Die resektive Parodontaltherapie – wann ist sie …...PARODONTOLOGIE Einleitung Als Resektion ist...
Transcript of Die resektive Parodontaltherapie – wann ist sie …...PARODONTOLOGIE Einleitung Als Resektion ist...
PARODONTOLOGIE
Einleitung
Als Resektion ist die Exzision eines Teiles einer Struktur wie z. B. des Knochens, der Gingiva oder einer Zahnwurzel definiert1. Klinische Beispiele solcher resektiven Verfahren in der Parodontologie sind zahlreich und umfassen u. a. die Gingivektomie, die chirurgische Kronenverlängerung, die Wurzelamputation, die resektive Behandlung von Furkationsdefekten sowie die resektive Parodontalchirurgie zur Tascheneliminierung. Da die ausführliche Erläuterung der Indikationsstellung all dieser Methoden hier zu weit führen würde, soll im Folgenden nur auf die resektive Parodontaltherapie zur Tascheneliminierung eingegangen werden.
Unter der Tascheneliminierung werden Eingriffe verstanden, die eine physiologische Knochenstruktur wiederherstellen, nachdem diese durch parodontale Entzündungsvorgänge verändert wurde. Die chirurgische Formänderung des parodontalen Knochens kann dabei mittels Osteoplastik, Ostektomie oder einer Kombination
Alexander Schrott
Alexander Schrott Dr. med. dent., MMScHarvard School of Dental Medicine188 Longwood AvenueBoston, MA 02116, USAundZahnärzte Dr. Schrott & PartnerEuckenweg 3190471 NürnbergE-Mail: [email protected]
Quintessenz 2011;62(10):1289–1298 1289
Die resektive Parodontaltherapie – wann ist sie noch indiziert?
IndizesResektive Parodontaltherapie, Tascheneliminierung, Defektmorphologie, Ästhetik, Regeneration
ZusammenfassungDie resektive Parodontaltherapie verfolgt das Ziel der Tascheneliminierung durch Wiederherstellung einer positiven Knochenarchitektur. Aufgrund der dabei notwendigen Opferung von zahntragendem Knochen wird die Indikationsstellung der resektiven Therapie auch heute noch kontrovers diskutiert. Obwohl sich mit wachsendem Erfolg regenerativer Methoden und einem steigenden Ästhetik-Bewusstsein in der Bevölkerung ihr Indikationsspektrum in den letzten Jahrzehnten erheblich verändert hat, ist die resektive Parodontaltherapie auch heute noch in bestimmten Situationen indiziert. Zu den wichtigsten Faktoren, die bei der Entscheidungsfindung für oder gegen die resektive Parodontaltherapie bedacht werden sollten, gehören die Lage der Furkations-eingänge, ästhetische Bedenken und die bestehende Defektmorphologie. Da die Wahl der für den einzelnen Fall besten Therapiemethode oft komplex ist, wird ein verein-fachter Leitfaden zur Indikationsstellung im Praxisalltag beschrieben.
1290 Quintessenz 2011;62(10):1289–1298
PARODONTOLOGIEDie resektive Parodontaltherapie – wann ist sie noch indiziert?
beider Vorgänge erreicht werden. Bei der Ostektomie wird ein Teil des zahntragenden Knochens reseziert, während bei der Osteoplastik die Wiederherstellung einer physiologischen Knochenarchitektur allein durch Umformung des nicht zahntragenden Alveolar knochens erfolgt1. Im Zuge der Evolution regenerativer Methoden und erhöhter ästhetischer Ansprüche in der Zahnmedizin hat sich die Indikationsstellung der resek tiven Parodontalchirurgie in den letzten Jahren grundsätzlich verändert.
Im Folgenden werden die Grundprinzipien der resektiven Parodontaltherapie zur Tascheneliminierung erläutert, deren Vor und Nachteile diskutiert sowie Leitfäden zur heutigen Indikationsfindung vor dem Hintergrund moderner regenerativer Alternativen dargelegt.
Korrelation zwischen Knochenarchitektur und Taschentiefen
Im gesunden Zustand folgt das Parodontium einem girlandenförmigen Verlauf, bei dem der interdentale Knochen höher positioniert ist als der bukkale und linguale bzw. palatinale Limbus alveolaris. Dieser girlandenförmige Verlauf ist im Frontzahnbereich ausgeprägter als im Seitenzahnbereich und wird als positive Knochenarchitektur bezeichnet (Abb. 1a).
