizienten Λ = Λ(εem, pl)
dΛ =∂Λ
∂εem
dεem +∂Λ
∂pldpl (3.44)
und anschließende Integration liefert den gesuchten zweistufigen Kopplungstensor
Λ = C0m : (εm − εpm − εthm − εfm) +
K
Ks
∫
pl
Sl dpl 1 (3.45)
Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass der Einfluss der Temperatur T indirekt uber die
temperaturinduzierten volumetrischen Verzerrungen dεthm = αth dT 1 berucksichtigt wird.
Der Parameter αth stellt hierbei den materialspezifischen thermischen Ausdehnungskoef-
fizienten dar.
Die Beschreibung der Feuchtigkeitsverteilung erfolgt uber den makroskopischen Fluid-
druck pl aus Gleichung (3.40). Dieser kann uber die Beziehung pl = −pc aus Gleichung
(3.2) alternativ durch den Kapillardruck pc ausgedruckt werden. Der Biot-Modul M aus
Gleichung (3.40) lasst sich, wie auch der Biot-Koeffizient b, aus der Gegenuberstellung
3.1 Beton als poroses Medium 35
der mikroskopischen Eigenschaften des porosen Mediums mit den makroskopischen Zu-
standsgleichungen herleiten. In [Grasberger 2002] wird unter Vernachlassigung von
thermischen Effekten einen vereinfachten Ausdruck fur M angegeben
M =1
ψ
[
φ∂Sl
∂pl
]−1
. (3.46)
Unter den zu Beginn dieses Kapitels genannten Annahmen, lasst sich das Inkrement der
Entropie dS aus Gleichung (3.41) lediglich als Funktion der Temperatur T darstellen.
Dabei bezeichnet der materialspezifische Parameter Cu die Warmekapazitat des Betons
mit T0 als Referenztemperatur.
Die vollstandige Beschreibung zur Herleitung der Zustandsgleichungen (3.39) bis (3.41) ist
nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Daher sei an dieser Stelle erneut auf folgende
Referenzen verwiesen [Coussy 1995; Grasberger 2002; Grasberger & Meschke
2003; Coussy 2004].
3.1.4 Effektive Spannungen
Die starke Interaktion zwischen der Porenfeuchtigkeit und den Matrixspannungen ist so-
wohl auf mikroskopischer als auch auf struktureller Ebene ein wesentliches Merkmal fur
zementgebundene Materialien. So manifestiert sich diese Wechselwirkung beispielsweise
in der Abhangigkeit der Zug- und Druckfestigkeit des Betons von der Materialfeuchtigkeit
oder, wie bereits in Kapitel 3.1.5 erortert, weisen langzeitige Kriechverformungen eben-
falls eine starke Abhangigkeit vom Grad der Feuchtigkeit auf. Zur Beschreibung dieser
weiteren hygro-mechanischen Wechselwirkung wird das Konzept der effektiven Spannun-
gen herangezogen. Dieser Losungsansatz hat seinen Ursprung in der Bodenmechanik und
wurde vorwiegend fur geotechnische Problemstellungen formuliert, wobei die Anwendung
zunachst auf vollgesattigte Materialien mit inkompressiblen Konstituierenden beschrankt
war [von Terzaghi 1936]. Verfeinerungen des Konzepts der effektiven Spannungen un-
ter Berucksichtigung der Kompressibilitat des Matrixmaterials [Biot 1941] oder die For-
mulierung fur teilgesattigte porose Medien [Bishop 1959] erweiterten zunehmend das
Anwendungsspektrum.
Eine weitere Spezifizierung des Konzepts auf elastisch effektive Spannungen zur Beschrei-
bung des feuchteabhangigen Materialverhaltens von Beton geht auf die Arbeit [Cous-
sy, Eymard & Lassabatere 1998] zuruck. Dieser Losungsansatz jedoch ist auf ein
lineares Materialverhalten beschrankt und bietet somit ein begrenztes Anwendungsspek-
trum. Eine uberschaubare und praxisorientierte Verfeinerung des Konzepts stellen die in
[Coussy 1989] eingefuhrten plastisch effektiven Spannungen dar. Diese Methode erlaubt
es, mit lediglich einem zusatzlichen Materialparameter das plastische Materialverhalten
und die hygrisch induzierten Spannungen in Verbindung zu setzen. So ist es beispielsweise
moglich, schwindinduzierte Risse ohne die explizite Verwendung von Schwindverzerrun-
36 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
gen zu modellieren, da die Schadigungsevolution neben den Matrixspannungen σm auch
vom Kapillardruck pc abhangt.
Die totale Formulierung der Matrixspannungen σm lasst sich aus der Integration der
einzelnen Summanden aus Gleichung (3.39) unter Einbeziehung der Gleichung (3.42) fur
den Biot-Koeffizient b, Gleichung (3.45) fur den Kopplungstensor Λ und aus Gleichung
(3.2) fur den Fluiddruck pl in Abhangigkeit vom Kapillardruck pc wie folgt angeben
σm = ψ C0m :
[εm − εpm − εthm − εfm
]+
[
1− ψK
Ks
] ∫
pc
Sl(pc) dpc 1 . (3.47)
Ausgehend aus Gleichung (3.47) lassen sich die elastisch effektiven Spannungen σ′em iden-
tifizieren, die mit den elastischen Verzerrungen der Matrix εem korrespondieren
σ′em = σm −
[
1− ψK
Ks
] ∫
pc
Sl(pc) dpc 1 = ψ C0m :
[εm − εpm − εthm − εfm
]. (3.48)
An dieser Stelle sei erneut auf die Bedeutung der Kapillardruck-Sattigungs-Beziehung
Sl(pc) in Gleichung (3.47) zur Beschreibung der hygrisch-induzierten Spannungen ver-
wiesen. Aus Informationen uber die Porennetzstruktur muss die Funktion Sl(pc) fur den
verwendeten Beton adaquat angepasst werden.
Zur makroskopischen Beschreibung der plastisch effektiven Matrixspannungen σ′pm = σ′
m
wird im Rahmen der Poroplastizitat der plastische Biot-Koeffizient bp eingefuhrt [Coussy
1989]
σ′
m = σm − bppc 1. (3.49)
Mit lediglich einem zusatzlichen Materialparameter bp wird dem plastischen Materialver-
halten des Betons im Hinblick auf hygrisch induzierte Spannungen Rechnung getragen.
Der plastisch effektive Spannungstensor σ′
m stellt hierbei die thermodynamisch assozi-
ierende Große zu den plastischen Matrixverzerrungen εpm dar. Der ursprunglich fur den
gesattigten Zustand vorgeschlagene plastische Biot-Koeffizient bp wurde fur teilgesattigte
porose Medien weiterentwickelt. Einen geeigneten Ausdruck fur bp wird in [Grasberger
& Meschke 2001] aus der Gegenuberstellung der Spannungen in der Mikroebene mit
den (makroskopischen) plastisch effektiven Spannungen σ′
m hergeleitet. In Anhangigkeit
von der Kontinuitat ψ, der Porositat φ und der liquiden Sattigung Sl wird folgender
Zusammenhang postuliert
bp = ψ φSl. (3.50)
3.1.5 Kriechen von Beton
In diesem Kapitel wird auf das Kriechen von Beton insbesondere im Zusammenwirken
mit hygrischen Wechselwirkungen eingegangen. Dabei ist das Hauptaugenmerk auf die
feuchtigkeitsinduzierten zusatzlichen Verformungen (Trocknungskriechen) gerichtet, die
3.1 Beton als poroses Medium 37
bei mechanisch belasteten Strukturen bei gleichzeitiger Austrocknung auftreten. Es wer-
den zunachst die mikrostrukturellen Ursachen fur das Trocknungskriechen beschrieben
und anschließend ein adaquates Kriechmodell vorgeschlagen, welches in der Lage ist, die
strukturellen und intrinsischen Anteile des Trocknungskriechens zu quantifizieren. Ein
interessanter und neuartiger Losungsansatz liegt in der Formulierung des verwendeten
Kriechmodells im Rahmen der effektiven Spannungen, wodurch die physikalische Un-
trennbarkeit von Schwinden und Kriechen manifestiert wird.
3.1.5.1 Allgemeine Kriechmechanismen
Neben den lastunabhangigen Schwindverformungen treten beim Vorherrschen einer me-
chanischen Belastung weitere zeitabhangige Verformungen auf. Mit Kriechen werden im
Allgemeinen die zeitvarianten Verformungen bezeichnet, die unter einer konstanten Dau-
erbelastung neben den elastischen Deformationen zu beobachten sind. Die genauen Ur-
sachen fur das Betonkriechen sind bis heute nicht abschließend geklart. Es ist jedoch
allgemein anerkannt, dass sich die Kriechmechanismen innerhalb der Zementmatrix ab-
spielen, und die Zuschlagstoffe aufgrund ihrer hohen Festigkeit eine untergeordnete Rolle
spielen. Das Kriechverhalten von Beton lasst sich im Allgemeinen anhand von “inneren”
und “außeren” Einflussgroßen beschreiben.
Was den “inneren” Einflussgroßen anbelangt, so hangt die Große der Kriechverformungen
von der Zusammensetzung des Betons und von den damit einhergehenden Materialeigen-
schaften ab. Als maßgebliche Wirkungsgroße wird hierbei das freie (physikalisch gebun-
dene) Porenwasser angesehen, welches sich im Porengefuge bewegt und dabei Gleit- und
Verdichtungsvorgange innerhalb der Mikro- und Nanostruktur aktiviert und beschleunigt.
Die innere Struktur des Betons, insbesondere die Permeabilitat, wird von den beton-
technologischen Parametern, wie beispielsweise Wasser-Zement-Wert, Zementsorte und
Zuschlagstoffe, bestimmt. Da das Porenwasser einen dominanten Einfluss auf die Kriech-
vorgange ausubt, wird bei einem geringen Wasser-Zement-Wert der Kapillarporenraum
und damit die Gleit- und Verdichtungsvorgange reduziert, wodurch geringere Kriechver-
formungen resultieren. Die Zuschlagstoffe selbst kriechen zwar nicht, jedoch widersetzen
sich steifere Zuschlagskorner den Verformungen des Zementsteins starker als weiche Zu-
schlage.
Neben den “inneren” Einflussgroßen hinsichtlich der betontechnologischen Beschaffenheit
stellen die “außeren” Einwirkungen den zweiten maßgebenden Einflussfaktor dar. Hierzu
zahlen die mechanische Belastung sowie die umgebungsbedingten hygrischen und ther-
mischen Gegebenheiten. Andert sich beispielsweise der Feuchtegehalt des Porenraums
oder steigt die Umgebungstemperatur an, so wird ein Anwachsen der Kriechverformun-
gen beobachtet. Großere aufgebrachten Spannungen verstarken ebenfalls die Kriechme-
chanismen. Daruber hinaus ist der Zeitpunkt, in dem eine mechanische Belastung aufge-
bracht wird, und die Dauer der Belastung auch sehr entscheidend fur die Evolution der
38 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
Kriechverformungen. Aufgrund des stetigen Erhartungsprozesses des Zementsteins fuhrt
ein großes Belastungsalter, d.h. ein spates Aufbringen der Belastung, zu geringeren Gleit-
und Verdichtungsvorgangen innerhalb des Betongefuges. Mit steigendem Belastungsalter
des Betons nehmen die Kriechverformungen daher ab.
Aufgrund der zahlreichen Einflussparameter und Komplexitat der mikromechanischen
Vorgange wird eine genaue Beschreibung der Kriechverformungen erschwert. Daher exi-
stiert bis dato keine allgemeingultige Kriechtheorie. Von den genannten Einflussfaktoren
wird nachfolgend die bedeutende Wechselwirkung zwischen den hygrischen Einwirkungen
und den Kriechmechanismen genauer untersucht und anschließend ein adaquates Modell
zur Beschreibung der Kriechverformungen formuliert.
3.1.5.2 Einfluss der Feuchtigkeit auf das Kriechen – Trocknungskriechen
Versuche bestatigen, dass eine nicht vernachlassigbare Abhangigkeit zwischen den
Kriechverformungen und dem Feuchtetransport im Porenraum besteht [Pickett 1942;
Bazant & Xi 1994; Bazant, Hauggaard, Baweja & Ulm 1997; Kovler 1999;
Benboudjema, F.Meftah & Torrenti 2001; Benboudjema, Meftah & Tor-
renti 2005a]. Unterscheidet sich die Porenfeuchtigkeit im Beton von der Umgebungs-
feuchtigkeit, wird ein Feuchteaustausch in Gang gesetzt. Aufgrund der hoheren Poren-
feuchtigkeit, kommt es daher zum Austrocknen des Betons. Bis sich ein hygrisches Gleich-
gewicht einstellt, konnen abhangig von der hydraulischen Durchlassigkeit und Dicke der
Betonstruktur teilweise Jahre, ja sogar Jahrzehnte vergehen [Reinhardt 1997].
Der Einfluss des Austrocknens auf die Kriechverformungen wurde erstmalig in [Pickett
1942] genauer untersucht. Es wurde die Beobachtung gemacht, dass die Verformungen,
die sich infolge mechanischer Last bei gleichzeitiger Austrocknung einstellen, großer sind
als die Summe der Verformungen, die infolge von Austrocknung und mechanischer Bela-
stung separat gemessen werden. Die zusatzlichen Verformungen werden in der Literatur
mit Trocknungskriechen (engl. drying creep) bezeichnet, und das Phanomen wird nach
dem Entdecker Pickett-Effekt benannt. In Abbildung 3.3 sind die Beobachtungen von G.
Pickett anhand eines eindimensionalen Beispiels veranschaulicht. Um den Pickett-Effekt
zu bestatigen, sind mindestens drei Versuche mit identischen Probekorpern erforderlich.
Zunachst mussen ohne die Berucksichtigung einer mechanischen Last die aus der Aus-
trocknung resultierenden Schwindverformungen am (unversiegelten) Probekorper gemes-
sen werden. In Abbildung 3.3 ist dieser Versuch mit “1” gekennzeichnet. Die zugehorigen
Schwindverformungen werden mit εshr angegeben. Die Indizierung wird in Anlehnung an
die englische Bezeichnung “shrinkage” gewahlt. Im nachsten Schritt wird in einem wei-
teren Probekorper anhand einer hygrischen Versiegelung zunachst der Feuchteaustausch
mit der Umgebung verhindert und anschließend mit einer konstanten Spannung belastet.
Die sich dabei einstellenden Kriechverformungen εbc werden mit Grundkriechen (engl. ba-
sic creep) bezeichnet. Dieser Versuch ist in Abbildung 3.3 mit “2” markiert. Abschließend
3.1 Beton als poroses Medium 39
z e n t r i s c h e L a s tS c h w i n d e n G r u n d k r i e c h e n S c h w i n d e n
m i t K r i e c h e ns sse s h r
e b c
e t c
e s h r e b c e t c+ <
1 2 3V e r s i e g e l u n g
Abbildung 3.3: Schematische Darstellung des Trocknungskriechens [Pickett 1942]
werden unversiegelte Probekorper untersucht, die neben der konstanten Spannung gleich-
zeitig einer Austrocknung ausgesetzt werden (“3” in Abbildung 3.3). Die dabei gemessenen
Gesamtverformungen werden mit εtc (engl. total creep) bezeichnet. Werden die gemesse-
nen zeitabhangigen Verformungen anschließend gegenubergestellt, so wird erkennbar, dass
das Superpositionsprinzip nicht erfullt wird
εtc > εshr + εbc. (3.51)
Eine mechanisch belastete Betonstruktur, die gleichzeitig austrocknet, weist uber den
gesamten Zeitraum stets eine großere Verformung auf, als die Summe aus den Einzel-
mechanismen Schwinden und Grundkriechen. Die durch das Austrocknen hervorgerufene
zusatzliche Verformung
εdc = εtc − (εshr + εbc) (3.52)
entspricht dem zuvor angesprochenen Trocknungskriechen. Versuche zeigen, dass der
Pickett-Effekt bei einem hoheren Feuchtegradienten, einer hoheren außeren Belastung
und bei einem großeren Belastungszeitraum ausgepragter ist. Die genauen mikromechani-
schen Mechanismen hinsichtlich des Pickett-Effekts sind zwar bis dato nicht abschließend
geklart, jedoch herrscht uber die Ursachen weitgehend eine einheitliche Meinung [Bazant
& Wu 1974; Bazant & Xi 1994; Granger 1996; Bazant, Hauggaard, Baweja
& Ulm 1997; Benboudjema 2002; Benboudjema, Meftah & Torrenti 2005a].
Demnach werden zwei Ursachen fur das Trocknungskriechen genannt:
• Ein Anteil des Pickett-Effekts wird mit der Bildung von Mikrorissen begrundet, die
im Zuge der Austrocknung an der Oberflache der Struktur initiiert werden. Diese
strukturelle Komponente wird in der Literatur haufig mit “micro-cracking effect”
40 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
bezeichnet. Da eine Betonprobe an der Oberflache auszutrocknen beginnt, bilden
sich dort infolge des Feuchtegradienten hohe Spannungen. Uberschreiten die resul-
tierenden Zugspannungen die Zugfestigkeit des Betons, kommt es zu Rissbildungen.
Diese Mikrorisse, die infolge der Klaffung der Rissflachen eine zu den Schwindver-
formungen entgegengesetzte Verformung hervorrufen, reduzieren somit in einem un-
belasteten Probekorper die gemessenen Schwindverformungen. Im Vergleich werden
in druckbelasteten Strukturen, die gleichzeitig austrocknen, großere Gesamtverfor-
mungen gemessen, da infolge der Druckspannung die Risse uberdruckt werden und
daher eine wesentlich kleinere entgegengesetzte Verformung auftritt. Es sei ange-
merkt, dass selbst in druckbelasteten Strukturen wahrend des Austrocknens Mikro-
risse an der Oberflache auftreten, deren Rissoffnung und Verteilung jedoch durch
die Belastung maßgeblich gesteuert werden kann [Sicard, Francois, Ringot &
Pons 1992]. Aufgrund von inelastischen Materialbeziehungen konnen sich diese
Mikrorisse nicht schließen und beeinflussen die gemessenen Verformungen uber den
gesamten Zeitraum. Diese Differenz in den gemessenen Verformungen zeichnet sich
insbesondere dadurch aus, dass sie zu Beginn der Austrocknung sehr schnell ansteigt
und bereits nach wenigen Tagen stagniert [Bazant & Wu 1974; Bazant & Xi
1994; Bazant, Hauggaard, Baweja & Ulm 1997]. Diese Entwicklung ist auf
den Feuchtegradienten zuruckzufuhren, der zu Beginn des Austrocknungsprozesses
die großten hygrischen Zugspannungen induziert. In Abbildung 3.3 ist dieser struk-
turelle Anteil anhand der unterschiedlichen Rissoffnungsweiten im Probekorper “1”
und “’3’ angedeutet.
• Der zweite Anteil des Trocknungskriechens ist intrinsischer Natur und wird auf-
grund des Austrocknungsprozesses den verstarkten Mikrodiffusionen innerhalb des
Zementsteins zugeschrieben. Da das Kriechen des Zementsteins unmittelbar mit der
Porenfeuchtigkeit verknupft ist, fuhrt ein Feuchtegradient zu einer Verstarkung und
Beschleunigung der Kriechmechanismen. Im Unterschied zu einem versiegelten Pro-
bekorper mit einem konstanten Feuchtigkeitsgehalt treten in diesem Fall großere
Kriechverformungen auf.
Zur Differenzierung der Anteile betreffend des Trocknungskriechens existieren keine ge-
eigneten Messverfahren, da zum einen die Schwind- und Kriechmechanismen nicht ohne
Weiteres voneinander getrennt werden konnen und zudem Mikrorisse sowohl im Schwind-
experiment (“1” in Abbildung 3.3) als auch in dem belasteten unversiegelten Probekorper
(“3” in Abbildung 3.3) nicht vermieden werden konnen. Vor diesem Hintergrund ist die
Verwendung von numerischen Modellen, die die wesentlichen hygro-mechanischen Wech-
selwirkungen abbilden konnen, umso reizvoller, da zur Quantifizierung der Anteile le-
diglich die entsprechenden Kopplungen deaktiviert werden konnen. Nachfolgend wird das
zugrundegelegte Kriechmodell zur Beschreibung von Grund- und Trocknungskriechen vor-
gestellt und im Rahmen der effektiven Spannungen aus Kapitel 3.1.4 in das gegenwartige
hygro-mechanische Schadigungsmodell integriert. Es sei an dieser Stelle betont, dass sich
3.1 Beton als poroses Medium 41
generell die Modellbildungen hinsichtlich Trocknungskriechen stets auf den intrinsischen
Anteil beziehen. Die strukturelle Komponente ruhrt von den plastischen und schadigenden
Eigenschaften des Betons her und ist physikalisch betrachtet von den Kriechmechanismen
entkoppelt. Wenn nachfolgend von Trocknungskriechen die Rede ist, so ist stets der int-
rinsische Anteil gemeint.
3.1.5.3 Modellierung der Kriechverformungen
In dieser Arbeit wird von einem linearen Zusammenhang zwischen den auftretenden
Kriechverformungen und den aufgebrachten Spannungen ausgegangen. Sofern die Bela-
stung etwa bis zu 40% der Druckfestigkeit des Betons betragt, ist diese Annahme zutref-
fend. Nichtlineare Kriechverformungen, die bei hoheren Belastungen infolge Mikrorissbil-
dungen ein fruhzeitiges Strukturversagen hervorrufen konnen, sind nicht Gegenstand die-
ser Arbeit.
Das gegenstandliche Kriechmodell basiert auf die Microprestress-Solidification-Theorie
[Bazant, Hauggaard, Baweja & Ulm 1997], die eine zunehmend breite Akzeptanz
genießt. So wird beispielsweise in [Sercombe, Hellmich, Ulm & Mang 2000; Lack-
ner, Hellmich & Mang 2002] die Anwendung des Kriechgesetzes auf Spritzbeton an-
gewandt. Eine kurzlich vorgeschlagene Erweiterung der Theorie auf Temperatureinflusse
[Bazant, Cusatis & Cedolin 2004] vergroßert zunehmend das Anwendungsspektrum.
DieMicroprestress-Solidification-Theorie stellt eine Erweiterung der Solidification-Theorie
dar [Bazant & Prasannan 1989], in der das Langzeitkriechen in Zusammenhang mit
der Zementsteinbildung infolge Hydratation gebracht wird. Diese Annahme trifft jedoch
fur lange Zeitraume nicht zu, da die Steifigkeitszunahme des Zementsteins fruher ab-
geschlossen wird als die zu beobachtenden Kriechverformungen. In der Microprestress-
Solidification-Theorie hingegen wird, ungeachtet der Betonerhartung infolge Hydratation,
das Langzeitkriechen unter Berucksichtigung von hygrischen Transportvorgangen formu-
liert.
In Abbildung 3.4 werden anhand einer Gelpore die hygro-mechanischen Ursachen fur
das (intrinsische) Trocknungskriechen gemaß [Bazant, Hauggaard, Baweja & Ulm
1997] illustriert. Der Theorie liegt zu Grunde, dass uber die gegenuberliegenden Gelpo-
renwande Querverbindungen bestehen (rote gestrichelte Linien), die im Laufe der Zeit
unterbrochen werden. Der Grund fur diese Unterbrechungen wird im Spaltdruck pd ge-
sehen, der maßgebend wird, wenn Wasser an der Absorption gehindert wird. Der Spalt-
druck pd wird in der Gelpore zum einen uber die Porenwand und zum anderen uber
die querverlaufenden Verbindungen getragen. Die Summe der Spannungen, die in diesen
Querverbindungen vorliegen, wird mit Microprestress Sf bezeichnet und steht mit dem
Spaltdruck pd und mit lokalen Spannungen, die infolge der Hydratation entstehen, im
Gleichgewicht. Die Unterbrechungen in den Querverbindungen fuhren zu einer Entspan-
nung von Sf und ermoglichen dadurch eine (Schub-)Gleitung γf der entgegengesetzten
42 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
C H S - P h a s e n
M i k r o g l e i t u n g e n g f
S p a l t d r u c k p d
M i c r o p r e s t r e s s S f
F e u c h t i g k e i t s a b h ä n g i g e M i k r o g l e i t u n g e n i n e i n e r G e l p o r e
Abbildung 3.4: Hygro-mechanische Prozesse in einer Gelpore [Bazant, Hauggaard, Ba-
weja & Ulm 1997]
Seiten der Porenwande. Diese Gleitvorgange werden als Ursache fur die makroskopischen
Kriechverformungen εfm betrachtet.
In der ursprunglichen Formulierung der Microprestress-Solidification-Theorie wird der Mi-
croprestress Sf als eine Funktion der Porenfeuchtigkeit ausgewertet, so dass die Mecha-
nismen des Trocknungskriechens hierdurch erklart werden konnen. Es werden Mikrodif-
fusionen im Porenraum angenommen, die infolge eines Feuchtegradienten die Zerstorung
der Querverbindungen beschleunigen. Die damit einhergehende Anderung des Microprest-
ress Sf fuhrt in der Theorie zu einer Reduzierung der Viskositat der Gelpore und somit
zu großeren Kriechverformungen εfm. Im gegenwartigen Kriechmodell wird von der ur-
sprunglichen Formulierung der Microprestress-Solidification-Theorie abgewichen, indem
der Microprestress Sf von der Feuchtigkeitsverteilung entkoppelt wird. Zur Beschreibung
des Trocknungskriechens wird das Konzept der effektiven Spannungen aus Kapitel 3.1.4
herangezogen. Es wird dabei die Annahme getroffen, dass nicht die totalen Matrixspan-
nungen σm aus Gleichung (3.47) sondern die plastisch effektiven Spannungen σ′
m aus
Gleichung (3.49) die treibende Kraft fur die Kriechmechanismen darstellen. Abweichend
von [Bazant, Hauggaard, Baweja & Ulm 1997] wird in dieser Arbeit das Kriech-
gesetz mit den plastisch effektiven Spannungen σ′
m formuliert
εfm =Em
ηf (Sf)(C0
m)−1 : σ′
m , (3.53)
wobei der Parameter ηf(Sf ) als die Summe aller viskosen Gleitvorgange γf auf makro-
skopischer Ebene angesehen werden kann, der vom Microprestress Sf abhangt. Unter
Einbeziehung der Gleichungen (3.47) fur die totalen Matrixspannungen σm und (3.49)
fur die plastisch effektiven Spannungen σ′
m kann das obige Kriechgesetz umformuliert
3.1 Beton als poroses Medium 43
werden
εfm =Em
ηf (Sf)(C0
m)−1 : σ′
m =Em
ηf (Sf)(C0
m)−1 : σ
︸ ︷︷ ︸
Grundkriechen
+Em
ηf (Sf)(C0
m)−1 : σpc.
︸ ︷︷ ︸
Trocknungskriechen
(3.54)
Wahrend der erste Summand aus Gleichung 3.54 exakt das Kriechgesetz gemaß der
Microprestress-Solidification-Theorie wiedergibt, liefert das Konzept der effektiven Span-
nungen ad hoc ein Gesetz fur das Trocknungskriechen (zweiter Summand). Als treibende
Kraft hierfur werden die hygrischen Spannungen σpc identifiziert, die aus der obigen Um-
formung aus den Gleichungen (3.47) und (3.49) herruhren
σpc =
[
1− ψK
Ks
] ∫
pc
Sl(pc) dpc 1− bppc 1. (3.55)
Es ist an dieser Stelle zu betonen, dass im Unterschied zu der ursprunglichen Formulierung
der Microprestress-Solidification-Theorie die Viskositat nf (Sf) nicht von der Porenfeuch-
tigkeit abhangt. In der gegenstandlichen Formulierung unterliegen ein versiegelter und ein
unversiegelter Probekorper somit der gleichen viskosen Kinematik nf (Sf). In Anlehnung
an [Bazant, Hauggaard, Baweja & Ulm 1997] wird fur die Viskositat
1
ηf(Sf )= c p Sp−1
f (3.56)
angegeben, und das Microprestress Sf wird entsprechend [Sercombe, Hellmich, Ulm
& Mang 2000; Lackner, Hellmich & Mang 2002] als die zu den Gleitverformungen
γf korrespondierende Große angesehen
Sf = Sf (γf) = Sf0 −Hγf , (3.57)
wobei Sf0 den initialen Wert fur das Microprestress Sf und H, c, p konstante Modellpa-
rameter darstellen. In [Bazant, Hauggaard, Baweja & Ulm 1997] und in dieser
Arbeit wird p = 2 verwendet. Die Parameter Sf0, H und c werden entsprechend der
(Grund-)Kriechversuche kalibriert. Die Evolutionsgleichung fur die Gleitverformungen γfwird mit
γf = c S2f (3.58)
beschrieben und entspricht exakt der Formulierung in [Bazant, Hauggaard, Baweja
& Ulm 1997], wenn hygrische Wechselwirkungen vernachlassigt werden. Wird die zeitli-
che Ableitung vom Microprestress Sf = −H γf aus Gleichung (3.57) in Gleichung (3.58)
eingesetzt, folgt folgende Differentialgleichung
Sf = −H cS2f , (3.59)
deren Integration zu der geschlossenen Form fur das Microprestress Sf fuhrt
Sf =1
cH t(3.60)
44 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
Wird Sf in Gleichung (3.56) eingesetzt, folgt die fur die Viskositat des Betons schließlich
folgender Zusammenhang
1
ηf= 2H−11
t. (3.61)
Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass sich der Modellparameter c in Gleichung 3.61
herausrauskurzt. Folglich bleibt in dieser Modellformulierung lediglich der Parameter H
ubrig, der sich aus Grundkriechversuchen herleiten lasst (siehe z.B. Abbildung 6.10).
Hinsichtlich des gegenwartigen Losungsansatzes sei angemerkt, dass mit der Berucksichti-
gung der plastisch effektiven Spannungen sowohl das Grundkriechen als auch das Trock-
nungskriechen mit ein und demselben Kriechmodell aus Gleichung (3.54) abgebildet wer-
den konnen. Ein zweites Kriechmodell, wie beispielsweise in [Bazant & Chern 1985;
Benboudjema, Meftah & Torrenti 2005a], ist nicht erforderlich. Die Verwendung
des plastisch effektiven Spannungstensors σ′
m ist insofern als sinnvoll zu bewerten, als diese
Große das makroskopische Spannungsfeld beschreibt, welches unter Berucksichtigung von
Betonschadigung die auf das Skelett wirkende Belastung reprasentiert. Der Unterschied
zwischen der ursprunglichen Formulierung der Microprestress-Solidification-Theorie und
der gegenwartigen Beschreibung liegt lediglich in der Interpretation der physikalischen
Vorgange. Wahrend in [Bazant, Hauggaard, Baweja & Ulm 1997] das intrinsi-
sche Trocknungskriechen aus Anderungen des Microprestress Sf infolge von Mikrodif-
fusionen im Porenraum herruhrt, werden in dieser Modellbeschreibung als Ursache die
hygrischen Spannungen postuliert. Doch sowohl die Anderung des Microprestress Sf als
auch die hygrischen Spannungen resultieren aus einem Feuchtigkeitsgradienten. Da das
gegenwartige Kriechmodell mit dem hygrischen Feld bereits gekoppelt ist, werden keine
weiteren Kriechparameter zur Erfassung der hygro-mechanischen Interaktion benotigt. In
[Bazant, Hauggaard, Baweja & Ulm 1997] hingegen erfolgt die Beschreibung des
Pickett-Effekts anhand eines weiteren Kalibrierungsparameters.
3.2 Stahlbewehrung
Zur Beschreibung der konstitutiven Gleichungen fur die Stahlbewehrung wird ein elasto-
plastisches Modell mit isotroper Verfestigung herangezogen [Simo & Hughes 1998]. Ein
im Rahmen der Elastoplastizitat formulierter Ansatz zur Modellierung von metallischen
Werkstoffen ist weit verbreitet und gibt das nichtlineare Materialverhalten hinreichend
genau wieder. Fur den eindimensionalen Fall ist in Abbildung 3.5 die entsprechende
Spannungs-Dehnungs-Beziehung σs(εs) mit den elastischen und plastischen Dehnungs-
anteilen (εes, εps) schematisch dargestellt. Die plastischen Verzerrungen lassen sich nach
dem Entlasten als bleibende Verformungen identifizieren. An dieser Stelle sei betont, dass
das in Abbildung 3.5 veranschaulichte Materialgesetz lediglich das Materialverhalten der
Bewehrung als Kontinuum beschreibt. Das von der Bewehrungsoberflache abhangige Ver-
3.2 Stahlbewehrung 45
E s
s y
e s
s s
e sp e s
e
Abbildung 3.5: Elasto-plastische Spannungs-Dehnungs-Beziehung mit linearer Verfestigung
bundverhalten zur Beschreibung von Stahl-Beton Interaktionen findet erst in Kapitel 3.3
Berucksichtigung.
Analog zum linearisierten Verzerrungstensor des Betons εm aus Gleichung (3.37) lassen
sich die Gesamtverformungen der Stahlbewehrung εs additiv in einen elastischen εes und
in einen plastischen Anteil εps zerlegen
εs = εes + εps. (3.62)
Zur Differenzierung der Verformungen der Stahlbewehrung von den Verformungen des
Betons werden die Stahlverzerrungen mit einem “s” indiziert.
Im Rahmen der Elastoplastizitat lasst sich die ratenunabhangige Formulierung des Span-
nungstensors des Stahles σs aus der Ableitung der freien Energiefunktion Ψs nach den ela-
stischen Stahlverzerrungen εes aus Gleichung (3.62) wie folgt herleiten [Simo & Hughes
1998]
σs =∂Ψs
∂εes
= C0s : ε
es = C
0s : (εs − εps). (3.63)
Der Parameter C0s stellt hierbei den linear-elastischen und isotropen Materialtensor des
Stahles dar.
Experimentelle Untersuchungen an Metallen haben gezeigt, dass ein hydrostatischer Span-
nungszustand keine plastischen Verformungen hervorruft. Demnach hat nur der deviato-
rische Anteil des Spannungstensors einen Einfluss auf die Fließbedingung. Vor diesem
Hintergrund wird ein klassisches J2-Fließgesetz vom von Mises-Typ mit einer isotropen
46 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
Verfestigungsfunktion vorgeschlagen. Die Fließflache fP , welche die zulassigen Spannungs-
zustande kontrolliert, lasst sich in Abhangigkeit des Spannungsdeviators s = dev[σs] und
der internen plastischen Variablen αP formulieren
fP (s, qP (αP )) = || s ||+√
2
3qP (αP ) ≤ 0. (3.64)
Die lineare Verfestigungsevolution
qP (αP ) = −(σy +K αP ), (3.65)
die mit einer Zunahme der Fließspannung verknupft ist, wird von der internen Variablen
αP gesteuert. Der Parameter σy stellt hierbei die initiale Fließspannung des Stahles und
K den konstanten Verfestigungsparameter dar. Die Zunahme an plastischen Verzerrungen
wird im Rahmen der assoziierten Plastizitatstheorie uber den Spannungsgradienten der
Fließflache und anhand des Konsistenzparameters γP ermittelt
εps = γP∂fP∂ s
= γPs
|| s || = γP n. (3.66)
Wahrend n die Richtung der plastischen Verzerrungen angibt, beschreibt der Proportio-
nalitatsfaktor γP den Wert des plastischen Verzerrungsinkrements.
Zur Beschreibung der isotropen Verfestigungsevolution qP (αP ) dient die assoziierte Ver-
festigungsregel, die mittels der internen plastischen Variablen αP beschrieben wird
αP = γP∂fP∂ qP
= γP
√
2
3. (3.67)
Aufgrund der Irreversibilitat der plastischen Verzerrungen kann der Konsistenzparameter
γP , fur den Fall, dass die Fließbedingung erfullt ist (fP = 0), nur Werte γP ≥ 0 annehmen.
Aus dieser Uberlegung lassen sich die Kriterien fur die plastischen Be- und Entlastungs-
zustande (Kuhn-Tucker-Bedingungen), wie sie bereits auch fur das Betonmodell in
Gleichung (3.19) angegeben wurden, formulieren
fP (s, qP ) ≤ 0, γP ≥ 0, γP fP (s, qP ) = 0. (3.68)
Auf die Integration der Materialgleichungen des Stahles unter Verwendung des Return-
Map-Algorithmus wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Als weiterfuhrende Literatur
wird auf [Simo & Hughes 1998] verwiesen.
