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DIE ONTOLOGIE FRANZ BRENTANOS

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PHAENOMENOLOGICAREIHE GEGR ÜNDET VON H.L. VAN BREDA UND PUBLIZIERT

UNTER SCHIRMHERRSCHAFT DER HUSSERL-ARCHIVE

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ARKADIUSZ CHRUDZIMSKI

DIE ONTOLOGIE FRANZ BRENTANOS

Redaktionskomitee:Direktor: R. Bernet (Husserl-Archief, Leuven) Sekretär: J. Taminiaux (Centred' etudes phenomenologiques, Louvain-Ia-Neuve) Mitglieder: S. IJsseling (Husserl­Archief, Leuven), H. Leonardy (Centre d'etudes phenomenologiques, Louvain-la­Neuve) , U. Meile (Husserl-Archief, Leuven), B. Stevens (Centre d'etudes phenome­nologiques, Louvain -Ia-Neuve)

Wissenschaftlicher Beirat:R. Bernasconi (Memphis State University), D. Carr (Emory University, Atlanta),E.S . Cascy (State University of New York at Stony Brook), R. Cobb-Stevcns (BostonCollege), J .F. Courtine (Archives-Husserl, Paris), F. Dastur (Universite de Nice), K.Düsing (Husserl-A rchiv, Köln), J. Hart (lndiana University, Bloomington), K. Held(Bergische Universität Wuppertal), K.E. Kaehler (Husserl-Archiv, Köln), D. Lohmar(Husserl -Archiv, Köln), W.R. McKenna (Miami University, Oxford, USA), J.N.Mohanty (Temple University, Philadelphia), E.W. Orth (Universität Trier), P.Ricoeur (Paris), C. Sini (Universitä degli Studi di Milano) , R. Sokolowski (CatholicUnivcrsity of America, Washington D.C.), B. Waldenfels (Ruhr-Universität ,Bochum)

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ARKADIUSZ CHRUDZIMSKIUniversität Zielona Gora. Polen und

Universität, Salzburg, Osterreich

DIE ONTOLOGIEFRANZ BRENTANOS

KLUWER ACADEMIC PUBLISHERSDORDRECHT / BOSTON / LONDON

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A c.I.P. Catalogue record for this book is available from the Library of Congress.

ISBN I-4020-1859-2

Published by Kluwer Academic Publishers ,P.O. Box 17, 3300 AA Dordrecht, Tbe Netherlands .

Sold and distributed in North, Central and South Americaby Kluwer Academic Publishers,

101 Philip Drive, Norwell , MA 02061, U.S.A.

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INHALTSVERZEICHNIS

EINFÜHRUNG

1. INDIVIDUELL UND ALLGEMEIN

1.1 Allgemeine Entitäten1.2 Tropen1.3 Inter-ind ividuelle und intra-individuelle Relationen1.4 Sachverhalte1.5 Mengen, Begriffe und Prädikate

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2 . DIE ELEMENTE DER ARISTOTELISCHEN METAPHYSIK 33

2.1 Das ontologische Quadrat2.2 Substantiale und akzidentelle Eigenschaften2.3 Das Seiende im Sinne der Kategorien2.4 Das dem Vermögen nach und der Wirklichkeit nach Seiende2.5 Das Seiende im Sinne des Wahren2.6 Die Aristotel ische Intentionalitätstheorie

3. BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS

3.1 Die frühen Studien zu Aristoteles (1862-1867)3.2 Das Seiende im Sinne des Wahren und das real Seiende3.3 Substanz und Akzidens3.4 Physische Teile des Seienden3.5 Logische Teile des Seienden3.6 Metaphysische Teile des Seienden3.7 Relationen , Grenzen und Kontinua3.8 Kategorien, Materie und Form3.9 Die Probleme der konzeptualistischen Auffassung

4. DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE

4.1 Bren tanos deskriptive Ontologie4.2 Eigenschaften und Begriffe4.3 Relationen4.4 Die Theorie der Teile in der Deskriptiven Psychologie (1890 /91 )4.5 Die .Konstruierbarkeit" von Entitäten4.6 Die Ontologie der intentionalen Beziehung4.7 Der Ontologische Reichtum der mittleren Periode und der frühe Konzeptualismus

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5 . REISMUS

5.1 Substanzen und Akzident ien5.2 Atome und Kontinua5.3 Relationen5.4 Die intentionale Beziehung5.5 Die Kategorientafel5.6 Zurück zum Konzeptual ismus5.7 Die Phasen der konzeptualistischen Reduktion

S CHLUSSWORT

BIBLIOGRAPHIE

NAMENREGISTER

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177

180183188193196199

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221

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EINFÜHRUNG

Franz Brentano (1838-1917) ist dem breiten philosophischen Publikum in ersterLinie als der Philosoph der Intentionalität bekannt. Es waren jedoch ontologischeProbleme, die ihn am Beginn seiner Karriere besonders bewegten und denen er dieletzten Jahre seines Lebens widmete. Auch in seinen deskriptiv-psychologischenund logischen Vorlesungen zögert Brentano nicht den ontologischen Fragen bezüg­lich Substanzen, Eigenschaften oder immanenten Objekten. Die demonstrativ anti­metaphysische Problemstellung der Psychologie vom empirischen Standpunkt(1874) ist wahrscheinlich als eine strategische Maßnahme zu deuten, die der jungeBrentano getroffen hat, um im entscheidenden Moment seiner Karriere in denAugen potentieller Gutachter möglichst wenig "scholastisch" auszusehen. I Heutebraucht man auf solche Überlegungen nicht mehr Rücksicht zu nehmen. Deshalbsoll im vorliegenden Buch explizit die Ontologie Brentanos in ihrer interessantenEntwicklung dargestellt werden. Es gibt drei große Perioden in Brentanos ontolo­gischem Denken:

Die frühe Periode (1862-1874) beginnt mit der Dissertation Von der mannig­fachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles (1862), in der sich Brentano mitder Aristotelischen Kategorienlehre auseinandersetzt, und umfaßt wichtige (bisherunpublizierte) Vorlesungen zur Metaphysik, die Brentano seit 1867 in Würzburghielt (Manuskript M 96). Diese frühe Ontologie konzentriert sich auf reale Dingeder Außenwelt. Alle bloß gedachten Objekte, die später für Brentano so wichtigwerden sollen, werden in der frühen Periode in Anknüpfung an Aristoteles' Lehreals Seiendes im Sinne des Wahren klassifiziert und aus dem Interessengebiet derOntologie ausgeschieden.

Die mittlere Periode (1874-1904) beginnt mit der Psychologie vom empirischenStandpunkt (1874), in der Brentano die Intentionalität für die zeitgenössische Philo­sophie neu "entdeckt" und zugleich zum Definitionsmerkmal des Psychischenmacht. In dieser Periode untersucht er in erster Linie diejenigen ontologischenProbleme, die in Zusammenhang mit seiner Intentionalitätstheorie stehen. Er be­schäftigt sich daher besonders mit Entitäten wie immanenten Objekten, nicht-exis­tierenden und zeitlich modifizierten Gegenständen, sowie mit Sachverhalten. Das inder frühen Ontologie diskreditierte Seiende im Sinne des Wahren wird in dieserPeriode ontologisch ernst genommen und Brentano entwickelt eine sehr einflußrei­che Ontologie der intentionalen Beziehung, deren Weiterentwicklung man beiMarty, Twardowski, Meinong und Husserl fmdet.

I Vgl. dazu Antonelli 2001, S.346-350. Münch betont diesen Anti-Ontologismus der Psychologieß rentanos und will davon auf die Unhaltbarkeit jeder .ontotoglstcrenden" Interpretation des imma­nenten Objekts schließen. Vgl. Münch 1993, S. 76-78.

A. Chrudzimski et al. (eds.), Die Ontologie Franz Brentanos© Kluwer Academic Publishers 2004

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2 EINFÜHRUNG

Die Philosophie der späten .reistischen" Periode (1904-1917) resultiert aus derEnttäuschung über die Theorie des immanenten Objekts, die Brentano in der mittle­ren Periode entwickelte. Brentano mußte feststellen, daß diese Theorie sehr vielekontraintuitive Aspekte hat, so daß er schließlich den Begriff des immanenten Ob­jekts nicht nur als philosophisch unbrauchbar, sondern sogar als strenggenommenkonzeptuell unmöglich betrachtete. Eine These des späten Brentano ist es, daß wirnur Begriffe von realen Dingen bilden können. Es gibt nur reale Dinge und wirkönnen uns keine anderen Entitäten als solche Dinge vorstellen - behauptet er jetzt.

In der bisherigen Brentano-Forschung wurde in erster Linie seine späte Onto­logie untersucht. Von R. M. Chisholm, P. Simons und B. Smith stammen vielewertvolle Aufsätze zu diesem Thema. Die Betonung der späten Ontologie Bren­tanos entspricht gewissermaßen der Bewertung, welche die ersten Herausgeber desBrentano-Nachlasses (0. Kraus, A. Kastil, F. Mayer-Hillebrand) dem Werk Bren­tanos gaben .t Sie haben die späte Philosophie ihres Meisters als eine Art philoso­phische Offenbarung betrachtet, die früheren Phasen hingegen als "verfehlt", "un­reif' oder "inzwischen überholt" diskreditiert. Zumindest vom historischen Stand­punkt aus ist eine solche selektive Zugangsweise unakzeptabel.

Die Ontologie der intentionalen Beziehung , die Brentano in seiner mittleren Peri­ode entwickelte, wird gewöhnlich in erster Linie als Intentionalitätstheorie und erstdann als Ontologie betrachtet. Man konzentriert sich darauf, ob immanente Objekte(bzw. andere Entitäten) in der Intentionalitätstheorie eine erklärende Funktion er­füllen und ob die resultierende Intentionalitätslehre plausibel ist. Die Probleme desontologischen Aufbaus dieser Entitäten bleiben normalerweise unberücksichtigt.'

Die frühe Ontologie Brentanos stellt das Gebiet dar, das bisher am wenigstenerforscht wurde . Der Grund dafür liegt sicherlich darin, daß der ontologischeHaupttext dieser Periode - die Würzburger Vorlesungen zur Metaphysik (M 96) ­immer noch unpubliziert ist. Lediglich der Aufsatz Baumgartner/Simons 1992/1993und einige Kapitel des Buchs Antonelli 200 I behandeln etwas ausführlicher dieTheorie der physischen, metaphysischen und logischen "Teile", die Brentano indiesen Vorlesungen entwickelte.

Was in der Brentano-Literatur fehlt und was dieses Buch liefern will, ist einesystematische Darstellung der gesamten Ontologie Brentanos. 4 Es soll die dreiPhasen der Brentanoschen Ontologie in ihrer komplizierten "Dialektik und Konti­nuität" darstellen und zeigen, daß eine solche Darstellung nicht nur von einemideengeschichtlichen, sondern auch von einem systematischen Standpunkt sehrinteressant ist.

Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel. Die zwei ersten Kapitel dienen als eineallgemeine Einfiihrung . Wir wollen in ihnen die wichtigsten ontologischen Begriffeeinführen, mit denen wir in diesem Buch ständig zu tun haben werden (wie z.B.allgemeine Entität, individuelle Eigenschaft , externe und interne Relation), sowie

2 Vgl. z.B. die Einfüh rung von Franziska Mayer-H illebrand in Brentano 1977.3 Als Ausnahme sei Smith 1992/93 erwähnt.4 Eine kurze Darstellung der Ontologie Brentanos in ihrer drei Phasen kann man in Chrudzimski/Smith2003 finden.

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EINFÜHRUNG 3

die grundlegenden Thesen der Aristotelischen Metaphysik kurz erörtern. Im drittenKapitel wird die frühe Ontologie Brentanos besprochen. Diese Ontologie sieht aufden ersten Blick sehr Aristotelisch aus, letztlich stellt sie jedoch eine Version desKonzeptualismus dar. Im vierten Kapitel gehen wir zur mittleren Periode der Philo­sophie Brentanos über. Das war die Periode, die auf seine Schüler den größtenEinfluß ausgeübt hat und die für die Wirkungsgeschichte Brentanos zweifelsohnedie Wichtigste ist. Die Metaphysik, die Brentano zu dieser Zeit entwickelte, wirdallerdings sehr selten genauer unter die Lupe genommen. Eine unserer Thesen wirdsein , daß die reiche Ontologie der intentionalen Beziehung, die Brentano zu dieserZeit entwickelte, aus der selbstkritischen Reflexion auf die Ontologie der frühenPeriode resultierte. Im letzten Kapitel besprechen wir die reistische Ontologie desspäten Brentano. Wir zeigen, daß sie zum großen Teil eine Rückkehr zum Kon­zeptualismus der ersten Periode darstellt. Sie ist deshalb keine vollständige Rück­kehr , weil sich der Konzeptualismus des späten Brentano, im Gegensatz zum Kon­zeptualismus seiner ersten Periode, auf eine ontologisch robuste Theorie der psy­chischen Akzidentien stützt.

Ein wichtiger Punkt muß noch betont werden. In seiner Metaphysik wollteBrentano nicht nur die Theorie der allgemeinen Struktur des Seienden (Ontologieim engeren Sinne) entwickeln, sondern auch Fragen der Theologie und Kosmologiebeantworten. In diesem Buch werden wir uns jedoch auf die allgemeinen ontolo­gischen Fragen konzentrieren und konsequenterweise nur denjenigen Teil seinerMetaphysik berücksichtigen, den Brentano Ontologie im engeren Sinne nennt.

Es gibt viele Personen und Institutionen, ohne die dieses Buch nicht entstehen hättekönnen. Auf die Idee, mich mit der Philosophie Franz Brentanos zu beschäftigen,bin ich Mitte neunziger Jahre durch meinen Doktorvater, Prof. Guido Küng (Fre i­burg / Schweiz) gekommen. Dank ihm konnte ich auch zum ersten Mal die Manu­skripte Brentanos stud ieren. Besonders wichtig für meine Arbeit an diesem Buchwar jedoch die Franz Brentano Forschung an der Universität Würzburg und ihrLeiter Prof. Wilhelm Baumgartner. Der Plan des Buchs ist während meines Aufent­halts in Würzburg (1999/2000) entstanden. Ich habe damals an dem Buch Intentio­nalitätstheorie beim frühen Brentano (Chrudzirnski 2001a) gearbeitet und wolltemich danach auf die späte Intentionalitätslehre Brentanos konzentrieren. Als ichjedoch versucht habe, diese in den Griff zu bekommen, mußte ich feststellen, daßdies ohne eine ernsthafte Auseinandersetzung mit seiner späten Ontologie kaummöglich ist. Auf der anderen Seite sah ich, daß eine interessante Kontinuität zwi­schen der sehr frühen und der späten Ontologie Brentanos besteht - eine Konti­nuität, die oft unbemerkt bleibt, weil die frühen Vorlesungen zur Metaphysik Bren­tanos nur als Manuskript vorhanden sind . Allmählich habe ich begriffen, wie vieleder interessanten ontologischen Ideen Brentanos unbekannt sind und wie viel einBuch, das seine Ontologie in ihren verschiedenen Phasen darstellt, zum Verständnisseines Werkes beitragen könnte, so daß ich es schließlich als sinnvoller erachtete,mein nächstes Buch der Ontologie Brentanos zu widmen. Es war Wilhelm Baum­gartner, der mich überzeugt hat, daß es sich nicht nur aus historischen Gründenlohnt, die Manuskripte Brentanos aus der Periode vor der Psychologie vom empiri-

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4 EINFÜHRUNG

sehen Standpunkt etwas genauer zu studieren. Er hat mir auch die von ihm edierteVersion der Metaphysik-Vorlesung (M 96) sowie den Briefwechsel Brentano-Martyzur Verfiigung gestellt. Ihm und seinen Mitarbeitern - Alexander Kraus und AndreaReimherr - bin ich auch für unzählige erläuternde Hinweise zu diesen Editionendankbar. Ohne diese Hilfe wäre das dritte Kapitel meines Buchs undenkbar.

Meine Arbeit habe ich 2000-2002 an der Universität Salzburg fortgesetzt. Auchhier konnte ich, dank Dr. Johannes Brandl, die teilweise edierte Version eines wich­tigen Manuskripts (Logik-Vorlesung , EL 72) benutzen. Ihm und Prof. Edgar Mor­scher möchte ich für die ständige Unterstützung sowie für Gespräche, die meineontologischen Analysen in mehrfacher Hinsicht beeinflußt haben , danken.

Einen besonderen Dank schulde ich Prof. Andrzej P öltawski (Krakau), bei demich vor Jahren meine Magisterarbeit geschrieben habe . Als Schüler von RomanIngarden hatte er immer die Wichtigkeit einer deskriptiven Ontologie betont. Zu­gleich hat er aber die Legitimität einer systematischen Forschung anerkannt, welcheeventuell zu einer Revision von prima facie plausiblen "deskriptiven" Thesen füh­ren kann. Es scheint, daß der wahre Schlüssel zum Verständnis des Werks Brenta­nos eben im Zusammenspiel von diesen zwei Tendenzen liegt.

Für die sprachlichen Korrekturen bin ich Dr. Johannes Brandl , Dr. AlexanderHieke , Dr. Wolfgang Huemer, Dr. Hannes Leitgeb und Dr. Anne Siegetsleitnerdankbar. Dem Verlag Kluwer Academic Publishers und der Zeitschrift BrentanoStudien danke ich für die Erlaubnis, einige Stellen von Chrudzimski 1998/99 undvon Chrudzimski 2001 a in diesem Buch zu verwenden. Meine Arbeit wurde vonder Alexander von Humboldt-Stifiung und vom Österreichischen Fonds zur Förde­rung der wissenschaftlichen Forschung (Projekte Nr. M 551 und M 642) gefördert.

Nach der Danksagung kommt nun die Zeit für eine Entschuldigung. Um eine solchebitte ich meine Frau für alles, worauf sie bere it war, in Zusammenhang mit diesemBuch zu verzichten.

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KAPITEL I

INDIVIDUELL UND ALLGEMEIN

Im ersten Kapitel wollen wir den allgemeinsten ontologischen Rahmen unsererUntersuchung skizzieren. Wir führen die wichtigsten Begriffe ein, mit denen wirspäter ständig hantieren werden. Wir beginnen mit dem ontologischen Problem, dasam häufigsten mit der scholastischen Philosophie assoziiert wird - mit dem Problemder Universalien. Es handelt sich um die Frage, ob man in der allgemeinstenAnalyse der Realität, die man heute dank der mangelnden Phantasie Andronikos'von Rhodos Metaphysik nennt, unbedingt allgemeine Entitäten einführen muß ­Entitäten, die als numerisch streng identisch in mehreren individuellen Gegenstän­den instantiiert werden können.

Es gibt individuelle rote Dinge . Gibt es aber auch die Röte, d.h. etwas, was siealle gemeinsam haben? Und wenn es solche Universalien gibt, welches ist ihreNatur ? In seiner Einführung zu den Kategorien des Aristoteles läßt Porphyrios dieseFrage vorsichtig beiseite.

Die Frage, ob sie [d.h. Spezies , Genera, spezifische DifferenzenI Seinsbestand haben, oder allein inbloßen Gedanken liegen, und wenn sie denn wirklich sind, ob es Körper sind oder körperlose Wesen,und ob sie getrennt rein für sich (sind) oder nur in Wahrnehmbarem und in dessen Reich ihr Sein haben,darüber zu sprechen versage ich mir, da ein derartiges Unterfangen sehr in die Tiefe geht und weiterer ,ausführlicherer Untersuchung bedarf [...J. (Porphyrios , Isagoge, I)

Die nachfolgenden Generationen von Philosophen betrachteten aber in der Regelgerade diese Probleme als die Spannendsten. "Er versprach darüber zu schweigen",kommentiert diese Stelle Boethius, "wir aber wollen bescheiden, mit dem Zügel derMäßigung, eben das berühren." (Boethius, In Isagogen, S. 21)

Ganz unabhängig davon, ob die Auffassung, die das Problem der Universalienals das Problem der mittelalterlichen Philosophie sehen will, historisch korrekt istoder nicht , scheint es jedenfalls ein genuines philosophisches Problem zu sein, dasin fast unveränderter Form auch heute den Spielraum bestimmt, in dem sich diewichtigsten metaphysischen Antagonismen bilden .

Wenn man Universalien annimmt, stellen sich übrigens viele weitere Fragen.Entspricht ein Universale jedem Prädikat der Sprache.i d.h. nicht nur "positiven"

5 Daß dieses Postulat in dieser uneingeschränkten Form paradoxe Konsequenzen nach sich zieht, istwohl bekannt. Definieren wir z.B. das Prädikat ,,P' als ein Prädikat , das von allen Prädikaten prädizier­bar ist. die von sich selbst nicht prädiz ierbar sind. Der uneingeschränkten Form des radikalen Platonis­mus zufolge müßte diesem Prädikat eine Eigenschaft entsprechen , und zwar eine Eigenschaft E, diejeder Eigenschaft zukommt, die sich selbst nicht zukommt. Um zu verstehen , daß es keine solcheEigenschaft geben kann, müssen wir nur die Frage stellen, ob E sich selbst zukommt oder nicht? Sol­che, nach dem Muster des Russellschen Paradoxes konstruierten Prädikate müssen also auf jeden Fallaus dem Wettbewerb ausgeschlossen werden. Auch unter dieser Einschränkung gibt es jedoch genugSpielraum , um mehr und minder radikale Versionen des metaphysischen Realismus zu konstruie ren.Die klassischen Streitpunkte bilden Z.B. negative und disjunktive Eigenschaften .

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A. Chrudzimski et al. (eds.), Die Ontologie Franz Brentanos© Kluwer Academic Publishers 2004

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6 KAPITEL I

Ausdrucken wie "rot", sondern auch negativen ("nicht-rot"), konjunktiven ("rot unddreieckig"), disjunktiven ("rot oder grün") und relativen ("nördlich vom KölnerDom")? Was sollen wir über die Prädikate der Art "mit a identisch zu sein" sagen ,in denen .o" ein Eigenname ist? Entspricht auch ihnen ein Universale , das - para­doxerweise - gewissermaßen per definitionem nur durch ein einziges Individuuminstantiiert werden kann?

In diesem Kapitel besprechen wir Argumente, die zur Annahme von allgemeinenEntitäten führen, sowie die Hauptpositionen, die die Existenz von Universalienablehnen. Bei dieser Gelegenheit werden Begriffe einer allgemeinen Eigenschaft,einer individuellen Eigenschaft (eines Tropus), eines Sachverhalts, sowie das Prob­lem der internen und externen Relationen kurz besprochen.

1 .1 ALLGEMEIN E ENTITÄ TEN

Metaphysische Realisten, die für die Existenz von Universalien argumentieren, be­haupten, daß die Annahme dieser allgemeinen Entitäten für eine ontologische Ana­lyse absolut unumgänglich ist. Sie berufen sich dabei auf ein paar typische Argu­mente , die gewisse Eigenschaften des Alltagsdiskurses betonen, welche die prinzi­pielle Unentbehrlichkeit der allgemeinen Entitäten nahelegen.

(A) So wird oft behauptet, daß bereits die allgemeine semantische Theorie derPrädikation die Einführung der allgemeinen Entitäten erzwingt. Immer wenn wireine Eigenschaft von einem Individuum prädizieren - sagt uns der metaphysischeRealist - erkennen wir ein Verhältnis der Exemplifizierung (bzw . Instantiierung) an,das zwischen dem genannten Individuum und der entsprechenden Eigenschaftbestehen soll. Unsere Prädikation ist genau dann richtig, wenn dieses Verhältni statsächlich besteht.

Der erste Schritt, der zur realistischen Position führt, besteht also darin , daß manneben der "normalen" Regel der Existenz-Generalisierung:

(REG) Fa :: (3x)(Fx) ,

die uns erlaubt, aus einem Satz, in dem von einem bestimmten Individuum a einPrädikat "F' ausgesagt wird, auf die Existenz eines Objektes , das F ist, zuschließen, eine Regel der Existenz-Generalisierung höherer Stufe annimmt:

(REG*) Fa:::> (3j)(fa) .

Im Gegensatz zur Regel (REG), die uns erlaubt , aus dem Satz der Form "Fa" aufdie Existenz von etwas , wovon man das Prädikat aussagt , zu schließen, legitimiertdie Regel (REG*) eine Folgerung, die von der Form "Fa" zu einem Satz führt, dervon der Existenz dessen, was man aussagt, spricht. Dieser Schritt suggeriert, daßnicht nur dem, wovon man ein Prädikat aussagt , sondern auch dem, was man dabeiaussagt, gewissermaßen der Status einer Entität zukommt. "

6 Wir setzen hier die gegenständliche Interpretation der Quantoren voraus , die für Quines Analy se derontologischen Verpflichtungen mit dem Slogan: " Ta be is to be a value of abound variabl e" charakte-

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INDIVIDUELL UND ALLGEMEIN 7

Die Regeln (REG) und (REG*) setzen natürlich voraus, daß die in Frage kom­mende Sprache bereits eine rudimentär "logisch geordnete" Sprache ist. Sie impli­zieren also nicht, daß man eine Entität für j edes Prädikat (und, wenn es darum geht,auch nicht für jeden nominalen Ausdruck) der Umgangsprache postuliert. Wer alsokeine negativen oder disjunktiven Eigenschaften annehmen will, kann Z.B. daraufbestehen, daß die Regeln (REG) und (REG*) erst dann Anwendung finden, wennalle de re-Negationen der Umgangsprache als Satzjunktoren interpretiert werden,die keine semantischen Korrelate brauchen .

Nicht allen Philosophen erscheint allerdings die Quantifizierung der Prädikaten­variablen als syntaktisch unproblematisch. Schon eine leicht philosophisch verdor ­bene Umgangssprache neigt dazu, die Form ,,Fa" in solchen Kontexten durch eineForm zu ersetzen, die zwei nominalen Ausdrücke durch ein mehr oder wenigertechnisches Relationswort verbindet. Die umgangssprachliche kopulative Konstruk­tion "a ist F-end" wird dabei als ein generalisierbares Vorbild betrachtet. (Vgl. z.B.Aristoteles , Hermeneutik, 20a 3, 2lb 9) Man ersetzt also die Form "Fa" (z.B..Sokrates denkt") durch die Form : "a ist F-end" ("Sokrates ist denkend") oder "aexemplifiziert (instantiiert) F-heit" ("Sokrates exemplifiziert (instantiiert) Denk­tätigkeit") . Die Regel der Existenz-Generalisierung höherer Stufe nimmt in diesemFall die folgende Form an:

(REG**) Fa :=J (:3x)(a .J x) ,

wobei die technische Bezeichnung " ..l" die Beziehung der Exemplijizierung mar­kiert, die wir im gegenwärtigen Stadium der Analyse noch ontologisch neutral ver­stehen wollen . Sie ist eine Beziehung, die zwischen dem semantischen Korrelat von.a" und dem semantischen Korrelat von "F ' bestehen muß, wenn der Satz "Fa"wahr sein soll, und zwar unabhängig davon, was diese Korrelate (insbesondere dasKorrelat von "F') sind. Diese Beziehung kann - je nach der konkreten ontolo­gischen Theorie - eine Instantiierung einer allgemeinen Entität, ein Haben (als einesabstrakten Teils) einer individuellen Eigenschaft, das Gehören des Individuums zueiner Menge von Individuen usw. sein. Der metaphysische Realist spezifiziert je­doch die Regel (REG**), so daß die ontologische Neutralität verlorengeht. Dieseontologische Verstärkung hängt mit dem zweiten klassischen realistischen Argu­ment zusammen.

(B) Dieses Argument stützt sich auf die Beobachtung, daß man sehr oft von denIndividuen die Identität der von ihnen gehabten Eigenschaften prädiziert. Wir sagennicht nur: "Diese (bestimmte) Rose ist rot", wir sagen auch: "Sowohl diese (be­stimmte) Rose als auch diese (bestimmte) Tomate ist rot." Und wir folgern daraus,daß diese beiden Gegenstände dieselbe Farbe haben. Wichtig ist dabei , daß dieFeststellungen dieser Art für unsere alltäglichen und wissenschaftlichen Klassifika­tionen von zentraler Bedeutung sind. Jede solche Klassifikation ordnet Gegenstände

ristisch ist. Vgl. dazu Quinc 1948 und Quine 1960, S. 224 . Zur Kritik des Kriteriums Quines , auf diewir hier nicht näher eingehen werden , vgl. Lejewski 1955, Lejewski 1970, Lejewski 1985/86 , Prior1971, S. 35-48, Geach 1951, Küng 1974, Künne 1983, S. 118-128, Alston 1958. Über ontolo gischeVerpflichtungen vgl. auch Chrudzimski 2003 .

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8 KAPITEL I

eben nach der Gleichheit und Verschiedenheit ihrer Eigenschaften. Die Eigenschaftder Alltagssprache, auf die sich dieses Argument bezieht, kann also keineswegsleicht marginalisiert bzw. eliminiert werden.

Dem metaphysischen Realisten zufolge behaupten wir in den Sätzen, in denenman die Identität der Eigenschaften prädiz iert, nichts weniger als daß eine nume­risch streng identische Entität in einem ganz buchstäblichen Sinne in mehrerenIndividuen vorkommt. Die entsprechende "Regel der strengen Identität" sieht fol­gendermaßen aus:

(RSI) Fa /\ Fb :» (:3x)(:3y)[(a .J x) /\ (b .J y ) /\ x=y).

Der metaphysische Realist nimmt konsequenterweise an, daß die semantischenKorrelate der Prädikate Entitäten sind, die als numerisch streng identisch in vielenIndividuen vorkommen können . Solche Entitäten wollen wir allgemein nennen.Wenn wir die Relation des mereologischen Überlappens, die zwischen zwei kon­kreten Individuen a und b genau dann besteht, wenn a und b gemeinsame konkreteTeile haben, als "EB" bezeichnen, sieht die besondere, realistische Version der Regel(REG**) folgendermaßen aus:

Fa :» (:3x){(a .J x) /\ O(:3y)(:3z) [~(y EB z) /\ (y.J x) /\ (z .J x)]) .

