Die Roemer im Land Alexanders des Grossen

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14 | Bis zur Einrichtung der Provinz Macedonia I hre ersten Erfahrungen mit den jenseits der Adria siedelnden Völkerschaften machten die Römer in den Jahren 280/279 v. Chr., als der Epeirotenkönig Pyr- rhos, dessen Reich sich vom heutigen Albanien bis hinab zum Golf von Arta erstreckte, seine Truppen nach Tarent übergesetzt, die Römer in zwei Schlachten geschlagen und vorübergehend das von ihnen in Mittel- und Unter- italien Erreichte in Frage gestellt hatte. Ihm folgte 218 v. Chr. der Karthager Hannibal, der seine Truppen von Südspanien nach Oberitalien geführt, den Römern mehrere schwere Niederlagen beigebracht und insgesamt fünfzehn Jahre lang die Apenninhalbinsel heimgesucht hatte, ehe er zum Abzug aus Italien gezwungen werden konnte. Gut 50 Jahre später haben sich die Römer gerächt und Karthago ausgelöscht. Die Antwort auf die Invasion aus dem Osten erfolgte noch im 3. Jh. v. Chr., und zwar in zwei Kriegen gegen Machthaber an der Küste Illyriens und einem ersten Waffengang mit dem Makedonenkönig, an dessen Ausbruch dieser nicht unschuldig war, hatte er doch an der Adriaküste einzugreifen versucht und sich zur Durchsetzung seiner Interessen mit dem damals er- folgreich in Italien operierenden Hannibal verbündet. Bis zur Einrichtung der Provinz Macedonia Makedonien und Epeiros bis zum ersten Eingreifen der Römer jenseits der Adria D abei entsprach ein Ausgreifen nach Westen weder der bisherigen Politik makedonischer Herrscher noch der Ausrichtung ihres Reiches. Von seiner Lage und Geschichte her war das Königreich Makedonien vielmehr eindeutig nach Osten und nach Süden ori- entiert 12 . Sein Kerngebiet erstreckte sich rings um den Thermaischen Golf, in den die Flüsse Haliakmon, Ly- dias und Axios münden und der damals nach Westen hin weit ins Landesinnere hinein reichte (Abb. 4). An der Südseite des Golfes lag beiderseits des Haliakmon eine Landschaft namens Makedonis mit der ersten Haupt- stadt Aigeai, dem heutigen Vergina mit seinen berühm- ten Fürstengräbern (Abb. 5); von hier nahm etwa ab der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. der Prozess der Reichsbildung seinen Ausgang 13 . Bis zum Ende des 6. Jhs. v. Chr. hat- ten die Makedonenkönige die gesamte Küstenebene vom Peneios bis zum heutigen Thessaloniki erobert und auch die im Westen und Nordwesten unmittelbar angrenzen- den binnenländischen Landschaften Eordaia und Almo- pia besetzt. Von diesen lag die Eordaia jenseits des Berg- rückens, der die Zentralebene im Westen abschließt; ihre Inbesitznahme ermöglichte das Ausgreifen nach Ober- makedonien, in dem Lynkos, Orestis und Elimeia lagen, Landschaften, die jeweils von Bergen umschlossen waren sowie eigene Herrscher hatten und deren Zugehörigkeit zum makedonischen Reich von der Stärke der Zentral- regierung abhing (Abb. 6). Schließlich fielen dem Makedo- nenkönig nach dem Scheitern des Xerxeszuges auch noch die zwischen den Flüssen Axios und Strymon gelegenen Landschaften Krestonia, Bisaltia und Anthemus zu. In den folgenden gut 100 Jahren mussten nicht nur an den Grenzen Verluste hingenommen werden, sondern kam es auch wiederholt zu inneren Wirren und Thron- streitigkeiten, bis schließlich 359 v. Chr. Philipp II. die Zügel ergriff und das Reich in kurzer Zeit nicht nur kon- solidierte, sondern sogar nach allen Seiten hin erweiterte. Am Ende seiner dreiundzwanzigjährigen Regierungszeit war das südlich gelegene Thessalien in Personalunion mit

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Leseprobe aus dem Sonderband "Die Roemer im Land Alexanders des Grossen"

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14 | Bis zur Einrichtung der Provinz Macedonia

Ihre ersten Erfahrungen mit den jenseits der Adria siedelnden Völkerschaften machten die Römer in

den Jahren 280/279 v. Chr., als der Epeirotenkönig Pyr-rhos, dessen Reich sich vom heutigen Albanien bis hinab zum Golf von Arta erstreckte, seine Truppen nach Tarent übergesetzt, die Römer in zwei Schlachten geschlagen und vorübergehend das von ihnen in Mittel- und Unter-italien Erreichte in Frage gestellt hatte. Ihm folgte 218 v. Chr. der Karthager Hannibal, der seine Truppen von Südspanien nach Oberitalien geführt, den Römern mehrere schwere Niederlagen beigebracht und ins gesamt

fünfzehn Jahre lang die Apenninhalbinsel heimgesucht hatte, ehe er zum Abzug aus Italien gezwungen werden konnte. Gut 50 Jahre später haben sich die Römer gerächt und Karthago ausgelöscht. Die Antwort auf die Invasion aus dem Osten erfolgte noch im 3. Jh. v. Chr., und zwar in zwei Kriegen gegen Machthaber an der Küste Illyriens und einem ersten Waffengang mit dem Makedonenkönig, an dessen Ausbruch dieser nicht unschuldig war, hatte er doch an der Adriaküste einzugreifen versucht und sich zur Durchsetzung seiner Interessen mit dem damals er-folgreich in Italien operierenden Hannibal verbündet.

