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Script zur wdr-Sendereihe Quarks & Co Erdbeben – wenn die Erde zurückschlägt Westdeutscher Rundfunk Köln Appellhofplatz 1 50667 Köln Tel.: 0221 220-3682 Fax: 0221 220-8676 E-Mail: [email protected] www.quarks.de

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Script zur wdr-Sendereihe Quarks&Co

Erdbeben – wenn die Erde zurückschlägt

Westdeutscher Rundfunk KölnAppellhofplatz 150667 Köln

Tel.: 0221 220-3682Fax: 0221 220-8676

E-Mail: [email protected]

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Herausgeber: Westdeutscher Rundfunk Köln; verantwortlich: Öffentlichkeitsarbeit;Text: Axel Bach, Heinz Greuling, Uli Grünewald, Melanie Imenkamp, Silvio Wenzel;Redaktion: Wolfgang Lemme; Copyright: wdr, Juni 2007; Gestaltung: Design-bureau Kremer & Mahler, Köln

Bildnachweis: alle Bilder Freeze wdr 2007 außer: Titel großes Bild – Belinda Gallagher,morguefile; Titel kleine Bilder (v. l . n . r .) – akg, ddp, dpa, dpa; S. 4/S. 5 – dpa

Wie stark bebt die Erde, wenn 50.000 Menschen gleichzeitig hochspringen? Quarks & Co

hat ein spektakuläres Experiment gemacht: Beim Musik-Festival Rock am Ring sind die

Fans der deutschen Band Wir sind Helden gleichzeitig hochgehüpft – ein Seismograph hat

die Erschütterung gemessen. War das schon ein Erdbeben? Und was würde passieren,

wenn alle 1,3 Milliarden Chinesen gleichzeitig in die Luft springen?

Wie entsteht ein Erdbeben überhaupt? Was ist eigentlich die so genannte Richterskala,

und ist sie tatsächlich nach oben offen? Quarks & Co geht diesen Fragen nach und erklärt,

warum für die türkische Metropole Istanbul höchste Alarmstufe gilt und ob Tiere Erdbeben

spüren können. Außerdem berichtet ein Augenzeuge über das verheerende Erdbeben 1999

in der türkischen Stadt Izmit.

4 Mitten im Erdbeben

6 Warten auf die Katastrophe

9 Gigantische Reiberei

12 Was sagt die Richterskala?

17 Gespür für Gefahr: Sinne bei Tieren

20 Erdbeben durch Hüpfen?

Weitere Informationen, Lesetipps und interessante Links finden Sie auf unseren Internetseiten. Klicken Sie uns an: www.quarks.de

InhaltInhalt ErdbebenErdbeben

– wenn die Erde zuschlägt

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Die wenigen Überlebenden unter den Trümmerbergenwurden manchmal mit bloßen Händen freigelegt

Alles verloren: Erdbebenopfer in der Türkei vor denTrümmern ihrer Häuser.

Familie überlebt nur knapp – ein Erlebnisbericht

Als Ernst Struck durch ein ungewöhnliches Ge-räusch erwachte, war es gerade 3:01 Uhr. Mitten inder Nacht. Ernst Struck lehrt an der UniversitätPassau Geographie. Sein Spezialgebiet ist dieTürkei. Daher lebt er abwechselnd monatelang mitseiner Familie in Passau und in Istanbul. In dieserwarmen Augustnacht hatte ein gleichmäßigesFlattergeräusch in der Ferne den Familienvatergeweckt. Zunächst glaubte er nur einen großenHubschrauber zu hören. Doch dann wurden dieimmer stärker anwachsenden Vibrationen zu hefti-gen Bewegungen, die das ganze Haus in denGrundfesten erschütterten. Struck sprang ausdem Bett, doch der sich wild bewegende Bodenriss ihn wieder von den Füßen. Seinen Kindern undseiner Frau beizustehen war unmöglich. DieFamilie war den Gewalten hilflos ausgeliefert.

Vorschriften kriminell missachtet

Das Beben vom 17.08.1999 das sich rund 60 Kilo-meter östlich von Istanbul in Gölcück ereignete,war mit 7,4 eigentlich nicht außergewöhnlich stark

für die Türkei. Außergewöhnlich war jedoch dieAnzahl der Todesopfer: mehr als 16.000 Menschenstarben. Dabei blieben die meisten Gebäude in derRegion nahezu unbeschädigt. Doch die Gebäude,die einstürzten, fielen in sich zusammen wieKartenhäuser. Unter krimineller Missachtung derrecht strengen Bauvorschriften hatten profitsüch-tige Unternehmer sie in die Höhe gezogen. Unddas in einer extrem aktiven Erdbebenregion. DieBewohner der Billighäuser hatten kaum eine Über-lebenschance: Sie wurden im Schlaf zermalmt.

Flucht ins Freie

In der Istanbuler Wohnung, in der die FamilieStruck aus dem Schlaf gerissen wird, scheint nachdem ersten Beben zunächst alles in Ordnung zusein. Das Ehepaar und seine beiden Kinder erho-len sich vom Schreck. Der Blick aus dem Fensterzeigt keine auffälligen Schäden: Die Hagia Sophiaauf der anderen Seite des Bosporus erstrahltunversehrt im Licht der Scheinwerfer. Doch dannfällt plötzlich der Strom aus – Nachbeben setzenein. In der Wohnung schwingen die Wände mehrals 1,5 Meter hin und her. Panik erfasst die Familie.Alle stürzen aus der Wohnung; versuchen wie die

anderen Bewohner und Nachbarn, die engenStraßenschluchten zu verlassen und offene Plätzezu erreichen. Unzählige Menschen verbringen dieNacht in Parks und am Ufer des Bosporus, fliehenmit Autos aus der Stadt.