Die Regel sagt uns, daß wir aus dem Satz "Fa" auf die Existenz einer Entitätschließen können, die erstens (i) durch a exemplifiziert wird und zweitens (ii) alsidentisch dieselbe von zwei konkreten Individuen exemplifiziert werden kann,selbst dann , wenn diese zwei Individuen keine gemeinsamen konkreten Teile haben(d.h., wenn sie mereologisch disjunkt sind) . Wenn wir also die realistisch verstan­dene Exempl ifikation als ".JR

" bezeichnen, dann gilt:

(a J b) :=> O( :3x)( :3y )[~(x EB y) /\ (x .J b) /\ (y.J b»).

Die realistische Version der REG können wir jetzt folgendermaßen ausdrücken:

(REGJ Fa:=> (:3x)(a J x ),

Diese Regel erlaubt uns, aus dem Satz "Fa" die Existenz einer allgemeinen Eigen­schaft , die durch das Individuum a exemplifiziert wird, zu deduzieren. Gewöhnlichwerden Namen von solchen Entitäten durch die Suffixe ,,-heil", ,,-keit", ,,-schaft"gebildet. Die These des metaphysischen Realisten ist, daß die Form .Fx" generellals ,,x exemplifiziert F-heit" übersetzt werden kann.

(C) Das dritte realistische Argument betont die semantischen Rätsel der soge­nannten abstrakten individuellen Termini, wie "Röte" , .Farbe", "Freundschaft"(d.h. der Termini, die wir durch die Form .Fsheit" markieren) . Solche Termini ­hören wir - beziehen sich auf allgemeine Entitäten in einer ähnlichen Weise, wiesich "normale" Eigennamen auf konkrete Individuen beziehen. In dieser Weisekönnen wir uns also auf allgemeine Gegenstände beziehen, und - die oben referierte

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INDIVIDUELL UND ALLGEMEIN 9

Theorie der Prädikation vorausgesetzt - von ihnen andere allgemeine Gegenständeaussagen. Sagen wir etwa: "Die Röte ist eine Farbe", so beziehen wir uns auf einUniversale (Röte) und behaupten, daß dieses Universale ein anderes (höheres)Universale (Farbe) in einem gewissen Sinne instantiiert.

Diese Instantiierung höherer Ordnung wird allerdings üblicherweise anders be­handelt als die Instantiierung, die zwischen einem allgemeinen Gegenstand undeinem Individuum besteht.7 Denn wir bemerken, daß nicht nur die Röte, sondernauch ein rotes Ding die Eigenschaft Farbe involviert. Ein rotes Ding ist nämlichnicht nur rot sondern es ist auch farbig. Die Eigenschaft farbig-zu-sein, die durchein rotes Ding exemplifiziert wird, kann natürlich nicht dieselbe Eigenschaft seinwie die Eigenschaft eine-Farbe-zu-sein, die von der Röte exemplifiziert sein sollte.Man kann allerdings die Frage stellen, ob wir tatsächlich beide Eigenschaften(jarbig-zu-sein und eine-Farbe-zu-sein) brauchen . Wenn wir bereit sind, neben derRelation der Exemplifizierung, die zwischen einem Gegenstand und einer von ihmgehabten Eigenschaft besteht, eine Relation des Enthaltenseins einzuführen, diezwischen den Eigenschaften "von verschiedenen Allgemeinheit" besteht, dann kön­nen wir auf eine dieser Eigenschaften (nämlich auf die Eigenschaft höherer Ord­nung) verzichten. Wir können in diesem Fall nur mit einer Eigenschaft (Farbe)operieren , die von einem roten Ding exemplifiziert wird und die in einer roten Farbe(in einer Eigenschaft) enthalten ist. Die Begründung für den Satz: "Die Röte ist eineFarbe" läge nach dieser Auffassung nicht darin, daß das Universale Röte das Uni­versale Farbe exemplifiziert, sondern darin, daß das Universale Röte das UniversaleFarbe enthält .8

(D) Das führt uns zum nächsten realistischen Argument, das im Zusammenhangmit den Problemen der modalen Kontexte ("Es ist möglich/notwendig, daß...") for­muliert wird. Im Rahmen der realistischen Position kann man die Verwendung vonmodalen Operatoren in einer einfachen Weise erklären, indem man sich auf dieoben signalisierte Tatsache bezieht, daß Universalien zu anderen Universalien inverschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen stehen (im Besonderen, wie im Beispielmit den Eigenschaften Röte und Farbe, scheinen sie die höheren Universalien ineinem gewissen Sinne zu "enthalten"). Wenn es also allgemeine Entitäten gibt, dieals numerisch identisch durch mehrere Individuen instantiiert werden können, undwenn zwischen diesen allgemeinen Entitäten derartige quasi-mereologische Ver­hältnisse bestehen, dann können wir modale Wahrheiten nach einem verhältnis­mäßig einfachen Muster erklären:

Notwendig: [Jedes Fist G] =Df. Die Eigenschaft F-zu-sein enthält dieEigenschaft G-zu-sein.

7 Lowe schreibt jedoch: ,,[1]take the species-genus relation to be the same as that between an individualand a sort or kind which it instantiates.", Lowe 1989, S. 37. Lowe unterscheidet jedoch scharf zwischender Instantiierung von "Arten" ("Das ist ein Hund") und dem Haben von (akzidentellen) Eigenschaften("Das ist weiß") . Darüber werden wir im nächsten Kapitel sprechen.8 P1aton spricht von solchen Verhältnissen in seinem Phaidon , 104d I-lOSe!. Aristoteles in der ErstenAnalytik interpretiert sie als die Beziehungen des .Enthaltenseins" zwischen den Begriffen . Vgl. ibid .,2Sb 33-2Sb 40.

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10 KAPITEL I

Möglich : [Ein Fist G] =Df. Die Eigenschaft F-zu-sein schließt die Eigen­schaft Gszu-sein nicht aus (d.h. die Eigenschaft Fszu-sein enthält nicht dieEigenschaft nicht-Gszu-seini.

Die metaphysischen Realisten bilden allerdings keine homogene Gruppe. DerHauptunterschied betrifft die Stellung gegenüber den unexemplijizierten Univer­salien. Die Platoniker behaupten, daß die Existenz der allgemeinen Entitäten vonder Existenz der sie exemplifizierten Individuen völlig unabhängig ist. Die Existenzder unexemplifizierten Universalien ist demzufolge zumindest logisch möglich . Alsdas Argument werden sehr oft

(E) kontrafaktische Konditionale und(F) intentionale Kontexte

angeführt . Sagen wir etwa: "Jeder Zentaur wäre notwendigerweise ein Halb­mensch", so setzen wir, wie es scheint, nicht die reale Existenz eines Zentaurenvoraus. Wenn uns also die oben skizzierte realistische Erklärung in der Form: "DieEigenschaft Zentaurheit enthält die Eigenschaft Halbmenschlichkeit" zugänglichsein sollte, müssen wir uns, wie es scheint, auch auf die nicht-exemplifiziertenEigenschaften (in diesem Fall auf die Zentaurheit) beziehen dürfen, was zuimplizieren scheint, daß es solche Eigenschaften in einem gewissen Sinne dochgeben muß. (Vgl. Plantinga 1974, Chisholm 1989)

Es gibt auch Philosophen, die aus der bloßen Tatsache, daß man an einen Zen­tauren denken kann, auf das Vorhandensein der Eigenschaft Zentaurheit schließen ,die in einer solchen intentionalen Beziehung mental erfaßt werde ." Der radikalstenForm des Platonismus zufolge muß jedem beliebigen Prädikat (einer entsprechendanalysierten Sprache) ein Universale entsprechen . Diese Position nimmt also eineverstärkte Regel der Existenz-Generalisierung höherer Stufe an:

(REGRP) [(:Jx)(Fx) v ~(:Jx)(Fx)] ::) (:Jx)(x=F-heit).

9 Das für Platon charakteristische Argument "aus Wissenschaften" sagt, daß die Existenz der unverän­derlichen Allgemeinheiten eine unentbehrliche Bedingung der Möglichkeit einer Wissenschaft darstellt.Das Argument hängt natürlich mit dem Bild der wahrnehmbaren Welt als eines beständigen Flusses,das Platon von Heraklit übernommen hat, sowie mit seiner Konzeption der Wissenschaft zusammen.Man kann aber bemerken, daß auch die Punkte (E) und (F) in dieser Denklinie mitspielen. Wenn eineWissenschaft, um überhaupt Wissenschaft zu sein , von den Beziehungen zwischen den allgemeinenEntitäten (etwa nach dem Muster, das unter (D) angeführt wurde) handeln muß, dann kann sie sich aufdie wahrnehmbare Welt (wenn überhaupt) nur in der Weise beziehen, daß sie kontrafaktische Kon ­ditionale formuliert. Nun hat Platon keineswegs alle Zusammenhänge der Wissenschaft mit der wahr­nehmbaren Welt geleugnet. Für die mathematische Erkenntnis sind nach ihm z.B. die Bild er (Zeichnun­gen) von großer Bedeutung. Die sinnliche Welt soll also selbst bei Platon kognitiv erreichbar sein.Damit jedoch das Wissen über die Allgemeinheiten von der sinnlichen Erfahrung unabhängig seinkönnte, muß der kognitive Zugang zu den Ideen keine Vermittlung durch die sinnliche Erfahrunginvolvieren. Einer der Wege, auf welchen dies gew ährleistet werden kann, ist die Annahme, daß injeder intentionalen Beziehung auf ein (nicht unbedingt existie rendes) Individuum ein mentales Erfassender entsprechenden allgemeinen Eigenschaft involviert ist. Im Fall der Beziehung auf einen Zentaurenwäre es die Eigenschaft Zentaurheit. Die Intentionalitätstheorie dieser Art finden wir bei Chisholm.Vgl. Chisholm 1976 und Chisholm 1981.

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INDIVIDUELL U N D ALLGEMEIN 11

In unserer (REGRP) beziehen wir uns auf eine allgemeine Entität durch einenabstrakten individuellen Namen .Fsheit", Das Suffix ,,-heit" fungiert dabei wie einOperator, der aus einem prädizierbaren Satzteil einen Namen macht. Ein solcherName - so der metaphysische Realismus - bezeichnet diejenige Entität, die einontologisches Korrelat dieses prädizierbaren Satzteils darstellt. Eine logisch trans­parentere Konstruktion erhalten wir mit Hilfe des sogenannten Lambda-Operators .Vor jedem offenen Satz .Fx\XcX 3" .r ," dürfen wir einen solchen Operator"AxJXcX3' ''X;' schreiben, wodurch wir einen Namen der entsprechenden n-stelligenRelation erhalten :

Angenommen, der betreffende offene Satz enthält nur eine Variable (n=l), so erhal­ten wir den Namen einer monadischen Eigenschaft. Wenn der Satz in Klammemkeine Variablen enthält (wenn er kein offener Satz ist, wenn n=O), erhalten wir denNamen einer Proposition. Unsere Regel nimmt im Fall, daß n=l (d.h. für die mona­dischen Eigenschaften), die folgende Form an:

(REGRP) [(3x)(Fx) v ~(3x)(Fx)] :::J (3y)[Y=Ax(Fx)].

Wichtig ist allerdings, daß der Lambda-Operator intensional verstanden werdenmuß. Der Name "Ax(Fx)" bezieht sich auf eine intensional verstandene Eigenschaft,die sich im Besonderen von der Menge derjenigen x, für die gilt, daß Fx, - d.h. vonder Menge {x: Fx} - unterscheidet. Den folgenden zwei Eigenschaften : Pegasus-zu­sein und Zentaur-zu-sein entspricht dieselbe - nämlich leere - Menge. Als Eigen­schaften sind sie jedoch verschieden .

Eine gemäßigte Form der (REGRP) läßt nur widerspruchs freie Eigenschaften zu:

(REGRP*) O(3x)(Fx):::J (3x)(x=F-heit) .

Mit dem Lambda-Operator:

(REGRP*) O(3x)(Fx ) :::J (3y)[y=Ax(Fx)].

Nicht alle metaphysischen Realisten glauben jedoch an unexemplijizierte Univer­salien. Neben den Platonikern gibt es auch Aristoteliker, nach denen die Existenzder nicht-exemplifizierten Universalien metaphysisch unmöglich ist. Die allgemei­nen Entitäten können nach ihnen per definitionem nur in den Individuen existie­ren." Die Aristotelische Version der Regel der Existenz-Generalis ierung höhererStufe sagt also, daß das entsprechende Universale dann und nur dann existiert,wenn in der Welt ein Exemplar von ihm existiert:

10 In unserem Buch interpretieren wir die Aristotelische Lehre als eine Version des metaph ysischenReali smus. Wir sind uns aber bewußt, daß die Stellen, die diese Interpretation unterstützen, auch kon­zeptualistisch gedeutet werden können .

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12 KAPITEL I

(REGRA) (:3x)(Fx);: (:3x)(x=F-heit), bzw.

(REGRA) (:3x)(Fx) ;: (:3Y)[y="-x(Fx)]

d.h.: [(:3x)(Fx) => (:3x)(x=F-heit)] 1\ [ ~(:3x)(Fx) => ~( :3x) (x=F-heit) ]

bzw. {(:3x)(Fx) => (:3Y)[y=KX(Fx)]} 1\ {~(:3x)(Fx) => ~(:3Y) [y="-x (Fx)]}

Die Probleme der kontrafaktischen Konditionale und der intentionalen Kontextemüssen in diesem Fall in einer anderen , ontologisch weniger kontroversen Weisegelöst werden , was typischerweise dazu fuhrt, daß ein Aristoteliker zwischen denontologisch verbindlichen, in den Dingen instantiierten Allgemeinheiten und den(eventuell sie erfassenden) begrifflichen Gebilden streng unterscheidet, wozu einPlatoniker im Allgemeinen nicht verpflichtet ist. Ein Aristoteliker kann dann be­haupten, daß nicht allen Begriffen genuine Allgemeinheiten entsprechen. Das Prob­lem, das er in diesem Fall zu lösen hat, ist natürlich, die ontologische Natur vonBegriffen zu erklären.

1 .2 TROPEN

Philosophen, die die Existenz von Universalien ablehnen , die man gewöhnlich (ob­wohl etymologisch unrichtig) pauschal als Nominalisten bezeichnet, leugnen dieExistenz von Entitäten, die als im buchstäblichen Sinne numerisch identisch inmehreren Individuen enthalten sein können . Es gibt - behaupten sie - nur Indivi­duen, und alle unter (A)-(F) angeftihrten Probleme lassen sich im Rahmen derWelt, die nur Individuen enthält , perfekt erklären . Die nominalistischen Erklärun­gen verlaufen nach verschiedenen Mustern . In diesem Abschnitt besprechen wir dieAuffassung derjenigen Philosophen, die zwar keine allgemeinen Entitäten zulassen ,die jedoch individuelle Eigenschaften anerkennen. Solche individuellen Eigenschaf­ten werden heute unter dem von Williams (1953) geprägten, zunächst etwas irreftih­renden Namen "Tropen" behandelt. 11

Ein Anhänger der Tropentheorie nimmt wie die Realisten an, daß jede Prädika­tion eine genuine Aussage über zwei Entitäten ist. Er nimmt also nicht nur die Re­gel (REG), sondern auch eine Version der Regel der Existenz-Generalisierung hö­herer Stufe an. Diese Regel ist insofern der (REGrJ ähnlich, als sie erlaubt, aus demSatz ,,Fa" die Existenz eines ontologischen Korrelats von ,,F' abzuleiten, sie unter­scheidet sich jedoch von (REGR) dadurch, daß dieses Korrelat nicht als eine allge­meine Entität verstanden wird. Wir haben bereits gesagt, daß wir

(REG**) Fa => (:3x)(a .J x),

11 Über die Schwierigkeiten der Tropentheorie. die wir in dies em Abschnitt behandeln, vgl. Chrudzim­ski 2001c und Chrudzimski 2002 .

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INDIVIDUELL UND ALLGEMEIN 13

als eine neutrale Version der Regel der Existenz-Generalisierung höherer Stufebetrachten wollen. Diese Regel postuliert nur "irgendein" semantisches Korrelat desPrädikats; und jetzt sehen wir, daß sie in der Tat sowohl von einem ontologischenRealisten als auch von einem Anhänger der Tropentheorie akzeptiert wird .

Die spezifische tropentheoretische Version dieser Regel können wir dadurch er­halten, daß wir die Voraussetzung der Möglichkeit einer mehrfachen Exemplifizie­rung , die der Realist macht, leugnen. Die Regel nimmt dann die folgende Form an :

Fa :: (3x){(a .J x) /\ ~O(3y)(3z)[~(Y $ z) /\ (y .J x) /\ (z .J x))} .

Wenn Individuum a F ist, dann gibt es zwar eine Entität, die von a gehabt wird,diese Entität kann jedoch nicht von zwei Individuen gehabt werden, wenn diesezwei Individuen nicht überlappen (wenn sie mereologisch disjunkt sind) . Die Be­dingung, daß y und z keine gemeinsamen konkreten Teile haben, ist wichtig. ImBesonderen, würde die Bedingung ,,~(y=z)" nicht reichen, denn es ist z.B. möglich,daß zwei verschiedene Individuen a und b dieselbe individuelle Eigenschaft haben,wenn diese Eigenschaft ihrem gemeinsamen Teil zukommt. (Sowohl ein Apfel, alsauch seine Oberfläche haben dieselbe individuelle Röte . Sowohl ein Schwert, alsauch seine Klinge haben dieselbe individuelle Schärfe USW.)12

Wenn wir die für die individuellen Eigenschaften charakteristische "einmalige"Exemplifizierung als ,,:i' bezeichnen, sieht die tropentheoretische Version der Regelder Existenz-Generalisierung höherer Stufe folgendermaßen aus:

(REGTT) Fa :» (3x)(a 3X),

wobei natürlich gilt, daß :

(TI.I) (a ;) b)::::> ~O(3x)(3y)[~ (x $ y) /\ (y.J b) /\ (z.J b») .

Ein Anhänger der Tropentheorie nimmt also (im Gegensatz zum metaphysischenRealisten) an, daß zwischen den ontologischen Korrelaten eines Prädikats, die zuzwei mereologisch disjunkten Individuen gehören, nie das Verhältnis der Identitätbesteht, was wir das Prinzip der individuellen Verschiedenheit von Eigenschaftennennen können. Er muß darauf bestehen, daß jedes rote Ding eine individuelle Rötehat , die von der Röte jedes anderen Individuums individuell verschieden ist.

Das Prinzip der individuellen Verschiedenheit von Eigenschaften soll allerdingsvon einem anderen Prinzip scharf unterschieden werden, mit dem es oft verwechseltwird. Es handelt sich um das Prinzip, das wir das Prinzip der Untransferierbarkeitvon Eigenschaften nennen können. Dieses Prinz ip besagt, daß , wenn einem Indivi­duum a eine individuelle Eigenschaft b zukommt, es unmöglich ist, daß es ein Indi­viduum gäbe , das von a mereologisch disjunkt wäre und das die Eigenschaft bhätte .

12 In Lehrer/McGee 1992, S. 43 finden wir das folgende Prinzip :" O (\fq){ q is an individual qualit y ::::> O(\fx)(\fy)[(x has q & y has q) ::::> x and y overlapmereologically]J ."

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14

(TI.2)

KAPIT EL I

(a 3 b) ::::> ~O(3x)[~(x EB a) 1\ (X.J b)) .

Dieses Prinzip ist stärker als das Prinzip (TI.1). Es schließt nicht nur die Möglich­keit einer mehrfachen Exemplifizierung aus, sondern fordert auch, daß eine indivi­duelle Eigenschaft b, die aktuell dem Individuum a zukommt , keinem anderen, vona mereologisch disjunktem Individuum zukommen könnte, und zwar selbst dannnicht, wenn sie a nicht zukommen würde , ja selbst dann, wenn es das Individuum agar nicht gäbe. Das Prinzip (TI.2) setzt also voraus , daß die individuellen Eigen­schaften nicht nur nicht mehrfach exemplifizierbar sind, sondern daß sie darüberhinaus eine gewisse Zugehörigkeit zum Individuum, zu dem sie aktuell gehören,ontologisch eingebaut haben.

Auf den ersten Blick sieht das Prinzip (TI.2) nicht unplausibel aus, bei genaue­rem Hinsehen erweist es sich jedoch, daß der Begriff einer individuellen Eigen­schaft, der ontologisch interessant sind, die entgegengesetzte Voraussetzung invol­viert, nämlich das Prinzip der Transferierbarkeit von Eigenschaften:

(~TI.2) (a 3 bi :»O(3x) [~(x EB a) 1\ (X .J b)) .

Die Unterscheidung von zwei Begriffen von individuellen Eigenschaften (von denuntransferierbaren und transferierbaren Tropen) , die wir gerade machen , ist in derTat sehr wichtig . Im Rahmen der ontologischen Analyse funktionieren nämlich die­se zwei Typen von Eigenschaften sehr unterschiedlich und trotzdem werden sie inder zeitgenössischen Tropenontologie sehr oft systematisch vermengt.

Der Tropenbegriff, der das Prinzip (TI.2) voraussetzt, entsteht auf einem sehrnatürlichen Weg. Schon wenn wir eine individuelle Röte von einer allgemeinenRöte dadurch unterscheiden, daß wir sagen, daß es sich um diese bestimmte Rötedieses bestimmten Individuums handelt, wird das Prinzip (TI.2) nahegelegt. DasBild der Abstraktion, das dieses Prozeß als ein Außer-Acht-Lassen von irrelevantenAspekten eines konkreten Individuums auffaßt, favorisiert ebenfalls dieses Prinzip .Denn was anderes können wir durch eine solche Abstraktion erhalten, wenn nichteinen (abstrakten) Teil eines bestimmten Gegenstands ? In diesem Fall scheint je­doch die Zugehörigkeit zu diesem Gegenstand in das Produkt der Abstraktion tat­sächlich ontologisch eingebaut zu sein.

Sogar im klassischen Aufsatz von Williams, in dem der Terminus "Tropus" inseiner metaphysischen Bedeutung eingeführt wurde, bedient sich der Autor bei derErklärung dieses Begriffs mit dem Bild einer solchen Abstraktion. Nach Williamskönnen wir uns die individuellen Eigenschaften als Produkt der Teilung eines indi­viduellen Gegenstands vorstellen. Wir wissen alle, worin eine solche Teilung inkonkrete, physische Teile besteht. Stellen wir uns jedoch eine feinere Technik vor,suggeriert Williams, durch die wir "dünnere" Teile gewinnen können. (Williams1953, S. 115) Eben auf diese Weise gelangen wir zu den sogenannten abstraktenAspekten eines Dings, die er "Tropen" nennt.

Und schließlich scheint auch unser gesunder Menschenverstand gegen die Trans­ferierbarkeit von Tropen zu sprechen . Was sollte das bedeuten , wenn ich sage, daß

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INDIVIDUE LL UND ALLGEMEIN 15

eine individuelle Farbe , die ich habe, jemandem anderen zukommen könnte? Än­dert die Annahme, daß ich eine andere Farbe habe, etwas an der Absurdität diesesGedankens? Nehmen wir z.B. an, daß eine Tomate a aktuell rot ist, und betrachtenwir den Gedanken, daß in einer kontrafaktischen Situation der Röte-Tropus r, deraktuell einen abstrakten Teil der Tomate a bildet, einer anderen Tomate b zukommt.Um die Situation zu vereinfachen, nehmen wir an, daß in dieser kontrafaktischenSituation die Tomate a grün ist. Sie hat also anstatt des Röte-Tropus reinen Grüne­Tropus g . Nun nehmen wir an, daß eine gewisse Zeit später die Tomate a rot wirdund die Tomate b in irgendeiner Weise (z.B. durch eine direkte Intervention Gottes)eine grüne Farbe bekommt. Was hindert uns dann, anzunehmen, daß die zwei Tro­pen rund g einfach ihre Plätze gewechselt haben, daß der Tropus r auf die Tomatea und der Tropus g auf die Tomate b gewandert sind . Sind jedoch solche "wandern­den Aspekte" nicht einfach ontologisch absurd?

Die Plausibilität des Untransferierbarkeitsprinzips sinkt jedoch abrupt, sobaldwir uns auf die Aufgaben konzentrieren, die Tropen im Rahmen einer ontologi­schen Analyse zu erfüllen haben. Tropen sind als eine Schicht der ontologischenStruktur der Welt gedacht, die diese Struktur philosophisch verständlicher machensollte . Ein Tropentheoretiker nimmt an, daß die Eigenschaften, welche den indivi­duellen Gegenständen zukommen, selbst individuelle Entitäten sind, und will imBesonderen die Fragen beantworten, wie solche individuellen Eigens chaften zumAufbau eines konkreten Individuums beitragen. Die klassischen Fragen lauten : Sinddie konkreten Individuen bloße Bündel von Tropen, oder brauchen wir noch einenontologischen Träger, der die Tropen "hat"? Wenn die konkreten Individuen Bün ­del von Tropen sind, was ist die bündelnde Relation? Ist sie im Russellschen Sinne"extern" oder wird sie durch die "absoluten Naturen" von Tropen mit Notwendig­keit impliziert? Sind alle Tropen mit "ihrem" Individuum mit Notwendigkeit ver­bunden, oder gibt es auch kontingente Tropen?

Was man zunächst bemerkt, ist, daß unter Voraussetzung der Untransferierbar­keit alle diese Fragen trivialerweise zu beantworten sind. Unter der Voraussetzungdes Prinzips (TT .2) ist es z.B. klar, daß die Tropenontologie kein zusätzlichesSubstrat braucht, das die Tropen verbinden würde , denn die Zugehörigkeit zu einembestimmten Individuum ist in jeden Tropus bereits eingebaut. In diesem Fall ist esaber auch klar, daß die bündelnde Relation eine interne Relation im Sinne Russellsist - eine Relation, die dureh die "absoluten Naturen" von Tropen mit Notwen­digkeit impliziert wird. Denn die Zugehörigkeit zu diesem konkreten Individuum(das sich uns jetzt als ein Bündel von Tropen präsentiert) ist - um es zu wiederholen- in jedem Tropus bere its eingebaut. Schließlich ist es ebenfalls klar, daß alleTropen seinem Ind ividuum mit Notwendigkeit zukommen, denn sie wurden ja vonvornherein als Aspekte dieses Individuums bestimmt.

Diese Konsequenzen sollten uns gegenüber dem Prinzip der Untransferierbarkeitmisstrauisch machen. Es scheint nämlich, daß wir Entitäten erhalten haben, die vomontologischen Standpunkt völlig unbrauchbar sind. Und warum es dazu komm enmußte , können wir verstehen, wenn wir uns noch einmal auf das Bild der Abstrak­tion, das zum Begriff von untransferierbaren Tropen führt, konzentrieren. Abstra­hieren heißt nach diesem Bild, die irrelevanten Aspekte eines konkreten Gegen-

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16 KAPIT EL 1

stands außer Acht lassen. Abstrahieren wir in dieser Weise eine rote Farbe, dannkonzentrieren wir uns auf sie, und lassen die anderen Aspekte des Gegenstandsbeiseite. Was wir allerdings dadurch erreichen, ist nicht die rote Farbe schlechthin(egal ob allgemein oder individuell), sondern vielmehr die rote Farbe mit der gan­zen Struktur der Zugeh örigkeit zum jeweiligen Individuum . Die Tatsache ist also,daß jede so herauspräparierte Eigenschaft in Wirkl ichkeit die ganze ontologischeStruktu r des konkreten Individuums bereits implizit enthält. Konsequenterweisegibt es keine Chance, daß diese Struktur mittels des Begriffs einer solchen Eigen­schaft analysiert werden könnte .

Ein wichtiger Punkt, der damit zusammenhängt , muß hier betont werden. Eineder Hauptthesen jeder Tropentheorie ist, daß wir in unserer Ontologie (zumindest)für jedes rote Ding einen Röte-Tropus brauchen.l '' Solche Röte-Tropen sind Enti­täten, die sozusagen nur aus der Röte bestehen. Genauer genommen sind sie reineindividuelle Rot-Aspekte . Im Fall der untransferierbaren Tropen beinhaltet dieseIndividualität eine Zugehörigkeit zu einem konkreten Ding und dadurch könntendie einzelnen untransferierbaren Tropen voneinander unterschieden werden . Washingegen die transferierbaren Tropen betrifft, so gibt es in ihnen keine solcheZugehörigkeit und dementsprechend kein principium individuationis außer einer"bloßen" Individualität. Auch das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren giltalso für die transferierbaren Tropen nicht. Wir sehen, daß der Schritt , der alleununterscheidbaren individuellen Aspekte in ein homogenes Universale schmelzenläßt , in der Tat sehr einfach ist.

Dennoch sind es transferierbare Tropen, die ontologisch effizient sind . Wennman ein konkretes Individuum in untransferierbare Tropen zerlegt, vollzieht man inWirklichkeit keine interessante ontologische Analyse , sondern man "schneidet" dasIndividuum bloß in "sehr dünne Scheiben", von denen jedoch jede eine Strukturinvolviert, die ein ontologisches Fundament für eine Zuschreibung von Eigenschaf­ten darstellt. Wie diese Struktur genauer aussieht , wird dadurch nicht gesagt. EinSachverhaltstheoretiker sagt, daß es sich dabei um eine propositionale Strukturhandelt, ein Aristoteliker würde von Instantiierung einer Eigenschaft durch ein Sub­strat sprechen, viele Tropentheoretiker würden darauf bestehen, daß ein konkretesIndividuum ein Bündel von Tropen ist.