Bis zur Einrichtung der Provinz Macedonia

Makedonien und Epeiros bis zum ersten Eingreifen der Römer jenseits der Adria

Dabei entsprach ein Ausgreifen nach Westen weder der bisherigen Politik makedonischer Herrscher

noch der Ausrichtung ihres Reiches. Von seiner Lage und Geschichte her war das Königreich Makedonien vielmehr eindeutig nach Osten und nach Süden ori-entiert12. Sein Kerngebiet erstreckte sich rings um den Thermaischen Golf, in den die Flüsse Haliakmon, Ly-dias und Axios münden und der damals nach Westen hin weit ins Landesinnere hinein reichte (Abb. 4). An der Südseite des Golfes lag beiderseits des Haliakmon eine Landschaft namens Makedonis mit der ersten Haupt-stadt Aigeai, dem heutigen Vergina mit seinen berühm-ten Fürstengräbern (Abb. 5); von hier nahm etwa ab der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. der Prozess der Reichsbildung seinen Ausgang13. Bis zum Ende des 6. Jhs. v. Chr. hat-ten die Make donenkönige die gesamte Küstenebene vom Pe neios bis zum heutigen Thessaloniki erobert und auch die im Westen und Nordwesten unmittelbar angrenzen-den binnenländischen Landschaften Eordaia und Almo-

pia besetzt. Von diesen lag die Eordaia jenseits des Ber g-rückens, der die Zentralebene im Westen abschließt; ihre Inbesitznahme ermöglichte das Ausgreifen nach Ober-makedonien, in dem Lynkos, Orestis und Elimeia lagen, Landschaften, die jeweils von Bergen umschlossen waren sowie eigene Herrscher hatten und deren Zugehörigkeit zum makedonischen Reich von der Stärke der Zentral-regierung abhing (Abb. 6). Schließlich fielen dem Makedo-nenkönig nach dem Scheitern des Xerxeszuges auch noch die zwischen den Flüssen Axios und Strymon gelegenen Landschaften Krestonia, Bisaltia und Anthemus zu.

In den folgenden gut 100 Jahren mussten nicht nur an den Grenzen Verluste hingenommen werden, sondern kam es auch wiederholt zu inneren Wirren und Thron-streitigkeiten, bis schließlich 359 v. Chr. Philipp II. die Zügel ergriff und das Reich in kurzer Zeit nicht nur kon-solidierte, sondern sogar nach allen Seiten hin erweiterte. Am Ende seiner dreiundzwanzigjährigen Regierungszeit war das südlich gelegene Thessalien in Personalunion mit

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Abb. 4 Vom Flugzeug aus kann man die durch die Flüsse Axios, Lydias und Haliak­mon hervorgerufene Schwemmlandbildung im Bereich des Thermaischen Golfes und die damit ein­hergehende Vergrößerung der niedermakedonischen Küstenebene gut erkennen.

Abb. 5 Von Beroia aus gleitet der Blick hinüber nach Vergina, dann am Nord­rand der Pierischen Berge entlang zur Küste und damit zugleich über ein Gebiet hinweg, das in der griechischen Antike eine weit nach Westen ins Land reichende Bucht bildete, dann aber allmählich verlandete.

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Makedonien verbunden, waren die obermakedonischen Landschaften allesamt fest angeschlossen und verlief die Westgrenze des Reiches am Ochridsee, waren die Paio-nen am Oberlauf des Axios und die Maider am mittleren Strymon unterworfen, war die Ostgrenze bis zum Nestos vorgeschoben und war schließlich östlich dieses Flusses Thrakien als «Provinz» eingerichtet (Abb. 7). Im Westen grenzte Philipps Makedonien an das Gebiet der illyri-schen Stämme, die jahrzehntelang Makedonien immer wieder heimgesucht hatten, nun aber fürs Erste Ruhe hielten, sowie an das Königreich Epeiros, aus dem Phil- ipps fünfte Frau Olympias, die Mutter Alexanders III., stammte und wo er wenige Jahre später deren Bruder Alexandros (den Molosser) als Herrscher einsetzte. Die-ser regierte ein Gebiet, das im Norden durch die Akroke-raunische Halbinsel im heutigen Südalbanien, im Westen durch das Meer, im Süden durch den Golf von Ambrakia (heute Arta) und im Osten durch den Pindos begrenzt war14. Beide Reiche sollten auch in der Folgezeit neben-einander bestehen und schließlich Opfer der römischen Expansion werden.

Vorerst aber expandierten sie: Der Molosser ging 334 v. Chr. nach Unteritalien und errang zahlreiche mili-tärische Erfolge über mittel- und unteritalische Stämme, bis er 331 v. Chr. ermordet wurde. Sein Neffe Alexan-der III. eroberte in diesen Jahren den Westen des Perser-reiches bis nach Persepolis und stieß schließlich bis In-dien vor. Nach seinem 323 v. Chr. erfolgten Tod verschob sich der Schwerpunkt der Ereignisse nach Osten, und es dauerte geraume Zeit, bis sich die Diadochenreiche eta-bliert hatten15. Desgleichen gab es in Epeiros jahrzehnte-lang innere Wirren und mehrere Thronwechsel, bis sich Pyrrhos als Alleinherrscher durchsetzte, sein Reich über seine natürlichen Grenzen hinaus nach Norden und Sü-den erweiterte und vorübergehend zur größten Macht in Griechenland aufstieg; der Versuch, auch Unteritalien seiner Herrschaft einzuverleiben, führte zum Zusammen-stoß mit den Römern und hinterließ bei diesen traumati-sche Erinnerungen an eine aus dem Osten drohende Ge-fährdung ihrer Position.

Das Königreich Makedonien war das Kernland des Alexanderreiches gewesen und zugleich der letzte unter

Abb. 6 Das Königreich Makedo­

nien, seine einzelnen Landschaften und seine

in hellenistischer Zeit erreichte Ausdehnung; der

unterschiedliche Charakter der nieder­ und der ober­

makedonischen Gebiete ist deutlich zu erkennen.