3.3 Modellierung der Verbundbeziehung
Nachdem in Kapitel 2.1.1 die Verbundmechanismen zwischen Stahl und Beton insbeson-
dere in Zusammenhang mit Rissbildungen erortert wurden, erfolgt nun eine fur Struktur-
analysen geeignete Modellformulierung der Verbundkraft-Schlupf-Beziehung. Eine makro-
skopische Beschreibung des Verbundverhaltens bietet den numerischen Vorteil, grobere
3.3 Modellierung der Verbundbeziehung 47
Netzdiskretisierungen vorzunehmen, da in diesem Fall keine explizite Modellierung der
Verbundflache erforderlich ist und somit auch keine zusatzlichen Freiheitsgrade zur Be-
schreibung der Schlupfverformungen benotigt werden. Diesem numerischen Gewinn, den
ein makroskopisch formulierter Ansatz mit sich bringt, steht jedoch gegenuber, dass lokale
Informationen bezuglich der Verbundkraft-Schlupf-Beziehung lediglich im Integral erfasst
werden konnen. Vor dem Hintergrund eines numerisch effizienten Modells zur Berech-
nung von Stahlbetonstrukturen zu formulieren, stellt dies jedoch eine vertretbare Ein-
schrankung dar. Es wird daher in der vorliegenden Arbeit auf eine explizite Abbildung
der Verbundflache verzichtet und ein makroskopischer Ansatz bevorzugt, bei dem die mit
dem Schlupf einhergehende Diskontinuitat im Verzerrungsfeld uber eine Modifikation des
konstitutiven Gesetzes der Stahlbewehrung beschrieben wird [Monti, Filippou & Spa-
cone 1997; Luccioni, Lopez & Danesi 2005; Linero 2006; Manzoli, Oliver,
Huespe & Diaz 2008]. Dabei werden Schlupfverformungen, die erst bei Schadigung des
Verbundgefuges aktiviert werden, mit der Abnahme der Stahlspannungen in Relation ge-
setzt. Die Berucksichtigung von Schlupf uber die reduzierten Stahlspannungen stellt quasi
ein neues Materialgesetz fur den Stahl dar, welches sich abhangig von der Verbundqua-
litat in der Schlupf-Stahl–Beziehung manifestiert. Dieses Modellierungskonzept hat zum
einen den Vorteil, ohne zusatzliche Freiheitsgrade, den Einfluss des Verbundversagens auf
das Strukturverhalten zu beschreiben. Zum anderen wird mit der Berucksichtigung des
Schlupfes im Materialgesetz des Stahles die Verzerrungskompatibilitat zwischen “Stahl
mit Verbund” und Beton gewahrt, was die Modellbeschreibung des Stahlbetons als Kom-
positmaterial wesentlich vereinfacht.
3.3.1 Kinematische Beziehung
Kann der perfekte Verbund zwischen der Bewehrung und dem umgebenden Beton infolge
von Rissbildungen nicht mehr aufrecht erhalten werden, treten Relativverschiebungen auf.
Die dabei auftretende Diskontinuitat im Verschiebungsfeld wird durch die Schlupfverzer-
rung εi beschrieben
εi = εm − εs , (3.69)
die sich aus der Differenz zwischen der Matrixverzerrung εm und der Stahlverzerrung
εs berechnen lasst. Die skalaren Großen εm und εs stellen hierbei die Komponenten des
jeweiligen Verzerrungstensors in Langsrichtung der Bewehrung dar; εm des Betons aus
Gleichung (3.37) und εs des Stahles aus Gleichung (3.62). Analog zu der Indizierung der
Kenngroßen des Betons mit einem “m” (fur Matrix) und des Stahles mit einem “s” (fur
Stahl) werden Schlupfkenngroßen mit einem “i” (fur Interface) gekennzeichnet, um auch
hervorzuheben, dass Schlupfverformungen lediglich aus einer Relativverschiebung zwi-
schen den Konstituierenden (Stahl und Beton) an der Verbundflache herruhren. Wie zu
Beginn des vorangegangenen Kapitels bereits beschrieben, wird das konstitutive Gesetz
des Stahles aus Kapitel 3.2 um Schlupfdeformationen erweitert. Hierzu werden gemaß
48 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
E S E is s
s s is i
e s e i
e s i
S t a h l S c h l u p f
Abbildung 3.6: Uniaxiales rheologisches Model fur das Schlupf-Stahl–System in Langsachse
der Bewehrung [Linero 2006]
[Linero, Oliver, Huespe & Pulido 2006; Manzoli, Oliver, Huespe & Diaz
2008] die uniaxialen Schlupfverzerrungen εi und die Stahlverzerrungen in Stabrichtung
εs als ein in Reihe geschaltetes System betrachtet (Mischungsregel nach Reuss). In Abbil-
dung 3.6 ist das entsprechende rheologische System dargestellt. Die Gesamtverformung in
Stabrichtung εsi fur das Schlupf-Stahl–System lasst sich entsprechend der angenommenen
Serienschaltung aus der Summe der Einzelkomponenten angeben
εsi = εs + εi. (3.70)
Unter der Annahme, dass zwischen der Matrixverzerrung εm und der Gesamtverformung
des Schlupf-Stahl–Systems εsi eine Verzerrungskompatibilitat in Stablangsrichtung vor-
liegt, d.h. εm!= εsi, kann die Beschreibung der Diskontinuitat in der Verbundflache
aus Gleichung (3.69) in eine kontinuierliche Darstellung uberfuhrt werden. Fur einen
dreidimensionalen Belastungszustand lasst sich die Gesamtverformung des Schlupf-Stahl–
Systems aus Gleichung (3.70) unter Beachtung der elastischen und plastischen Verzer-
rungsanteile des Stahles aus Gleichung (3.62) wie folgt darstellen
εsi = εs + εi = εes + εps + εi. (3.71)
Fallt das Koordinatensystem der Bewehrungslage mit dem globalen System zusammen, so
verfugt der Verzerrungstensor des Schlupfes εi lediglich uber die Komponente εi und zwar
in Stablangsrichtung; die ubrigen Komponenten sind Null. Weicht die Bewehrungslage
jedoch vom globalen Koordinatensystem ab, muss die lokale skalare Schlupfverformung εiin das globale System transformiert werden. Hierzu wird an dieser Stelle auf das Kapitel
3.3.3 verwiesen.
3.3 Modellierung der Verbundbeziehung 49
t m a x
E ie i
s i
m a x . V e r b u n d s p a n n u n g
Abbildung 3.7: Eindimensionales elasto-plastisches Verbundspannung-Schlupf-Gesetz σi(εi)
gemaß [Linero 2006]
3.3.2 Konstitutive Beziehung des Stahles mit Schlupf
Wie in Gleichung (3.70) aufgefuhrt und in Abbildung 3.6 dargestellt, setzt sich die Gesamt-
verformung des Schlupf-Stahl–Systems εsi, unter der getroffenen Annahme einer uniaxialen
Serienschaltung, additiv aus den Verformungen des Stahles und Schlupfes zusammen. Fur
die Spannungen gilt hingegen folgende Beziehung
σsi = σs = σi, (3.72)
d.h. die Spannungen des Schlupf-Stahl–Systems σsi konnen aufgrund des rheologischen
Modells mit den Stahlspannungen σs und mit den Verbundspannungen σi gleichgesetzt
werden. Unter Beachtung dieser Spannungsgleichheit in Stablangsrichtung, lasst sich das
zuvor formulierte konstitutive Gesetz des Stahles in Gleichung (3.63) mit Hilfe der kine-
matischen Beziehung aus Gleichung (3.71) um Schlupfverzerrungen εi erweitern
σs = C0s : ε
es = C
0s : (εsi − εps − εi). (3.73)
Zur Identifizierung der Schlupfverzerrungen εi, wird eine makroskopische
Verbundspannung-Schlupf–Beziehung σi(εi) mit einem elasto-plastischen Verbund-
verhalten gemaß [Linero 2006; Manzoli, Oliver, Huespe & Diaz 2008]
angenommen. Das eindimensionale Verbundspannung-Schlupf–Gesetz zur Beschreibung
der Verbundmechanismen in Richtung der Bewehrung ist in Abbildung 3.7 dargestellt.
Der zugehorige Materialparameter τmax entspricht der maximalen Verbundspannung,
bei der die Verbundkapazitat erreicht wird und den plastischen Bereich des Verbund-
gesetzes kennzeichnet. Der Parameter Ei stellt die effektive Verbundsteifigkeit dar.
Beide Parameter τmax und Ei sind von der Verbundqualitat bzw. von den Verbund-
eigenschaften abhangig und konnen, wie in Abbildung 3.8 illustriert, aus klassischen
Ausziehversuchen bestimmt werden [Linero, Oliver, Huespe & Pulido 2006].
50 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
P m a x
P
u
P / u u , e
P , sA u s z i e h v e r s u c h
s i
l
Abbildung 3.8: Ausziehversuch zur Ermittlung der Verbundeigenschaften
Aus der Last-Verschiebungskurve P (u) des Ausziehversuchs kann uber die im Beton
eingebettete Lange l und Querschnittsflache As des Stabes die effektive Verbundsteifigkeit
Ei hergeleitet werden
Ei =P
u
l
As
. (3.74)
Die Verformungsanteile des Stahles mussen beim Ausziehversuch herausgerechnet werden,
um Ei lediglich aus den Verbundverformungen gemaß Gleichung (3.74) zu berechnen. Die
Ermittlung der maximalen Verbundspannung τmax, die beim Ausschopfen der Verbundka-
pazitat erreicht wird, erfolgt vereinfacht uber die maximale Ausziehkraft Pmax und uber
die Querschnittsflache As des eingebetteten Stabes
τmax =Pmax
As≤ σy. (3.75)
Fur den Fall, dass aufgrund einer sehr guten Verbundqualitat großere Verbundspannungen
ubertragen werden konnten als durch die Fließspannung des Stahles σy gegeben ist, gilt
τmax = σy, da in diesem Fall die Verbundkapazitat durch das Fließen des Stahles und
nicht durch ein Verbundversagen begrenzt wird.
Der effektive Elastizitatsmodul Esi des Schlupf-Stahl–Systems aus Abbildung 3.6 lasst sich
unter der getroffenen Annahme einer Reihenschaltung anhand der Stahlsteifigkeit Es und
der Verbundsteifigkeit Ei wie folgt angeben
Esi =1
1/Es + 1/Ei. (3.76)
Fur den Grenzwert Ei → ∞ und τmax = σy wird eine perfekte Verbundqualitat abgebil-
det, und das Schlupf-Stahl–System degeneriert zu dem bereits in Kapitel 3.2 vorgestellten
konstitutiven Gesetz des Stahles. Fur diese Grenzwertbetrachtung gilt folglich Esi = Es
und εi = 0. In Abbildung 3.9 sind fur unterschiedliche Verbundeigenschaften qualitativ
die Spannungs-Dehnungs-Beziehung des Schlupf-Stahl–Systems veranschaulicht. Die ge-
strichelte Linie gibt die unveranderte Spannungs-Dehnungs-Beziehung des Stahles wieder
3.3 Modellierung der Verbundbeziehung 51
s y
e s
s sp e r f e k t e r V e r b u n d
n o r m a l e r V e r b u n d
s c h w a c h e r V e r b u n d
s y=
s y<
t m a x
E s i
t m a x
Abbildung 3.9: Modifiziertes konstitutives Gesetz des Stahles fur unterschiedliche Verbund-
qualitaten
(perfekter Verbund). Mit abnehmender Verbundqualitat jedoch, kann sowohl eine Dege-
neration der Steifigkeit Esi als auch ein reduziertes Spannungsniveau in Abbildung 3.9
beobachtet werden. Einen qualitativ ahnlichen Zusammenhang zwischen Verbundqualitat
und Verbundmechanismen wird auch in [Monti & Spacone 2000] angegeben.
Die Fließbedingung und Evolutionsgleichung fur das elasto-idealplastische Verbundgesetz
σi(εi) werden hier nicht explizit aufgefuhrt, da sie sich direkt aus den bereits vorgestellten
konstitutiven Gleichungen des Stahles aus Kapitel 3.2 in analoger Weise angeben las-
sen. Wird die Fließbedingung des Stahles in Gleichung (3.64) fur den eindimensionalen
Spannungszustand σi ausgewertet und dabei die isotrope Verfestigung in Gleichung (3.65)
vernachlassigt (K = 0), erhalt man die Fließ- und Evolutionskriterien fur das Verbund-
gesetz.
3.3.3 Numerische Umsetzung
Das vorgestellte eindimensionale Verbundmodell soll im Kontext einer raumlichen Formu-
lierung im globalen Koordinatensystem Berucksichtigung finden. Hierzu wird zunachst das
eindimensionale Schlupf-Stahl-System aus Abbildung 3.6 betrachtet. Aus der Spannungs-
gleichheit σsi = σi in Langsrichtung der Bewehrung aus Gleichung (3.72) folgt
σsi = Esi (εsi − εps)!= Es (εsi − εps − εi), (3.77)
wodurch folgender Zusammenhang fur die Schlupfverzerrungen εi gewonnen wird
εi = a (εsi − εps) mit a = 1−Esi/Es . (3.78)
52 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
3
2
a s
εi
Abbildung 3.10: Transformation der uniaxialen Schlupfverformungen εi vom lokalen ins glo-
bale (23)-Koordinatensystem
Gemaß Abbildung 3.10 lassen sich die eindimensionalen Schlupfverzerrungen εi aus Glei-
chung (3.78) in einem von der Richtung der Bewehrung festgelegten lokalen Koordinaten-
system (Darstellung ∼) in Matrixnotation wie folgt angeben
[εi] =
0
0
a (εsi − εps)
0
0
0
. (3.79)
Die Transformation von Verzerrungen vom globalen (23)-Koordinatensystem ins lokale
Koordinatensystem (∼) erfolgt in der (23)-Ebene entsprechend der (6x6)-Rotationsmatrix
[Q(αs)] = [Q]
[ε] = [Q(αs)] [ε] = [Q] [ε], (3.80)
wobei fur die Verzerrungsmatrizen [ε] und [ε] die Ingenieurmaße gemaß Gleichung (A.1)
gelten. Die Transformationsvorschrift (3.80) sowie die entsprechende Rotationsmatrix
[Q(αs)] sind im Anhang A.1 angegeben. Die Anwendung dieser Transformationsvorschrift
auf die Schlupfverzerrungen aus Gleichung (3.79) fuhrt zu einer raumlichen Darstellung
der Schlupfverzerrungen zunachst noch im lokalen Koordinatensystem
[εi] = a [I] [Q] [εsi − εps] mit I33 = 1 sonst Iij = 0, i, j = 1...6. (3.81)
Mithilfe der (6x6)-Matrix I wird aus den Gesamtverformungen die schlupfrelevante Kom-
ponente in Richtung der Bewehrung isoliert. Gleichung (3.81) besitzt gegenuber Gleichung
(3.79) den Vorteil, dass die lokalen Schlupfverformungen [εi] uber die globalen Gesamtver-
formungen ausgedruckt werden. Fur eine globale Beschreibung der Schlupfverformungen
[εi] muss nur noch mittels Gleichung (3.80) eine Rucktransformation in das globale System
3.3 Modellierung der Verbundbeziehung 53
erfolgen
[εi] = [Q−1] [εi] = a [Q−1] [I] [Q] [εsi − εps]. (3.82)
Die obige Herleitung kann in das konstitutive Gesetz des Schlupf-Stahl–Systems aus Glei-
chung (3.73) eingesetzt werden. Die globale Beziehung lautet in Matrixnotation wie folgt
[σs] = [C0s] [ε
es] = [C0
s] [εsi − εps − εi] = [C0s]
[
εsi − εps − a [Q−1][I] [Q] [εsi − εps]]
= [C0s]
[
[1]− a [Q−1][I] [Q]]
[εsi − εps]
= [Csi] [εsi − εps] mit [Csi] = [C0s]
[
[1]− a [Q−1] [I] [Q]]
.
(3.83)
Der Vorteil dieser Darstellung besteht darin, dass zur Berucksichtigung der Schlupfver-
formungen lediglich die Elastizitatsmatrix des Stahles [C0s] durch die Matrix [Csi] ersetzt
werden muss. Somit kann die gesamte algorithmische Formulierung zur Losung der kon-
stitutiven Beziehungen des Stahles nahezu unverandert ubernommen werden.
Anmerkung 1:
In der vorliegenden Arbeit wird fur den Stahl anstelle der isotropen Elastizitatsmatrix
[C0s] eine modifizierte anisotrope Matrix [Cs] angesetzt, die sich lediglich aus einer unidi-
rektionalen Steifigkeit und den Schubsteifigkeiten zusammensetzt. Im lokalen Koordina-
tensystem (∼) gemaß Abbildung 3.10 ist [Cs] wie folgt definiert
[Cs] =
0 0 0 0 0 0
0 0 0 0 0 0
0 0 Es 0 0 0
0 0 0 Gs 0 0
0 0 0 0 Gs 0
0 0 0 0 0 Gs
, (3.84)
wobei Es den Elastizitatsmodul und Gs den Schubmodul des Stahles darstellen. Auf-
grund des Wegfalls der invarianten Eigenschaft von [C0s] muss die Elastizitatsmatrix [Csi]
des Schlupf-Stahl–Systems aus Gleichung (3.83) neu formuliert werden. Aus der Transfor-
mationsvorschrift im Anhang A.2 folgt fur die Beschreibung von [Cs] im globalen Koor-
dinatensystem
[Cs] = [QT ][Cs][Q]. (3.85)
Mit der obigen Beziehung wird das konstitutive Gesetz des Schlupf-Stahl–Systems aus
Gleichung (3.83) neu aufgestellt
[σs] = [Cs][εes] = [QT ][Cs][Q]
[
[1]− a [Q−1][I] [Q]]
[εsi − εps]
= [Csi] [εsi − εps] mit [Csi] = [QT ][Cs][Q][
[1]− a [Q−1] [I] [Q]]
.(3.86)
54 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
S t a h l
B e t o n
g *
g *
G D ( a c )a c
Abbildung 3.11: Dubelwirkung (dowel action) eines gerissenen Stahlbetonelements mit dem
effektiven Schubmodul GD(αc) parallel zu der Rissflache
Anmerkung 2:
Sollen in einer Strukturanalyse Dubelmechanismen ebenfalls Berucksichtigung finden, so
sind des Weiteren die Schubterme der Stahlmatrix [Cs] aus Gleichung (3.84) mit den
Dubelsteifigkeiten gemaß Gleichung (3.120) zu ersetzen. Im Folgenden werden diese Dubel-
steifigkeiten in Abhangigkeit der Rissrichtung hergeleitet.
3.4 Modellierung der Dubelwirkung
Die Wirkungsmechanismen der Dubelwirkung wurden bereits in Kapitel 2.2 naher be-
schrieben. In diesem Abschnitt wird eine numerische Formulierung zur Beschreibung der
Dubelwirkung vorgestellt. Das Modell berucksichtigt dabei die Schub- bzw. Biegedeforma-
tionen des Bewehrungstabes, aus denen die gesuchten Steifigkeitsreserven des gerissenen
Stahlbetonelements aus Abbildung 3.11 herruhren. Wie in Gleichung (3.84) angemerkt,
erfolgt in der vorliegenden Arbeit die Beschreibung des Stahles bereits mehrdimensio-
nal. Diese Tatsache vereinfacht die Modellierung der Dubelwirkung wesentlich, da hierfur
lediglich die Schubkomponenten des Stahles modifiziert werden mussen. Basierend auf
physikalischen Grundmodellen gilt es, in Abhangigkeit der Rissrichtung einen strukturel-
len, effektiven Schubmodul GD(αc) herzuleiten und diese in die konstitutiven Gleichungen
des Stahles zu integrieren. Dabei werden in Kapitel 3.4.3 zwei unterschiedliche Dubelme-
chanismen betrachtet. Ist der Biegemechanismus fur die Dubelwirkung maßgebend, wird
als physikalisches Grundmodell der elastisch gebettete Biegebalken gemaß [He & Kwan
2001] betrachtet. Wird hingegen die Annahme getroffen, dass der Bewehrungsstab in
der Rissebene uberwiegend auf Schub belastet wird, kommt eine Modellformulierungen
gemaß [Linero 2006; Linero, Oliver, Huespe & Pulido 2006] zur Anwendung. Die-
se Modellformulierung der Dubelwirkung wird im Kontext der verschmierten Risse und
der verschmierten Bewehrung aufgestellt und ist somit konform mit der gegenwartigen
3.4 Modellierung der Dubelwirkung 55
a c
d A
d A s i n a c
dA cosa
ct 1 2
t x
t y
s x
s y
s 1
B e t o n
S t a h l
x
y
12
a c
D
D
Abbildung 3.12: Gleichgewicht an einem differentiellen gerissenen Stahlbetonelement in
Abhangigkeit der Rissrichtung αc
Modellbeschreibung des Stahlbetons.
3.4.1 Kinetik und Kinematik
Der gesuchte effektive Schubmodul GD(αc) entspricht der Dubelsteifigkeit eines gerissenen
Stahlbetonelements, wenn dieses parallel zum Riss belastet wird. Um den Einfluss der
Rissrichtung zu erfassen, wird zunachst das konstitutive Gesetz eines gerissenen Stahl-
betonelements im Riss-Koordinatensystem hergeleitet. Anschließend lasst sich aus der
Schubkomponente des konstitutiven Gesetzes der effektive Schubmodul GD(αc) direkt
angeben.
In Abbildung 3.12 ist ein differentielles Stahlbetonelement mit der Rissrichtung αc und
mit zwei unabhangigen Bewehrungslagen dargestellt. Die Rissrichtung αc stellt hierbei
eine bekannte Große dar. Sie leitet sich aus der Hauptspannungsrichtung der Betonzug-
spannungen und wird anhand des Rankine-Versagenskriteriums aus Kapitel 3.1.1.1 ermit-
telt. Abhangig von αc wird das 12-Koordinatensystem (Riss-KOS) entlang der Rissflache
und orthogonal dazu gelegt. Das xy-Koordinatensystem (Stahl-KOS) entspricht dem des
Stahles und muss nicht zwangslaufig mit dem globalen Koordinatensystem des Stahlbe-
tonelements ubereinstimmen. Auch die zwei Bewehrungslagen mussen nicht orthogonal
zueinander verlaufen; dies wurde in Abbildung 3.12 aus Grunden der Ubersicht gewahlt.
56 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
Die Spannungen σ1 und τ12 entsprechen den Zug- bzw. Schubspannungen im Riss, die auf-
grund der Dubelwirkung der Bewehrung ubertragen werden konnen. Als Reaktion treten
axiale Stahlspannungen σx, σy sowie Schubspannungen τDx , τDy in den Bewehrungsstaben
auf. Die Schubspannungen werden mit einem “D” indiziert, da diese die Dubelspannungen
der einzelnen Bewehrungsstabe im Stahl-KOS darstellen. Aus dem Kraftegleichgewicht in
Richtung von σ1 und τ12 lassen sich folgende Beziehungen fur die Spannungen herleiten
σ1 = (τDx + τDy ) sinαc cosαc + σx cos2 αc + σy sin2 αc (3.87)
τ12 = τDx cos2 αc − τDy sin2 αc + (σy − σx) sinαc cosαc . (3.88)
Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Spannungen σ1, τ12 nicht uber eine Rotation
des Stahl-KOS um den Winkel αc ermittelt werden konnen, da das differentielle Stahl-
betonelement durch eine unstetige Steifigkeitsverteilung gekennzeichnet ist und somit die
klassischen Transformationsgesetze fur ein Kontinuum nicht gelten.
Die zu den Spannungen σx, σy, τDx , τ
Dy zugehorigen Verformungen lassen sich in Abhangig-
keit von den Verformungen im Riss ε1 und γ12 aus den geometrischen Beziehungen her-
leiten.[γDx
γDy
]
= T 1
[
ε1γ12
]
und
[
εxεy
]
= T 2
[
ε1γ12
]
, (3.89)
wobei T 1 und T 2 die Transformationsmatrizen darstellen
T 1 =
[
sinαc cosαc cos2 αc
sinαc cosαc − sin2 αc
]
, T 2 =
[
cos2 αc − sinαc cosαc
sin2 αc sinαc cosαc
]
. (3.90)
Liegt fur die Bewehrungen der elastische Fall vor, so konnen im Stahl-KOS folgende
Gesetze fur die Schubspannungen
τDx = GDx γ
Dx , τDy = GD
y γDy (3.91)
und fur die axialen Spannungen
σx = Ex εx, σy = Ey εy (3.92)
angenommen werden. Der Parameter GDx bzw. GD
y stellt die Schubsteifigkeit des einzelnen
Bewehrungsstabs in x- bzw. y-Richtung dar. Zu beachten ist, dass er nicht zwangslaufig
mit dem Schubmodul des Stahles korrelieren muss. Der Parameter GDx bzw. GD
y hangt vom
betrachteten physikalischen Grundmodell der Dubelwirkung ab und wird im Kapitel 3.4.3
spezifiziert. Fur die axiale Steifigkeiten Ex, Ey hingegen wird der E-Modul des Stahles Es
eingesetzt, d.h.
Ex = Ey = Es . (3.93)
Zur besseren Differenzierung der Steifigkeitsanteile der einzelnen Bewehrungsstabe, erfolgt
nachfolgend die Bezeichnung jedoch weiterhin mit Ex und Ey. Werden die geometrischen
3.4 Modellierung der Dubelwirkung 57
Beziehungen aus Gleichung (3.89) in die konstitutiven Beziehungen (3.91) und (3.92)
eingesetzt, folgt eine Beziehung zwischen den Verformungen ε1 und γ12 im Riss und den
Spannungen im Stahl-KOS[
τDxτDy
]
=
[
GDx 0
0 GDy
]
︸ ︷︷ ︸
G
[
γDxγDy
]
= GT 1
[
ε1γ12
]
, (3.94)
[
σxσy
]
=
[
Es 0
0 Es
]
︸ ︷︷ ︸
E
[
εxεy
]
= E T 2
[
ε1γ12
]
. (3.95)
Werden Gleichung (3.94) und (3.95) in die Gleichgewichtsbeziehungen (3.87) und (3.88)
eingesetzt, folgt das im Riss-KOS definierte konstitutive Gesetz fur das gerissene Stahl-
betonelement aus Abbildung 3.12[
σ1τ12
]
=T T
1 GT 1 + T T2 E T 2
[
ε1γ12
]
, (3.96)
welches uber die Transformationsmatrizen T 1 und T 2 von der Rissrichtung αc abhangt.
Die konstitutive Matrix des gerissenen Stahlbetonelements kc lasst sich aus dem Materi-
algesetz (3.96) direkt ableiten
kc =
[
kc,11 kc,12kc,21 kc,22
]
=
∂σ1∂ε1
∂σ1∂γ12
∂τ12∂ε1
∂τ12∂γ12
= T T
1GT 1 + T T2E T 2 . (3.97)
Der Index c verweist auf das lokale Referenzkoordinatensystem, welches durch das 12-
Koordinatensystem (Riss-KOS) gegeben ist. Ausgeschrieben lauten die einzelnen Kompo-
nenten wie folgt
kc,11 =∂σ1∂ε1
= (GDx +GD
y ) sin2 αc cos
2 αc + Ex cos4 αc + Ey sin
4 αc (3.98)
kc,12 =∂σ1∂γ12
= (GDx − Ex) sinαc cos
3 αc − (GDy −Ey) sin
3 αc cosαc (3.99)
kc,21 =∂τ12∂ε1
= (GDx −Ex) sinαc cos
3 αc − (GDy −Ey) sin
3 αc cosαc = kc,12 (3.100)
kc,22 =∂τ12∂γ12
= GDx cos4 αc +GD
y sin4 αc + (Ex + Ey) sin2 αc cos
2 αc . (3.101)
58 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
Wie bereits zu Beginn des Kapitels angemerkt, lasst sich der gesuchte effektive Schub-
modul des gerissenen Stahlbetonelements GD(αc) aus einer Belastung parallel zum Riss
herleiten. Somit gilt folgende Identifikation
GD(αc) =∂τ12∂γ12
!= kc,22 = GD
x cos4 αc +GDy sin4 αc + (Ex + Ey) sin
2 αc cos2 αc . (3.102)
In der gegenwartigen Formulierung findet die axiale Steifigkeit der Bewehrung uber die
Matrix E ebenfalls in den Dubelmechanismen Berucksichtigung. Dieser Anteil wird im
Unterschied zu [He & Kwan 2001] außer Acht gelassen und erklart womoglich die relativ
geringe Dubelwirkung in ihren numerischen Simulationen. In [Pietruszczak & Win-
nicki 2003] hingegen wird fur ein gerissenes Stahlbetonelement die gleiche konstitutive
Matrix wie in Gleichung (3.97) angegeben.
Zur vollstandigen Beschreibung der Dubelmechanismen, muss noch die Schubsteifigkeit
des einzelnen Bewehrungsstabes in x-Richtung GDx bzw. in y-Richtung GD
y identifiziert
werden. Nachdem im nachsten Kapitel zunachst der Einfluss der Rissrichtung auf die
Dubelwirkung illustriert wird, erfolgt in Kapitel 3.4.3 abhangig vom verwendeten Grund-
modell die Herleitung der Modellparameter GDx bzw. GD
y .
3.4.2 Einfluss der Rissrichtung
Der effektive Schubmodul des gerissenen Stahlbetonelements GD(αc) aus Gleichung
(3.102) soll in Abhangigkeit der Rissrichtung αc veranschaulicht werden. Hierzu wird aus
Grunden der Ubersicht lediglich eine Bewehrung in x-Richtung betrachtet. Somit folgt aus
Gleichung (3.101) mit GDy = Ey = 0 der effektive Schubmodul eines unter dem Winkel αc
gerissenen Stahlbetonelements zu
GD(αc) = GDx cos4 αc + Ex sin2 αc cos
2 αc . (3.103)
In Abbildung 3.13 ist die Auswertung der obigen Formel in skalierter Form GD(αc)/GDx
dargestellt. Fur die Schubsteifigkeit der Bewehrung GDx wird vereinfacht der Schubmo-
dul des Stahles Gs angesetzt und fur die axiale Steifigkeit Ex der E-Modul des Stahl-
es Es. Wie erwartet ist die Dubelwirkung am wirksamsten, wenn der Riss senkrecht
zum Bewehrungsstab verlauft. Wird jedoch der Winkel bezogen auf die Bewehrungs-
achse flacher, d.h. αc → 90, nimmt der effektive Schubmodul GD(αc) kontinuierlich ab;
bis letztlich fur αc = 90 der Bewehrungsstab keine Schubspannungen mehr entlang der
Rissflache ubertragt. Lediglich uber die Verzahnung der Rissoberflachen (aggregate inter-
lock) konnten weitere Schubspannungen aktiviert werden. Dieser Mechanismus ist jedoch
unabhangig von der Dubelwirkung und wird in der gegenwartigen Arbeit außer Betracht
gelassen.
3.4 Modellierung der Dubelwirkung 59
4 5 9 00a c [ ° ]
1 . 0
g *G D / G x
a cG D ( a c )
x
y
12
a c
D
Abbildung 3.13: Einfluss der Rissrichtung αc auf die Dubelwirkung
3.4.3 Physikalische Grundmodelle
Fur den in Gleichung (3.102) hergeleiteten effektiven Schubmodul des gerissenen Stahlbe-
tonelements GD(αc) gilt es nun, die Schubsteifigkeit des einzelnen Bewehrungsstabes GDx
bzw. GDy zu definieren. Abhangig von einer Biege- oder Schubbeanspruchung des Beweh-
rungsstabs im Riss, werden entsprechende physikalische Grundmodelle herangezogen, die
zur Beschreibung der Dubelmechanismen dienen. Ruhrt die Dubelwirkung uberwiegend
aus einem Biegemechanismus der Bewehrung her, wird als physikalisches Grundmodell ein
elastisch gebetteter Biegebalken gemaß [He & Kwan 2001] betrachtet. Wird hingegen
der Bewehrungsstab in der Rissebene uberwiegend auf Schub belastet, kommt eine Mo-
dellformulierungen gemaß [Linero 2006; Linero, Oliver, Huespe & Pulido 2006]
zur Anwendung.
a) Schubmechanismus
Wird angenommen, dass in einem Riss der Bewehrungsstab uberwiegend auf Schub be-
lastet wird, kann, wie in Abbildung 3.14 illustriert, die Schubsteifigkeit des Bewehrungs-
stabes im Riss GDx , G
Dy durch den Schubmodul des Stahles Gs approximiert werden
GDx = Gs bzw. GD
y = Gs . (3.104)
Dementsprechend lassen sich die Dubelspannungen aus Gleichung (3.91) infolge einer
dubelrelevanten Schubverformung γDx , γDy fur eine Bewehrung in x- bzw. y-Richtung fur
den elastischen Fall wie folgt angeben
τDx = GDx γ
Dx = Gs γ
Dx bzw. τDy = GD
y γDy = Gs γ
Dy . (3.105)
Die Dubelfestigkeit wird in diesem Ansatz auf den Schubmodul des Stahles zuruckgefuhrt.
Werden diese effektiven Schubsteifigkeiten GDx , G
Dy in Gleichung (3.102) fur den effektiven
60 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
G Dx
x
y
G Dy
g x
t xD
t yD
D
g yD
Abbildung 3.14: Modellierung der Dubelwirkung basierend auf dem Schubmechanismus
Schubmodul GD(αc) eingesetzt, wird die Rissabhangigkeit der Dubelwirkung automatisch
berucksichtigt. Im Ansatz von [Linero 2006; Linero, Oliver, Huespe & Pulido
2006] wird der Schubmechanismus zwar ebenfalls uber den Schubmodul des Stahles
beschrieben, jedoch bleibt in ihrer Arbeit die wichtige Abhangigkeit der Rissrichtung
außer Betracht.
b) Biegemechanismus
Wird der Bewehrungsstab im Riss hauptsachlich auf Biegung beansprucht, erfolgt die
Modellierung der Dubelwirkung anhand eines Biegebalkens. Das zugrundeliegende physi-
kalische Grundmodell ist in Abbildung 3.15 schematisch dargestellt. Es ist ein Biegebalken,
der elastisch im Beton gebettet ist. Der Beton stellt dabei mit der Bettungssteifigkeit kfdie elastische Federbettung des Biegebalkens dar, der uber die Lange l infolge Dubelwir-
kung verformt wird. Die gesuchte Schubsteifigkeit des Balkens im Riss GDx , G
Dy lasst sich in
diesem Fall durch einen effektiven Schubmodul Gf des betrachteten Balken-Feder-Systems
beschreiben
GDx = Gf bzw. GD
y = Gf , (3.106)
wobei die Abhangigkeit von der Rissrichtung bereits uber den effektiven Schubmodul
GD(αc) aus Gleichung (3.102) erfasst wird. Analog zu Gleichung (3.105) lassen sich infolge
einer Schubverformung γDx bzw. γDy die Dubelspannungen fur eine gebettete Bewehrung
in x- bzw. y-Richtung wie folgt formulieren
τDx = GDx γ
Dx = Gf γ
Dx bzw. τDy = GD
y γDy = Gf γ
Dy . (3.107)
Ausgehend von der Differentialgleichung der elastischen Bettung wird zur Herleitung der
effektiven Schubsteifigkeit des Balken-Feder-Systems Gf die analytische Losung gemaß
Timoshenko ausgewertet. Die folgenden Gleichungen basieren auf [He & Kwan 2001].
Eine detaillierte Herleitung des Problems findet sich in [El-Ariss 2006]. Die analytische
3.4 Modellierung der Dubelwirkung 61
u
u / 2
l
k f
x
y
g xD
Abbildung 3.15: Modellierung der Dubelwirkung basierend auf der Balkentheorie mit elasti-
scher Bettung [He & Kwan 2001]
Losung der Differentialgleichung liefert in Abhangigkeit des E-Moduls Es, des Flachen-
tragheitsmoments Is und der Querschnittsflache As der Bewehrung sowie der Lange l und
des Parameters λ den effektiven Schubmodul
Gf =EsIsAs
l λ3. (3.108)
Fur ein Kreisprofil mit dem Stabdurchmesser ds betragt das Flachentragheitsmoment Is =
π d4s/64. Die fur die Dubelwirkung relevante Verformungslange l kann aus der analytischen
Losung der Verformungsfunktion zu
l = π/λ (3.109)
abgeschatzt werden. Wird die obige Beziehung in Gleichung (3.108) eingesetzt, folgt fur
den effektiven Schubmodul des Systems folgende Beziehung
Gf =EsIsAs
π λ2. (3.110)
Der Parameter λ in der Einheit [1/m] entspricht der relativen Steifigkeit der Bettung und
wird mit
λ = 4
√
kf ds4Es Is
(3.111)
angegeben. Die benotigte Bettungssteifigkeit des Betons kf ist die maßgebliche Große zur
Beschreibung der Dubelwirkung. Aus experimentellen Auswertungen wird in der Litera-
tur fur kf eine Streuung zwischen 75 bis 450 N/mm3 angegeben. Gemaß [He & Kwan
62 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
2001; El-Ariss 2006] wird fur kf eine Funktion angesetzt, die in Abhangigkeit der
Druckfestigkeit des Betons fcu aus experimentellen Daten abgeschatzt wird
kf =127 c1
√fcu
d2/3s
. (3.112)
Die Druckfestigkeit des Betons fcu ist in [N/mm2] und der Stabdurchmesser ds in [mm]
einzusetzen. Der dimensionslose Modellparameter c1 berucksichtigt im Falle einer Beweh-
rungsschar den Abstand der Bewehrungsstabe zueinander und betragt c1 = 0.6 fur einen
Stababstand von etwa 25mm und c1 = 1.0 fur großere Stababstande.
