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Die Restaurierung der Villa Tugendhat Text und Fotos: Carsten Krohn Highheels müssen draußen bleiben – ansonsten ist Mies’ programmatisches Wohnhaus der Zwischenkriegszeit seit dem 6. März wieder für das Publikum geöffnet: dienstags bis sonntags, mit Führungen zur vollen Stunde. Tickets unter [email protected] Das Haus präsentiert sich, als wäre es gerade erst erbaut. Alles strahlt derart homogen in neuem Glanz, dass es nicht mehr möglich ist zu erkennen, was original und was nachgebildet ist. Dass die Restaurierung nach jahrzehntelanger Vernachläs- sigung dennoch auf wundersame Weise geglückt ist, beruht auf einem Synergieeffekt. Von all dem, was Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn in ihrer über 80-jährigen Geschichte durchmachen musste, sind kaum mehr Spuren zu sehen. Gleich mit der Vertreibung der jüdischen Eigentümer und der Plünderung des Hauses setzte die schrittweise Überformung und Verunklarung der Architektur ein – und setzte sich para- doxerweise auch dann fort, als der Bau in den 1980er Jahren wieder instand gesetzt wurde. Damals wurden originale Flie- sen abgeschlagen, und das Gebäude wurde mit einer weißen Kunstharzfarbe angestrichen, die sich mit der Bauphysik nicht vertrug. Damals ging auch die letzte noch erhaltene 15 Quad- ratmeter große Glasscheibe verloren, die in den Boden ver- senkbar war. Wer das Haus früher schon einmal besucht hat, wird über- rascht sein, denn es ist nicht mehr weiß. Der hydraulische Kalkputz ist mit lokalem Sand versehen, sodass eine leicht gelbliche Färbung in Erscheinung tritt. Auch im Inneren sind die Wände nicht mehr schneeweiß. Sie sind extrem fein ver- putzt, ohne Anstrich, und beim genauen Betrachten zeigt sich auch hier der Sand. Selbst die Fliesen sind nicht weiß, sondern leicht cremefarben, sodass sie eine Einheit mit dem Travertin- Boden bilden. Wenn man von einer intendierten Homogenität der Farbigkeit ausgeht, sind die rekonstruierten Fliesen in der Küche wohl etwas zu gelb geraten, der Linoleumboden im of- fenen Wohnraum hingegen wirkt etwas zu braun. Hier stehen grüne Barcelona-Sessel neben einer roten Liege. Eine derartige Polychromie findet sich bei keinem anderen Mies-Bau. Doch im Gegensatz zu diesen auch auf Mies’ Partnerin Lilly Reich zurückzuführenden Farben der Möbel und Textilien wird beim Gebäude selbst nur die Farbigkeit der Materialien zum Ausdruck gebracht. Die kunstvoll ummantelten Stützen des Stahlskeletts sind im Inneren verchromt und im Außenbereich künstlich patiniert, sodass das Messingblech mit einem hohen Kupferanteil wie Bronze erscheint. Mies’ Präzision der Detaillierung zeichnet auch die Renovierung/Rekonstruktion aus. Die zerstörten Bäder wurden aufgrund von historischen Schwarzweiß-Auf- nahmen nachgebildet. Von den Waschbecken wurden nach den Fotos Computermodelle erstellt, die dann produziert wur- den. So sind auch Wasserhähne und Lichtschalter penibel nachgebildet. Auch sämtliche Möbel sind rekonstruiert, und das auf eine perfekte Art. Die Akribie, mit der hier vorgegan- gen worden ist, trägt zum Effekt bei, dass sich die Besucher wie auf einer Zeitreise fühlen und glauben, nun plötzlich das Haus zum Zeitpunkt der Schlüsselübergabe betrachten zu können. Bauwelt 14 | 2012 9 Bauwelt 14 | 2012 betrifft Die Restaurierung der Villa Tugendhat 8

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Die Restaurierung der Villa TugendhatText und Fotos: Carsten Krohn

Highheels müssen draußen bleiben – ansonsten ist Mies’ programmatisches Wohnhaus der Zwischenkriegszeit seit dem 6. März wieder für das Publikum geöffnet: dienstags bis sonntags, mit Führungen zur vollen Stunde. Tickets unter [email protected]

Das Haus präsentiert sich, als wäre es gerade erst erbaut. Alles strahlt derart homogen in neuem Glanz, dass es nicht mehr möglich ist zu erkennen, was original und was nachgebildet ist. Dass die Restaurierung nach jahrzehntelanger Vernachläs-sigung dennoch auf wundersame Weise geglückt ist, beruht auf einem Synergieeffekt. Von all dem, was Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn in ihrer über 80-jährigen Geschichte durchmachen musste, sind kaum mehr Spuren zu sehen. Gleich mit der Vertreibung der jüdischen Eigentümer und der Plünderung des Hauses setzte die schrittweise Überformung und Verunklarung der Architektur ein – und setzte sich para-doxerweise auch dann fort, als der Bau in den 1980er Jahren wieder instand gesetzt wurde. Damals wurden originale Flie-sen abgeschlagen, und das Gebäude wurde mit einer weißen Kunstharzfarbe angestrichen, die sich mit der Bauphysik nicht vertrug. Damals ging auch die letzte noch erhaltene 15 Quad-ratmeter große Glasscheibe verloren, die in den Boden ver-senkbar war.