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dessen Nachfolgestaaten, in dem sich eine Dynastie eta-blieren konnte, deren Begründer Antigonos unter Alex-ander als hochrangiger Offizier gedient hatte. 294 v. Chr. hatte sich zwar sein Sohn Demetrios in Makedonien zum König machen können, doch verlor er diese Herrschaft schon 288 v. Chr. In der Folgezeit sah das Land Fremd-herrschaften, eine Invasion keltischer Stämme und eine mehrjährige Anarchie, bis schließlich Demetrios’ Sohn Antigonos Gonatas seinen Erbanspruch durchsetzen und die Herrschaft in Makedonien erringen konnte. In seiner fast vierzigjährigen Herrschaft erlebte das Land einen be-eindruckenden Wiederaufstieg. Außerhalb Makedoniens beherrschte Gonatas schließlich Thessalien sowie be-trächtliche Teile des südlich dieser Landschaft gelegenen Griechenland. Allerdings war Antigonos nicht der ein-zige Machtfaktor in Griechenland; neben ihm gewannen auch die griechischen Bundesstaaten eine ständig wach-sende Bedeutung, namentlich der Aitolische, der sich in Mittelgriechenland ausdehnte, und der Achäische im Norden der Peloponnes, der in der zweiten Jahrhundert-hälfte über das achäische Kerngebiet ausgriff und neben dem es auf dieser Halbinsel als unabhängige Mächte bald nur noch Sparta, Messenien und Elis gab (Abb. 8).

239 v. Chr. starb Gonatas, und ihm folgte sein Sohn Demetrios II., der gegen Ende der 30er Jahre seinen wichtigsten Verbündeten Epeiros infolge des Sturzes der dortigen Monarchie verlor. Das insbesondere von Pyr-rhos aufgebaute Reich an der Westgrenze Makedoniens brach teilweise auseinander. Wie üblich profitierten von dem jetzt entstandenen Machtvakuum die Nachbarn, also die Aitoler im Süden und die Illyrer im Norden, und die Ambitionen der Letztgenannten riefen alsbald die Römer auf den Plan16.

Abb. 7 Unter Philipp II., seinem größten König, entwickelte sich

Makedonien von einem kleinen rund um den Thermaischen Golf gelegenen Staat zur weitaus größten Macht auf der südlichen Balkanhalbinsel; mit Ausnahme von Thrakien sollte es diesen Umfang auch in etwa bis zum Ende der Monarchie behalten.

Abb. 8 Die Staatenwelt der Ägäis am Vorabend des Zweiten Make­

donischen Krieges: Die für das damalige Geschehen entscheiden­den Mächte waren die Königreiche Makedonien und Pergamon

sowie der Aitolische und der Achäische Bund.

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B ei den nördlich von Epeiros und westlich von Makedonien siedelnden Illyrern handelte es sich

um eine Gruppe von Stämmen, die in häufig wechselnder Zusammensetzung unter einzelnen Königen und Dynas-ten zusammengeschlossen waren. Im südlichen Teil Illyriens gab es an der Küste mit Epidamnos und Apollo-nia zwei Griechenstädte, zwei weitere, Pharos und Issa, lagen weiter nördlich auf Inseln vor der dalmatinischen Küste (Abb. 9). Unter dem Ardiaierkönig Agron, dessen ursprüngliches Herrschaftsgebiet im heutigen Nordal-banien und Montenegro lag, war es kurz vor 230 v. Chr. zu einer Reichsbildung gekommen, die bald das gesamte Gebiet von Pharos an südwärts bis Epidamnos und zu den Stämmen in dessen Hinterland und außerdem noch Kerkyra und Teile von Epeiros und damit große Gebiete, die einst zu Pyrrhos’ Reich gehört hatten, umfasste. Ge-gen diesen Agron wandten sich die Issaier um Hilfe an die Römer, die 229 v. Chr. in einer militärischen Aktion die der italischen Küste gegenüber gelegene neue Reichsbil-

dung von Süden nach Norden aufrollten und zerschlu-gen. Die anschließend durchgeführte Neuordnung zeigt, dass die Römer in dem Bereich, aus dem einst Pyrrhos aufgebrochen war, jegliche neue Machtkonzentration verhindern wollten: Aus dem von Agron errichteten Herr-schaftsgebiet wurden griechische Küstenstädte (Apollonia und Epidamnos) und Inseln (Kerkyra, Pharos, Issa) so-wie mit den Atintanen und Parthinern zwei südillyrische Stämme, die einst zu Pyrrhos’ Reich gehört hatten, her-ausgelöst und in ihrer Souveränität wiederhergestellt. Zu Rom standen diese Staaten in einem formlosen Freund-schaftsverhältnis (amicitia). Einen Teil der Ardiaier und einige Küstenstädte kontrollierten die Römer indirekt durch ihre Unterstellung unter den Griechen Demetrios von Pharos, der rechtzeitig seinen illyrischen Oberherrn verraten hatte. Zu den übrigen Illyrern unter der Herr-schaft von Agrons unmündigem Sohn Pinnes wurde ein freundschaftliches Verhältnis hergestellt. Insgesamt wird damit ein Wille zur Neuordnung der Verhältnisse im illyrischen Raum sichtbar, und die Römer sollten bald zeigen, welche Vorstellungen sie von der Dauerhaftigkeit ihrer Anordnungen hatten17.

Der von den Römern als Garant der Neuordnung ein-gesetzte Demetrios glaubte nämlich, sein Herrschaftsge-biet auf Kosten seiner Nachbarn vergrößern zu können. Dabei kam ihm die Tatsache zugute, dass die Römer von 225 bis 222 v. Chr. in einen schweren Krieg gegen die ober-italischen Gallier verwickelt waren, der alle ihre Kräfte in Anspruch nahm. Als erstes heiratete er die Mutter des Thronfolgers Pinnes und gewann dadurch nicht nur die Vormundschaft, sondern auch die Herrschaft über das illyrische Reich. Ferner unternahm er Piratenfahrten und ging gegen Städte und Gebiete in Illyrien vor, die mit den Römern in einem Freundschaftsverhältnis standen. 220 v. Chr. schließlich führten er und ein anderer Illy-rerfürst namens Skerdilaïdas mit neunzig Schiffen eine Kaperfahrt in den Gewässern südlich von Illyrien durch.

Anfang 219 v. Chr. hielt der Senat den Zeitpunkt für gekommen, gegen Demetrios vorzugehen. Erneut wurde das Italien gegenüber entstandene Reich von Süden nach Norden aufgerollt und Demetrios geschlagen und vertrieben; er fand Zuflucht bei Philipp V. von Makedo-nien, der gerade den Thron bestiegen hatte18. Die Flucht zu Philipp und die Tatsache, dass er diesen am Ausgang des Golfes von Ambrakia traf, haben nichts mit irgend-einer Verwicklung Makedoniens in den Zweiten Illyri-

Rom und die Illyrer

Abb. 9 Die Städte und Stämme

an der Unteritalien gegen­über gelegenen illyrischen

Küste kamen als erste Bewohner der Balkan­halbinsel mit den über die Adria nach Osten

ausgreifenden Römern in Berührung.