Um jedoch diesen Behauptungen einen ontologischen Inhalt zu geben - d.h. siein eine artikulierte ontolog ische Theorie einzubetten - , müssen wir zu einem ande­ren Begriff einer individuellen Eigenschaft übergehen, und zwar zum Begriff einestransferierbaren Tropus. Solche Tropen haben keine eingebaute Zugehörigkeit zueinem konkreten Individuum. Im ontologischen Aufbau eines solchen Tropus fin­den wir nichts, was verhindern würde , daß er einem anderen Individuum zukom­men könnte . Die Tropen, von denen wir jetzt sprechen, könnten also von einemanderen Individuum gehabt werden. Das vorausgesetzte Prinzip ist das (~TT.2).

Wenn wir das Bild der Abstraktion als eines Außer-Acht-Lassens folgen wollen ,können wir die transferierbaren Tropen als ein Produkt der Abstraktion "zweiter

D .Zumindest für jedes rote Ding", weil es auch Tropentheoretiker gibt, die darüber hinaus möglicheTropen postulieren, was wir allerdings für einen Fehlschritt halten . Vgl. unten Fußnote 17.

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INDIVIDUELL UND ALLGEMEIN 17

Stufe" betrachten . Die untransferierbaren Tropen erhalten wir, indem wir von denirrelevanten Aspekten "ihres" Individuums absehen. Um zu den transferierbarenTropen zu übergehen, müssen wir noch zusätzlich davon abstrahieren, daß sie indieser Weise abstrahiert wurden. Wir müssen die eingebaute Zugehörigkeit zueinem konkreten Individuum lösen und nur eine unbestimmte "Ungesättigtheit" be­halten, die nur "irgendeinen" ontologischen Träger fordert und noch nichts über dieontologische Natur dieses Trägers aussagt. Das sind die Tropen, die ontologischinteressant sind. Bezüglich solcher Tropen kann man die Frage stellen, ob sie nochein Substrat brauchen oder nicht. Man kann fragen, ob die Relation zwischen einemsolchen Tropus und dem entsprechenden konkreten Individuum intern oder externist. Alle Entscheidungen dieser Art erscheinen jetzt als substantielle ontologischeThesen, die sie in der Tat sein sollten.

Transferierbare Tropen involvieren, wie wir gesehen haben, viele kontraintuitiveAspekte. Sie sind schon ziemlich weit von dem intuitiven Begriff eines individu­ellen Aspekts eines Dings entfernt. Denn dieser intuitive Begriff ist eben der Begriffeines untransferierbaren Tropus. Die transferierbaren Tropen ähneln in vielen As­pekten eher den Universalien als den individuellen Aspekten, die mit ihren Trägemontologisch fest verbunden sind. Wir wollen den Eindruck dieser Kontraintuitivitätkeineswegs herunterspielen. Ganz im Gegenteil, wir wollen ihn als eine wichtigeontologische Einsicht betonen. Die zeitgenössische Tropenontologie suggeriertnämlich oft, daß der Tropenbegriff, mit dem sie operiert, ontologisch unproblema­tisch und intuitiv verständlich sei. Das ist aber ein trügerischer Schein, der aus derOszillation zwischen zwei Tropenbegriffen resultiert. Das Versprechen der intui­tiven Verständlichkeit kann höchstens für die untransferierbaren Tropen gehaltenwerden. Die traurige Tatsache ist aber, daß diese Tropen metaphysisch uninteres­sant sind und daß die Analysen der Tropentheorie mit dem Begriff der transferier­baren Tropen hantieren müssen.

Transferierbar oder untransferierbar sind die Tropen jedenfalls unwiederholbar.Wenn es mehrere (mereologisch disjunkte) rote Dinge gibt, dann muß jedes vonihnen seine eigene rote Farbe haben. Eine berechtigte Frage, die sich angesichtseiner Tropentheorie ergibt, ist also: was bewirkt, daß zwei rote Dinge beide als rotklassifiziert werden können? Die typische Antwort führt die Beziehung der Ähn­lichkeit ein, die zwischen den individuellen Eigenschaften besteht.14 Zwei verschie­dene Individuen können dann nur in der Weise "dieselbe" Eigenschaft haben, wennsie ähnliche Tropen besitzen:

14 Die Idee, daß es die Relation der Ähnlichkeit ist, die die Einheit von Universalien herstellt, ist ziem­lich alt. Vgl. "Wenn daher Genera und Spezies gedacht werden, dann wird aus den Einzeldingen, indenen diese sind, deren gegenseitige Ähnlichkeit [similitudo] erfaßt und herausgehoben [colligitur] [···1;und diese durch den Geist gedachte und richtig durchschaute gegenseitige Ähnlichkeit stellt eine Spe­zies dar; und andererseits verursacht die aus verschiedenen Spezies erkannte gegenseitige Ähnlichkeit,die nur in den Spezies selbst oder in den dazugehörigen Individuen sein kann, ein Genus . Diese sindsomit freilich in den Einzeldingen, die Universalien aber werden durch das Denken hervorgebracht; unddaher darf man eine Spezies für nichts anderes halten, als einen Gedanken [cogitatio], der aus dersubstantialen Ähnlichkeit von sich der Zahl nach unterscheidenden Individuen erschlossen wurde, eingenus aber als einen Gedanken, der aus der Ähnlichkeit der Spezies erschlossen wurde.", Boethius, InIsagogen , 30.

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(RÄÄ)

KAPITEL I

Fa /\ Fb ~ (:3x)(:3y)[(a :I x) /\ (b :I y) /\ x:~].

Das Zeichen ,,::" bezieht sich auf die Relation der strengen Ähnlichkeit, die wie jedeÄhnlichkeit eine symmetrische Relation ist, die jedoch darüber hinaus noch reflexivund transitiv ist. Die Relation der strengen Ähnlichkeit ist also eine lquivalenz­Relation .15

1m Rahmen der Tropentheorie brauchen wir also zunächst keine allgemeinenEntitäten. Stattdessen haben wir ein Feld von Tropen - von individuellen Aspektender Dinge . In Wirklichkeit brauchen wir jedoch von vornherein noch zwei wichtigeRelationen. Zum einen müssen Tropen in die Eigenschaftsmengen aufgeteilt wer­den, was durch die Relation der Ähnlichkeit zustande kommt. Zum anderen mußman erklären, wie mehrere Tropen zum selben konkreten Individuum gehören kön­nen . Üblicherweise führt man zu diesem Zwecke eine weitere Relation ein, die manRelation der Kompräsenz nennen kann.16 Tropen , die zum selben Individuum gehö­ren, sind diejenigen Tropen , die kompräsent sind.

Wenn man also Universalien zugunsten von individuellen Eigenschaften elimi­niert, erhält man eine Theorie , in der ausschließlich Tropen als Grundbausteine derRealität fungieren, die dann durch die Relation der Ähnlichkeit in Universalien unddurch die Relation der Kompräsenz in konkrete Individuen geordnet werden. Uni­versalien sind Mengen von ähnlichen Tropen und konkrete Individuen sind Bündelvon kompräsenten Tropen.

Die Eigenschaften, die wir mittels der Relation der strengen (vollständigen) Ähn­lichkeit konstruieren können, sind jedoch ausschließlich "absolut präzise" Eigen­schaften. In unserer Ontologie können wir zwar eine Röte einer absolut bestimmtenAbschattung A haben, wir erhalten jedoch nie solche Eigenschaften wie die Röteschlechthin , geschweige denn die Farbe . Solche "allgemeineren" Eigenschaftenbrauchen wir jedoch, wenn wir den realistischen Argumenten, die sich auf die Rät­sel der individuellen abstrakten Termini beziehen, Rechnung tragen wollen . Wennwir den Satz: "Röte ist eine Farbe" in der Sprache der Tropentheorie ausdrückenwollen, dann brauchen wir jedenfalls tropentheoretische Entsprechungen der Eigen­schaften Röte und Farbe .

Um solche Probleme zu lösen, führt man eine Relation der unvollkommenenÄhnlichkeit, die wie strenge Ähnlichkeit symmetrisch, aber im Gegensatz zu ihrweder reflexiv noch transitiv ist. (Vgl. Armstrong 1989, S. 40 f.; Armstrong 1992,S. 171) Solche Relation erlaubt uns, Tropenmengen zu bilden , die weniger be­stimmten Eigenschaften entsprechen.

Betrachten wir eine Relation der Ähnlichkeit, die zu einem bestimmten Grad nunvollkommen ist C:"). Eine Tropenmenge, die eine allgemeine Eigenschaft bildet ,

15 Wer kein e Relation der Ähnlichkeit einführen will, kann die Tatsache , daß mehre re indi viduelleEigenschaften eine Menge von F-Eigenschaften bilden , als eine primitive (ax iomatis ch festgel egte ) Tat­sache betrachten . Diese Lösung bevo rzugte einer der "Väter" der zeitgenöss ischen Tropen ontologie ­Stout. Vgl. Stout 1921/22 , S. 155 f Vgl. dazu auch Maurin 2002, S. 65-67.16 In Williams 1953 heißt sie .concnrrence". Es gibt allerdings auch Tropenth eoretiker, die auf derUnentbehrlichkeit eines Trägers von Tropen bestehen . Vgl. z.B. Martin 1980.

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INDIVIDUELL UND ALLGEMEIN 19

deren Allgemeinheit dem Grad der Unvollkommenheit der Ähnlichkeit n entspricht,können wir uns als die Menge von denjenigen Tropen vorstellen, die einem be­stimmten (für diese Eigenschaft paradigmatischen) Tropus a zumindest so ähnlichsind, daß sie zu ihm in der Relation ::"stehen .

Die Erklärung der modalen Kontexte wird in der ersten Annährung folgender­maßen aussehen: Die Eigenschaft F ist von der Eigenschaft G prädizierbar, wenndie entsprechende F-Menge von Tropen eine Teilmenge der G-Menge von Tropenbildet. Ein Tropentheoretiker kann demgemäß auch eine Erklärung der Modalitätenliefern, die der realistischen Erklärung sehr ähnlich ist:

Notwendig: [Jedes Fist G] =Df. Die Eigenschaft G-zu sein (eine Menge vonTropen) enthält die Eigenschaft F-zu sein (eine Menge von Tropen).

Wir sehen, daß das Inklusionsverhältnis zwischen den Eigenschaften gewisser­maßen umgekehrt wurde. Allgemeinere Eigenschaften sind nach der realistischenTheorie in den weniger allgemeinen Eigenschaften enthalten. Sie bilden echte Teilevon den weniger allgemeinen Eigenschaften. Gemäß der Tropentheorie sind weni­ger allgemeine Eigenschaften in den allgemeineren enthalten. Sie bilden ihre ech­ten oder unechten Teilmengen.

In Wirklichkeit funktioniert jedoch die Erklärung der modalen Kontexte im Rah­men der Tropentheorie nicht so einfach . Denn die Tatsache, daß die Menge derRöte-Tropen eine echte Teilmenge der Menge der Farbe-Tropen ist, besteht keines­wegs mit Notwendigkeit. Es könnte ja so sein, daß die einzige Farbe, die in derganzen Welt vorkommt, eben die rote Farbe ist. In diesem Fall wäre aber die Mengeder Röte-Tropen mit der Menge der Farbe-Tropen identisch und wir könnten, ab­hängig davon, ob wir die Relation der Enthaltenseins als die Relation eine-echte­Teilmenge-zu-sein oder als die Relation eine-echte-oder-unechte-Teilmenge-zu-seininterpretieren, entweder gar nicht sagen, daß jeder rote Gegenstand notwendiger­weise ein farbiger Gegenstand ist, oder wir könnten sowohl das sagen, daß jederrote Gegenstand notwendigerweise ein farbiger Gegenstand ist, als auch das, daßjeder farbige Gegenstand notwendigerweise ein roter Gegenstand ist, was natürlichunrichtig ist.

Um die modalen Kontexte im Rahmen dieser ontologischen Apparatur zu erklä­ren, müssen wir also entweder von den möglichen Tropen sprechen, was aber einziemlich desperater Schritt ist,17 oder wir müssen bei der Formulierung der Erklä­rung auch das berücksichtigen, wie vollkommen oder unvollkommen die Ähnlich­keitsrelation ist, mittels der die relevanten Mengen von Tropen gebildet wurden .Die Erklärung nimmt dann die folgende Form an:

17 Wir nennen diesen Schritt deswegen desperat, weil er zu einer evident zu reichen Ontologie führt .Wenn wir nämlich schon bereit sind, Possibilia einzuführen, dann brauchen wir gar keine Eigenschaf­ten (weder als Universalien, noch als Tropen). Jede Eigenschaft kann nämlich als eine Menge von mög­lichen Individuen interpretiert werden (intuitiv: als die Menge von denjenigen möglichen Individuen,die diese Eigenschaft haben).

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20 KAPITEL

Notwendig: [Jedes Fist G] =Df.(1) Entweder ist die Menge der F-Tropen eine echte Teilmenge der Mengeder G-Tropen;(2) oder (i) die Menge der F-Tropen ist mit der Menge der G-Tropen iden­tisch; und (ii) die Ähnlichkeitsrelation. mit deren Hilfe die Menge der F-Tro­pen gebildet wurde, ist nicht weniger vollkommen als die Ähnlichkeitsrela­tion, mit deren Hilfe die Menge der G-Tropen gebildet wurde .

Andererseits können wir natürlich die modalen Operatoren auch als ein primitivesElement unserer logischen Grammatik betrachten.

Fassen wir kurz zusammen. Philosophen, die Eigenschaften als unreduzierbareElemente der Realität ansehen, schlagen uns drei Bilder der "Zugehörigkeit" vonEigenschaften zu konkreten Individuen vor :

@, .....~l \ 1\

I ', ·ci5 ~';i;~rn derAehnlichkeitB

Platonisches Bild

allgemeine Entität"real abgetrennt"von Individuen

Aristotelisches Bild

allg,emeine Entitätals 'gemeinsamer Teil"streng identisch"in" Vielen Individuen

Tropentheorie

individuell verschiedeneEigenschaftenvereinigte durch die Relationder AeFinlichkeit

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INDI VIDU E LL UN D ALLGE ME IN 21

Nach Platon sind allgemeine Entitäten von Individuen real verschieden. Das, wasbestimmt, ob Individuen an einer solchen Entität "teilhaben" (ob sie Z.B. rot sind),ist die Relation der Teilnahme oder Nachahmung, die bei Platon recht rätselhaftbleibt und die wahrscheinlich als primitiver, undefinierbarer Terminus der Theorieangesehen werden muß." Was bei Aristoteles geschah, war vor allem ein Transferder allgemeinen Entitäten in die konkreten Individuen. Die Allgemeinheiten exis­tieren infolgedessen nicht mehr unabhängig von Individuen und anstatt einer gehei­mnisvollen Relation der Teilnahme, die zwischen zwei real getrennten Entitätenbesteht, hat man die Relation der Exemplifizierung, die sich sozusagen "innerhalb"eines konkreten Individuums abspielt. Was jedoch weiterhin geheimnisvoll undrätselhaft bleibt, ist die Tatsache, daß die allgemeinen Entitäten, die in den konkre­ten Individuen vorkommen , in vielen Individuen numerisch streng identisch sind.Es scheint, daß Aristoteles die realistischen Argumente (A)-(D) völlig akzeptierte.Nur die Argumente (E)-(F), welche die Platonische Version des metaphysischenRealismus bevorzugen, hatten in seinen Augen wenig Kraft. In einer bildliehen Dar­stellung muß man also die Aristotelische Eigenschaft irgendwie als einen gemeinsa­men Teil von vielen Individuen betrachten, was für manche sehr kontraintuitiv aus­sehen mag. Diese Kontraintuitivität bildet den Grund, warum heute viele Philo­sophen eher die Theorie der individuellen Eigenschaften bevorzugen - die Theorie,die jedem roten Ding seine eigene Röte zuordnet. Die selbstverständliche Frage,was alle diese individuellen Eigenschaften zu Vorkommnissen derselben Farbemacht, wird dann normalerweise durch die Referenz auf die Relation der Ähnlich­keit beantwortet und die konkreten Individuen werden oft als Bündel von kom­präsenten Tropen interpretiert.

1 .3 INTE R -I NDIVIDUE LLE U ND IN TR A- IN D IV ID U E L L E R E LA nONEN

Der ontologische Status der Relationen der Ähnlichkeit und Kompräsenz bildetallerdings einen schwierigen Punkt der Tropentheorie . Diese Relationen bestehenzwischen mehreren individuellen Tropen. Sollen sie also als Universalien inter­pretiert werden? Ein Anhänger der Tropentheorie, der seine individuellen Eigen­schaften gerade zum Zwecke der Eliminierung von Universalien eingeftihrt hat,würde einen solchen Vorschlag sehr ungern annehmen. Wenn er ihn jedoch ablehnt,dann wird man von ihm erwartet, daß er den ontologischen Status dieser Relationendoch erklärt. Die Lösung, die zunächst attraktiv erscheint, verläuft nach dem glei­chen Muster wie die Elirninierung von Universalien, die der Tropentheoretiker vor­schlägt. Universalien müssen durch die Ähnlichkeitsmengen von Tropen ersetztwerden.

Wenn wir das jedoch im Fall der Ähnlichkeitsrelation tun möchten, machen wirden ersten Schritt eines unendlichen Regresses. Es gibt viele Tropen der Ähnlich-

18 Die Schwierigkeiten, die Platon im "selbstkritischen" Dialog Parmenides formuliert, zeigen vorallem, daß die Metapher, in die Platon seine Ideenlehre kleidet, sehr beschränkte Gültigke it besitzen.Weder die Rede von einer "Teilnahme" der Einzeldingen an der Idee, noch die Charakterisierung derBeziehung zwischen der Idee und dem Einzelding als ,,Ähnlichkeit" darf ernst genommen werden. Vg1.Parmenides, 130e 4-I3 Ie 8, 132d 5-133a 3.

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22 KAPIT EL I

keitsrelation - in Ordnung, aber was macht sie zu den Tropen derselben Relation ?Es ist natürlich die Ähnlichkeit zweiter Stufe, die zwischen ihnen besteht , die aberauch mehrfach exemplifiziert wird und dementsprechend zu ihrer Einheit eine Ähn­lichkeit dritter Stufe braucht usw. Ein Tropentheoretiker wird also in der Regel ge­zwungen sein, die Relation der Ähnlichkeit nicht als eine normale Relation , sondernals einen metaphysisch primitiven, weiter unerklärbaren Nexus zu betrachten. 19

Mit einer ähnlichen Situation wird übrigens auch der metaphysische Realist kon­frontiert , wenn er die Relation der Exemplifizierung zu erklären versucht. DieseRelation besteht zwischen mehreren Paaren von Individuen und Eigenschaften. Sieist also ein mehrfach exemplifiziertes Universale . Soll das jedoch bedeuten, daß diegeordneten Paare (Individuum, Eigenschaft) die Relation der Exemplifizierungexemplifizieren? Brauchen wir dann eine Exemplifizierung zweiter Stufe, diewieder durch die geordneten Paare « Individuum, Eigenschaft), Exemplifizierung)exemplifiziert wäre? Auch der Realist wird also einen metaphysisch grundlegendenNexus der Exemplifizierung brauchen, der im Rahmen seiner Theorie nicht weitererklärbar ist. Im Allgemeinen ist es zu bemerken, daß jede Erklärung irgendwannihren Endpunkt erreichen muß. Metaphysik stellt in dieser Hinsicht keine Ausnah­me dar.

Die Relation der Kompräsenz muß wahrscheinlich ebenfalls als ein unredu­zierbarer Nexus betrachtet werden. Wenn wir sie nämlich als eine normale Relationinterpretieren, dann wird sie (da sie zwischen mehreren Paaren von Tropen besteht)entweder zu einem Universale, oder sie muß als eine Ähnlichkeitsklasse von denrelationalen Kompräsenz-Tropen betrachtet werden . In dem letztgenannten Fallkönnen wir jedoch die folgende Frage stellen : Ist der Kompräsenz-Tropus k, derzwischen zwei Tropen a und b besteht, mit ihnen kompräsent oder nicht? KeineAntwort macht uns glücklich, denn wenn k mit a und mit b nicht kompräsent ist,dann scheint k zum konkreten Individuum, zu dem a und b gehören, nicht zugehören, was ziemlich befremdlich klingt. Wenn hingegen k mit a und mit bkompräsent ist, dann haben wir die Kompräsenz höherer Stufe (die Kompräsenzvon a und k und die Kompräsenz von bund k), und eventuell den Anfang einesunendlichen Regresses, denn eine solche Kompräsenz ist wieder entweder einUniversale, oder eine Ähnlichkeitsklasse von Tropen, und jeder solche Komprä­senz-Tropus höherer Ordnung wird dann wieder mit a und k kompräsent oder nicht­kompräsent sein müssen.

Die Relationen der Ähnlichkeit, Instantiierung und Kompräsenz scheinen alsoeinen ausgezeichneten Status zu genießen. Noch deutlicher bemerkt man das, wennman das Problem der Reduzierbarkeit von Relationen auf monadische Eigenschaf­ten unter die Lupe nimmt, das viele Philosophen beschäftigte.

Unter den Relationen können wir nämlich zwei Gruppen unterscheiden. Für dieRelationen der ersten Gruppe gilt das Prinzip , daß sie genau dann bestehen, wennihre Argumente mit bestimmten monadischen Eigenschaften existieren. Das Beste­hen von Argumenten, die bestimmte monadische Eigenschaften haben, ist eine not-

19 Einige Autoren betrachten jedoch einen solch en Regreß als bloß virtuell . Vgl. Küng 1967, S. 168,Loux 1978, S. 46.

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INDIVIDUELL UND ALLGEMEIN 23

wendige und hinreichende Bedingung des Bestehens der Relation. Solche Relatio­nen sind in diesem Sinne durch die Existenz ihrer Argumente mit den entsprechen­den monadischen Eigenschaften mit Notwendigkeit impliziert. Man kann sagen,daß sie auf ihren Argumenten supervenieren. So muß z.B., wenn Hans 40 Jahre altist und Peter 30 Jahre alt ist, die Relation ist älter als zwischen Hans und Peterzwangsläufig bestehen. Sie ist in diesem Sinne auf die Existenz und die mona­dischen Eigenschaften von Hans und Peter ontologisch reduzierbar.20

Es gab und gibt viele Philosophen, die zur Auffassung neigen, daß alle Rela­tionen in diesem Sinne auf den monadischen Eigenschaften ihrer Glieder superve­nieren, gemäß dem Prinzip:

(Sup .) (Vx)(Vy)(VR){xRy == (3F)(3G)[Fx /\ Gy /\ D(Vz)(Vw)(Fz /\ Gw ~

zRw)]}

Das Prinzip (Sup.) besagt, daß alle Relationen, die aktuell vorkommen, auf denmonadischen Eigenschaften ihrer Glieder supervenieren. Für einen Philosophen, derkein Platoniker ist, muß das allerdings nicht bedeuten, daß die Relationen, die mitdem Prinzip (Sup .) in Widerspruch stehen , unmöglich sind. Das wird erst durcheine modalisierte Version des Prinzips gewährleistet:

(Sup .D) D(Vx)(Vy)(VR){xRy == (3F)(3G)[Fx /\ Gy /\ D(Vz)(Vw)(Fz /\ Gw ~

zRw)]}

Das Prinzip (Sup.D) besagt, daß die Supervenienz von Relationen nicht bloß kon­tingent für alle aktuellen Relationen gilt, sondern, sozusagen, aus dem Wesen derontologischen Kategorie Relation folgt.

Wir können uns aber auch andere Relationen denken, die auf die Existenz ihrerArgumente und auf die Eigenschaften dieser Argumente nicht reduzierbar wären.Wenn wir eine Relation dieser Art als R bezeichnen, dann ist die Tatsache, daß Rzwischen a und b besteht, in keiner Weise durch die "absolute Natur" von a und b(d.h. durch die Gesamtheit der nicht-relationalen Eigenschaften von a und b) impli ­ziert . Die Gegenstände a und b können alle ihre monadischen Eigenschaften behal­ten, und das Bestehen der Relation R zwischen ihnen kann trotzdem entfallen.21

Bekanntlich hat Russell derartige Relationen "extern" genannt.22 Russell behaup­tet also die Negation von (Sup.):

(r-Sup.) (3x)(3y)(3R){xRy /\ ~[(3F)(3G)[Fx /\ Gy /\ D(Vz)(Vw)(Fz /\ Gw ~

zRw)]]) ,

20 Dieser Paragraph wurde aus Chrudzimski 2001a, S. 244 übernommen .21 Dieser Paragraph wurde aus Chrudzimski 2001a . S. 244 übernommen .22 VgJ. " I mainta in that there are such facts as that x has the relation R to y, and that such facts are not ingeneral reducible to, or inferable from, a fact about x only and a fact about y only: they do not implythat x and y have any complexity, or any intrinsic property distinguishing them from a z and a w whichdo not have the relation R. This is what I mean when I say that relations are external", Russell 1910,S.374.

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24 KAPITEL 1

oder mindestens die Negation von (Sup.O):

(~Sup.O) O(3x)(3y)(3R){xRy /\ ~[(3F)(3G)[Fx /\ Gy /\ O(V'z)(V'w)(Fz /\ GW:J

zRw)]])

Die typischen Kandidaten für solche unreduzierbaren Relationen sind die räumli­chen und zeitlichen Beziehungen. Die Philosophen, die einerseits räumliche undzeitliche Stellen nicht als Objekte einführen wollen und andererseits den Gegen­ständen keine absoluten räumlichen und zeitlichen Bestimmungen zuschreiben, be­trachten diese Bestimmungen oft als rein relational . Die Tatsache, daß ein Gegen­stand von einem anderen so und so entfernt ist, reduziert sich dementsprechend aufkeine absoluten räumlichen Lokalisierungen, die diesen Gegenständen zukommenwürden . Denn es gibt, so wird behauptet, keine solchen Lokalisierungen. Die räum­liche Relation, in der sich zwei Gegenstände befinden, ist auf keine Eigenschaftendieser Gegenstände reduzierbar .r'

Die Relationen der ersten Gruppe werden gewöhnlich als intern bezeichnet. 24 Obsolche supervenierenden Relationen deswegen als auf monadische Eigenschaftenihrer Glieder ontologisch reduzierbar zu interpretieren sind, ist eine kontroverseFrage. Armstrong betrachtet Relationen, die auf den monadischen Eigenschaftenihrer Glieder supervenieren, als keine ontologische Bereicherung im Vergleich zudiesen monadischen Eigenschaften (vgl. Armstrong 1997, S. 12) und wir findendiese Ansicht plausibel. Erst wenn wir externe Relationen im Sinne Russells ein­führen - behauptet er -, wird unsere Ontologie im Vergleich zu einer Ontologie, dieausschließlich mit den monadischen Eigenschaften operiert, um eine zusätzlicheKategorie bereichert.

23 Dieser Paragraph wurde aus Chrudzimski 2001a, S. 244 übernommen .24 Heute werden oft alle Relationen, die nicht extern im Sinne Russells sind, als "intern" bezeichnet.Vgl. .Two or more particulars are internally related if and only if there exist properties of theparticulars which logically necessitate that the relation holds .", Armstrong 1978, vol. 2, S. 85.Johansson betont jedoch, daß dieser Sprachgebrauch irreführend sein kann. Russell hat nämlich denBegriff der externen Relation in seiner Polemik gegen die holistische Position Bradleys eingeführt.Bradley behauptete, daß es nur interne Relationen gibt, in Wirklichkeit verstand er jedoch unter derBezeichnung "intern" viel mehr , als nur eine Negation der Russellschen Externalität. Intern im SinneBradleys ist nämlich eine Relation, die bereits im Begriff eines ihrer Glieder enthalten ist. Eine solch eSituation haben wir z.B. im Fall des Begriffs Schüler . Aufgrund des Begriffs können wir wissen, daßjeder Schüler eine Relation zum Lehrer involviert. Denn Schüler zu sein heißt ja (von jemandem)gelehrt zu werden. Im Zusammenhang damit unterscheidet Johansson drei Arten von Relationen, die er.Jnternal'', "extemal" und "grounded" nennt. Er definiert:,,08.1: x and y are internally related if and only if it is logically impossible for x and y (0 existindependently of each other." , Johansson 1989, S. 120.,,08.2: Rxy is an external relation if and only if it is logically possible that there exist a z and a w withexactly the same qualities (quality = substance or property) as x and y, respectively , but between whichthe relation R does not hold .", Johansson 1989, S. 119.,,08.3: Rxy is a grounded relation if and only if it is logically impossible for there to exist a z and a wwith exactly the same qualities as x and y, respectively, but between which the relation R does nothold .", Johansson 1989, S. 120.

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INDIVIDUELL UND ALLG EMEIN 25

Es gilt jedoch zu bemerken, daß die Philosophen, die das Wort "Supervenienz"in seiner philosophischen Bedeutung eingeführt haben, eher auf eine Art nicht­reduktionistischer ontologischer Abhängigkeit abgezielt hatten. Entitäten, die aufanderen Entitäten supervenieren, sind zwar durch die Existenz ihrer Supervenienz­Basis mit Notwendigkeit impliziert, sie seien jedoch trotzdem auf diese Basis nichtreduzierbar. Sie bilden eine genuin distinkte ontologische Kategone." Die ganzeDiskussion wird zusätzlich dadurch erschwert, daß man nicht immer genau weiß,was unter dem Begriff einer ontologischen Reduktion zu verstehen ist. Noch mehrumstritten ist die Frage, ob die Supervenienz einer bestimmten Relation in irgend­welchem Sinne ihre "Unwichtigkeit" impliziert ."