Die interdentale Destruktion von Parodontalgewebe durch entzündliche Vorgänge kann zu einer Umkehr dieser Architektur führen, so dass der interproximale Knochen weiter apikal positioniert ist als der bukkale oder linguale bzw. palatinale Limbus alveolaris. In diesem Fall spricht man von einer negativen Knochenarchitektur. Da das darüberliegende Weichgewebe die Tendenz hat, abrupte Veränderungen des Knochenniveaus zu überbrücken und sich wie ein Schleier über eine irreguläre Knochenkontur zu legen, behält die Gingiva jedoch in der Regel selbst bei einer negativen Knochenarchitektur ihre positive Girlandenform bei. Nachdem sich das Saumepithel und das bindegewebige Attachment durch entzündliche Vorgänge im Par odontium nach apikal verlagert haben, entstehen so tiefe parodontale Taschen (Abb. 1b). Die Idee, dass eine zuverlässige Tascheneliminierung nur erreicht wird, wenn der Alveolarknochen durch resektive Parodontalchirurgie
wieder der positiven Girlandenform der Gingiva angepasst wird, geht auf die 1940er Jahre und Schluger18 zurück (Abb. 1c).
Vergleicht man die resektive Parodontaltherapie mit der offenen oder der geschlossenen Kürettage, so konnte nachgewiesen werden, dass durch die Anpassung der Knochenmorphologie bei der resektiven Parodontalthera pie tatsächlich die niedrigsten Taschentiefen erreicht werden können3,11. Dieser Vorteil der resektiven Therapie gegenüber den konservativeren Alternativen scheint je doch langfristig verloren zu gehen. So konnten Becker et al.2 zeigen, dass der Unterschied der Taschen tiefen zwischen den drei Behandlungsmethoden nach 5 Jahren auf einen statistisch nicht signifikanten Wert geschwunden war. Dabei muss jedoch erwähnt werden, dass alle in die ser Studie untersuchten Patienten einem strengen Nachsor geprotokoll unterworfen waren. Bei Patienten mit man gelnder Mundhygiene und Nichteinhalten der par odontalen Nachsorgetermine könnte die Unterlassung der Herstellung einer physiologischen Knochenarchitektur langfristig durchaus zu einem anderen Ergebnis führen22.
Endziel der Parodontaltherapie
Durchleuchtet man den Sinn der resektiven Therapie, so muss zunächst folgende Grundsatzfrage gestellt werden: Was soll das Endziel der Parodontaltherapie sein? Beantwortet man diese Frage mit der Minimierung von parodontalen Taschen, um so eine weniger pathogene Bakterienflora und eine zugänglichere Anatomie für Mundhygienemaßnahmen zu erreichen, dann erscheint die resektive Parodontaltherapie als die sinnvollste Therapiemethode. So konnten Socransky et al.20 nachweisen, dass das Vorhandensein von gramnegativen und anaeroben Parodontalkeimen stark mit der Taschentiefe korreliert. Die höhere Anzahl und Pathogenität dieser Bakterien in tiefen Taschen machen in der Folge den beschleunigten Abbau parodontalen Gewebes und damit die Progression der Parodontalerkrankung wahrscheinlicher9,19. Die Opferung parodontalen Knochens zur Herstellung einer physiologischen Gewebearchitektur als Basis für den langfristigen Erhalt parodontaler Gesundheit ist vor diesem Hintergrund also durchaus sinnvoll.
Quintessenz 2011;62(10):1289–1298 1291
PARODONTOLOGIEDie resektive Parodontaltherapie – wann ist sie noch indiziert?
Abb. 1a Physiologische Taschentiefen bei positiver Knochenarchitektur. Im parodontal gesunden Gebiss folgen Gingiva und Knochen einer gemein-samen Girlandenform. Im entzündungs-freien Zustand sind daher physiologische Taschentiefen zu erwarten
Abb. 1b Erhöhte Taschentiefen bei negativer Knochenarchitektur. Par-odontale Entzündungsvorgänge führen durch die Destruktion interproximalen Attachments zu einer negativen Knochenarchitektur. Da das Weich-gewebe seine Girlandenform beibehält und sich wie ein Schleier über die vorhandenen Knochendefekte legt, sind tiefe parodontale Taschen die Folge
Abb. 1c Wiederherstellung einer positiven Knochenarchitektur und physiologischer Taschentiefen durch resektive Parodontalchirurgie. Mittels Osteoplastik und Ostektomie wird die positive Architektur des Knochens wiederhergestellt und eine harmonische Wiederanlagerung des Weichgewebes ermöglicht. Tiefe parodontale Taschen werden somit eliminiert
Abb. 1a bis c Korrelation zwischen Knochenarchitektur und Taschentiefen
1292 Quintessenz 2011;62(10):1289–1298
PARODONTOLOGIEDie resektive Parodontaltherapie – wann ist sie noch indiziert?