Wer das Haus früher schon einmal besucht hat, wird über-rascht sein, denn es ist nicht mehr weiß. Der hydraulische Kalkputz ist mit lokalem Sand versehen, sodass eine leicht gelbliche Färbung in Erscheinung tritt. Auch im Inneren sind die Wände nicht mehr schneeweiß. Sie sind extrem fein ver-putzt, ohne Anstrich, und beim genauen Betrachten zeigt sich auch hier der Sand. Selbst die Fliesen sind nicht weiß, sondern leicht cremefarben, sodass sie eine Einheit mit dem Travertin-Boden bilden. Wenn man von einer intendierten Homogenität der Farbigkeit ausgeht, sind die rekonstruierten Fliesen in der Küche wohl etwas zu gelb geraten, der Linoleumboden im of-fenen Wohnraum hingegen wirkt etwas zu braun. Hier stehen grüne Barcelona-Sessel neben einer roten Liege. Eine derartige Polychromie findet sich bei keinem anderen Mies-Bau. Doch im Gegensatz zu diesen auch auf Mies’ Partnerin Lilly Reich zurückzuführenden Farben der Möbel und Textilien wird beim Gebäude selbst nur die Farbigkeit der Materialien zum Ausdruck gebracht.

Die kunstvoll ummantelten Stützen des Stahlskeletts sind im Inneren verchromt und im Außenbereich künstlich patiniert, sodass das Messingblech mit einem hohen Kupferanteil wie Bronze erscheint. Mies’ Präzision der Detaillierung zeichnet auch die Renovierung/Rekonstruktion aus. Die zerstörten Bäder wurden aufgrund von historischen Schwarzweiß-Auf-nahmen nachgebildet. Von den Waschbecken wurden nach den Fotos Computermodelle erstellt, die dann produziert wur-den. So sind auch Wasserhähne und Lichtschalter penibel nachgebildet. Auch sämtliche Möbel sind rekonstruiert, und das auf eine perfekte Art. Die Akribie, mit der hier vorgegan-gen worden ist, trägt zum Effekt bei, dass sich die Besucher wie auf einer Zeitreise fühlen und glauben, nun plötzlich das Haus zum Zeitpunkt der Schlüsselübergabe betrachten zu können.

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Leider fehlt die wichtige Skulptur von Lehmbruck, während man im Obergeschoss an den Stellen, an denen früher einmal Bilder hingen, andere Bilder aufgehängt hat, sodass ein Pup-penstubeneffekt entsteht. Es wäre schön, die noch erhaltenen Möbel wieder an Ort und Stelle zu sehen. Nachbesserungsbe-darf besteht auch beim Teppich vor der Onyx-Wand und bei den Vorhängen, deren Qualität sicher nicht dem Anspruch von Mies und Reich genügt hätte.

Eine Sensation ist die von Miroslav Ambroz wiederentdeckte Makassar-Holzverkleidung der halbrunden Wand um den Ess-tisch, die bis dahin als verschollen galt. Ambroz war nach langer Recherche auf das Tagebuch eines Wehrmachtsoldaten gestoßen, in dem genau beschrieben stand, wie die edlen Holzpaneele aus dem Haus entfernt und in den Festsaal des Gestapo-Hauptquartiers eingebaut wurden. In dem später als Mensa der Masaryk-Universität genutzten Saal blieb die Her-kunft der Paneele jahrzehntelang unbemerkt.

Die knapp sieben Millionen Euro teure Sanierung wurde zu 85 Prozent von der EU getragen. Schon im Vorfeld hat eine durch private Sponsoren finanzierte „konservierungswissen-schaftliche Untersuchung“ unter Leitung von Ivo Hammer die Materialität erforscht. An dem Projekt waren mehrere Hoch-schulen beteiligt. Erst das Zusammenwirken von internatio-nalen Spezialisten ermöglichte die erfolgreiche Umsetzung dieses Restaurierungsvorhabens. So ist das Ergebnis mehr als die Summe seiner Einzelteile.

Eine neue Erkenntnis über Mies’ Werk ist die Genauigkeit, mit der er den jeweils spezifischen Materialcharakter herausgear-beitet hat. Auch die Ausgewogenheit der Proportionen bis in die Details ist nun wieder erfahrbar. Allerdings sind auch Feh-ler passiert. Die erneuerten Travertin-Stufen der monumenta-len Freitreppe wurden nicht analog der Schichtung des Steins verlegt, sondern quer dazu. Gerade der Sohn eines Steinmetzes wird sehr genau überlegt haben, ob die Maserung vertikal oder horizontal verlaufen soll.

Nach zweijähriger Bautätigkeit sind nun nicht nur die Wohn-räume wieder zugänglich, sondern auch der rekonstruierte Garten und die Technikräume im unteren Geschoss. Hier kön-nen die Zentrale der Klimaanlage und der Mechanismus der herunterfahrbaren Fensterscheiben besichtigt werden, und es ist ein Glück, dass die gesamte Mechanik des Hauses nach wie vor funktioniert. Mit einem für Einfamilienhäuser irrsinnigen Aufwand wurde eine technische Perfektion erzielt, die sich der Architektur unterordnet. Es wird hier keine Maschinenästhe-tik zum Ausdruck gebracht. Die in Mies’ Architektur themati-sierte Versöhnung von Gegensätzen ist nach Jahrzehnten nun wieder in ihrer Vollkommenheit erlebbar. ▪

Neunte Veranstaltung des internationalen ArchitekturwettbewerbsGrand Prix. Teilnehmen können alle Projektplaner, die ein oder mehrereWerke mit Feinsteinzeugprodukten von Casalgrande Padana realisiert haben

Die Wettbewerbskonditionen und der Anmeldungsschein können an der grünen Nummer 800210311 beantragt oder aus dem Bereich „Raum Projekteurs“ der Website www.casalgrandepadana.comheruntergeladen werden.Rufen Sie für weitere Infos an der grünen Nummer an oder senden Sie eine E-Mail an: [email protected]

Teilnahmeschluss ist der 30. September 2012Fo

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