Zigtausende werden obdachlos

Noch 34 Nachbeben folgen an diesem ersten Tagnach dem Hauptbeben. Irgendwann kehrt dieFamilie in ihre Wohnung zurück. Doch die vielenNachbeben machen Angst. Beim geringstenGeräusch schrecken Strucks Kinder auf und wollenins Freie flüchten, vermuten ein neues Beben. Alsimprovisierte Erschütterungsmelder aufgestellteWasserschalen helfen schließlich, die überreiztenNerven wieder zu beruhigen. Nach und nach tref-fen erste Nachrichten über das Ausmaß derSchäden ein, über die Zahl der Opfer. In Istanbulverloren hunderte ihr Leben, wurden zigtausendeobdachlos.

Das ganze Ausmaß der Katastrophe

Zwei Tage später muss Ernst Struck beruflich vonIstanbul nach Ankara reisen. Seine Fahrt führt mitdem Wagen durch das eigentliche Schadensgebietim Nordwesten der Türkei. Bei Körfas ist durch dasBeben eine Raffinerie in Brand geraten. Hier, ander Küste des Marmarameeres, droht tagelangeine Umweltkatastrophe. Nur Löschflugzeuge ver-hindern das Schlimmste.

Als Geograph interessieren Struck die Aus-wirkungen des Bebens zwar auch beruflich. Dochdas Elend der Menschen trifft den professionellenBeobachter stärker, als er es sich zunächst einge-steht. Immer noch werden Menschen aus Trüm-mern am Straßenrand geborgen, Leichen auf LKWsverladen. 60.000 Häuser sind zerstört, hundert-tausende Menschen obdachlos. Sie hausen unterPlastikplanen im Freien, direkt am Straßenrand.Struck, der normalerweise alle seine Reisen foto-grafisch dokumentiert, bringt es nicht über sich,das Elend der Menschen auch noch zu fotografie-ren. Für seinen Bericht an die Universität Passaunutzt er nur Pressebilder. Nie wieder, sagt er,möchte er in eine solche Situation kommen.

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Mitten im ErdbebenMitten im Erdbeben

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zwei Kontinentalplatten: im Norden die riesigeeurasische Platte und im Süden die anatolische.Beide Platten schieben sich auf 1.400 KilometernLänge aneinander vorbei. Dabei verhaken sie sichund in ihrem Gestein entstehen unvorstellbargroße Spannungen. Diese entladen sich in gewalti-gen Erdbeben. Allein im letzten Jahrhundert bebtedie Erde entlang der nordanatolischen Verwerfungsechzehn Mal mit einer Stärke von 7 oder mehr.

Eigentlich sind Erdstöße in der Türkei also nichtsungewöhnliches. 95 Prozent des Landes sind stän-dig erdbebengefährdet und jedes Jahr rumort esirgendwo im Untergrund. Doch aufmerksam wur-den die Geoforscher, weil die Beben an der nord-anatolischen Verwerfung scheinbar einem be-stimmten Muster folgen.

Die Beben kommen immer näher

Seit inzwischen fast siebzig Jahren kommen dieschweren Erdbeben entlang der nordanatolischenVerwerfung immer weiter auf Istanbul zu. 1939

bebte die Erde weit im Osten der Türkei, in derNähe von Erzincan. In den folgenden fünf Jahrengab es drei weitere gewaltige Erdstöße, bei denentausende Menschen starben und ganze Dörferdem Erdboden gleichgemacht wurden. Das Eigen-artige bei diesen Beben war: Jedes Mal lagen dieErschütterungen ein Stück weiter westlich alszuvor. Damals wusste man, dass Erdbeben durchSpannungen im Gestein ausgelöst werden, aberdie Abfolge der Beben konnte niemand erklären.War es vielleicht nur Zufall?

Warum nach Westen?

Scheinbar nicht, denn schon 1957 und wieder zehnJahre später erschütterten neue Beben entlang dernordanatolischen Verwerfung die Türkei. Und wie-der weiter westlich als alle anderen Beben vorher.Inzwischen wussten die Fachleute, dass die Erd-oberfläche aus so genannten Kontinentalplattenbesteht. Und dass es entlang den Grenzen solcherPlatten zu Erdbeben kommt. Doch es blieb dasRätsel, warum die Beben nach Westen wanderten.

Eingequetscht zwischen zwei Platten

In den neunziger Jahren haben die Geologen dieBewegung der anatolischen Platte genauer ver-standen: Sie wird aus Südosten von der arabi-schen Platte gegen die riesige eurasische Konti-nentalplatte gedrückt. Wie bei einer Zwetschge,aus der man den Stein herausdrückt, rückt dieanatolische Kontinentalplatte deshalb jedes Jahrzwei bis drei Zentimeter nach Westen und reibtdabei an der Platte im Norden. Und das seit in-zwischen mindestens fünf Millionen Jahren. Beijedem Beben erhöht sich der tektonische Stressauf den weiter westlich liegenden Abschnitt underhöht dort die Gefahr eines schweren Bebens.Die Wissenschaftler hatten das Phänomen ver-standen und sagten Mitte der neunziger Jahre einverheerendes Erdbeben für die Region um Izmitvoraus. Sie wurden auf traurige Weise bestä-tigt: Am 17. August 1999 starben 16.000 Men-schen beim letzten großen Beben des zwanzigs-ten Jahrhunderts.