Dreiwandig Regeneration
Prothetische Versorgung
geplantResektion
Einwurzelig,ästhetischer
BereichNicht chirurgische
Therapie
Offene Kürettage
Keine prothetischeVersorgung
geplant
Ein, zweiwandig
Flach
Mehrwurzelig,nicht ästhetischer
BereichCave Furkation Resektion
Defektmorphologie
(Regeneration)
Offene Kürettagemit oder ohneOsteoplastik
Kombination
Extraktion
TiefSystemische oder lokale Risikofaktoren?
Furkation? Ästhetische Bedenken?
HorizontalerKnochenabbau Resektion
Abb. 2 Indikationsleitfaden zur resektiven Parodontalchirurgie. Die resektive Parodontalchirurgie zur Tascheneliminierung ist im Allgemeinen bei flachen ein- oder zweiwandigen Defekten indiziert, solange Furkationseingänge von mehrwurzeligen Zähnen bei der Schaffung einer positiven Knochenarchitektur nicht freigelegt werden und die ästhetischen Folgen mit Frontzahnrestaurationen kaschiert werden können. Sollten ein horizontaler Knochenabbau oder Knochenleisten zu tiefen Parodontaltaschen geführt haben, so kann eine physiologischere Adaptation des Weichgewebes durch resektive Therapie erreicht werden. Dreiwandige Defekte sollten generell regeneriert werden. Tiefe ein- und zweiwandige Defekte stellen eine Kontraindikation der resektiven Tascheneliminierungstherapie dar
Betrachtet man jedoch ein möglichst hohes Niveau parodontalen Attachments als oberstes Endziel der Therapie, so erscheint die Resektion parodontalen Gewebes kontraproduktiv. Bei der Ostektomie zur Wiederherstellung einer positiven Knochenarchitektur wird zahntragender Knochen geopfert und somit die postoperative Freilegung von Zahnhälsen verstärkt11. Der schwierige Kampf gegen postoperative Dentinhypersensibilität muss
nach der resektiven Therapie also häufiger geführt werden als nach nicht chirurgischer Therapie oder offener Kürettage ohne Resektion. Weiterhin kann die resektive Therapie im sichtbaren Bereich zu erheblichen ästhetischen Folgen führen.
Noch heute bestehen in der parodontologischen Fachwelt große Diskrepanzen bezüglich der Auffassung, ob die resektive oder die nicht resektive Behandlung von
Quintessenz 2011;62(10):1289–1298 1293
PARODONTOLOGIEDie resektive Parodontaltherapie – wann ist sie noch indiziert?
Parodontalerkrankungen den langfristig besseren Erfolg verspricht. Selbst innerhalb der „resektiven Fraktion“ gibt es unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Frage, ob eine Resektion unterstützenden Knochens (Ostektomie) erfolgen und wie radikal sie ausfallen sollte. Die Meinungsdiskrepanz basiert dabei auf einer unterschiedlichen Auffassung darüber, welchem Endziel der Therapie Priorität einzuräumen sei.
Betrachtet man die Literatur, so lassen sich für beide Positionen gute Argumente finden. Eine definitive Antwort, welches Vorgehen die größeren Vorteile bringt, wird man in der Literatur jedoch vergeblich suchen. Bis heute muss jeder Behandler für sich selbst entscheiden, welches Vorgehen nach seiner klinischen Erfahrung, seinem biologischen Verständnis und seiner Kenntnis der parodontologischen Fachliteratur am meisten Sinn ergibt. Generell sind aber einige grundsätzliche Leitfäden bei der Indikationsstellung zu beachten, die „fraktionsübergreifend“ Geltung finden sollten und im Folgenden beschrieben werden (Abb. 2).
