Dr. Bernhard Conrads - Wie baue ich eine Inklusionspyramide
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Transcript of Dr. Bernhard Conrads - Wie baue ich eine Inklusionspyramide
Inklusion und Sport – Ziemlich beste Freunde
Die Konvention der Vereinten Nationen für die Rechte
behinderter Menschen und ihre Auswirkungen auf
Barrierefreiheit, Zugänglichkeit und Bewusstseinsbildung
Oder:
Wie baue ich die Inklusionspyramide?
Impulsreferat - Kurzfassung
von
Dr. Bernhard Conrads
Erster Vizepräsident von Special Olympics Deutschland
Bundesgeschäftsführer der Lebenshilfe i.R.
anlässlich des 13. Hamburg Symposiums Sport, Ökonomie und
Medien am 30. und 31.5. 2013 im Millertorstadion Hamburg-St. Pauli
Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung der
Vereinten Nationen ist ein Meilenstein in der menschenrechtsorientierten
Behindertenpolitik. Sie wurde 2006 von der UN-Vollversammlung
verabschiedet und im März 2009 von der Bundesrepublik Deutschland
ratifiziert. Damit ist sie gültiges Recht.
Die UN-Konvention ist sie verbindliche Richtschnur und Anregung
gleichermaßen. Viele bezeichnen Sie als eine „Schatztruhe“.
B. Inklusion
Bei Inklusion – dem Leitgedanken der UN-Konvention - geht es nicht nur
darum, das Ausgesonderte zu integrieren, sondern allen Menschen von
vornherein die Teilnahme an allen gesellschaftlichen Aktivitäten auf allen
Ebenen und in vollem Umfang zu ermöglichen. Die Betroffenen haben nicht die
Aufgabe, ihre Bedürfnisse an (angebliche) gesellschaftliche Notwendigkeiten
anzupassen, sondern die Gesellschaft hat die Aufgabe, sich auf die Bedürfnisse
der Betroffenen einzustellen (Wikipedia).
Inklusion betrifft im Kern die Kunst des Zusammenlebens verschiedener
Menschen. Um Inklusion zu verwirklichen, bedarf es der Fortentwicklung von
Haltungen, Strukturen und Methoden (Pfarrer Schmidt)
In der öffentlichen Diskussion stehen die Themen der Schulbildung oder des
Lebensbereiche des Arbeitens und Wohnens im Vordergrund. Die Realisierung
von Inklusion in den Alltag behinderter Menschen gebietet es, auch die Artikel 8
„Bewusstseinsbildung“ und § 9 Barrierefreiheit in den Focus rücken.
D. Bewusstseinsbildung
Bewusstseinsbildung steht offenkundig in enger Beziehung zur Dimension der
Haltungen. Veränderte Haltungen und Einstellungen gegenüber behinderten
Menschen tragen dazu bei, dass sich das Bild vom behinderten Menschen
fortentwickelt.
Eine positive Veränderung des Menschenbildes ist Voraussetzung zum Abbau
von Falsch- und Vorurteilen. Diese wiederum sind das größte Hindernis für ein
gleichberechtigtes Miteinander von behinderten und nicht behinderten
Menschen.
Die UN-Konvention trägt diesem Sachverhalt durch Art. 8
„Bewusstseinsbildung“ Rechnung:
Auszug: Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sofortige, wirksame und
geeignete Maßnahmen zu ergreifen
a) in der Gesamten Gesellschaft einschließlich der Ebene der Familien, das
Bewusstsein für Menschen mit Behinderung zu schärfen und die Achtung ihrer
Rechte und Würde zu fördern
b) Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit
Behinderungen … zu bekämpfen
Schlägt man die Brücke zum Sport, so geht es im Zusammenhang mit
Bewusstseinsbildung geht es um „Inklusion durch Sport“. Sport hilft
Hemmschwellen zu Mitschülerinnen und Mitschülern, zu Arbeitskollegen, bei
Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern, bei Nachbarn, in der Freizeit abbauen.