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Die Millionenstadt Istanbul steht vor einem Erdbeben

Noch ist Istanbul eine stolze und lebendige Stadt.Noch! Denn das kann sich jeden Tag ändern. Darinsind sich Geologen einig: Die Metropole amBosporus steht vor einer verheerenden Katastro-phe. Die Forscher prognostizieren, dass Istanbulbald von einem gewaltigen Erdbeben erschüttertwird. 40.000 Menschen könnten dann in den ein-stürzenden Häusern zerquetscht werden, nocheinmal 10.000 würden sterben, weil die Rettungs-kräfte nicht schnell genug helfen können. Es gibteindeutige Hinweise darauf, dass die Stadt mitihren vielen Millionen Einwohnern in großerGefahr ist. Was lässt die Forscher so sicher sein?

Die Gefahr schlummert nur wenige Kilometerentfernt

Istanbul liegt nur wenige Kilometer nördlich der sogenannten nordanatolischen Verwerfung. Entlangdieser Verwerfung zieht sich die Grenze zwischen

Links:Vor allem solche baufälligen Siedlungen würden einem großen Beben kaum noch standhalten

Mitte:Die nordanatolische Verwerfung ist die Grenze zwischen der eurasischen und der anatolischenKontinetalplatte

Rechts:Alle heftigen Beben der letzten Jahrzehnte wanderte im weiter nach Westen

Warten auf die KatastropheWarten auf die Katastrophe

Schwarzes MeerSchwarzes Meer Schwarzes MeerSchwarzes Meer

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Die Kontinentalverschiebung lässt die Erde beben

Der Blick auf einen Globus bietet ein vertrautesBild: Jede Menge Wasser und mittendrin ein paarKontinente. Scheinbar starr und unverrückbarliegen sie da. Aber der Eindruck täuscht gewal-tig. Denn die Kontinente verändern ständig ihrePosition – jedes Jahr um ein paar Zentimeter. Sodriften sie auseinander, drehen sich und kollidie-ren sogar miteinander. Dabei sind unglaublicheKräfte im Spiel. Es kommt zu zahllosen und zumTeil heftigen Erdbeben. Im Laufe von Jahrmillio-nen werden riesige Gebirge in die Höhe gescho-ben, an anderen Stellen verschwindet Land-masse von der Erdoberfläche wieder im flüssi-gen Inneren des Planeten.

Lange umstrittene Theorie

Dass die ganze Erde von beweglichen Plattenbedeckt ist und die Kontinente wandern, ent-deckten Geoforscher im Laufe des 20. Jahrhun-derts. Begründet wurde die Theorie der Platten-tektonik von dem deutschen Polarforscher undGeophysiker Alfred Wegener. Heute besagt dieseTheorie, dass die Erdkruste nicht aus einem

einzigen festen Mantel besteht, sondern aus sie-ben großen und etlichen kleineren Kontinental-platten. Nicht nur die Landmassen der Konti-nente gehören zu diesen tektonischen Platten,sondern auch die ozeanische Kruste unter denMeeren. Noch unter den Kontinentalplatten liegteine flüssige Schicht aus geschmolzenem Ge-stein. Auf dieser Schicht ziehen die Plattenunaufhaltsam ihre Bahn. Es sind nur wenigeZentimeter in jedem Jahr, aber im Laufe vonJahrmillionen ändert sich so das Aussehen desGlobus gewaltig.

Alfred Wegener

Alfred Wegener (1880-1930) war Polarforscher, Meteo-rologe und Geophysiker. Er unternahm viele Expeditionenund entwarf die Theorie von der Kontinentalverschiebung:Wegener fiel auf, dass es auf verschiedenen KontinentenÜbereinstimmungen von Gesteinsformationen sowie fossilenFunden der Tier- und Pflanzenwelt gibt. Er erklärte dies mitder Vorstellung von einem Urkontinent, der auseinandergebrochen ist. In Fachkreisen stieß er damit auf Ablehnung.Doch aus seiner Vorstellung von auseinander brechendenund wandernden Kontinenten entwickelte sich nach seinemTod in den 1960er Jahren die Theorie von der Platten-tektonik. Somit gilt Wegener als Vater der bis heute gültigenTheorie.

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Die Schonfrist ist abgelaufen

Seit der Katastrophe von 1999 liegt die ganzeSpannung direkt vor Istanbul. Die nordanatolischeVerwerfung verläuft nur wenige Kilometer südlichder Stadt mitten durchs Marmarameer. Das letztegroße Beben erschütterte die Metropole 1776.Aber damals war die Stadt noch nicht so dichtbesiedelt. Im Grunde weiß niemand, wie vieleMenschen heute dort leben: zehn Millionen, viel-leicht zwölf? Die Stadt wächst unaufhörlich, jedesJahr kommen Hunderttausende aus allen Regio-nen der Türkei. Viele von ihnen sind bitterarm –und gerade diese Menschen haben kein Geld, umerdbebensichere Häuser zu bauen. Und so kommtes, dass bis zu zwei Drittel der Häuser in Istanbulohne Baugenehmigung errichtet wurden. Sie sindbei einem Beben einsturzgefährdet – nicht auszu-malen, was passieren wird, wenn das Beben mit-ten in der Nacht kommt und die Bewohner imSchlaf überrascht.

Links:Die kleine anatolische Platte weicht dem Druck nach Westen aus

Mitte:Luftbild von dicht besiedelten Stadtgebieten

Rechts:So kennen wir die Erde heute

Schwarzes MeerSchwarzes Meer

Gigantische ReibereiGigantische ReibereiWarten auf die Katastrophe

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Links:An den mittelozeanischen Rücken wirdneues Gestein geboren

Mitte:Wenn eine Kontinentalplatte unter die andere rutscht, kracht es am stärksten

Rechts:Zwei Platten schieben sich aneinander vobei– diese Konstellation führt in Kalifornienund in der Türkei häufig zu Erdbeben

Gigantische ReibereiDie mittelozeanischen Rücken

Angetrieben werden die Platten von heißemGestein, das aus den tieferen Schichten der Erdean die Oberfläche gedrückt wird. Auf insgesamt60.000 Kilometern Länge quetscht sich kochen-de Lava durch Risse in der Erdkruste aus demUntergrund. Dabei schiebt sie die angrenzendenKontinentalplatten immer weiter auseinander.Diese Risse liegen mitten in den Ozeanen, tau-sende von Metern tief. Fachleute sprechen vonmittelozeanischen Rücken.