Wie eingangs erwahnt, wird zur Beschreibung der Dubelwirkung entweder von einer
Schubbelastung oder von einer Biegebelastung der Bewehrung im Riss ausgegangen. Aus-
gehend von diesen beiden Belastungsszenarien leiten sich aus den vorgestellten physi-
kalischen Grundmodellen die effektiven Schubmodule fur eine Bewehrung in x- bzw. in
y-Richtung ab
GDx = GD
y =
Gs : Schubmodul des Stahles (Schubmechanismus)
Gf : elastische Bettung (Biegemechanismus).(3.113)
Die Wahl, welches Modell anzusetzen ist, hangt von der jeweiligen Strukturanalyse und
von dem zu erwartenden Risstyp ab. Sind Risse uberwiegend aus einem mode-II Bela-
stungszustand zu erwarten, kann von einer schubbeanspruchten Bewehrung im Riss aus-
gegangen werden, d.h. GDx = GD
y = Gs. Treten Risse hingegen uberwiegend aus einer
mode-I Belastung auf, aus der im Allgemeinen auch großere Rissweiten resultieren, kann
von einem dominanten Biegemechanismus der Bewehrung im Riss ausgegangen werden,
d.h. GDx = GD
y = Gf .
Anmerkung zum plastischen Verhalten:
Die konstitutiven Gesetze fur die Dubelspannungen τDx , τDy aus Gleichung (3.105) und
(3.107) basieren auf linear-elastische Dubelmechanismen. Solange die Bewehrung sich im
elastischen Bereich befindet, ist diese Annahme auch zutreffend. Im plastischen Bereich
hingegen, wird die maximale Dubelkapazitat durch das Fließen der Stahlbewehrung be-
grenzt. Experimentelle Untersuchungen zeigen fur die Dubelwirkung daher ein annahernd
lineares, elasto-plastisches Verhalten auf [He & Kwan 2001]. In der gegenwartigen For-
mulierung wird die Dubelwirkung auf der konstitutiven Seite des Stahles berucksichtigt.
Diese Beschreibung hat den Vorteil, dass anhand der in Kapitel 3.2 vorgestellten J2-
Plastizitat des Stahles, das elasto-plastische Verhalten der Dubelwirkung automatisch
erfasst wird. Die Fließbedingungen des Stahles gelten somit auch fur die Dubelwirkung,
und es mussen daher keine weiteren Kriterien, wie in [Linero 2006; Linero, Oliver,
Huespe & Pulido 2006], definiert werden.
3.4 Modellierung der Dubelwirkung 63
B e t o n
Y
a m
a s
a c
a s
Z
y s
z sy c
z ca c
B e t o n
Abbildung 3.16: Ebene Betrachtung eines gerissenen Stahlbetonelements
3.4.4 Numerische Umsetzung
In [He & Kwan 2001] erfolgt die Modellierung der Bewehrung eindimensional. Daher
kann in solchem Fall die Dubelwirkung nur auf der konstitutiven Seite des Betons Ein-
gang in die Stahlbetonformulierung finden. Wie aus Gleichung (3.84) ersichtlich wird,
werden in der vorliegenden Arbeit hingegen auch die Schubkomponenten der Bewehrung
berucksichtigt. Vor diesem Hintergrund werden, anders als in [He & Kwan 2001], die
Dubelmechanismen in die konstitutiven Gleichungen des Stahles integriert. Hinsichtlich
der Vorgehensweise wird zunachst die im lokalen (Riss)-Koordinatensystem definierte Stei-
figkeitsmatrix kc(αc) aus Gleichung (3.97) abhangig vom Winkel αc in das Koordinaten-
system des Stahles uberfuhrt. Die fur die Dubelwirkung relevanten Schubkomponenten
ersetzen anschließend den Schubmodul der Stahlbewehrung.
In Abbildung 3.16 ist ein ebenes, gerissenes Stahlbetonelement mit einem Bewehrungsstab
dargestellt. Zur Herleitung der Dubelmechanismen werden drei unterschiedliche Koordi-
natensysteme betrachtet. Das Stahlbetonelement ist in der vorliegenden Arbeit in der
globalen (YZ)-Ebene formuliert. Fur die Bewehrung ist das (yszs)-Koordinatensystem
maßgebend. Anhand des Winkels αs bezogen auf das globale System ist die Orientierung
der Bewehrung festgelegt. Um die Abhangigkeit der Rissrichtung auf die Dubelwirkung
numerisch zu beschreiben, wird senkrecht und parallel zu der Rissebene das (yczc)-Riss-
Koordinatensystem gelegt. Der Winkel αm bezogen auf das globale System lasst sich dabei
aus der Hauptspannungsrichtung der Betonzugspannungen aus Kapitel 3.1.1.1 herleiten.
Die Steifigkeitsmatrix kc(αc) aus Gleichung (3.97) ist im Riss-Koordinatensystem definiert
und beschreibt die ebene Spannungs-Dehnungsbeziehung eines gerissenen Stahlbetonele-
ments mit zwei unabhangigen Bewehrungsstaben. Sowohl die aufgebrachten Verformungen
als auch die resultierenden Spannungen beziehen sich auf das Riss-Koordinatensystem.
64 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
Unter Beachtung der allgemeinen 3D-Matrixnotation fur Verzerrungen und Spannungen
[ε] =
εxxεyyεzz
2 εxy2 εyz2 εxz
und [σ] =
σxxσyyσzzσxyσyxσxz
, (3.114)
lasst sich kc(αc) in Anlehnung an das (yczc)-Riss-Koordinatensystem aus Abbildung 3.16
in eine raumliche Darstellung uberfuhren
[Kc(αc)] = [Kc] =
0 0 0 0 0 0
0 kc,11 0 0 kc,12 0
0 0 0 0 0 0
0 0 0 kc,22 0 0
0 kc,21 0 0 kc,22 0
0 0 0 0 0 0
. (3.115)
Hinsichtlich der raumlichen Komponente Kc[4, 4] sei angemerkt, dass die zu der Verfor-
mung εxy korrespondierende Dubelwirkung sich identisch, wie zu der ebenen Verformung
εyz verhalt, so dass Kc[4, 4] = Kc[5, 5] angenommen werden kann. Die Steifigkeitsma-
trix kc(αc) ist ursprunglich fur zwei unabhangige Bewehrungsstabe ausgewertet. Wird
gemaß Abbildung 3.16 ein Bewehrungsstab betrachtet, lautet die raumliche Darstellung
bei Auswertung der Gleichungen (3.98) bis (3.101) mit GDx = Ex = 0 wie folgt
[Kc] =
0 0 0 0 0 0
0 GDy s
2c2 + Ey s4 0 0 (Ey −GD
y ) s3c 0
0 0 0 0 0 0
0 0 0 GDy s
4 + Ey s2c2 0 0
0 (Ey −GDy ) s
3c 0 0 GDy s
4 + Ey s2c2 0
0 0 0 0 0 0
, (3.116)
mit den Abkurzungen s = sin(αc) und c = cos(αc).
In der Herleitung der Steifigkeitsmatrix kc(αc) aus Gleichung (3.97) wurde zunachst
aus Grunden der Ubersicht von einer Bewehrungsfuhrung entlang des globalen Koor-
dinatensystems ausgegangen. Fallt jedoch, wie in Abbildung 3.16 dargestellt, das (yszs)-
Koordinatensystem der Bewehrung nicht mit dem globalen (YZ)-System zusammen, be-
rechnet sich der fur die Dubelwirkung relevante Winkel αc wie folgt
αc = αm − αs. (3.117)
Der Winkel αm wird dabei aus der Hauptspannungsrichtung der Betonzugspannungen
ermittelt, und mit einer gegebenen Bewehrungslage ist der konstante Winkel αs ebenfalls
bekannt.
3.4 Modellierung der Dubelwirkung 65
Um die Dubelwirkung in das Materialgesetz des Stahles integrieren zu konnen, ist es
zunachst erforderlich, die Steifigkeitsmatrix [Kc] aus Gleichung (3.116) vom (yczc)-Riss-
Koordinatensystem in das (yszs)-Koordinatensystem des Stahles zu uberfuhren. Dabei
wird vorausgesetzt, dass sowohl die aufgebrachten Verformungen im Riss als auch die
resultierenden Spannungen der Stahlbewehrung zuzuordnen sind. Mithilfe der Rotations-
matrix [Q(αc)] aus Gleichung (A.3) im Anhang lautet die effektive Steifigkeitsmatrix des
gerissenen Stahlbetonelements im (yszs)-Koordinatensystem des Stahles somit wie folgt
[Ks] = [QT (αc)][Kc][Q(αc)]. (3.118)
Die Schubkomponenten Ks[5, 5] und Ks[6, 6] der Steifigkeitsmatrix [Ks] des gerissenen
Stahlbetonelements entsprechen den effektiven Dubelsteifigkeiten GDs [5, 5] und GD
s [6, 6]
im (yszs)-Koordinatensystem des Stahles
GDs [5, 5] = Ks[5, 5] und GD
s [6, 6] = Ks[6, 6]. (3.119)
Diese Schubkomponenten ersetzen im Materialgesetz des Stahles aus Gleichung (3.84) den
Schubmodul
[Cs] =
0 0 0 0 0 0
0 0 0 0 0 0
0 0 Es 0 0 0
0 0 0 Gs 0 0
0 0 0 0 GDs [5, 5] 0
0 0 0 0 0 GDs [6, 6]
. (3.120)
66 Kapitel 3: Modellierung der Materialverhalten und Interaktionsmechanismen
Kapitel 4
Modellierung von Stahlbeton
Die Zusammenfuhrung der beiden Materialien Beton und Stahl zum Verbundwerkstoff
Stahlbeton ist das Ziel dieses Kapitels. Hinsichtlich der Modellierung wird ein makro-
skopischer Ansatz gewahlt, der im Rahmen der Homogenisierung die bereits vorgestellten
interaktiven Mechanismen zwischen Stahl und Beton (Dubelwirkung und Verbund) mit-
berucksichtigt. Zunachst werden die klassischen Grundlagen der Homogenisierung erortert
und ein adaquates Reprasentatives Volumenelement (RVE) formuliert. Zur Losung der
Homogenisierungsgleichungen wird aufgrund der expliziten und geschlossenen Formulie-
rung die analytische Mori-Tanaka Homogenisierungsstrategie verwendet, die auf Eshelbys
Inklusionsproblem basiert. Es werden anschließend samtliche Homogenisierungsvariablen
hergeleitet, die zur Ermittlung des makroskopischen Materialverhaltens benotigt werden.
Zur Beschreibung des lokalen Verhaltens der Konstituierenden auf der Mesoskala werden
weiterhin die klassischen kontinuumsmechanischen Gleichungen angesetzt. Somit konnen
die bestehenden Materialgesetze von Stahl und Beton unverandert ubernommen werden.
Die Einbettung des Homogenisierungskonzepts in ein Finite-Elemente-Modell wird ab-
schließend anhand einer numerischen Prozedur verdeutlicht.
Im Hinblick auf die Anwendung der Homogenisierungsgleichungen auf nichtlineare Ma-
terialien, sind geringfugige Modifikationen erforderlich, um auf makroskopischer Ebene
realistische Strukturanworten abbilden zu konnen. Das gewahlte Homogenisierungskonzept
ist des Weiteren vor dem Hintergrund zu verstehen, das weitgehend allgemein formulierte
Modell auf textilbewehrtem Beton bzw. Faserbeton erweitern zu konnen. Hierzu ist ledig-
lich das konstitutive Gesetz der eingebetteten Stahlbewehrung durch das Fasermaterial zu
ersetzen.
67
68 Kapitel 4: Modellierung von Stahlbeton
B e t o n e l e m e n t
a ) e x p l i z i t b ) e i n g e b e t t e t c ) v e r s c h m i e r t
S t a b e l e m e n t
Abbildung 4.1: Modellierungskonzepte fur Stahlbeton
4.1 Modellierungskonzepte
In der vorliegenden Arbeit stellt die Betonmatrix mit den eingelegten Stahlbewehrun-
gen das Kompositmaterial Stahlbeton dar. Hinsichtlich einer numerischen Beschreibung
des Trag- und Verformungsverhaltens sind in der Literatur drei unterschiedliche Ansatze
gelaufig. In Abbildung 4.1 ist die explizite, die eingebettete und die verschmierte Metho-
de veranschaulicht. Nachfolgend erfolgt eine kurze Erorterung dieser Ansatze mit den
jeweiligen Vor- und Nachteilen.
a) Explizite Modellierung:
Die Bewehrung wird in diesem Fall anhand von Stabelementen explizit modelliert, und ih-
re Anteile gehen uber die geometrischen Kenngroßen, wie z.B. Querschnittsflache, Lange,
E-Modul, additiv in die globale Steifigkeitsmatrix ein. Aus Einfachheitsgrunden wird da-
bei meistens ein Zugstab herangezogen, der lediglich axiale Krafte ubertragt. Die Vernet-
zung einer Stahlbetonstruktur kann bei dieser diskreten Modellierung jedoch nicht frei
gewahlt werden, da aufgrund der Verschiebungskompatibilitat die Stabelemente nur an
den Randern eines Betonelements angebracht werden konnen, d.h. Beton- und Stahlele-
mente teilen sich die gleichen Knoten. Diese Einschrankung hat daher den Nachteil, dass
die Netzdiskretisierung an die Bewehrungsfuhrung anzupassen ist und somit in der Nahe
der Bewehrungslage ein sehr feines Netz erforderlich ist. Sowohl die großere Netzdich-
te als auch die Tatsache, dass jeder einzelne Bewehrungsstab mit finiten Stabelementen
diskretisiert werden muss, erhoht den Rechen- und Diskretisierungsaufwand erheblich.
Hinsichtlich des Verbundverhaltens wird -wenn keine weiteren Bedingungen formuliert
werden- aufgrund der Verformungskompatibilitat stets von einem vollen Verbund ausge-
gangen. Sollen aber ebenfalls Schlupfverformungen berucksichtigt werden, muss die Dis-
kretisierung um Verbundelemente erganzt werden. Diese konnen entweder knotenweise
oder linienweise anhand von Kontaktelementen modelliert werden. Durch Zuweisung ei-
nes konstitutiven Verbundgesetzes kann dann die Kraftubertragung an der Verbundflache
4.1 Modellierungskonzepte 69
mitberucksichtigt werden. Dies erhoht jedoch zusatzlich den Rechen- und Diskretisie-
rungsaufwand. Aufgrund der einfachen Umsetzung der expliziten Modellierung kann in
einigen Strukturbeispielen die Verwendung dieser Methode dennoch interessant sein. Vor
allem wenn in einer Struktur viele Bewehrungen mit unterschiedlichen Orientierungen und
Querschnittsflachen betrachtet werden und der Einfluss des Schlupfes vernachlassigbar ist,
kann die Anwendung der diskreten Modellierung durchaus geeignet sein.
b) Eingebettete Modellierung:
Eine alternative Beschreibung des Verbundwerkstoffes Stahlbeton erfolgt uber die ein-
gebettete Methode [Phillips & Zienkiewicz 1976; Elwi & Hrudey 1989; Hartl
2002; Huber 2006]. Hierbei wird die Bewehrung zunachst ebenfalls anhand eines eindi-
mensionalen Zugstabs reprasentiert. Anders als in der expliziten Modellierung, wird jedoch
der Bewehrungsstab in das Betonelement eingebettet, wobei fur das Bewehrungselement
die gleichen Ansatzfunktionen und Knotenfreiheitsgrade wie fur das Betonelement gewahlt
werden. Somit konnen die Steifigkeits- und Krafteanteile des Bewehrungsstabs durch Inte-
gration entlang des Stabes ermittelt werden. Die Gesamtsteifigkeit des Systems setzt sich
dann additiv aus der Integration entlang der Stahlbewehrung und der Integration uber das
Betonelement zusammen. Gegenuber der expliziten Methode ist die Lage der Bewehrung
innerhalb eines Betonelements beliebig. Daher kann eine Stahlbetonstruktur unabhangig
von der Bewehrungsfuhrung diskretisiert werden. Nachteilig an der eingebetteten Mo-
dellierung ist jedoch, dass die genaue Position des Stabsegments in jedem Betonelement
unterschiedlich sein kann. Damit die Integration entlang des Bewehrungsstabs element-
weise erfolgen kann, sind daher zunachst die isoparametrischen Koordinaten des Beweh-
rungsstabes innerhalb des Betonelements zu bestimmen. Sofern nur wurfelformige Be-
tonelemente verwendet werden und die Bewehrungen parallel zu den Strukturoberflachen
verlaufen, konnen diese isoparametrischen Koordinaten einfach ermittelt werden. Werden
hingegen verzerrte Volumenelemente fur den Beton verwendet, sind zur Ermittlung der
isoparametrischen Koordinaten der Bewehrung iterative Verfahren erforderlich. Nachteilig
ist des Weiteren, dass hinsichtlich der Verbundmodellierung ein weiterer Freiheitgrad fur
den Schlupf eingefuhrt werden muss, da von der Verformungskompatibilitat abgewichen
wird. Eine interessante Erweiterung der eingebetteten Methode stellt die Vorspannung der
Bewehrung dar. Da die exakte Position und Orientierung der Bewehrungsfuhrung inner-
halb der Gesamtstruktur berucksichtigt wird, kann uber einen Krafteansatz das Konzept
der Einbettung mit relativ wenig Aufwand auf Spannbetonstrukturen erweitert werden
[Hartl 2002].
c) Verschmierte Modellierung:
Eine breite Akzeptanz genießt auch das Konzept des verschmierten Ansatzes, bei dem
stellvertretend fur die Betonmatrix mit den Bewehrungen ein homogenes Ersatzmateri-
al definiert wird [Mehlhorn 1996; He & Kwan 2001; Pietruszczak & Winnicki
2003; Wormann 2004; Luccioni, Lopez & Danesi 2005; Linero 2006; Man-
zoli, Oliver, Huespe & Diaz 2008]. Bei dieser Betrachtung wird die Stahlbeweh-
70 Kapitel 4: Modellierung von Stahlbeton
rung gleichmaßig im Betonelement verteilt, so dass in jedem materiellen Punkt sowohl
Beton- als auch Stahlanteile vorhanden sind (Abbildung 4.1 c)). Zur Herleitung der kon-
stitutiven Gleichungen des homogenisierten Ersatzmaterials werden bei der numerischen
Integration die Bewehrungsanteile in jedem Gausspunkt den Betonanteilen hinzuaddiert.
Das betrifft insbesondere die lokalen Beton- und Stahlspannungen sowie die Steifigkei-
ten der Konstituierenden, die sich direkt aus den jeweiligen Materialgesetzen herleiten
lassen. Abhangig vom Homogenisierungskonzept wird der Bewehrungsgrad, die Orientie-
rung und Geometrie der Bewehrung wahrend des Integrationsprozesses in unterschiedli-
cher Qualitat mitberucksichtigt. Die verschmierte Methode kommt haufig bei Strukturen
zum Einsatz, die uberwiegend eine gleichmaßige Verteilung der Bewehrung aufweisen. So
werden in Flachentragwerken, wie z.B. in Platten oder Scheiben, einzelne Bewehrungsla-
gen schichtweise in verschmierter Form betrachtet. Aber auch in Biegebalken, in denen
Bewehrungsstabe nicht flachig sondern vereinzelt in der Betonstruktur verteilt sind, kann
eine Homogenisierung vorgenommen werden. Dazu werden nur die Betonelemente mit der
Bewehrung verschmiert, die sich in unmittelbarer Nahe der Bewehrungsfuhrung befinden.
Die Gesamtstruktur setzt sich in diesem Fall aus Betonelementen sowie aus den homoge-
nisierten Stahlbetonelementen zusammen. Ein wesentlicher Vorteil der Homogenisierung
besteht darin, dass bei Berucksichtigung der Bewehrung, keine zusatzlichen globalen Frei-
heitsgrade definiert werden mussen, was eine Einsparung an Rechenzeit bedeutet. Auch
die weitgehend von der Bewehrungsfuhrung unabhangige Vernetzung der Gesamtstruktur,
wirkt sich positiv auf den Rechen- und Diskretisierungsaufwand aus. Was die Verbundmo-
dellierung anbelangt, so kommt in der gegenwartigen Arbeit ein Ansatz gemaß [Luccioni,
Lopez & Danesi 2005; Linero 2006; Manzoli, Oliver, Huespe & Diaz 2008] zur
Anwendung. Schlupfverformungen zwischen der Betonmatrix und der Bewehrung werden
hierbei indirekt uber modifizierte Stahlspannungen berucksichtigt (siehe Kapitel 3.3), so
dass in Stablangsrichtung weiterhin ein kompatibler Verformungszustand zwischen den
Konstituierenden vorherrscht.
In der vorliegenden Arbeit wird das verschmierte Modellierungskonzept verwendet.
Nachfolgend werden zunachst die klassischen Grundgleichungen der Homogenisierung
vorgestellt. Anschließend werden die aus der Mori-Tanaka Homogenisierungsstrategie
herruhrenden Variablen fur ein Drei-Phasen-Komposit hergeleitet [Mori & Tanaka
1973].
4.2 Grundlagen der Homogenisierung
Heterogene Materialien (Verbund- oder Kompositwerkstoffe) kommen zum Einsatz, wenn
bautechnisch vorteilhafte Eigenschaften unterschiedlicher Materialen kombiniert werden
sollen. Dabei werden die physikalischen Eigenschaften eines Ausgangsmaterials durch
Beimischungen weiterer Materialien ertuchtigt. In dieser Art von Materialertuchtigung
konnen sowohl mechanische Materialeigenschaften aber beispielsweise auch thermische
4.2 Grundlagen der Homogenisierung 71
M a t r i x
P a r t i k e l k u r z e F a s e r l a n g e F a s e r
Abbildung 4.2: Beispiele von Verbundwerkstoffen
oder hygrische Eigenschaften von Interesse sein [Reiter & Dvorak 1998; Petter-
mann, Plankensteiner, Bohm & Rammerstorfer 1999; Dormieux & Lemar-
chand 2001]. In Bezug auf mogliche Anwendungsbereiche sei hier kurz auf textilbe-
wehrte Betone [Richter 2005], glasfaserverstarkte Polymere [Meraghni, Desrumaux
& Benzeggagh 2002] oder aber auch auf Mineralgewebe, wie sie in der Biomechanik
vorkommen, [Hellmich & Ulm 2002; Grytz & Meschke 2009] hingewiesen.
Im Kontext heterogener Materialien stellen die Beimischungen die Inhomogenitaten des
Kompositmaterials dar, da sie die Homogenitat des Ausgangsmaterial aufheben. Wenn im
weiteren Verlauf dieser Arbeit von Inklusionen oder Einschlusse die Rede ist, so sind eben-
falls die Beimischungen gemeint, deren Volumenanteile uberlicherweise geringer sind als
die des Ausgangsmaterials. In Abbildung 4.2 sind einige Beispiele von Verbundwerkstof-
fen, so wie sie haufig verwendet werden, dargestellt. Aufgrund der geometrischen Großen-
verhaltnisse zwischen den mikro- oder mesoskopischen Inhomogenitaten und der makro-
skopischen Kompositstruktur, mussen zur Beschreibung von mechanischen Vorgangen
unterschiedliche Skalen eingefuhrt werden. Homogenisierungskonzepte dienen hierbei als
Schnittstellen zwischen Mikro-, Meso- und Makroebenen und kommen bei Mehrskalenpro-
blemen zum Einsatz, wenn Feldvariablen von einer Betrachtungsebene in eine andere zu
ubertragen sind. Bei Verbundmaterialien liegt das Hauptziel der Homogenisierung in der
Beschreibung des mechanischen Werkstoffverhaltens auf makroskopischer Ebene, welches
sich im Wesentlichen durch die Eigenschaften der einzelnen Konstituierenden sowie deren
mikromechanischen Interaktionen auszeichnet. Dabei unterscheidet sich in der Regel das
Materialverhalten des Komposits erheblich von den Materialeigenschaften der einzelnen
Konstituierenden. Die Volumenanteile und die Geometrie der einzelnen Phasen sowie die
mikrostrukturelle Beschaffenheit des Verbundmaterials sind die maßgebenden Parameter
hinsichtlich der globalen Strukturantwort. Auch wenn beispielsweise das Matrixmaterial
und die eingebetteten Inhomogenitaten isotrope Eigenschaften haben, kann das Verbund-
material aufgrund der Geometrie und der raumlichen Verteilung der Inhomogenitaten ein
anisotropes Verhalten aufweisen.
Da die Modellierung der Mikrostruktur aufgrund ihrer Komplexitat sich im Allgemeinen
72 Kapitel 4: Modellierung von Stahlbeton
als sehr schwierig erweist, wird anhand eines homogenisierten Ersatzmaterials das effektive
bzw. gemittelte Materialverhalten abgeschatzt, welches dem strukturellen Verhalten des
Kompositmaterials als Kontinuum entspricht. Hierbei wird versucht, die globale Struktu-
rantwort des heterogenen Materials aus den bekannten Materialeigenschaften der einzel-
nen Phasen sowie aus deren mikromechanischen Interaktionen abzuleiten. Ein wesentlicher
Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass dabei das lokale Verhalten der Konstituie-
renden auf der Mesoskala nach wie vor durch die klassischen kontinuumsmechanischen
Gleichungen beschrieben werden kann. Somit konnen die bestehenden Materialgesetze
der einzelnen Phasen unverandert ubernommen werden. Obgleich mit homogenisierten
Ersatzmaterialien in den meisten Fallen lediglich eine Approximation der makroskopi-
schen Materialeigenschaften beschrieben wird, eignen sie sich insbesondere auch fur Para-
meterstudien. Des Weiteren konnen mit Homogenisierungskonzepten anhand von inversen
Analysen eine Optimierung der Mikrostruktur vorgenommen werden.
4.2.1 RVE
Ein sehr gangiger und weit verbreiteter Losungsansatz in der Mikromechanik zur Be-
schreibung von effektiven Materialeigenschaften basiert auf dem Reprasentative Volumen-
element (RVE) [Zaoui 2002; Zohdi & Wriggers 2005]. Die Kernidee dieser Methode
besteht darin, fur einen materiellen Punkt der Kompositstruktur ein reprasentatives Ele-
ment zu formulieren, dessen mechanischen Eigenschaften herzuleiten und diese dem be-
trachteten Materialpunkt zuzuweisen. Die mechanischen Materialeigenschaften des RVEs
sind hierbei aus gemittelten Werten mittels Homogenisierungskonzepten aus einem aqui-
valenten homogenen Ersatzmaterial zu bestimmen. Folglich sind es effektive Eigenschaf-
ten, die dem Verbundmaterial auf makroskopischer Ebene zugeordnet werden. Vorteilhaft
an dieser Homogenisierungsprozedur ist, dass die Materialgesetze der Konstituierenden
nach wie vor benutzt werden konnen und fur das homogene Ersatzmaterial die klassi-
schen kontinuumsmechanischen Gleichungen gelten.
Da letztendlich die effektiven Materialeigenschaften des Verbundwerkstoffs durch das RVE
bestimmt werden, sind bei dessen Wahl sorgfaltige Uberlegungen erforderlich. In einem
RVE wird die Mikrostruktur des Komposits abgebildet. Je nachdem, welche Anforderun-
gen an das RVE gestellt werden, erfolgt die Abbildung entweder in vereinfachter Form
oder aber auch in einer komplexen Darstellungen. Damit der reprasentative Charakter
des Volumenelements sichergestellt ist, mussen die einzelnen Konstituierenden statistisch
uber den betrachteten Kontrollraum verteilt sein, d.h. das RVE muss eine ausreichende
Menge an heterogenen Phasen beinhalten. Aus dieser Forderung folgt, dass die Lange l des
RVE wesentlich großer als die Inhomogenitaten mit einer charakteristischen Große d und
zugleich wesentlich kleiner als eine markante Dimension der makroskopischen Struktur L
ist. Diese geometrische Bedingung des RVE lasst sich wie folgt formulieren
d≪ l ≪ L. (4.1)
4.2 Grundlagen der Homogenisierung 73
X
Y
Z L
d 3 d 1 d 2> > ,
d 1
d 2
z s
d 3
M a k r o s t r u k t u r M i k r o s t r u k t u r
y s
x s
y s
x s
Abbildung 4.3: Eine Kompositstruktur in unterschiedlichen Betrachtungsebenen: Strukture-
bene (links), Mikroebene (rechts)
Z
Ya 2
a 1
l
C1
C2
Cm
ε∗
ε∗
∂V
Abbildung 4.4: Das gewahlte Reprasentative Volumen Element (RVE) fur Stahlbeton
In Abbildung 4.3 ist eine Gegenuberstellung von unterschiedlichen Betrachtungsebenen
fur ein Kompositmaterial mit langen elliptischen Fasern dargestellt. Die charakteristische
Große d konnte in diesem Fall der Durchmesser bzw. der Radius der Inhomogenitat sein.
Die in Abbildung 4.3 skizzierte Makrostruktur entspricht in dieser Arbeit dem Kompo-
sitmaterial Stahlbeton. Die in der globalen (YZ)-Ebene befindliche Stahlbewehrung ist
in der Betonmatrix eingebettet und wird anhand von langen zylindrischen Fasern idea-
lisiert. In Abbildung 4.4 ist das zugrundeliegende RVE fur Stahlbeton skizziert. In der
vorliegenden Arbeit setzt sich das RVE aus der Betonmatrix mit der Steifigkeit Cm und
aus maximal zwei unterschiedlichen Bewehrungen mit den Steifigkeiten C1 und C2 zusam-
men. Die Orientierung des jeweiligen Bewehrungsstabs wird innerhalb der (YZ)-Ebene
mit dem Winkel α1 bzw. α2 angegeben. Im RVE ist zunachst das Bewehrungsmaterial
nicht festgelegt. So kann durch die Wahl der Steifigkeiten C1 und C2 beispielsweise auch
textilbewehrter Beton betrachtet werden [Richter 2005].
Belastet wird das RVE mit gleichformigen, d.h. konstanten Verzerrungen ε∗. Hierzu
werden kinematische Randbedingungen in Form eines linearen Verschiebungsfelds vor-
74 Kapitel 4: Modellierung von Stahlbeton
geschrieben
u(x) = ε∗ · x, x ∈ ∂V. (4.2)
Aus der Losung dieses mikromechanischen Randwertproblems folgen die gesuchten effek-
tiven Materialeigenschaften des homogenisierten Ersatzmaterials. Abhangig von der Ori-
entierung und vom Volumenanteil der jeweiligen Bewehrung, ist das zu erwartende effek-
tive Materialverhalten im Allgemeinen anisotrop und in einigen Spezialfallen transversal-
isotrop. Die Losung des Randwertproblems ist von der Wahl des Homogenisierungskon-
zepts abhangig und wird in den nachsten Unterkapiteln hergeleitet.
4.2.2 Klassische Mikro-Makro Beziehungen
In diesem Abschnitt werden die klassischen Homogenisierungsgleichungen fur ein Drei-
Phasen-Komposit angegeben. Diese sind zunachst unabhangig vom gewahlten Homoge-
nisierungsmodell und werden erst in Kapitel 4.3 basierend auf dem gewahlten Homo-
genisierungskonzept konkretisiert. Im Fokus steht die Verknupfung von lokalen Mikro-
bzw. Mesogroßen mit den makroskopischen Feldvariablen und das daraus folgende Ma-
terialverhalten des heterogenen Kompositmaterials. Hinsichtlich der Notation werden im
Folgenden die zu der Betonmatrix gehorigen Parameter mit dem Index “m” und die zu
den Bewehrungen mit dem Index “1” bzw. “2” gekennzeichnet. Makroskopische (homoge-
nisierte) Kenngroßen werden mit einem hochgestellten Stern “∗” markiert. Zur Herleitung
der effektiven mechanischen Eigenschaften des homogenisierten Ersatzmaterials, erfolgt
eine volumetrische Mittelung bzw. Integration uber das RVE. Somit lasst sich das uber
das Volumen V gemittelte Verzerrungsfeld des RVEs wie folgt angeben
< ε >V=1
V
∫
V
ε(x) dV, (4.3)
wobei ε(x) die Funktion des Verzerrungsfelds innerhalb des gesamten RVEs darstellt. Fur
die mittleren Spannungen lasst sich eine analoge Formulierung angeben
< σ >V=1
V
∫
V
σ(x) dV. (4.4)
Der Ausdruck σ(x) ist der zum Verzerrungstensor ε(x) zugehoriger Spannungstensor.
Fur einen perfekten Verbund und fur konstante homogene Randbedingungen ε∗, so wie
sie in Gleichung (4.2) vorgeschrieben sind, weisen die einzelnen Phasen innerhalb des RVEs
ebenfalls eine konstante Spannungs- und Verzerrungsverteilung auf [Zohdi & Wriggers
2005]. Somit lassen sich die mittleren Verzerrungen und Spannungen aus Gleichung (4.3)
und (4.4) vereinfacht uber die Volumenanteile ci = Vi/V der drei diskreten Phasen mit
i = 1, 2, m ausdrucken
< ε >V=∑
i
ci < ε >i= c1 ε1 + c2 ε2 + cm εm mit < ε >i= εi, (4.5)
4.2 Grundlagen der Homogenisierung 75
< σ >V=∑
i
ci < σ >i= c1 σ1 + c2 σ2 + cm σm mit < σ >i= σi. (4.6)
Die Feldvariablen < ε >i= εi und < σ >i= σi entsprechen den Mittelwerten der zu-
gehorigen Phase. In Gleichung (4.5) und (4.6) wird zudem implizit die Annahme getroffen,
dass das Gesamtvolumen V des RVEs von allen drei Phasen vollstandig ausgefullt wird,
d.h. es muss gelten
c1 + c2 + cm = 1. (4.7)
Sofern die Annahme gilt, dass ein perfekter Verbund zwischen der Betonmatrix und den
Inhomogenitaten vorherrscht, lassen sich die homogenisierten, gemittelten Verzerrungen
< ε >V aus Gleichung (4.5) als die makroskopischen Verzerrungen ε∗ identifizieren [Zohdi
& Wriggers 2005]
< ε >V= ε∗. (4.8)
Die zugehorigen makroskopischen Kompositspannungen lassen sich analog angeben
< σ >V= σ∗. (4.9)
Da die Konstituierenden Beton und Stahl in sich als homogen und daher als Kontinuum
betrachtet werden, lassen sich die Phasenspannungen σi aus den jeweiligen Materialgeset-
zen herleiten. Hierzu sind jedoch die Verzerrungen innerhalb jeder Phase εi zunachst zu
ermitteln. Die Abschatzung dieser Verzerrungsfelder ist die wesentliche Kernaufgabe der
Homogenisierung und hangt vom gewahlten Homogenisierungskonzept ab. Anhand eines
(mechanischen) vierstufigen Lokalisierungstensors bzw. Konzentrationstensors A werden
Mittelwerte der lokalen Feldvariablen mit makroskopischen Feldvariablen verknupft. In
der gegenwartigen Formulierung werden die drei Phasenverzerrungen εi aus der makro-
skopischen Belastung ε∗ abgeschatzt
εi = Ai : ε∗, (i = 1, 2, m). (4.10)
Mit der obigen Beziehung wird unter Beachtung von Gleichung (4.8) das makroskopische
Verzerrungsfeld aus Gleichung (4.5) ausgewertet
ε∗ = c1 ε1 + c2 ε2 + cm εm
= c1A1 : ε∗ + c2A2 : ε
∗ + cmAm : ε∗
= (c1A1 + c2A2 + cmAm) : ε∗ = 11 : ε∗ = ε∗.
