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DIN SPEC 91020: Betriebliches Gesundheitsmanagement Strukturierter Prozess statt Puzzleteile Durchschnittlich zwei Wochen lang waren Arbeitnehmer hierzulande im vergange- nen Jahr krank. Als häufigsten Grund für die Fehlzeiten nennt der Gesundheits- report 2013 der Techniker Krankenkasse psychische Gründe und Verhaltensstörun- gen – mit steigender Tendenz: Seit 2006 nahmen die Arbeitsausfälle um 75,8 Pro- zent zu. Psychische Belastungen werden für Betriebe also immer mehr zu einem Wirtschaftsfaktor. Pflicht zur Beurteilung der psychischen Gefährdung Der Gesetzgeber sieht das ähnlich und hat das Arbeitsschutzgesetz geändert: Seit Anfang 2014 müssen Unternehmen neben der bereits verpflichtenden Ge- fährdungsbeurteilung auch eine solche für die psychischen Belastungen an Ar- beitsplätzen durchführen. Faktoren da- für sind etwa zunehmendes Multitas- king, steigender Zeitdruck und Monoto- nie bei der Arbeit – aber auch der demo- grafische Wandel, der das Durch- schnittsalter der Bevölkerung und damit auch der Belegschaften immer weiter nach oben treibt. Was können Unter- nehmen also tun? Viele Betriebe haben bereits erkannt, dass die Gesundheit ihrer Belegschaft in direktem Zusammenhang zum Ge- schäftserfolg steht. Sie bieten einzelne gesundheitsfördernde Maßnahmen an, wie Yoga oder Entspannungskurse. „Das ist zwar ein guter Anfang“, meint Katrin Schiller von der DQS, setze jedoch nur an – oft willkürlich – ausgewählten Punkten an. „Einem strategischen Plan folgen solche Maßnahmen in der Regel nicht“, kritisiert die BGM-Spezialistin. Einzelmaßnahmen vs. Gesamtpaket Eine solche punktuelle Gesundheitsför- derung ist nicht zu verwechseln mit ei- nem betrieblichen Gesundheitsmanage- ment (BGM). „Um die Gesundheit von Mitarbeitern langfristig und damit nachhaltig zu sichern, sind Standards und festgelegte Abläufe im Unterneh- men notwendig“, so Schiller und ver- weist auf die Spezifikation DIN SPEC 91020. Diese wurde im Juli 2012 publi- ziert und legt die Anforderungen an ein Ständige Verbesserung des BGM-Managementsystems Mitarbeiter (u.a. interessierte Parteien) Anforderungen Verantwortung der Leitung Management der Mittel und Ressourcen Messung, Analyse, Verbesserung, Evaluation der Leistungen Betrieb Eingabe Ergebnis: Zufriedenheit Mitarbeiter (u.a. interessierte Parteien) Viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern Rückenkurse oder Zuschüsse zum Fitnessstudio. Doch statt auf vereinzelte Angebote setzen immer mehr Betriebe auf ein strukturiertes Gesundheitsmanagement – zum Wohle der Belegschaft, aber auch des Unternehmens. Betriebliches Gesundheitsmanagement 6 ErgoMed / Prakt. Arb. med. 4/2014 (38) 6–8

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ErgoMed 04/2014, S. 6, 17.07.2014, 21:32, MSASS

DIN SPEC 91020: Betriebliches Gesundheitsmanagement

Strukturierter Prozess statt Puzzleteile

Durchschnittlich zwei Wochen lang waren Arbeitnehmer hierzulande im vergange-nen Jahr krank. Als häufigsten Grund für die Fehlzeiten nennt der Gesundheits-report 2013 der Techniker Krankenkasse psychische Gründe und Verhaltensstörun-gen – mit steigender Tendenz: Seit 2006 nahmen die Arbeitsausfälle um 75,8 Pro-zent zu. Psychische Belastungen werden für Betriebe also immer mehr zu einem Wirtschaftsfaktor. Pflicht zur Beurteilung der psychischen Gefährdung Der Gesetzgeber sieht das ähnlich und hat das Arbeitsschutzgesetz geändert: Seit Anfang 2014 müssen Unternehmen neben der bereits verpflichtenden Ge-