Ein solcher mittelozeanischer Rücken zieht sichzum Beispiel auch durch den Atlantik. DasAuseinanderdriften der Kontinente verläuft abernicht wie geschmiert. Vielmehr verhaken sich diePlatten und die von unten nachströmende Lavasetzt das Gestein der Kontinentalplatten immerweiter unter Spannung. Diese entlädt sich dannin Erdbeben. Dabei bewegen sich die Plattenruckartig ein Stück auseinander.

Subduktionszonen der Erde über 55.000 Kilome-ter. In diesen Regionen gibt es die meisten Erd-beben, und es sind auch die schwersten: Japanund die Westküste Südamerikas liegen zumBeispiel in solchen Subduktionszonen entlangden Nahtstellen der Kontinente. Die schwerenErdbeben in Japan, zum Beispiel in Kobe 1995,und die Beben in Südamerika, so auch dasschwerste bisher gemessene Erdbeben in Chilevon 1960, sind Beispiele für Beben in Subduk-tionszonen.

Konservative Plattengrenzen

Es gibt aber auch Plattengrenzen, an denen keinGesteinsmaterial neu entsteht und auch keinesvernichtet wird. Entlang solcher Grenzen schie-ben sich zwei Kontinentalplatten horizontalaneinander vorbei. Dabei entstehen starkeSpannungen im Gestein, die sich in Form vonErdbeben abbauen. Der St. Andreas-Graben in

Kalifornien und die nordanatolische Verwerfungin der Türkei sind die bekanntesten Beispiele fürsolche Plattengrenzen und gleichzeitig die ambesten erforschten Erdbebengebiete der Erde.

Die vertraute Lage der Kontinente auf demGlobus ist also nur eine Momentaufnahme: DieBewegung der Platten geht unaufhörlich weiter.In ferner Zukunft kollidiert Afrika mit Europa.Dabei verschwindet das Mittelmeer und dieAlpen werden weiter in die Höhe schießen.Australien stößt mit der Ostküste Asiens zusam-men und die Antarktis verlässt den Südpol. In250 Millionen Jahren sind dann fast alle Konti-nente wieder zu einem gigantischen Superkonti-nent vereinigt.

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Die Subduktionszonen

Aber die Erdoberfläche wird nicht größer – des-halb muss bei der Bewegung der Kontinen-talplatten in anderen Regionen festes Gesteinwieder verschwinden. Dies passiert dort, wozwei Platten zusammenstoßen, in den sogenannten Subduktionszonen. Eine der beidenwird bei dieser Kollision unter die anderegedrückt. Ihr Gestein verschwindet in tieferenSchichten der Erde und wird wieder einge-schmolzen. Doch auch die obere Platte verän-dert sich: Riesige Gebirge können in die Höhegedrückt werden. Der Himalaja und die Andensind so entstanden und wachsen auch heutenoch weiter.

Auch entlang den Subduktionszonen verhakensich die Kontinentalplatten. Das Gestein derabtauchenden Platte gleitet nicht fließend. Nachund nach baut sich Spannung auf, die sich inErdbeben entlädt. Insgesamt erstrecken sich die

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fanden. Denn lange Zeit wurden Erdbeben immernur an ihren Auswirkungen gemessen – ob etwaHäuser Risse bekommen, einstürzen oder Ähnli-ches. Außerdem sollte die Stärke möglichst einfachzu bestimmen sein, denn damals wurden Seismo-gramme noch von Hand ausgewertet.

Seismogramm

Ein Seismogramm ist die Kurve, die ein Seismometer beieinem Erdbeben erfasst. Das Seismogramm bildet dieBodenbewegung eines Erdbebens in Abhängigkeit zur Zeit ab.

Mehrere müssen messen

Die Grundidee für eine neue Skala lieferte ihm einKollege aus Japan: Wenn mehrere Erdbeben-stationen dasselbe Erdbeben registrieren, kannman mit diesen Daten bestimmen, wo genau dasErdbeben stattfand (das so genannte Epizentrum)und wie stark das Erdbeben im Epizentrum war.

Auf dieser Grundlage hat Richter eine genaueMessvorschrift entwickelt: „Die Magnitudeeines Erdbebens ist definiert als der Logarith-

Was sagt die Richterskala?Die Wahrheit über die Erdbebenstärke

Machen Sie den Test und fragen Sie Ihre Nachbarn,Kollegen oder Freunde: „Was misst eigentlich dieRichterskala und bis wohin geht sie maximal?“ DieAntwort wird sehr wahrscheinlich lauten: „Mit derRichterskala misst man die Stärke eines Erdbebensund sie ist nach oben offen.“ Fragt man dann etwasgenauer nach, merkt man: Die wenigsten wissengenau, was es mit der Stärke von Erdbeben undihrer Messung auf sich hat.