In diesem Buch werden wir diese Fragen nicht zu beantworten versuchen. Einessteht allerdings fest: Die Relationen, die in unserem Sinne auf den monadischenEigenschaften ihrer Glieder supervenieren, sind durch die Existenz ihrer Glieder mitden entsprechenden Eigenschaften mit Notwendigkeit impliziert. In diesem Sinnebrauchen sie in einer vollständigen Beschreibung der Welt neben den monadischenEigenschaften nicht einmal erwähnt zu werden. Unabhängig von den Fragen derontologischen Reduzierbarkeit und der philosophischen Wichtigkeit, ist es alsozweifellos, daß, wenn es möglich wäre, alle Relationen für intern zu erklären, unserphilosophisches Weltbild viel einfacher sein könnte. Darüber hinaus erscheint vie­len Philosophen eine "reine Relativität", mit der wir im Fall der externen Relationenzu tun haben, als etwas völlig unverständliches. Konsequenterweise gab es und gibtviele Versuche, die These der Supervenienz von allen Relationen zu verfechten.Y

In diesem Buch werden wir nicht untersuchen, ob diese These in Bezug auf alleRelationen, die zwischen den konkreten Individuen bestehen, tatsächlich aufrecht­erhalten werden kann. Was wir hingegen zeigen wollen, ist, daß sie in Bezug aufjene spezifischen Beziehungen, welche die innere Struktur eines konkreten Indivi­duums konstituieren, mit Sicherheit nicht gilt. Wir meinen die Beziehungen derInstantiierung, der Kompräsenz und der Ähnlichkeit, von denen wir oben gespro­chen haben. Wir werden diese Beziehungen als intra-individuelle Relationen be-

25 Es ging um die .Supervenienz" von morali schen Werten auf deskriptiven Tatsachen wie beiG. E. Moore und R. M. Hare und um die .Emergenz" des Psychischen wie bei C. L. Morgan undC. 0 Broad . Zur Analys e des Superv enienz-Begriffs vgl. Kim 1999.26 Johansson argumentiert, daß es keineswegs der Fall ist. Die Relationen könnten für unser Denkenund Handeln wichtig sein, selbst dann , wenn sie ontologisch reduzierbar wären . Vgl. "It makcs a lot ofdifference to a lot ofboys whether or not they are taller than a certain girl. ", Johan sson 1989, S. 125.27 Campbell, der diese Auffassung vertritt, bezeichnet sie als .Foundationism" Vgl. : .Foundationism iscommitted to the slogan 'No relationaI differences without qualitative differences' or "There are nomerely relational differences' .", Campbell 1990, S. 113. Auch Stumpf besteht darauf, daß jederRelati on "ein absoluter Inhalt" zugrunde liegen muß . Vgl. dazu auch Stumpf 1873, S. 124: "Entwederversteht man hier unter Lage [...) was wir Ort nennen , und dann ist sie keine Relation [...]; ode r manversteht darunter die Bezi ehung der Punkte zu einander (oder zu einem dritten) , und dann liegt dieserRelation , wie jeder, ein absoluter Inhalt zu Grunde , das sind eben hier die beiden Orte; denn man meinteine örtliche Beziehung." Vgl. auch Stumpf 1883, S. 13: "So kann es Beziehungen zwischen Empfin­dungen geb en, aber schließlich müssen doch irgend welche absolute Inhalte vorhanden sein, welche wirauf einander bezi ehen." Vgl. auch Chisholm 1992b , S. 12: .Every Relation [...] is an attribut e - anattribute that is exemplified by other attributes."

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26 KAPITEL 1

zeichnen, und zwar im Gegensatz zu den inter-individuellen Relationen, die zwi­schen konkreten Individuen bestehen.

Betrachten wir zunächst die von den metaphysischen Realisten postulierte Rela­tion der Exemplifizierung. Sie besteht zwischen einem konkreten Individuum undeinem Universale, das von diesem Individuum exemplifiziert wird - z.B. zwischenSokrates und Weisheit. Die Tatsache, daß diese Relation keineswegs eine interneRelation im Sinne Russells sein kann, liegt auf der Hand. Denn wäre sie intern , somüßte Sokrates zwangsläufig weise sein und es ist offensichtlich, daß die Weisheitnicht ein Charakteristikum ist, das Sokrates (oder jemandem anderen , mit der mög­lichen Ausnahme Gottes) mit Notwendigkeit zukommen würde . Zumindest im Fallder sogenannten akzidentellen Bestimmungen muß die Relation der Exemplifizie­rung als extern betrachtet werden.

Ein schwierigeres Problem haben wir im Fall der essentiellen bzw. substantialenBestimmungen, d.h. den Bestimmungen, die einem Gegenstand "seinem Wesennach" zukommen, die also per definitionem ohne Untergang des betreffenden Ge­genstands nicht entfallen können . Ist z.B. die Relation der Instantiierung, die zwi­schen Sokrates und dem Mensch-sein oder zwischen einem Menschen und derEigenschaft ein-Lebewesen-zu-sein besteht , nicht als intern zu interpretieren? DieFrage ist, wie gesagt, schwierig und wir werden nicht versuchen , sie in aller Allge­meinheit zu beantworten. Die Frage, die man zuerst stellen muß, ist allerdings, wasdas heißt, daß es Sokrates oder daß es einen Menschen überhaupt gibt. Die Antworteines metaphysischen Realisten , der eine Unterscheidung zwischen substantialenund akzidentellen Eigenschaften macht , lautet: es heißt, daß eine bestimmte sub­stantiale Eigenschaft (hier : das Mensch-sein) oder vielleicht eine individuelle Natur- eine haecceitas - exemplifiziert wird; und das ist im Allgemeinen keineswegseine notwendige Tatsache. Es könnte ja auf der Welt nicht nur keinen Soktrates,sondern überhaupt keinen Menschen geben. Wenn es in der Welt überhaupt kon­krete Individuen gibt, die notwendig existieren, dann sind es bestenfalls nur jenespezielle Fälle, von denen ontologische Gottesbeweise handeln. Die Exernplifizie­rung bleibt also nach wie vor keine interne Relation . Intern sind nur die Beziehun­gen zwischen Universalien, wie Z.B. das Verhältnis des Enthaltenseins zwischen derMensch ennatur und der Lebewesen-Natur.

Ob Exemplifizierung von essentiellen Eigenschaften deswegen als eine externeRelation interpretiert werden soll, ist allerdings nicht klar. Wir erinnern uns, daßeine externe Relation zwischen zwei Gegenständen ohne Rücksicht auf ihre absolu­ten Naturen besteht. Eine externe Relation, die zwischen a und b besteht, könntealso entfallen, ohne irgendwelche Änderung in den absoluten Bestimmungen von aund b. Wie kann man diese Bedingungen mit der Instantiierung einer essentiellenEigenschaft vergleichen? Die prinzipielle Frage ist: Zwischen was eigentlich bestehtdie Instantiierung einer essentiellen Eigenschaft? Ein Glied der Instantiierung-Rela­tion ist natürlich die allgemeine Eigenschaft selbst (z.B. die Mensch ennatur[ . Wasist aber der zweite Glied? Vergessen wir nicht , daß es, wenn das entsprechende Uni­versale nicht exemplifiziert wird, das betreffende Individuum schlicht und einfachnicht gibt.

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INDIVIDUELL UND ALLGEMEIN 27

Platon und Aristoteles haben von einem ungeformten Stoff bzw . einer erstenMaterie gesprochen, die als das zweite Glied der Instantiierung-Relation fungiert .(Platon, Timaios 50b-c, Aristoteles, Metaphysik l069b 7-9) Das Problem bestehtjedoch einerseits darin , daß die Doktrin der ersten Materie eine höchst kontroverseLehre ist, die heute kaum jemand akzeptieren möchte, andererseits darin, daß dieerste Materie per definitionem keine Bestimmungen hat. Es macht also ohnehin kei­nen Sinn zu sagen, daß die Instantiierung-Relation zwischen der ersten Materie undeinem Universale ohne Rücksicht auf die absolute Natur der Materie besteht, denndie erste Materie ist ja etwas, das als solches keine Natur hat.

Wir sehen , daß die Exemplifizierung nur sehr bedingt als eine Relation betrach­tet werden kann . Das relationale Modell paßt noch am besten auf die akzidentellenEigenschaften und in diesem Fall ist es auch klar, daß die Exemplifizierung-Bezie­hung eher einer externen Relation ähnelt. Im Fall der Instantiierung von essentiellenEigenschaften scheint hingegen die ganze Relation -Metapher zu kollabieren.

Gehen wir jetzt zur Relation der Kompräsenz über, die zwischen den zum selbenkonkreten Individuum gehörenden Tropen besteht. Wenn wir auf die kontingentenEigenschaften blicken, wird es ebenfalls klar, daß es auch hier keine interneRelation vorliegt. Sokrates ist weise und das heißt nach der Tropentheorie, daß einWeisheit-Tropus zum Sokrates-Bündel gehört . Sokrates könnte aber auch dummsein, und das heißt, daß die Relation der Kompräsenz, die zwischen dem Weisheit­Tropus und den restlichen Tropen des Sokrates-B ündels besteht, keine interneRelation sein kann . Es gibt zwar Philosophen, die das Gegenteil behaupten, das hatallerdings seinen Grund darin, daß sie den Begriff der untransferierbaren Tropenfür metaphysisch maßgebend halten," was jedoch ein Irrtum ist. Schon die Konse ­quenz, daß alle Eigenschaften in diesem Fall ihren Subjekten mit Notwendigkeitzukommen müssen, spricht genug gegen diese Ansicht.

Wie im Fall von Universalien haben wir wieder einige wichtige Fundierungsver­hältnisse zwischen den Tropen, wie z.B. das Verhältnis der ontologischen Abhän­gigkeit, das zwischen den Farbe-Tropen und Ausdehnung-Tropen besteht. Alleswas farbig ist, muß ausgedehnt sein, sagt ein berühmter, obwohl auf den erstenBlick nicht besonders interessanter Satz, was in der Sprache der Tropentheoriesoviel bedeutet, daß jeder Farbe-Tropus notwendigerweise mit einem Ausdehnung­Tropus kompräsent sein muß. Was in diesem Fall sehr wichtig ist, ist allerdings dieTatsache, daß diese Fundierungsverhältnisse nicht zwischen den bestimmten Tro­pen, sondern zwischen den Ähnlichkeitsklassen von Tropen bestehen. Ein bestimm­ter Farbe-Tropus braucht keinen bestimmten Ausdehnung-Tropus. Er braucht bloß

28 So argumentiert Z.B. Bacon (1995, 22). Er betrachtet die Relation der Kompräsenz als internal undzieht sogar explizit die Konsequenz, daß sie sich dementsprechend zwischen den möglichen Weltennicht ändern kann . Sein Argument ist, daß ,,[i]f concurrence is accidental, then Socrates ' whitenessmightjust as weil have been Plato's , and vice versa." (Bacon 1995, 135) Es ist klar, daß hier die Tropengemeint sind, die eine eingebaute Zugehörigkeit zu den konkreten Individuen (zu Sokrates und zu Pla­ton) haben. Auch Simons will die Relation zwischen einem Tropus und "se inem" Individuum als internbetrachten (Simons 2001, S. 249), was wieder seine Quelle in der Untransferierbarkeit-Konzeption vonTropen hat. Die Tendenz , die Untransferierbarkeit von Tropen als etwas ontologisch selbstverständli­ches zu betrachten, ist sehr deutlich in Mulligan/Simons/Smith 1984.

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28 KAPI TEL I

irgendeinen Tropus, der zur Kategorie Ausdehnung, d.h. zu einer Klasse von Tro­pen, die durch eine besonders lockere Ähnlichkeitsrelation vereinigt sind, gehört.

Die Relation der Kompräsenz hat sich also ebenfalls als extern erwiesen . Washingegen die Relation der Ähnlichkeit betrifft , so sind wir geneigt, sie als einenparadigmatischen Fall einer internen Relation zu betrachten . Worin könnte eineÄhnlichkeit bestehen, wenn nicht darin, daß die Entitäten, die ähnlich sind, beideeine bestimmte absolute Natur haben?

Dennoch kann die Ähnlichkeit, die uns hier interessiert, nicht als eine interneRelation interpretiert werden. Man übersieht nämlich leicht, daß die Ähnlichkeitvon Tropen eine ganz andere Beziehung ist als die Ähnlichkeit von konkretenIndividuen. Die konkreten Individuen sind ähnlich, wenn sie z.B. beide rot, beidedreieckig oder beide weich sind: d.h. wenn sie dieselben Eigenschaften haben. Ebendeswegen ist sie eine interne Relation. Hätten die betreffenden konkreten Indi­viduen andere Eigenschaften, so würde die Ähnlichkeitsrelation zwischen ihnennicht bestehen (oder wir hätten es mit Ähnlichkeit in einer anderen Hinsicht zu tun).

Die Identität von Eigenschaften wird aber im Rahmen der Tropentheorie durchdie Ähnlichkeit von Tropen erklärt. Zwei konkrete Individuen haben "dieselbe"Eigenschaft, wenn sie ähnliche Tropen besitzen. Wenn wir also jetzt die Ähnlichkeitvon Tropen als eine interne Relation interpretieren wollen, die durch die absolutenNaturen von Tropen impliziert wird, bewegt sich unsere Analyse in einem offen­sichtlichen Kreis. Denn was könnten die absoluten Naturen von Tropen sein, wennnicht ihre Eigenschaften, und wie kann die Identität der Natur erklärt werden, wennnicht durch eine Rückkehr zum metaphysischen Realismus bzw. durch eine Ähn­lichkeit höherer Stufe.29 In diesem Fall wäre es jedoch gewiß besser, entweder denmetaphysischen Realismus schon von vornherein in Kauf zu nehmen oder bei derÄhnlichkeit erster Stufe zu bleiben .

Die Relation der Ähnlichkeit von Tropen ist also keineswegs intern. Sie externzu nennen, erscheint allerdings auch ziemlich ungeschickt , denn das würde jabedeuten, daß sie ohne irgendwelche Veränderung von Tropen entstehen und ver­schwinden könnte . Wir sehen hier besonders deutlich, daß man es im Fall derÄhnlichkeitsrelation tatsächlich mit einem primitiven Nexus zu tun hat, zu dem diekonzeptuellen Werkzeuge, die man zur Analyse der inter-individuellen Relationenerfolgreich verwenden kann, nur sehr bedingt passen. Die Relation der Ähnlichkeit ,die zwischen zwei Tropen besteht, kann zwar ohne Veränderung von Tropen nichtverschwinden, und die Tropen können sich, wenn es darum geht, als solche auchnicht verändern, es ist aber nicht die Natur von Tropen, die das Bestehen der Ähn­lichkeitsrelation impliziert, sondern umgekehrt : es ist das Bestehen der Ähnlich­keitsrelation, das die Natur der in Frage kommenden Tropen konstituiert .

29 Campbell scheint diesen Fehler zu machen. Er will die Relation der Ähnlichkeit als eine interneRelation betrachten, die auf den individuellen Eigenschaften superveniert . (Campbell 1990, S. 37) Indi­viduelle Eigenschaften müssen dementsprechend gewisse Naturen haben, die das Bestehen der Relationder Ähnlichkeit implizieren . Vg1. .The resemblance relation among the Fs hold in virtue of the fact thatthosc items are F, not the other way around. Tropes (abstract particulars, quality-instances) must beparticular nature s. They are not 'bare particulars ' which, without some sirnilarity-tie, would have nonature at all.", Campbell 1990, S. 59 f.

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INDIVIDUELL UND ALLGEMEIN

1.4 SA CHV ERHALTE

29

Wenn man einmal die Wichtigkeit der intra-individuellen Relationen und insbeson­dere die Tatsache, daß sie auf jeden Fall nicht als interne Relationen zu interpre­tieren sind, eingesehen hat, kann man die philosophischen Gründe für die Einfüh­rung von propositionalen Entitäten besser einschätzen. Solche Entitäten, die wirhier pauschal Sachverhalte nennen." werden typischerweise im Kontext der seman­tischen Untersuchungen eingeführt, nämlich als Wahrmach er für unsere Sätze, Ur­teile, Überzeugungen oder was auch immer in unserer Theorie die Rolle von Wahr­heitsträgern einnimmt.

Was den Satz "Hans ist größer als Peter" wahr macht, ist - so die These der An­hänger der Sachverhaltssemantik - der Sachverhalt, daß Hans größer als Peter ist.Der Grund, warum der Satz .Peter ist größer als Hans" falsch ist, ist der Umstand,daß es den Sachverhalt, daß Peter größer als Hans ist, nicht gibt (daß ein solcherSachverhalt nicht besteht).

Die Ontologie der Semantik, die mit den propositionalen Entitäten hantiert,nimmt allerdings verschiedene Gestalten an. Manche Philosophen wollen auch vonnicht-existierenden Sachverhalten sprechen. Die Sachverhalte, die existieren, bildennach dieser Theorie nur eine spezielle Gruppe unter den Sachverhalten. Sie werdenüblicherweise Tatsachen genannt. Dieser Auffassung zufolge ist also nicht jederSachverhalt eine Tatsache. Die Semantik kann unter Voraussetzung einer solchenOntologie vereinheitlicht werden. Jeder Satz - egal ob wahr oder falsch - hat einenSachverhalt als sein semantisches Korrelat. Dieses Korrelat kann also als seine Be­deutung fungieren. Der Satz ist genau dann wahr, wenn "sein" Sachverhalt zugleicheine Tatsache iSt.3 1

Nicht alle Philosophen - vor allem nicht diejenigen, die ungern von den nicht­existierenden Entitäten sprechen - wollen allerdings die Bedeutungsentitäten aufdie gleiche Ebene wie die wahrmachende Realität stellen. Viele folgen der Intuition,nach der die Bedeutungsentitäten von unserer kognitiven Tätigkeit ontologisch ab­hängig sind, während das, was einige Wahrheitsträger wahr macht, zur ontologischunabhängigen, "transzendenten" Realität gehört. Dementsprechend unterscheidetman die Geist-abhängigen Gebilde/2 die von manchen Propositionen genannt wer­den/ 3 und die Geist-unabhängigen Tatsachen. Jeder Wahrheitsträger hat eine Pro­position als Bedeutung, aber nur einigen solchen Propositionen (nämlich den wah­ren) entsprechen Tatsachen. Um den Preis der Einführung von zwei Typen der pro­positionalen Entitäten (den Geist-abhängigen Propositionen und den Geist-unabhän-

30 Zur Geschichte des Begriffs Sachverhalt vgl. Smith 1992 und Rojszczak/Smith 2001 _3 1 Von den Sachverhalten und Tatsach en hat in diesem Kontext Wittgenstein in seinem Tractatus ge­sprochen . Eine konsequente Theorie dieser Art vertritt Meinong . Er nennt Sachverhalte Objektiv e undunterscheidet unter ihnen bestehende und nicht-bestehende.32 Von solchen Geist-abhängigen, strukturierten Bedeutungsentitäten hat Brentano unter dem Namen"Inhalte" gesp rochen.33 Der Terminus "Proposition" hat allerdings bei verschiedenen Philosophen sehr unterschiedliche Be­deutungen . Propositionen werden sehr oft als Geist-unabhängige Entitäten und als primäre Wahrheits­träger betrachtet.

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30 KAPITEL I

gigen Tatsachen) können wir uns von den nicht-existierenden Sachverhaltenbefreien.

Aufgrund unserer Untersuchungen zu den intra-individuellen Relationen sehenwir jedoch klar, daß man auch von semantischen Überlegungen unabhängige Grün­de finden kann, die zur Einführung von Sachverhalten verleiten können. Betrachtenwir die Relation der Exemplijizierung und ihre tropentheoretische Entsprechung ­die Relation der Kompräsenz . Wir haben gesehen, daß sie keineswegs als interneRelationen im Sinne Russells interpretiert werden können. Selbst wenn wir inunserer Welt sowohl Sokrates als auch Weisheit haben, ist es noch nicht klar, obSokrates weise ist. Um einen weisen Sokrates zu haben, müssen wir gewährleisten,daß die Weisheit mit Sokrates "verbunden" ist, was, je nach unserer Lieblingsonto­logie, entweder durch Exemplifikation oder durch Kompräsenz zustande kommt.Da aber beide Relationen extern sind, ist der Komplex weiser Sokrates auf jedenFall wesentlich mehr als eine bloße Summe seiner zwei Konstituenten. Ob wir die­sen Komplex mit Armstrong (1997) Sachverhalt nennen wollen oder nicht, hängtnatürlich einzig und allein von unserer sprachlichen Konvention ab. Selbst aber,wenn wir das Wort "Sachverhalt" vermeiden wollen, müssen wir uns bewußt sein,daß wir durch den bloßen Verzicht auf dieses Wort keine sparsamere Ontologieerhalten, als diejenige , welche in diesem Kontext explizit mit den propositionalenEntitäten operiert .

1.5 MENGEN, B EGRIFF E U N D PRÄDIKAT E

Außer der Einführung von individuellen Eigenschaften, gibt es auch andere Ver­suche, die prinzipielle Entbehrlichkeit der allgemeinen Entitäten aufzuzeigen. Wirlisten einige der klassischen Positionen auf.

Die Fraktion der Nominalisten, die man .E xtensionalisten" nennen kann, bestehtdarauf, daß alle Probleme, welche die Realisten durch ihre allgemeinen Entitätenlösen wollen, auch durch die Referenz auf Mengen von konkreten Individuen gelöstwerden können. Die Individuen a und b sind F genau dann, wenn a und b zur Men­ge der F-Gegenstände gehören . Die Referenz-Mengen können durch die Relationder Ähnlichkeit bestimmt werden , die jedoch diesmal nicht zwischen den individu­ellen Eigenschaften (die es in diesem ontologischen Modell nicht gibt), sondernzwischen den konkreten Individuen besteht. (Vgl. z.B. Price 1953, Kap. 1)Alternativ können die Referenz-Mengen axiomatisch bestimmt werden, d.h. siekönnen als primitive, weiter nicht erklärbare Segregation des Universums betrachtetwerden .

Diese Position erscheint als unplausibel, sobald wir annehmen , daß verschiedeneEigenschaften koextensional und trotzdem als Eigenschaften verschieden sein kön­nen. Ein weiteres Problem bereitet die Relation der Ähnlichkeit. Eine Antwort aufdie Frage, ob zwei konkrete Individuen ähnlich sind oder nicht, setzt nämlichvoraus , daß man den Aspekt spezifiziert, unter dem sie ähnlich oder unähnlich seinsollen . Zwei Äpfel können ähnliche Farbe und trotzdem verschiedene Größenhaben . Diese Aspekte sind jedoch nichts anders als die Gattungen von Eigen­schaften, unter welche die absolut spezifischen Eigenschaften (wie eine absolut

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INDIVIDUELL UND ALLGEMEIN 31

bestimmte Abschattung der roten Farbe, eine absolut bestimmte Größe, Gestaltusw.) fallen . Sie sind also selbst Universalien, die doch durch diese Technikeliminiert werden sollten." Die Tropentheorie hat diese Probleme nicht, da sie dieRelation der Ähnlichkeit nicht zwischen den konkreten Individuen, sondern zwi­schen den abstrakten Aspekten von diesen Individuen situiert - zwischen denAspekten, die keine weiteren Aspekte haben, unter denen sie ähnlich oder unähnlichsein könnten. (Vgl. Campbelll981, S. 135)

Die nächste Gruppe der Gegner von Universalien - die der Konzeptualisten ­glaubt, daß das ganze Geheimnis der Allgemeinheit in unseren Begriffen und ihrerAnwendbarkeit auf Individuen steckt. Die Individuen a und b sind F genau dann,wenn sowohl a als auch b unter den Begriff F fallen. Das, was allgemein ist, sinddemzufolge nur unsere Begriffe.

Die letzte Gruppe - die im ursprüng liehen Sinne Nominalisten - wiederholen diekonzeptualistische Argumentation für Worte . Die Individuen a und b sind F genaudann, wenn der allgemeine Name (bzw. Prädikat) "F ' sowohl in Bezug auf aalsauch in Bezug auf b richtig angewendet werden kann. Allgemein sind nur unsereWorte .

Die Probleme der konzeptualistischen und nominalistischen Auffassung bestehenzum einen darin, daß man in ihrem Rahmen auf jeden Fall eher von den Begriff­Typen (bzw. Namen- oder Prädikatentyp en) und nicht von den individuellen tokenssprechen will. Das Problem der Allgemeinheit scheint demgemäß lediglich verscho­ben zu werden . Zum anderen muß ein Anhänger der konzeptualistischen bzw.nominal istischen Analyse unreduzierbare Elemente des normativen Diskurses ein­führen , Die Individuen a und b sind F genau dann, wenn sowohl a als auch bunterden Begriff F bzw. unter das Prädikat ,,F' fallen. Dies bedeutet jedoch nicht bloß,daß sie als F gedacht bzw. sprachlich klassifiziert werden (oder werden können) . Esgeht darum, daß eine solche konzeptuelle oder sprachliche Klassifikation richtigwäre. Über diese Probleme werden wir noch im Folgenden sprechen .

Einige zusätzliche Probleme der konzeptualistischen Auffassung treten mit allerDeutlichkeit zutage, sobald wir die ontologische Struktur der Begriffe unter dieLupe nehmen. Wenn der Konzeptualismus wirklich eine ontologi sch sinnvoll eErklärung des Universalienproblems darstellen soll, dann soll die Theorie, die stattUniversalien mit Begriffen operiert , entweder wesentlich einfacher sein oder miteiner Art von Entitäten operieren, die ontologisch weniger problematisch oder unse­rer philosophischen Analyse wesentlich leichter zugänglich sind als allgemeine

34 Price versucht dieses Argument zu entkräften, indem er sich auf eine ausgezeichnete Gruppe vonparadigmatischen Fällen beruft . Er schreibt: .Every class has, as it were, a nucleus [...] consisting of asmall group of standard objects or exemplars. [...) What is required is only that every other member ofthe class should resemble the class-exemplars as closely as they resemble one another.", Price 1953,S. 46 f. (Vgl. die ähnliche Idee in Camap 1928, S. 152.) Goodman hat jedo ch ein Gegenargumentformuliert, das er .rhe difficulty of imperfect community" nennt. (Goodman 1966, S. 163 f.) Stellen wiruns eine Menge M von drei Gegenständen vor. Der erste Gegenstand ist Fund G, der zweite Gegen­stand ist G und H, und der dritte Gegenstand ist Hund F. Zwischen jedem Paar der Gegenstände derMenge M besteht die geforderte Relation der Ähnlichkeit und trotzdem gibt es keine gemeinsameEigenschaft, die alle Gegenstände der Menge M haben (außer der trivialen "Eigenschaft", daß sie allezur Menge M gehören).

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32 KAPITEL I

Entitäten . Es scheint indessen, daß bezüglich den Entitäten, die man "Begriffe"nennt, keines davon der Fall ist. Es scheint insbesondere , daß man den ontologi­schen Status von Begriffen erst dann erklären kann, wenn man bereits über einefertige Ontologie verfügt. Sind sie mentale Akzidentien von Subjekten, wie es dieScholastiker oft dargestellt haben, dann brauchen wir eine Theorie von Akzidentienund die konzeptualistische Erklärung wird offenkundig zirkulär. Sind sie FregescheFunktionen, dann nehmen wir, wie es scheint, bereits eine Art Platonismus in Kauf.Sind sie Entitäten sui generis wie z.B. Brentanosche immanente Objekte, dann stelltsich die Frage, ob sie weniger ontologisch geheimnisvoll sind als Entitäten, diedurch sie wegerklärt werden sollen. In jedem Fall zeigen viele Konzeptualisten einefür den Autor dieses Buchs nicht ganz nachvollziehbare Tendenz, die Rede von denBegriffen und ihrer Anwendung so zu betrachten , als ob sie keine ontologischenVerpflichtungen nach sich zöge. Wir werden diese Tendenz am Beispiel der frühenLehre Brentanos bald beobachten können .

Die besprochenen metaphysischen Positionen können wir in der folgenden Ta­belle zusammenfassen:

Realisten Nominalisten (im weiten Sinne)Es gibt allgemeine Entitäten Es gibt keine allgem einen Entitäten

Platoniker Aristoteliker Tropentheorie Extensionalisten Konzeptualisten

Es gibt allgemei- Es gibt allgemeine Es gibt individu - Es gibt keine Es gibt keinene Eigenschaften Eigenschaften nur elle Eigenschaften Eigenschaften Eigenschaftenunabhängig von "in" den lndiv i- nur Mengen vonIndividuen duen Individuen nur Begriffe

Es gibt Eigensch aften Es gibt keine Eigenschaften

Der Einfachheit halber haben wir in unserer Tabelle von den Entitäten, die unterKategorie der allgemeinen Gegenständen fallen können, nur Eigenschaften berück­sichtigt. Diese Kategorie wird sehr oft auch Relationen und unter Umständen auchpropositionale Entitäten (wie Propositionen, Sachverhalte, und darunter manchmalauch maximale Sachverhalte, d.h. mögliche Welten) umfassen. Was die Relationenbetrifft , so können sie als n-stellige (n>I) Eigenschaften interpretiert werden. Alter­nativ können Eigenschaften als l-stellige Relationen, und Sachverhalte - darunterauch maximale - als O-stelligeRelationen betrachtet werden.