Leitfaden zur Indikationsstellung der resektiven Parodontaltherapie
Indikation der Regeneration = Kontraindikation der Resektion
Die Möglichkeit, durch Parodontitis verloren gegangenes Gewebe zu regenerieren, hat die Parodontologie in den letzten Jahren und Jahrzehnten revolutioniert und die bestehenden Behandlungskonzepte erheblich verändert17. Da die Wiedergewinnung verloren gegangener Substanz grundsätzlich der Resektion vorhandener Strukturen vorzu ziehen ist, empfiehlt es sich, in der modernen Behandlung die regenerative Therapie als die wünschenswertes te aller Therapieansätze anzusehen. Wenn eine kli nische Situation die parodontale Regeneration indiziert, sollte diese der resektiven Therapie generell vorgezogen werden. Leider ist der Erfolg der regenerativen Therapie von vielen Faktoren abhängig und hat deshalb ein eingeschränktes Indikationsspektrum7.
Systemische Faktoren und Mundhygiene
Die Wundheilung betreffende systemische Faktoren müssen bei der Behandlungsplanung ebenso in Betracht gezogen werden wie ein möglichst bakterienarmes Milieu. So konnte nachgewiesen werden, dass bei Rauchern und Patienten mit mangelnder Mundhygiene signifikant schlechtere Ergebnisse und höhere Misserfolgsraten der parodontalen Therapie zu erwarten sind als bei Nichtrauchern oder Patienten mit guter Mundhygiene5,7,12,14. Bei starken Rauchern und Patienten mit mangelnder Mundhygiene sollte also aufgrund der schlechten Erfolgsaussichten generell auf chirurgische Maßnahmen, im Besonderen allerdings auf regenerative Methoden verzichtet werden7.
Bisher nicht ausreichend erforscht ist der Einfluss von schlecht kontrolliertem Diabetes und der Verabreichung von Bisphosphonaten auf den Erfolg regenerativer Therapiemethoden. Bis eine wissenschaftlich fundierte Beurteilung möglich ist, sollten regenerative und andere chirurgische Methoden bei solchen Patienten mit Vorsicht angewendet werden.
Defektmorphologie
Die chronische oder akute Entzündung des Parodontiums kann zu horizontalem und/oder vertikalem Knochenabbau und verschiedenen Knochendefekten führen. Die Anatomie des vorhandenen Knochendefektes ist für die Erfolgsaussichten regenerativer Methoden und damit für die Indikationsstellung der resektiven Therapie von erheblicher Bedeutung. Man unterscheidet ein, zwei und dreiwandige vertikale Defekte sowie den horizontalen Knochenabbau. Generell gilt: Je besser der Defekt von Knochen umgeben ist, d. h. je mehr knöcherne Wände zur Regeneration und Stabilisierung des Defektes vorhanden sind, und je schmaler der Defekt ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der parodontalen Regeneration. Schmale, tiefe und dreiwandige Defekte bieten also die besten Chancen eines Behandlungserfolges. Je mehr knöcherne Wände den Defekt umgeben, desto mehr regenerative Botenstoffe und
1294 Quintessenz 2011;62(10):1289–1298
PARODONTOLOGIEDie resektive Parodontaltherapie – wann ist sie noch indiziert?
Zellen können aus der knöchernen Begrenzung in den Defekt wandern und so die Regeneration der verloren gegangenen Gewebe unterstützen. Je schmaler der Defekt ist, desto weniger muss der Körper „überbrücken“ und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Auffüllung des Defektes6.
Dreiwandige DefekteEin dreiwandiger Parodontaldefekt besitzt drei knöcherne Begrenzungswände, wobei die vierte Wand vom Zahn gebildet wird. Dies ist typischerweise bei einem vertikalen, nur einen Zahn betreffenden Defekt der Fall. Da dreiwandige Defekte die beste Prognose zur parodontalen Regeneration aufweisen, ist die resektive Therapie solcher Defekte kontraindiziert und deren Regeneration geboten.
Flache ein- und zweiwandige DefekteBei einem zweiwandigen Defekt werden zwei Begrenzungen von Knochen und die restlichen zwei Wände von benachbarten Zähnen gebildet. Ein typisches Beispiel hierfür ist der interproximale Krater zweier benachbarter Zähne, der vornehmlich im Seitenzahnbereich auftritt, da der Alveolarknochen dort breit ist und somit die interproximal stattfindende parodontale Destruktion in der Regel jeweils von einer bukkalen und einer lingualen bzw. palatinalen Wand begrenzt wird13. Unter einem einwandigen Defekt versteht man jeglichen Defekt, der nur eine knöcherne Begrenzung aufweist und somit eine schlechtere Prognose zur parodontalen Regeneration mit sich bringt. Da das regenerative Potenzial bei flachen ein und zweiwandigen Defekten gering ist6, stellen Letztere die klassische Indikation zur resektiven Parodontalchirurgie dar, mit deren Hilfe durch minimale Opferung parodontalen Stützgewebes der Knochendefekt eliminiert und eine physiologische Knochenarchitektur wiederhergestellt werden kann. Eine pauschale Indikationsstellung zur resektiven Therapie in flachen ein und zweiwandigen Defekten wäre jedoch falsch, da ästhetische und andere, im Folgenden beschriebene anatomische Faktoren mit ins Kalkül gezogen werden müssen.