Ein Blick zurück auf die Anfänge der Erdbeben-messung macht einiges klarer: Anfang der 1930er-Jahre suchte der Seismologe Charles FrancisRichter nach einem einfachen System, mit demman die Stärke von Erdbeben messen kann. Richterarbeitete am California Institute of Technology imkalifornischen Pasadena. In Kalifornien sind Erdbe-ben nichts Ungewöhnliches. Und so suchte Richternach einer universell einsetzbaren Skala, mit der ereinerseits die vielen sehr schwachen Erdbeben aus-sortieren konnte; diese waren für die Forschungnicht interessant. Andererseits wollte Richter aberauch die Stärke von Erdbeben erfassen, die nicht inunmittelbarer Nähe einer Erdbebenstation statt-

mus der größten Auslenkung, gemessen inMikrometer, mit der ein Standard-Seismometerdas Erdbeben aus 100 Kilometer Entfernung re-gistrieren würde.“

Magnitude

Die Magnitude ist ein Maß, mit dem die Stärke von Erdbebenangegeben werden. Wissenschaftler haben verschiedeneMagnitudenskalen entwickelt. Allen gemeinsam ist ihr loga-rithmischer Aufbau: Ein Beben mit der Stärke 5 ist 10 malstärker als eines mit der Stärke 4 – und 100 mal stärker alseines mit der Stärke 3.

Um einen Magnitudenwert interpretieren zu können, mussman wissen, für welche der verschiedenen Erdbebenskalen erberechnet wurde: Man unterscheidet Raumwellenmagnitude,Oberflächenwellenmagnitude, Nahbebenmagnitude undMomentmagnitude.

Vorteil der Richterskala: Sie ist einfach

Diese Rechenvorschrift hatte einen bestechendenVorteil: sie ist einfach und man konnte den Magni-tudenwert schnell bestimmen: eine Auslenkung

von 1 Millimeter entspricht 1.000 Mikrometer – derLogarithmus von 1000 ist 3 (weil 1000 = 10 hochdrei ist). Und somit ist der Wert auf der Richter-skala 3, sofern das Beben in 100 km Entfernungstattfand.

Richter hat dann eine einfache Tabelle aufgestellt:in der konnte man für jede Entfernung einen Wertablesen, den man dann nur noch von demLogarithmus der gemessenen Auslenkung imSeismogramm abziehen musste. Fertig.

Die Nachteile der Richterskala

Seit 1935, als Richter seine Erkenntnisse veröf-fentlichte, ist einige Zeit vergangen. Seismo-gramme werden nicht mehr mit dem Lineal aus-gewertet, sondern mit dem Computer und Erd-bebenforschung ist ein weltweites Geschäft:Wenn in Asien die Erde bebt, dann registrierendas auch die Erdbebenstationen in Europa undAmerika. Für solche Entfernungen ist die Richter-skala aber völlig ungeeignet. Richter selbst hatin seiner Tabelle als weiteste Entfernung 600 kmangegeben. Weiter darf eine Messstation also

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Ein Seismometer zeichnet ein Seismogramm auf

Charles Francis Richter

Was sagt die Richterskala?

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Was sagt die Richterskala?

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Eine dpa-Meldung vom 26.12.2004

Werte möglich, die größer als 6,5 sind. Doch dieRichterskala ist so bekannt, dass die Medien sieauch dann verwenden, wenn die Wissenschaftlereine ganz andere Erdbebenskala genutzt haben.

Bei 10,6 bricht die Erdkruste auseinander

Eine der modernen Skalen ist die so genannteMomentmagnitude. Sie erfasst alle Wellentypen –sowohl kurze wie mittlere als auch lange Wellen.Um starke Erdbeben korrekt messen zu können,sind allerdings Messgeräte nötig, mit denen mandie komplette Bandbreite der Bodenbewegungenbei einem Erdbeben erfassen kann. Aber auch dieMomentmagnitude ist nur in der Theorie nachoben offen. In der Praxis wird es auf der Erde nie-mals Werte über 10,6 geben. Ein Erdbeben mit derStärke 10,6 wäre nämlich so stark, dass diegesamte Erdkruste aufbricht. Und weil nicht mehrals die gesamte Erdkruste aufbrechen kann, kannes auf der Erde auch keine Erdbeben geben, derenMomentmagnitude stärker als 10,6 ist.

Nach unten offen

Was nun die Richterskala angeht, so ist sie zwarnach oben tatsächlich nicht offen – wohl aber nachunten: den Nullpunkt hat Richter mehr oder weni-ger willkürlich festgelegt. Zu seiner Zeit warenBeben mit der Stärke 0 die schwächsten Erschüt-terungen, die man mit den damaligen Messgerä-ten erfassen konnte. Moderne Seismometer kön-nen Bodenbewegungen noch im Nanometer-bereich erfassen. Es sind also Werte möglich, dieniedriger als Null sind.

nicht vom Epizentrum entfernt sein, wenn maneinen Wert auf der Richterskala bestimmenmöchte. Zudem gilt die Richterskala strenggenommen nur in Kalifornien, denn dort hatRichter gearbeitet und der entfernungsabhängi-ge Korrekturfaktor bezieht sich auf die Boden-verhältnisse in Kalifornien. Wendet man dieRichterskala in Deutschland an, muss man demanderen Untergrund Rechnung tragen und dieKorrekturwerte anpassen.

Kein Beben über 6,5

Und dann gibt es noch ein Problem: zwar heißt eshäufig, die Richterskala sei nach oben offen. Abergenau das Gegenteil ist der Fall. Man kann mit denvon Richter ausgewählten Messgeräten gar keinestarken Beben messen. Das erklärt der Leiter derErdbebenstation Bensberg, Dr. Klaus G. Hinzen:„Das liegt daran, dass die Messgeräte, mit denenRichter die Skala entwickelt hat, nur einen be-stimmten Teil der Bodenbewegungen bei einem

Erdbeben erfassen können. Und da passiertFolgendes: Die Beben werden stärker und dieZahlenwerte steigen an – aber nur bis etwa 6,5.Darüber hinaus sehen die Seismometer den Restder Bodenbewegungen nicht mehr und deswegenwerden die Zahlenwerte nicht mehr größer.“Zusammengefasst: Die Richterskala hört bei 6,5auf. Nur in den Medien gibt es sie mit größerenZahlenwerten.