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KAPITEL 2

DIE ELEMENTE DER ARISTOTELISCHEN METAPHYSIK

Bevor wir auf Brentanos Philosophie direkt eingehen werden, wollen wir in diesemKapitel kurz die grundlegenden Thesen der Aristotelischen Metaphysik erörtern. Dadie permanenten Verweise auf Aristoteles bei der Besprechung der OntologieBrentanos aufjeden Fall unumgänglich sein werden, finden wir es zweckmäßig , dieHauptinformationen zu den relevanten Punkten seiner Metaphysik an einem Ort zusammeln. Wir wollen dadurch dem Leser schon am Anfang einen Überblick überden begrifflichen Rahmen ermöglichen, in dem Brentano sein Philosophieren an­fing und dessen viele Elemente er Zeit seines Lebens bewahrte. Die folgende Dar­stellung ist allerdings keineswegs als ein selbständiges und ausführliches Referatder ontologischen Position Aristoteles' gedacht. Umso weniger werden in diesemKapitel die einzelnen Thesen begründet und verschiedene Interpretationen derAristotelischen Lehre diskutiert. Was folgt, ist eine synthetische und in vielen Punk­ten auch eher dogmatische Darstellung derjenigen Punkte der Aristotelischen Meta­physik, die für Brentanos Verständnis des Seienden ausschlaggebend waren. Es isteine Einführung in die Lehre Brentanos, und als solche soll es auch gelesen werden.

2 .1 DAS ONTOLOGISCHE QUADRAT

In unserem Buch werden wir Aristoteles als einen metaphysischen Realisten inter­pretieren, wir sind uns aber bewußt, daß die Stellen, die diese Interpretation zuunterstützen scheinen, auch konzeptualistisch gedeutet werden können.35 Die Frage,ob Aristoteles Realist war, ist in der Tat dergestalt schwierig zu beantworten, daßsogar Wilhelm von Ockham seine Philosophie als die getreuste Aristoteles-Ausle­gung vorstellen konnte und auch Brentano Aristoteles immer als einen Konzeptua­listen vorgestellt hat. Wir glauben jedoch, daß die Annahme der unreduzierbarenAllgemeinheiten in rebus mit der Mehrheit davon, was Aristoteles geschrieben hat,am besten harmoniert.

Unserem Aristoteles zufolge gibt es also allgemeine Entitäten, die allerdings nur"in" Individuen existieren können. "Sind alle gesund," schreibt er, "so ist Gesund­heit, Krankheit aber nicht, entsprechend auch, wenn alles weiß ist, so wird Weißesein, Schwärze dagegen nicht." (Kategorien, 11, 14a 7-10) In seinen Kategorien(I a 20~ Ib 9) unterscheidet er vier Typen von Entitäten, und zwar nach zwei Prin­zipien: (1) ob sie von anderen Entitäten ausgesagt (prädiziert) werden können; und

35 Die folgenden Sätze können Z.B. sowohl von den allgemeinen Entitäten als auch von den Begriffenoder Prädikaten handeln : "Das Allgemeine ist das Gemeinsame. Denn was mehreren zukommt, nennenwir das Allgemeine .", Aristoteles , Von den Teilen der Tiere, Buch I, Kap. 4, 644a 27; oder ,,[Dlas All­gemeine [...1ist mehrerem gemeinsam ; denn eben das heißt ja allgemein, was seiner Natur nach mehre­ren zukommt.", Metaphysik , I038b 10-12 .

33

A. Chrudzimski et al. (eds.), Die Ontologie Franz Brentanos© Kluwer Academic Publishers 2004

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34 KAPITEL 2

(2) ob sie in anderen Entitäten (enthalten) sind. Rein kombinatorisch ergeben sichdaraus vier Kategorien: (i) Entitäten, die von anderen Entitäten nicht ausgesagt wer­den können und in keinen anderen Entitäten enthalten sind; (ii) Entitäten , die vonanderen Entitäten ausgesagt werden können und in keinen anderen Entitäten ent­halten sind; (iii) Entitäten, die von anderen Entitäten nicht ausgesagt werden kön­nen und in anderen Entitäten enthalten sind; (vi) Entitäten , die von anderen Enti­täten ausgesagt werden können und in anderen Entitäten enthalten sind. (Vgl. dazuAngeleIli 1991; AngeleIli 1967, Kap. 1; Degen 1991.) Wir erhalten konsequenter­weise die bekannte Figur , die AngeleIl i (1967 , S. 12; 1991) ontologisches Quadratgenannt hat:

1- - - - - - - - - - - - - - - - - - - ~ - - -I

I I

Prädi zierbarkeit von einem Subjekt

Nein Ja

I Nein

I Enthalten- I

I ~r~n einemI Subjekt

Ja

I- - - - - - - - - -- -

(i) (ii)

von keinem von einemSu~ekt Subdektprä izierbar prä izierbar

"in" keinem "in" keinemSubjekt Subjekt

(iii) (iv)

von keinem von einemSubJekt Su~ektprä izierb ar prä izierbar

"in" einem Ilin"einemSubjekt Subjekt

In der Rubrik (i) des Quadrats finden wir die konkreten Individuen, die AristotelesSubstanzen (bzw. erste Substanzen) nennt. Die paradigmatischen Beispiele dieserKategorie, die man bei Aristoteles findet, sind die physischen Individuen "mittlererGröße" - typischerweise die zu den "natürlichen Arten" zugehörigen Lebewesen,wie Sokrates, ein bestimmter Hund, ein bestimmtes Pferd. Die Kategorie Substanzumfaßt jedoch alle konkreten Individuen überhaupt, und diese bilden nach Aristote­les die Hauptbausteine der Realität. Alles, was in der Metaphysik Aristoteles ' alseine unabhängig existierende Entität auftritt , muß vor allem Substanz sein. Als einwichtiges Kriterium, ob eine gegebene Entität Substanz ist, wird an vielen Stellendie Kontinuität des Gegenstands genannt. Die Substanzen sind Kontinua , wobei essich bei der paradigmatischen Gruppe der Ausgangsbeispiele um eine raumzeitlicheKontinuität handelt. Teile und Kollektive von Dingen sind nach Aristoteles ledig­lich potentiell (dem Vermögen nach) . Sie werden aktuell erst dann, wenn sie tat­sächlich "ausgeschnitten" bzw. zu einem Ganzen "zusammengesetzt" werden , d.h.wenn die Kontinuitätsverhältnisse entsprechend verändert werden .

Heute sind wir es gewöhnt, Entitäten dieser Art als die unproblematischsten Be­wohner des philosophischen Universums zu betrachten . Andere Arten von Entitätenwerden üblicherweise gerade als eine Erklärung der Probleme, mit denen wir im

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 35

Bereich der konkreten Individuen konfrontiert werden, eingeführt. Die Philosophen,die den post-kantianischen Jargon bevorzugen, würden sagen, daß die konkretenIndividuen dieser Art die Hauptkategorie unseres konzeptuellen Schemas bilden,und es gibt bekannte "transzendentale" Argumente für die These, daß sie eine sol­che Hauptkategorie bilden müssen.36

Ohne zu versuchen, die Frage zu beantworten, inwiefern diese philosophischeSelbstverständlichkeit des Substanzbegriffs auf die enorme Autorität des Meistersvon Stagira zurückzuführen ist, bemerken wir dennoch, daß die philosophischenTheorien, welche die Probleme der Welt von konkreten Individuen zu erklärenversuchen, nicht selten in einer Eliminierung der Kategorie der individuellen Sub­stanz kulminieren. Theorien der konkreten Individuen als Bündel von Eigen­schaften, verschiedene Versionen von Prozeß- und Situationsontologien finden wirnur allzu oft;37und zur Zeit Aristoteles' war es doch kein geringerer als Platon, derdie allgemeinen Entitäten als unabhängige Realitäten stipulierte und die Welt derkonkreten Individuen für eine Art Schein erklärte. Vor diesem Hintergrund verliertdie Aristotelische These der ontologischen Priorität von konkreten Individuen denSchein einer Alltagsselbstverständlichkeit und präsentiert sich als das, was sie tat­sächlich war: als eine starke ontologische These, welche die unmittelbare ontologi­sche Tradition dezidiert in Frage stellt und zu ihrer Begründung ein äußerst kompli­ziertes ontologisches Gerüst braucht.

Welches sind aber Entitäten, welche die sonstigen Viertel des ontologischenQuadrats besetzen - die Entitäten, die Aristoteles zufolge, insofern sie überhauptsind, in einem ontologischen Verhältnis zu den Substanzen stehen müssen? DieDichotomie, die nach dem Prinzip der Prädizierbarkeit verläuft, fällt im Grunde mitder Dichotomie Allgemeinheit-Individualität zusammen." Nach Aristoteles heißen"allgemein" diejenigen Entitäten, die als numerisch streng identisch in vielen Indi­viduen vorkommen können. Wenn der Satz: "a und b haben dieselbe Farbe F ' alsBehauptung interpretiert wird, daß die Farbe F als im strengen Sinne dieselbe Enti­tät in beiden Dingen (a und b) vorkommt, dann gehört es zu den Wahrheitsbedin­gungen dieses Satzes, daß die Farbe F eine im obigen Sinne allgemeine Entität ist.

In unserem Buch möchten wir diesem Wortgebrauch folgen. Im Besonderenwollen wir das Wort "abstrakt", das im Rahmen einer vagen Rede von den "abstrak­ten Entitäten" sehr oft auch Allgemeinheit mitbedeutet, für eine andere Funktionreservieren. Als abstrakt wollen wir nämlich diejenigen Entitäten bezeichnen, die inihrer Existenz in Bezug auf andere Entitäten wesentlich unselbständig sind, die alsoin der Aristotelischen Terminologie in einem Subjekt sein müssen. Das Gegenteil

36 Die bekannteste zeitgenössische Argumentation dieser Art finden wir in Strawsons Individuals(Strawson 1964).37 Vgl. z.B. die Prozeßontologie in Whitehead 1929/197 8, die "kombinatorische Tatsachenontologie" inWittgensteins Tractatus (Wittgenstein 1922), die Situationsontologie in Barwise/Perry 1983 und inWolniewic z 1985. Die Theorie der konkreten Individuen als Bündel von Universalien war für einigePerioden Russells charakteristisch. Die These, daß die konkreten Individuen Bündel von individuellenEigenschaften sind, ist die orthodoxe Position im Rahmen der Tropenontologie.38 Vgl. "Vereinfacht, was nicht mehr geteilt werden kann und somit eines der Zahl naeh ist, wird vonkeinem Zugrundeliegenden ausgesagt [...J.", Kategorien, Ib 6-7.

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36 KAPITEL 2

Prädizierbarkeit

der so verstandenen Abstraktheit ist Konkretheit. Konkrete Entitäten existieren "ansich", unabhängig von anderen Gegenständen.

Welche Beziehungen zwischen diesen zwei Dichotomien: allgemein-individuellund abstrakt-konkret bestehen, und insbesondere , ob alle allgemeinen Entitäten afortiori abstrakt sind, hängt von den konkreten Thesen der jeweiligen ontologischenTheorie ab. Eine Platonische Eigenschaft, die als numerisch identisch von vielenIndividuen exemplifiziert werden kann, wäre natürlich eine allgemeine (also nichtindividuelle) Entität. Da sie jedoch völlig unabhängig von der Existenz solcherIndividuen besteht, ist sie zugleich - wie befremdlich es auch klingen mag - keinabstraktes , sondern ein konkretes Seiende. Wenn hingegen, wie es Aristoteles lehrt,Eigenschaften nur in konkreten, individuellen Substanzen sein können, dann sindalle Eigenschaften abstrakt. Auch die Anhänger der individuellen Eigenschaftenwürden auf ihre Abstraktheit bestehen . Die individuellen Eigenschaften können"außerhalb" ihrer Träger nicht existieren. Da sie jedoch individuelle Aspekte dieserTräger bilden, sind sie keine Universalien , sondern abstrakte Individuen . (Die Trä­ger - die konkreten Individuen - werden übrigens von den Anhängern der Tropen­theorie sehr oft als Bündel von individuellen Eigenschaften interpretiert .)

Durch die Kreuzung von den zwei Unterscheidungen individuell-allgemein undkonkret-abstrakt erhalten wir ein neues ontologisches Quadrat:

- ~ - - - - - - - - - - -I

,,,- - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - -, ,, Nein - individuell , Ja - allgemein

r - - - -- - -; - - - -

I Nein

konkret

I Enthalten- ,I sem

"in" einemI Subjekt I

I Ja

~bstrakt

I I- - - - - - - - - -

, , ,

(1) (2)

individuell allgemeinkonkret konkret

Aristotelische Platonisch~Substan z Eigenscha t

(3) (4)

indiv iduell all~meinabstrakt abs akt

individuelle Aristotelis~heEigenschaft Eigenscha t

Nicht nur graphische Ähnlichkeit suggeriert, daß sich die von Aristoteles aufgezähl­ten Kategorien mit den Kategorien unseres Quadrats (zumindest zum Teil) gleich­setzen lassen. Unter der Rubrik (1) haben wir bereits die Aristotelische Substanzund unter (4) die Aristotelische Eigenschaft plaziert und diese Entscheidung er­scheint tatsächlich sehr plausibel.

Die Entitäten, die von anderen Entitäten nicht ausgesagt werden können und inkeinen anderen Entitäten enthalten sind, sind genau die Entitäten, die in unsererTerminologie zugleich individuell und konkret sind; und diese sind Substanzen, so

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 37

wie Aristoteles dieses Wort verstand - die konkret-individuellen Hauptbausteine derRealität.

In den Kategorien (3a 7-4a 13) versucht er, den Substanzbegriff durch ein PaarCharakteristika verständlich zu machen. Eine Substanz ist etwas, das (im Gegensatzzu einem Akzidens) nicht an einem Zugrundeliegenden vorkommt (3a 7-8); sie ist(im Gegensatz zu einer allgemeinen Entität, die als numerisch dieselbe in vielenIndividuen vorkommt) etwas unteilbares und eines der Zahl nach (3b 13); sie läßtkein Gegenteil (3b 24-25) und kein Mehr und Minder (3b 32) zu. "Das am stärk­sten Eigentümliche der Wesenheit [d.h. der Substanz] scheint [aber] zu sein, daßdas, was da mit sich selbig und der Zahl nach eines ist, fähig ist, die gegenteiligenBestimmungen an sich zu nehmen." (4a 10-13) Ein bestimmter Mensch kann z.B."mal warm mal kalt und nichtsnutzig und tüchtig" sein. (4a 21_22)39

Die Kategorie (4) scheint ebenfalls mit der Aristotelischen Kategorie (iv) un­problematisch zusammenzufallen . Der Aristotelische Hauptbegriff der Eigenschaftfaßt Eigenschaften als Entitäten auf, die von anderen Entitäten ausgesagt werdenkönnen (d.h. allgemein sind), die jedoch unabhängig von den individuell-konkretenSubstanzen nicht existieren können. Sie scheinen mithin ontologisch unselbständig(d.h. abstrakt) zu sein.

39 Die Philosophen des XVII und XVIII Jahrhunderts haben sich in ihren Formulierungen des Substanz­begriffs in der Regel auf einen der Aspekte des Aristotelischen Begriffs konzentriert. Descartes betontvor allem die ontologische Selbständigkeit der Substanz. Vgl. "Unter Substanz können wir nur ein Dingverstehen , das so existiert, daß es zu seiner Existenz keines anderen Dinges bedarf; und eine Substanz,die durchau s keines anderen Dinges bedarf, kann man nur als einzige denken, d.h. als Gott. Alle ande­ren aber können, wie wir sehen, nur mit Gottes Beistand existieren . Deshalb gebührt der Name Sub­stanz Gott und den übrigen Dingen nicht in gleichem Sinne, univoce, wie man in den Schulen sagt, d.h.es gibt keine deutlich einzusehende Bedeutung dieses Wortes, welche Gott und den Geschöpfengemeinsam wäre.", Descartes 1644, § 51 (S. 17 f.). Ähnlich sieht die Sache Spinoza, wobei er in ersterLinie die konzeptuelle Unabhängigkeit des Substanzbegriffs betont. Vgl. "Unter Substanz verstehe ichdas, was in sich ist, und durch sich begriffen wird, das heißt das, dessen Begriff, um gebildet werden zukönnen , den Begriff eines anderen Dinges nicht bedarf.", Spinoza 1677, Definition 3 (S. 3). Ihren Hö­hepunkt hat diese Entwicklungslinie im Werk von Leibniz gefunden . Vgl. "Es ist wohl wahr, daß man,wenn mehrere Prädikate ein und demselben Subjekte zugeschrieben werden, und wenn dieses Subjektwiederum keinem anderen mehr zugeschrieben wird, dies eine individuelle Substanz nennt ; das ist abernicht ausreichend , und eine solche Erklärung ist nur nominal. [...] Nun steht fest, daß jede wahre Aus­sage eine Grundlage in der Natur der Sache hat, und wenn ein Satz nicht identisch ist, das heißt , wenndas Prädikat nicht im Subjekte enthalten ist, so muß es darin virtuell enthalten sein, und das nennen diePhilosophen in-esse (In-sein) , indem sie sagen, daß das Prädikat im Subjekt ist. So muß der Subjekt­begriff immer den des Prädikats in sich schließen , derart , daß derjenige, der den Begriff des Subjektesvollkommen verstünde, auch urteilen würde, daß das Prädikat ihm zugehört. Da dies so ist, können wirsagen, daß die Natur einer individu ellen Substanz oder eines vollständigen Wesens darin besteht , einenso erfüllten Begriff zu haben, daß er zureichend ist, um alle Prädikate des Subjekts , dem dieser Begriffzugeschrieben wird, zu verstehen und daraus abzuleiten .", Leibniz 1686a, S. 75. Andere Philosoph enhaben hingegen die Substrat-F unktion für den wichtigsten Aspekt des Substanzbegriffs gehalten. DerSubstanzbegri ff, der für Locke maßgebend ist, ist der Begriff eines erfahrungsmäßig nicht gegeben en(bloß postuli erten) Trägers der erfahrungsmäßig feststellbaren Eigenschaften (die Locke ausnahmslosals Akzidentien interpretiert). Vgl. "So that if any one will examine hirnself concem ing his Notion 0/pure Substanc e in general, he will find he has no other !dea of it at all, but only a Supposition of heknows not what Support of such Qualities, which are capable of producing simple Ideas in us; whichQualities are commonly called Accidents .", Locke 1689, Book 11, Ch. XXIII, § 2. Kant verfolgt dieIntuition, welche die Substanz als ein bleibendes Substrat der Veränderung sieht. Vgl. Kritik der reinenVernunft, A 182, B 225.

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38 KAPITEL 2

Was die Kategorie der individuellen Eigenschaften (3) betrifft, die einerseitsabstrakt, d.h. von den Substanzen seinsabhängig, andererseits jedoch als genau soindividuell wie diese Substanzen sind, so nennt Aristoteles in den Kategorien Bei­spiele solcher Entitäten und situiert sie im Viertel (iii) seines Quadrats . Es handeltsich um Entitäten wie diese individuelle Größe dieses individuellen Sokrates oderdiese individuelle Röte dieser individuellen Rose. In seinem Kommentar zu Aristo­teles' Kategorien schreibt Boethius :

Ebenso auch das Akzidens - denn wenn ich "W issenschaft" sage, so habe ich ein universales Dingerwähnt, weil "Wissenschaft" sowohl über die Grammatik, Rhetorik als auch alle anderen [Disziplinen]prädiziert wird , die ihr untergeordnet sind; wenn ich aber .Platons Wissen" gesagt habe, dann nenne ichein partikuläres Wissen, da ja jedes Akzidenz, was Individuen betrifft, selbst ein Individuum wird undPlatons Wissen wie auch Platon selbst ein partikuläres [Ding] ist. (Boethius, In Categorias, S. 39)

Wir sehen, daß es sich bei diesen "individualisierten" Eigenschaften mit großerWahrscheinlichkeit um individuelle Eigenschaften handelt, die eine eingebaute Zu­gehörigkeit zu einem bestimmten Individuum haben, die also nicht in andere Indi­viduen transferierbar sind. Und mit aller Sicherheit sind solche individuelle Eigen­schaften nicht wiederholbar. Ein anderer Mensch kann die individuelle Größe desindividuellen Sokrates keineswegs haben, selbst wenn er "gleich groß" ist. Auchdann muß er seine eigene individuelle Größe haben, die allerdings der Größe vonSokrates spezifisch gleich ist.40 Wenn wir "ontologisch verbindlich" sagen möchten,daß zwei numerisch verschiedene Gegenstände (die keine gemeinsamen konkretenTeile haben) dieselbe Größe haben, dann müssen wir eine allgemeine Eigenschaftmeinen .

Ob die Kategorie der individuellen Eigenschaften im Rahmen der AristotelischenMetaphysik wirklich eine wichtige Rolle spielt, ist unklar. (Vgl. AngeleIli 1991,S. 12.) Im ersten Kapitel haben wir gesehen, daß die untransferierbaren Tropen inWirklichkeit keine effiziente metaphysische Apparatur liefern. In jedem Fall nenntAristoteles die individuellen Eigenschaften unter (iii). Da er die Prädizierbarkeiteiner Entität von anderen Entitäten mit ihrer Allgemeinheit verbindet," können nachihm solche individuellen Eigenschaften von den anderen Entitäten nicht ausgesagtwerden .42

Größere konzeptuelle Probleme bereitet uns die Aristotelische Kategorie (ii). Wirfinden dort Entitäten, die wie Substanzen in keinen anderen Entitäten enthaltensind, die jedoch von anderen Entitäten ausgesagt werden können (die also in vielenIndividuen wiederkehren können und in diesem Sinne allgemein sind). Es könnte

40 Die Frage, worin dieses Verhältnis besteht, bildet übrigens das Hauptproblern aller Anhänger derindividuellen Eigenschaften. Typischerweise beruft man sich, wie wir im ersten Kapitel gesehen haben,auf die Relation der Ahnlichkeit, die zwischen den individuellen abstrakten Eigenschaften besteht.41 Vgl. ,,[D]ie einen Gegenstände [sind] allgemein [...], die anderen einzeln - mit 'allgemein' meine ich:Was von der Art ist, von mehreren Gegenständen ausgesagt zu werden; mit 'einzeln ' etwas, wo dasnicht geht; Beispiel: 'Mensch' gehört zum Allgemeinen , 'Kallias' zu den Einzelbestimmungen [...]",Hermeneutik, 7, 17a 38-39.42 Die Philosophen, die nur individuelle Eigenschaften anerkennen, versuchen indes zu zeigen , in wei­chem Sinne solche individuellen Eigenschaften von den konkreten Individuen doch ausgesagt werdenkönnen und wie, durch gewisse mengentheoretische Konstruktionen, sogar die Prädikation der Identitätvon Eigenschaften simuliert werden kann .

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 39

sich hier um Platonische Formen handeln, die nach seinem Erfinder doch allgemeinund zugleich konkret (d.h . von anderen Entitäten seinsunabhängig) sein sollen. DieAristotelische Kategorie (ii) ließe sich in diesem Fall mit unserer Kategorie (2)identifi zieren. Bekanntlich hat aber Aristoteles die Existenz derartiger allgemeinerKonkreta an vielen Stellen explizit geleugnet." Die Kategorie (ii), die sich als eineder Möglichkeiten aus der Kreuzung von den zwei Aristotelischen Dichotomienrein kombinatorisch ergibt, müßte also in diesem Fall als eine bloß angeblicheMöglichkeit bezeichnet werden.

Bald werden wir aber sehen, daß man im Rahmen der Aristotelischen Meta­physik doch Entitäten findet, die der Kategorie (ii) zuzuordnen sind. Es handelt sichzudem um eine sehr wichtige Kategorie, ohne die die ganze Aristotelische Meta­physik prinzipiell unverständlich wäre . Die Entitäten, die Aristoteles in Rubrik (ii)situiert heißen substantiale Formen oder zweite Substanzen und bilden unentbehr­liche Bestandteile der ersten Substanzen, die sich in Rubrik (i) befinden. Um dasalles richtig zu verstehen, müssen wir aber unsere Analyse ein wenig komplizieren.

2 .2 SUBSTANTIAL E UND AKZIDENTELLE EIGENSCHAFTEN

Unser ontologisches Quadrat läßt sich also unter diesen Voraussetzungen mit demAristotelischen gewissermaßen vereinigen. Die Sachlage kompliziert sich jedochdadurch, daß wir in unserer bisherigen Untersuchung eine Unterscheidung außerAcht gelassen haben, die für Aristoteles absolut zentral ist. Es handelt sich um dieUnterscheidung zwischen substantialen und akzidentellen Eigenschaften, die in derzeitgenössischen Philosophie aus verschiedenen, teils guten, teils schlechten Grün­den üblicherweise vernachlässigt wird. Nach Aristoteles sind nämlich Bestimmun­gen, die von einem Subjekt ausgesagt werden, keineswegs gleichberechtigt. Unterden Prädikaten, die von einem Gegenstand ausgesagt werden, unterscheidet ereinerseits die Hauptbestimmung, die das " Was" des Gegenstands angibt, und ande­rerseits andere Prädikate, die mehr oder weniger zufällige (akzidentelle) Zuständedes Gegenstands betreffen.

Akzidens nennt man dasjenige, was sich zwar an etwas findet und mit Wahrheit von ihm ausgesagtwerden kann, aber weder notwendig noch in den meisten Fällen sich findet [...]. (Metaphysik,1025a 14_15)44

43Vgl. Z.B. die ausführliche Argumentation in der Metaphys ik, 1038b 8-1041 a 5.44 Weiter schreibt jedoch Aristoteles: "In einer anderen Bedeutung nennt man Akzidens auch das, waseinem Gegenstand an sich zukommt, ohne in seinem Wesen zu liegen, z.B. dem Dreieck die Winkel­summe von zwei Rechten. Das Akzidens in diesem Sinne kann ewig sein, in jenem aber durchausnicht.", Metaphysik, I025a 30-33 . Wir haben hier die Bestimmungen, die mit Notwendigkeit aus demWesen des Gegenstands folgen. Der Begriff Akzidens ist also bei Aristoteles zweideutig. Die Bestim­mung, die sich durchgesetzt hat, ist jedoch vor allem die Erstgenannte: Akzidens als etwas Unwesentli­ches. Vgl. "Ein Seiendes ist entweder an sich oder akzidentell, bzw. ein Begriff ist entweder notwendigoder veränderlich. So ist ein Mensch ein an sich Seiendes, wogegen ein gelehrter Mensch oder einKönig akzidentelle Seiende sind. Denn jedes Ding, das 'Mensch' genannt wird, kann nicht aufhören ,Mensch zu sein, außer es würde vernichtet , dagegen kann jemand beginnen oder aufhören König oderGelehrter zu sein, auch wenn er selbst derselbe ist.", Leibniz 1686b, S. 5.

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40 KAPIT EL 2

Die Entitäten, die von anderen Entitäten prädiziert werden können, zerfallen dem­entsprechend in wesentliche Bestimmungen, die das Was des Gegenstands kon­stituieren, die Aristoteles substantiale Formen nennt, und Akzidentien, die einerSubstanz zwar (ab und zu) zukommen, die jedoch entfallen können, ohne daß dieSubstanz dadurch seine Integrität und Identität verliert. ,,Nebenbei zutreffend [d.h.Akzidens] ist" - definiert Porphyrios - , "solches, was auftreten und auch ver­schwinden kann ohne Verderben für den betroffenen Gegenstand." (Isagoge, 5)

Wir haben hier mit einer der wichtigsten Dichotomien zu tun, die Aristoteles zu­folge die systematische Mehrdeutigkeit des Seienden nach sich zieht. (Vgl. Meta­physik, 1017a 24-30) Sowohl substantiale Form als auch Akzidentien können ineinem grammatisch wohlgeformten und unter Umständen auch sachlich richtigenSatz von einem Subjekt ausgesagt werden. Sie werden allerdings sehr unterschied ­lich ausgesagt. Während man nämlich die Akzidentien von einer Substanz (d.h. voneinem bereits "fertigen" Seienden) prädiziert, kann die substantiale Form erst voneinem durch die höchste metaphysische Abstraktion herauspräparierten unqualifi­zierten (sozusagen "logischen") Subjekt der Prädikation ausgesagt werden. (Vgl.Metaphysik, 1029a 22-24)

Der Grund dafür besteht darin, daß die substantiale Form den unentbehrlichenBestandteil jedes konkreten Seienden bildet. Erst aus der Vereinigung einer solchenForm mit der Aristotelischen Materie (die bei der Prädikation einer substant ialenForm eben als das logische Subjekt fungiert) ergibt sich ein konkretes Seiendes, dasdann als Träger von Akzidentien fungieren kann. Eine Art-Bestimmung (z.B.Mensch) wird also Aristoteles zufolge nicht von einem konkreten Menschen in demSinne ausgesagt, in welchem von ihm seine akzidentellen Eigenschaften (wie z.B.weiß, gebildet) ausgesagt werden. Wir sagen: "dieser Mensch ist weiß" oder "dieserMensch ist gebildet". Zu sagen, daß "dieser Mensch Mensch ist", wäre jedoch zu­mindest extravagant. Derartige Art-Bestimmungen prädizieren wir erst dann, wennwir ein zunächst unbestimmtes Objekt als ein einer bestimmten Art Zugehörigesklassifizieren. Ein paradigmatisches Beispiel einer solchen Prädikation wäre: "dasist (ein) Mensch" , wobei sich das Wort "das" auf ein (zumindest im Rahmen dieserAussage) völlig unbestimmtes Etwas bezieht. Es bezieht sich auf einen Träger­Aspekt, der aus einem Gegenstand auch dann noch bleibt, wenn wir ihm alle seine(akzidentellen und wesentlichen) Eigenschaften "wegnehmen". Diesen Aspekt desSeienden nennt Aristoteles Materie oder Substrat.

Dieses formale Etwas darf natürlich keine Bestimmungen besitzen, durch die esbeschrieben werden kann, denn es wurde genau durch den Ausschluß aller solchenBestimmungen erreicht. Es beinhaltet jedoch mindestens die Individualität, so daßjede Art- oder Akzidens-Bestimmung automatisch eine Bestimmung eines Individu­ums sein muß. Das "Wegnehmen" der Art-Bestimmungen kann übrigens nur fiktiverfolgen. Was real existiert sind Substanzen , die immer eine Zusammensetzungeines Form-Aspekts mit einem Materie-Aspekt beinhalten . Solchen Substanzenkommen dann eventuell auch Akzidentien zu.