(4.11)
Fur diskrete Phasen ist die volumetrische Mittelung uber die Konzentrationstensoren
demnach der vierstufige Einheitstensor
<A >V= c1A1 + c2A2 + cmAm = 11. (4.12)
Somit mussen in einem Drei-Phasen-Komposit lediglich zwei Lokalisierungstensoren be-
kannt sein, der dritte lasst sich uber die obige Gleichung ermitteln. Die Tensoren Ai
76 Kapitel 4: Modellierung von Stahlbeton
(i = 1, 2, m) der jeweiligen Phase sind abhangig von den gewahlten Randbedingungen
des RVEs sowie vom gewahlten Homogenisierungskonzept und beinhalten Informationen
hinsichtlich Volumenanteile, Phasenmoduli, Orientierung und Geometrie der Inhomoge-
nitaten.
Der SonderfallAi = 11 reprasentiert die klassische Mischungstheorie, in der fur alle Phasen
die gleichen makroskopischen Verzerrungen angesetzt werden (εi = ε∗). Das rheologische
Modell hierzu ist eine Parallelschaltung der Konstituierenden, die zu einer Addition der
Steifigkeiten fuhrt und somit eine obere Schranke hinsichtlich der Kompositsteifigkeit dar-
stellt (Modell nach Voigt). Alternativ wird haufig anstelle von den kinematischen Randbe-
dingungen aus Gleichung (4.2) Spannungsrandbedingungen fur das RVE vorgeschrieben.
In diesem Fall werden die Phasenspannungen σi mithilfe eines Spannungslokalisierungs-
tensor B aus den makroskopischen Spannungen σ∗ abgeschatzt (σi = Bi : σ∗). Die Wahl
Bi = 11 gibt in diesem Fall eine untere Schranke der makroskopischen Steifigkeit an, wobei
die Konstituierenden in Serie gedacht werden konnen (Modell nach Reuss).
Fur den elastischen Fall lasst sich das makroskopische konstitutive Gesetz fur das Er-
satzmaterial mit den jeweiligen konstitutiven Gesetzen σi = Ci : εi und aus Gleichung
(4.6) und (4.9) fur die makroskopischen Spannungen sowie aus Gleichung (4.10) fur die
Phasenverzerrungen εi wie folgt angeben
σ∗ = c1 σ1 + c2 σ2 + cm σm
= c1 C1 : ε1 + c2 C2 : ε2 + cm Cm : εm
= c1 C1 : A1 : ε∗ + c2 C2 : A2 : ε
∗ + cm Cm : Am : ε∗
= (c1 C1 : A1 + c2 C2 : A2 + cm Cm : Am) : ε∗
= C∗ : ε∗ mit C
∗ =∑
i
ci Ci : Ai (i = 1, 2, m)
(4.13)
wobei C∗ kein (messbarer) Materialparameter im eigentlichen Sinne ist, sondern vielmehr
einen homogenisierten effektiven Steifigkeitstensor fur das Komposit darstellt.
Die zentrale Aufgabenstellung besteht darin, die Schlusselparameter Ai aus Gleichung
(4.10) unter Erfullung der vorgeschriebenen kinematischen Randbedingungen des RVEs
abzuschatzen. Die Qualitat der Losung ist dabei abhangig vom gewahlten Homogenisie-
rungskonzept. In dieser Arbeit kommt ein analytisches Homogenisierungsmodell gemaß
[Mori & Tanaka 1973] zur Anwendung. Analytische Methoden basieren im Wesentli-
chen auf Eshelbys Grundlosung [Eshelby 1957], in der das Inhomogenitatsproblem in
ein aquivalentes Eigendehnungsproblem umformuliert wird. Bevor in Abschnitt 4.3 das
analytische Mori-Tanaka Homogenisierungsmodell vorgestellt und die dazugehorigen Lo-
kalisierungstensoren Ai konkretisiert werden, erfolgt zunachst eine kurze Erlauterung des
grundlegenden Losungsansatzes von Eshelby.
4.2 Grundlagen der Homogenisierung 77
W I
W m
e *
e *
M a t r i x
I n k l u s i o n
W m
e *
e *
M a t r i xe d
h e t e r o g e n e r K ö r p e r ä q u i v a l e n t e r h o m o g e n e r E r s a t z k ö r p e r m i t E i g e n d e h n u n g e n
W = W m + W I
W I
Abbildung 4.5: Umformulierung des Inhomogenitatsproblems in ein homogenes Problem mit
Eigendehnungen εd [Eshelby 1957]
4.2.3 Grundlosung nach Eshelby
Die wichtigste Grundlage analytischer Homogenisierungsmethoden in der Mikromecha-
nik geht auf Eshelbys Werk zuruck [Eshelby 1957]. Darin formuliert er die infolge einer
Inhomogenitat auftretenden Verzerrungsfluktuationen in ein aquivalentes homogenes Pro-
blem mit Eigendehnungen um. In Abbildung 4.5 ist diese Umformulierung schematisch
dargestellt. Das zu betrachtende Gesamtgebiet Ω setzt sich aus der Matrix Ωm und aus
einer ellipsoidformigen Inklusion bzw. Inhomogenitat ΩI zusammen
Ω = Ωm + ΩI . (4.14)
Die Inklusion und die Matrix sind in sich betrachtet homogen aber nicht zwangslaufig
isotrop. Zunachst wird der heterogene Gesamtkorper durch einen aquivalenten homogenen
Ersatzkorper mit konstanten Eigendehnungen εd ersetzt, wobei die Eigendehnungen auf
das Gebiet ΩI beschrankt sind
εd =
0 in Ωm
εd in ΩI .(4.15)
Es sei angemerkt, dass im gesamten aquivalenten Ersatzkorper Ω keine Inhomogenitat
vorhanden ist und das zu der Inhomogenitat zugehorige Gebiet ΩI ebenfalls mit Ma-
trixmaterial gefullt ist. Die Aquivalenz zeichnet sich dadurch aus, dass die aufgebrachten
Eigendehnung εd so zu wahlen sind, dass unter der makroskopischen Belastung ε∗ der
homogene Ersatzkorper die gleichen lokalen Spannungs- und Verzerrungsfelder aufweist,
wie der heterogene Ausgangskorper. Fur eine Inhomogenitat mit elastischen Eigenschaf-
ten und ellipsoider Geometrie, die in einer unendlich ausgedehnten elastischen Matrix
perfekt eingebettet ist, gibt Eshelby eine geschlossene Losung fur die lokalen Verzerrungs-
felder an. Dabei werden die Verzerrungen innerhalb der Inhomogenitat εI anhand eines
vierstufigen Tensors T aus den makroskopischen Verzerrungen ε∗ ermittelt
εI = T : ε∗ mit (4.16)
78 Kapitel 4: Modellierung von Stahlbeton
T =[11+ S : ((Cm)
−1 : CI − 11)]−1. (4.17)
Auf eine detaillierte Herleitung des Lokalisierungstensors T wird an dieser Stelle verzichtet
und auf folgende Referenz verwiesen [Gross & Seelig 2006]. In den Tensor T fließen
die mikromechanischen Informationen, wie z.B. die Matrixsteifigkeit Cm, die Steifigkeit
der Inhomogenitat CI sowie der sogenannte Eshelbytensor S vierter Stufe ein. Dieser
zentrale Parameter S folgt aus der direkten Umformulierung des Inklusionsproblems und
weist folgende Eigenschaften auf:
• Hinsichtlich der Inklusion hangt S lediglich von der Geometrie jedoch nicht von
deren absoluten Große oder Steifigkeit ab.
• Hinsichtlich der Matrix hangt S nur von den elastischen Matrixeigenschaften ab.
• Fur eine isotrope Matrix lasst sich S direkt aus der Querkontraktion der Matrix
und aus der Gestalt der Inklusion (Achsenverhaltnisse) herleiten.
Fur eine ellipsoide Inhomogenitat, die in einer isotropen Matrix eingebettet ist, lasst
sich der konstante Eshelbytensor S explizit beschreiben. Im Anhang B.1 ist S fur den
Spezialfall einer zylinderformigen Inhomogenitat in einer isotropen Matrix aufgefuhrt.
Fur anisotrope Matrixeigenschaften hingegen existiert fur den Eshelbytensor S kein ge-
schlossener Ausdruck. Zur dessen Ermittlung sind in solchem Fall numerische Verfahren
erforderlich.
Wird fur den Konzentrationstensor A aus Gleichung (4.10) die geschlossene
Losung T gemaß Eshelby aus Gleichung (4.17) verwendet, so folgt die “Dilute”-
Homogenisierungslosung [Benveniste 1987; Gross & Seelig 2006]. Die Approxi-
mation der “dunnen” (engl. dilute) Verteilung zeichnet sich dadurch aus, dass die lokalen
Verzerrungen εI aus Gleichung (4.16) unabhangig vom Volumenanteil der Inhomogenitat
bestimmt werden. Folglich werden keine Interaktionen zwischen den Inhomogenitaten
berucksichtigt. Die Inhomogenitat ist vom Matrixmaterial umgeben und “sieht” keine
weiteren benachbarten Inhomogenitaten. Bei der Dilute-Verteilung wird daher auch von
einer wechselwirkungsfreie Homogenisierung gesprochen. Fur großere Volumenanteile an
Inhomogenitaten, weist die Dilute-Losung infolge von Phaseninteraktionen große Fehler
auf, wohingegen fur kleinere Volumenanteile eine gute Approximation erzielt werden kann.
Im Folgenden wird das analytische Mori-Tanaka Homogenisierungskonzept, welches auf
Eshelbys Grundlosung basiert, vorgestellt [Mori & Tanaka 1973] und die zugehorigen
Lokalisierungstensoren AMTi fur Gleichung (4.10) hergeleitet. Die hochgestellte Indizie-
rung “MT” verweist dabei auf die Mori-Tanaka Losung.
4.3 Mori-Tanaka Homogenisierungskonzept 79
W I
W m
e *
e *
M a t r i x
I n k l u s i o n
L ö s u n g s a n s a t z n a c h E s h e l b y( T h e o r i e d e r " d ü n n e n " V e r t e i l u n g )
W I
W m
e m
M a t r i x
I n k l u s i o n
e m
m a k r o s k o p i s c h e B e l a s t u n g : e mm a k r o s k o p i s c h e B e l a s t u n g : e *
M o r i - T a n a k a L ö s u n g s a n s a t z( E f f e k t i v e - F e l d T h e o r i e )
Abbildung 4.6: Gegenuberstellung von Homogenisierungsansatzen: “Dilute”-Verteilung
(links), Ansatz von Mori-Tanaka (rechts)
4.3 Mori-Tanaka Homogenisierungskonzept
In diesem Abschnitt werden die fur die Homogenisierungsprozedur erforderlichen Glei-
chungen und Variablen hergeleitet. Zunachst wird davon ausgegangen, dass sich alle Pha-
sen elastisch verhalten. Der Einfluss von materiellen Nichtlinearitaten wird erst in Unter-
kapitel 4.3.2 abgehandelt.
In der gegenwartigen Arbeit kommt ein analytisches Verfahren gemaß [Mori & Tanaka
1973] zur Anwendung. Die analytische Homogenisierung bietet gegenuber numerischen
Verfahren den Vorteil, mit einem geringeren Rechenaufwand die effektiven Materialpa-
rameter des Komposits abzuschatzen. Dabei wird im Allgemeinen ein vereinfachtes RVE
betrachtet. Ist hingegen die genaue Beschreibung der Mikrostruktur von Interesse, konnen
mit numerischen Verfahren das Mikrogefuge des Komposit diskret abgebildet und mit-
tels einer untergeordneten Finite-Elemente-Rechnung das Materialverhalten des RVE si-
muliert werden. Aufgrund der bereits numerisch aufwandigen Mehrphasen-Modellierung
des Werkstoffs Beton im Rahmen poroser Medien (siehe Abschnitt 3.1) wurde sich eine
zusatzliche numerische Homogensierung negativ auf eine effiziente Gestaltung des Modells
auswirken, da eine Homogenisierung in jedem Integrationspunkt und fur jeden Zeitschritt
zu erfolgen hat. Im Falle des Mori-Tanaka Homogenisierungskonzepts hingegen kann ohne
einen wesentlich zusatzlichen Rechenaufwand eine geschlossene explizite Formulierung auf
Materialpunktebene angegeben werden.
Im Wesentlichen ist das Mori-Tanaka Homogenisierungsmodell [Mori & Tanaka 1973]
eine Verfeinerung der zuvor beschriebenen Losung der dunnen wechselwirkungsfreien Ver-
teilung (“dilute solution”). Der grundlegende Unterschied besteht in der makroskopischen
Belastung, die die Inhomogenitat unmittelbar “spurt”. Wahrend im wechselwirkungsfrei-
en Ansatz die Inhomogenitat die makroskopischen Verzerrungen ε∗ als Belastung wahr-
nimmt, sind es in der Mori-Tanaka Theorie die Matrixverzerrungen εm. In Abbildung 4.6
sind beide Konzepte gegenubergestellt. Folglich werden in der Mori-Tanaka Theorie die
80 Kapitel 4: Modellierung von Stahlbeton
Verzerrungen innerhalb der Inhomogenitat unmittelbar aus den Matrixverzerrungen εm
und nicht aus den makroskopischen Verzerrungen ε∗ abgeschatzt. Dieser Ansatz wird da-
her auch als Effektive-Feld-Theorie bezeichnet. Vor allem in Kompositmaterialien, die uber
ein ausgepragtes und zusammenhangendes Matrixmaterial verfugen, kommt aufgrund des
dominanten Einflusses der Matrix dieser Losungsansatz zur Anwendung. Ein wesentli-
cher Vorteil der Mori-Tanaka Methode liegt darin, dass im Vergleich zu der einfachen
Eshelby- bzw. “Dilute”-Losung Interaktionen zwischen den Inklusionen im gemittelten
Sinn berucksichtigt werden. Da zur Beschreibung der gesuchten Verzerrungen innerhalb
der Inhomogenitat die Matrixverzerrungen εm herangezogen werden und diese wiederum
von den Volumenanteilen des Komposits abhangen, werden Wechselwirkungen zwischen
benachbarte Inklusionen indirekt miterfasst.
Ein alternatives analytisches Homogenisierungsmodell, welches ebenfalls Wechselwirkun-
gen zwischen Inhomogenitaten berucksichtigt, ist die “Selbstkonsistente Methode”. Die-
ses Verfahren kommt zur Anwendung, wenn die Matrixphase nicht zusammenhangend ist
oder wenn sie eine untergeordnete Rolle fur das Komposit spielt. Der maßgebende Un-
terschied zu der Mori-Tanaka Grundidee besteht in der Definition des Referenzmediums,
welches unmittelbar von der Inhomogenitat wahrgenommen wird. In der Mori-Tanaka
Modellannahme “kennt” die Inhomogenitat lediglich die Existenz der Matrixphase, d.h.
als Referenzmedium dient hierbei das Matrixmaterial. In der “Selbstkonsistente Metho-
de” hingegen wird als Referenzmedium das verschmierte Kompositmaterial betrachtet,
d.h. in dieser Modellannahme wird die Inklusion vom (gesuchten) Kompositmaterial um-
geben. Da in diesem Fall als umgebendes Referenzmedium das Kompositmaterial selbst
betrachtet wird, wird die “Selbstkonsistente Methode” auch als Effektive-Medien Theorie
bezeichnet. Aufgrund der dominanten Matrixphase in Stahlbeton, wird dieses Konzept
jedoch nicht weiter verfolgt.
4.3.1 Lokalisierungstensoren fur das Drei-Phasen-Komposit
Hinsichtlich der benotigten Parameter besteht die Zielsetzung darin, fur das betrachtete
Drei-Phasen-Komposit aus Abbildung 4.4 die Lokalisierungstensoren AMTi der jeweiligen
Phase sowie die makroskopische Steifigkeit des Komposits C∗ basierend auf der Mori-
Tanaka Theorie herzuleiten [Mori & Tanaka 1973; Benveniste 1987]. Die folgenden
Gleichungen basieren zunachst auf elastische Betrachtungen. Erst in Unterkapitel 4.3.2
wird auf materielle Nichtlinearitaten im Hinblick auf Homogenisierung eingegangen.
Die gesuchten Lokalisierungstensoren AMTi werden benotigt, um aus den bekannten ma-
kroskopischen Verzerrungen ε∗ die Phasenverzerrungen εi zu berechnen
εi = AMTi : ε∗ (i = 1, 2, m). (4.18)
Aus den Phasenverzerrungen εi konnen wiederum mit den jeweiligen konstitutiven Ge-
setzen die zugehorigen Spannungen σi(εi) bestimmt werden. Im Prinzip kann zum Losen
4.3 Mori-Tanaka Homogenisierungskonzept 81
des Mori-Tanaka Randwertproblems im ersten Schritt auf Eshelbys Eigendehnungspro-
blem zuruckgegriffen werden. Demnach kann analog zu Gleichung (4.16) zur Abschatzung
der jeweiligen Phasenverzerrung εi folgende Annahme getroffen werden
εi = T i : εm (i = 1, 2, m). (4.19)
Anders als in Eshelbys Ansatz werden in der Mori-Tanaka Theorie uber die Tensoren
T i die Matrixverzerrungen εm (und nicht die makroskopischen Verzerrungen ε∗) mit den
Phasenverzerrungen εi verknupft. Die Lokalisierungstensoren T i konnen unverandert aus
Eshelbys Losung aus Gleichung (4.17) entnommen werden, indem der vierstufige Tensor
fur jede unabhangige Inhomogenitat und fur die Matrix aufzustellen ist
T i =[11 + Si : ((Cm)
−1 : Ci − 11)]−1
(i = 1, 2, m). (4.20)
Der Tensor Cm ist die isotrope Betonsteifigkeit, die Materialtensoren C1,C2 stellen die
Steifigkeiten der Inhomogenitaten dar und S1,S2 die zugehorigen Eshelbytensoren. Ha-
ben die Bewehrungen, wie in Abbildung 4.4 illustriert, eine beliebige Orientierung αj
innerhalb der globalen (YZ)-Ebene, so mussen die zugehorigen Eshelbytensoren in das
globale Koordinatensystem transformiert werden. In Matrixnotation lasst sich die Trans-
formation mit der Rotationsmatrix [Q(α)] aus Anhang A.3 gemaß [Richter 2005] wie
folgt durchfuhren
[Sj ] = [Q(αj)]−1 [S lok] [Q(αj)] (j = 1, 2). (4.21)
Der lokale Eshelbytensor Slok ist im Anhang B.1 in Matrixnotation angegeben. Wird
Gleichung (4.20) fur die Matrixphase ausgewertet (i = m), so folgt der vierstufige Ein-
heitstensor T m = 11, was auch konform mit Gleichung (4.19) ist. Da die Matrixverzer-
rungen εm in Gleichung (4.19) jedoch unbekannt sind, ist eine Umformulierung nach den
bekannten makroskopischen Verzerrungen ε∗ erforderlich. Dazu werden die Matrixverzer-
rungen εm aus Gleichung (4.19) zunachst uber die Verzerrungen innerhalb der Inklusionen
beschrieben
εm = T−11 : ε1 = T
−12 : ε2 . (4.22)
Die homogenisierten Verzerrungen aus Gleichung (4.8) werden in Verbindung mit Glei-
chung (4.5) fur die makroskopischen Verzerrungen ε∗ erneut betrachtet
ε∗ = c1 ε1 + c2 ε2 + cm εm (4.23)
und anhand Gleichung (4.22) umformuliert
ε∗ = c1 ε1 + c2 ε2 + cm εm
= c1 ε1 + c2 T 2 : T−11 : ε1 + cm T
−11 : ε1
= (c1 11+ c2 T 2 : T−11 + cm T
−11 ) : ε1 .
(4.24)
82 Kapitel 4: Modellierung von Stahlbeton
Schließlich lasst sich der Lokalisierungstensor fur die erste Inhomogenitat AMT1 aus der
obigen Gleichung wie folgt identifizieren
ε1 = AMT1 : ε∗ mit A
MT1 =
[c1 11+ c2 T 2 : T
−11 + cm T
−11
]−1. (4.25)
Zur Ermittlung von AMT2 wird analog verfahren
ε∗ = c1 T 1 : T−12 : ε2 + c2 ε2 + cm T
−12 : ε2
= (c1 T 1 : T−12 + c2 11+ cm T
−12 ) : ε2,
(4.26)
und AMT2 lasst sich wie folgt angeben
ε2 = AMT2 : ε∗ mit A
MT2 =
[c1 T 1 : T
−12 + c2 11+ cm T
−12
]−1. (4.27)
Werden ε1 und ε2 entsprechend Gleichung (4.19) eingesetzt, kann schließlich der Lokali-
sierungstensor fur die Matrixphase hergeleitet werden
ε∗ = c1 T 1 : εm + c2 T 2 : εm + cm εm
= (c1 T 1 + c2 T 2 + cm 11) : εm(4.28)
mit
εm = AMTm : ε∗ mit A
MTm = [c1 T 1 + c2 T 2 ++cm 11]−1 . (4.29)
Werden die vierstufigen Konzentrationstensoren miteinander genauer verglichen
AMT1 =
[c1 11+ c2 T 2 : T
−11 + cm T
−11
]−1
AMT2 =
[c1 T 1 : T
−12 + c2 11+ cm T
−12
]−1
AMTm = [c1 T 1 + c2 T 2 + cm 11]−1 ,
(4.30)
so lassen folgende Identifikationen herleiten[A
MTm
]−1
=[A
MT1
]−1
: T 1 sowie[A
MTm
]−1
=[A
MT2
]−1
: T 2 . (4.31)
Mit diesen Identifikationen lasst sich zeigen, dass die volumetrische Mittelung uber die
Konzentrationstensoren auch in der Mori-Tanaka Theorie den vierstufigen Einheitstensor
ergibt
<AMT >V = c1A
MT1 + c2A
MT2 + cmA
MTm
= c1AMT1 + c2 T 2 : T
−11 : AMT
1 + cm T−11 : AMT
1
= (c1 11+ c2 T 2 : T−11 + cm T
−11 )
︸ ︷︷ ︸[
AMT
1
]
−1
: AMT1
!= 11
(4.32)
und somit die klassische Grundgleichung der Homogenisierung aus Gleichung (4.12) auch
erfullt wird.
4.3 Mori-Tanaka Homogenisierungskonzept 83
Analog zu Gleichung (4.13) kann aus den Lokalisierungstensoren AMTi und den jeweiligen
konstitutiven Gesetzen σi(εi) fur den elastischen Fall das makroskopische konstitutive
Gesetz fur das Drei-Phasen-Komposit im Rahmen des Mori-Tanaka Homogenisierungs-
modells angegeben werden
σ∗ = c1 σ1 + c2 σ2 + cm σm
= c1 C1 : ε1 + c2 C2 : ε2 + cm Cm : εm
= c1 C1 : AMT1 : ε∗ + c2 C2 : A
MT2 : ε∗ + cm Cm : AMT
m : ε∗
= (c1 C1 : AMT1 + c2 C2 : A
MT2 + cm Cm : AMT
m ) : ε∗
= C∗ : ε∗ mit C
∗ =∑
i
ci Ci : AMTi (i = 1, 2, m).
(4.33)
Fur eine Inhomogenitat berucksichtigt der effektive Steifigkeitstensor des Komposits C∗
(im Gegensatz zu der Dilute- bzw. Eshelbylosung) die jeweiligen Grenzfalle fur Einpha-
sigkeit. Wird beispielsweise ein Zwei-Phasen-Komposit mit c2 = 0 betrachtet
C∗ = c1 C1 : A
MT1 + cm Cm : AMT
m , (4.34)
so entspricht C∗ fur c1 = 0 und cm = 1− c1 = 1 in diesem Ansatz der Matrixsteifigkeit
C∗ = Cm : AMT
m = Cm : 11 = Cm (4.35)
und fur c1 = 1 und cm = 1− c1 = 0 lasst sich die Steifigkeit der Inhomogenitat herleiten
C∗ = c1 C1 : A
MT1 = C1 : 11 = C1. (4.36)
Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass fur den elastischen Fall die Lokalisierungstenso-
ren AMTi und der makroskopische Steifigkeitstensor C
∗ lediglich von der Mikrostruktur
abhangen und somit unabhangig von der makroskopischen Belastung ε∗ ermittelt werden
konnen. Fur eine wahrend der Belastung unveranderliche Mikrostruktur konnen makro-
skopische Kenngroßen daher direkt und explizit angegeben werden.
4.3.2 Einfluss von Schadigung und Plastizitat
Die Berucksichtigung von Plastizitat oder von Schadigung stellt im Rahmen mikromecha-
nischer Homogensierung ein breites Forschungsfeld dar. So existieren in der Literatur sehr
unterschiedliche Ansatze zur Beschreibung von Schadigungsmechanismen. Eine gangige
Methode besteht darin, Risse innerhalb der Matrix ebenfalls als eine eigenstandige Phase
des Komposits zu modellieren [Dormieux & Lemarchand 2001; Meraghni, Des-
rumaux & Benzeggagh 2002; Gross & Seelig 2006; Xi, Eskandari-Ghadi,
Suwito & Sture 2006]. Unter Annahme einer Risstopologie werden Risse wie Inklusio-
nen betrachtet, denen jedoch keine Steifigkeit zugewiesen wird. Die Schadigungsevolution
wird dabei uber den Volumenanteil der Risse gesteuert. Vorteilhaft an dieser Methode ist,
84 Kapitel 4: Modellierung von Stahlbeton
dass makroskopische Nichtlinearitaten, wie z.B. die Degradation der Struktursteifigkeit,
mit einem linear elastischen Matrixmaterial beschrieben werden konnen. Aufgrund der li-
near elastischen Beziehungen der einzelnen Konstituierenden konnen auch die klassischen
Homogenisierungsgleichungen unverandert ubernommen werden.
Weisen hingegen die einzelnen Phasen ein nichtlineares Materialverhalten auf, so kom-
men ublicherweise entweder Sekanten- oder Tangentenformulierungen zum Einsatz, die
iterativ gelost werden [Zaoui 2002; Zheng, Denda & Weng 2003; Pettermann,
Plankensteiner, Bohm & Rammerstorfer 1999]. Zur Beschreibung der effektiven
nichtlinearen Materialeigenschaften von Stahlbeton wird in der gegenwartigen Arbeit die
Sekantenmethode verwendet. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass im nichtlinearen Be-
lastungszustand die Lokalisierungstensoren AMTi aus Gleichung (4.30) aus den Sekanten-
steifigkeiten der einzelnen Phasen errechnet werden. Demnach hangen die Lokalisierungs-
tensoren AMTi vom aktuellen Schadigungszustand ab und werden anhand den vierstufigen
Tensoren T i aus Gleichung (4.20) mit der Betonsteifigkeit
Cm = ψ C0m (4.37)
ausgewertet. Der Parameter Cm beschreibt hierbei die Sekante der geschadigten Betonma-
trix (siehe Gleichung (3.14)). Hinsichtlich der Sekantensteifigkeiten der Bewehrungen C1
und C2 ist die Formulierung Csi aus Gleichung (3.86) fur die Tensoren T i zu verwenden
Cj = Csi(αj) (j = 1, 2), (4.38)
wobei zur Berucksichtigung der Dubelsteifigkeit die Steifigkeit Cs aus Gleichung (3.120)
in Csi(αj) einfließt. Der Winkel αj gibt gemaß Abbildung 4.4 die jeweilige Orientierung
der Bewehrung innerhalb der globalen (YZ)-Ebene an. Aufgrund der isotropen bzw. ska-
laren Schadigungsmodellierung des Betons, kann der fur eine isotrope Matrix definierte
Eshelbytensor S1 und S2 aus Gleichung (4.21) zur Herleitung von T i zwar prinzipiell
verwendet werden. Doch wenn das Matrixmaterial zunehmend schadigt (ψ → 0), kon-
vergiert die effektive Steifigkeit des Komposits –bis auf die Steifigkeit in Richtung der
Bewehrung– ebenfalls gegen Null. Dieser Effekt folgt aus der direkten Auswertung der
Mori-Tanaka Gleichungen und ruhrt aus dem dominanten Einfluss der Betonmatrix her.
In Richtung der Bewehrung hingegen bleibt als residuale Struktursteifigkeit die Axialstei-
figkeit der Bewehrung ubrig. Wahrend also fur ψ → 0 im Hinblick auf das Tragverhalten
von Stahlbeton in Stablangsrichtung die residuale Struktursteifigkeit korrekt wiedergege-
ben wird, geht die in Schubrichtung definierte Dubelwirkung mit der Homogenisierung
verloren. Um fur ein komplett geschadigtes Matrixmaterial (ψ = 0) in Schubrichtung
dennoch eine Reststeifigkeit zu erhalten, werden in der gegenwartigen Arbeit die rele-
vanten Schubterme des Eshelbytensors geringfugig modifiziert. Dieser Schritt ist vor dem
Hintergrund zu verstehen, ein Modell zu formulieren, welches auf makroskopischer Ebe-
ne die gewunschten Struktursteifigkeiten des Komposits adaquat wiedergibt. Nachdem
samtliche Komponenten der Kompositsteifigkeit fur ein ungeschadigtes (ψ = 1) und fur
4.3 Mori-Tanaka Homogenisierungskonzept 85
0
2 0 0 0
4 0 0 0
6 0 0 0
8 0 0 0
1 0 0 0 0
0 0 . 2 0 . 4 0 . 6 0 . 8
effektiver Schubmodul G* 2
3 [MPa]
S c h ä d i g u n g s v a r i a b l e d [ - ]
o b e r e S c h r a n k e ( V O I G T )
u r s p r ü n g l i c h e F o r m u l i e r u n g
m o d i f i z i e r t e F o r m u l i e r u n g
D ü b e l w i r k u n g ( c s GD o w e l )
1
V
V
2
3
Abbildung 4.7: Effektive Schubsteifigkeit G∗
23 mit und ohne Modifikation des Eshelbytensors
ein vollstandig geschadigtes Matrixmaterial (ψ = 0) untersucht wurden, ergab fur den in
Anhang B.1 angegebenen Eshelbytensor folgende Modifikation
[S] =
S1111 S1122 S1133
S2211 S2222 S2233
S3311 S3322 S3333
2S1212
ψ 2 2S2323
ψ 2 2S1313
. (4.39)
Die Multiplikation der Schubterme 2S2323 und 2S1313 mit der Kontinuitat ψ 2 fuhren
zu den gewunschten physikalischen Dubelsteifigkeiten. In Abbildung 4.7 ist das Ergeb-
nis dieser Modifikation anhand der Schubsteifigkeit des Komposits G∗
23 in Abhangigkeit
der Schadigungsvariable d = 1− ψ im lokalen (23)-Koordinatensystem verdeutlicht. Wie
bereits angemerkt, konvergiert die Schubsteifigkeit des Komposits mit dem unmodifizier-
ten Eshelbytensor (ursprungliche Formulierung) fur ein vollstandig geschadigtes Materi-
al (d = 1) gegen Null (G∗
23 = 0). Wird hingegen die Modifikation des Eshelbytensors
gemaß Gleichung (4.39) vorgenommen, entspricht die residuale Kompositsteifigkeit bei
vollstandig zerstortem Matrixmaterial (d = 1) exakt der in Abschnitt 3.4 definierten
Dubelsteifigkeit csGD (modifizierte Formulierung). Der Volumenanteil der Bewehrung cs
folgt aus der konsistenten Auswertung der Homogenisierung. Eine weitere interessante
Beobachtung ist, dass die Losung der modifizierten Formulierung fur d → 1 gegen Voigts
Losung konvergiert, in der die Matrixsteifigkeit und die Stahlsteifigkeit als ein parallel
geschaltetes System angesehen werden konnen. Ist die Betonmatrix vollstandig zerstort
(d = 1), werden Schubdeformationen nur noch uber die Schubsteifigkeit der Stahles (also
86 Kapitel 4: Modellierung von Stahlbeton
M a t r i x I n h o m o g e n i t ä t 1 I n h o m o g e n i t ä t 2
a u s g l o b a l e n V e r f o r m u n g e n e *
= A 1M T : e *e 1 = A 2
M T : e *e 2= A mM T : e *e m
l o k a l e V e r z e r r u n g e n i n n e r h a l b j e d e r P h a s e
l o k a l e k o n s t i t u t i v e G e s e t z e
S p a n n u n g e n : s m
S t e i f i g k e i t : C m
S p a n n u n g e n : s 1
S t e i f i g k e i t : C 1
S p a n n u n g e n : s 2
S t e i f i g k e i t : C 2
s m s 1 s 2+ c 1 + c 2= c ms *< s > V =
+ c 1 + c 2 = c m C m : A mM T C 1 : A 1
M T C 2 : A 2M T C
* t a n t a n t a n, t a n
B e r e c h n u n g d e r E l e m e n t s t e i f i g k e i t s m a t r i x u n d V e k t o r d e r i n n e r e n K r ä f t ei n j e d e m G a u s s p u n k t z u j e d e m L a s t s c h r i t t
F l u s s - D i a g r a m m z u r n u m e r i s c h e n U m s e t z u n g
s i ( e i )
h o m o g e n i s i e r t e S p a n n u n g e n u n d t a n g e n t i a l e S t e i f i g k e i ts * C * , t a n
t a n t a n t a n
Abbildung 4.8: Flussdiagramm fur die numerische Umsetzung des Homogenisierungskonzepts
Dubelsteifigkeit) abgetragen.
4.4 Numerische Umsetzung
Hinsichtlich der numerischen Umsetzung werden in der gegenwartigen Arbeit zwei Rand-
wertprobleme nacheinander und interaktiv gelost; zum einen das makromechanische auf
Strukturebene und zum anderen das mikromechanische auf Gausspunktebene (RVE). Bei-
de Berechnungen sind voneinander abhangig, und jede Losung beeinflusst auch die Losung
der anderen Ebene. Fur das gegenwartige Drei-Phasen-Komposit ist in Abbildung 4.8 das
Flussdiagramm fur die prinzipielle numerische Umsetzung dargestellt.
Zunachst werden aus den globalen Strukturverformungen u, die aus der Finite-Elemente-
4.4 Numerische Umsetzung 87
Rechnung folgen, unter der Annahme der geometrisch linearen Theorie die makroskopi-
schen Verzerrungen ε∗ berechnet
ε∗ =1
2(∇u+∇Tu). (4.40)
Wie aus Abbildung 4.8 hervorgeht, werden anschließend mithilfe der Lokalisierungstenso-
ren AMTi aus Gleichung (4.30) die lokalen Verzerrungen εi der Konstituierenden berech-
net. Fur das gegenwartige Drei-Phasen-Komposit sind es die Matrixverzerrungen
εm = AMTm : ε∗ (4.41)
sowie die zwei voneinander unabhangigen Stahlverzerrungen
ε1 = AMT1 : ε∗ und ε2 = A
MT2 : ε∗. (4.42)
Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass wenn Schlupfverformungen ebenfalls berucksichtigt
werden, die obigen Stahlverzerrungen ε1 bzw. ε2 als die Gesamtverformungen des Schlupf-
Stahl-Systems entsprechend Abbildung 3.6 und Gleichung (3.71) anzusehen sind
εj = AMTj : ε∗ = εsij = εsj + εij , (4.43)
wobei j = 1, 2 den jeweiligen Bewehrungsstab kennzeichnet. Das lokale Materialverhalten
der Konstituierenden auf der Mesoskala wird nach wie vor durch die kontinuumsmechani-
schen Gleichungen beschrieben. Somit werden als nachstes die lokalen Spannungen und die
zugehorigen Materialsteifigkeiten aus den bereits formulierten Materialgesetzen in jedem
Integrationspunkt ermittelt. Ohne Berucksichtigung von hygrischen und thermischen Ein-
wirkungen sowie von Kriechverformungen werden die Betonspannungen gemaß Gleichung
(3.47) berechnet
σm = Cm : εem = ψ C0m :
[A
MTm : ε∗ − εpm
], (4.44)
und die jeweiligen Spannungen des Schlupf-Stahl-Systems werden entsprechend Gleichung
(3.86) bestimmt
σj = Cj : εej = Cj
[A
MTj : ε∗ − ε
pj
](j = 1, 2), (4.45)
wobei die Sekantensteifigkeit Cj aus Gleichung (4.38) zu entnehmen ist. Aus den lokalen
Spannungen σm sowie σ1 und σ2 werden im nachsten Schritt die homogenisierten makro-
skopischen Spannungen σ∗ entsprechend Gleichung (4.6) durch volumetrische Mittelung
bestimmt. Mithilfe der lokalen tangentialen Materialsteifigkeit der jeweiligen Phase
Ctani = dσi/ dεi (i = 1, 2, m) (4.46)
wird zudem in jedem Gausspunkt die homogenisierte makroskopische tangentiale Steifig-
keit des Komposits ermittelt
C∗,tan =
dσ∗
dε∗= c1
dσ1
dε∗+ c2
dσ2
dε∗+ cm
dσm
dε∗
88 Kapitel 4: Modellierung von Stahlbeton
= c1dσ1
dε1:dε1dε∗
+ c2dσ2
dε2:dε2dε∗
+ cmdσm
dεm:dεmdε∗
= c1 Ctan1 : AMT
1 + c2 Ctan2 : AMT
2 + cm Ctanm : AMT
m
=∑
i
ci Ctani : AMT
i (i = 1, 2, m), (4.47)
die die Makroverzerrungen ε∗ mit den Makrospannungen σ∗ verknupft. Abschließend wird
fur das iterative Integrationsverfahren mit den makroskopischen Spannungen σ∗ und mit
der makroskopischen tangentialen Steifigkeit C∗,tan der Vektor der inneren Krafte sowie
die Elementsteifigkeitsmatrix ermittelt.