Tiefe ein- und zweiwandige DefekteIst die Zerstörung des Parodontiums jedoch bereits weit vorangeschritten und der ein oder zweiwandige Defekt tief, so würde die Wiederherstellung einer positiven Knochenarchitektur in der Regel zwangsläufig zu einem unverhältnismäßigen Verlust parodontalen Stütz gewebes, einem unvorteilhaften KronenWurzelVerhältnis oder der Freilegung von Furkationseingängen führen. Tiefe ein und zweiwandige Knochendefekte stellen daher eine Kontraindikation der resektiven Therapie zur Tascheneliminierung dar. Als Alternativen können die offene Kürettage mit oder ohne Osteoplastik und die parodontale Regeneration Anwendung finden, auch wenn die Erfolgsaussichten parodontaler Regeneration bei ein und zweiwandigen Defekten generell wesentlich geringer eingeschätzt werden müssen als bei dreiwandigen Defekten6. Da sich tiefe ein und zweiwandige Defekte oft als Kombinationsdefekte darstellen, ist nicht selten eine Kombination mehrerer Techniken anzuwenden. Sollte der Defekt so weit vorangeschritten sein, dass keine der erwähnten Therapieansätze Erfolg versprechen, so muss die Extraktion des betroffenen Zahnes in Erwägung gezogen werden.
Horizontaler KnochenverlustAuch durch einen rein horizontalen Knochenabbau oder Knochenleisten können tiefe Parodontaltaschen entstehen. Der Grund dafür ist wiederum die Tendenz des Weichgewebes, sich einer positiven Girlandenform anzupassen, auch wenn der darunterliegende Knochen eine flache oder breite Anatomie annimmt. Eine physiologische Adaptation des Weichgewebes kann hier in der Regel allein mittels Osteoplastik erfolgen. Eine Ostektomie ist in der Regel nicht oder nur in einem geringen Maße erforderlich. Der horizontale Knochenabbau oder das Vorhandensein von Knochenleisten stellt damit eine klassische Indikation für die resektive Therapie dar.
KombinationsdefekteIn den meisten Fällen ist klinisch eine eindeutige Einordnung des parodontalen Defektes in eine der genannten Kategorien nicht oder nur eingeschränkt möglich, da sich
Quintessenz 2011;62(10):1289–1298 1295
PARODONTOLOGIEDie resektive Parodontaltherapie – wann ist sie noch indiziert?
Abb. 3a Tiefer vertikaler Knochendefekt mit resultieren-der Taschentiefe von 10 mm am Zahn 43 bei einem Fall von aggressiver Parodontitis. Mittels Osteoplastik und leichter Ostektomie an den Zähnen 42 und 44 sind eine positive Knochenarchitektur an den Nachbarzähnen sowie eine für die Regeneration und Weichgewebsadaptation vorteilhafte Knochenanatomie geschaffen worden. Der resultierende Defekt beginnt apikal als dreiwandiger Knochendefekt und geht weiter koronal in einen einwandigen Defekt über
Abb. 3b Nach den Regeln der gesteuerten Geweberegene - ra tion wurde Knochenersatz-material (RegenerOss Allograft, Fa. Biomet 3i, Palm Beach Gardens, USA) eingebracht und eine biologische Barriere (Bio-Gide, Fa. Geistlich Pharma, Wolhusen, Schweiz) adaptiert. Durch die Anwendung von Wachstumsfaktoren (GEM 21S, Fa. Osteohealth, Shirley, USA) konnte das regenerative Potenzial maximiert werden
Abb. 3c 18 Monate post operationem wurden eine physiologische Taschentiefe von 3 mm und eine radio-logische Regeneration parodon-talen Knochens festgestellt
Abb. 3a bis c Kombination von Resektion und Regeneration bei Kombinationsdefekten. Nicht selten stellen sich Knochen-defekte als Kombination verschiedener Defektmorphologien dar. Um eine für die Regeneration vorteilhafte Anatomie zu erlangen, kann die Resektion als vorbereitende Maßnahme zur Regeneration dienen
a
b
c
1296 Quintessenz 2011;62(10):1289–1298
PARODONTOLOGIEDie resektive Parodontaltherapie – wann ist sie noch indiziert?