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schen Krieg zu tun. Philipps Vorgänger Antigonos Doson hatte wenige Jahre zuvor einen unter der Hegemonie des Makedonenkönigs stehenden Bund griechischer Staaten gebildet. Zwischen diesem und den Aitolern war im Vor-jahr der sogenannte Bundesgenossenkrieg ausgebrochen, und Philipp operierte im Sommer 219 v. Chr. im Küsten-gebiet westlich von Aitolien, wo Demetrios zu ihm stieß.

Auch die am Ende des Zweiten Illyrischen Krieges von den Römern durchgeführten Regelungen zeigen, dass Makedonien noch außerhalb ihres Gesichtskreises lag. Nach Demetrios’ Vertreibung wurde in etwa der alte Zu-stand wiederhergestellt und Skerdilaïdas, der noch Teile Illyriens kontrollierte, trotz seiner Komplizenschaft mit Demetrios von Pharos in Ruhe gelassen.

Roms Auseinandersetzungen mit Philipp V. und Perseus

Auch wenn Rücksichtnahmen auf Makedonien keine Rolle gespielt hatten, haben die Römer durch die in

den Jahren 228 und 219 v. Chr. durchgeführten Maßnah-men ungewollt die Voraussetzungen für den Ausbruch des Ersten Makedonischen Krieges geschaffen (Abb. 10). Philipps Operationen im Sommer 219 v. Chr. zeigen, dass es ihm um die Schaffung einer Verbindung entlang der griechischen Westküste ging, um seinen Einfl uss bei seinen dortigen Verbündeten zu konsolidieren und den

Zugang zu den ebenfalls mit ihm verbündeten Achäern auf der Peloponnes zu erleichtern. Anfangs wurde er dabei vom Illyrer Skerdilaïdas unterstützt, der indes 217 v. Chr. von ihm abfi el, von Nordwesten her in Makedonien ein-rückte und einige territoriale Gewinne machte. Inzwi-schen war der Krieg gegen die Aitoler durch den Frieden von Naupaktos beendet worden, und Philipp hatte die Hände frei, um nicht nur Skerdilaïdas zurückzutreiben, sondern auch zusätzliche Eroberungen zu machen, die

Abb. 10a–dPhilipp V. (221–179 v. Chr.) und sein Sohn Perseus (179–168 v. Chr.) waren die beiden letzten Makedonenkönige und haben nach insgesamt drei Kriegen und zwei schwe­ren Niederlagen ihr Reich an die Römer verloren.

a) Philipp V. (Tetradrachme)

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c) Perseus (Tetradrachme)

b) Philipp V. (Tetradrachme)

d) Perseus (Tetradrachme)

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ihn an die Grenze des römischen Protektorats brachten. Auch seine nächste Aktion galt Skerdilaïdas, nicht jedoch Roms Freunden an der adriatischen Küste und in deren Hinterland. Im Sommer 216 v. Chr. segelte er mit einer Flotte in die Gewässer westlich von Griechenland, kehrte aber um, als er vom Nahen römischer Schiffe hörte, die in Richtung Illyrien unterwegs sein sollten.

Philipp musste erkennen, dass die Römer seinen Plänen, Skerdilaïdas zu bestrafen und seinen eigenen Machtbereich auf der Balkanhalbinsel zu erweitern, im Wege standen. Allerdings waren diese damals in einen schweren Abwehrkampf gegen Hannibal verwickelt und hatten mehrere verlustreiche Niederlagen erlitten, zuletzt im Sommer 216 v. Chr. bei Cannae. So kam es 215 v. Chr. zwischen Philipp und Hannibal zum Abschluss eines Vertrages, der eine gemeinsame Kriegführung gegen die Römer und deren vollständigen Verzicht auf ihr Protek-torat jenseits der Adria vorsah. Die Römer erfuhren von diesem Vertrag, beschränkten sich aber fürs Erste dar-auf, die weitere Entwicklung zu beobachten. Zu einem militärischen Zusammenstoß kam es erst 214 v. Chr., als Philipp mit Schiffen vor Apollonia auftauchte, diese aber angesichts des Erscheinens einer römischen Flotte verbrannte und auf dem Landweg nach Makedonien zu-rückkehrte. Von nun an war permanent eine römische Flotteneinheit an der illyrischen Küste bzw. auf Kerkyra

präsent, ohne allerdings aktiv zu werden. Philipp änderte seine Strategie und unternahm seine Unternehmungen zu Lande, wobei er einige Gewinne machte, jetzt auch im Gebiet der römischen amici.

Diese Erfolge des Makedonenkönigs gaben schließlich den Römern den Gedanken ein, ihm ohne großen eige-nen militärischen Einsatz innerhalb seines Herrschafts-gebiets Schwierigkeiten zu bereiten. 212 v. Chr. schlossen sie mit den Aitolern, Philipps Erzfeinden in Griechen-land, einen Vertrag, der diese bei der Teilung der zu erwartenden Beute eindeutig bevorzugte. Den militäri-schen Aktionen gegen den Makedonenkönig und seine Verbündeten schlossen sich bald auch die Spartaner und andere griechische Staaten sowie vorübergehend der Per-gamenerkönig Attalos I. an. Nach einigen Jahren energi-scher Kriegführung, wobei die Römer in starkem Maße andere für sich kämpfen ließen und sich schließlich ganz zurückzogen, schlief dieser Erste Makedonische Krieg fast ein; 206 v. Chr. kam es sogar zu einem Separatfrieden zwischen Philipp und den Aitolern. Dieses Ausscheiden der Aitoler alarmierte die Römer, die 205 v. Chr. starke Truppenverbände nach Illyrien entsandten, es dann aber vorzogen, im epeirotischen Phoinike mit Philipp einen Frieden zu schließen, in dem sie einen Teil seiner in den letzten Jahren im illyrischen Hinterland gemachten terri-torialen Gewinne bestätigten.