Hinsichtlich des inkrementellen Integrationsverfahrens im Rahmen der Finite-Elemente-
Methode wird an dieser Stelle auf [Grasberger 2002] verwiesen. Da im gegenstandli-
chen Betonmodell [Grasberger 2002] lediglich die mechanische Komponente um die
Steifigkeitsanteile der Stahlbewehrung erganzt wird, lasst sich unter der Annahme, dass
die Bewehrung innerhalb des Komposits keinen Einfluss auf den Feuchte- und Tempe-
raturtransport nimmt, das in [Grasberger 2002] beschriebene Integrationsverfahren
vollstandig und unverandert ubernehmen. Um die Robustheit und die Effizienz des ge-
genwartigen Stahlbetonmodells in Bezug auf die zeitliche Diskretisierung zu optimieren,
wird in einigen Strukturanalysen von dem in [Grasberger 2002] vorgeschlagenen impli-
ziten Verfahren abgewichen und die “implizit-explizit”-Integrationsmethode gemaß [Oli-
ver, Huespe & Cante 2008] bevorzugt.
Des Weiteren sei angemerkt, dass im Rahmen des inkrementellen Zeitintegrationsver-
fahrens die Lokalisierungstensoren AMTi aus Gleichung (4.30) explizit ermittelt werden.
Demnach werden sie fur den Zeitschritt tn+1 vereinfacht aus den Sekantensteifigkeiten
des Zeitschrittes tn berechnet. Die vierstufigen Tensoren T i aus Gleichung (4.20) zum
Zeitschritt tn+1 werden folglich mit der Matrixsteifigkeit
Cm = ψnC0m (4.48)
ausgewertet, wobei ψnC0m die Sekante der geschadigten Betonmatrix zum Zeitschritt tn be-
schreibt. Diese Annahme, die bei sehr kleinen Zeitschritten zu marginalen Abweichungen
fuhrt, vereinfacht die numerische Integration erheblich, da zum einen die Lokalisierungs-
tensoren AMTi aus der Linearisierung rausfallen und andererseits die Verzerrungen εi
innerhalb eines Zeitschritts als bekannt vorausgesetzt werden.
Kapitel 5
Verifizierung des Modells anhand
von numerischen Beispielen
In diesem Kapitel werden anhand von numerischen Untersuchungen die wesentlichen Lei-
stungsmerkmale des entwickelten Stahlbetonmodells herausgearbeitet. Da der Fokus dieser
Arbeit in der Modellierung von Stahlbeton liegt, werden in diesem Abschnitt nur rein me-
chanische Beispiele betrachtet. Anhand von Ein-Element Untersuchungen sollen sowohl
die Plausibilitat als auch die Zuverlassigkeit des Modells beurteilt werden. Ein besonderes
Augenmerk konzentriert sich in den Untersuchungen auf das Zusammenwirken der beiden
Werkstoffe bei fortschreitenden Schadigungs- und Plastizitatsmechanismen.
An verschiebungsgesteuerten Beispielen wird zunachst der Einfluss der Bewehrungsrich-
tung, der Verbundqualitat und des Volumenanteils der Bewehrung auf das makroskopische
Materialverhalten untersucht. Anschließend wird auf die Steifigkeitsdegradationen der
einzelnen Konstituierenden eingegangen und deren Einfluss auf die Gesamtsteifigkeit
des Komposits ausgewertet. Abschließend wird der Einfluss der Dubelwirkung auf das
makroskopische Trag- und Verformungsverhalten untersucht und dabei der relevante
Einfluss des Risswinkels verdeutlicht.
Fur die nachfolgenden numerischen Analysen wird ein wurfelformiges Finites Element mit
einer Kantenlange von 100 mm herangezogen. Diesem Element werden sowohl Beton- als
auch Stahleigenschaften zugewiesen. Aus Abbildung 5.1 konnen Geometrie, Randbedin-
gungen sowie die relevanten Materialparameter fur den Beton und fur die Stahlbewehrung
entnommen werden.
89
90 Kapitel 5: Verifizierung des Modells anhand von numerischen Beispielen
Y
Z
1 0 0 m m
100 m
m
D i c k e t = 1 0 0 m m
Beton
E-Modul Em = 20000 N/mm2
Querkontraktion νm = 0.2
Zugfestigkeit ftu = 2.0 N/mm2
Bruchenergie Gf = 0.1 Nmm/mm2
Stahlbewehrung
E-Modul Es = 200000 N/mm2
Fließspannung σy = 200 N/mm2
Verfestigungsparameter K = 0 N/mm2
Abbildung 5.1: Geometrie, Randbedingungen und Materialparameter fur die numerische Si-
mulationen
5.1 Einfluss der Bewehrungsrichtung
In diesem Beispiel soll der Einfluss der Bewehrungsrichtung auf das Trag- und Verfor-
mungsverhalten einer Stahlbetonstruktur ausgewertet werden. Hierzu wird ein Stahl-
betonelement verschiebungsgesteuert belastet. Der Bewehrungsgrad entspricht 2%, und
es wird von einem vollen Verbund ausgegangen, um weitere Verbundeffekte auszu-
schließen. Fur unterschiedliche Anordnungen der Bewehrung innerhalb der Betonstruk-
tur werden numerische Simulationen durchgefuhrt. Dabei werden die Winkel α =
0, 15, 30, 45, 60, 90 bezogen auf die globale Z-Achse betrachtet. Aus Abbildung
5.2 konnen sowohl die Systemskizze mit den Randbedingungen als auch die zugehorigen
Last-Verschiebungskurven entnommen werden.
Wie erwartet stellt sich die maximale Struktursteifigkeit dann ein, wenn die Beweh-
rungsachse mit der Belastungsrichtung zusammenfallt (α = 90). In diesem Fall kann
die gesamte axiale Steifigkeit der Bewehrung ausgeschopft werden. Keinen Anteil an die
Gesamtsteifigkeit liefert die Bewehrung, wenn sie senkrecht zu der Belastungsrichtung
verlauft (α = 0), da in der Stahlmodellierung lediglich die uniaxiale Steifigkeit sowie die
Schubkomponenten berucksichtigt werden (siehe Gleichung (3.84) bzw. (3.120)). Fur diese
Anordnung (α = 0) wird aufgrund des geringen Bewehrungsgrades eine Strukturantwort
erwartet, die der unbewehrten Betonstruktur gleichkommt. Wie aus Abbildung 5.2 zu ent-
nehmen ist, sind daher die Last-Verschiebungskurven der unbewehrten Struktur (graue
Kurve) und der mit α = 0 ausgefuhrten Kompositstruktur deckungsgleich. Hinsicht-
lich der residualen Kapazitaten des Stahlbetonelements im Nachbruchbereich des Betons
werden diese durch die Fließspannung der Bewehrung bestimmt. Da mit zunehmendem
Winkel die Bewehrung ihre dominierende Wirkung entfaltet, nehmen die Tragreserven des
Stahlbetonelements ebenfalls zu. Die negative tangentiale Steifigkeit des Komposits, die
unmittelbar nach der Bildung der ersten Risse zu beobachten ist, deutet auf eine Entla-
stung der Struktur hin. Dieses Phanomen ist typisch fur gerissene Stahlbetonstrukturen
5.2 Schadigungs- und Plastizitatsmechanismen 91
0
1 0 0 0 0
2 0 0 0 0
3 0 0 0 0
4 0 0 0 0
5 0 0 0 0
0 0 . 1 0 . 2 0 . 3 0 . 4 0 . 5 0 . 6 0 . 7 0 . 8
Reaktionskraft r [N]
V e r s c h i e b u n g u [ m m ]
u n b e w e h r t a = 0
a = 4 5
a = 6 0
a = 9 0
a = 1 5
a = 3 0
a
u
u
V o l u m e n a n t e i l d e rB e w e h r u n g c = 2 %
Y
Z
Abbildung 5.2: Einfluss der Bewehrungslage auf das Strukturverhalten eines Stahlbetonele-
ments
und wurde bereits auch in Experimenten bestatigt [Ouyang, Wollrab, Kulkarni &
Shah 1997]. Die Ursache hierfur liegt im abrupten Verlust der initialen Betonsteifigkeit,
die mit der Initiierung der ersten Risse einhergeht. Zu diesem Zeitpunkt ist fur die Ge-
samtsteifigkeit des Komposits die Entfestigungsfunktion des Betons aus Abbildung 3.1
besonders maßgebend, da diese mit dem Beginn der Schadigung eine große negative tan-
gentiale Steifigkeit aufweist. Dieser negative Steifigkeitsanteil des Betons manifestiert sich
sodann augenblicklich in den Last-Verschiebungskurven. Mit zunehmender außerer Bela-
stung jedoch schwindet der Einfluss des Betons, und die Gesamtsteifigkeit des Komposits
konvergiert, wie auch im folgenden Unterkapitel verdeutlicht wird, zu der Steifigkeit der
Bewehrung.
5.2 Schadigungs- und Plastizitatsmechanismen
Der Einfluss von lokalen Schadigungs- und Plastizitatsmechanismen bezogen auf das ma-
kroskopische Materialverhalten soll naher untersucht werden. Hierzu wird im Folgen-
den die Last-Verschiebungskurve der zuvor betrachteten Analyse aus Abbildung 5.2 fur
α = 90 im Hinblick auf ihre charakteristischen Punkte genauer diskutiert.
In Abbildung 5.3 sind neben der zu untersuchenden Kurve zusatzlich die voneinander
92 Kapitel 5: Verifizierung des Modells anhand von numerischen Beispielen
0
1 0 0 0 0
2 0 0 0 0
3 0 0 0 0
4 0 0 0 0
5 0 0 0 0
0 0 . 1 0 . 2 0 . 3 0 . 4 0 . 5
Reaktionskraft r [N]
V e r s c h i e b u n g u [ m m ]
S t a h l b e t o n
u n b e w e h r t e r B e t o n
" n a c k t e r " S t a h l
S t a h l f l i e ß e n
B e t o n r e i ß e n
r e s i d u a l e B e t o n k a p a z i t ä t
u
u
V o l u m e n a n t e i l d e rB e w e h r u n g c = 2 %
Y
Z a = 9 0 °
" t e n s i o n - s t i f f e n i n g "
Abbildung 5.3: Makroskopisches Materialverhalten infolge von lokalen Versagensmechanismen
unabhangigen Last-Verschiebungskurven von unbewehrtem Beton sowie die des reinen
bzw. “nackten” Stahles gezeichnet (gestrichelte Linie). Fur die Stahlbewehrung wird ein
elasto-plastisches Gesetz gemaß Abbildung 3.5 jedoch ohne Verfestigung angesetzt. Damit
die Kurven miteinander vergleichbar sind, ist die Last-Verschiebungskurve des Stahles mit
dem zugehorigen Volumenanteil von 2% skaliert.
Die initiale elastische Steifigkeit des Komposits setzt sich additiv aus den linear elastischen
Materialmatrizen der Konstituierenden zusammen. Aufgrund des geringen Volumenan-
teils der Bewehrung entspricht die Initialsteifigkeit des Komposits etwa der Steifigkeit
der ungerissenen Betonmatrix. Die erste Nichtlinearitat in der Last-Verschiebungskurve
des Komposits ist aufgrund der geringen Zugfestigkeit des Betons mit der Entstehung
der ersten Rissen verknupft. Ab diesem Belastungsniveau ist fur die weitere Entwick-
lung der makroskopischen Steifigkeit die Entfestigungsfunktion des Betons aus Abbildung
3.1 maßgebend. Wegen der vorhandenen Restfestigkeit des Betons sind die Tragreser-
ven der gerissenen Stahlbetonstruktur großer als die des “nackten” Stahles. Auf diesen
versteifenden Effekt (tension stiffening) wurde bereits in Kapitel 2.1.4 hingewiesen. Es
sei noch einmal betont, dass in der gegenwartigen Arbeit kein eigenstandiges tension
stiffening–Modell formuliert ist. Die in Abbildung 5.3 dargestellte versteifende Wirkung
ruhrt allein aus der Entfestigungsfunktion des Betons her. Da mit zunehmender Belastung
die residuale Steifigkeit und Tragkapazitat des Betons sukzessiv abnimmt, klingt dieser
versteifende Effekt ebenfalls ab. Eine weitere charakteristische Nichtlinearitat in der glo-
5.3 Einfluss der Verbundqualitat 93
0
1 0 0 0 0
2 0 0 0 0
3 0 0 0 0
4 0 0 0 0
5 0 0 0 0
0 0 . 1 0 . 2 0 . 3 0 . 4 0 . 5
Reaktionskraft r [N]
V e r s c h i e b u n g u [ m m ]
p e r f e k t e r V e r b u n d
g u t e r V e r b u n d
s c h w a c h e r V e r b u n d
u n b e w e h r t e r B e t o n
u
u
V o l u m e n a n t e i l d e rB e w e h r u n g c = 2 %
Y
Z
Abbildung 5.4: Vergleich unterschiedlicher Verbundqualitaten auf makroskopoischer Ebene
balen Last-Verschiebungskurve ist durch das Fließen des Stahles gekennzeichnet. Dieser
Punkt markiert fur dieses Beispiel zugleich die maximale Tragfahigkeit der Struktur. Was
den weiteren Verlauf anbelangt, so konvergiert die Last-Verschiebungskurve des Kompo-
sits aufgrund der abnehmenden Restfestigkeit des Betons zu der Kurve des “nackten”
Stahles.
5.3 Einfluss der Verbundqualitat
Nachdem in den letzten beiden numerischen Beispielen von einem perfekten Verbund aus-
gegangen wurde, soll der Einfluss von unterschiedlichen Verbundqualitaten im Hinblick
auf das Strukturverhalten naher untersucht werden. Als Referenzkurve dient erneut die
Last-Verschiebungskurve der zuvor betrachteten Analyse aus Abbildung 5.2 fur α = 90,
die bereits fur einen perfekten Verbund ausgewertet ist. Hinsichtlich der Gegenuberstel-
lung werden in Abbildung 5.4 drei unterschiedliche Verbundqualitaten untersucht.
Beim perfekten Verbund treten zwischen der Stahlbewehrung und der Betonmatrix kei-
ne Schlupfverformungen auf, d.h. εi = 0. In der Modellbildung wird zum einen fur die
maximale Verbundspannung τmax aus Gleichung (3.75) die Fließspannung des Stahles
σy angesetzt (τmax = σy). Zum anderen gilt fur das makroskopische Verbundspannung-
Schlupf–Gesetz aus Abbildung 3.7 die Beziehung Ei → ∞. Bei der Wahl dieser Verbund-
94 Kapitel 5: Verifizierung des Modells anhand von numerischen Beispielen
parameter wird das Verbundgesetz nicht aktiviert, und die Strukturkapazitat wird durch
das Fließen des Stahles und nicht durch ein Verbundversagen bestimmt (siehe Abschnitt
3.3.2).
Die Last-Verschiebungskurve, die mit einer guten Verbundqualitat ausgewertet ist, unter-
scheidet sich in Bezug auf die Kurve, die mit einem perfekten Verbund ermittelt wurde,
im Wesentlichen durch eine degenerierte Struktursteifigkeit. In diesem Beispiel wird die
Tragfahigkeit der Struktur zwar ebenfalls durch das Fließen der Bewehrung begrenzt
(τmax = σy), jedoch gilt fur die effektive Verbundsteifigkeit Ei aus Gleichung (3.74) nicht
Ei → ∞. Durch die Zuweisung eines konkreten Wertes fur Ei, wird ein nachgiebiges
Verbundverhalten simuliert, wobei die Verbundkapazitat jedoch nach wie vor durch das
Fließen der Stahlbewehrung bestimmt wird.
In der dritten Analyse zeichnet sich der schwache Verbund dadurch aus, dass die maximale
Verbundspannung τmax erreicht wird, noch bevor der Stahl zu fließen beginnt (τmax < σy)
und zudem –z.B. aufgrund einer glatten Oberflache der Bewehrung– eine kleine effekti-
ve Verbundsteifigkeit Ei maßgebend ist. Hier tritt also das Verbundversagen noch vor
dem Stahlfließen ein. Wahrend der gesamten Analyse bleibt fur diesen Fall daher die
Bewehrung im linear-elastischen Bereich. Eine degenerierte Struktursteifigkeit sowie eine
reduzierte Tragkapazitat sind die Folgen einer schwachen Verbundqualitat.
5.4 Einfluss des Volumenanteils
In diesem Abschnitt soll anhand eines Stahlbetonelements untersucht werden, wie sich
der Volumenanteil der Bewehrung auf die makroskopische Strukturantwort bemerkbar
macht. Fur die Stahlbewehrung wird das in Abbildung 3.5 dargestellte elasto-plastische
Gesetz ohne Verfestigung angesetzt, und fur den Beton ist die Entfestigungsfunktion aus
Abbildung 3.1 maßgebend. Hinsichtlich der Verbundqualitat ist ein perfekter Zustand
angenommen worden. Fur die Volumenanteile c = 0%, 2%, 5%, 25%, 50%, 100% an Be-
wehrungsmaterial werden numerische Untersuchungen durchgefuhrt. Aus Abbildung 5.5
konnen die Systemskizze und die berechneten Last-Verschiebungsdiagramme entnommen
werden. Aufgrund der unterschiedlichen Großenordnungen sind die Reaktionskrafte in
einem logarithmischen Maßstab dargestellt.
Aus der Abbildung wird ersichtlich, dass fur den Fall, dass kein Bewehrungsmaterial
berucksichtigt wird (c = 0%), aus den Homogenisierungsgleichungen das konstitutive
Gesetz des Beton resultiert. Besteht hingegen die Gesamtstruktur vollstandig aus Stahl-
material (c = 100%), wird die Last-Verschiebungskurve des ideal elasto-plastischen Stahl-
gesetzes maßgebend. Diese beiden Losungen, die eine Grenzfallbetrachtung beschreiben,
bestatigen somit die Richtigkeit der Gleichungen (4.35) und (4.36), die aus der Konsistenz
der Mori-Tanaka Homogenisierung fur Einphasigkeit herruhren.
5.5 Auswertung der Dubelwirkung basierend auf unterschiedlichen Modellannahmen 95
1
1 0
1 0 0
1 0 0 0
0 0 . 1 0 . 2 0 . 3 0 . 4 0 . 5 0 . 6 0 . 7 0 . 8
Reaktionskraft r [kN]
V e r s c h i e b u n g u [ m m ]
c = 2 %
c = 0 % ( u n b e w e h r t e r B e t o n )
c = 5 %
c = 2 5 %
c = 5 0 %
c = 1 0 0 % ( n u r S t a h l )
u
u
Y
Z
V o l u m e n a n t e i l d e rB e w e h r u n g c = 0 . . . 1 0 0 %
Abbildung 5.5: Einfluss des Bewehrungsanteils c auf das Strukturverhalten
5.5 Auswertung der Dubelwirkung basierend auf un-
terschiedlichen Modellannahmen
Die physikalischen Grundmodelle zur Beschreibung der Dubelwirkung waren bereits Ge-
genstand des Kapitels 3.4.3 und sollen im Folgenden anhand von numerischen Simulatio-
nen gegenubergestellt werden. In diesem Zusammenhang wird zudem die in Abbildung
3.13 visualisierte Wichtigkeit der Rissrichtung herausgestellt.
Betrachtet wird in der gegenwartigen Analyse ein zweifach bewehrtes Stahlbetonelement
mit den Volumenanteilen von c1 = c2 = 2%, welches mit verschiebungsgesteuerten Schub-
verformungen belastet wird. In Abbildung 5.6 ist das statische System mit den zugehori-
gen Randbedingungen dargestellt. Um die Mechanismen der Dubelwirkung weitestgehend
isoliert zu betrachten, wird in den Rechnungen von Schlupfverformungen abgesehen (per-
fekter Verbund).
Das Augenmerk in diesen numerischen Analysen konzentriert sich auf die im Riss-
Koordinatensystem definierte effektive Dubelsteifigkeit aus Gleichung (3.102)
GD(αc) = GDY cos4 αc +GD
Z sin4 αc + (EY + EZ) sin2 αc cos
2 αc . (5.1)
Fur die axialen Steifigkeiten wird der E-Modul des Stahles Es mit EY = EZ = Es einge-
setzt. Die Wahl der Steifigkeiten GDY und GD
Z hingegen richtet sich nach den im Kapitel
96 Kapitel 5: Verifizierung des Modells anhand von numerischen Beispielen
0
1 0 0 0 0
2 0 0 0 0
3 0 0 0 0
4 0 0 0 0
5 0 0 0 0
6 0 0 0 0
0 0 . 2 0 . 4 0 . 6 0 . 8 1
V e r s c h i e b u n g u [ m m ]
Reaktionskraft r [N]
e l a s t i s c h e B e t t u n g
G D ( a c ) m i t G f
u u
V o l u m e n a n t e i l d e rB e w e h r u n g c 1 = c 2 = 2 %
Y
Z
a c
u n b e w e h r t e r B e t o n
S c h u b -m e c h a n i s m u s
G D ( a c ) m i t G s
u n a b h ä n g i g v o n R i s s r i c h t u n gG D ( a c ) = G s = k o n s t .
Abbildung 5.6: Vergleich der physikalischen Grundmodelle zur Beschreibung der Dubelwir-
kung
3.4.3 vorgestellten Modellierungskonzepten. Soll der Biegemechanismus als Grundmodell
herangezogen werden, ist fur die Steifigkeiten GDY und GD
Z der effektive Schubmodul der
elastischen Bettung Gf aus Gleichung (3.108) gemaß der Balkentheorie anzusetzen (siehe
Abbildung 3.15)
GDY = GD
Z = Gf . (5.2)
Wird hingegen die Annahme getroffen, dass die Lastubertragung im Riss uberwiegend
aus der Schubwirkung des Bewehrungsstabes herruhrt, wird der Schubmodul des Stahles
Gs maßgebend
GDY = GD
Z = Gs. (5.3)
In Abbildung (5.6) sind die entsprechenden Last-Verschiebungskurven, die aus den beiden
genannten Modellen herruhren, dargestellt. Aufgrund des relativ geringen Volumenanteils
an Stahlmaterial entspricht die initiale Kompositsteifigkeit nahezu der des unbewehrten
Betons. Die wesentlichen Merkmale der Dubelwirkung sind korrekterweise erst unmittel-
bar nach der Rissinitiierung zu beobachten. Unter Berucksichtigung der Rissrichtung αc
weist der Schubmechanismus hinsichtlich der Dubelwirkung eine großere Struktursteifig-
keit als der Biegemechanismus auf. Diese Beobachtung ist jedoch nicht allgemeingultig, da
die Große des Parameters Gf u.a. auch von der Bettungssteifigkeit des Betons abhangt.
5.5 Auswertung der Dubelwirkung basierend auf unterschiedlichen Modellannahmen 97
Was die maximale Strukturkapazitat anbelangt, so wird diese im gegenwartigen Beispiel
durch das Stahlfließen begrenzt. Aufgrund der Annahme eines perfekten Verbunds war
ein Verbundversagen bereits ausgeschlossen.
Um die Relevanz des Risswinkels αc in Bezug auf die Dubelwirkung zu verdeutlichen, ist
eine weitere numerische Analyse durchgefuhrt worden, bei der fur die effektive Dubelstei-
figkeit aus Gleichung (5.1) der konstante Schubmodul des Stahles Gs eingesetzt wird
GD(αc) = Gs. (5.4)
Wahrend also in Gleichung (5.3) fur die Steifigkeiten GDY und GD
Z der Schubmodul Gs ver-
wendet wird, ersetzt dieser die effektive Dubelsteifigkeit GD. Letztendlich wird von einem
Bewehrungsmodell ausgegangen, welches sich in axialer Richtung aus dem E-Modul und
in Schubrichtung aus dem Schubmodul des Stahles zusammensetzt. Die vom Risswin-
kel abhangige Dubelwirkung, so wie es in Gleichung (3.120) dargestellt ist, bleibt also
vollig außer Betracht. Die aus dieser Analyse herruhrende Last-Verschiebungskurve ist
ebenfalls in Abbildung (5.6) gezeichnet (gestrichelte Linie). Aus dem Vergleich mit den
zuvor beschriebenen Kurven wird ersichtlich, dass ohne Berucksichtigung der infolge der
Rissbildung auftretenden Steifigkeitsdegradation eine sehr steife effektive Schubsteifigkeit
zu verzeichnen ist. Ungeachtet der Rissbildung wird in diesem Beispiel stets von der vollen
Entfaltung der Schubsteifigkeit des Stahles fur das Komposit ausgegangen.
98 Kapitel 5: Verifizierung des Modells anhand von numerischen Beispielen
Kapitel 6
Validierung des Modells anhand von
Experimenten
Nachdem im vorangegangenen Kapitel die mechanischen Komponenten des entwickelten
Stahlbetonmodells anhand numerischer Beispiele auf Plausibilitat untersucht und die we-
sentlichen Leistungsmerkmale hervorgehoben wurden, werden die Zuverlassigkeit und Qua-
litat der Losungen mittels experimenteller Untersuchungen validiert. Dabei werden sowohl
bewehrte als auch unbewehrte Strukturen betrachtet. Im Hinblick auf unbewehrte Analy-
sen werden in erster Linie die hygro-mechanischen Interaktionen betrachtet, die aufgrund
ihrer langzeitigen Wirkung die maßgebenden Kriterien fur die Dauerhaftigkeit darstel-
len. Im Vordergrund der bewehrten Analysen steht das Zusammenwirken von Beton und
Stahl als Kompositmaterial. Um interaktive Mechanismen zwischen den Konstituierenden
akkurat zu beschreiben und ihren Einfluss auch auf das makroskopische Trag- und Ver-
formungsverhalten quantitativ zu erfassen, werden Zug-, Schub- und Biegeversuche mit
dem entwickelten Modell nachgerechnet. Dabei sind die infolge von Verbundversagen und
Dubelwirkung einhergehenden Spannungsumlagerungen und Steifigkeitsdegradationen von
besonderem Interesse. Auch auf die versteifende Wirkung des Betons bei gerissenen und
uberwiegend auf Zug beanspruchten Stahlbetonstrukturen soll kurz eingegangen werden.
Ziel dieses Kapitels ist nicht nur die Auswertung von Versagensmechanismen auf Struk-
turebene. Da im gegenwartigen Homogenisierungskonzept die Materialgesetze der ein-
zelnen Konstituierenden nach wie vor auf Materialpunktebene angewandt werden, ste-
hen auch lokale Informationen zur besseren Beurteilung der numerischen Ergebnisse zur
Verfugung.
99
100 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
6.1 Unbewehrte Strukturen
In diesem Abschnitt werden die wesentlichen hygro-mechanischen Komponenten des ent-
wickelten Modells aus Kapitel 3.1 anhand von Experimenten validiert. Dabei werden
gezielt die Kopplungen hinsichtlich des Feuchtetransports in Rissen sowie der Schwind-
und Kriechmechanismen betrachtet. Weitere thermo-hygro-mechanische Kopplungen wer-
den nicht untersucht, da der Fokus dieser Arbeit in der numerischen Entwicklung eines
Stahlbetonmodells liegt. Fur eine umfassende Validierung und Verifizierung des hygro-
mechanischen Modells in Bezug auf unbewehrten Beton sei auf [Grasberger 2002]
verwiesen.
Da das gegenwartige Modell im Rahmen der porosen Medien formuliert ist, ist die An-
wendung der Grundgleichungen nicht auf Beton beschrankt. Sollen andere porose Medien
als Beton betrachtet werden, ist hierfur lediglich die Kenntnis uber die maßgebenden
hygrischen Parameter erforderlich. Von daher wird im folgenden Beispiel der Feuchte-
transport in gerissenen Ziegelsteinen nachgerechnet. Anschließend werden umfangreiche
Schwind- und Kriechversuche an zylindrischen Betonproben numerisch und experimentell
ausgewertet, mit dem Ziel das Trocknungskriechen zu quantifizieren.
6.1.1 Feuchtetransport in gerissenen Ziegelsteinen
6.1.1.1 Messverfahren und experimentelle Durchfuhrung
In dieser Analyse wird die in Kapitel 3.1.2.1 beschriebene Modellierung der wichtigen
hygro-mechanischen Wechselwirkung validiert. Dabei soll die Tauglichkeit der vorgenom-
menen Erfassung des Feuchtetransports in Rissen aus Gleichung (3.29) uberpruft werden.
Am Institut fur Bauphysik der Universitat Leuven (Belgien) sind hierzu experimentelle
Untersuchungen durchgefuhrt worden. Durch glatte Schnitte wurden in getrockneten Pro-
bekorpern aus Ziegelsteinen vertikal verlaufende Risse induziert. Die Risse befanden sich
in der Mitte der Probekorper und wiesen eine Rissweite von w = 0.01 mm und w = 0.1 mm
auf. Die trockenen Probekorper mit den Dimensionen (80 · 80 mm2) wurden anschließend
an der Unterkante durch ein Wasserbad befeuchtet. Der hierdurch eingeleitete Feuchte-
transport infolge kapillaren Saugens wurde mittels Mikrofokus-Computertomographie zu
verschiedenen Zeiten aufgezeichnet und ausgewertet. Der Versuchsaufbau zur Visualisie-
rung des Wassertransports ist in Abbildung 6.1 schematisch dargestellt. Weitere Informa-
tionen uber die Versuchsdurchfuhrung und uber die Messtechnik konnen [Roels, Van-
dersteen & Carmeliet 2003] entnommen werden. Durch dieses Messverfahren werden
zwei wesentliche hygrische Aspekte untersucht. Zum einen wird anhand von gemessenen
Feuchtigkeitsprofilen der Transport innerhalb der ungerissenen Struktur visualisiert. Des
Weiteren werden Kenntnisse uber den beschleunigten Feuchtetransport innerhalb und in
der unmittelbaren Umgebung des Risses gewonnen. Beide Informationen werden zur Ab-
6.1 Unbewehrte Strukturen 101
L i n s e
g e r i s s e n e rP r o b e k ö r p e r
R ö n t g e n g e r ä t
K a m e r a
W a s s e r b e h ä l t e r
Abbildung 6.1: Versuchsaufbau zur Visualisierung des kapillaren Wassertransports [Roels,
Vandersteen & Carmeliet 2003]
sicherung der gegenwartigen hygro-mechanischen Komponente des Modells verarbeitet.
6.1.1.2 Hygrische Eingangsparameter
Die wesentlichen hygrischen Parameter zur Berechnung von Transportvorgangen in ei-
nem ungeschadigten porosen Medium sind die Kapillardruck-Sattigungs-Beziehung Sl(pc)
aus Gleichung (3.3), die initiale (kapillare) Porositat φ0 sowie die initiale und relative
Permeabilitat k0 und kr(Sl) aus Gleichung (3.22) und (3.23). In der gegenwartigen, rein
hygrischen Untersuchung tritt keine Veranderung des Porenraums auf, so dass kφ(φ) in
Gleichung (3.24) zu kφ(φ) = 1.0 gewahlt werden kann. Folglich lasst sich in dieser Analyse
die isotrope liquide Permeabilitat fur ein intaktes Material aus Gleichung (3.22) wie folgt
angeben
kpor = kr(Sl)k0. (6.1)
Aus experimentellen Untersuchungen sowie unter Annahme eines Porennetzwerkmodells
wird fur die Ziegelproben die liquide Permeabilitat kpor hergeleitet [Carmeliet, Des-
camps & Houvenaghel 1999; Roels, Vandersteen & Carmeliet 2003]. Im rech-
ten Graphen der Abbildung 6.2 sind die Ergebnisse des Porennetzwerkmodells uber den
Kapillardruck pc aufgetragen. Der in dieser Arbeit verwendete Ausdruck fur kr(Sl) aus
Gleichung (3.23) approximiert mit dem zugehorigen Parameter m = 0.7 sehr gut das
hygrische Verhalten des Ziegelsteins und wird fur die nachfolgenden Rechnungen ver-
wendet. Zur Beschreibung der zugehorigen Feuchtespeichereigenschaften des Ziegelsteins
wird die Feuchtespeicherfunktion ml(pc) = ρl φSl(pc) mit dem Druckplattenverfahren so-
102 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
Kapillardruck pc [Pa]
Wassergehaltm
l[kg/m
3]
1e+081e+071e+06100000100001000
160
140
120
100
80
60
40
20
0
ApproximationNetzwerk-Modell
Kapillardruck pc [Pa]
Permeabilitatkpor[m
2]
1e+101e+081e+0610000
1e-14
1e-16
1e-18
1e-20
1e-22
1e-24
1e-26
Abbildung 6.2: Maßgebende hygrische Eingangsparameter zur numerischen Untersuchung:
Feuchtespeicherfunktion (links), relative Permeabilitat (rechts)
wie mit dem Sorptionsverfahren experimentell bestimmt und mit einer Funktion vom van
Genuchten-Typ abgebildet
ml(pc) = msatl
2∑
i=1
li (1 + (ci pc)ni)
1−ni
ni (6.2)
(msatl = 157 kg/m3, l1 = 0.3, l2 = 0.7, c1 = 1.25 · 10−5, c2 = 1.8 · 10−5, n1 = 1.65, n2 =
6.0). Im linken Graphen der Abbildung 6.2 ist der Verlauf der Feuchtespeicherfunktion
ml(pc) dargestellt. Die sehr steilen Verlaufe in den hygroskopischen Kurven aus Abbildung
6.2 im Bereich von etwa pc = 0.1 MPa lassen auf eine rapide Anderung der hygrischen
Vorgange schließen. Dieses Stadium markiert den sogenannten kritischen Wassergehalt,
bei dem sich das Absorptionswasser allmahlich zu einer durchgehenden liquiden Phase
formiert. Hierdurch werden die Transportvorgange innerhalb des Porenraums wesentlich
beschleunigt [Roels, Carmeliet & Hens 1999]. In den Rechnungen wird im Bereich
pc = 0.1 MPa daher eine numerische Instabilitat erwartet. Eine feinere zeitliche Diskreti-
sierung ist bei so hohen Gradienten insofern unumganglich.
6.1.1.3 Experiment vs. numerische Analysen
In Abbildung 6.3 sind fur den Ziegelstein mit der Rissweite w = 0.01mm die Feuch-
tigkeitsverteilungen aus den Computertomographieaufnahmen mit den Finite-Elemente-
Ergebnissen zu unterschiedlichen Zeiten gegenubergestellt. Infolge der kapillaren Wirkung
wird Feuchtigkeit an der Unterkante des Ziegelsteins aufgesaugt und schreitet aufgrund
des Gradienten in die oberen trockenen Bereiche fort. Die mit dem gegenwartigen Modell
berechnete Verteilung der Porenfeuchtigkeit weist uber den gesamten Zeitraum eine gute
Ubereinstimmung mit den experimentellen Messungen auf. Lediglich die leichte Asymme-
trie infolge von Materialinhomogenitaten kann mit dem numerischen Modell nicht abge-
6.1 Unbewehrte Strukturen 103
E X P E R I M E N T
t = 6 min t = 15 min
t = 25 min t = 40 min
Abbildung 6.3: Gegenuberstellung der numerischen Simulation mit experimentellen Messun-
gen: Fortschritt der Feuchtigkeitsfront in der gerissenen Ziegelsteinprobe mit
der Rissweite w = 0.01 mm
bildet werden. Es sei angemerkt, dass aufgrund der relativ hohen liquiden Permeabilitat
kpor des Ziegelsteins der Feuchtigkeitstransport innerhalb des Ziegelmaterials sich wesent-
lich schneller als beispielsweise in Beton oder Mortel vollzieht. Abhangig von der Beton-
oder Mortelzusammensetzung kann es teilweise Jahre dauern, bis die Feuchtigkeit eine
Tiefe von wenigen Zentimetern erreicht [Reinhardt 1997].