Der Aristotelische Begriff der Materie, mit dem wir gerade konfrontiert werden,involviert übrigens mindestens zwei Elemente. Das erste ist der bereits angespro­chene Subjekt-Aspekt. Die Materie fungiert als der endgültige logische Träger, von

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 41

dem sogar die jedes konkrete Ding mitkonstituierende Art-Bestimmung ohne weite­res ausgesagt werden kann. Das zweite Element ist hingegen der Aspekt der Poten­tialität, der die Veränderlichkeit und insbesondere das Entstehen und Vergehen vonSeienden erklärt. In dieser Bedeutung ist Materie das, was bei jeder Veränderungbleibt und was den metaphysischen Ort der Potentialitäten, die in der jeweiligenVeränderung aktualisiert werden, bildet - die Theorie, die wir noch später kurz be­sprechen. Eine Verallgemeinerung dieses Aspekts führt uns zum Begriff der erstenMaterie, die gewissermaßen den Bereich der metaphysischen Möglichkeiten um­grenzt, deren (partielle) Aktualisierungen alle Seienden darstellen, denen wir in derWelt begegnen können.

Wir können jetzt den Sinn verstehen, in dem die so verstandene Materie Indivi ­dualität beinhaltet (und in welchem sie bei Aristoteles als das Individualitätsprinzipfungiert). Die Materie bestimmt, wie gesagt, den Rahmen der ontologischen Mög­lichkeit. Sie schreibt vor, was existieren kann. Nun sind nach Aristoteles die unab­hängig existierenden allgemeinen Entitäten nicht etwa aus irgendwelchen zufälligenGründen nicht vorhanden. Sie sind nach ihm schlechtweg undenkbar, was bedeutet,daß sie den in der Materie vorprogrammierten Rahmen der ontologischen Möglich­keit sprengen.

Was man bei der Interpretation der Aristotelischen Philosophie nicht vergessendarf, ist, daß seine Terminologie gewissermaßen eine Umkehrung dessen bildet,was wir heute (und das heißt vor allem: nach Kant) gewöhnt sind. In der zeitgenös­sischen Ontologie bezieht sich nämlich das Wort "formal" (wie Z.B. in der Bezeich­nung "formale Ontologie") auf diejenigen Aspekte des Seienden, die notwendigestrukturelle Züge der Welt bestimmen, während man unter "materiell" das versteht,was über den kontingenten "Inhalt" der Welt entscheidet.45 Bei Aristoteles funktio­niert diese Terminologie genau umgekehrt. Die "logische Form der Welt" wirddurch die Materie bestimmt46 und substantiale und akzidentelle Formen bilden ge­rade den Inhalt der Welt.

Da also ontologisch selbständige Allgemeinheiten Aristoteles zufolge undenkbarsind und eine derart generelle Undenkbarkeit im Rahmen seiner Metaphysik in derMaterie vorprogrammiert sein muß, beinhaltet der Materie-Aspekt, der in jeder kon­kreten Substanz involviert ist, bereits die Individualität. Deswegen mußte Aristote­les nach keinem zusätzlichen principium individuationis suchen. Die Frage der on­tologischen Individualität wird dementsprechend in einer charakteristischen Weisevon allen epistemischen Fragen, wie man das betreffende Individuum von den an­deren unterscheiden kann, befreit. Es scheint insbesondere, daß Leibniz ' Prinzip derIdentität des Ununterscheidbaren47 durch keine der ontologischen Thesen Aristo-

45 So ist es z.B. bei Husserl und Ingarden, wenn sie von der formalen und materialen Ontologie spre­chen .46 Ingarden schreibt sogar explizit, daß die Materie im Sinne von Aristoteles einen Aspekt der Formeines individuellen Gegenstands darstellt. Vg1.lngarden 1964/65 , Bd. 11, Teil I, Kap VII, §34.47 Vg1."Jede Monade muß sogar von jeder anderen verschieden sein. Denn es gibt niemals in der Naturzwei Seiende, die einander vollkommen gleich wären und bei denen es nicht möglich wäre, einen inne­ren oder auf einer inneren Bestimmung (denominatio intrinseca) beruhenden Unterschied zu finden .",Leibniz 1714, S. 443.

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42 KAPITEL 2

teles' impliziert wird. Ein Aristoteliker, der dieses Prinzip plausibel findet, muß esim Rahmen der Aristotelischen Metaphysik extra postulieren."

Wir kehren jedoch zu den Problemen der Prädizierbarkeit von Entitäten zurück .Die Akzidentien werden nicht von einem unqualifizierten logischen Subjekt, son­dern von einem durch seine wesentlichen Eigenschaften bereits bestimmten , kon­kreten Gegenstand ausgesagt. Sie sind ferner von solchen konkreten Entitäten seins­abhängig und sind in diesem Sinne "in einer anderen Entität". Was hingegen diesubstantiale Form betrifft, so kann sie nicht als in diesem Sinne seinsabhängigbezeichnet werden . Sie ist nicht in einem konkreten Ding in dem Sinne, in welchemdies auf Akzidentien zutrifft. Die substantiale Form konstituiert nämlich (zusammenmit der Materie) jedes konkrete Ding. Der metaphysische Sprung von den abstrak­ten Aspekten (in der Aristotelischen Terminologie : Prinzipien, Ursachen) desSeienden zu den konkreten Individuen findet mit der Instantiierung einer substantia­len Form statt. Diese Instantiierung ergibt "mit einem Schlag" Individuen (und zwarIndividuen der Art, die durch die betreffende substantiale Form bestimmt ist), wo­bei die Form als Allgemeinheitsaspekt des Seienden und die Materie als das Indivi­dualitätsprinzip fungieren . (Vgl. Metaphysik , 1034a 7-8)

Dennoch kann die Form (im Rahmen einer Was-Prädikation) von diesem Ding(und zwar genauer - von seiner Materie) in einer gewissen Weise ausgesagt wer­den. (Vgl. Metaphysik, 1029a 21-24) In einer solchen Aussage wird gewissermaßender Gegenstand in seinem Form-Aspekt von sich selbst in seinem Individualitäts­aspekt prädiziert. In der Was-Prädikation: "das ist (ein) Mensch" bezieht sich dem­gemäß das grammatische Subjekt der Aussage (das Wort "das") auf den unquali­fizierten Individualitätsaspekt, während das grammatische Objekt (der allgemeineName "Mensch") dem Form-Aspekt Ausdruck gibt. In einer Prädikation eines Ak­zidens : "dieser Mensch ist gebildet" bezieht sich hingegen das grammatische Sub­jekt auf einen individuellen Gegenstand, dem eine (akzidentelle) Eigenschaft zuge­schrieben wird, auf die sich das grammatische Objekt ("gebildet") bezieht. DieWas-Prädikation können wir, angesichts dieser Besonderheiten interne Prädikationnennen, und zwar im Gegensatz zur externen Prädikation, in der ein Akzidens voneinem individuell-konkreten Subjekt ausgesagt wird.

Aristoteles sagt in den Kategorien (Kap. 5, 2a), daß bei der Prädikation vonArten (von zweiten Substanzen) von einem Subjekt sowohl der Name als auch derBegriff ausgesagt wird. Die erste Substanz - ein individueller Mensch - , von derAristoteles zufolge die zweite Substanz (die Art Mensch) ausgesagt wird (auchwenn als Subjekt der Prädikation streng genommen nicht die Substanz, sondern derunqualifizierte Materie-Aspekt dient), ist wesentlich ein Mensch. In diesem Sinnewird in einer solchen Prädikation sowohl der Name als auch der Begriff ausgesagt.Bei den Akzidentien hingegen (sofern sie überhaupt prädizierbar sind, d.h. nicht alsindividuelle Akzidentien verstanden werden) kann von einem Subjekt ausschließlichder Name ausgesagt werden. Ein bestimmter Mensch kann zwar unter Umständenwahrhaftig als gebildet bezeichnet werden, gebildet zu sein gehört jedoch nicht zumBegriff eines Menschen . Gebildet zu sein ist kein konstitutives Element der Art

48 Brentano bestand auf diesem Prinzip . Vgl. z.B. Brentano 1933, S. 247.

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 43

Mensch. Es gibt sowohl gebildete als auch ungebildete Menschen. In diesem Sinnewird in einer solchen Prädikation lediglich der Name, jedoch nicht der Begriff aus­gesagt.

Dieses Bild der inneren Struktur des Seienden findet seine Entsprechung in derAristotelischen Lehre von der Definition. Einen Begriff von einer Entität zu habenheißt nach der Aristotelischen Intentionalitätslehre, die wir noch im letzten Ab­schnitt dieses Kapitels kurz besprechen, die Form des betreffenden Gegenstands(des Gegenstands, der unter den Begriff fällt) in einer speziellen (mentalen) Weiseaufzunehmen . Solche Begriffe erweisen sich aber als analysierbare Strukturen, dieim Besonderen die realistischen Erklärungen der modalen Kontexte, auf die wir imersten Kapitel aufmerksam gemacht haben, zulassen.

Einen Begriff zu definieren, heißt nach Aristoteles die nächste Gattung der Enti­tät, die unter den Begriff fällt, anzugeben, zusammen mit der differentia specifica,die sie von den anderen Entitäten, die zu dieser Gattung gehören, unterscheidet.Aristoteles verwendet hier ein Modell, nach dem Begriffe gewissermaßen ausTeilen bestehen. Der Begriff Lebewesen bildet z.B. einen echten Teil des BegriffsPferd, und die Entscheidung, welches der zwei Begriffselemente als ein Teil undwelches als ein umfassendes Ganzes betrachtet werden soll, hängt davon ab, wel­ches Element "abgetrennt" werden kann und welches nicht. Aristoteles stützt sichauf die Intuition, die besagt, daß die Teile, die in einem Ganzen vollständig enthal­ten sind, aus diesem Ganzen herauspräpariert werden können, so daß sie (die Teile)weiter bestehen. Ein Ganzes hingegen, aus dem ein Teil entfernt wurde, wird durcheine solche Operation eo ipso vernichtet.49 Er betrachtet konsequenterweise dieabtrennbaren Begriffselemente als Teile und die nicht-abtrennbaren Begriffs­elemente als sie umfassende Ganze.

Den BegriffPferd können wir Z.B. nicht denken, ohne den Aspekt Lebewesen zuberücksichtigen. Denn jedes Pferd muß doch ein Lebewesen sein. Der BegriffLebewesen kann jedoch auch unabhängig vom Begriff Pferd gedacht werden. Esgibt viele Lebewesen, die keine Pferde sind (oder es kann zumindest solche Lebe­wesen geben). Das begriffliche Element Lebewesen ist demgemäß vom begriffli­chen Element Pferd abtrennbar, jedoch nicht umgekehrt. Nach der AristotelischenMetapher bedeutet dies, daß das Element Lebewesen einen echten Teil des ElementsPferd bildet. Dieses Verhältnis Teil-Ganzes, das nach dieser Lehre zwischen denbegrifflichen Elementen besteht, bildet übrigens die Umkehrung vom Inklusions­verhältnis, das zwischen den Mengen der Gegenstände, die unter Begriffe fallen,besteht (zumindest wenn man alle möglichen Gegenstände berücksichtigt). Das Be­griffselement Lebewesen bildet einen (echten) Teil des Begriffselements Pferd, undeben deswegen bildet die Menge der Pferde lediglich eine Teilmenge der Mengeder Lebewesen . In diesem Sinne soll die häufig wiederholte These verstanden wer-

49 VgI. "Dem Begriffe nach nämlich ist das Allgemeine früher, der sinnlichen Wahrnehmung nach dasEinzelne. Und dem Begriffe nach ist auch das Akzidens früher als das Ganze (dem es zugehört), Z.B.Gebildet früher als gebildeter Mensch. Denn der Begriff kann als gesamter nicht bestehen , ohne denTeil; wiewohl Gebildet auch nicht existieren kann, ohne daß jemand gebildet ist.", Metaphysik ,IOl8b 34-37. Chisholm nennt dieses Prinzip das Prinzip des mereologischen Essentialismus. VgI. Z.B.Chisholm 1982a, S. 8.

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44 KAPITEL 2

den, daß mit der Bereicherung des Inhalts des Begriffs sein Umfang abnimmt undumgekehrt.50

Das folgende einfache Schema mag diese Ideen veranschaulichen.

Ding,I " , alle (möglichen) Dinge

Abstraktion

alle (möglichen) Tiere

x :.....r :

[;]1-----4Lebewesen , I

, ,

",

, I

I

Abstraktion I I I

I ,

, ' ,

@ ~ :,.,.,. ,

" ,Lebewesen ' , ,

, ,Pferd

- -

alle (möglichen)

Pferde

Begriffe (mögliche) Entitäten,

die unter Begriffe fallen

Die Abstraktion, die im wesentlichen in der Thematisierung der inneren Struktureines Begriffs und in der Abtrennung seiner abtrennbaren Teile besteht, führt unshier zunächst vom Begriff eines Pferdes zum Begriff eines Lebewesens und dann,im nächsten Schritt, vom Begriff eines Lebewesens zum Begriff eines Dings. DenTeil-Ganzes-Verhältnissen von Begriffselementen entsprechen die Inklusionsver­hältnisse der (möglichen) Umfange. Die Menge der (möglichen) Pferde ist eineechte Teilmenge der Menge der (möglichen) Lebewesen, und die Menge der (mög­lichen) Lebewesen ist eine echte Teilmenge der Menge der (möglichen) Dingen .

Bisher haben wir ausschließlich von den Begriffselementen gesprochen, die denElementen von substantialen Formen der Seienden entsprechen . Was geschiehtjedoch, wenn wir jetzt auch die Akzidentien berücksichtigen? Denken wir uns bei­spielsweise ein weißes Pferd, das sich am Ort 0 befindet und versuchen wir, dielogische Struktur dieses Begriffs zu analysieren.

50 Es ist allerdings logisch nicht ausgeschlossen, daß es nur eine Art von Lebewesen , nämlich Pferde,gibt. In diesem Fall wurde nat ürlich die Regel scheitern . Deswegen haben wir betont , daß man hiereigentlich von den möglichen Gegenständen sprechen muß. Im Allgemeinen haben wir es hier miteinem stark nicht-extensionalen Diskurs zu tun.

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 45

Der erste Punkt, den wir bemerken, ist, daß man hier nur sehr bedingt im Rah­men einer einfachen verschachtelten Struktur operieren darf. Wir können natürlichden Begriff eines weißen Pferdes als ein Ganzes, das den Begriff eines Pferdes alsTeil enthält, interpretieren . Ein weißes Pferd muß natürlich ein Pferd sein, aber einPferd muß nicht unbedingt weiß sein. Alles scheint mithin in Ordnung zu sein.

Das erste Problem taucht aber auf, wenn wir auch die Bestimmung sich-am-Ort­O-zu-bejinden berücksichtigen. Sollen wir etwa den Begriff eines weißen Pferdesals ein Teil des Begriffs eines weißen Pferdes, das sich am Ort 0 befindet, inter­pretieren? Wir können es natürlich tun. Ein solcher Schritt scheint aber schon sehrarbiträr zu sein.

Die akzidentellen Bestimmungen müssen also im Aristotelischen Modell andersbehandelt werden. Sie gehen nicht mehr in die verschachtelte Begriffsstrukturhinein, die in der Aristotelischen Definition zum Ausdruck kommt, sondern bildenStrukturen, die zwar in Bezug auf ihre Substanz unselbständig sind, die aber inBezug auf andere Akzidentien keine solche Unselbständigkeit aufweisen. Graphischkann die Situation folgendermaßen illustriert werden:

I weisse Gegenstände

>:

Pferd

r---- - --- ---.,I I

I I

I

I

[ II

I

I

Weiss ---......;:~ Ir- - - - - - - - - 'I - - - - - - - - - - I

___ _ _ _ _ _ _ _ I I I

I I I Pferde II : I I: : ~- - - - - - - - - - ~ -:~ __ I ~ : I

I , I I

I I I

- - - - - ,- - - - - - - .- - - - - - - -

Gegenstände, die sich

am Ort 0 befindenI

I

II I

J

I>:

Begriffe Gegenstände

Die begriffliche Struktur auf der linken Seite involviert den substantialen Kern (denBegriff Pferd) und zwei akzidentelle Komponenten (Weiß und am-Ort-Oi . DieseKomponenten befmden sich auf derselben logischen Ebene (jede kann entfallen,ohne daß die andere gefährdet würde), und sie sind weder im Begriff eines Pferdesenthalten, noch enthalten sie den Begriff eines Pferdes als ihren Teil. Auch diese

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46 KAPIT EL 2

Eigenschaft ist richtig, denn weiß bzw. am Ort 0 kann doch nicht nur ein Pferd,sondern auch ein Mensch, ein Hund oder ein Tisch sein; und ein Pferd brauchtebenfalls weder weiß noch am Ort 0 zu sein.

Die akzidentellen Bestimmungen sind dennoch begrifflich unselbständig . Siebrauchen zwar nicht unbedingt den Begriff Pferd als ihre Vervollständigung,irgendeinen Begriff (einer Substanz) brauchen sie aber zwangsläufig . Akzidentienexistieren nämlich nur in einer Substanz. Diese Besonderheit haben wir zum Aus­druck gebracht, indem wir eine Seite des jeweiligen Akzidens-Begriffs mit einergestrichelten Linie gezeichnet haben.

Ein weiterer wichtiger Punkt besteht darin, daß wir auf der rechten Seite desSchemas, wo sich die Umfänge der Begriffe befinden, nicht mehr mit den mögli­chen Umfängen operieren . Möchten wir es tun, könnten wir kein bestimmtes Sche­ma erhalten . Es ist möglich, daß alle Pferde weiß sind, es ist aber auch möglich, daßsie alle schwarz sind. Es ist möglich, daß es nur ein einziges Pferd gibt, das sich amOrt 0 befindet , es ist aber genauso möglich, daß wir am Ort 0 kein Pferd finden.Was für ein Akzidens charakteristisch ist, ist eben das, daß es etwas Zufälliges(eben etwas Akzidentelles) ist.

Welches war aber Aristoteles' Kriterium für die Unterscheidung von substan­tialen und akzidentellen Charakteristika, die, wie wir sehen, so schwerwiegendeKonsequenzen hat? Nun scheint es, daß die Begriffe von "natürlichen Arten" (inerster Linie diejenigen von Tieren und Pflanzen) deswegen eine so ausgezeichneteontologische Stellung genießen, weil sie gerade diejenigen Begriffe sind, die in denErklärungen der Biologie und Zoologie die zentrale Rolle spielen. Dies waren zwei­felsohne Disziplinen, die für Aristoteles am wichtigsten waren. Sogar in seiner Phy­sik hat er nicht die geringste Tendenz, die Hauptarten von Seienden etwa auf phy­sische Objekte zu reduzieren, was für uns heute so selbstverständlich erscheint. DieHierarchie der natürlichen Arten wird stattdessen zu einem wesentlichen Bestandteileiner stark teleologischen Sichtweise . In den Untersuchungen der Ethik und Politikspielt wieder der Begriff eines (handelnden) Menschen eine zentrale Rolle.

Wir haben bemerkt , daß die streng geordnete Reihenfolge nur in Bezug auf diesubstantialen Begriffselemente als natürlich erscheint. Die Reihenfolge Pferd, Lebe­wesen, Ding scheint fest bestimmt zu sein und läßt sich, wie es scheint, nicht um­kehren bzw. anders verändern . Es ist klar, daß jedes Pferd ein Lebewesen sein muß,jedoch nicht umgekehrt, daß jedes Lebewesen ein Ding sein muß, aber nicht jedesDing ein Lebewesen . Die Begriffe von Akzidentien weisen hingegen keine solchefeste Ordnung auf.

Die substantialen Bestimmungen scheinen also eine starre Hierarchie aufzuwei­sen, die bei den akzidentellen Bestimmungen offensichtlich fehlt. Der Grund dafürbesteht wieder darin, daß die Bestimmungen, die wir mit Aristoteles "substantial"nennen, im Gegensatz zu den als akzidentell bezeichneten Bestimmungen wichtigeBestandteile des wissenschaftlichen Weltbilds sind und dementsprechend schon seitlangem in die wissenschaftlichen Gesetze und Klassifikationen tief eingebettet sind.Das Netz dieser Gesetze und Klassifikationen determiniert die Bedeutung der ent­sprechenden Termini, so daß es ohne weiteres klar ist, daß jedes Pferd ein Lebewe­sen ist, aber nicht umgekehrt . Wäre für unsere allgemeine Klassifikation aus irgend-

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 47

welchen Gründen eher das Merkmal weiß zu sein von übergeordneter Bedeutung,müßte es vielleicht noch vor der Bestimmung Lebewesen situiert werden, so daßweiße und nicht-weiße Lebewesen als gattungsverschieden angesehen werdenmüßten . Wenn dann auch die Frage, ob etwas ein Lebewesen oder ein Stück unbe­lebter Materie ist, für unsere Zwecke ganz irrelevant wäre, würde wahrscheinlichdie Bestimmung ein Lebewesen zu sein zum Status einer akzidentellen Bestimmungdegradiert.

Es scheint mithin, daß die Erklärung der privilegierten Stellung der Artbegriffeim Grunde pragmatisch ist. Sie sind diejenigen Begriffe, die das Hauptgerüst derhöchsten Form der Wissenschaft, die für Aristoteles zugänglich war, bildeten. Obman angesichts der Relativität der wissenschaftlichen Weltbeschreibung, mit derwir heute so vertraut sind, die metaphysische Relevanz der Unterscheidung vonsubstantialen und akzidentellen Eigenschaften nicht in Frage stellen soll, wollen wirnicht entscheiden. Es gab jedenfalls viele Philosophen, die sie in Frage gestellthaben .51

Die Relativität der wissenschaftlichen Klassifikationen können wir übrigens amBeispiel von einigen Thesen Aristoteles' sehr klar beobachten. Wir meinen seinevom heutigen Standpunkt völlig phantastische Astronomie, derentwillen er ewige,unveränderliche Substanzen postulierte, oder die überlieferte Lehre der "Naturphi­losophen" von den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer, die Grundsto ffeder Welt darstellen sollen, aus welchen alle Gegenstände irgendwie zusammenge­setzt werden . Im Gegensatz zu Aristotelischen biolog ischen Klassifikationen, diewir heute als zwar "ungenau", jedoch nach den im Grunde richtigen Prinzipiendurchgeführt bezeichnen würden, neigen wir dazu, die eben erwähnten Theorienkurzerhand für prinzipiell verkehrt zu erklären.

Die Probleme der radikalen Umstrukturierung der konzeptuellen Schemata , dieuns heute so selbstverständlich erscheinen, wären jedoch für Aristoteles aller Wahr­scheinlichkeit nach überhaupt schwer vorstellbar. Die Zeit der philosophischen The­matisierung von wissenschaftlichen Revolutionen sollte erst viel später kommen .

2 .3 DAS SEIENDE IM SINNE DER KATEGORI EN

Verschiedene Weisen der Prädikation spiegeln Aristoteles zufolge die systematisch eMehrdeutigkeit des Seienden wider. Die Kopula kann manchmal sehr ungezwungenangewendet werden. Die grammatische Form derartiger Aussagen hat zunächstkeine direkte metaphysische Relevanz . "Das Seiende wird" - sagt uns Aristoteles ­in diesem Fall "in akzidentellem Sinne ausgesagt" . (Metaphysik , 1117a 7) Dieextreme Form einer solchen Redeweise bilden Sätze der Art: "Der Gebildete istweiß", in denen ein Akzidens von einem anderen ausgesagt wird. Der Satz ist wahr,wenn die beiden Akzidentien (zufälligerweise) demselben Subjekt zukommen.

Das Seiende kann jedoch auch "an sich" ausgesagt werden . (Metaphysik, 1117a7-8) Der Sprachgebrauch wird in diesem Fall durch die ontologischen Abhängig-

51 Es gibt allerdings Philosophen, die die Aristotelische Unterscheidung zwischen substantialer Art­Form ("kinds") und akzidentellen Bestimmungen auch heute ernst nehmen. Vgl. Loux 1978, S. 163­166; Loux 1998, S. 117-127; Wiggins 1980; Lowe 1989.

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48 KA PITEL 2

keitsverhältnisse geleitet und spiegelt gewissermaßen die innere Struktur des Seien­den wider. Auch in diesem Fall wird jedoch die Kopula mehrfach verwendet unddiese Mannigfaltigkeit mimt die Mannigfaltigkeit des Seienden, die Aristoteles inseinen Kategorien darzulegen versuchte .

Das Seiende ist mehrdeutig, weil es teils als Was (als zweite Substanz und zwarin diesem Fall vom unqualifiz ierten Subjekt - von der Materie), teils als Akzidens(diesmal von der individuell-konkreten Substanz) ausgesagt wird. Die Akzidentienzerfallen ihrerseits noch in absolute (d.h. einstellige) Akzidentien, die als ihr Seins­fundament nur ein einziges Subjekt fordern, und relative Akzidentien , die ein Sub­jekt zu einem anderen in Beziehung setzen. Die absoluten Akzidentien zerfallendann noch in verschiedene Typen . In der Metaphysik nennt Aristoteles Quanti­tät, Qualität , Tun, Leiden, Wo und Wann. (Metaphysik, 1l17a 24-28)

Das Seiende ist also mehrdeutig - es ist kein Gattungsbegriff. Diese Mehrdeutig­keit ist jedoch nicht zufällig, sondern systematisch . Alle Kategorien stehen nämlichin bestimmten Verhältnissen zum zentralen Begriff der individuell-konkreten Sub­stanz. Der Begriff Seiendes ist dementsprechend zwar kein allgemeiner Gattungs­begriff, unter den alle Kategorien des Seienden aufgrund eines gemeinsamen Cha­rakteristikums fallen würden. Neben dem Begriff Eines gehört auch der BegriffSeiendes zu den Begriffen, die man später transzendentale Begriffe nannte. Sietranszendieren die höchsten Gattungen (Kategor ien) und lassen sich buchstäblichauf alles anwenden . Denn alles, worauf der Begriff des Seienden nicht anwendbarwäre, wäre ein Nicht-Seiendes und ein Nicht-Seiendes gibt es nicht (und zwar nichtetwa per Zufall, sondern per dejinitionem) . Nichtsdestoweniger gibt es ein leitendesPrinzip , das die Anwendung des Quasi-Begriffs des Seienden reguliert, das Seiendewird zwar mehrdeut ig, nichtsdestoweniger analog ausgesagt. (Vgl. Metaphysik,1003a 33-1003b 19) Das Prinzip steckt in den Abhängigkeitsverhältnissen voneiner Substanz , die in alle Aspekte des Seienden eingebaut sind. Alles, was ist, istentweder Substanz oder von der Substanz irgendwie seinsabhängig . (Metaphysik,1003b 6-10, 1028a 10-20) Die gesamte Aristotelische Metaphysik kann als eineminuziöse Entfaltung dieses leitenden Prinzips angesehen werden.

Die Konsequenzen der Aristotelischen Kategori enlehre für die Interpretation desontologischen Quadrats sind nicht schwer einzusehen . Die Kategorie der allgemei­nen Eigenschaften unseres Quadrats (4), zerfällt in zwei Klassen: die allgemeinenAkzidentien und die allgemeinen substantialen Formen. Der Kategorie (iv) desAristotelischen Quadrats sollten dann ausschließlich die allgemeinen Akzidentienzugeordnet werden, während die substantialen Formen (die von anderen Entitätenausgesagt werden, die jedoch nicht "in" anderen Entitäten sind) den Platz (ii)belegen. Die Kategorie (iii) würde in dieser Situation nur die individuellen Akzi­dentien enthalten.

Auf dieser Basis können wir versuchen, das allgemeine Schema eines wichtigenFragments der Aristotelischen Metaphysik zu konstruieren :

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 49

Materie(Stoffursache)ung\lalifiziertesSubjekt

Form(Formursache)Art-Aspekt

, Relationsprädikation,, Beispiel : "A ist der

gleichen Art wie B"

«:

Mensch,

Lebewesen ,_ _ _ _ _ _ I

I I usw... I I

1 1-----) I I,

r - - - - - -- --~~ ~

11

1

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I weiss , 1

' - - - - , 1\ ,

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1 \ I1 I

__ _ _ _ I 1

: gebildet ~ - - :- - ,1 1 1

Akzidens

Akzidens

"externe" PrädikationEin Akzidens wird vomqualifizierten Subjekt(von der Substanz) ausgesagt.

Beipiel: "Dieser Mensch ist weiss.

"interne" PrädikationDie Form wird vomunqualifizierten Subjektausgesagt.

Beipiel: "Das ist (ein) Mensch. "

"bloss akzidentelle" PrädikationEin Akzidens wird vomeinem anderen Akzidens(desselben Subjekts)ausgesagt.