Abb. 11 Im Süden der pierischen

Küstenebene markiert die Kreuzritterburg von

Platamona die Grenze zu Thessalien. Dahinter wird das Mündungsgebiet des

Peneios sichtbar.

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Philipp war nun unmittelbarer Nachbar des Protekto-rats und für sein Bündnis mit Hannibal nicht nur nicht bestraft, sondern sogar noch territorial belohnt worden. Der nächste Waffengang war damit vorauszusehen; dass er nur fünf Jahre auf sich warten ließ, hatte Philipp zu ver-antworten. Dieser verlagerte nach dem Frieden von Phoi-nike seinen Aktionsradius nach Osten, eroberte Städte an der Nordküste der Ägäis und der Propontis (Marmara-Meer) und operierte 201 v. Chr. mit seiner Flotte in der Ägäis und an der kleinasiatischen Westküste. Hier traten ihm die Rhodier entgegen, denen sich Attalos anschloss. Philipp verwüstete daraufhin dessen Territorium, wurde aber schließlich südlich von Milet in der Bucht von Bargylia von den vereinigten Flotten der Rhodier und Pergamener eingeschlossen. Während seines unfreiwilli-gen Aufenthalts auf dem kleinasiatischen Festland erfuhr er, dass Attalos und die Rhodier Gesandte nach Rom ge-schickt und Hilfe erbeten hatten.

Die rhodisch-pergamenische Gesandtschaft stieß im Senat auf offene Ohren: Nun eröffnete sich nicht nur die Möglichkeit, wie im Falle Agrons eine an den Grenzen des eigenen Einflussgebietes expandierende Großmacht rechtzeitig zu schwächen, sondern auch Philipp für sein Verhalten im Jahr 215 v. Chr. zu bestrafen und den Vertrag von Phoinike zu revidieren. Sofort ging eine hochrangige Senatsgesandtschaft in den Osten ab, die in verschiede-nen griechischen Staaten sondierte und dem Makedo-nenkönig von Athen aus ein Ultimatum übermitteln ließ, er solle mit keinem der Griechen Krieg führen und sich wegen des dem Attalos zugefügten Unrechts vor einem unparteiischen Gericht verantworten. Wenn er das tue, könne er mit den Römern in Frieden leben, wenn er nicht gehorche, werde das Gegenteil der Fall sein (Pol. 16,27). Dass die Römer zu keiner dieser Forderungen berechtigt waren, da sie mit keinem der griechischen Staaten ver-bündet waren und der Pergamener sich gegen Philipp ge-wandt hatte, ohne von ihm angegriffen worden zu sein, hat den Senat und seine Gesandten anscheinend nicht gestört. Vielmehr wurde das Ultimatum wenig später dem König gegenüber wiederholt und wurden die Forde-rungen um zwei Punkte erweitert: Philipp solle sich auch von ptolemäischen Besitzungen fernhalten und sich den Rhodiern gegenüber verantworten (Pol. 16,34,3); diese Forderungen entbehrten erst recht jeder völkerrecht-lichen Grundlage.

Noch im Herbst 200 v. Chr. brach der Krieg aus und braucht ebensowenig wie die vorangegangenen detail-liert behandelt zu werden. Die beiden ersten eingesetz-ten Oberbefehlshaber konnten nicht allzuviel ausrich-ten, einen Umschwung brachte erst das Erscheinen des

Konsuls T. Quinctius Flamininus im Jahr 198 v. Chr., der taktisch und diplomatisch geschickter operierte und dem Makedonenkönig wichtige Bundesgenossen abspenstig machen konnte. Die militärische Entscheidung fiel im Frühsommer 197 v. Chr. beim thessalischen Kynoske-phalai und endete mit einer vernichtenden Niederlage des Makedonenkönigs. Philipp bot sofort Verhandlungen an, worauf Flamininus umgehend einging, hatte er doch erfahren, dass der Seleukidenherrscher Antiochos III. mit seinem Heer aus Syrien aufgebrochen war und beabsich-tigte, nach Europa hinüberzugehen. Er fürchtete deshalb, Philipp könne auf dessen Unterstützung hoffen und die Auseinandersetzung in die Länge ziehen; dann käme ein anderer Konsul und dürfte im Falle eines Sieges über den Makedonenkönig triumphieren.

So kam es schnell zum Abschluss eines Friedens-vertrages19: Philipp musste alle außerhalb der Grenzen Make doniens besetzten Griechenstädte räumen und die Unabhängigkeit der zu den Römern abgefallenen ober-makedonischen Oresten anerkennen, ferner die makedo-nische Kriegsflotte bis auf wenige Einheiten ausliefern, die Kriegskosten erstatten und Geiseln stellen. Diese Be-stimmungen waren hart, entsprachen aber durchaus dem in derartigen Verträgen Üblichen: Der Unterlegene wurde militärisch geschwächt und musste Kontributionen ent-richten sowie Geiseln stellen. Ersteres war auf die Flotte beschränkt, da diese dem Makedonenkönig die Möglich-keiten zu Ein- und Übergriffen gegeben hatte. Eine wei-tergehende Schwächung Makedoniens als Landmacht lag nicht im Interesse der Römer: Das Königreich musste ein Gegengewicht gegen die inzwischen suspekt gewordenen Aitoler und ihre Großmachtpläne bilden und zugleich als Bollwerk zwischen Griechenland und den Völkern im In-neren der Balkanhalbinsel erhalten bleiben; hier besaß es eine historische Aufgabe, die es schon seit Jahrhunderten immer wieder im Interesse der Griechen erfüllt hatte und die es weiterhin wahrnehmen musste.

Wenige Jahre später wurde der gerade so sehr ge-schwächte Philipp von den Römern sogar dringend be-nötigt, als Antiochos auf Betreiben der Aitoler im Herbst 192 v. Chr. mit einem Heer in Griechenland gelandet war und die Römer erneut Truppen über die Adria sandten. Als Belohnung für seine Waffenhilfe wurde Philipp der Besitz aller Gebiete versprochen, die er den Aitolern und deren Bundesgenossen abnehmen würde; dabei handelte es sich nur um eine informelle Übereinkunft, und Phil-ipp war naiv genug, den Römern zu glauben. Tatsächlich konnte er eine Reihe von Städten in Thessalien und den umliegenden Landschaften gewinnen. Nach dem Sieg über Antiochos und dessen Zurückdrängung hinter den

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Tauros fühlten sich die Römer indes nicht mehr an das Versprechen gebunden; auch waren die Aitoler jetzt hin-reichend geschwächt und wurde der Makedonenkönig nicht mehr als Gegengewicht gegen sie gebraucht.