Das Transportverhalten von Feuchtigkeit innerhalb des Risses wird in Abbildung 6.4 an-
hand der Wasserfront im Riss beschrieben. Die durchgezogenen Linien im linken Dia-
gramm geben die zeitliche Entwicklung der gemessenen Wasserfronten in den Rissen
w = 0.01 mm und w = 0.1 mm an. Die korrespondierenden Kurven aus den Finite-
Elemente-Analysen sind gestrichelt dargestellt. Der wichtige Einfluss der Rissbreite auf
die Transporteigenschaften ist deutlich zu erkennen. Wahrend in der Ziegelsteinprobe mit
der Rissbreite w = 0.1 mm das Wasser innerhalb des Risses bereits nach wenigen Se-
kunden die Oberkante der Struktur in 80 mm Hohe erreicht, stellt sich dieser Zustand
in der Ziegelsteinprobe mit w = 0.01 mm erst nach etwa 5500 Sekunden ein. In beiden
Experimenten wird zudem beobachtet, dass eine weitere Fließrichtung senkrecht zu den
Rissflachen maßgebend wird, die bei der Ziegelsteinprobe mit w = 0.1 mm wesentlich
ausgepragter ist. Da der Ziegelstein wahrend des gesamten Experiments in einem Wasser-
behalter steht, befeuchtet der wassergesattigte Riss seine unmittelbare Umgebung [Ro-
els, Vandersteen & Carmeliet 2003]. Demnach fungiert der wassergesattigte Riss
als eine zusatzliche Wasserflache, wodurch der Befeuchtungsprozess innerhalb der gesam-
104 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
numerische Analyse
Messungen
w = 0.01mm
w = 0.1mm
Zeit [s]
Hoheder
Wasserfront[m
m]
6000500040003000200010000
80
70
60
50
40
30
20
10
0
numerische Analyse
Messungen
w = 0.01mm
w = 0.1mm
Zeit [s]
Wassergehaltm
l[kg/m]
6000500040003000200010000
1
0.8
0.6
0.4
0.2
0
Abbildung 6.4: Validierung des Feuchtigkeitstransports in gerissenen Ziegelsteinen mit den
Rissweiten w = 0.01 mm und w = 0.1 mm
ten Ziegelsteinprobe beschleunigt wird. Der gemessene Wassergehalt ml aus Abbildung
6.4 bestatigt diese Beobachtung. Im rechten Graphen ist fur die untersuchten Ziegelstein-
proben die zeitliche Entwicklung der “aufgesaugten“ Gesamtwassermengen dargestellt.
Der stationare Sattigungszustand1, bei dem der gesamte (verbundene) Porenraum des
Probekorpers gesattigt ist und eine weitere Wasseraufnahme daher nicht mehr moglich
ist, wird in dem Versuch mit w = 0.1 mm etwa doppelt so schnell erreicht wie in dem Ver-
such mit der kleineren Rissbreite w = 0.01 mm. Da in der Ziegelsteinprobe mit w = 0.1
mm die Wasserfront im Riss bereits in den ersten Sekunden die Strukturhohe von 80 mm
erreicht, tritt entlang der Rissflachen bereits fruh ein zusatzlicher Feuchtestrom in die
Ziegelmatrix ein, so dass der stationare Sattigungszustand hierdurch wesentlich schneller
erreicht wird. In der Ziegelsteinprobe mit der Rissbreite w = 0.01 mm hingegen stellt sich
der stationare Sattigungszustand ungefahr erst dann ein, wenn die Wasserfront die Ober-
kante der Struktur erreicht. Sowohl die berechnete Feuchteverteilung in der Umgebung
des Risses als auch die zeitlichen Entwicklungen des totalen Wassergehalts und der Hohe
der Wasserfront zeigen eine gute Ubereinstimmung mit den experimentellen Messungen.
6.1.1.4 Diskussion
Die vorgestellten numerischen Analysen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die im
Riss vorliegende Permeabilitat kcrack aus Gleichung (3.25). Da die Rissoberflachen der
Ziegelsteinproben im Vergleich zu Beton eine deutlich großere Wasserdurchlassig aufwei-
sen, verhalt sich der Feuchtetransport nicht wie das vorausgesetzte kubische Fließgesetz
gemaß Poiseuille aus Gleichung (3.27), in dem die Rissflachen als wasserundurchlassige
Platten idealisiert werden. In [Roels, Vandersteen & Carmeliet 2003] wird daher
1Der stationare Sattigungszustand ist durch den maximalen Wassergehalt msatl = 157 kg/m3 aus
Gleichung (6.2) gegeben. Bezogen auf die gegenwartigen Ziegelsteinproben mit den Dimensionen 0.08 · 0.08m2 wird msat
l in Abbildung 6.4 mit 157 · 0.08 · 0.08 = 1.0 kg/m angegeben.
6.1 Unbewehrte Strukturen 105
der Feuchtetransport entlang des Risses durch eine weitere Fließkomponente berucksich-
tigt, die vom diskreten Riss in die umgebende Matrix gerichtet ist. Die fur die numerischen
Analysen kalibrierte Permeabilitat kcrack kann in der gegenwartigen Modellbildung unter-
schiedlich formuliert und interpretiert werden.
Zwar kann unter Verwendung des Tortuositats- bzw. Rauigkeitsfaktors R aus Gleichung
(3.28) eine aquivalente Rissweite wh berechnet werden, mit der das hygrische Verhalten
realitatsnah wiedergegeben wird. Jedoch andert sich dadurch die physikalische Interpre-
tation der Rissweite wh. Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels angesprochen, wurden
in dieser Experimentreihe glatte und parallele Risse (konstante Rissweiten) untersucht.
Physikalisch betrachtet, mussten in Gleichung (3.28) daher die initiierten Rissweiten w
mit den hydraulischen Rissweiten wh gleichgesetzt werden (w = wh). Unter Verwendung
des Tortuositats- bzw. Rauigkeitsfaktors R jedoch weicht, obwohl glatte und parallele
Risse betrachtet werden, die aquivalente Rissweite wh von der tatsachlichen Rissweite w
ab. Eine Kalibrierung des Parameters R beschreibt in diesem Fall indirekt die verzogerte
Fließrichtung entlang des Risses aufgrund der Durchlassigkeit der Rissflachen.
Damit die wesentlichen Gleichungen, aus denen sich die Permeabilitat kcrack zusammen-
setzt, auch fur wasserdurchlassige Rissflachen weiterhin unverandert verwendet werden
konnen, wird in Anlehnung an [Fauchet, Coussy, Carrere & Tardieu 1991; Rein-
hardt 1997; Aldea, Ghandehari, Shah & Karr 2000] der Feuchtestrom inner-
halb eines Risses durch einen Korrekturfaktor abgemindert. Der idealisierte Poiseuille-
Feuchtestrom aus Gleichung (3.27) lasst sich somit mit
qh = ξ q (6.3)
angeben. Der in dieser Arbeit verwendete Korrekturfaktor 0 ≤ ξ ≤ 1 berucksichtigt dabei
den Feuchtetransport senkrecht zu den Rissflachen, der vor allem bei Materialien maßge-
bend wird, die eine hohe initiale Permeabilitat k0 aufweisen. Verhalten sich die Rissflachen
in etwa wie wasserundurchlassige Platten, wie beispielsweise in Beton, so kann der Kor-
rekturfaktor ξ = 1.0 gewahlt werden, und das kubische Poiseuille-Fließgesetz und die
Abschatzung der hydraulischen Rissweite aus Gleichung (3.28) bleiben unverandert. Be-
sitzt das porose Material jedoch eine sehr hohe initiale Permeabilitat, findet keine Aus-
pragung der Fließrichtung innerhalb des Risses statt, da sich die Fließeigenschaften im
intakten und im gerissenen Material kaum voneinander unterscheiden. In diesem Fall kann
ξ = 0 gesetzt werden. Wie bereits die Untersuchungen aus dem vorherigen Kapitel auf-
zeigen, ist die liquide initiale Permeabilitat der untersuchten Ziegelsteinproben um einige
Großenordnungen hoher als die des Betons oder des Mortels. Daher ist die Annahme von
wasserundurchlassigen Rissflachen (ξ = 1.0) nicht zutreffend. Die vorgestellten numeri-
schen Ergebnisse aus Kapitel 6.1.1.3 basieren auf ξ = 0.1 fur die Ziegelsteinprobe mit
w = 0.01 mm und ξ = 0.25 fur das Beispiel mit w = 0.1 mm. Aus dem Vergleich der Kor-
rekturfaktoren wird ersichtlich, dass in Ziegelsteinen der Feuchtefluss innerhalb des Risses
mit zunehmender Rissbreite dem kubischen Poiseuille-Fließgesetz folgt. Es sind jedoch
106 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
w = 0.1 mm
w = 0.01 mm
(intakt)w = 0 mm
Kapillardruck pc [Pa]
NormiertePermeabilitatk/k
0[–]
1e+071e+0610000010000
10000
100
1
0.01
0.0001
1e-06
1e-08
Abbildung 6.5: Normierte Permeabilitaten k/k0 der ungerissenen Matrix (w = 0 mm) und
der Permeabilitaten im Riss (w = 0.01, w = 0.1 mm) vs. Kapillardruck pc
weitere Untersuchungen insbesondere im Zusammenhang mit rauen und unebenen Rissen
erforderlich, um die Fließeigenschaften innerhalb eines Ziegelsteins besser zu bewerten.
Abschließend werden in Abbildung 6.5 die zu den Rissweiten w = 0.01 mm und w = 0.1
mm korrespondierenden Permeabilitaten kcrack aus den numerischen Simulationen ge-
meinsam mit der liquiden Permeabilitat kpor des intakten Ziegelsteins (w = 0 mm) ge-
genubergestellt. In der Abbildung sind diese mit der initialen Permeabilitat k0 skaliert
und in der Komponentendarstellung visualisiert. Die Ziegelsteinprobe mit der Rissweite
w = 0.01 mm weist in dem relevanten Bereich des Kapillardrucks in etwa die gleichen
hygrischen Eigenschaften auf wie das ungeschadigte Ziegelmaterial. Diese Beobachtung
wird auch in den Feuchtigkeitsprofilen aus Abbildung 6.3 und durch den relativ kleinen
Korrekturfaktor ξ = 0.1 bestatigt. Fur die Rissweite w = 0.1 mm hingegen steigt die
Permeabilitat und somit der Feuchtefluss im Riss um ein Vielfaches an. Werden fur den
gesattigten Zustand (pc = 0 MPa) die Permeabilitaten im gerissenen Zustand ausgewer-
tet, so ist bei w = 0.01 mm etwa eine 7-fache und bei w = 0.1 mm etwa eine 25000-fache
Steigerung gegenuber der initialen Permeabilitat zu verzeichnen. Solche Großenordnungen
werden ebenfalls in [Reinhardt 1997; Oshita & Tanabe 2000; Aldea, Ghandeha-
ri, Shah & Karr 2000] beobachtet. Der immense Zuwachs bei w = 0.1 mm verdeutlicht
die Wichtigkeit dieser hygro-mechanischen Wechselwirkung, die fur eine realistische Be-
schreibung von Transportprozessen unerlasslich ist.
6.1 Unbewehrte Strukturen 107
h/2 = 500 m
m
r = 8 0 m m
s
Civeaux B11 Civeaux BHP Penly
E-Modul Em [MPa] 33700 36700 36200
Querkontraktion νm [–] 0.248 0.245 0.19
Druckfestigkeit fcu [MPa] 40.2 64.5 34.3
Zugfestigkeit ftu [MPa] 3.7 3.8 3.4
Betondichte ρ [kg/m3] 2334 2376 2276
Initiale Porositat φ0 [–] 0.146 0.127 0.15
Uniaxiale Belastung σ [MPa] 10 12 12
Umgebung Initiale Bedingungen
Temperatur T [C] 20± 1 20
Relative Feuchtigkeit RH [%] 50 ± 5 ≈ 100
Abbildung 6.6: Materialparameter, Geometrie und Randbedingungen der drei untersuchten
Beton-Zylinderproben [Granger 1996]
6.1.2 Kriech- und Schwindversuche an Zylinderproben
6.1.2.1 Experimentelle Durchfuhrung und Randbedingungen
In diesem Abschnitt wird die hygro-mechanische Komponente des entwickelten Modells
aus Kapitel 3.1.5 im Hinblick auf langzeitige Verformungen infolge von Trocknungs-
schwinden und Kriechen validiert. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Ermittlung der
Schwind- und Kriechverformungen, mit dem Ziel das Trocknungskriechen (Pickett-Effekt)
zu quantifizieren. Hierzu werden mehrere experimentelle Auswertungen herangezogen, die
in [Granger 1996] dokumentiert sind. Die Messungen sind an 28 Tage alten zylindri-
schen Betonprobekorpern vorgenommen worden, die wahrend der gesamten Versuchs-
dauer unter isothermen Konditionen (T = 20C ± 1C) einer relativen Luftfeuchtigkeit
von RH = 50% ± 5% ausgesetzt waren. Es wurden dabei drei Betonproben von unter-
schiedlicher Zusammensetzung untersucht. Diese werden in der Arbeit von [Granger
1996] mit “Civeaux B11”, “Civeaux BHP” sowie “Penly” bezeichnet und weisen unter-
schiedliche mechanische und hygrische Materialeigenschaften auf, die der Tabelle in Ab-
bildung 6.6 entnommen werden konnen. Um verlassliche Messungen zu erhalten, wurden
die Probekorper zuvor hygrisch versiegelt, damit wahrend des Hydratationsprozesses kei-
ne Austrocknung stattfindet. Fruhzeitige Verformungen, die dem chemischen Schwinden
zuzuschreiben sind, werden von den gemessenen totalen Schwindverformungen abgezogen,
da in der gegenstandlichen Arbeit das Trocknungsschwinden im Fokus steht.
Die experimentellen Auswertungen hinsichtlich des Wasserverlusts wurden an gesattigten
108 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
zylindrischen Proben mit den Dimensionen 16 · 15 cm2 (Durchmesser · Hohe) vorgenom-
men, die an der Mantelflache zu trocknen beginnen. Um einen radialen Feuchtigkeitsfluss
zu gewahrleisten, wurden beide Enden der Proben versiegelt. Die Messungen hinsicht-
lich der Schwind- und Kriechverformungen erfolgten an zylindrischen Proben mit den
Dimensionen 16 · 100 cm2 (Durchmesser · Hohe). Um Ungenauigkeiten in den Messun-
gen zu reduzieren, erfolgte die Ablesung der Verformungen an der Mantelflache in der
Mitte der Struktur. Der zeitliche Verlauf des Wasserverlusts und die Schwindverformun-
gen wurden an (mechanisch) unbelasteten Probekorpern gemessen. Zur Ermittlung der
Kriechverformungen hingegen wurde eine konstante Spannung auf zwei identische Pro-
bekorper aufgebracht, von denen ein Probekorper vollstandig hygrisch versiegelt war, um
die gemessenen Verformungen dem Grundkriechen zuzuordnen. Die mechanische Bela-
stung sowie die Umgebungs- und Initialbedingungen sind in Abbildung 6.6 zusammen-
gefasst. Aufgrund der isothermen Bedingungen tritt kein Temperaturgradient innerhalb
der Struktur auf. Basierend auf dem entwickelten hygro-mechanischen Modell aus Kapitel
3.1.3 und dem Kriechmodell aus Kapitel 3.1.5.3 werden im Rahmen der Finite-Elemente-
Methode die Schwind- und Kriechversuche nachgerechnet. Zu Beginn der Simulation wird
an der austrocknenden Mantelflache der Struktur ein hoher Feuchtigkeitsgradient erwar-
tet. Daher wird in diesem Bereich eine feinere Vernetzung gewahlt. Die Diskretisierung
des zylindrischen Probekorpers mit 8-knotigen Volumenelementen ist unter Ausnutzung
der Symmetrieeigenschaften ebenfalls in Abbildung 6.6 dargestellt.
6.1.2.2 Ermittlung der hygrischen Eingangsparameter anhand von Austrock-
nungsversuchen
Eine wesentliche Kenngroße poroser Medien ist die Feuchtespeicherfunktion ml(pc) =
ρl φSl(pc). Da fur die gegenstandlichen Betonsorten keine Informationen zu den Feuch-
tespeichereigenschaften vorliegen, wird in der Referenzliteratur [Granger 1996] eine
hyperbolische Beschreibung vorgeschlagen
h(ml) = 1− 0.5 ·[ml −m0
l
m0l −meq
l
]2
, (6.4)
die an einem ahnlichen Beton aus experimentellen Untersuchungen hergeleitet wurde
[Pihlajavaara 1982]. Der Parameter h beschreibt die Porenfeuchtigkeit. Mit dem Was-
sergehaltm0l wird die Menge an Wasser im Initialzustand und mitmeq
l die Wassermenge im
Civeaux B11 Civeaux BHP Penly
Initaler Wassergehalt m0l [kg/m3] 128.8 110.7 132.7
Gleichgewichts-Wassergehalt meql [kg/m3] 58.8 67.9 62.1
Tabelle 6.1: Wassergehalte der untersuchten Betonproben im Initialzustand sowie im hygri-
schen Gleichgewichtszustand bei RH = 50% [Granger 1996]
6.1 Unbewehrte Strukturen 109
Penly
Civeaux BHP
Civeaux B11
Kapillardruck pc [MPa]
Permeabilitatkpor[m
2]
200150100500
1e-21
1e-22
1e-23
1e-24
Penly
Civeaux B11
Civeaux BHP
Zeit [Tag]
Wasserverlust
[%]
1000100101
3.5
3
2.5
2
1.5
1
0.5
0
Abbildung 6.7: Hygrische Eigenschaften der untersuchten Probekorper: Kalibrierte liquide
Permeabilitat (links) anhand von numerischen Nachrechnungen des Wasser-
verlustes (rechts)
Gleichgewichtszustand angegeben, die zu der relativen Umgebungsfeuchtigkeit RH = 50%
korrespondiert. Die gemessenen Wassermengen fur die untersuchten Betonsorten sind in
[Granger 1996] angegeben und in Tabelle 6.1 zusammengefasst. Es soll an dieser Stelle
betont werden, dass sich die angegebenen Wassergehalte in Tabelle 6.1 auf das freie und
ungebundene Wasser innerhalb der Porenstruktur beziehen. Werden die initialen Wasser-
mengen m0l = ρl φ0 Sl mit den angegebenen initialen Porositaten φ0 aus Abbildung 6.6
ausgewertet, so kann zu Beginn der Messungen eine liquide Porenraumsattigung Sl von
etwa 88% fur alle drei Betone angenommen werden.
Da fur Porenfeuchtigkeiten im Bereich von 0.4 ≤ h ≤ 1 der hygrische Zustand maßgeblich
durch die Kapillarwirkung gekennzeichnet ist [Carmeliet & Abeele ; Cerny & Rov-
nanıkova 2002], kann Gleichung (6.4) uber das Gesetz von Kelvin in die erforderliche
Feuchtespeicherfunktion ml(pc) umgerechnet werden
ln(h) = − pcMv
ρl Rv T(6.5)
[Mv = 0.018 kg/mol, ρl = 1 · 10−6 kg/mm3, T = 293K, Rv = 8.315 · 103 (Nmm)/(Kmol)].
Fur die gegenstandlichen Betonsorten liegen des Weiteren keine Informationen uber die
hygrische Durchlassigkeit vor. Daher werden ausgehend von Austrocknungsversuchen die
Permeabilitaten abgeschatzt. Fur die relative Permeabilitat werden fur alle drei Beton-
sorten der Ansatz aus Gleichung (3.23) gewahlt, wobei der materialspezifische Parameter
m entsprechend [Baroghel-Bouny, Mainguy, Lassabatere & Coussy 1999] fur
Normalbeton mit m = 0.4396 angesetzt wird. Die fehlenden initialen Permeabilitaten
k0 der untersuchten Betone werden mithilfe von Austrocknungsversuchen kalibriert. Im
rechten Graphen der Abbildung 6.7 ist die experimentelle Auswertung des gemessenen
Wasserverlusts fur die drei Betone uber die Zeit aufgetragen. Die Kurven stellen dabei die
110 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
t=4.3 Jahre
t=2 Jahre
t=1 Jahr
t=7 Monate
t=2 Monate
t=5 Tage
t=0
Radius r [mm]
Porenfeuchtigkeith
[-]
80706050403020100
1
0.9
0.8
0.7
0.6
0.5
Abbildung 6.8: Evolution der relativen Porenfeuchtigkeit innerhalb des Probekorpers Civeaux
BHP anhand von numerischen Analysen
numerischen Auswertungen dar, die mit den Werten aus Tabelle 6.2 erzielt werden. Wie
erwartet, trocknet der Beton mit der hochsten Porositat φ0 und dem großten initialen
Wassergehalt m0l am starksten (“Penly”). Die fur die nachfolgenden Rechnungen verwen-
deten Permeabilitaten kpor sind unter Einbeziehung von k0 und ml(pc) im linken Graphen
der Abbildung 6.7 veranschaulicht.
Um einen Einblick in die hygrischen Transportmechanismen innerhalb des Porenraums zu
erhalten, ist in Abbildung 6.8 fur den Beton “Civeaux BHP” die Feuchtigkeitsverteilung
entlang des Radius fur unterschiedliche Zeitpunkte numerisch ausgewertet. Die schnelle
Abnahme der Porenfeuchtigkeit h an der Oberflache der Zylinderprobe zu Beginn der
Austrocknung ruft einen hohen Gradienten innerhalb der Struktur hervor, so dass sich
innerhalb der Struktur eine ungleichformige Feuchtigkeitsverteilung einstellt. Nach etwa
4.3 Jahren klingt der Gradient ab und der initiale Wassergehalt m0l = 110.7 kg/m3 sinkt
auf den Gleichgewichts-Wassergehalt meql = 67.9 kg/m3. Die Porenfeuchtigkeit und die
relative Umgebungsfeuchtigkeit von RH = 50% stehen dann in einem hygrischen Gleich-
gewicht. In den numerischen Analysen in [Granger 1996] wird fur diesen Beton der
stationare Zustand etwa mit 5 Jahren angegeben. Diese Abweichung ist vermutlich auf
die unterschiedlichen verwendeten relativen Permeabilitaten kr(Sl) zuruckzufuhren.
Civeaux B11 Civeaux BHP Penly
Initiale Permeabilitat k0 [10−21 m2] 3.0 1.0 3.5
Tabelle 6.2: Kalibrierte initiale Permeabilitat k0 anhand von Messungen des Wasserverlusts
6.1 Unbewehrte Strukturen 111
6.1.2.3 Trocknungsschwinden und Grundkriechen
Die Modellierung der Schwindverformungen basiert in dieser Arbeit auf dem Konzept der
effektiven Spannungen (siehe Kapitel 3.1.4). Verformungen infolge von Wasser- und Feuch-
tigkeitsumlagerungen innerhalb des Porenraums werden anhand des Kapillardrucks pc be-
schrieben, welcher auf die Matrix des porosen Materials wirkt. Die hygrisch-induzierten
Spannungen σpc, die die Schwindverformungen hervorrufen, konnen und unter Einbezie-
hung der Gleichungen (3.47) und (3.49) wie folgt beschrieben werden
σpc =
[
1− ψK
Ks
] ∫
pc
Sl(pc) dpc 1− bppc 1. (6.6)
Die Auswertung der obigen Gleichung im Rahmen dieser numerischen Untersuchung er-
gab, dass neben der Sl(pc)-Kurve die maßgebende Einflussgroße in Bezug auf Schwindver-
formungen der elastische Biot-Koeffizient b aus Gleichung (3.42) bzw. das Verhaltnis der
Kompressionsmoduli K/Ks ist. Die in [Grasberger 2002] verwendete Abschatzung fur
K/Ks mit K/Ks = (1 − φ0)3 liefert jedoch keine zufriedenstellenden Losungen hinsicht-
lich der auftretenden Schwindverformungen. Daher wird in der gegenwartigen numerischen
Analyse der Wert K/Ks fur jeden Beton anhand der gemessenen Schwindverformungen
kalibriert. In Tabelle 6.3 sind diese Werte zusammengefasst. Die entsprechenden gemesse-
nen und berechneten Schwindverformungen sind in der linken Spalte der Abbildung 6.9 fur
die drei untersuchten Betone dargestellt. Die Schwindverzerrungen, die in den ersten 500
Tagen an den Betonproben “Civeaux B11” und “Penly” gemessen wurden, unterscheiden
sich ein wenig von den numerischen Ergebnissen. Die Gestalt der numerisch berechneten
Kurven wird maßgeblich anhand der hygrischen Spannungen σpc uber die Kapillardruck-
Sattigungs-Kurve Sl(pc) bestimmt, wohingegen die maximalen Schwindverformungen vom
Verhaltnis K/Ks abhangen. Verliert im Laufe der Zeit der Feuchtegradient innerhalb des
Probekorpers an Bedeutung (siehe Abbildung 6.8), so nimmt die Rate der Schwindver-
zerrungen ebenfalls ab. Ein stationarer Zustand in den Schwindverformungen stellt sich
ein, sobald ein hygrisches Gleichgewicht mit der Umgebung erreicht ist.
Zur Bestimmung der Verformungen betreffend des Grundkriechens wurden versiegelte
Zylinderproben mit einer konstanten Spannung belastet. Die fur das verwendete Kriech-
gesetz aus Kapitel 3.1.5.3 erforderlichen Parameter konnen direkt aus den Messungen
hergeleitet werden [Bazant, Hauggaard, Baweja & Ulm 1997]. Aus der viskosen
Verformung ηf aus Gleichung (3.61) lasst sich die Nachgiebigkeit der Kriechverformungen
Civeaux B11 Civeaux BHP Penly
Verhaltnis K/Ks [–] 0.25 0.48 0.45
Tabelle 6.3: Kalibrierte Kompressionsmoduli anhand von Schwindversuchen
112 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
Simulation
Messungen
C i v e a u x B11
Zeit [Tage]
Schwindverzerrungen
[10−6]
25002000150010005000
700
600
500
400
300
200
100
0
Simulation
Messungen
C i v e a u x B11
Zeit [Tage]
Grundkriechen
ε[10-6]
10001001010.1
700
600
500
400
300
200
100
0
Simulation
Messungen
C i v e a u x BHP
Zeit [Tage]
Schwindverzerrungen
[10−6]
25002000150010005000
700
600
500
400
300
200
100
0
Simulation
Messungen
C i v e a u x BHP
Zeit [Tage]
Grundkriechen
ε[10-6]
10001001010.1
700
600
500
400
300
200
100
0
Simulation
Messungen
P e n l y
Zeit [Tage]
Schwindverzerrungen
[10−6]
25002000150010005000
700
600
500
400
300
200
100
0
Simulation
Messungen
P e n l y
Zeit [Tage]
Grundkriechen
ε[10-6]
10001001010.1
700
600
500
400
300
200
100
0
Abbildung 6.9: Vergleich der numerischen Ergebnisse mit experimentellen Messungen fur drei
verschiedene Betone: Schwindverformungen (links) und Verformungen infolge
Grundkriechen (rechts)
in Ratenform angeben
J =dJ
dt=
1
σεf =
1
ηf= 2H−1 1
t, (6.7)
6.1 Unbewehrte Strukturen 113
Kalibrierung J
Messungen
J = 2H−1/t ≈ 3.937/t
C i v e a u x BHP
Zeit t [Tage]
Rateder
Nachgieb
igkeit
der
KriechverformungendJ/d
t[10−
6/(MPad)]
1000010001001010.10.010.001
100000
10000
1000
100
10
1
0.1
0.01
0.001
0.0001
Abbildung 6.10: Numerische Analyse vs. Messungen: Rate der Nachgiebigkeit der Kriechver-
formungen (Grundkriechen) des untersuchten Betons “Civeaux BHP”
die sich auch direkt aus den Auswertungen der Grundkriechversuche ableiten lasst. Fur
den Beton “Civeaux BHP” sind die gemessenen Verformungen uber die Beziehung εf/σ in
J umgerechnet und in einer doppel-logarithmischen Skala in Abbildung 6.10 dargestellt.
Aus dem Diagramm lasst sich der Parameter H durch Kalibrierung direkt ablesen [Ser-
combe, Hellmich, Ulm & Mang 2000]. Fur die Betone “Civeaux B11” und “Penly”
werden ebenfalls die Nachgiebigkeiten der Kriechverformungen gezeichnet und die zu-
gehorigen Parameter H aus dem Diagramm abgegriffen. Diese sind fur die drei Betone in
Tabelle 6.4 zusammengefasst und werden fur die nachfolgenden Rechnungen verwendet.
Die aus dem Kriechmodell herruhrenden Verformungen an versiegelten Proben (Grund-
kriechen) und die zugehorigen numerischen Simulationen konnen der rechten Spalte der
Abbildung 6.9 fur die drei untersuchten Betone entnommen werden. Mit dem gegenwarti-
gen Modell werden die experimentellen Messdaten uber den gesamten Zeitraum sehr gut
beschrieben.
Civeaux B11 Civeaux BHP Penly
Kriechparameter H [106MPa] 0.197 0.508 0.259
Tabelle 6.4: Kalibrierte Modellparameter anhand von Experimenten mit Grundkriechen
114 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
cracking
intrinsisch
Trocknungsschwinden
Grundkriechen
Zeit [Tage]
Verzerrungen[10−
6]
2000150010005000
1400
1200
1000
800
600
400
200
0
Abbildung 6.11: Numerische Analyse vs. Messungen: Anteile der Schwind- und Kriechverfor-
mungen des untersuchten Betons “Civeaux BHP”
6.1.2.4 Identifikation des Trocknungskriechens
Die zusatzlichen Verformungen, die in einem belasteten Probekorper bei gleichzeitiger
Austrocknung auftretenden (Trocknungskriechen), werden in diesem Abschnitt fur die
drei untersuchten Betonsorten identifiziert und in ihre intrinsischen und strukturellen
(“cracking”) Anteile zerlegt (siehe Kapitel 3.1.5.2). Da bislang fur die Quantifizierung
dieser Anteile kein geeignetes Messverfahren vorhanden ist, werden hierzu mit dem ge-
genwartige Modell numerische Simulationen durchgefuhrt.
Zur Ermittlung des strukturellen Anteils (“cracking”) werden die zuvor betrachteten
Schwindversuche aus Abbildung 6.9 unter den vorgeschriebenen konstanten Spannun-
gen aus den Kriechversuchen erneut berechnet, wobei jedoch im Modell die Kriechme-
chanismen deaktiviert werden. Die dadurch gewonnenen Verformungen beschreiben den
Schwindvorgang unter einer konstanten Druckbelastung. Es sei an dieser Stelle angemerkt,
dass diese berechneten Verformungen rein hypothetischer Natur sind, da sie trotz einer
Druckbelastung keine Kriechverformungen beinhalten. Mit dieser Vorgehensweise wird
das Uberdrucken der Oberflachenrisse wahrend des Austrocknungsprozesses berucksich-
tigt, was bei regularen Schwindversuchen (ohne mechanische Belastung) nicht auftritt.
Die Differenz zwischen den Verformungen, die aus diesen numerischen Untersuchungen
herruhren, und den gemessenen Schwindverformungen aus Abbildung 6.9 lasst sich als
struktureller Anteil (“cracking”) des Trocknungskriechens (Pickett-Effekts) interpretie-
ren. Es sei angemerkt, dass selbst in den druckbelasteten Probekorpern Oberflachenrisse
auftreten konnen [Sicard, Francois, Ringot & Pons 1992].
6.1 Unbewehrte Strukturen 115
cracking
intrinsisch
Trocknungs-schwinden
Grundkriechen
Zeit [Tage]
Verzerrungen[10−
6]
2000150010005000
2000
1500
1000
500
0
Abbildung 6.12: Numerische Analyse vs. Messungen: Anteile der Schwind- und Kriechverfor-
mungen des untersuchten Betons “Civeaux B11”
Die Identifikation des intrinsischen Anteils des Trocknungskriechens erfolgt anhand ei-
ner inversen Untersuchung. Die intrinsische Komponente wird erhalten, wenn von den
Gesamtverformungen, die an einem druckbelasteten und austrocknenden Probekorper ge-
messen werden, die Verformungen infolge (druckbelasteten aber versiegelten) Grundkrie-
chens, die Verformungen infolge (unversiegelten) Trocknungsschwindens und die zuvor
bestimmten “cracking”-Verformungen abgezogen werden.
In den Abbildungen 6.11, 6.12 und 6.13 sind die gemessenen Schwind- und Kriechverfor-
mungen mit den numerischen Ergebnissen entsprechend ihrer Anteile fur jeden untersuch-
ten Beton gegenubergestellt. Die Ergebnisse weichen von den experimentellen Messungen
vor allem im Anfangsstadium ab, wobei das langzeitige Verhalten als zufriedenstellend be-
wertet wird. Die relativ großen Abweichungen, die im Beton “Civeaux B11” (Abbildung
6.12) zu verzeichnen sind, konnen moglicherweise aus Ungenauigkeiten in den Messungen
herruhren, die in [Benboudjema, F.Meftah & Torrenti 2001] thematisiert werden.
Was den strukturellen Anteil des Pickett-Effekts anbelangt, so steigt dieser in den ersten
Tagen rapide an und stagniert bei einem nahezu konstanten Wert. Ein ahnlicher Verlauf
wird auch in [Granger 1996; Bazant, Hauggaard & Baweja 1997] bestatigt und
tragt der Tatsache Rechnung, dass infolge des hohen hygrischen Gradienten zu Beginn
des Austrocknungsprozesses die Rissinitiierung vonstatten geht. Fur die drei untersuch-
ten Betone wird der strukturelle Verzerrungsanteil des Trocknungskriechens zwischen 75
µm/m und 157 µm/m identifiziert. Dieser macht bis zu 50% der elastischen Verformungen
aus. Eine gleiche Großenordnung wird fur die gegenstandlich untersuchten Betone auch
in [Granger 1996; Benboudjema, Meftah & Torrenti 2005a] angegeben.
116 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
cracking
intrinsisch
Trocknungsschwinden
Grundkriechen
Zeit [Tage]
Verzerrungen[10−
6]
2000150010005000
2000
1500
1000
500
0
Abbildung 6.13: Numerische Analyse vs. Messungen: Anteile der Schwind- und Kriechverfor-
mungen des untersuchten Betons “Penly”
Aus den numerischen Simulationen geht des Weiteren hervor, dass der intrinsische Anteil
des Trocknungskriechens in etwa die gleiche Großenordnung wie der strukturelle Anteil
aufweist. Fur die untersuchten Betone sind die Maximalwerte der intrinsischen sowie der
strukturellen Verformungen basierend auf den numerischen Losungen in Tabelle 6.5 ge-
genubergestellt. Anscheinend unterschatzt das gegenwartige Kriechmodell im Rahmen
der effektiven Spannungen insbesondere im Anfangsstadium den intrinsischen Anteil des
Trocknungskriechens. Da sich hygrische Prozesse in zementgebundenen Materialien sehr
langsam vollziehen, nimmt die Feuchtigkeit erst in einem fortgeschrittenen Stadium Ein-
fluss auf die intrinsische Komponente des Pickett-Effekts. Daher nimmt in allen numeri-
schen Analysen die intrinsische Verformung mit der Zeit stetig zu. Hinsichtlich des langzei-
tigen Verformungsverhaltens werden die numerischen Auswertungen als zufriedenstellend
bewertet.
Civeaux B11 Civeaux BHP Penly
struktureller Anteil [µm/m] 75 81 157
intrinsischer Anteil [µm/m] 128 57 86
Tabelle 6.5: Maximale Verzerrungen infolge Trocknungskriechens basierend auf Simulations-
rechnungen
6.1 Unbewehrte Strukturen 117
t = 963 Tage
t = 363 Tage
t = 63 Tage
t = 5 Taget = 30 Stunden
Radius r [mm]
plastischeeff
ektive
Span
nungenσ′[M
Pa]
80706050403020100
5
0
-5
-10
-15
-20
-25
Abbildung 6.14: Zeitlicher Verlauf der plastisch effektiven Spannungen σ′ in Richtung der
Zylinderachse uber den Radius r (Civeaux BHP)
6.1.2.5 Spannungs- und Verzerrungsverteilungen
Um bessere Einblicke in hygro-mechanische Prozesse zu gewinnen, werden in diesem Ab-
schnitt die Spannungen und die Verzerrungen innerhalb der Betonprobekorper genauer
untersucht. Dazu werden mit den numerischen Simulationen Spannungs- und Verzerrungs-
profile ausgewertet. Da sich die Verlaufe der untersuchten Betone aufgrund der gleichen
Randbedingungen qualitativ kaum voneinander unterscheiden, wird nachfolgend stellver-
tretend fur alle Analysen der Beton “Civeaux BHP” betrachet.
In Abbildung 6.14 ist der zeitliche Verlauf der plastisch effektiven Spannungen σ′ in Rich-
tung der Zylinderachse dargestellt. Hierbei wird ein Schnitt entlang des Radius betrachtet.