Beipiel: "Der Weisse ist gebildet. "

Die mit der gestrichelten Linie gezeichneten Ellipsen symbolisieren die individuell­konkreten Substanzen - die Aristotelischen Hauptbausteine der Realität. Jede Sub­stanz enthält zwei immanente Ursachen (bzw. Prinzipien) - Stoffursache (Materie),weIche die Individualität des Seienden bestimmt und Formursache (substantialeForm), die den Art-Aspekt des Seienden bildet. Formursachen sind (unserem) Aris­toteles zufolge genuine Allgemeinheiten in rebus. Deshalb wurde die Form Menschals ein gemeinsamer Teil von zwei Substanzen symbolisiert. Durch das Abstrak­tionsvermögen der menschlichen Seele kann eine solche Form in Gedanken abge­trennt werden, wodurch eine Wissenschaft, die zwar von den Individuen handelt,jedoch von der Einmaligkeit der konkreten Individuen abstrahiert, möglich ist.52

In den Substanzen "stecken" ihre (seinsabhängigen) Akzidentien. Sie sind einer­seits allgemein, d.h. können von vielen Substanzen sinnvoll ausgesagt werden.Viele Rosen sind rot. Andererseits besitzen sie einen Individualitätsaspekt. Sie kön­nen auch als diese individuelle Röte dieses konkreten Individuums aufgefaßt wer­den. Jede Rose hat in einem gewissen Sinne "ihre eigene" rote Farbe . In dieserForm sind Akzidentien nach Aristoteles schon nicht mehr von anderen Entitäten

52 Platon, der einerseits zwischen dem Allgemeinen und Individuellen eine unüberbrückbare Kluft sah,und andererseits als den Gegenstand der Wissenschaft das Allgemeine sehen wollte, wurde schließlichzur Theorie geführt, die die echte Realität den real abgetrennten Allgemeinheiten (Ideen) zumißt unddie Welt der sinnlichen Individuen für eine Art Schein erklärt. Für Aristoteles, der den Allgemeinheits­aspekt in den Individuen pIaziert und dem menschlichen Verstand ein Abstraktionsvermögen zus­chreibt, existiert dieses Dilemma nicht. Die Wissenschaft handelt in allgemeiner Weise von den kon­kreten Individuen.

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50 KAPIT EL 2

prädizierbar. Dieser Doppelseitigkeit der Akzidentien versuchen wir graphischRechnung zu tragen, indem wir in ihnen einerseits einen mit dem Namen des Akzi­dens beschriebenen Kasten, der sich außerhalb der Substanz befindet und als iden­tisch derselbe mit mehreren Substanzen verbunden werden kann (Allgerneinheits­aspekt), und andererseits eine Linie, die den Kasten mit der individuell-konkretenSubstanz verbindet, und teilweise "in" der Substanz steckt, unterscheiden. DieAllgemeinheitskasten könnten, ähnlich wie die den Substanzen immanenten sub­stantialen Formen, mehreren Substanzen zukommen, was ihre strenge Allgemein­heit symbolisieren soll.

In unserem Schema haben wir auch versucht, verschiedene Weisen der Prädika­tion zu veranschaulichen, welche die systematische Mehrdeutigkeit des Seiendenwiderspiegeln. Wir haben eine ontologisch unverbindliche bloß akzidentelle Prädi­kation, in der zwei beliebige Charakteristika durch die Kopula "ist" verbunden wer­den. Ein derartiger Satz wird wahr sein, wenn die genannten Charakteristika (zufäl­ligerweise) demselben Subjekt zukommen . Außerdem haben wir Prädikationen, indenen das Seiende "an sich" ausgesagt wird, und zwar in drei Hauptformen: die"interne" Was-Prädikation, die den Aspekt der substantialen Form von einem un­qualifizierten Subjekt der Prädikation (von der Materie) aussagt, die "externe" Prä­dikation von absoluten (monadischen) Akzidentien, die schon von der qualifiziertenSubstanz ausgesagt werden, und die (ebenfalls "externe") Relation-Prädikation, inder einer Substanz ein Charakteristikum zugeschrieben wird, das sie erst in Bezugauf eine andere Substanz hat.

In unserem Schema haben wir als Beispiel einer Relation-Prädikation den Satz,,A ist der gleichen Art wie B" genommen, in welchem dem A eine Eigenschaftaufgrund der Relation der Gleichartigkeit, in der es zum B steht, zugeschriebenwird. Diese Relation besteht zwischen zwei Substanzen genau dann, wenn sie die­selbe substantiale Form instantiieren . Unsere Relation reduziert sich demgemäß imGrunde auf bestimmte monadische Eigenschaften ihrer Fundamente (darauf, daßbeide Fundamente dieselbe substantiale Form instantiieren). Die Relation derGleichartigkeit besteht zwischen A und B genau dann, wenn A und B dieselbe sub­stantiale Form instantiieren. Daß A und B dieselbe substantiale Form instantiieren,bildet die notwendige und hinreichende Bedingung des Bestehens dieser Relation .Auch für viele andere Arten von Relationen scheint die These ihrer Reduzierbarkeitauf monadische Eigenschaften ihrer Fundamente völlig berechtigt zu sein. Die Tat­sache, daß Hans größer als Peter ist, ist durch ihre absoluten Größen impliziert. DieTatsache, daß Peter dennoch intelligenter ist, reduziert sich in einer ähnlichen Weiseauf ihre absoluten "geistigen" Attribute .

Es scheint, daß Aristoteles diese These in Bezug auf alle Relationen aufstellenwollte. Er schreibt, daß "das Relative am wenigsten ein Wesen und etwas Seiendesist" (Metaphysik, 1088a 30-31), und als Argument dafür dient die Feststellung, daßbei den Relativen kein selbständiges Entstehen und Vergehen stattfindet in demSinne, in welchem dies bei den monadischen Eigenschaften der Fall ist. Ein Rela­tives entsteht und vergeht abhängig davon, wie sich die monadischen Eigenschaftender Fundamente der Relation verändern. ,,[O]hne verändert zu werden, wird das-

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 51

selbe bald größer, bald kleiner oder gleich sein, wenn das andere der Quantität nachverändert ist." (Metaphysik, I088a 34-1088b 1)

Aristoteles glaubte also offensichtlich nicht an Relationen, die viel später vonRussell "extern" genannt wurden. Die Relation R ist in diesem Sinne extern, wennsie zwischen zwei Gegenständen a und b besteht und wenn es möglich ist, daß eszwei Gegenstände x und y gibt, die so sind, daß x dieselben monadischen Eigen­schaften wie a und y dieselben monadischen Eigenschaften wie b haben, und daßzwischen x und y die Relation R nicht besteht. Externe Relationen bestehen alsounabhängig von den monadischen Eigenschaften ihrer Glieder. Die These, daß eskeine externen Relationen im Sinne Russells gibt - die These, die nicht nur Aristo­teles vertritt - kann man die These der Sup ervenienz von Relationen nennen. Sie be­sagt, daß zwischen zwei Gegenständen a und b nur dann eine Relation R besteht,wenn a und b derartige monadische Eigenschaften haben, die das Bestehen derRelation R zwischen a und b mit Notwendigkeit implizieren. In diesem Sinne sollenalle Relationen auf den monadischen Eigenschaften ihrer Glieder supervenieren . Imersten Kapitel haben wir gesehen, daß wenn wir uns erlauben, Prädikatenvariablenzu quantifizieren, die These der Supervenienz von Relationen folgendermaßen for­muliert werden kann:

(Sup.) (Vx)(Vy)(VR){xRy ;: (3F)(:3G)[Fx A Gy A D(Vz)(Vw)(Fz A Gw :::)zRw)]}

Und wenn wir darauf bestehen möchten, daß diese ontologische Reduzierbarkeitallen Relationen nicht bloß kontingent zukommt, sondern aus dem Wesen der onto­logischen Kategorie Relation folgt, können wir eine modalisierte Version anneh­men:

(Sup.D) D(Vx)(Vy)(VR){xRy ;: (3F)(3G)[Fx A Gy A D(Vz)(Vw)(Fz A Gw :::)zRw)]}

Diese These ist für unsere weiteren Analysen sehr wichtig. Es scheint, daß sie so­wohl für Brentano als auch für viele seiner Schüler als ein unerschütterliches Axiomfungierte. Wir haben schon im ersten Kapitel betont, daß es nicht ganz klar ist, obdie These der Supervenienz von Relationen als ihre Reduzierbarkeit auf monadischeEigenschaften interpretiert werden soll, und zwar vor allem deshalb, weil der invol­vierte Begriff der Reduzierbarkeit nicht immer einen klaren Sinn besitzt. Umso we­niger wollen wir behaupten, daß die These der Supervenienz eine ontologische"Unwichtigkeit" von Relationen impliziert. Es ist allerdings per definitionem klar,daß das Bestehen bzw. Nicht-Bestehen von Relationen, die in dem obigen Sinne aufden monadischen Eigenschaften supervenieren, durch die monadischen Eigenschaf­ten ihrer Glieder mit Notwendigkeit impliziert sind. Wenn wir eine vollständige Be­schreibung der Welt, in der nur solche Relationen auftreten, liefern möchten,bräuchten wir also lediglich alle Gegenstände und alle ihre monadischen Eigen­schaften zu spezifizieren. In diesem - und nur in diesem - Sinne kann man behaup­ten, daß die supervenierenden Relationen auf die monadischen Eigenschaften ihrer

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52 KAPIT EL 2

Glieder ontologisch reduzierbar sind. In diesem Sinne sind sie also tatsächlich "amwenigsten ein Wesen und etwas Seiendes".

2 .4 DAS DEM VERMÖGEN NACH UND DER WIRKLICHKEIT NACHS EIENDE

Die oben skizzierte "innere Struktur" des Seienden erschöpft jedoch keineswegs dieontologische Apparatur, die Aristoteles den konkurrierenden Theorien gegenüber­stellen wollte . Eine sehr wichtige Unterscheidung, die der Aristotelischen Philoso­phie den Weg zum Erfolg geebnet hat, ist die Unterscheidung zwischen dem demVermögen nach und dem der Wirklichkeit nach Seienden. Erst diese Unterschei­dung erlaubte es Aristoteles, die Phänomene der Bewegung und Veränderung kohä­rent zu erklären - die Probleme , mit denen die ganze voraristotelische Philosophieenorme Schwierigkeiten hatte.

So hat man bekanntlich in der Schule von Parmenides argumentiert, daß jedeVeränderung zugleich einen Übergang von einem Seienden (von dem, was vor derVeränderung war) zu einem Nicht-Sein dieses Seienden und von einem Nicht­Seiendem (von dem, was es vor der Veränderung nicht gab) zu einem Seienden be­deuten muß . Das Seiende muß sich also, sofern es sich verändert , in ein Nicht­Seiendes verwandeln und ein Nicht-Seiendes muß zugleich zum Seienden werden.Nun gibt es ein Nicht-Seiendes per dejinitionem nicht, wovon zu folgen scheint, daßVeränderung unmöglich ist.

Generationen von Philosophen haben deshalb versucht , beobachtbare Verände­rungen für eine Art Schein zu erklären. Platon, der die erfahrungsmäßig zugäng­liche Welt mit Heraklit als einen ständigen Fluß der Veränderung sah, postuliertedeshalb eine andere Welt der real abgetrennten Allgemeinheiten, die nach den Par­menideischen Prinzipien funktioniert. Nur diese unveränderlichen Allgemeinheitensind Seiende im strengen Sinne . Die sinnlich wahrnehmbare Welt wird zu einemSeienden als ob degradiert, wobei die Natur dieser schwächeren Seinsweise höchstunklar blieb und später in den neuplatonischen Schulen immer aufs neue reinter­pretiert wurde .

Aristoteles hat jedoch derartige Ergebnisse als eine reductio ad absurdum derVoraussetzungen der Folgerung interpretiert. "Für uns dagegen soll die Grundan­nahme sein", lesen wir in seiner Physik, "die natürlichen Gegenstände unterliegenentweder alle oder zum Teil dem Wechsel. Das ist klar, wenn man von der Einzel­erscheinung ausgeht." (Physik, l85a 12-14) Und eine solche Veränderung bedeutetnach Aristoteles auch kein philosophisch unerklärbares Rätsel. Sie erscheint zwarunmöglich, solange man annimmt , daß sich ein Seiendes ausschließlich in einereine Negation verwandeln kann, es ist dem jedoch nicht so. Im Allgemeinen be­steht kein Seiendes aus einer reinen Aktualität. Wenn wir von der reinen Aktualitätdes ersten Bewegers, die im System von Aristoteles ebenfalls ihren Platz findet,absehen, dann enthält jedes Seiende gewisse Potentialitäten. Dem Vermögen nachist es immer etwas anderes als das, was es aktuell ist. Veränderung bedeutet dem­gemäß nicht einen Sprung vom Nicht-Sein zum Sein, sondern lediglich eine Aktu­alisierung von etwas, was potentiell bereits ist. Sie spielt sich innerhalb des Be­reichs des Seienden ab. Es handelt sich um einen Übergang von einem dem Ver-

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 53

mögen nach Seienden zu einem der Wirklichkeit nach Seienden. (Vgl. Physik,19lb 27-l92b 4)

Bei jeder Veränderung - schreibt Aristoteles - "beharrt etwas"; und da es sichnicht um die wechselnden Bestimmungen handeln kann, muß es noch - schließt er- "ein Drittes" (neben den wechselnden Bestimmungen) geben - "die Materie (denStoff)" (Metaphysik , l069b 7-9), die übrigens, wie wir gesehen haben, bereits ausanderen Gründen, die mit der logischen Struktur der Was-Prädikation zusammen­hängen, in einer ähnlichen Funktion eingefiihrt wurde.

Eine Veränderung bedeutet also, daß der Stoff, der den metaphysischen Ort derPotentialität bildet, verschiedene Bestimmungen aufnimmt. Wenn wir das Wort"Form" so weit verstehen, daß es auch akzidentelle Formen urnfaßt, dann - sagt unsAristoteles - ist jede Veränderung ein Übergang von einer gewissen Art .Formbe­raubung" zur "Form" , wobei als Substrat, das die Form aufnimmt, die Materie (derStoff) fungiert. "Drei sind also der Ursachen und drei Prinzipien: zwei bildet derGegensatz, dessen eines Glied der Begriff und die Form, das andere die Formbe­raubung (Privation) ist, das dritte ist der Stoff." (Metaphysik, l069b 32-34) Diesedrei Ursachen bzw. Prinzipien bilden die immanenten Elemente einer Veränderung .Es muß jedoch nach Aristote1es noch eine äußere Ursache der Veränderung geben,nämlich die bewegende Ursache, die diesen übergang sozusagen "auslöst". (Meta­phys ik, l070a 1, 1070b 23)53 Wir erhalten konsequenterweise das folgende berühm­te Modell:

immanente Elemente

~--....... Stoff

,-,,

\

\

\

\

\

\

II

Veränderung I

I

I

I

I,,,

Formberaubung : '

Es gibt nach Aristoteles vier Hauptarten von Veränderung (Bewegung im weitenAristotelischen Sinne): (i) die radikalste Veränderung des Was eines Gegenstands(Entstehen und Vergehen); (ii) die Veränderung der Quantität (Vermengung undVerminderung) ; (iii) die Veränderung der Qualität (Umwandlung) und (iv) die Ver-

53 Wenn wir dazu noch die Zweckursache berücksichtigen, erhalten wir das klassische AristotelischeZusammenspiel von vier Ursachen (Materie, Form, bewegende Ursache und Zweckursache). DieProbleme der Teleologie in der Aristotelis chen Welt lassen wir allerdings in diesem Buch beise ite.

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54 KAPITEL 2

änderung des Ortes (Bewegung im engeren Sinne). In den Kategorien (ii)-(iv) ha­ben wir mit den akzidentellen Veränderungen zu tun, in denen als Stoff der Verän­derung die konkret-individuelle Substanz fungiert. Unter (i) finden wir hingegendas Entstehen und Vergehen von Substanzen . In diesem Fall wird die substantialeForm verändert und als das Substrat der Veränderung kann nur der erste Stoff (dieerste Materie) bleiben.

2 .5 DAS SEIENDE IM SINNE D ES WAHR EN

Die mannigfache Bedeutung des Seienden wird allerdings durch das oben Gesagtenicht erschöpft . Es gibt nach Aristoteles noch Seiendes im Sinne des Wahren. Im V.Buch der Metaphysik schreibt er: "Ferner bezeichnet das Sein und das Ist, daß etwaswahr ist, das Nichtsein aber, daß etwas nicht wahr sei, sondern falsch [...]." (Meta­physik , 1017a 31-32) Am Ende des VI. Buchs schließt er das so verstandene Wahreund Falsche aus dem Bereich der Metaphysik aus. "Denn das Falsche und dasWahre liegt nicht in den Dingen [...], sondern im Denken." (Metaphysik , I028a 25­27)

Wenn man von der Wahrheit und Falschheit spricht, handelt es sich also in ersterLinie um die Wahrheit und Falschheit, die eigentlich nicht den Dingen, sondernunseren Gedanken zukommt und die eventuell den Anlaß gibt, dem Gegenstandeines Gedankens das Sein bzw. Nichtsein (im Sinne der "Wahrheit") zuzuschreiben .Dieses Wahr-Sein (bzw. Falsch-Sein) des Gegenstands bedeutet jedoch zunächstkeine ontologisch unreduzierbare Redeweise. Der Gegenstand ist "wahr", wenn einanerkennender Gedanke , der ihn zum Objekt hat, wahr ist. Dies ist jedoch genaudann der Fall, wenn der Gegenstand ist. Der Gegenstand ist "falsch", wenn einsolcher auf ihn gerichteter Gedanke falsch ist. Und das findet genau dann statt,wenn es einen solchen Gegenstand nicht gibt . "Zu sagen nämlich, das Seiende seinicht oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei unddas Nicht-Seiende sei nicht, ist wahr." (Metaphysik, IOllb 24-25)

Die Sachlage kompliziert sich jedoch, sobald Aristoteles das Verhältnis desWahrmachens präziser zu erklären versucht. Bekanntlich gilt er als der Vater derklassischen adaequat io-Definition der Wahrheit, die den Begriff der Wahrheit indem Sinne, in welchem sie, wie oben gesagt, den Gedanken zukommt , durch eineBeziehung auf eine wahrmachende Realität definiert . Die oben besprochene Wahr­heit und Falschheit kommt den Urteilen zu und zwar deswegen, weil jedes Urteileine Verbindung bzw. Trennung beinhaltet. Die grundlegende Form des Urteils istnach Aristoteles die kategorische Form ,,A ist B" . Eben diese Form bildet den Aus­gangspunkt sowohl für die Aristotelische Syllogistik als auch für die Aufzählungvon verschiedenen Kategorien, in denen das Seiende in verschiedenen Bedeutungenausgesagt wird. Wenn eine solche gedankliche Verbindung bzw. Trennung derRealität entspricht - wenn sie das verbindet, was in der Realität verbunden ist, bzw.das trennt, was in der Realität getrennt ist -, ist das Urteil wahr. Im entgegenge­setzten Fall ist es falsch.

Die Aristotelischen Wahrmacher sind also ausschließlich die zusammengesetztenStrukturen, in denen etwas mit etwas verbunden bzw. etwas von etwas getrennt ist.

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 55

Von den unzusammengesetzten Dingen gibt es Aristoteles zufolge keine Wahrheitund Falschheit, keine Erkenntnis und keinen Irrtum. Sie können lediglich entwederer/aßt oder nicht er/aßt werden.

In diesem Kontext begegnen wir bei Aristoteles dem Begriff des Seienden imSinne des Wahren, der diesmal ontologisch relevant zu sein scheint. Er nennt einesolche zusammengesetzte wahrmachende Struktur "das im eigentliehsten Sinneseiende Wahre oder Falsche" . Zitieren wir diese wichtige Stelle:

Indem das Seiende und das Nichtseiende teils nach den Formen der Kategorien ausgesagt wird, teilsnach Vermögen (Möglichkeit) und Wirklichkeit derselben oder deren Gegenteil, teils als das im eigent­lichsten Sinne seiende Wahre oder Falsche - dieses aber liegt bei den Dingen durch Zusammensetzungund Trennung vor, so daß der die Wahrheit sagt, der vom Getrennten urteilt , es sei getrennt, von demZusammengesetzten, es sei zusammengesetzt, der dagegen im Irrtum ist, welcher anders denkt als dieDinge sich verhalten - : so fragt sich, wann denn das genannte Wahre oder Falsche vorliegt ; denn wirmüssen untersuchen, was wir damit meinen . Nicht darum nämlich , weil unser Urteil, du seiest weiß,wahr ist, bist du weiß, sondern darum, weil du weiß bist, sagen wir die Wahrheit, indem wir diesbehaupten. (Metaphysik, 1051 a 34-1051 b 9; meine Hervorhebungen)

Die Frage, ob Aristoteles hier zum Zwecke der Formulierung seiner Korrespon­denz-Wahrheitstheorie als "das im eigentlichsten Sinne seiende Wahre oder Fal­sehe" etwa die Kategorie der propositionalen Entitäten einführt - die Kategorie, diesich erst viel später unter den Namen "Inhalte", "Sachverhalte", "Objektive", "Situ­ationen" oder "Propositionen" höchstes Ansehen verschaffte - wäre aller Wahr­scheinlichkeit nach falsch gestellt. Die propositionalen Entitäten, so wie wir sieheute kennen, werden nämlich gewöhnlich den Entitäten der nominalen Form (denObjekten) gegenübergestellt. Im Rahmen der Metaphysik von Aristotelcs findethingegen allem Anschein nach keine solche Gegenüberstellung statt. Alle Entitäten,insofern sie überhaupt sind, sind Substanzen; und jede Substanz besitzt, wie wirgesehen haben, eine Struktur, die sich eventuell als ein propositionales Korrelateines kategorischen Satzes darstellen läßt.54 (Aus jedem Hund können wir denSachverhalt, daß dieser Gegenstand ein Hund ist, aus jeder roten Rose den Sach­verhalt, daß diese Rose rot ist, machen.) In diesem Sinne ist die propositionaleStruktur in jeder Substanz bereits involviert, sie scheint jedoch keine "ontologischeBereicherung" gegenüber den Substanzen "der nominalen Form" darzustellen, aller­dings nur deswegen, weil die Substanzen der nominalen Form bereits eine mehr alsgenug reiche Struktur involvieren.

Bei "dem Unzusammengesetzten Sein und Nicht-Sein" finden wir Aristoteleszufolge keine semantische Wahrheit und Falschheit im normalen Sinne. Solcheunzusammengesetzten "Dinge" können lediglich entweder er/aßt oder nicht-er/aßtwerden.

Was bedeutet nun aber bei dem Unzusammengesetzten Sein und Nicht-Sein , Wahr und Falsch? [...][V]ielmehr ist es beim Wahren und Falschen hier so, daß jenes ein .Berühren" und Sagen ist - dasSagen ist nicht dasselbe wie Aussagen über etwas - , das Nichtwissen aber ist "Nicht-BerUhren" . [...J[D]as Wahre besteht [hier] darin, die Dinge zu denken (vern ünftig zu erfassen). Irrtum und Täuschunggibt es in Bezug auf dieses nicht, sondern nur Unwissenheit [...]. (Metaphysik, 105lb 17-I052a 2)

54 Mit der Ausnahme der einfachen Substanz - der reinen Aktualität des ersten Bewegers, die wirjedoch im Rahmen unserer beschränkten Untersuchung beiseite lassen.

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56 KAPITEL 2

Mit einer solchen "Unfehlbarkeit" haben wir Z.B. bei der rudimentären sinnlichenPerzeption zu tun. Sie kann nach Aristoteles noch in keinem verständlichen Sinnefalsch sein. An dieser elementaren Stufe werden einfache Objekte von den verschie­denen Sinnen aufgenommen, noch nichts wird jedoch geurteilt. 55 Das bildet aller­dings schon das Thema des nächsten Abschnittes .

2 .6 DI E ARISTOT ELIS CHE INTENTIONALlTÄTSTHEORI E

In seiner Abhandlung Über die Seele skizziert Aristoteles eine Theorie, welche dieoben besprochene begriffliche Apparatur auf die Probleme anwendet , die wir heutedie Probleme der intentionalen Beziehung nennen würden. Die erkenntnisfähigeSeele, die nach Aristoteles die Art-Form des Körpers ist, hat eine merkwürdigeFähigkeit. Sie kann von einem Gegenstand seine Form aufnehmen, ohne jedoch mitihm artgleich zu werden . (Über die Seele, 424a 11-17) Eben in dieser Weise drin­gen die äußeren Dinge gewissermaßen in die erkennende Seele hinein, so daß sie ­wie sich später die Scholastiker ausdrückten - im erkennenden Subjekt objektiv(d.h. als Objekte seiner kognitiven Tätigkeit) sind .

Wir finden hier die Anwendung der Unterscheidung zwischen dem dem Vermö­gen nach und dem der Wirklichkeit nach Seienden, die wir oben kurz besprochenhaben. Die Seele ist dem Vermögen nach jede beliebige Form (Über die Seele,431b 21), so daß sie "Form der Formen" genannt werden kann. (Über die Seele,432a 1) Die kognitive Potentialität der Sinne wird durch den kausalen Einfluß derphysischen Gegenstände aktualisiert . Die erste - nach Aristoteles absolut unent­behrliche - Stufe der Erkenntnis ist die sinnliche Perzeption, wobei die äußerenphysischen Gegenstände als bewegende Ursachen fungieren. (Über die Seele,416a 33) Die Aristotelische Theorie der Intentionalität ist also in einem wichtigenSinne eine kausale Theorie . Die Seele verhält sich im Rahmen der intentionalenBeziehung zunächst rein passiv. Es sind die Objekte der intentionalen Beziehung,die den ganzen Vorgang stimulieren .

Die sinnlichen Formen der Objekte der intentionalen Beziehung werden dannmittels des Vermögens der Phantasie in der Gestalt der "sinnlichen Bilder" ("Phan­tasmata") behalten , so daß sie einer weiteren Verarbeitung unterzogen werden kön­nen, wobei jedes solche "Bild" in einer früheren Empfindung seine "bewegendeUrsache" haben muß. (Über die Seele , 429a 1)

Die kognitive Aktivität kommt erst im dritten Schritt zustande, und besteht inerster Linie in der Abstraktion. Aus den sinnlichen Formen (Phantasmata) werdenintellektuelle Formen (allgemeine Begriffe) abstrahiert . Dazu braucht man Aristo­teles zufolge einerseits ein Vermögen, das insofern den Sinnen ähnlich ist, als es dieFormen (diesmal aber nicht-sinnliche , z.B. substantiale Art- bzw. Gattungsformen)aufnehmen kann. Aristoteles nennt dieses Vermögen passive Vernunft. Andererseits

55 Vgl. auch : "Die bloßen Namen und Handlungsworte für sich gle ichen nun dem Denkinhalt ohneVerkn üpfurig und Trennung, z.B, 'Mensch' oder 'w eiß ' , wenn nicht etwas hinzugesetzt wird : da liegtnirgends wahr oder falsch vor. Beleg dafür ist: Auch 'Bockhirsch ' bezeichnet ja etwas , nur noch nichtsWahres oder Falsches, - solange man noch nicht ein ' sein' oder ' nicht sein ' dazusetzt , entweder einfachso oder aufZeit.", Hermeneutik, I, 16a 13-18.

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 57

ist nach Aristoteles auch eine Entsprechung der bewegenden Ursache nötig, die einesolche Aktualisierung der intellektuellen Potentialität stimuliert . Dieser Aspekt derVernunft tritt bei Aristoteles unter dem Namen tätige Vernunft auf. Aristotelesschreibt, daß sie dem Licht ähnlich ist, indern sie alle Formen , die dem Vermögennach bereits in der passiven Vernunft stecken, zur kognitiven Wirklichkeit werdenläßt, ähnlich wie das Licht, das Aristoteles zufolge erst die Potentialität der Farbenzur Aktualität macht.

Der Licht-Metapher zum Trotz bildet die Lehre von der tätigen Vernunft einenäußerst dunklen Punkt der Aristotelischen Philosophie. Die Interpreten sind wederbezüglich des metaphysischen Status noch bezüglich der kognitiven Funktion diesesSeelenvermögens einig. Die Hauptvoraussetzung, welche die Einführung der täti­gen Vernunft bei Aristoteles erzwungen hat, war seine Überzeugung, daß der sinn­liche "niedrigere" Teil der Seele auf keinen Fall direkt auf die passive Vernunft wir­ken kann. Die einfache kausale Theorie, die für die sinnliche Perzeption charak­teristisch war, war also nicht mehr möglich . Die Annahme, daß die wirkende Ursa­che der Aktualisierung der intellektuellen Erkenntnis von der gleichen Natur seinmuß wie die Vernunft selbst, führte zur Einführung der tätigen Vernunft - einerreinen geistigen Aktualität.

Andererseits besteht Aristoteles jedoch darauf, daß die intellektuelle Erkenntnisnur auf dem von der sinnlichen Perzeption vorgegebenen Material operieren darf.Dieses Material muß also letztlich doch einen kausal-ähnlichen Einfluß auf denpassiven Intellekt ausüben können . Die Metapher des Lichts kann suggerieren, daßdie tätige Vernunft vielleicht eigentlich nicht auf die passive Vernunft, sondern viel­mehr auf die Phantasmata wirkt, so daß ihre konzeptuelle Struktur, die auf der sinn­lichen Stufe kognitiv unzugänglich ist, irgendwie zutage tritt, und somit vorn passi­ven intellektuellen Vermögen aufgenommen werden kann.56

In unserem Buch müssen wir glücklicherweise auf die Dilemmata dieses schwie­rigen Fragments der Aristotelischen Erkenntnistheorie nicht näher eingehen. Wirnehmen an, daß die letzterwähnte Interpretation im Allgemeinen den Geist derAristotelischen Lehre wiedergibt. Was für unsere Untersuchungen wichtig ist, istausschließlich die allgemeine Idee der Abhängigkeit der begriffsbildenden Mecha­nismen von einern vorgegebenen sinnlichen Material sowie das Bild dieser Be­griffsbildung als einer Abstraktion, die den Elementen der ontologischen Strukturdes Seienden gewisse mentale Repräsentationen (Begriffe) zuordnet. Wichtig istauch die Aristotelische Idee dieser Repräsentation: die Aufnahme der Form des Ge­genstands von dem passiven Vermögen der Seele.