die Mehrzahl der parodontalen Defekte als Kombination verschiedener Defektmorphologien darstellt. Der Behandler muss dann intra operationem eine angemessene Beurteilung der lokalen sowie der systemischen Gegebenheiten vornehmen und eine auf den individuellen Fall zugeschnittene Methode wählen. Nicht selten sind mehrere Techniken gleichzeitig anzuwenden. Beispielsweise kann ein vornehmlich dreiwandiger Defekt, der im koronalen Bereich in einen einwandigen Defekt übergeht, durch resektive Techniken in einen rein dreiwandigen Defekt umgewandelt werden. Sollte dies nicht gänzlich möglich sein, so können mittels Osteoplastik und Ostektomie im einzelnen Fall zumindest eine positive Knochenarchitektur an den Nachbarzähnen sowie ein für die Regeneration dienlicherer Knochendefekt hergestellt werden (Abb. 3a bis c).
Einwurzelige versus mehrwurzelige Zähne
Die relativ einfache Wurzelanatomie einwurzeliger Frontzähne unterscheidet sich grundsätzlich von der komplexen Form mehrwurzeliger Molaren, so dass die parodontale Behandlung von Frontzähnen aus einem anderen Blickwinkel gesehen werden muss als die eines dreiwurzeligen Oberkiefermolaren, bei dem die Furkationseingänge im Durchschnitt schon wenige Millimeter apikal der SchmelzZementGrenze beginnen (bukkal 4,2 mm, distal 4,8 mm, mesial 3,6 mm)8 (Abb. 4). Da im Durchschnitt 94 % aller Oberkiefermolaren und 100 % aller Unterkiefermolaren Konkavitäten und Einziehungen innerhalb der Furkation aufweisen, während 58 bis 81 % aller Furkationseingänge schmaler sind als der durchschnittliche Durchmesser einer Küret te (0,75 bis 1,10 mm)4, ist der parodontale Knochenabbau oft schwierig aufzuhalten, sobald er sich bis in die Furkation vorgearbeitet hat. Es sollte also vom Behandler alles Mögliche versucht werden, einen Knochenabbau bis in die Furkationseingänge rechtzeitig zu verhindern. Im Seitenzahnbereich gibt es keinerlei ästhetische Bedenken, so dass hier ein frühzeitiges re sektives Einschreiten schon bei flachen Knochen defek ten gerechtfertigt erscheint. Bei der Schaffung einer positiven Knochenarchitektur muss jedoch in jedem Fall die Frei
legung von Furkationseingängen vermieden werden. Die Länge des Wurzelstammes hat also einen erheblichen Einfluss darauf, in welchem Maße Knochen mittels Ostektomie entfernt werden kann, um eine physiologische Knochenarchitektur zu erreichen. Auch aus diesem Grund ist die resektive Knochentherapie auf flache Knochendefekte beschränkt.
Demgegenüber bietet die relativ einfache Wurzelanatomie von Frontzähnen wesentlich bessere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Instrumentierung und somit für die nicht chirurgische Kontrolle der parodonta len Entzündung. Ohne das Vorhandensein einer Furka tion entfallen bei einwurzeligen Zähnen schwer zugäng liche Nischen, die bei der geschlossenen Kürettage nur unzulänglich erreicht werden können. Zieht man weiterhin die im Folgenden beschriebenen potenziellen ästhetischen Folgen einer resektiven Therapie im Frontzahnbereich in Betracht, so erscheint die volle Ausschöpfung der nicht chirurgischen Therapie zusammen mit systemisch und/oder lokal antibiotischen Maßnahmen oder die Anwendung konservativer nicht resektiver chirurgischer Methoden bei einwurzeligen Zähnen in den meisten Fällen als das Mittel der Wahl.
Ästhetischer Bereich
Das Erscheinungsbild parodontaler Destruktion im Oberkieferfrontzahnbereich mit langen klinischen Kronen, freiliegenden Zahnhälsen und schwarzen interproximalen Dreiecken muss gerade in der heutigen Gesellschaft als schwerer Einschnitt in die Lebensqualität eines Patienten eingestuft werden. Die resektive Knochentherapie ist daher im ästhetischen Bereich in den meisten Fällen kontraindiziert.