fährdungsbeurteilung auch eine solche für die psychischen Belastungen an Ar-beitsplätzen durchführen. Faktoren da-für sind etwa zunehmendes Multitas-king, steigender Zeitdruck und Monoto-nie bei der Arbeit – aber auch der demo-grafische Wandel, der das Durch-schnittsalter der Bevölkerung und damit auch der Belegschaften immer weiter nach oben treibt. Was können Unter-nehmen also tun? Viele Betriebe haben bereits erkannt, dass die Gesundheit ihrer Belegschaft in direktem Zusammenhang zum Ge-schäftserfolg steht. Sie bieten einzelne gesundheitsfördernde Maßnahmen an, wie Yoga oder Entspannungskurse. „Das ist zwar ein guter Anfang“, meint Katrin

Schiller von der DQS, setze jedoch nur an – oft willkürlich – ausgewählten Punkten an. „Einem strategischen Plan folgen solche Maßnahmen in der Regel nicht“, kritisiert die BGM-Spezialistin. Einzelmaßnahmen vs. Gesamtpaket Eine solche punktuelle Gesundheitsför-derung ist nicht zu verwechseln mit ei-nem betrieblichen Gesundheitsmanage-ment (BGM). „Um die Gesundheit von Mitarbeitern langfristig und damit nachhaltig zu sichern, sind Standards und festgelegte Abläufe im Unterneh-men notwendig“, so Schiller und ver-weist auf die Spezifikation DIN SPEC 91020. Diese wurde im Juli 2012 publi-ziert und legt die Anforderungen an ein

Ständige Verbesserung des BGM-Managementsystems

Mitarbeiter(u.a.

interessierte Parteien)

Anforderungen

Verantwortungder Leitung

Management der Mittel und Ressourcen

Messung, Analyse, Verbesserung, Evaluation der

Leistungen

BetriebEingabe Ergebnis:

Zufriedenheit

Mitarbeiter(u.a.

interessierte Parteien)

Viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern Rückenkurse oder Zuschüsse zum Fitnessstudio. Doch statt auf vereinzelte Angebote setzen immer mehr Betriebe auf ein strukturiertes Gesundheitsmanagement – zum Wohle der Belegschaft, aber auch des Unternehmens.

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betriebliches Gesundheitsmanagement fest. „Statt nur an einzelnen Stellschrau-ben zu drehen, geht es hier um einen strategischen Ansatz“, verdeutlicht Schiller. „Das beinhaltet zwar auch ein-zelne, konkrete Maßnahmen, jedoch sind diese Teil eines ganzheitlichen Sys-tems, das psychische, physische und so-ziale Komponenten einbezieht.“ Wo aber liegt der genaue Unterschied? „Zum einen zielen einzelne Maßnah-men wie Rückenschule oder ein Zu-schuss zum Fitnessstudio oft auf eine bestimmte Gruppe, nämlich die, die so-wieso schon sportlich unterwegs sind“, erklärt Schiller. Einen Großteil erreicht man also nicht. Und warum? „Meist liegt dem Angebot keine systematische Bedarfsanalyse zugrunde“, begründet Dr. Pascal Senn vom Institut für Prä-ventive Diagnostik, Aktivitäts- und Ge-sundheitsförderung (IDAG) in Karls-ruhe. So könne es durchaus sein, dass ein Teil der Arbeitnehmer tatsächlich einen Rückenkurs in Anspruch nimmt, andere Mitarbeiter jedoch völlig ande-re Bedürfnisse haben, „und sei es nur eine Dusche, so dass sie mit dem Fahr-rad zur Arbeit kommen können“, meint Senn. Fehlt die übergeordnete Strategie, wird auch die Wirksamkeit solcher Maßnahmen in der Regel nicht überprüft. „Gibt es dann zu wenige Teilnehmer, stellt das Unternehmen das Angebot wieder ein, mit dem Er-gebnis: Frust auf beiden Seiten.“ Gesundheit als Managementaufgabe Einen solchen strategischen Ansatz be-sitzt ein BGM nach DIN SPEC 91020: Als Managementsystem liegt der Fokus dabei auf Prozessen. „Diese werden gemäß dem PDCA-Zyklus (Plan Do Check Act), der unter anderem auch im Qualitätsmana-gement zu finden ist, immer wieder auf den Prüfstand gestellt und kontinuierlich verbessert“, so Senn. Vier Phasen durch-läuft dieser Managementprozess:

Ziele definieren: Zu Beginn steht immer die Frage der Geschäftsführung „Was will ich mit einem BGM im Unternehmen errei-chen?“. Ist es primär die Senkung des Krankenstands? Der Arbeitsunfälle? Der Mitarbeiterfluktuation? Will ich das Be-triebsklima oder das Image meines Unter-nehmens insgesamt verbessern? Bedarf ermitteln: „Ausgehend von diesen Zielen heißt es zunächst, sowohl den Ist-Zustand zu dokumentieren als auch den Bedarf zu analysieren“, hebt Pascal Senn hervor. „Oft sind bereits Management-strukturen, etwa die eines QM- oder Ar-beitsschutz-Systems, oder einzelne Prä-ventionsmaßnahmen vorhanden.“ Den Bedarf ermittelt das Unternehmen durch unterschiedliche Instrumente, etwa Mit-arbeiterbefragungen, Arbeitsplatzana-lysen oder weitere betriebsspezifische Kennzahlen. Handlungsfelder und Maßnahmen ableiten und umsetzen: Aus der strukturierten Be-darfsanalyse lassen sich Handlungsfelder und schließlich konkrete Maßnahmen ab-leiten. Das Besondere: „Diese sind ganz unternehmensspezifisch sowohl auf die Betriebsziele als auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter abgestimmt“, betont Senn. Sie sind entweder verhaltensorientiert – zum Beispiel eine Schulung zum Heben und Tragen schwerer Gegenstände oder zum besseren Umgang mit Stress – oder ver-hältnisorientiert – etwa die Veränderung von Arbeitsabläufen oder des Arbeitsplat-zes. „Am erfolgreichsten ist die Kombinati-on beider Ansätze“, unterstreicht Senn. Maßnahmen überprüfen: Im letzten Schritt werden nach einer gewissen Zeit sowohl die einzelnen Maßnahmen als auch der Gesamtprozess evaluiert. So kann man den Erfolg eines BGM auf un-terschiedlichen Ebenen überprüfen: Wur-den die erhofften Ergebnisse erreicht? Ist die Mitarbeiterzufriedenheit durch das BGM insgesamt gestiegen? Wenn nicht: Was könnte verbessert werden? Braucht es weitere Informationen oder flankie-rende Maßnahmen?

Auf die Führung kommt es an Aber nicht nur der PDCA-Zyklus zeich-net ein betriebliches Gesundheitsmana-gement aus. Ein wesentliches Element für den Erfolg eines BGM sind die Füh-rungskräfte. Sie müssen das Leitbild ei-ner gesunden Belegschaft und die dahin-terliegende Wertschätzung verinnerli-chen, um es in die Unternehmensphi-losophie zu integrieren. Das beinhaltet sowohl die Geschäftsführung als oberste Ebene als auch die Führungskräfte im unteren und mittleren Management. „Sie sind die Schlüsselfiguren“, betont Senn. „Zum einen tragen die Führungs-kräfte das BGM aktiv ins Unternehmen, beispielsweise in Mitarbeitergesprächen, zum anderen ist die Qualität der Füh-rung nicht selten Auslöser für gesund-heitliche Probleme in Unternehmen“, verrät Senn. „Hier kann es also durchaus ans Eingemachte gehen“. Gute Kommunikation entscheidet Eine solch strukturierte Einführung eines BGM hat die Bonner B.A.D. Gesundheits-vorsorge und Sicherheitstechnik GmbH vor drei Jahren angestoßen. Die Heraus-forderung hier: eine sehr dezentrale Struk-tur mit vielen Zentren und Standorten deutschlandweit. „Dabei spielte die Kom-munikation eine entscheidende Rolle“, er-zählt Guido Schoch, bei B.A.D. verant-wortlich für das Betriebliche Gesund-heitsmanagement. „Da bei uns auf Maß-nahmenebene unterschieden wird zwi-schen zentralen Aktionen, die für alle Mitarbeiter gelten, und solchen, die wir ganz gebietsspezifisch anbieten, müssen das zentrale Steuerungsgremium für das BGM und die zuständigen Gebietsleiter eng zusammenarbeiten.“ Konkret bedeutet das, dass Informationen zeitnah sowohl in Richtung Mitarbeiter als auch zurück in Richtung Zentrale fließen müssen. „Dafür nutzen wir beispielsweise regelmäßige Workshops mit allen am BGM Beteiligten und unseren Gesund-heitsbereich im Intranet“, erklärt Schoch.