Neuere Erdbebenskalen können mehr

Aber wie kommen Journalisten dann auf Werte, diees gar nicht geben kann? Eins ist klar: auch wenndie Deutsche Presse-Agentur (dpa) eine „Stärkevon 8,5 auf der Richterskala“ meldet (vgl. das Bildoben) – die dort zitierte US-Erdbebenwarte würdeso etwas niemals verbreiten, denn diesen Wertgibt es nicht. Doch neben der Richterskala habenWissenschaftler weitere Skalen entwickelt. Sie lie-fern ebenfalls so genannte Magnitudenwerte –aber auf einer anderen Skala. Und damit sind auch

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Verrät ihre Nase den Schweinen, ob ein Beben naht? SeitJahrhunderten gibt es Berichte, dass die verschiedenstenTiere vor Erdbeben verrückt spielen

Berechnung der Richterskala

Man misst auf dem Seismogramm eine Aus-lenkung von 1 Millimeter. Der Logarithmus von 1(1 Millimeter Auslenkung) ist 0. Der Korrekturwertbei 100 km Entfernung ist -3. Somit ergibt sich fürden Magnitudenwert: 0 -(-3) = 0 + 3 = 3.

Stünde das Seismometer nicht in 100 kmEntfernung, sondern in knapp 300 km Entfernung,wäre der Korrekturwert -4 und ein Erdbeben hätte– bei gleicher Auslenkung im Seismogramm von1 Millimeter – eine Stärke von 4 gehabt (da 0 -(-4) = 4ist).

Ebenfalls Stärke 4 erhält man, wenn der größteAusschlag im Seismogramm 10 Millimeter gewe-sen wäre – bei einer Entfernung des Erdbebensvon 100 km: 1 -(-3) = 4. Hieran erkennt man: EinPunkt mehr auf der Richterskala bedeutet einezehnfach stärkere Bewegung der Erde, die imSeismogramm sichtbar wird.

Ein sechster Sinn für Erdbeben

Alles scheint normal und friedlich, aber die Tierespielen plötzlich verrückt: Hunde bellen, Rattenrennen aus den Häusern und Schlangen krie-chen aus ihren Erdhöhlen. Dann, wenigeStunden später: ein Erdbeben. Menschen ausverschiedenen Epochen und Kulturen erzählenvon diesem Phänomen, einem seltsamen Ver-halten der Tiere vor einem Erdbeben. Aber kön-nen Tiere ein nahendes Beben wirklich fühlen,riechen oder vielleicht sehen? Haben sie mögli-cherweise einen sechsten Sinn, der sie warnt?Und sollte man solchen Berichten überhauptglauben?

Wissenschaftler sind skeptisch

Viele Tiere haben Sinne, die den Menschen feh-len – Fledermäuse orientieren sich mit Hilfe vonUltraschall, und einigen Schlangen verrät einspezielles Infrarot-Organ, wo sich Beutetiereverstecken. Andere Sinne sind bei vielen Tierenbesser entwickelt als beim Menschen, zum Bei-

spiel der Geruchssinn bei Hunden. Doch welcherSinn den Tieren ein nahendes Erdbeben verra-ten soll, ist schwierig herauszufinden. Forscherwissen bis heute wenig darüber, was sich Tageoder Wochen vor einem Beben im Bodenabspielt – jedes Beben scheint anders zu verlau-fen. Große Testreihen zu einem möglichenErdbebensinn von Tieren lassen sich kaumdurchführen, da schwere Beben zu selten sind.Auch die Berichte von Laien über ungewöhnli-ches Tierverhalten liefern den Wissenschaftlernkeine sicheren Daten. Wie welche Tiere wannreagiert haben, oder ob den Beobachter nurseine Erinnerung täuscht, lässt sich darauskaum entnehmen.

Die Flucht vor der Riesenwelle

Manchmal können Wissenschaftler einenangeblichen sechsten Sinn der Tiere aber aucherklären. Zum Beispiel beim Seebeben vorSumatra im Dezember 2004. Damals sind vieleTiere der riesigen Flutwelle – dem Tsunami –entkommen. Das berichten zum Beispiel Natur-

Gespür für GefahrGespür für Gefahr: Sinne bei Tieren

Vergleich zweier Seismogramme. Das Erdbeben, das oben aufgezeichnet wurde, hatte eine Stärke von 4,5.Unten sieht man ein Seismogramm eines Erdbebensmit der Stärke 3,5. Beide Erdbeben fanden in einerEntfernung von etwa 400 Kilometern statt und sinddaher direkt miteinander vergleichbar

Was sagt die Richterskala?

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Links:Nach einem Seebeben breiten sich die Erdbebenwellen imBoden (gelb) wesentlich schneller aus als die Wasserwelle

Mitte:Bei einem Erdbeben breiten sich verschiedene Arten vonWellen aus. Die schnellen Wellen (gelb) richten noch keinengroßen Schaden an

Rechts:Mit Hilfe ihrer Ampullenorgane können Welse elektrischeFelder wahrnehmen

schutzbehörden aus Sri Lanka. Um den Tsunamivorauszusehen, brauchten die Tiere aber keinegeheimnisvollen Fähigkeiten, sondern nur einenfeinen Sinn für Erschütterungen. Bei einemSeebeben breiten sich die Erschütterungen imBoden viel schneller aus als im Wasser. In SriLanka kam schon zwei Stunden vor der Wasser-welle eine Bodenwelle an. Viele Tiere sind fürsolche Erschütterungen sehr empfindlich, zumBeispiel bodenlebende Reptilien oder auchElefanten. Deshalb konnten sie möglicherwei-se schon vor der Ankunft des Tsunamis dasBeben wahrnehmen und sich in Sicherheitbringen.