Philipp wurde klar, dass ein gutes Einvernehmen mit den Römern nicht zu erreichen war. So wandte er sich einer aktiven Balkanpolitik zu, unterstützte die Byzantier gegen ihre thrakischen Nachbarn, knüpfte Verbindungen zu den im Gebiet der Donaumündung siedelnden Bastar-nern an, nahm Verhandlungen mit den in der Umgebung des heutigen Belgrad lebenden Skordiskern auf und führte schließlich mehrere Feldzüge in Thrakien durch. Gleichzeitig ging er daran, das ihm verbliebene Reich neu zu organisieren und zu konsolidieren. Die Staats-einkünfte wurden gesteigert, der Bergbau intensiviert, die Münzprägung angekurbelt und auf eine Vermehrung der geschrumpften Bevölkerung hingearbeitet. Als Philipp 179 v. Chr. starb, befand sich Makedonien auf dem Wege zu innerer und äußerer Regeneration. Dieser Aufstieg hielt unter seinem Sohn Perseus an, ja er verstärkte sich noch. Die Erfolge dieser Konsolidierungsarbeit lassen sich an dem ablesen, was der Pergamenerkönig Eume-nes II. am Vorabend des Dritten Makedonischen Krie-ges, wenn auch mit Übertreibungen, im römischen Senat vortrug: Perseus verfüge über 30 000 Fußsoldaten, 5 000 Reiter, Getreidevorräte, um sein Heer zehn Jahre hin-durch verpflegen, sowie Bargeld, um 10 000 Söldner für zehn Jahre anwerben zu können, dazu Einkünfte aus den Bergwerken; ferner Waffen für drei Heere der Größen-

ordnung, wie sie einsatzbereit waren, und dazu Thrakien als permanente Rekrutierungsbasis. In der Tat konnte Perseus wenig später 43 000 Mann ins Feld schicken, da-runter 29 000 Makedonen, mehr als sein Vater Philipp bei Kynoskephalai hatte einsetzen können.

Gleich nach seiner Thronbesteigung bat Perseus den Senat, ihn als König anzuerkennen und das jedenfalls pro forma bestehende Freundschaftsverhältnis zu erneu-ern. Beides konnten die Römer bedenkenlos gewähren, schien doch vom Sohn eines Herrschers, der weitgehend isoliert gewesen war, keine Gefahr auszugehen. Das war ein Irrtum, denn Perseus setzte nicht nur die erfolgreiche Balkanpolitik seines Vaters fort, sondern gewann binnen kurzer Zeit große Sympathien in der griechischen Staa-tenwelt: Er wurde in den Amphiktyonenrat in Delphi aufgenommen, aus dem sein Vater verbannt gewesen war, heiratete die Enkelin des Seleukiden Antiochos, den sein Vater zusammen mit den Römern bekämpft hatte, und unterhielt gute Beziehungen zu den Rhodiern, die sei-nerzeit die Römer gegen Philipp zu Hilfe gerufen hatten. Dieser Aufstieg Makedoniens, die allgemeine Beliebt-heit des jungen Herrschers bei den Griechen und seine guten Beziehungen zu anderen hellenistischen Staaten machten den Senat erneut auf das Problem des Gleich-gewichts der Kräfte im Osten aufmerksam. So setzte eine hektische diplomatische Offensive ein und kam binnen kurzem eine ganze Kollektion von teilweise unhaltbaren Vorwürfen gegen den Makedonenkönig zusammen, für uns fassbar in einer in Delphi aufgestellten zeitgenössi-schen Inschrift sowie in literarisch aufbereiteten Reden bei späteren Historikern20.

Diese Propagandakampagne, die sich erneut ge-gen einen Staat richtete, der als Nachbar zu mächtig zu werden drohte, führte binnen kurzem zum Dritten Ma-kedonischen Krieg (171–168 v. Chr.), der allerdings an-fangs gar nicht im Sinne der Römer verlief, sondern dem Makedonenkönig nach mehreren militärischen Erfolgen den Illyrerfürsten Genthios und einen Teil der Epeiroten als Bundesgenossen einbrachte. Erst 169 v. Chr. gelang den Römern in einem kühnen Marsch über die Berge der Einfall ins südliche Pierien (Abb. 11). In Pierien kam es auch zur Entscheidung, als der Konsul L. Aemilius Paul-lus am 22.6.168 v. Chr. bei Pydna das makedonische Heer vernichtend schlug, wobei 20 000 Mann gefallen sein sol-len. Perseus floh über Pella und Amphipolis nach Samo-thrake, wo er schließlich kapitulierte. Die Schlacht bei Pydna hatte den Krieg entschieden, die Reste des Wider-stands wurden rasch beseitigt, auch der abtrünnig gewor-dene Teil von Epeiros noch im Herbst desselben Jahres unterworfen; Genthios hatte schon vorher kapituliert.

Abb. 12 Nach der Beseitigung

der Monarchie wurde das ehemalige Königreich Makedonien im Jahre

167 v. Chr. auf seine historischen Grenzen

beschränkt und in vier voneinander unabhängige

Teile zerschlagen.