Die Verlaufe werden aus der Analyse bestimmt, in der der Zylinderprobekorper mit ei-
ner konstanten mechanischen Spannung von σ = 12 MPa belastet wird und gleichzeitig
uber die Mantelflache austrocknet. Obwohl die mechanische Last wahrend des gesam-
ten Experiments unverandert ist, stellt sich – sobald die Austrocknung vonstatten geht
– eine ungleichformige Verteilung der Spannungen ein. Der induzierte Feuchtegradient,
der von einem hygrischen Ungleichgewicht zwischen der Porenfeuchtigkeit und der Um-
gebungsfeuchtigkeit herruhrt, ruft innerhalb der Struktur zusatzliche Spannungen her-
vor, die auf das Skelett des Betons wirken. Wie in [Bazant, Hauggaard & Baweja
1997; Benboudjema 2002; Benboudjema, Meftah & Torrenti 2005b] berichtet,
bleibt die ungleichformige Spannungsverteilung erhalten, auch wenn die Probe das hy-
grische Gleichgewicht erreicht. Neben dem Einfluss der Feuchtigkeit spiegelt sich in den
Spannungsverteilungen auch der Einfluss der Betonrisse wider. Obwohl eine mechanische
Druckspannung von σ = 12 MPa vorliegt, werden infolge des Feuchtegradienten hohe
118 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
t = 963 Tage
t = 363 Tage
t = 63 Tage
t = 5 Tage
t = 30 Stunden
Radius r [mm]
Kriechverzerrungenεf
[10−
6]
80706050403020100
500
450
400
350
300
250
200
150
100
50
0
Abbildung 6.15: Zeitlicher Verlauf der Kriechverzerrungen εf in uniaxialer Richtung entlang
des Radius r (Civeaux BHP)
Zugspannungen an der Mantelflache induziert, die uber der Zugfestigkeit des Betons lie-
gen. Die dabei auftretenden Risse dringen mit der Zeit tiefer in die Zylinderprobe ein und
rufen Spannungsumlagerungen hervor. Der Bereich, in dem Zugspannungen vorherrschen,
kennzeichnet gleichzeitig die Risstiefe. Aus Abbildung 6.14 wird eine maximale Risstiefe
von 6 mm beobachtet, die sich etwa nach 13 Tagen einstellt. Die Risstiefe, die in dem zu-
gehorigen Schwindversuch (ohne mechanische Belastung) beobachtet wird, betragt etwa
11 mm und spiegelt den strukturellen Anteil des Trocknungskriechens wider. Die aus die-
sen Simulationen berechnete Rissverteilung und Rissevolution wird ebenfalls in [Sicard,
Francois, Ringot & Pons 1992; Benboudjema 2002; Bisschop & van Mier
2002; Benboudjema, Meftah & Torrenti 2005b] bestatigt.
Fur die betrachteten Spannungsprofile aus Abbildung 6.14 sind die zugehorigen Kriech-
verformungen εf (auf Materialpunktebene) in Abbildung 6.15 visualisiert. Da in der ge-
genwartigen Arbeit die plastisch effektiven Spannungen σ′
m die treibende Kraft fur Kriech-
verformungen sind (siehe Gleichung (3.53)), fuhren Anderungen in σ′
m zu sofortigen Ande-
rungen im Kriechprozess. Daher ruft eine ungleichformige Spannungsverteilung innerhalb
der Struktur auch inhomogene Kriechverformungen hervor. Des Weiteren geht aus den
Verzerrungsprofilen hervor, dass in der Nahe der Oberflache aufgrund von geschadigtem
Material (und geringen Spannungen) die Kriechvorgange nahezu zum Stillstand kommen,
wahrend im Innern des Zylinders die Kriechverformungen weiter zunehmen. Es sei an
dieser Stelle angemerkt, dass die experimentelle Auswertung der Kriechverzerrungen aus
Abbildung 6.9 als Mittelwerte uber die gesamte Struktur zu verstehen sind, die mithilfe
von Messpunkten an der Mantelflache des zylindrischen Probekorpers bestimmt wurden.
6.2 Bewehrte Betonstrukturen 119
Diese “makroskopischen” Verformungen sind nicht mit den lokalen Kriechverformungen
auf Materialpunktebene aus Abbildung 6.15 zu verwechseln.
6.2 Bewehrte Betonstrukturen
Nachfolgend werden mit dem entwickelten Stahlbetonmodell bewehrte Betonstrukturen
untersucht mit dem Ziel, die relevanten Stahl-Beton Interaktionen zu quantifizieren. Zur
Validierung des Verbundmodells wird eine uniaxial bewehrte Betonscheibe unter Zugbe-
lastung betrachtet [Ouyang, Wollrab, Kulkarni & Shah 1997]. In dieser Analyse
wird zudem die versteifende Wirkung des gerissenen Betons herausgestellt. Um den Ein-
fluss der Dubelwirkung zu verdeutlichen, werden anschließend schubbeanspruchte zwei-
achsig bewehrte Scheiben herangezogen [Collins, Vecchio & Mehlhorn 1985; Vec-
chio & Collins 1986]. Abhangig vom Grad der Bewehrung werden dabei unterschied-
liche Versagensmechanismen betrachtet. Im Hinblick auf kombinierte Beanspruchungen
werden mit dem entwickelten Modell zudem biegebeanspruchte Stahlbetonbalken nachge-
rechnet [Leonhardt & Walther 1962; Ruiz, Elices & Planas 1998]. Dabei wird
die Qualitat der Losungen bewertet und der relevante Einfluss der Bewehrung in Bezug
auf die Rissentwicklung thematisiert.
6.2.1 Zug: Uniaxial-bewehrte Betonscheibe
In dieser Analyse wird die mechanische Komponente des entwickelten Stahlbetonmodells
hinsichtlich der Verbundeigenschaft untersucht. Die Mehrphasigkeit des Betons bleibt au-
ßer Betracht. Gegenstand der numerischen Analyse ist eine zugbeanspruchte Stahlbeton-
scheibe, die in [Ouyang, Wollrab, Kulkarni & Shah 1997] experimentell untersucht
wurde. Die Struktur mit den Dimensionen 635 · 127 · 50.8 mm3 ist in der Mitte beidseitig
mit einer Tiefe von 10 mm gekerbt, um an dieser Stelle eine Schwachung des Querschnit-
tes zu erzielen. Bewehrt ist die Scheibe in achsialer Richtung durch drei Stahlstabe mit je
einem Durchmesser von 9.5 mm. Bezogen auf die Gesamtstruktur entspricht das einem Be-
wehrungsgrad von etwa ρs = 3.3%. In Abbildung 6.16 sind Geometrie, Randbedingungen
sowie die Finite-Elemente-Diskretisierung dargestellt.
Diskretisiert wird die Struktur mit insgesamt 3261 8-knotigen Volumenelementen. Da in
Dickenrichtung der Betonscheibe keine großeren Spannungs- und Verzerrungsgradienten
zu erwarten sind, erfolgt hierbei die Diskretisierung lediglich uber drei Elementreihen.
Grundsatzlich ist in der Modellierung zwischen Beton- und Stahlbetonelementen zu diffe-
renzieren. Den Betonelementen wird das in Abschnitt 3.1.1 beschriebene elasto-plastische
Schadigungsverhalten zugewiesen, das Materialverhalten des Stahles entspricht der J2-
Plastizitat aus Kapitel 3.2. Um eine feinere Auflosung uber die mechanische Schadigung
zu erhalten, erfolgt eine Verschmierung eines Bewehrungsstabes lediglich uber eine Ele-
120 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
3 f 9 . 5 m m
6 3 5 m m5 0 . 8 m m
127 m
m
d r e i S t a h l b e t o n - E l e m e n t r e i h e nu , F
u , FK e r b e
Abbildung 6.16: Geometrie, Randbedingungen sowie Diskretisierung der uniaxial bewehrten
Scheibe [Ouyang, Wollrab, Kulkarni & Shah 1997]
mentreihe. Wie aus Abbildung 6.16 zu entnehmen ist, setzt sich die Struktur uber die Hohe
somit aus drei Stahlbetonelementen (dunkel-grau) und acht Betonelementen (hell-grau)
zusammen. Eine feinere raumliche Diskretisierung der Betonscheibe liefert auf Strukture-
bene aufgrund der homogenen Zugbeanspruchung nahezu identische Losungen [Linero
2006]. Selbst wenn ein viel groberes Netz als in diesem Beispiel gewahlt wird, sind die
Abweichungen in den Strukturergebnissen marginal. In einer Vorabstudie, auf deren Er-
gebnisse hier nicht eingegangen wird, wurde daher die gewahlte Netzdiskretisierung als
hinreichend genau bewertet.
Der Volumenanteil der Bewehrung c, der fur die Homogenisierungsgleichungen benotigt
wird, ist aufgrund der ungleichmaßigen Verschmierung der Bewehrung innerhalb der Be-
tonscheibe fur diese Diskretisierung zu bestimmen. Aus dem gewahlten Netz ergibt sich
bei drei Elementreihen in Dickenrichtung eine Elementlange von le = 50.8mm/3 = 16.93
mm und bei elf Elementreihen in Hohenrichtung eine Elementhohe von he = 127mm/11 =
11.54 mm. Fur ein Stahlbetonelement mit der Querschnittsflache Ae = le · he folgt ent-
sprechend Abbildung 6.17 fur den Volumenanteil c = As/Ae = π/4 · 9.52/(16.93 ·11.54) =0.363.
B e t o n
le
heS t a h l
Q u e r s c h n i t s f l ä c h e
d e s S t a h l e s A s
Q u e r s c h n i t s f l ä c h ed e s E l e m e n t s A e
V o l u m e n a n t e i lc = A s / A e
A s
Abbildung 6.17: Ermittlung des Volumenanteils c fur ein Stahlbetonelement aus dem Verhalt-
nis der Querschnittsflachen
6.2 Bewehrte Betonstrukturen 121
Beton
E-Modul Em = 27350 N/mm2
Querkontraktion νm = 0.2
Zugfestigkeit ftu = 3.19 N/mm2
Bruchenergie Gf = 0.1 Nmm/mm2
Stahlbewehrung
E-Modul Es = 191600 N/mm2
Fließspannung σy = 508 N/mm2
Verfestigungsparameter K = 0 N/mm2
Verbund
effektive Verbundsteifigkeit Ei = 1130.3 · 103 N/mm2
maximale Verbundspannung τmax = 311.1 N/mm2
Tabelle 6.6: Material- und Modellparameter fur die numerische Simulation der uniaxial be-
wehrten Scheibe
Die fur die numerische Analyse benotigten Materialparameter sind in Tabelle 6.6 zusam-
mengefasst. Sie konnen weitgehend aus [Ouyang, Wollrab, Kulkarni & Shah 1997]
entnommen werden. Lediglich die Verbundparameter Ei und τmax, die zur Beschreibung
des Verbundgesetzes aus Abbildung 3.7 erforderlich sind, werden anhand eines Auszieh-
versuchs gemaß [Naaman, Namur, Alwan & Najm 1991] abgeschatzt. In den Auszieh-
versuchen wird ein Stab mit einem Durchmesser von 0.5 mm und einer Bettungslange von
25 mm betrachtet. Aus den entsprechenden Last-Verschiebungskurven folgt eine Auszieh-
steifigkeit von etwa P/u = 8.9 kN/mm und eine maximale Ausziehkraft von Pmax = 61 N.
Mit diesen Werten konnen die Verbundparameter aus Gleichungen den (3.74) und (3.75)
zu Ei = 1130.3 N/mm2 und τmax = 311.1 N/mm2 abgeschatzt werden (siehe auch [Li-
nero 2006; Linero, Oliver, Huespe & Pulido 2006]). Parameter hinsichtlich der
Dubelwirkung werden in der gegenwartigen Untersuchung nicht benotigt, da aufgrund der
uniaxialen makroskopischen Zugbelastung kein Einfluss der Dubelwirkung zu erwarten ist.
In Abbildung 6.18 ist die experimentell ermittelte Last-Verschiebungskurve mit der nu-
merischen Losung gegenubergestellt. Die experimentelle Kurve (dicke graue Linie) setzt
sich aus insgesamt drei Versuchen mit identischen Probekorpern zusammen. Die Kurve
weist dabei die wesentlichen Charakteristika auf, die auch in dem numerischen Beispiel
aus Kapitel 5.1 bei der Kurve mit α = 90 beobachtet werden. Die initiale Steifigkeit der
Stahlbetonstruktur entspricht aufgrund des noch ungerissenen Zustands nahezu der Be-
tonsteifigkeit. Etwa bei F = 24 kN tritt auf makroskopischer Ebene dann die erste Nicht-
linearitat auf. Innerhalb der Struktur ist die Betonzugfestigkeit ftu erreicht und die ersten
Risse entstehen. Mit zunehmender Rissbildung nimmt zunachst die axiale Steifigkeit des
Komposits ab, so dass die Gesamtsteifigkeit geringer ist als die des “nackten” Stahles
(gestrichelte Linie). Die Tragkapazitat hingegen ist aufgrund der versteifenden Wirkung
122 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
0
1 0
2 0
3 0
4 0
5 0
6 0
7 0
0 0 . 5 1 1 . 5 2 2 . 5 3
Reaktionskraft F [kN]
V e r s c h i e b u n g u [ m m ]
E x p e r i m e n t
n u m e r i s c h e A n a l y s e
S t e i f i g k e i t d e s" n a c k t e n " S t a h l e s
t e n s i o n s t i f f e n i n g
u n b e w e h r t e r B e t o n
Abbildung 6.18: Uniaxial bewehrte Scheibe unter Zug: Einfluss von lokalen Versagensmecha-
nismen auf makroskopischer Ebene
des Betons (tension-stiffening) hoher als die des reinen Stahles. Da bei weiterer Belastung
der Beton zunehmend entfestigt, konvergiert die Kompositsteifigkeit zu der Stahlsteifig-
keit. In diesem Beispiel wird die maximale Traglast von ungefahr F = 62 kN bei einer
Verschiebung von etwa u = 1 mm erreicht. Wird bei diesem Belastungsniveau der Ver-
formungszustand des Stahles ausgewertet, so wird ein linear-elastisches Materialverhalten
erkennbar. Folglich wird im gegenwartigen Experiment das Verbundversagen fur die ma-
ximale Tragkapazitat der Struktur maßgebend. Eine weitere Belastungssteigerung kann
aufgrund von Verbundschadigung nicht mehr von Beton an die Bewehrungsstabe weiter-
gegeben werden. Ein Vergleich der experimentellen Kurve mit der numerischen Analyse
weist uber die gesamten Belastungsschritte eine gute Ubereinstimmung auf. Daruber hin-
aus wird mit der verschiebungsgesteuerten Simulation ein duktiles Nachbruchverhalten
prognostiziert.
In Abbildung 6.19 ist der Rissfortschritt zu unterschiedlichen Belastungsstadien anhand
der Schadigungsvariablen d dargestellt. Die ersten Risse werden aufgrund der Schwachung
des Querschnitts in unmittelbarer Nahe der Kerbung sichtbar. Im Zuge der Laststeigerung
tritt die Schadigung jedoch aufgrund der homogenen Zugbelastung nicht lokal auf sondern
erstreckt sich nahezu uber die gesamte Struktur. Dennoch sind Lokalisierungseffekte zu
beobachten. Mit zunehmender Belastung bilden sich ausgehend von der Mitte der Struktur
weitere nahezu parallele Risse bis eine Stabilisierung der Rissverteilung eintritt und sich
6.2 Bewehrte Betonstrukturen 123
1 . 0
0 . 9
0 . 8
0 . 7
0 . 6
0 . 5
0 . 4
0 . 3
0 . 2
0 . 1
0 . 0
u = 0 . 1 m m
u = 0 . 2 5 m m
u = 0 . 5 m m
u = 0 . 7 3 m m
u = 1 . 0 3 m m
Abbildung 6.19: Uniaxial bewehrte Betonscheibe: Visualisierung des Rissfortschritts anhand
der Schadigungsvariable d [-]
ein charakteristischer Rissabstand einstellt. Die Auswertung der Simulation bei u = 1.03
mm entspricht dem Zustand beim Erreichen der maximalen Traglast. Aus dem Bild ist
zu entnehmen, dass die Rissinitiierung vorrangig an der Ober- und Unterkante der Struk-
tur vonstatten geht. Diese Beobachtung ist auf die versteifende Wirkung der Bewehrung
zuruckzufuhren, wodurch ein Klaffen der Rissflachen weitestgehend eingeschrankt wird
[Linero 2006; Manzoli, Oliver, Huespe & Diaz 2008].
6.2.2 Schub: Zweiachsig bewehrte Scheiben
In der gegenwartigen Analyse werden zweiachsig bewehrte Betonscheiben hinsichtlich des
Trag- und Verformungsverhaltens untersucht. Dabei wird der Einfluss des Bewehrungsgra-
des, der Verbundqualitat sowie der Dubelwirkung im Hinblick auf das Strukturversagen
hervorgehoben. Die quadratischen Stahlbetonstrukturen mit den Dimensionen 890·890·70mm3 werden in der Scheibenebene gleichmaßig und parallel zu den Kantenlangen bewehrt.
Hierzu werden in Dickenrichtung zwei Bewehrungslagen mit einem Stababstand von et-
124 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
8 9 0 m m
890 m
m
t
t
D i c k et = 7 0 m m
y
z
t
Abbildung 6.20: Zweiachsig bewehrte Stahlbetonscheiben unter Schubbelastung [Collins,
Vecchio & Mehlhorn 1985; Vecchio & Collins 1986]
wa 50 mm angeordnet. Der Versuchsaufbau und die Durchfuhrung der Experimente sind
in [Collins, Vecchio & Mehlhorn 1985; Vecchio & Collins 1986] dokumen-
tiert und skizzenhaft in Abbildung 6.20 dargestellt. Von den insgesamt dreißig gepruften
Stahlbetonscheiben mit unterschiedlichen Belastungen und Bewehrungsgraden werden in
diesem Kapitel zwei Scheiben nachgerechnet, die in den Versuchen mit PV16 und PV27
bezeichnet sind. In diesen beiden Beispielen wird eine reine Schubbelastung betrachtet,
die gleichmaßig uber die Elementkanten aufgebracht wird.
Fur die Scheibe PV16 wird ein kleiner Bewehrungsgrad von ρy = ρz = 0.0074 gewahlt. Des
Weiteren wird diese Scheibe mit einem Stahl ausgefuhrt, der eine geringe Fließspannung
aufweist (σy = 255 N/mm2). Durch die Wahl dieser Versuchsparameter soll eine fruhe
Mitbeteiligung des Stahles an der Gesamttraglast bezweckt werden. Die zweite Stahlbe-
tonscheibe PV27 hingegen wird mit einem hohen Bewehrungsgrad von ρy = ρz = 0.0179
und einer hohen Fließspannung des Stahles (σy = 442 N/mm2) ausgestattet. Die Intention
bei dieser Analyse besteht darin, ein fruhes Plastifizieren des Stahles zu unterbinden und
dadurch die Tragkapazitat des Betons weitestgehend auszuschopfen. In Tabelle 6.7 sind
die zu den Scheiben PV16 und PV27 zugehorigen Materialparameter aufgefuhrt. Bis auf
wenige Ausnahmen, konnen die Materialdaten weitgehend aus den experimentellen Do-
kumenten entnommen werden [Collins, Vecchio & Mehlhorn 1985; Vecchio &
Collins 1986]. Hinsichtlich der Zugfestigkeit wird fur PV16 der Wert ftu = 1.1 N/mm2
aus dem Last-Verschiebungsdiagramm abgegriffen. Fur die Stahlbetonscheibe PV27 wird
die Zugfestigkeit entsprechend [Vecchio & Collins 1986] aus der Druckfestigkeit ab-
geschatzt ftu ≈ 0.33√fcu = 0.33
√20.5 = 1.49 N/mm2. Des Weiteren wird fur die Quer-
6.2 Bewehrte Betonstrukturen 125
Stahlbetonscheibe PV16
BETON
E-Modul Em = 21700 N/mm2
Querkontraktion νm = 0.2
Zugfestigkeit ftu = 1.1 N/mm2
Druckfestigkeit fcu = 21.7 N/mm2
Bruchenergie Gf = 0.04 Nmm/mm2
STAHLBEWEHRUNG
E-Modul Es = 200000 N/mm2
Fließspannung σy = 255 N/mm2
Bewehrungsgrad ρ = 0.0074
Stahlbetonscheibe PV27
BETON
E-Modul Em = 21600 N/mm2
Querkontraktion νm = 0.2
Zugfestigkeit ftu = 1.49 N/mm2
Druckfestigkeit fcu = 20.5 N/mm2
Bruchenergie Gf = 0.04 Nmm/mm2
STAHLBEWEHRUNG
E-Modul Es = 200000 N/mm2
Fließspannung σy = 442 N/mm2
Bewehrungsgrad ρ = 0.0179
Tabelle 6.7: Material- und Modellparameter zur Simulation der zweiachsig bewehrten Scheiben
kontraktion des Betons der ubliche Wert von νm = 0.2 gewahlt. Was die Bruchenergie Gf
des verwendeten Betons anbelangt, so wird diese aus der Druckfestigkeit des Betons fcuentsprechend Model Code [CEB-FIP 1990] abgeschatzt
Gf = Gf0
(fcmfcm0
)0.7
mit fcm0 = 10 N/mm2. (6.8)
Der Parameter Gf0 hangt dabei vom großten Zuschlagskorn ab. In [Vecchio & Collins
1986] ist es mit 6 mm angegeben, so dass hierfur Gf0 = 0.02375 Nmm/mm2 folgt. Wird
fur beide Betone die Druckfestigkeit von etwa fcm = fcu = 21 N/mm2 angesetzt, errechnet
sich die Bruchenergie zu Gf = 0.02375 (21/10)0.7 ≈ 0.04 Nmm/mm2. Was die Verbund-
und Dubeleigenschaften anbelangt, so werden diese in der jeweiligen numerischen Simu-
lation in den folgenden Unterkapiteln konkretisiert.
Fur den Stahl wird das im Abschnitt 3.2 beschriebene elasto-plastische Materialgesetz
ohne Verfestigung verwendet (K = 0). Das nichtlineare Materialverhalten von Beton ist
durch das im Abschnitt 3.1.1 formulierte Gesetz gemaß [Meschke, Lackner & Mang
1998] gegeben, wobei in dieser Analyse die inelastischen Verformungsanteile sich ledig-
lich aus den plastischen Verzerrungen zusammensetzen. Schadigende Verformungsanteile
werden nicht berucksichtigt. Das nichtlineare Materialgesetz des Betons zeichnet sich da-
her durch ein entfestigendes elasto-plastisches Verhalten aus. Hierzu wird dem skalaren
Modellparameter β in Gleichung (3.15) der Wert β = 0 zugewiesen. Diese Wahl fur
den Parameter β ist durch die relevanten Druckstreben des Betons begrundet, die bei
Schubversuchen ausgepragt sind. Anders als im vorherigen Beispiel, in dem die Druck-
festigkeit des Betons aufgrund der nahezu homogenen Zugspannungen keinen relevanten
Einfluss auf die Ergebnisse hat, zeichnet sich bei diesen schubbeanspruchten Scheiben das
Tragverhalten wesentlich durch die Druckstreben aus. In Vorabsimulationen, die mit dem
gegenwartigen Stahlbetonmodell durchgefuhrt worden sind, konnte diese Beobachtung
126 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
bestatigt werden.
Hinsichtlich der Finite-Elemente-Simulation kommen 1024 8-knotige Volumenelemente
zum Einsatz, wobei eine Elementreihe in Dickenrichtung gewahlt wird. Aufgrund der
gleichmaßigen Bewehrungsverteilung innerhalb der Struktur werden allen finiten Ele-
menten die Materialeigenschaften des entwickelten Stahlbetonelements zugewiesen. Rei-
ne Betonelemente werden daher nicht verwendet. Die fur die Homogenisierungsprozedur
benotigten Volumenanteile des Stahlmaterials (c1, c2) entsprechen wegen der gleichmaßi-
gen Verschmierung der Bewehrung den gegebenen Bewehrungsgraden. Fur PV16 wird
c1 = c2 = 0.0074 und fur PV27 wird c1 = c2 = 0.0179 angesetzt.
6.2.2.1 Numerische Analyse der Stahlbetonscheibe PV16
Fur die bewehrte Betonscheibe PV16 wurde bewusst eine Stahlsorte mit einer geringen
Fließspannung verwendet (σy = 255 N/mm2), um als Versagensmechanismus das Plastifi-
zieren des Stahles zu erzielen. Werden hinsichtlich der Verbundeigenschaften die gleichen
Parameter wie aus dem Beispiel aus Kapitel 6.2.1 angesetzt, so plastifiziert der Stahl noch
bevor der Verbund versagt (σy < τmax). Demnach wird in dieser numerischen Analyse von
einem perfekten Verbund ausgegangen. Fur die Verbundparameter aus Abbildung 3.7 be-
deutet dies: σy < τmax und Ei → ∞.
In Abbildung 6.21 sind die Ergebnisse aus der numerischen Simulation mit den experi-
mentellen Messdaten in einem (τ−γ)–Diagramm gegenubergestellt. Die effektiven Schub-
spannungen τ sind keine lokalen Großen sondern werden aus dem Quotienten der aufad-
dierten Reaktionskrafte entlang einer Strukturkante und der Kantenflache A = 890 · 70mm2 bestimmt. Die Strukturverzerrungen γ werden uber die aufgebrachten Verschiebun-
gen im Verhaltnis zu der Strukturhohe von 890 mm errechnet. Aus Abbildung 6.21 kann
entnommen werden, dass zu Beginn des Experiments die initiale Schubsteifigkeit des unge-
rissenen Betons maßgebend fur die Struktursteifigkeit ist. Die uniaxialen Steifigkeiten der
Bewehrung werden wegen der homogenen Schubverformungen noch nicht aktiviert. Die
Kapazitat des unbewehrten Betons ist jedoch schnell ausgeschopft, so dass mit den ersten
Rissbildungen das Tragvermogen der Bewehrung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Eine
gute Ubereinstimmung der numerischen Analyse mit den gemessenen Daten ist bei der Si-
mulation zu beobachten, in der die Dubelwirkung außer Betracht gelassen wird (schwarze
Linie). In dieser Rechnung sind die Schubsteifigkeiten des Stahles aus Gleichung (3.120)
zu Null gesetzt, so dass lediglich die uniaxiale Steifigkeit des Stahles berucksichtigt wird.
Wird hingegen die Dubelwirkung berucksichtigt – unabhangig davon, ob der Biege- oder
Schubmechanismus dominant ist – folgt aus der numerischen Simulation eine deutliche
Uberschatzung der Tragkapazitat von etwa 30%. Diese Beobachtung ist auf die Annah-
me zuruckzufuhren, dass mit der eintretenden Plastifizierung des Stahles der Verlust der
Dubelwirkung einhergeht. In [Martın-Perez & Pantazopoulou 2001] werden daher
die Spannungen infolge der Dubelwirkung mit einem Faktor skaliert, mit dem beim Errei-
6.2 Bewehrte Betonstrukturen 127
0
0 . 5
1
1 . 5
2
2 . 5
3
3 . 5
0 2 4 6 8 1 0 1 2 1 4
effektive Schubspannungen t [MPa]
S c h u b v e r f o r m u n g e n g [ * 1 0 - 3 ]
m i tD ü b e l w i r k u n g
o h n eD ü b e l w i r k u n g
u n b e w e h r t e rB e t o n E x p e r i m e n t
P V 1 6
8 9 0 m m
890 m
m
t
t
D i c k e t = 7 0 m m
y
z
t
B e w e h r u n g s g r a d
r y = r z = 0 . 0 0 7 4
Abbildung 6.21: Experiment vs. numerische Analyse: Schubbeanspruchte Stahlbetonscheibe
chen der Fließspannung die Dubelwirkung zu Null gesetzt wird. In dieser Analyse werden
das duktile Nachbruchverhalten und die maximale Tragfahigkeit der Stahlbetonstruktur
primar vom Stahlfließen sowie von den Druckstreben des Betons beherrscht.
6.2.2.2 Numerische Analyse der Stahlbetonscheibe PV27
Fur die vorliegende Stahlbetonscheibe liegen keine Informationen uber die Verbundei-
genschaften vor. Daher wird der Einfluss der Verbundqualitat anhand verschiedener Ver-
bundspannungen τmax ausgewertet. Die numerischen Ergebnisse sind in Abbildung 6.22
mit den experimentellen Messdaten gegenubergestellt. Wie im vorherigen Beispiel sind die
effektiven Variablen τ und γ als Strukturgroßen zu verstehen. Die durchgezogenen Kurven
(schwarz und grau) im Diagramm wurden mit den gleichen Verbundparametern berechnet
(τmax = 200 N/mm2 und Ei → ∞) und unterscheiden sich lediglich in der Dubelwirkung.
In dieser Analyse wird erkennbar, dass ohne Berucksichtigung der Dubelwirkung (schwar-
ze Kurve) sowohl die maximale Traglast als auch die Steifigkeit der Struktur deutlich
unterschatzt wird. Erst unter Einbeziehung von Dubelmechanismen wird zumindest die
Struktursteifigkeit gut beschrieben. Aufgrund der dominierenden Schubbeanspruchung
wird fur die Dubelwirkung das schubbasierte physikalische Grundmodell angesetzt (siehe
Abbildung 2.3). Wird unter Berucksichtigung der Dubelmechanismen eine bessere Ver-
bundqualitat betrachtet (τmax = 300 N/mm2 und Ei → ∞), so erhoht sich die Gesamt-
128 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
0 1 2 3 4 5 6 7 8
S c h u b v e r f o r m u n g e n g [ * 1 0 - 3 ]
effektive Schubspannungen t [MPa]
E x p e r i m e n t
V e r b u n d -q u a l i t ä t
8 9 0 m m
890 m
m
t
t
D i c k e t = 7 0 m m
y
z
t
B e w e h r u n g s g r a d
r y = r z = 0 . 0 1 7 9
P V 2 7
o h n eD ü b e l w i r k u n g
m i tD ü b e l w i r k u n g
u n b e w e h r t e rB e t o n
Abbildung 6.22: Experiment vs. numerische Analyse: Schubbeanspruchte Stahlbetonscheibe
traglast der Struktur (gestrichelte Kurve). Aus dem Diagramm ist folglich zu entnehmen,
dass die maximal ubertragbare Verbundspannung τmax zwischen 200 N/mm2 und 300
N/mm2 betragt. Aufgrund der Tatsache, dass die maximale Verbundspannung kleiner als
die Fließspannung des verwendeten Stahles ist (σy = 442 N/mm2), weist der Stahl uber
die gesamte Belastungsdauer ein linear-elastisches Materialverhalten auf. Demnach ist in
diesem Beispiel die Strukturkapazitat durch das Ausschopfen der maximalen Verbund-
spannung gekennzeichnet.
6.2.2.3 Diskussion: Dubelwirkung
Aus den Abbildungen 6.21 und 6.22 werden fur die untersuchten Stahlbetonscheiben un-
terschiedliche Strukturverhalten hinsichtlich der Dubelwirkung erkennbar. Wahrend in
der Stahlbetonscheibe PV16 keine Dubelmechanismen aktiviert werden, kommt in der
Scheibe PV27 die Verdubelung maßgeblich zum Tragen. Der Grund fur das unterschied-
liche Verhalten kann auf die Abhangigkeit der Dubelwirkung von den Stahlspannungen
zuruckgefuhrt werden. In [Martın-Perez & Pantazopoulou 2001] wird auf die ex-
perimentelle Beobachtung verwiesen, dass mit eintretender Plastifizierung des Stahles der
Verlust der Dubelwirkung einhergeht. Basierend auf der Balkentheorie mit elastischer
Bettung wird daher in [Martın-Perez & Pantazopoulou 2001] ein Dubelmodell an-
gegeben, welches den Einfluss der Stahlspannung auf die Dubelwirkung berucksichtigt.
6.2 Bewehrte Betonstrukturen 129
Hierbei werden die Spannungen infolge der Dubelwirkung mit dem Faktor f =√1− A2
skaliert, wobei 0 ≤ A ≤ 1 das Verhaltnis der axialen Stahlspannung σs zu der Fließ-
spannung σy des Stahles angibt (A = σs/σy). Der Faktor f tragt den experimentellen
Beobachtungen Rechnung, dass die ubertragbare Dubelkraft im Rissquerschnitt mit zu-
nehmender Stahlzugspannung zu Null konvergiert [Martın-Perez & Pantazopoulou
2001]. Somit geht fur die axiale Stahlspannungen σs = σy die Dubelwirkung vollstandig
verloren (A = 1).
Da in der Scheibe PV16 aufgrund des geringen Bewehrungsgrades und der geringen Fließ-
spannung ein fruhes Stahlfließen auftritt, kommen die Dubelmechanismen nicht zum Tra-
gen. In der Scheibe PV27 hingegen weist der Stahl uber die gesamte Belastungsdauer ein
linear-elastisches Materialverhalten auf, so dass sich die Dubelkrafte ausbilden konnen.
Die Abhangigkeit der Dubelwirkung vom Spannungszustand des Stahles konnte im ge-
genwartigen Stahlbetonmodell beispielsweise analog zu [Martın-Perez & Pantazo-
poulou 2001] anhand einer Skalierung der Schubsteifigkeiten des Stahles aus Gleichung
(3.120) mit einem Faktor vereinfacht berucksichtigt werden. In der gegenwartigen Arbeit
wird jedoch hierauf verzichtet, da fur eine zuverlassige Bestimmung eines Skalierungs-
faktors weitere Analysen herangezogen werden mussen. Der in dieser Arbeit verwendete
Ansatz zur Beschreibung der Dubelmechanismen stellt eine Basis fur eine weitere Verfei-
nerung des Dubelmodells dar.
6.2.3 Biegung: 3-Punkt-Biegeversuche
Nachdem in den vorherigen Kapiteln die Leistungsfahigkeit des entwickelten Modells an
zug- und schubbeanspruchten Stahlbetonstrukturen demonstriert wurde, liegt der Fokus
dieses Abschnittes in der numerischen Untersuchung von Biegetragern. Hierzu werden
verschiebungsgesteuerte 3-Punkt-Biegeversuche herangezogen, die in [Ruiz, Elices &
Planas 1998] dokumentiert sind. Im Hinblick auf das Trag- und Verformungsverhalten
soll in erster Linie der Einfluss des Bewehrungsgrades und der Verbundqualitat heraus-
gestellt werden. In der gegenstandlichen Analyse werden zwei leichtbewehrte Biegebalken
mit den Dimensionen 1350 · 300 · 50 mm3 (Lange·Hohe·Breite) betrachtet. Bewehrt sind
die Betonstrukturen mit 2 bzw. 4 profilierten Stahlstaben mit je einem Durchmesser von
2.5 mm. Die Betondeckung betragt bis zur Bewehrungsachse 45 mm. In Abbildung 6.23
sind die Anordnung der Bewehrungen, die Randbedingungen sowie die Finite-Elemente-
Diskretisierung dargestellt. Die Biegetrager, die im weiteren Verlauf mit “A” und “B”
bezeichnet werden, weisen die Bewehrungsgrade von ρA = 0.065% und ρB = 0.13% auf.
Hinsichtlich der Bewehrungsgrade sei angemerkt, dass beide Stahlbetonbalken unterbe-
wehrt sind und nicht uber die gemaß EC 2 erforderliche Mindestbewehrung zur Sicherung
duktilen Bauteilversagens verfugen.
Fur beide Biegetrager wird eine Diskretisierung mit 1116 8-knotigen Volumenelementen
gewahlt, wobei zwei Elementreihen die Breite der Struktur abbilden. Ahnlich zu dem Bei-
130 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
1 2 0 0 m m
5 0
3 0 0
u
7 5 7 5
2 f 2 . 5 m mp r o f i l i e r t 5 0
3 0 0
4 f 2 . 5 m mp r o f i l i e r t
B e w e h r u n g s g r a d
r A = 0 . 0 6 5 %
B e w e h r u n g s g r a d
r B = 0 . 1 3 %
A B
Abbildung 6.23: Geometrie, Randbedingungen sowie Diskretisierung des Biegebalkens [Ruiz,
Elices & Planas 1998]
spiel aus Kapitel 6.2.1 kommen sowohl Beton- als auch Stahlbetonelemente zum Einsatz.
Von den insgesamt 1116 Volumenelementen werden 86 Elementen das Materialverhalten
des homogenisierten Stahlbetons zugewiesen. Die ubrigen Elemente beschreiben die Ma-
terialeigenschaften des Betons. Aus Abbildung 6.24 kann die Vernetzung des Biegebalkens
uber die Breite entnommen werden. Den hellgrauen Elementen werden Betoneigenschaf-
ten und den dunkelgrauen Elementen werden Stahlbetoneigenschaften zugewiesen. Der
Volumenanteil des Stahles innerhalb eines Stahlbetonelements lasst sich entsprechend
Abbildung 6.17 fur den Biegetrager “A” mit cA = As/Ae = π/4 · 2.52/(25 · 10) = 0.0196
und fur den Biegetrager “B” mit cB = As/Ae = 2 · π/4 · 2.52/(25 · 10) = 0.0393 angeben.