Sport fördert ein der Realisierung des Inklusionsparadigmas zuträgliches Klima
und bietet zudem gute Chancen, Inklusion zu verwirklichen.
Sport ist also ein wirkungsvoller Hebel, Bewusstseinsbildung im Sinne der
Behindertenrechtskonvention zu betreiben. Bewusstseinsbildung bedeutet auch
„Selbst-Bewußseinsbildung“ – ein Ziel, dem im Zusammenhang mit behinderten
Menschen besondere Bedeutung zukommt.
D. Barrierefreiheit und Zugänglichkeit
Die UN-Konvention zieht nicht nur in ihren Grundsätzen die Barrierefreiheit
gleichsam „vor die Klammer“. Sie widmet ihr auch in Artikel 9 einen eigenen
Schwerpunkt.
Abs. 1: Um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und
die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermö lichen, treffen die
Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen mit dem Ziel, für Menschen mit
Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu
Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschließlich Informations-
und Kommunikationstechnologien und -systemen, sowie zu anderen
Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen
Gebieten offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, zu gewährleisten.
Allzu häufig wird hierunter ausschließlich auch im Hinblick auf die Ausstattung
von Sportstätten der Aufzug, die Rampe oder die behindertengerechte Toilette
verstanden. Wichtig und entscheidend jedoch sind zusätzlich Maßnahmen, die
Hürden in der Kommunikation und Orientierung überwinden helfen.
Art. 9 sieht hierfür einen eigenen Absatz vor:
in Gebäuden und anderen Einrichtungen, die der Öffentlichkeit
offenstehen, Beschilderungen in Brailleschrift und in leicht lesbarer und
verständlicher Form anzubringen;
Stichworte sind hier „leichte Sprache“ „Visualisierte bzw. ertastbare
Orientierungshilfen“. Durch sie werden z.B. Sportstätten, die rollstuhlgerecht
barrierefrei sein mögen, erst zugänglich und nutzbar.
Beispielhaft seien (siehe hierzu auch Helmuth Walther) erwähnt:
Beschilderung in ständiger Sichtweite des Besuchers
Unterbrechungsfreies, bildhaft beschildertes Leitsystem
Durchgezogene Bodenmarkierung – Fußabdrücke
Hinweisschilder sowie Informationen in Flyern orientieren sich in
Gestaltung und Text an den Regeln für leichte Sprache
Nutzbarkeit technischer Geräte auch ohne Lesekompetenz – sowie
Angebot von Audioguides in leichter Sprache
E. Die Inklusionspyramide
Das Bild der Inklusions-Pyramide dient der Veranschaulichung
unterschiedlicher Stufen von Inklusion im Sport.
Der Sockel: Sport für alle!
Der breite Sockel wird dadurch gebildet, alle Menschen mit Behinderung –
unabhängig von der Art ihrer Behinderung – überhaupt die Möglichkeit haben,
Sport zu treiben. Menschen mit Querschnittlähmung, blinde und gehörlose
Menschen, Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung ist
überwiegend der „selbstverständliche“ Zugang zu Sport verwehrt.
Ebene 1: Wahlrecht
Sie alle sollten entscheiden können, welche Sportart sie, wann, wo und mit wem
ausüben möchten. Dieses Wahlrecht auf Basis von Angebotsalternativen stellt
die erste Stufe der Inklusionspyramide dar.
Hierzu gehört auch die Möglichkeit, zu entscheiden, ob man – soweit man in
einer Einrichtung und Dienste der Behindertenhilfe lebt oder arbeitet (z.B.
WfbM)- in diesen Bezügen Sport treiben möchte … oder auch im allgemeinen
Sportverein.
Ebene 2: Öffnung des organisierten Sports
Für sie und für alle anderen behinderten Menschen sollten aber auch die
Angebote des so genannten organisierten Sports offen. Das heißt konkret,
behinderte Menschen müssten die Möglichkeit haben, Mitglied eines
Sportvereins ihrer Wahl zu sein und dort auch entsprechende Angebote
vorzufinden, um Sport zu treiben: Training, Treffs, Wettkämpfe.