Die Ausnahme bilden Fälle, in denen eine spätere Überkronung, eine Verbreiterung durch Kunststofffüllungen oder eine Veneerversorgung der betroffenen Frontzähne geplant ist. Führt die nicht chirurgische oder regenerative Therapie nachweislich oder voraussichtlich nicht zum gewünschten Ergebnis, so kann die Schaffung einer positiven Knochenarchitektur als stabile parodontale Basis in solchen Fällen durchaus die Therapie der Wahl sein. Dies kann beispielsweise bei
Quintessenz 2011;62(10):1289–1298 1297
PARODONTOLOGIEDie resektive Parodontaltherapie – wann ist sie noch indiziert?
Taschentiefen ab 5 mm der Fall sein, wenn der unterliegende Knochendefekt sich nicht zur Regeneration eignet, jedoch tief genug ist, um die langfristige parodontale Stabilität des Pfeilerzahnes nicht garantieren zu können. Voraussetzung in solchen Fällen ist, dass auch nach resektiver Therapie ästhetische Proportionen der späteren prothetischen Versorgung und des umliegenden Gewebes erreicht werden können. Eine gründliche ästhetische Diagnostik und Behandlungsplanung, die ein Waxup sowie eine chirurgische Schablone umfassen sollten, sind in solchen Fällen für eine gezielte Resek tion und ein vorhersagbar ästhetisches Ergebnis unerlässlich.
Auch bei einer sehr niedrigen Lachlinie und geringen ästhetischen Ansprüchen des Patienten können resektive Maßnahmen in einzelnen Fällen zur Behandlung von moderat vorangeschrittenen Parodontopathien im Frontzahnbereich angewendet werden. Grundsätzlich sind im ästhetischen Bereich modifizierte chirurgische Resektionstechniken zu wählen, die den maximalen Erhalt des fazialen Gewebes zum Ziel haben15,21.
Als Alternative zur Resektion sollte auch immer die kieferorthopädische Extrusion zur Behandlung von Knochendefekten in Betracht gezogen werden. Hierbei können vertikale Knochendefekte verringert oder ganz eliminiert werden, indem das gesunde parodontale At
Abb. 4a und b Die Lage des Furkationseingangs als wichtiges Kriterium bei der Behandlungsplanung. Ansicht von bukkal (a) und von lingual (b). Lage und Anatomie von Furkationen haben sowohl bei resektiven als auch bei regenerativen Methoden entscheidenden Einfluss auf die Behandlungsplanung sowie den Therapieerfolg. Der bukkale Eingang zur Furkation drei wurzeliger Oberkiefermolaren beginnt im Schnitt bereits 4,2 mm apikal der Schmelz-Zement-Grenze, während der distopalatinale Eingang 4,8 mm und der mesiopalatinale Eingang sogar schon 3,6 mm von der Schmelz-Zement-Grenze entfernt zu erwarten sind. Eine Freilegung von Furkationseingängen muss bei der Herstellung einer positiven Knochen-architektur unter allen Umständen vermieden werden
mesial distaldistal mesial
4,2 mm 4,8 mm 3,6 mm
a b
1298 Quintessenz 2011;62(10):1289–1298
PARODONTOLOGIEDie resektive Parodontaltherapie – wann ist sie noch indiziert?
Literatur
1. American Academy of Periodontology (AAP). Glossary of periodontal terms. 4. ed. Chicago: AAP, 2001.
2. Becker W, Becker BE, Caffesse R et al. A longitudinal study comparing scaling, osseous surgery, and modified Widman procedures: results after 5 years. J Periodontol 2001;72:1675-1684.
3. Becker W, Becker BE, Ochsenbein C et al. A longitudinal study comparing scaling, osseous surgery and modified Widman procedures. Results after one year. J Periodontol 1988;59:351-365.
4. Bower RC. Furcation morphology relative to periodontal treatment. Furcation root surface anatomy. J Periodontol 1979;50:366-374.
5. Cortellini P, Paolo G, Prato P, Tonetti MS. Long-term stability of clinical attachment following guided tissue regeneration and conventional therapy. J Clin Periodontol 1996;23:106-111.
6. Cortellini P, Tonetti MS. Focus on intrabony defects: guided tissue regeneration. Periodontol 2000 2000;22:104-132.
7. Garrett S. Periodontal regeneration around natural teeth. Ann Periodontol 1996;1:621-666.
8. Gher MW, Dunlap RW. Linear variation of the root surface area of the maxillary first molar. J Periodontol 1985;56:39-43.