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Wieder einmal konnten die Römer an eine Neuord-nung der Verhältnisse auf der südlichen Balkanhalbin-sel gehen21. Makedonien hatte sich als außerordentlich wider standsfähig und sein König Perseus als entschieden beliebter als sein Vater Philipp erwiesen. Zeitweilig hatte im Osten gar das Entstehen einer größeren antirömischen Koalition gedroht; derlei durfte sich nicht wiederholen. Allerdings schreckte der Senat vor einer Annexion des besiegten Königreichs zurück. So blieb Makedonien im bisherigen Umfang erhalten, natürlich mit Ausnahme der außerhalb der alten Landesgrenzen gelegenen Gebiete. Die Makedonen wurden für frei erklärt, ihr Besitz und ihre Gesetze blieben ihnen ungeschmälert. Bisher hatten die Römer die gegnerischen Könige zwar geschwächt, aber auf dem Thron belassen; jetzt wurde nicht nur der Herrscher gefangen gesetzt und später im Triumphzug durch Rom geführt, sondern diese Regierungsform gene-rell liquidiert und den Makedonen eine ihnen vollkom-men ungewohnte republikanische Verfassung aufgezwun-gen. Allerdings bedeutete die den Makedonen verordnete Freiheit von monarchischer Regierung nicht zugleich finanzielle Unabhängigkeit; die Hälfte der bisher an den König abgeführten Abgaben musste jetzt als Tribut nach Rom abgeliefert werden. Hatten die Makedonen auch ih-ren Herrschern gegenüber mehr zu zahlen gehabt, so war das Geld doch weitgehend im Lande geblieben und hier investiert worden, so z. B. für die Landesverteidigung, für die die Makedonen jetzt zusätzlich aufkommen mussten.

Damit aber auch ein republikanisches und abgabe-pflichtiges Makedonien nicht zu gefährlich wurde, teilte man es in vier Regionen auf, die mit gewissen Abwei-chungen den vier schon in der Königszeit bestehenden Verwaltungsbezirken entsprachen (Abb. 12). Die erste er-streckte sich zwischen den Flüssen Nestos und Strymon und umfasste auch einige östlich des Nestos gelegene ehemalige Besitzungen des Perseus sowie die westlich

des Strymon gelegene Bisaltia. Die zweite Region bildete das Gebiet zwischen Strymon und Axios (einschließlich der östlich des Axios siedelnden Paionen), die dritte das alte Küstenmakedonien zwischen Axios und Peneios, die vierte die obermakedonischen Kantone bis an die Grenzen zu Illyrien bzw. Epeiros sowie die westlich des Axios siedelnden Paionen. Das am Strymon gelegene Amphipolis, das etwa 315 v. Chr. gegründete und rasch zu einer der bedeutendsten Städte des Landes emporge-stiegene Thessalonike, die bisherige Königsstadt Pella (Abb. 13) und das obermakedonische Herakleia (heute Bitola) wurden die Hauptstädte der vier Regionen, deren jede ein eigenständiges Gemeinwesen mit eigenen Be-amten, Kassen und politischen Versammlungen bildete. Ehegemeinschaften zwischen Bewohnern verschiedener Regionen wurden ebenso untersagt wie der Erwerb von Grundbesitz außerhalb des eigenen Gebietes.

Vergleichbare Maßnahmen wurden in Illyrien durch-geführt: Die Monarchie wurde abgeschafft, Genthios nach Rom gebracht und ebenfalls im Triumphzug mitge-führt und sein Reich in drei Teile zerschlagen. Auch hier hatten die früheren Untertanen des abgesetzten Königs die Hälfte ihrer bisherigen Abgaben nach Rom zu ent-richten, nur diejenigen Gemeinden oder Stämme, die rechtzeitig auf die römische Seite getreten waren, wurden von diesen Zahlungen befreit. Das im südlichen Illyrien gelegene Gebiet der römischen amici war durch diese Maßnahmen nicht betroffen.

Mehr ist über Illyrien nicht bekannt, während für Makedonien noch einige wirtschaftliche Maßnahmen überliefert sind. Die Gold- und Silberminen des Landes wurden vorübergehend geschlossen und die Edelmetall-förderung erst nach zehn Jahren wieder gestattet. Erlaubt war fürs Erste nur noch die Gewinnung von Eisen und Kupfer; allerdings mussten die Betreiber die Hälfte der Abgaben, die sie an den König entrichtet hatten, nun

Abb. 13 Pella war seit dem Beginn des 4. Jhs. v. Chr. die Hauptstadt des König­reichs Makedonien und wurde nach dem Ende der Monarchie und der Auf­teilung des Reichs Vorort der dritten vom Axios bis zum Peneios reichenden Region.

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an die Römer zahlen. Die königlichen Schätze wurden nach Rom verbracht, die königlichen Besitzungen ein-gezogen und aus dem Königreich zahlreiche Kunstwerke verschleppt. Schiffbauholz durfte nicht mehr geschla-gen werden; damit wurde der Aufbau einer Kriegs- oder Handelsflotte verhindert und der Export nachhaltig ge-schädigt. Allerdings durften zu Verteidigungszwecken an den Außengrenzen Truppen unterhalten werden. Durch die genannten Maßnahmen war in Makedonien die Auf-bauarbeit der letzten Herrscher zunichte gemacht wor-den. Auch hatte der Krieg mehr Beute erbracht als alle bis herigen Einsätze in Griechenland und Makedonien zusammen, so dass fortan in Italien auf die direkte Be-

steuerung römischer Bürger weitgehend verzichtet wer-den konnte22.

Nach Durchführung dieser Maßnahmen brach Ae-milius Paullus mit seinem Heer zur adriatischen Küste auf, schickte einen Teil der Truppen nach Illyrien, um dort ehemalige Bundesgenossen des Perseus durch Plün-derung und Verheerung ihres Landes zu bestrafen, und wandte sich selbst nach Epeiros, um hier das Strafge-richt zu vollziehen, das der Senat über die abtrünnigen Epeiroten verhängt hatte. Etwa 70 Ortschaften der Mo-losser und Thesproten wurden vernichtet und entvölkert, 150 000 Menschen in die Sklaverei verkauft. Epeiros hat sich von diesem Schlag nie ganz erholt.