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Schnittstellen zu anderen Managementsystemen Unternehmen wie die B.A.D., die bereits ein integriertes Managementsystem nutzen, sind bei der Einführung eines BGM leicht im Vorteil. So entsprechen die Managementanforderungen, wie das Managementreview, interne Audits, Lenkung von Dokumenten und Auf-zeichnungen denen des QM zu gut der Hälfte. Zwar ist die Sichtweise eine ande-re, nämlich kundenorientiert und damit nach außen gerichtet, doch „sowohl strukturell als auch inhaltlich gibt es je nach Norm große Schnittmengen“, weiß DQS-Expertin Katrin Schiller. Besonders mit der Arbeitsschutznorm BS OHSAS 18001 bestehen viele Über-einstimmungen. Zum einen ist der Fo-kus nach innen ins Unternehmen ge-richtet, und es werden für die Analysen die gleichen Kennzahlen wie Gesund-heitsstand, Arbeitsunfälle o.ä. erhoben. Zum anderen überschneiden sich viele der gesetzlichen Anforderungen, wie beispielsweise die Pflicht zur Erhebung der psychischen Gefährdungsbelastung. Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit Mit der Einführung eines BGM ist na-türlich auch immer die Frage verbun-den, ob sich der personelle, zeitliche und finanzielle Aufwand lohnt. „Studien zei-

gen hier durchaus gute Ergebnisse“, weiß Prof. Dr. Marcus Zinsmeister von der Fa-kultät Soziales und Gesundheit der Hochschule Kempten. „Besonders gute Evidenzen erzielen Maßnahmen gegen Muskel- und Skeletterkrankungen, so-dass es durchaus ein Anreiz ist“, unter-streicht der BGM-Experte. Diese Studien beurteilen die Wirtschaft-lichkeit eines betrieblichen Gesund-heitsmanagements meist als Return-on-Invest. Nach einer Analyse von „strate-gy&“ (der früheren Booz & Company) zahlt sich jeder in Präventionsmaßnah-men investierte Euro mit mindestens fünf und bis 16 Euro aus. Diesen Effekt haben die Strategieberater aus der Ver-ringerung der Krankheitstage und den damit verbundenen direkten Kosten für Medikamente und die medizinische Be-handlung errechnet. Indirekte Kosten, wie der Verlust von Know-How oder verminderte Produktivität, sind dabei noch nicht einmal eingerechnet. „Um mit einem BGM wirklich erfolgreich zu sein – auch im wirtschaftlichen Sinn –, ist es jedoch wichtig, eine Vertrauenskultur entstehen zu lassen“, ist sich Zinsmeister si-cher. „Es muss klar sein, dass die strukturier-te Gesundheitsförderung einem ehrlichen Interesse am Mitarbeiter entspringt und nicht nur Mittel zum Zweck ist.“ Dann kön-ne ein BGM nicht nur ein Benefit für die Be-legschaft und damit für den Unterneh-

Kosten der Maßnahmen= 1 Euro

Nutzen derMaßnahmen (Min.)

Nutzen derMaßnahmen (Max.)

KonservativeAnnahme

Einsparung durch Verringerung von Abwesenheit(Arbeitsunfähigkeitstage)

Einsparung von Krankheitskosten(Direkte Kosten z. B. Medikamente, Behandlungskosten)

Mindest-nutzen 1:5

Max =16

Min =4,8€1

2,52,3

10,15,9

Abbildung 1: Nutzen von Präventionsmaßnahmen (Quelle: Booz & Company; Steven Aldana, Financial Impact of Health Promotion Programs, 2001)

menserfolg werden, sondern in Zeiten des Fachkräftemangels auch zu einem echten Plus bei der Mitarbeitergewinnung. „Diese Selbstverpflichtung kann man natürlich gut anhand der DIN SPEC nachweisen – frei nach dem Motto „Tue Gutes und berichte darüber“, resümiert Guido Schoch. Dörte Neitzel DQS GmbH, Frankfurt am Main

Katrin Schiller, DQS GmbH

Dr. Pascal Senn, IDAG GmbH

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