9. Haffajee AD, Socransky SS, Smith C, Dibart S. Relation of baseline microbial parameters to future periodontal attachment loss. J Clin Periodontol 1991;18:744-750.
10. Ingber JS. Forced eruption. I. A method of treating isolated one and two wall infrabony osseous defects – rationale and case report. J Periodontol 1974;45:199-206.
11. Kaldahl WB, Kalkwarf KL, Patil KD, Dyer JK, Bates RE. Evaluation of four modalities of periodontal therapy. Mean probing depth, probing attachment level and recession changes. J Periodontol 1988;59:783-793.
12. Kornman KS, Robertson PB. Fundamental principles affecting the outcomes of therapy for osseous lesions. Periodontol 2000 2000; 22:22-43.
13. Manson JD, Nicholson K. The distribution of bone defects in chronic periodontitis. J Periodontol 1974;45:88-92.
14. Nickles K, Ratka-Krüger P, Neukranz E, Raetzke P, Eickholz P. Open flap debridement and guided tissue regeneration after 10 years in infrabony defects. J Clin Periodontol 2009;36: 976-983.
15. Nowzari H. Aesthetic osseous surgery in the treatment of periodontitis. Periodontol 2000 2001;27:8-28.
16. Ogihara S, Wang H-L. Periodontal regeneration with or without limited orthodontics for the treatment of 2- or 3-wall infrabony defects. J Periodontol 2010;81:1734-1742.
17. Palmer RM, Cortellini P; Group B of European Workshop on Periodontology. Periodontal tissue engineering and regeneration: Consensus Report of the Sixth European Workshop on Periodontology. J Clin Periodontol 2008;35(Suppl):83-86.
18. Schluger S. Osseous resection; a basic principle in periodontal surgery. Oral Surg Oral Med Oral Pathol 1949; 2:316-325.
19. Socransky SS, Haffajee AD. The bacterial etiology of destructive periodontal disease: current concepts. J Periodontol 1992;63: 322-331.
20. Socransky SS, Haffajee AD, Smith C, Dibart S. Relation of counts of microbial species to clinical status at the sampled site. J Clin Periodontol 1991;18:766-775.
21. Tibbetts LS, Ochsenbein C, Loughlin DM. Rationale for the lingual approach to mandibular osseous surgery. Dent Clin North Am 1976;20:61-78.
22. Wilson TG. Compliance and its role in periodontal therapy. Periodontol 2000 1996;12:16-23.
tachment apikal des vertikalen Defektes nach koronal verlagert wird10,16. Auch hierbei ist eine gründliche ästhetische Analyse der gewünschten Proportionen mittels eines Waxups unumgänglich.
Schlussfolgerungen
Die resektive Parodontaltherapie zur Tascheneliminierung hat auch im Zeitalter der Regeneration ihre Daseinsberechtigung nicht verloren. Ihre Indikationen haben sich jedoch mit dem zunehmenden Erfolg regenerativer Methoden und dem steigenden Ästhetikverständnis in der Zahnmedizin in den letzten Jahrzehnten erheblich verändert, weshalb eine grundlegende Anpassung der Herangehensweise notwendig geworden ist.
Im Groben ist die resektive Parodontaltherapie auch heute noch bei flachen ein und zweiwandigen Parodontaldefekten sowie bei Taschenbildung durch horizontalen
Knochenabbau oder durch Knochenleisten indiziert, solange keine ästhetischen Bedenken bestehen, Furkationseingänge nicht freigelegt werden und auch nach der Schaffung einer physiologischen Knochenarchitektur ein für den Langzeiterfolg des Zahnes adäquates Knochenniveau vorhanden ist.
Aufgrund der zahlreichen Faktoren, die bei der Entscheidungsfindung für oder gegen die resektive Therapie bedacht werden müssen, ist die Festlegung von klaren und generalisierten Richtlinien schwierig. Entscheidend für den Erfolg sind eine korrekte Diagnosestellung, die sorgfältige Wahl und ordnungsgemäße Ausführung der Therapie sowie eine realistische Einschätzung des Behandlungsergebnisses. Der hier beschriebene Leitfaden soll dem Behandler einen Überblick über die wichtigsten Aspekte zur Indikationsstellung der resektiven Parodontaltherapie geben und als Orientierung im Praxisalltag dienen.