Die fur die numerischen Analysen benotigten Materialparameter sind zuvor aus standar-
disierten Experimenten fur den gegenstandlichen Biegebalken ermittelt worden [Ruiz,
Elices & Planas 1998]. An Zugversuchen wurden der E-Modul und die Fließspannung
des Stahles gemessen. Die mechanischen Kenndaten des Betons leiten sich aus Druck-
und Biegeversuchen an unbewehrten Probekorpern ab. Ferner sind Ausziehversuche mit
dem verwendeten Beton und Bewehrungsstab realisiert worden, um Informationen uber
die Verbundqualitat zu erhalten. Samtliche relevanten Materialdaten sind in Tabelle 6.8
6.2 Bewehrte Betonstrukturen 131
2 5 2 5
2 0
2 0
1 0
2 f 2 . 5 m mp r o f i l i e r t
[ m m ]
4 f 2 . 5 m mp r o f i l i e r t
B e t o n -e l e m e n t e
A B
Abbildung 6.24: 3-Punkt-Biegebalken: Vernetzung der Querschnitte fur Balken “A” und “B”
in Detailansicht
zusammengefasst. Die angegebenen Verbundparameter τmax und Ei leiten sich entspre-
chend Gleichung (3.74) und (3.75) direkt aus der gemessenen Last-Verschiebungskurve
des Ausziehversuchs ab, die ebenfalls in [Ruiz, Elices & Planas 1998] angegeben
ist. Beim Vergleich der maximalen Verbundspannung τmax = 570.4 N/mm2 mit der
Fließspannung des Stahles σy = 587 N/mm2 wird erkennbar, dass die profilierte Be-
wehrung einen nahezu perfekten Verbund aufweist. Die Zerstauchungsenergie Gc wird
Beton
E-Modul Em = 30500 N/mm2
Querkontraktion νm = 0.2
Zugfestigkeit ftu = 3.8 N/mm2
Druckfestigkeit fcu = 39.5 N/mm2
Bruchenergie Gf = 0.0625 Nmm/mm2
Zerstauchungsenergie Gc = 3.125 Nmm/mm2
Stahlbewehrung
E-Modul Es = 162000 N/mm2
Fließspannung σy = 587 N/mm2
Verfestigungsparameter K = 0 N/mm2
Verbund
effektive Verbundsteifigkeit Ei = 611.1 · 103 N/mm2
maximale Verbundspannung τmax = 570.4 N/mm2
Tabelle 6.8: Material- und Modellparameter fur die numerische Simulation des 3-Punkt-
Biegebalkens [Ruiz, Elices & Planas 1998]
132 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
0
2
4
6
8
1 0
1 2
1 4
0 0 . 2 0 . 4 0 . 6 0 . 8 1
Reaktionskraft P [kN]
V e r s c h i e b u n g u [ m m ]
E x p e r i m e n t A
u n b e w e h r t e r B e t o n
0
2
4
6
8
1 0
1 2
1 4
0 0 . 2 0 . 4 0 . 6 0 . 8 1Reaktionskraft P [kN]
V e r s c h i e b u n g u [ m m ]
E x p e r i m e n t B
S i m u l a t i o n( m i t K e r b u n g )
S i m u l a t i o n( o h n e K e r b u n g )
u n b e w e h r t e r B e t o n
S i m u l a t i o n( o h n e K e r b u n g )
S i m u l a t i o n( m i t K e r b u n g )
r s = 0 . 0 6 5 % r s = 0 . 1 3 %
Abbildung 6.25: 3-Punkt-Biegeversuche: Vergleich der Last-Verschiebungskurven aus den nu-
merischen Analysen mit den experimentellen Messdaten aus [Ruiz, Elices
& Planas 1998]
nach [Meschke, Lackner & Mang 1998] aus der gegebenen Bruchenergie Gf mit
Gc = 50 · Gf = 50 · 0.0625 = 3.125 Nmm/mm2 abgeschatzt. Entsprechend den Zugver-
suchen an der Stahlbewehrung [Ruiz, Elices & Planas 1998], wird das im Abschnitt
3.2 beschriebene ideal elasto-plastische Materialgesetz verwendet. Fur das nichtlineare
Materialverhalten von Beton kommt das im Abschnitt 3.1.1 beschriebene Gesetz gemaß
[Meschke, Lackner & Mang 1998] zum Einsatz, wobei mit β = 0.4 sowohl plastische
Matrixverzerrungen als auch Steifigkeitsdegradationen berucksichtigt werden.
In Abbildung 6.25 sind fur beide Biegebalken die experimentell ermittelten Last-
Verschiebungskurven mit den numerischen Losungen gegenubergestellt. Zu jedem Ex-
periment liegen zwei numerische Auswertungen vor. Die schwarzen durchgezogenen Lini-
en korrespondieren zu den Simulationen, bei denen in Balkenmitte eine kleine Kerbung
berucksichtigt wird. Bei den gestrichelten Last-Verschiebungskurven hingegen erfolgen
die Simulationen ohne Kerbung. Durch die Schwachung des Querschnitts anhand einer
Kerbe wird eine kleine Vorschadigung bezweckt, die eine Streuung in den gemessenen
Materialparametern berucksichtigt. Aus Abbildung 6.25 wird ersichtlich, dass die im Ver-
such gemessenen maximalen Traglasten sehr gut durch die entsprechenden Simulationen
anhand eines Oberwertes (ohne Kerbung) und eines Unterwertes (mit Kerbung) einge-
grenzt werden. Es zeigt sich ferner, dass in den gegenwartigen Beispielen der Einfluss
der Vorschadigung lediglich in der Nahe der maximalen Traglast ausgepragt ist und bei
weiterer Laststeigerung relativ schnell abklingt.
Was den Verlauf der Last-Verschiebungskurven anbelangt, so zeichnet sich die initiale
6.2 Bewehrte Betonstrukturen 133
Struktursteifigkeit zunachst durch die des unbewehrten und ungerissenen Betons aus.
Beim Uberschreiten der Zugfestigkeit des Betons werden auf Strukturebene die ersten
Nichtlinearitaten sichtbar. Der plotzliche Verlust an Struktursteifigkeit unmittelbar nach
dem Erreichen der maximalen Traglast ist auf die negative Steifigkeitstangente des Be-
tons zuruckzufuhren, die sich aufgrund des geringen Bewehrungsgrades umso starker auf
makroskopischer Ebene bemerkbar macht. Anders als in den vorangegangenen Beispie-
len aus Kapitel 6.2.1 und 6.2.2 unterscheidet sich die maximale Traglast der bewehrten
Biegetrager aufgrund des geringen Bewehrungsgrades nicht wesentlich von der maximalen
Traglast des unbewehrten Pendants. Im Nachbruchbereich hingegen weist die unbewehrte
Struktur in Vergleich zu den bewehrten Biegetragern keine nennenswerten Tragreserven
auf, so dass zunehmend das duktile Verhalten des Stahles maßgebend wird. Werden die
bewehrten Strukturen “A” und “B” miteinander verglichen, so wird erkennbar, dass zwar
die maximalen Traglasten nicht so stark vom Bewehrungsgrad abhangen, die Tragreser-
ven im Nachbruchbereich sich hingegen als nahezu proportional zum Bewehrungsgrad
beschreiben lassen [Ruiz, Elices & Planas 1998].
Eine numerische Auswertung der Verbundkapazitat verdeutlicht, dass im Balken “A”
bereits bei einer aufgebrachten Verschiebung von etwa u = 0.2 mm die maximale Ver-
bundspannung von τmax = 570.4 N/mm2 erreicht wird. Das in Abbildung 3.6 dargestellte
Schlupf-Stahl–System ist ab diesem Belastungsschritt durch ein elasto-plastisches Ma-
terialverhalten gekennzeichnet. Im Balken “B” hingegen werden aufgrund des hoheren
Bewehrungsanteils die Tragreserven des Betons mehr ausgeschopft. Die maximale Ver-
bundspannung τmax wird in den gesamten Simulationen des Biegebalkens “B” nicht uber-
schritten.
Fur Balken “B” ist die Rissentwicklung und -verteilung anhand der Schadigungsvariablen
d numerisch ausgewertet und fur vier Belastungsstadien in Abbildung 6.26 visualisiert.
Mit zunehmender Belastung breiten sich Risse sowohl in vertikaler Richtung als auch
entlang der Verbundflache aus. Aufgrund des relativ geringen Bewehrungsgrades bleibt
jedoch der Schadigungsbereich in der Mitte des Biegebalkens konzentriert. Ein charakte-
ristischer Rissabstand, der z.B. in stark bewehrten Biegetragern zu beobachten ist (siehe
Abbildung 6.30), stellt sich in dieser Analyse nicht ein. Die aus den numerischen Simu-
lationen ermittelte Rissverteilung wird in den experimentellen Auswertungen bestatigt
[Ruiz, Elices & Planas 1998].
Im Hinblick auf die Dubelwirkung konnten keine nennenswerten Unterschiede in den ge-
samten numerischen Simulationen beobachten werden. Die Ergebnisse sind mit und ohne
Berucksichtigung der Dubelwirkung nahezu gleich. Die Ursache hierfur liegt zum einen an
den relativ geringen Bewehrungsgraden der untersuchten Biegebalken. Zum anderen ist in
diesen Analysen die vorherrschende Verformung der Bewehrungen durch uniaxiale Verzer-
rungen gekennzeichnet, so dass Schubverformungen (und somit die Dubelmechanismen)
eine untergeordnete Rolle spielen.
134 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
1 . 00 . 90 . 80 . 70 . 60 . 50 . 40 . 30 . 20 . 10 . 0
u = 0 . 2 1 m m u = 0 . 5 1 m m
u = 0 . 7 5 m m u = 1 . 0 5 m m
Abbildung 6.26: Numerische Auswertung des Rissfortschritts am Biegebalken “B” (ρB =
0.13%) anhand der Schadigungsvariablen d [-]
6.2.4 Biegung: 4-Punkt-Biegeversuch
In dieser numerischen Analyse erfolgt eine qualitative Auswertung eines in [Leonhardt
& Walther 1962] dokumentierten 4-Punkt-Biegeversuchs. Hierbei handelt es sich um
einen langsbewehrten Biegetrager ohne Bugelbewehrung, bei dem – anders als in den
beiden vorherigen Analysen – eine sich uber großere Bereiche erstreckende Schadigungs-
evolution und Rissverteilung erwartet wird.
Der Betonbalken mit den Dimensionen 400 · 32 · 19 cm3 (Lange·Hohe·Breite) ist mit zwei
profilierten Stahlstaben mit einem Durchmesser von 26 mm bewehrt, was einem Beweh-
rungsgrad von ρs = 1.86% entspricht. Die Geometrie und Randbedingungen der Struktur
sowie die Finite-Elemente-Diskretisierung konnen Abbildung 6.27 entnommen werden.
Aufgrund der Symmetrie wird lediglich die Halfte der Struktur vernetzt, wobei die Dicken-
richtung mit einer Elementreihe diskretisiert wird. Von den insgesamt 3200 Elementen
werden 216 Elementen die Materialeigenschaften des homogenisierten Stahlbetons zuge-
wiesen, die sich in Hohenrichtung der Struktur uber zwei Elementreihen erstrecken. Die
ubrigen Elemente beschreiben das Materialverhalten des reinen Betons. Der Volumenan-
teil des Stahles innerhalb der Stahlbetonelemente lasst sich entsprechend Abbildung 6.17
abhangig von der Diskretisierung mit c = As/Ae = 0.279 angeben.
Hinsichtlich der Materialdaten werden in der Referenzliteratur [Leonhardt & Walt-
her 1962] keine vollstandigen Angaben gemacht. Daher werden die Materialparameter
durch die in [Jendele & Cervenka 2006] aufgefuhrten Angaben erganzt, da die Au-
toren [Jendele & Cervenka 2006] ebenfalls die Versuchsserien nachgerechnet haben.
Die maximale Verbundspannung τmax wird wegen der Verwendung von profilierten Be-
wehrungsstaben gemaß [Ruiz, Elices & Planas 1998] abgeschatzt. In Tabelle 6.9
sind die zugrundegelegten Materialparameter zusammengetragen. Aus dem Vergleich der
6.2 Bewehrte Betonstrukturen 135
1 8 0
1 9
2 7
2 0
2 f 2 6 m mp r o f i l i e r t
1 6 2 1 8
u , P
z w e i S t a h l b e t o n - E l e m e n t r e i h e n
[ c m ]
5
B e w e h r u n g s g r a d
r s = 1 . 8 6 %
Abbildung 6.27: Geometrie, Randbedingungen sowie Diskretisierung des Biegebalkens [Leon-
hardt & Walther 1962]
maximalen Verbundspannung τmax = 570.4 N/mm2 mit der Fließspannung des Stahles
σy = 456 N/mm2 geht fur die profilierte Bewehrung eine perfekte Verbundqualitat her-
vor. Die Stahlbewehrung wird mit dem im Abschnitt 3.2 beschriebenen elasto-plastischen
Materialgesetz modelliert.
Fur das nichtlineare Materialverhalten von Beton kommt entsprechend Abschnitt 3.1.1
das elasto-plastische Schadigungsmodell zum Einsatz [Meschke, Lackner & Mang
1998]. Um den Einfluss des skalaren Parameters β zur Steuerung der Anteile hinsichtlich
Schadigung und Plastizitat zu verdeutlichen, werden in den numerischen Nachrechnungen
Beton
E-Modul Em = 32000 N/mm2
Querkontraktion νm = 0.2
Zugfestigkeit ftu = 1.64 N/mm2
Druckfestigkeit fcu = 28.5 N/mm2
Bruchenergie Gf = 0.062 Nmm/mm2
Zerstauchungsenergie Gc = 3.1 Nmm/mm2
Stahlbewehrung
E-Modul Es = 200000 N/mm2
Fließspannung σy = 456 N/mm2
Verfestigungsparameter K = 0 N/mm2
Verbund
effektive Verbundsteifigkeit Ei = ∞maximale Verbundspannung τmax = 570.4 N/mm2
Tabelle 6.9: Material- und Modellparameter fur die numerische Simulation des 4-Punkt-
Biegebalkens
136 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
0
1 0
2 0
3 0
4 0
5 0
6 0
7 0
8 0
0 5 1 0 1 5 2 0 2 5 3 0 3 5 4 0
b = 0 . 4
b = 0
u n b e w e h r t
E x p e r i m e n t
Reaktionskraft P [kN]
V e r s c h i e b u n g u [ m m ]
Abbildung 6.28: 4-Punkt-Biegeversuch: Vergleich der Last-Verschiebungskurven des nume-
risch untersuchten Biegebalkens mit experimentellen Messwerten aus [Leon-
hardt & Walther 1962]
die Werte β = 0.4 (Plastizitat und Schadigung) und β = 0 (nur Plastizitat) angesetzt.
In Abbildung 6.28 sind fur den untersuchten Biegebalken die experimentellen Messda-
ten sowie die berechneten Last-Verschiebungskurven dargestellt. Solange die Zugfestig-
keit des Betons nicht uberschritten wird, sind die initialen Struktursteifigkeiten des un-
bewehrten und bewehrten Balkens nahezu identisch. Die Tragfahigkeit des Betons im
Zugbereich nimmt jedoch mit dem Auftreten der ersten Risse sukzessiv ab, so dass ab
diesem Belastungsschritt das Tragvermogen zunehmend durch die Bewehrung gegeben
ist. Der nichtlineare Verlauf der Last-Verschiebungskurven hingegen wird weiterhin durch
den Schadigungsfortschritt des Betons bestimmt. In dieser Analyse ist aufgrund des ho-
hen Bewehrungsgrades die maximale Traglast des Stahlbetontragers im Vergleich zum
unbewehrten Biegetrager um ein Vielfaches hoher. Daher unterscheidet sich diese Struk-
turantwort wesentlich von den Beispielen aus Kapitel 6.2.3.
Wie in Abbildung 6.28 zu erkennen ist, wird in der numerischen Simulation mit β = 0.4 die
maximale Traglast deutlich unterschatzt. Ursache hierfur liegt in der isotropen Beschrei-
bung der Schadigung. In den zug- und schubbeanspruchten Zonen wird infolge der isotro-
pen Formulierung der Schadigung nicht nur die Steifigkeit in Richtung der Rissnormalen
skalar abgemindert sondern auch samtliche Steifigkeitsanteile senkrecht zu der Rissnorma-
len. Die fur das Tragverhalten eines Biegetragers charakteristischen Druckstreben konnen
6.2 Bewehrte Betonstrukturen 137
0
1 0
2 0
3 0
4 0
5 0
6 0
7 0
8 0
0 5 1 0 1 5 2 0 2 5 3 0 3 5 4 0
s c h w a c h e r V e r b u n d
v o l l e r V e r b u n d
u n b e w e h r t
E x p e r i m e n t
Reaktionskraft P [kN]
V e r s c h i e b u n g u [ m m ]
Abbildung 6.29: 4-Punkt-Biegeversuch: Einfluss der Verbundqualitat auf das globale Tragver-
halten (ausgewertet fur β = 0)
mit einer isotropen Schadigungsformulierung somit nicht ausreichend modelliert werden,
was zu einer Unterschatzung der Tragkapazitat fuhrt. Diese Schlussfolgerung wird anhand
der numerischen Analyse ohne Betrachtung von Schadigungseffekten (β = 0) bestatigt.
Wie in Abbildung 6.28 dargestellt, wird das Tragverhalten des Biegetragers mit einem rei-
nen elasto-plastischen Materialgesetz fur Beton (β = 0) besser erfasst. Was die maximale
Traglast jedoch anbelangt, so wird sie in der numerischen Nachrechnung etwa um 25 %
uberschatzt. Die Ursache hierfur kann zum einen auf die ungenauen bzw. unvollstandigen
Angaben der Materialparameter zuruckgefuhrt werden. Aber auch die Annahme einer
perfekten Verbundwirkung stellt eine obere Abschatzung der Traglast dar.
Um den Einfluss der Verbundwirkung zu verdeutlichen, wird die numerische Simulati-
on mit β = 0 mit einer reduzierten Verbundqualitat wiederholt. Aus den in [Naaman,
Namur, Alwan & Najm 1991] dokumentierten Ausziehversuchen lassen sich hierfur
folgende Verbundparameter herleiten: Ei = 1130.3 · 103 N/mm2 und τmax = 311.1 N/mm2
(siehe Abschnitt 6.2.1). In Abbildung 6.29 ist die Last-Verschiebungskurve des Biegebal-
kens mit reduzierter Verbundqualitat (“schwacher Verbund”) mit der zuvor berechneten
Kurve aus Abbildung 6.28 (“voller Verbund”) gegenubergestellt. Es ist deutlich zu erken-
nen, dass eine schwachere Verbundwirkung sowohl die Struktursteifigkeit als auch die ma-
ximale Traglast reduziert. Das reale Tragverhalten des untersuchten Biegetragers wird von
diesen beiden Kurven gut eingegrenzt. Demnach stellen die beiden untersuchten Verbund-
138 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
0 . 0 0 0 e + 0 0 4 . 5 5 9 e - 0 1 9 . 1 1 9 e - 0 1 1 . 3 6 8 e + 0 0 1 . 8 2 4 e + 0 0 2 . 2 8 0 e + 0 0 2 . 7 3 6 e + 0 0 3 . 1 9 1 e + 0 0 3 . 6 4 7 e + 0 0 4 . 1 0 3 e + 0 0 4 . 5 5 9 e + 0 0
u = 4 7 m m
R i s s w e i t e [ m m ]
Abbildung 6.30: Versagensbild gemaß [Leonhardt & Walther 1962] und numerische Aus-
wertung der Rissverteilung bei u = 47 mm
eigenschaften eine obere und untere Abschatzung fur die tatsachliche Verbundqualitat des
Biegebalkens dar. Des Weiteren zeigen die verschiebungsgesteuerten Nachrechnungen –
unabhangig von der Verbundqualitat– ein ausgepragtes duktiles Nachbruchverhalten auf.
Aufgrund der lastgesteuerten Versuchsdurchfuhrung lasst sich aus den experimentellen
Untersuchungen keine Auswertung des Nachbruchverhaltens vornehmen.
Nachfolgend wird die Simulation mit perfektem Verbund und β = 0 betrachtet. Fur den
letzten Belastungsschritt in der numerischen Simulation (u = 47 mm) ist die Rissvertei-
lung ausgewertet und in Abbildung 6.30 dem experimentellen Versagensbild gegenuberge-
stellt. Im Experiment kommt es zu einer unsymmetrischen Schadigungsverteilung, welche
z.B. auf Inhomogenitaten im Material oder auf Exzentritaten in der Versuchsdurchfuhrung
zuruckgefuhrt werden kann. Das Bruchbild ist in der linken Halfte des Balkens durch einen
flachen Schubriss entlang der Bewehrung sowie einen diagonalen Makroriss gekennzeich-
net. Diese beobachteten Versagensflachen sind in der numerischen Analyse gut erkennbar.
Um das Zusammenwirken der beiden Konstituierenden insbesondere im geschadigten Zu-
stand zu verdeutlichen, sind in Abbildung 6.31 entlang der Bewehrung die Spannungen im
Belastungsschritt u = 7 mm ausgewertet. Es wird sowohl beim Stahl als auch beim Beton
die Zugspannungskomponente in Richtung der Bewehrungsachse betrachtet. Aufgrund
der unterschiedlichen Großenordnungen werden die Betonspannungen σm mit der Zugfe-
stigkeit ftu=1.64 N/mm2 und die Stahlspannungen σs mit der Fließspannung σy = 456
N/mm2 skaliert. Aus dem Diagramm gehen sehr deutlich die Spannungsumlagerungen
hervor, die im Zuge von Rissbildungen vonstattengehen. In Bereichen, in denen der Beton
eine großere Schadigung aufweist und sich daher am Lastabtrag weniger beteiligt, wird
die Stahlbewehrung umso starker beansprucht. Hierdurch treten – so wie in Abbildung 2.2
illustriert – lokale Spannungsspitzen in unmittelbarer Nahe der einzelnen Risse auf. Aus
6.2 Bewehrte Betonstrukturen 139
0
0 . 2
0 . 4
0 . 6
0 . 8
1
0
relative Spannungen [-]
L ä n g e d e s B a l k e n s L [ c m ]
B e t o n s p a n n u n g e n
s m / f t u
S t a h l -s p a n n u n g e n
s s / s y
5 0 1 0 0 1 5 0 2 0 0B a l k e n m i t t e
Abbildung 6.31: Numerische Auswertung der Spannungsverteilung am Biegebalken entlang
der Bewehrungsachse im Belastungsschritt u = 7 mm
der Verteilung der Betonspannungen in Abbildung 6.31 geht des Weiteren hervor, dass
in der ungerissenen Zone (etwa bei 20 ≤ L ≤ 50 cm) die Betonspannungen maßgeblich
am Lastabtrag beteiligt sind. Mit zunehmender Nahe zu der geschadigten Zone in Bal-
kenmitte (L = 200 cm) hingegen nimmt die residuale Kapazitat des Betons ab, und die
Stahlspannungen werden maßgebend. In diesem Belastungsschritt (u = 7 mm) bleiben
die Stahlspannungen unterhalb der Fließgrenze σy. Wie in Abbildung 6.32 dargestellt,
erreichen die Stahlspannungen erst bei etwa u = 20 mm die Fließspannung σy. Da die
Zugbeanspruchung in Balkenmitte maximal ist, breiten sich die plastischen Stahldehnun-
gen im Zuge der Laststeigerung sukzessiv zu den Balkenenden aus, wodurch ein duktiles
Strukturverhalten fur den Biegebalken hervorgerufen wird.
140 Kapitel 6: Validierung des Modells anhand von Experimenten
0
L ä n g e d e s B a l k e n s L [ c m ]
5 0 1 0 0 1 5 0 2 0 0B a l k e n m i t t e
0
1 0 0
2 0 0
3 0 0
4 0 0
5 0 0
Zugspannungen [MPa] u = 2 0 m m
u = 7 m m
s y = 4 5 6 M P a
Abbildung 6.32: Numerische Auswertung der Stahlspannungen entlang der Bewehrungsachse
im Belastungsschritt u = 7 mm und u = 20 mm
Kapitel 7
Zusammenfassung und Ausblick
7.1 Zusammenfassung
Im Rahmen dieser Arbeit wurde ein mikromechanisch motiviertes Modell zur Simulati-
on von Stahlbetonstrukturen unter Einbeziehung von hygro-mechanischen Einwirkungen
sowie Kriechmechanismen vorgestellt. Die wesentlichen Schwerpunkte des entwickelten
Modells lagen in der Modellierung der Interaktionsmechanismen zwischen der Stahlbe-
wehrung und dem geschadigten Beton sowie in dem mikromechanisch orientierten Stahl-
betonmodell.
In Kapitel 2 wurden die relevanten mechanischen Interaktionen zwischen Stahl und Beton
im Hinblick auf das Trag- und Verformungsverhalten untersucht. Hierzu zahlten das Ver-
bundverhalten sowie die Dubelwirkung. Dabei wurden die mikrostrukturellen Vorgange
zunachst beschrieben und anschließend Moglichkeiten zur Modellierung der Verbund- und
Dubelwirkungsmechanismen aufgezeigt. Die mit der Stahlkorrosion einhergehende Be-
tonschadigung wurde ebenfalls als eine weitere Interaktion kurz thematisiert.
Die Formulierung der konstitutiven Gleichungen fur den Beton und fur die Stahlbeweh-
rung sowie die Modellbildung der relevanten Stahl-Beton-Interaktionen waren Gegenstand
des Kapitels 3. Dabei wurden die Materialien (Beton und Stahl) zunachst separat be-
trachtet. Zur Modellierung des Materialverhaltens von Beton wurden basierend auf der
Theorie Poroser Medien die mechanischen zeitinvarianten sowie die zeitvarianten thermi-
schen und hygrischen Eigenschaften berucksichtigt. Innerhalb des Konzepts der effekti-
ven Spannungen wurde des Weiteren zur Erfassung von langzeitigen hygro-mechanischen
Verformungen ein Kriechgesetz herangezogen, mit dem ohne Verwendung eines weiteren
Gesetzes sowohl das Grundkriechen als auch das Trocknungskriechen abgebildet werden
konnen. Die Beschreibung des Materialverhaltens der Stahlbewehrung erfolgte anhand ei-
nes elasto-plastischen Gesetzes mit isotroper Verfestigung. Zur wirklichkeitsnahen Beruck-
sichtigung der relevanten Interaktionen zwischen Stahl und Beton erfolgte abschließend
die Vorstellung des in dieser Arbeit verwendeten Verbundgesetzes und eines Gesetzes zur
141
142 Kapitel 7: Zusammenfassung und Ausblick
Beschreibung der Dubelwirkung.
Aufbauend auf den bereits vorgestellten Material- und Interaktionsgesetzen aus Kapitel 3
erfolgte in Kapitel 4 auf der Grundlage eines analytischen Homogenisierungskonzepts die
Zusammenfuhrung der Konstituierenden Beton und Stahl zum Verbundwerkstoff Stahl-
beton. Die dabei verwendete makroskopische (verschmierte) Formulierung basiert auf den
Mori-Tanaka Homogenisierungsgleichungen. Damit das Strukturverhalten des Komposits
im gerissenen Zustand physikalisch sinnvoll wiedergegeben werden kann, erfolgte anhand
der Betonschadigung eine Modifikation des Eshelbytensors. Die numerische Umsetzung
des entwickelten Stahlbetonmodells im Rahmen der Finite-Elemente-Methode wurde an-
schließend aufgezeigt.
Anhand von numerischen Beispielen erfolgte in Kapitel 5 die Verifikation des gegenstand-
lichen Modells. Hierbei lag das Hauptaugenmerk auf den neu entwickelten mechanischen
Komponenten des Simulationsmodells. Der Einfluss der Stahlbewehrung und die damit
verknupften Stahl-Beton-Interaktionen wurden anhand eines Ein-Element-Beispiels im
Hinblick auf Schadigung- und Plastizitatsmechanismen auf Plausibilitat uberpruft.
Den Abschluss dieser Arbeit bildete in Kapitel 6 die Validierung des entwickelten Mo-
dells anhand von experimentell untersuchten unbewehrten sowie bewehrten Strukturen.
Im Hinblick auf unbewehrte Analysen wurden zunachst die hygro-mechanischen Interak-
tionen anhand von Feuchtigkeitsprofilen in gerissenen Ziegelsteinproben untersucht. Zur
Bewertung des Kriechmodells wurden anschließend Schwind- und Kriechversuche an drei
verschiedenen Betonsorten betrachtet. Im Vordergrund der untersuchten bewehrten Be-
tonstrukturen stand das Zusammenwirken von Beton und Stahl und dessen Einfluss auf
das makroskopische Trag- und Verformungsverhalten. Hierzu wurden Zug-, Schub- und
Biegeversuche mit dem entwickelten Modell nachgerechnet. Die infolge von Verbundver-
sagen und Dubelwirkung einhergehenden Spannungsumlagerungen und Steifigkeitsdegra-
dationen waren dabei von besonderem Interesse.
7.2 Ausblick
Das entwickelte Stahlbetonmodell berucksichtigt bereits viele zeitabhangige sowie zeitun-
abhangige hygro-mechanische Wechselwirkungen. Die Leistungsfahigkeit und das Anwen-
dungsspektrum des Simulationsmodells wurden anhand von Gegenuberstellungen von nu-
merischen Analysen mit experimentellen Auswertungen demonstriert. Zur Vergroßerung
des Leistungsspektrums werden folgende Erweiterungen als sinnvoll betrachtet:
• Das gegenwartige Modell beinhaltet bereits eine Schnittstelle, uber die die expan-
siven Spannungen infolge Rostbildung berucksichtigt werden konnen. Hierzu ist le-
diglich ein geeignetes Modell erforderlich, welches aus der Evolution der Rostmenge
unter Berucksichtigung von Betonschadigung diese expansiven Spannungen errech-
net.
7.2 Ausblick 143
• Eine Berucksichtigung des Materialverhaltens von Stahl und Beton in Abhangigkeit
von hohen Temperaturen kann zur Simulation von Schadigung in Stahlbetonstruk-
turen genutzt werden. Innerhalb des Homogenisierungsverfahrens mussen hierzu le-
diglich die entsprechenden konstitutiven Gesetze des Stahles und des Betons ange-
passt werden. Die bereits formulierten Homogenisierungsgleichungen und deren nu-
merische Umsetzung in ein Finite-Elemente-Modell konnen theoretisch unverandert
ubernommen werden.
• Basierend auf der Micro-Prestress-Solidification-Theorie zur Beschreibung von lang-
zeitigen Kriechverformungen existieren bereits Ansatze, den Einfluss der Tempera-
tur auf das Kriechverhalten mit zu berucksichtigen. Diese Erweiterung kann ohne
großeren Aufwand in das Kriechgesetz integriert werden.
• Das in dieser Arbeit verwendete Homogenisierungskonzept ist weitgehend allgemein
formuliert, so dass eine Anwendung auf beispielsweise textilbewehrtem Beton bzw.
Faserbeton eine sinnvolle Erganzung darstellt. Hierzu ist lediglich das konstitutive
Gesetz der eingebetteten Stahlbewehrung durch das des Fasermaterials zu ersetzen
und abhangig von der Geometrie des Fasermaterials den entsprechenden Eshelby-
tensor neu zu definieren.
144 Kapitel 7: Zusammenfassung und Ausblick
Anhang A
Koordinatentransformation
A.1 Transformation von Verzerrungen und Spannun-
gen
Die globalen Verzerrungen und Spannungen sind in Matrixnotation wie folgt gegeben
[ε] =
ε11ε22ε33
2 ε122 ε232 ε13
und [σ] =
σ11σ22σ33σ12σ23σ13
. (A.1)
Zu beachten ist, dass die Schubkomponenten der Verzerrungen im Ingenieurmaß definiert
sind. Eine Transformation in ein lokales Koordinatensystem (Darstellung ∼) innerhalb
23-Ebene gemaß Abbildung 3.10 erfolgt mit der Rotationsmatrix [Q(α)]
[ε] = [Q(α)] [ε] [σ] = [Q−T (α)] [σ], (A.2)
wobei der positive Winkel α sich aus der Rechtsdrehung der x1-Achse ergibt. Fur diese
Rotation lautet [Q(α)]
[Q(α)] =
1 0 0 0 0 0
0 cos2(α) sin2(α) 0 sin(α) cos(α) 0
0 sin2(α) cos2(α) 0 − sin(α) cos(α) 0
0 0 0 cos(α) 0 sin(α)
0 −2 sin(α) cos(α) 2 sin(α) cos(α) 0 cos2(α)− sin2(α) 0
0 0 0 − sin(α) 0 cos(α)
.(A.3)
Haufig findet sich in der Literatur eine andere Darstellung der Rotationsmatrix (siehe
z.B. [Richter 2005]). Die Ursache hierfur liegt in der unterschiedlichen Definition bzw.
145
146 Anhang A: Koordinatentransformation
Anordnung der einzelnen Komponenten. Sind beispielsweise die Schubkomponenten der
Spannungs- und Verzerrungsmatrix in einer anderen Reihenfolge definiert als in Glei-
chung (A.1) angegeben, ist die Rotationsmatrix [Q(α)] durch Vertauschen von Zeilen und
Spalten adaquat anzupassen.
A.2 Transformation der Werkstoffbeziehung
Ausgangspunkt zur Beschreibung der globalen Werkstoffbeziehung gemaß Abbildung 3.10
ist zunachst das konstitutive Gesetz im lokalen Koordinatensystem (∼)
[σ] = [C] [ε], (A.4)
wobei die Elastizitatsmatrix [C] im lokalen Koordinatensystem angegeben ist. Mittels der
Rotationsmatrix [Q] = [Q(α)] aus Gleichung (A.3) und der Transformationsvorschrift fur
die Spannungen und Verzerrungen aus Gleichung (A.2) kann Gleichung (A.4) wie folgt
umgeschrieben werden
[Q−T ][σ] = [C] [Q] [ε]
[σ] = [QT ] [C] [Q] [ε]
[σ] = [C] [ε] mit [C] = [QT ] [C] [Q].
(A.5)
In der obigen Gleichung bezeichnet [C] die Elastizitatsmatrix im globalen Koordinatensy-
stem. Diese durchgefuhrte Transformation ist fur eine anisotrope Beschreibung erforder-
lich. Fur eine isotrope Werkstoffbeziehung hingegen gilt aufgrund des invarianten Cha-
rakters [C] = [C].
Anhang B
Eshelbytensor
B.1 Eshelbytensor fur eine zylindrische Inhomoge-
nitat
Eshelbytensor S in Matrixnotation und im lokalen (123)-Koordinatensystem fur eine
zylindrische Inhomogenitat, die in einer isotropen Matrix mit der Querkontraktion νmeingebettet ist. Es gilt: d1 = d2 und d3 → ∞
1
2
3
d 2
d 1
d 3 ® ¥[S] =
S1111 S1122 S1133
S2211 S2222 S2233
S3311 S3322 S3333
2S1212
2S2323
2S1313
mit:
S1111 =5− 4νm8(1− νm)
, S1122 =4νm − 1
8(1− νm), S1133 =
νm2(1− νm)
S2211 = S1122, S2222 = S1111, S2233 = S1133
S3311 = S3322 = S3333 = 0
S1212 =3− 4νm8(1− νm)
, S2323 = S1313 =1
4und alle anderen Sijkl = 0
147
148 Anhang B: Eshelbytensor
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Curriculum Vitae
Personliche Daten
Name: Erkan Rumanus
Geburtsdatum: 03.05.1977
Staatsangehorigkeit: deutsch
Schul- und Berufsbildung
seit Mai 2003:
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl fur Statik und Dynamik an der Ruhr-
Universitat Bochum mit Aufgabenbereichen in der Lehre sowie in Forschung und
Entwicklung
Oktober 1998 – Marz 2003:
Hochschulstudium Bauingenieurwesen an der Ruhr-Universitat Bochum mit dem Schwer-
punkt “Konstruktiver Ingenieurbau” Diplomabschluss (Dipl.-Ing.)
September 1997 – Juni 1998:
Soldat der Bundeswehr in Speyer, Koblenz und Essen
Juni 1997:
Abitur: Allgemeine Hochschulreife im Stadtischen Aufbaugymnasium (UNESCO-Schule)
in Essen