Ebene 3: Veranstaltungen, Wettbewerb und Rituale
Wo immer der Sport im Alltag stattfindet: Die aktive Teilnahme an
Veranstaltungen auf örtlicher, regionaler, nationaler und internationaler Ebene
sind Ziel- und Höhepunkte für jeden Sportler. Inklusion im Sport wird also
konkret in Veranstaltungsteilnahme.
Eine wichtige Rolle spielen „Rituale“: Eröffnungs- und Schlussveranstaltungen,
Hymnen, der Einmarsch der Athleten, das Hissen von Fahnen, Fackelläufe und
das Entzünden einer (olympischen) Flamme, Siegerehrungen und Medaillen.
Ebene 4: Empowerment und Mitsprache
Wichtig ist die Möglichkeit, Einfluss nehmen und mitentscheiden zu können –
eine Stufe, die Vertrauen in sich und Selbstbewusstsein bedingt.
Der Sport ist durch Vereine geprägt, die wiederum auf regionaler, landes- und
Bundesebene und in Fachverbänden organisiert sind.
Inklusion bedeutet, dass behinderte Menschen in Vereinen des Sports und des
Behindertenbereichs Sitz und Stimme, aktives und passives Wahlrecht haben
und in Vorständen mitwirken können.
Ebene 5: Gemeinsamer Sport von behinderten und nicht behinderten Menschen
Inklusion in Reinkultur findet statt, wenn behinderte und nicht behinderte
Menschen „in Augenhöhe“ zusammen Sport treiben, wie dies etwa durch das
Unified Sport Programm von Special Olympics geschieht.
Diese Pyramide ist nur stabil, wenn Sie von mehreren Seiten gleichsam gestützt
wird:
Politischer Wille
Legislative und Exekutive auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sind
aufgefordert, politische Zeichen zu setzen. Dieses Anliegen bezieht sich auf die
gesamte Spannbreite zwischen Wahlprogrammen, Gesetzgebungsverfahren,
strukturbildende Maßnahmen, Kampagnen … bis hin zur Schaffung der
finanziellen Voraussetzungen.
Gemeint ist auch die Verbandspolitik in Sport- und Behindertenverbänden sowie
die Einrichtungen und Dienste der Behindertenhilfe. Hier gilt es – statt
einzuwenden, warum etwas „nicht geht“, Kraft in Überlegungen zu investieren,
„wie es gehen kann“.
Natürlich gibt es Inklusion nicht zum Nulltarif. Sie wäre zum Scheitern
verurteilt, wenn man Sie als Chance zu Kosteneinsparungen missbrauchen
würde. Inklusion braucht Ideenreichtum, Phantasie Kraft, Energie und
finanzielle Mittel.
Information und Wissen
Die zweite Stützstrebe bildet Information, Wissen und damit auch Aus-, Fort-
und Weiterbildung. Dies betrifft Übungsleiter im Verein genauso wie
Mitarbeiter in Einrichtungen der Behindertenhilfe, Sportlehrer und
Verbandsfunktionäre.
Im Zusammenhang mit Inklusion im Sport ist Bildung im engeren Sinne und
darüber hinaus als zentrale Dimension Bewusstseins-Bildung generell
unverzichtbar. Sie ist Schlüssel zu Barrierefreiheit und Zugänglichkeit als
Voraussetzung für Inklusion im Sport.
Facit: Wissen, politischer Wille und die notwendigen finanziellen Mittel geben
der Inklusionspyramide Standfestigkeit. Dies alles bedingt ein
widerspruchsfreies System von Werten und Haltungen, Strukturen und
Handlungsansätzen sowie umfassende Zugänglichkeit auf baulichem und
kommunikativem Gebiet. Basis hierfür ist ein kontinuierlicher Prozess der
Bewusstseinsbildung im Sinne behinderter Menschen als gleichwertige und
gleichberechtigte Mitglieder unseres Gemeinwesens.