Ein paar Sekunden bis zum Beben

Bei Beben an Land bleibt den Tieren nicht so vielZeit zur Flucht. Denn wenn die Erde rumort,bewegen sich verschiedene Arten von Wellenunterschiedlich schnell vom Zentrum desBebens weg. Die schnellsten Wellen haben nochwenig Zerstörungskraft. Die eigentliche Kata-strophe lösen Beben aus, die langsamer sind

und den ersten Wellen folgen. Sie sind es, dieHöhlen, Häuser und Brücken einstürzen lassen.Je nach Entfernung vom Erdbebenzentrum kom-men die leichten Wellen wenige Sekunden biseinige Minuten vor dem schweren Beben an.Wer dann empfindlich genug ist und weiß, waszu tun ist, ist im Vorteil – wie die Kängururatte,die im von Erdbeben geplagten Kalifornien lebt.Dieser Nager hat einen feinen Sinn für Erschüt-terungen. Der kann dem Tier helfen, innerhalbweniger Sekunden nach den ersten Vorzeichenaus seinem Bau ins Freie zu flüchten.

Kängururatte

Es könnte sogar sein, dass das Fliehen vor Erdbeben bei denKängururatten schon genetisch verankert ist. Denn diesekleinen Ratten pflanzen sich eifrig fort und leben nicht sehrlang. Entsprechend schnell vererben sich also auchVeränderungen in den Genen. Wissenschaftler habenberechnet, dass bei den häufigen Erdbeben in Kalifornieneine genetische Anpassung durch Mutation erfolgt seinkönnte.

Haben Fische und Tauben ein Frühwarnsystem?

Warum Tiere schon Tage oder Wochen vor einemErdbeben unruhig werden sollen, bleibt nochrätselhaft. Warum springen zum Beispiel Fischewie Welse lange vor einem Beben an derWasseroberfläche herum, wie viele Menschenberichten? Forscher stellen darüber einigeVermutungen an, die mit den elektrischenFeldern im Erdinneren zusammenhängen. Dieverändern sich bisweilen vor einem Erdbeben,und Welse könnten das bemerken. Sie haben sogenannte Ampullenorgane in der Haut, mitdenen sie elektrische Felder wahrnehmen kön-nen. Normalerweise helfen ihnen diese Organe,Beute zu fangen oder sich zu orientieren. AuchTauben drängen Tage vor einem Erdbeben ausdem Schlag ins Freie. Das könnte an einem Sinnliegen, der ihnen normalerweise hilft, sich zuorientieren: Sie haben einen inneren Kompass,mit dem sie das Magnetfeld der Erde wahrneh-men – und auch das kann sich vor einem Bebenverändern. Besonders häufig ist in Augenzeu-genberichten aber von Hunden oder Schweinen

die Rede, die lange vor einem Beben in Panikgeraten und versuchen auszubrechen. Dabeihaben sie weder elektrische noch magnetischeSinne. Aber eine feine Nase. Auch die könnteHinweise auf Erdbeben geben, denn man hateinige Male beobachtet, dass vor Beben ver-schiedene Gase frei werden und ins Grundwas-ser und in die Luft gelangen.

Tauben

Der Magnetsinn von Tauben funktioniert unter anderemdurch Nervenenden, die die metallische VerbindungMagnetit enthalten. Sie liegen im Schnabel.

Gespür für Gefahr...

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Wenn alle 1,3 Milliarden Chinesen gleichzeitig indie Luft springen, lösen sie dann tatsächlich einErdbeben aus? Quarks & Co macht dazu einspektakuläres Experiment und arbeitet mitExperten der Task Force Erdbeben des Geofor-schungszentrums Potsdam zusammen.

Wir lassen den Turner Thomas Seitel Saltosspringen, 5 Tonnen Lebendgewicht der Football-Mannschaft Cologne Centurions auf die Erdestampfen, und schließlich bis zu 50.000 Fans beiRock am Ring zur Musik von Wir sind Heldenhüpfen.

Denn wenn Füße beim Springen auf den Bodenauftreffen, wird die Erde darunter ein kleinesStück zusammengedrückt und kann sich an-schließend wieder entspannen. Insgesamt nichtviel – aber ausreichend, dass sich entsprechen-de Erdwellen ausbreiten. So ähnlich wie Wellenauf einer Wasseroberfläche. Der Unterschied ist,dass sich die Wellen in der Erde nicht nur an derOberfläche ausbreiten, sondern in alle Richtun-

gen, auch nach unten. Quarks & Co macht denDreifach-Test und untersucht: Wie weit sind dieErschütterungen noch zu spüren und kommt estatsächlich zu einem Erdbeben?

Die Erde reagiert auf jeden Sprung

Thomas Seitel macht Flic-Flacs und springt Saltirückwärts – wenige Meter von dem Seismometerentfernt auf einer Wiese.

Zu spüren ist von seiner Landung nichts, aberdas empfindliche Messgerät zeigt einen deutli-chen Ausschlag. Ein kleines Stück der Wiese hatsich als Folge des Sprungs innerhalb einerSekunde rund einen Millimeter gehoben undwieder gesenkt.