Die Provinzialisierung Makedoniens

Die seit Menschengedenken an die Königsherrschaft gewöhnten Makedonen taten sich mit der neuen

republikanischen Regierungsform schwer und hatten wohl auch mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämp-fen. Die Römer hingegen scheinen sich in der Folgezeit kaum um die Verhältnisse in Makedonien gekümmert und auch die Anhänglichkeit seiner Bewohner an das beseitigte Königshaus unterschätzt zu haben. Diese Tat-sache machte sich gegen Ende der 50er Jahre ein gewis-ser Andriskos zunutze, der sich als ein Sohn des letzten Makedonenkönigs ausgab, ja dies vielleicht auch war, und mit thrakischer Hilfe von Osten her in Makedonien einfiel. Anfangs konnte er sich behaupten und 149 v. Chr. sogar ein von den Römern gegen ihn geschicktes Heer vernichtend schlagen, unterlag dann aber 148 v. Chr. den zwei Legionen des Prätors Q. Caecilius Metellus. Dieser Sieg über den Prätendenten sollte von den Makedonen als Befreiung angesehen werden, die sie den Römern verdankten, und so führten diese eine mit dem Jahr 148 v. Chr. beginnende Ära ein, nach der fortan in Makedo-nien die Jahre gezählt wurden23.

Allerdings konnten sich die Römer nicht mit der Wie-derherstellung des vorherigen Zustands begnügen, son-dern mussten sich für Makedonien wieder einmal etwas Neues einfallen lassen. 196 v. Chr. hatten sie das Kö-nigreich territorial und militärisch geschwächt und nach 168 v. Chr. gar aufgeteilt; aber auch diese Lösung hatte sich nach kurzer Zeit als ungenügend erwiesen, und so war jetzt für Makedonien die «Experimentierphase» vorüber: Seine durch die Verpflichtung zur Zahlung re-

gelmäßiger Abgaben ohnehin schon eingeschränkte völ-kerrechtliche Autonomie wurde vollends aufgehoben und das Land trotz der gerade eingeführten «Freiheitsära» der direkten Kontrolle durch ständig im Lande statio-nierte römische Truppen und einen in der Regel jährlich wechselnden Statthalter unterstellt24. Diese Provinziali-sierung Makedoniens war indes nur die unvermeidliche Konsequenz aus dem Scheitern der bisherigen Versu-che, das Land ungefährlich zu machen. Noch stellte die Einrichtung von Provinzen nur die ultima ratio dar und war nicht eigentliches Ziel römischer Außenpolitik. Allerdings offenbarte diese in der Zeit um und nach 168 v. Chr. eine zunehmende Verhärtung und verriet ein im-mer spürbarer werdendes Misstrauen. Das zeigte sich nicht nur gegenüber Makedonien. Wenig später verlangte der Senat die Teilauflösung des Achäischen Bundes, der inzwischen die gesamte Peloponnes umfasste, jetzt aber als Ordnungsmacht oder Gegengewicht gegen Aitoler oder Makedonien nicht mehr benötigt wurde, und setzte diese Maßnahme mit militärischen Mitteln durch. Ko-rinth wurde im Jahr 146 v. Chr. zerstört, die am Krieg beteiligten griechischen Staaten wurden dem Statthalter der Provinz Macedonia unterstellt. Opfer der veränder-ten Haltung des römischen Senats wurde schließlich auch Karthago, das der jüngere Scipio im selben Jahr 146 v. Chr. einnahm und dem Erdboden gleichmachte und dessen Herrschaftsgebiet in Nordafrika als römische Pro-vinz eingerichtet wurde. Auch Roms schwere und verlust-reiche Kriege in Spanien, die fast ohne Unterbrechung von 154 bis 133 v. Chr. währten, waren großenteils durch über-

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triebenes Misstrauen der Römer ausgelöst und durch bis-weilen unnötig hartes Vorgehen weiter angeheizt worden.

Die im Jahr 167 v. Chr. geschaffene innere Ordnung wurde durch die Provinzialisierung kaum verändert: Die vier Teile und die von Aemilius Paullus erlassenen Ge-setze blieben – nach Aufhebung der seinerzeit verfügten Beschränkungen – bestehen, desgleichen sicher auch die zu leistenden Abgaben. Neu war eigentlich nur die ständige Stationierung römischer Truppen unter einem Befehlshaber, der in der Regel ein Prätor oder Proprätor war; Ausnahmen von dieser Regel, also die gelegentliche Entsendung von Konsuln bzw. Prokonsuln, waren durch militärische Notwendigkeiten bestimmt. Um die Verbin-dung zwischen dem Zentrum des Reiches und der neu-eingerichteten Provinz zu sichern, wurden die an Make-doniens Westgrenze siedelnden südillyrischen Stämme, an deren Küste die wichtigen Häfen Apollonia und Epi-damnos (Dyrrhachion) lagen, sowie die südlich anschlie-ßenden nordepeirotischen Gebiete, möglicherweise auch das gesamte Epeiros bis hinab zum Golf von Ambrakia in die neugeschaffene Provinz inkorporiert (Abb. 14). Wäh-

rend Epeiros später als eigenständige Provinz konstituiert wurde, blieben das ehemalige Königreich Makedonien und die einst aus rein praktischen Erwägungen heraus mit ihm vereinigten südillyrischen Gebiete bis zum Ende des 3. Jhs. n. Chr. miteinander verbunden, doch gibt es in den Quellen keinerlei Hinweise darauf, dass es zwischen die-sen beiden Teilen zu engeren Kontakten gekommen wäre. Das war auch kaum zu erwarten, nachdem die südillyri-schen Stämme mehr als zwei Jahrhunderte lang das bis-weilen geschwächte Königreich Makedonien immer wie-der mit ihren Beutezügen heimgesucht hatten. Vielmehr bildete Makedonien innerhalb des wechselnden Umfangs der Provinz Macedonia stets ein klar umrissenes Gebiet mit festen Grenzen und einer eindeutigen ethnischen und kulturellen Identität. Auch bringt es der im voran-gegangenen Kapitel skizzierte Forschungsstand mit sich, dass wir über den westlichen Teil, der etwa ein Drittel der Provinz umfasste, sehr viel weniger wissen als über das ehemalige Königreich, und dieses Ungleichgewicht wirkt sich natürlich auch auf die nun folgende Darstellung der Provinzgeschichte aus.

Abb. 14 Die nach der Nieder­werfung des Andriskos eingerichtete Provinz «Macedonia» umfasste nicht nur das einstige Königreich, sondern auch die westlich anschlie­ßenden südillyrischen Gebiete einschließlich der Adriahäfen Dyrrhachion und Apollonia.

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