Als nächstes wollen wir wissen, in welchemUmkreis ein Sprung die Erde in Schwingungenversetzt. Dazu muss Thomas Seitel eine ganzeSerie an Salti und Flic-Flacs absolvieren. Dabei

entfernt er sich jeweils 10 Meter weiter von demMessgerät. Überraschend, sogar in 50 MeternEntfernung kommen die Erdwellen noch amSeismometer an. Erst ab 70 Metern gehen sie imallgemeinen Rauschen unter.

Fazit der Erdbeben-Experten: Die maximale Aus-lenkung ist zwar in unmittelbarer Umgebung mitrund einem Millimeter recht hoch, doch insge-samt reicht die Energie eines Springers nichtaus, um die Erde – wie bei einem Erdbeben – zuerschüttern.

Auf den richtigen Takt kommt es an

Nach ihrem täglichen Training bekommen die 47Football-Spieler der Cologne Centurions von unseine ungewöhnliche Aufgabe. Hüpfen für dieWissenschaft. Und tatsächlich können wir bei denCenturions schon ganz ohne Messgerät spüren,dass die Erde zittert. Immerhin bringen die Jungszusammen auch mehr als 5 Tonnen auf die Waage.

Um ein sauberes Signal zu bekommen, müssendie 5 Tonnen Lebendgewicht gleichzeitig auf derErde aufkommen. Am besten klappt es mitMusikbegleitung: Bei We will rock you vonQueen springen und landen die Centurionsnahezu synchron.

Ein Blick auf das Seismometer und die damitgemessene maximale Auslenkung bestätigt,dass die Erdbebenwellen deutlich stärker gewor-den sind. Auch die Reichweite hat sich erhöht.Ein zweites Messgerät, mehr als 100 Meter ent-fernt zeigt ebenfalls deutlich die einzelnenAusschläge im Takt der Musik.

Fazit der Erdbeben-Experten: Die Sprung-Energie muss zum exakt gleichen Zeitpunkt andie Erde abgegeben werden. So lässt sich dieAmplitude – also der Ausschlag – der Erd-bebenwellen maximieren. Doch über ein lokalesZittern der Erde kommt man auch mit denCenturions nicht hinaus. Von Beben keine Spur.

Erdbeben durch Hüpfen?

Mehr als 5 Tonnen bringen die 47 Spieler der CologneCenturions auf die Waage, genug für ein Erdbeben?

Erdbeben durch Hüpfen?

Schon eine Person bringt die Erde zum Wackeln

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Rock am Ring lässt die Erde erzittern

Auf dem Musik-Festival Rock am Ring sind meh-rere Zehntausend Menschen, plus zwei Erd-beben-Experten und das Team von Quarks & Co.Jetzt müssen nur noch möglichst viele im glei-chen Takt hüpfen. Dafür sorgt die Gruppe Wirsind Helden. Sie sind sofort bereit zur Aktionscience meets pop. Der Schlagzeuger Pola Royund Bassist Mark Tavassol wetten sogar, wieweit die Erschütterungen kommen. Pola glaubt,mindestens bis zur einen Kilometer entferntenNürburg, Mark bezweifelt das.

Um 1:15 Uhr in der Nacht ist es dann soweit. DieHelden hüpfen auf der Bühne und mit ihnen rund50.000 Fans. Nur wir hüpfen nicht mit undschauen gebannt auf die Anzeige des Mess-gerätes. Überraschenderweise sieht man zuersthauptsächlich die Bässe der Musik. Doch dannwerden die Schwingungen durch das Hüpfenimmer deutlicher. Als sich die Fans eingesprun-gen haben, kommt das Signal auch deutlich auf

der ein Kilometer entfernten Nürburg an. Darausberechnen die Experten: Sogar in drei Kilome-tern Entfernung müssten die Erschütterungennoch nachweisbar sein. Damit hat Pola eindeutigdie Wette gewonnen.

Insgesamt entsprechen die Erschütterungendurch das Hüpfen der 50.000 Menschen einemBeben der Stärke 0,2 auf der Richter-Skala. Dasist weniger als die Experten vorab berechnethaben. Theoretisch müssten die Fans auf eineStärke von 1,7 kommen.

Der Unterschied hat zwei Ursachen. Erstens hüp-fen trotz Musik nicht alle Fans hundertprozentigim Takt. Zweitens landen sie auf einer großenFläche verteilt. Um die Energie vollständig zubündeln, müssten sie dagegen alle zum exaktgleichen Moment auf einem Punkt landen.Tatsächlich ist deswegen das ausgelöste Erdbe-ben von hüpfenden Menschen immer viel kleinerals es theoretisch sein könnte.

Fazit der Experten:

Erstens

Überraschenderweise erzeugt das Hüpfen vonso vielen Menschen eine sehr charakteristischeSchwingung, die sich relativ weit in die Umge-bung ausbreitet.

Zweitens

Das Beben ist mit einer Stärke von 0,2 kleiner alstheoretisch möglich, weil nicht alle Menschenexakt gleichzeitig und auf dem selben Punkt lan-den.

Drittens

Rechnet man die Ergebnisse auf 1,3 MilliardenChinesen hoch, kommt man auf ein Beben derStärke 3. Das könnte man – in China – gerade soohne Messgerät wahrnehmen. In Deutschlandkäme davon aber nichts mehr an. Auch die

Chinesen liegen damit unter der theoretischenStärke von 4,5. Denn auch sie würden auf einerriesigen Fläche verteilt hüpfen. Und es wärenoch schwieriger ihre Sprünge zu synchronisie-ren.

Menschen können durch Sprünge Erschütterun-gen auslösen, ein richtiges Erdbeben ist dasaber noch lange nicht.

Erdbeben durch Hüpfen?

Erdbebenforschung zum Anfassen und Mitmachen. Nahezu 50 Tausend Musikfansversuchten, ein Erdbeben auszulösen