56 So interpretiert Thomas von Aquin die Aristotelische Lehre von der tätigen Vernunft . Vgl. "Dem­gemäß also wird, soweit die Phantasiebilder in Betracht kommen, die intellektuelle Erkenntnis durchden Sinn verursacht. Weil aber die Phantasiebilder den möglichen Verstand (intellectus possibilis, Ver­stand in Möglichkeit) nicht verändern können, sondern dieselben durch den wirkenden Verstand (intel­lectus agens) actu intelligibel werden müssen , so kann man nicht sagen , daß die sinnliche Erkenntnisdie ganze und vollkommene Ursache der Verstandeserkenntnis sei , sondem sie ist vielmehr gewisser­maßen die Materie der Ursache.", Summa theologica, I, q.84, a.6 (in : Thomas von Aquin 1977,S. 23 f.)

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58 KAPITEL 2

Neben der Abstraktion besteht eine andere wichtige Funktion der Vernunft in derVerbindung und Trennung der begrifflichen Elemente , was, wie wir bereits wissen,erst die Wahrheit und Falschheit von Gedanken ermöglicht.

In dieser Weise werden nach Aristoteles alle unsere Begriffe auf einem mehroder weniger direkten Weg aus der Erfahrung gewonnen. Diese These , die man alsThese des Begriffsempirismus bezeichnen kann, hat in vielen philosophischenBereichen sehr schwerwiegende Konsequenzen. Im Kontext der AristotelischenPolemik mit der Platonischen Theorie der real abgetrennten Allgemeinheiten impli­ziert sie, daß wir in unseren alltäglichen und wissenschaftlichen Erklärungen nurmit solchen Begriffen hantieren können, die ihre Quelle in der sinnlichen Erfahrunghaben. Konsequenterweise suggeriert sie stark, daß wir uns auch in unseren meta­physischen Erklärungen nur um solche Begriffe kümmern müssen, die entwederdurch gewisse Individuen "erfiillt werden" oder die aus solchen real "erfüllten"begrifflichen Elementen durch intellektuelle Operationen "zusammengesetzt" wer­den können . Die These des Begriffsempirismus verspricht mithin, die spezifischPlatonischen Argumente, die wir im ersten Kapitel unter (E) und (F) erwähnt haben ,zu neutralisieren.

Das Schema einer einfachen intentionalen Beziehung kann im Rahmen der Aris­totelischen Theorie folgendermaßen aussehen:

Seele

das Dingfallt unter

, den Begriff

III. StufeAbstraktion

-, , ,

\

\

I. StufesinnlichePerzeption

II. Stufe"Produktion"der Phantasmata

kausaleBeziehung

konkretesDing

bewegende Ursacheder smnlichen Erkenntnis

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ARISTOTELISCHE METAPHYSIK 59

Unser Schema ist natürlich keineswegs als eine unanfechtbare Interpretation derAristotelischen Lehre gedacht. Es gibt viele Aspekte (insbesondere, wie gesagt, dieNatur und die Rolle der tätigen Vernunft, die quasi-kausale Rolle der Phantasmata,der Sinn, in welchem die Seele die Form des Objekts aufnimmt), die eine langeWirkungsgeschichte haben und viele interpretative Kontroversen involvieren. Aufalle diese Probleme können wir in unserem Buch nicht näher eingehen. UnserSchema entspricht im Wesentlichen der Interpretation, die Brentano - wohl unterdem Einfluß von Thomas von Aquirr" - für richtig hielt.

57 Vgl. "Es ist Thomas zufolge entscheidend, daß ich dann etwas bestimme und erfasse, was bereits inden Phantasmata enthalten ist. Ich füge den Phantasmata nichts hinzu. Vielmehr werden diese vonmeinem Intellekt ' illuminiert' , wie Thomas in metaphorischer Weise sagt (vgl. ST) , q. 85, art. I,ad 4).", Perler 2002, S. 63.

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KAPITEL 3

BERENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS

In diesem Kapitel wollen wir die frühe Ontologie Brentanos besprechen, die invielen Aspekten sehr Aristotelisch ist. Es scheint, daß der junge Brentano dieAristotelische Sichtweise als eine im Wesentlichen richtige Weltauffassung betrach­tete. "Ich hatte mich", schreibt Brentano 1916 in einem oft zitierten Brief an Kraus,"zunächst als Lehrling an einen Meister anzuschließen und konnte, in der Zeit kläg­lichsten Verfalls der Philosophie geboren, keinen besseren als den alten Aristotelesfinden, zu dessen nicht immer leichtem Verständnis mir oft Thomas von Aquin die­nen mußte ." (Brentano 1977, S. 291) Und so wurde vor allem die sehr frühe Onto­logie Brentanos zu einer Art Auseinandersetzung mit dem Aristotelischen Weltbild.In seiner Diskussion mit den Thesen des Meisters hat Brentano zwar sehr schnellviele Aspekte der Aristotelischen Lehre revidiert, nichtsdestoweniger kann eingroßer Teil seiner frühen Ontologie als ein meistens ganz expliziter Kommentar zuAristoteles betrachtet werden.

Zu den wichtigen Aristotelischen Elementen, die Brentano in seiner frühenPeriode übernommen hat, gehört die Überzeugung von der Unentbehrlichkeit desSubstanzbegriffs und die Auffassung, die den substantialen Träger nicht als ein"bloßes Subjekt", sondern als eine durch die wesentlichen Eigenschaften mitkonsti­tuierte einheitliche Struktur interpretiert . An der Berechtigung der Unterscheidungzwischen wesentlichen und akzidentellen Eigenschaften hat Brentano in der Tat niegezweifelt. Ferner spielt die Unterscheidung von zwei Hauptformen des Seienden ­des dem Vermögen nach und des der Wirklichkeit nach Seienden - in der Ontologiedes jungen Brentano eine wichtige Rolle. Auch der Aristotelische Begriff des Seien­den im Sinne des Wahren wird übernommen, wobei jedoch Brentano eindeutig die"subjektive" Seite dieses Begriffs, die mit der psychischen Realität des Urteilszusammenhängt, privilegiert. Die Realität der Wahrmacher, die im Rahmen derWahrheitstheorie Aristoteles ' eine so große Rolle spielt, verliert bei Brentano ihreBedeutung. Tatsächlich bevorzugte er eindeutig eine epistemische (und demgemäßdezidiert anti-Aristotelische) Auslegung des Wahrheitsbegriffs. Die Intentionalitäts ­lehre Aristoteles' wird von Brentano durch die scholastische Terminologie der ob­jektiven Existenz des Gegenstands im Geist interpretiert. In der frühen Periode wirddiese Existenzweise unter den Begriff des Seienden im Sinne des Wahren subsu­miert und generell als metaphysisch belanglos betrachtet. Später, in der Psychologievom empirischen Standpunkt (1874) , wird sie zum Definitionsmerkmal des Psy­chischen gemacht und in den späteren Untersuchungen (1880-90) gewinnt sieimmer mehr an ontologischer Bedeutung, um schließlich 1904 als eine Fiktion derSprache endgültig verworfen zu werden. Der Aristotelische Begriffsempirismusbildet einen weiteren Punkt, der den jungen Brentano sehr beeinflußt hat und den erZeit seines Lebens aufrechterhalten wollte.

60

A. Chrudzimski et al. (eds.), Die Ontologie Franz Brentanos© Kluwer Academic Publishers 2004

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISM US 61

Der ontologische Haupttext der frühen Periode, aufgrund dessen wir die früheMetaphysik Brentanos rekonstruieren, ist das Manuskript der Vorlesungen zurMetaphysik, die Brentano seit 1867 in Würzburg gehalten hat (Brentano M 96). Wirbeginnen jedoch mit einer kurzen Besprechung der Dissertation Brentanos Von dermannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles (Brentano 1862) und seinerHabilitationsschrift Die Psychologie von Aristoteles (Brentano 1867).

3 .1 DIE F RÜ HE N STU D IE N ZU ARISTOTEL E S ( 186 2- 1867 )

In seiner Dissertation Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden bei Aristo­teles (1862) versucht Brentano eine kohärente Interpretation der AristotelischenKategorienlehre zu geben. Brentano geht es dabei in erster Linie darum, sich einfundiertes Verständnis der Aristotelischen Lehre zu verschaffen . Aufgrund des Tex­tes scheint es allerdings, daß der junge Brentano die Aristotelische Lehre von dersystematischen Mehrdeutigkeit des Seienden, sowie die zentrale Rolle des Sub­stanzbegriffs vorbehaltlos akzeptiert.

Brentano referiert die Position Aristoteles' auf folgende Weise: Das Seiendewird in mannigfachen Bedeutungen ausgesagt und unter diesen Bedeutungen findenwir einerseits die zentrale Bedeutungsachse, welche die unabhängigen Hauptstruk­turen der Welt - die individuellen , konkreten Substanzen - betrifft, und andererseitsviele analoge Bedeutungen, in welchen auch andere Aspekte der Realität als seiendbezeichnet werden können , vorausgesetzt , daß es eine Kette der ontologischenDependenzen gibt, die diese Aspekte mit den individuellen, konkreten Substanzenverbinden.

Den metaphysischen Kern der Realität bildet demgemäß das Seiende im Sinneder Kategorien, wobei Brentano darauf besteht , daß die Aristotelische Katego­rientafel keine zufällige , "rhapsodische", oder bloß als Beispiel dienende ist. Untenreproduzieren wir das Schema der Kategorien, das Brentano annimmt (Brentano1862, S. 175):

Seiende s

Substanz Akzidens

absolutes Akzidens Relation

immanent kausal transzendent

~ ~ ~Quantität Qualität Tun Leiden Wo Wann

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62 KAPITEL 3

Seine "systematische Deduktion" der Kategorien (Brentano 1862, S. 148-175) ver­läuft wie folgt: Das Seiende wird zunächst in Substanzen und Akzidentien aufgeteilt,je nachdem, ob es unabhängig existiert (Substanz) oder "in" anderen Entitäten ent­halten sein muß (Akzidens). Die Entität, in der ein Akzidens enthalten sein muß, istnatürlich eine Substanz. Akzidentien zerfallen ihrerseits in zwei Gruppen, abhängigdavon , ob sie nur eine, oder mehrere Substanzen voraussetzen. Wir erhalten dem­entsprechend einerseits die sogenannten absoluten Akzidentien (auf die man sichdurch l -stellige Prädikate bezieht), andererseits die Relationen (deren sprachlicherAusdruck mittels 2- oder mehrsteIliger Prädikate erfolgt) .

Die Relationen sind für Brentano, ähnlich wie für Aristoteles, weniger interes­sant. Sie bilden die schwächste Form des Seienden, dessen Werden vom Wechselder monadischen Eigenschaften abhängt. (Vgl. Brentano 1862, S. 190) Das Haupt­gewicht der weiteren Aufteilung liegt demgemäß auf den absoluten Akzidentienund diese zerfallen in immanente (Inhärenzen), kausale (Affektionen) und transzen­dente (äußerliche Umstände) .

Die immanenten Akzidentien sind komplett "in" seinem Subjekt. Dazu gehörenQuantität und Qualität, wovon erstere eine Bestimmung von der Seite der Materie,letztere eine Bestimmung von der Seite der Form ist. Die Akzidentien der zweitenGruppe (Affektionen) sind, wie Brentano schreibt, teilweise im Subjekt, teilweiseaußer ihm. Es handelt sich um die Bestimmungen, die mit den kausalen Einwirkun­gen zu tun haben : Tun (aktiv) und Leiden (passiv) . Die letzte Gruppe von Akzi­dentien - äußerliche Umstände - umfaßt die Bestimmungen, die, wie Brentano sagt,dem Subjekt "von außen" zukommen. Dazu zählt Brentano Ort und Zeit.

Der result ierende Baum soll allerdings nicht suggerieren, daß die niedrigstenArten von Kategorien unter höhere Gattungen fallen. So wie das Seiende kein Gat­tungsbegriff ist, so sind auch die mittleren Stufen keine Gattungen. Die Einheit istauf allen Stufen bloß analog . Für alle Kategorien gilt ferner die Gegenüberstellungvon dem dem Vermögen nach und dem der Wirklichkeit nach Seienden. (Brentano1862, S. 49)

Den Begriff des Seienden im Sinne des Wahren betrachtet Brentano in seinerDissertation als ontologisch belanglos. Er bezieht sich dabei auf jene Stellen, anwelchen Aristoteles diesen Begriff mit dem Begriff des Urteils verbindet. (Brentano1862, S.22) Die ontologisch wichtige Realität der Wahrrnacher, auf die wir imvorigen Kapitel aufmerksam gemacht haben , wird hingegen heruntergespielt. Bren­tanos Interpretation betrachtet die urteilsmäßige Wahrheit/Falschheit als Hauptbe­griff, von dem die anderen Wahrheitsbegriffe analog abgeleitet werden. Ein wahrerBegriff ist ein Begriff, der einen Bestandteil eines wahren Urteils bildet. Ein wahresObjekt ist das Objekt eines wahren Urteils. (Brentano 1862, S. 31) An einer Stellewill Brentano sogar eher das Urteil selbst als seiend (im Sinne des Wahren) be­zeichnen (Brentano 1862, S. 31), wobei es nicht ganz klar ist, ob er hier unter demUrteil die psychische Realität des Urteilens oder eher den Urteisinhalt verstehenwill - die Unterscheidung, die er erst später mit aller Klarheit durchführen wird .

Brentano gibt hier als Beispiele Aussagen, die sich auf Fiktionen beziehen : "DieZentauren sind fabelhafte Ungetüme" und .Jupiter ist ein Abgott". Er schreibt, daßman in solchen Fällen die Kopula "ist" ausschließlich im Sinne "es ist wahr" ver-

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 63

wendet. Wir haben in solchen Fällen mit dem Seienden im Sinne des Wahren zutun, obwohl es die Gegenstände, von denen die betreffenden Aussagen handeln,strenggenommen nicht gibt. Im Sinne des Wahren "ist" demgemäß auch alles, wases nicht gibt, denn es ist natürlich wahr, daß es nicht existiert. In diesem Sinne istalso selbst ein Nichtseiendes. Was für diese Seinsweise entscheidend ist, ist dieMöglichkeit, daß etwas zum Objekt des Denkens wird. Alles, was gedacht werdenkann, alles, was nach dem scholastischen Wortgebrauch objektiv im Geist existierenkann, kann in einem wahren Urteil "beurteilt" werden. (Brentano 1862, S. 37)

Wir finden hier die Anfänge der Intentionalitätstheorie Brentanos, deren Aristo­telisch-scholastischen Wurzel noch sehr deutlich sind. Brentano übernimmt diescholastische Lehre von der objektiven Existenz im Geist und subsumiert alles, wasobjektiv im Geist existiert unter den Begriff des Seienden im Sinne des Wahren,was zunächst soviel bedeutet, daß bezüglich der in diesem Sinn seienden Objektealle ontologischen Verpflichtungen suspendiert werden. Die Objekte des Denkens"sind objektiv", insofern sie gedacht werden. Dieser Umstand stellt für den jungenBrentano jedoch kein ontologisches Problem dar. Das Seiende im Sinne des Wahrengehört nicht zum Gegenstand der Metaphysik, wiewohl es zugleich den Hauptge­genstand der Logik bildet. (Brentano 1862, S. 39)

Die scholastische Lehre von der objektiven Existenz wurde also von Brentanoals ein unproblematisches Werkzeug der Analyse betrachtet. Wann immer ein Sub­jekt an etwas denkt, dürfen wir auch sagen, daß das Gedachte als solches im den­kenden Subjekt ist. Als solches ist es jedoch bloß im Subjekt. Keine ontologischenProbleme hängen damit zusammen. Die objektive Seinsweise - so möchte mansagen - wurde genau in der Absicht eingeführt, damit die ontologischen Fragen be­züglich des objektiv im Geist Existierenden als irrelevant betrachtet werden können.

Noch in der Psychologie vom empirischen Standpunkt (1874), wo die objektiveExistenz des Gegenstands im Geist, die dort intentionale Inexistenz genannt wird,als Definitionsmerkmal des Psychischen auftritt (Brentano 1874/1924, S. 124) undzum zentralen Begriff der Brentanoschen Psychologie wird, kann man diesen Be­griff möglicherweise noch in dieser ontologisch unverbindlichen Weise interpretie­ren. In seinen späteren deskriptiv-psychologischen Untersuchungen - vor allem inden Vorlesungen aus den achtziger und neunziger Jahren - hat jedoch Brentano dieimmanenten Objekte explizit thematisiert. Hier kann man mit guten Gründen voneiner Ontologie des immanenten Objekts sprechen, wodurch das zunächst diskre­ditierte Sein im Sinne des Wahren immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das Ge­dachte als solches wird nun zu einer ontologisch ernst zu nehmenden, zusätzlichenKategorie, die enorme philosophische Schwierigkeiten verursachte. Diese faszinie­rende Geschichte, die wir in Chrudzimski 200 Ia genau dargestellt haben, mündeteum 1904 in die reistische Philosophie, die derartige immanente Objekte als Fiktio­nen der Sprache verwirft.

Ein wichtiger Aspekt der Interpretation der Aristotelischen Lehre in BrentanosDissertation besteht darin, daß auch Universalien kurzerhand unter den Begriff desSeienden im Sinne des Wahren subsumiert werden. Sowohl die Gegenüberstellungder allgemeinen und individuellen Entitäten, die sich in der Hermeneutik (7, 17a 38)findet, als auch die Rede von den zweiten Substanzen , die von den Individuen prädi-

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64 KAPITEL 3

zierbar sind, soll Brentano zufolge nicht so verstanden werden, als ob hier ein realerUnterschied in rebus vorliege . Wir hätten hier vielmehr mit einer bloßen distinctiorationis zu tun - mit einem Unterschied, der nur im Geiste stattfindet. (Brentano1862, S. 131 f., 201 f.)

Ob diese Interpretation wirklich auf Aristoteles zutrifft, ist zweifelhaft. Aristo­teles wird hier im Grunde als ein Konzeptualist dargestellt, während er aller Wahr­scheinlichkeit nach doch unreduzierbare Allgemeinheiten in rebus postulierte. Sehrbemerkenswert ist die Auffassung der zweiten Substanz als ein ens rationis . DieseAuffassung legt nahe, daß die innere material-formale Struktur der ersten Sub­stanzen von Brentano letztlich als keine reale Komplexität, sondern als eine gedank­liche, wenn auch .xum fundamento in re" (was immer dies heißen mag) Konstruk ­tion betrachtet wird - eine Konstruktion, die auf eine Substanz, die real ein unstruk­turiertes Ganze ist, gewissermaßen "von außen" projiziert wird. Das ist die Auffas­sung, die wir im Zusammenhang mit den Würzburger Metaphysik-Vorlesungen(Brentano M 96) bald beobachten werden.

In seiner Dissertation spricht Brentano noch von der substantialen Form. DieseForm wird jedoch nicht als Spezies (d.h. als Universale , das nach Brcntano ein ensrationis , nämlich ein logischer Teil des Seienden ist), sondern als ein Aspekt desindividuell-konkreten Dings, aufgrund dessen es unter eine Spezies fallt, betrachtet."So ist denn die Form", wie Brentano sagt, "als ein physischer, nicht logischer Teildes Dinges anzusehen [...]." (Brentano 1862, S. 140) Später wird Brentano solchindividuell-abstrakten Aspekte der konkreten Individuen metaphysische Teilenennen .

Was für uns hier von Bedeutung ist, ist natürlich nicht die Frage der historischenRichtigkeit der Brentanoschen Aristoteles-Auslegung, sondern es sind die Elementeseiner eigenen philosophischen Sichtsweise, die in dieser Auslegung zutage treten.Die konzeptualistische Lösung des Universalienproblems bildet eines der unerschüt­terlichen Elemente dieser Sichtsweise . Immer wenn Brentano ontologisch ernsthaftvon den Eigenschaften eines Dings spricht, handelt es sich um individuelle Enti­täten, die entweder als abstrakte Aspekte eines individuellen Dings oder sogar alsein konkretes Individuum interpretiert werden; und das Sein der Universalien inter­pretiert er immer als ein Sein im Geist. Dieses Sein im Geist involviert zwar in derPeriode zwischen 1874 und 1904 eine beträchtliche ontologische Apparatur derimmanenten Objekte, die genuin allgemeinen Entitäten gehören allerdings nicht zudieser Apparatur.

Am Beispiel dieser konzeptualistischen Auslegung des Universalien-Problemssowie der ausgebauten Interpretation des Seienden im Sinne des Wahren sehen wir,daß Brentano in seiner Dissertation sehr eigenständig ist. Er übernimmt nur dieje­nigen Elemente der Aristotelischen Theorie, die er zu einem kohärenten Bildzusammenfügen kann, und die in die Richtung weisen, in die er selbst gehen will.Insbesondere konzentriert er sich auf die Stellen, wo Aristoteles die subjektive Seitedes Wahrheitsbegriffs betont, vernachlässigt hingegen jene Stellen, wo die Realitätder Wahrmacher akzentuiert wird. Er interpretiert ferner das ganze Problem durchdie scholastische, ontologisch abwertende Terminologie des ens obiectivum . Esscheint , daß die epistemische Auffassung des Wahrheitsbegriffs, die in eine unzwei -

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 65

deutig anti-Aristotelische Richtung geht, - die Auffassung, die schon fünf Jahrespäter, in der Würzburger Metaphysik-Vorlesung sehr deutlich zutage tritt, - bereitsin Brentanos Dissertation latent im Hintergrund steht.

Die Eigenständigkeit und Selektivität, mit der Brentano den Aristotelischen Be­griff des Seienden im Sinne des Wahren und seine Theorie der allgemeinen Entitä­ten präpariert, läßt vermuten, daß er die Aristotelische Lehre von der mannigfachenBedeutung des Seienden, die er in seiner Interpretation beibehält, auch für die imGrunde richtige Metaphysik hielt. Schon in der Würzburger Metaphysik-Vorlesungpräsentiert er jedoch eine andere Lehre, die den Kategorienbegriff ebenfalls unterdas Seiende im Sinne des Wahren subsumiert, und vertritt die These der Eindeutig­keit des realen Seienden . Die Tatsache, daß er in diesen Vorlesungen die Aristoteli­sche Kategorienlehre ausflihrlich bespricht und im Rahmen seiner Metaphysik docheinen Platz für sie zu finden versucht, unterstützt zusätzlich die Annahme, daß er sienoch vor Kurzem als eine richtige ontologische Auffassung betrachtete.

In seiner Habilitationsschrift Die Psychologie von Aristoteles (1867) behandeltBrentano vor allem die Aristotelische Erkenntnis- sowie Abstraktionstheorie : The­men, die für die weitere Entwicklung seiner Philosophie von großer Bedeutungsind. Brentano erörtert die Aristotelische Theorie der Seelenvermögen, wobei dertätigen Vernunft besondere Beachtung geschenkt wird. Er betont den Begriffsempi ­rismus Aristoteles' und besteht konsequent darauf, daß die Aktivität der Begriffsbil­dung notwendigerweise einen gewissen Einfluß der Phantasmata auf die passiveVernunft voraussetzt. Konsequenterweise nimmt er an, daß die tätige Vernunft eherauf die Phantasmata, denn direkt auf die passive Vernunft wirkt (Brentano 1867,S. 164) - das war die Auffassung, die wir im zweiten Kapitel angenommen haben.

Eine interessante Stelle finden wir in der Habilitationsschrift Brentanos im Zu­sammenhang mit der objektiven Existenz der Denkobjekte. Diese Stelle zeigt wieleicht und unbemerkt der Übergang vom Postulat einer speziellen, per definitionemontologisch unverbindlichen "objektiven" oder "bloß intentionalen" Seinsweise desObjekts zur Einflihrung einer speziellen Kategorie des Seienden erfolgen kann.58

Der Begriff der objektiven Existenz im Geist wird in Brentanos Habilitationebenfalls als ein vertrautes Werkzeug der Analyse verwendet. "Wir gebrauchen denAusdruck 'objektiv:", sagt Brentano, ,,[...] in jenem [Sinne], den die Aristotelikerdes Mittelalters damit [...] zu verbinden pflegten [...]. Materiell, als physische Be­schaffenheit, ist die Kälte in dem Kalten; als Objekt, d.h. als Empfundenes, ist sie indem Kältefühlenden." (Brentano 1867, S. 80) Wir haben hier die Lehre, die jedemwahrgenommenen Charakteristikum eines physischen Dings eine "objektive" Seins­weise "im" wahrnehmenden Subjekt zuschreibt. Bei der Interpretation der Aristote­lischen Intentionalitätslehre schreibt jedoch Brentano:

Wenn ein schwarzer und ein weißer Körper von dem Gesichtssinne wahrgenommen werden , so sind sienicht sie selbst, aber Analoga von ihnen in dem Gesichtssinne, und da nun diese in einem Sinne ver­einigt sind und in ihrem Unterschiede der Verschiedenheit der äußeren Dinge entsprechen, so unter­scheidet er durch sie die äußeren Gegenstände. Es sei A das Weiße und B das Schwarze und C verhaltesich zu D wie A zu B, also auch umgekehrt. Wenn nun C und D in einem Sinne, nämlich in dem

58 Die nächsten drei Paragraphen wurden von Chrudzimski 2001a, S. 116 übernommen.

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66 KAPITEL 3

Gesichtssinne sind, so ist in ihm auch das Verhältnis , nicht bloß von C und D, sondern auch von A undB. (Brentano 1867, S. 94)

Die Lehre von der objektiven Existenz, die zunächst bloß von einer besonderen,ontologisch schwachen Seinsweise des prima facie selben Objekts handelt, erfährthier eine bedeutsame Modifikation. Die Tatsache, daß ein äußeres Objekt wahrge­nommen wird - d.h. daß es objektiv im Geist ist - sollte darin bestehen, daß imGesichtssinne in Wirklichkeit nicht das Objekt selbst, sondern sein Analogon ist.Man kann vermuten , daß dieses Analogon schon nicht mehr bloß objektiv, sondernin einer ontologisch verpflichtenden Bedeutung existiert. Denn objektiv soll ebendas äußere Ding im Geiste sein. Die Bemerkung, daß die Verhältnisse zwischen denäußeren Objekten gewissermaßen durch die Verhältnisse zwischen solchen Analogaerkannt werden, zeigt klar, daß sich diese Interpretation in die Richtung einer The­orie bewegt , die neben dem Subjekt und dem Objekt der intentionalen Beziehungnoch eine vermittelnde (repräsentierende) Entität postuliert .

Wir sehen auch, daß Brentano keineswegs die Aristotelische Erklärung des Me­chanismus der objektiven Anwesenheit im Geist übernehmen will. Bei Aristoteleshieß es, die Seele nehme die Form des Gegenstands auf. Dieses Aufnehmen derForm unterscheidet sich allerdings von einer "normalen" Instantiierung . Die erken­nende Seele wird nicht zum Objekt, das sie erkennt. Dank der ontologischen Appa­ratur, welche die allgemeinen Formen, die Materie, die eine "normale" Instantiie­rung der Form zuläßt, und die passive Vernunft, die ein "kognitives" Aufnehmender Form ermöglicht, umfaßt, kann Aristoteles darauf bestehen, daß der erkannteGegenstand im erkennenden Geist gewissermaßen in eigener Person anwesend ist.Denn es ist dieselbe Form, die auf einer Seite durch den erkannten Gegenstandinstantiiert wird, und auf der anderen Seite von der passiven Vernunft aufgenom­men wird. Die Tatsache, daß Brentano diesen Mechanismus ganz anders - nämlichdurch Einführung einer vermittelnden Struktur, die den Gegenstand der Erkenntnislediglich repräsentiert - erklärt, läßt darauf schließen, daß er bezüglich der ontolo­gischen Apparatur, die in der Intentionalitätslehre Aristoteles' vorausgesetzt ist, Be­denken hatte. Und in der Tat, vor allem für den Begriff der ersten Materie hatteBrentano keine Sympathie .

Im folgenden Schema wollen wir die drei Modelle der intentionalen Beziehung,denen wir gerade begegnet sind, und die für unsere weiteren Untersuchungen sehrwichtig sind, vergleichen.

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS

Aristotelisches Modell

67

Modell ens obiectivum

ein Qbjekt,das FIst,Ist objektivin der Seele

allgemeineForm

FallgemeineForm

ein Objekt,das Fist

ein Objekt,das Fist

Modell des repräsentierenden Analogons

F* >F(?)

Relation derRepräsentation

ein O~jekt,das Flst, ­"Analogojj" ­ist in der Seele

ein Objekt,das FIst

Zuerst haben wir das Aristotelische Modell . Eine intentionale Beziehung auf einObjekt , das F ist, besteht in seinem Rahmen darin, daß eine allgemeine Form (F)zwei mal instantiiert wird. Auf der einen Seite instantiiert das Objekt der intentio­nalen Beziehung die Form F. Es ist ein F-Objekt. Auf der anderen Seite nimmt aberauch die sich intentional beziehende Seele dieselbe Form F auf. In diesem Fallhaben wir allerdings mit keiner normalen Instantiierung zu tun. Die Seele wird nichtzu einem F-Objekt. Aristoteles sprach von einem Aufnehmen der Form ohneMaterie , was jedoch nicht viel erklärt. Im Allgemeinen muß wahrscheinlich diese

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68 KAPITEL 3

einzigartige Art von Instantiierung, die wir als Instantiierung" bezeichnen, als einprimitiver Terminus der Aristotelischen Intentionalitätslehre angesehen werden. DieSeele, die sich auf ein F-Objekt bezieht, ist" demgemäß selbst F.

Die scholastische Lehre vom ens obiectivum ändert dieses Bild. Wir haben esnicht mehr mit zwei Arten von Instantiierung zu tun, sondern man spricht nun vonzwei Weisen der Existenz des Objekts der intentionalen Beziehung . Dasselbe Ob­jekt, das unter Umständen auch in der realen Welt existiert, ist - sofern man sichauf es intentional richtet - auch objektiv im Verstand, wobei diese Seinsweise onto­logisch unverpflichtend sein soll.59

In Brentanos Habilitation wird aber nahegelegt, daß diese Redeweise in Wirk­lichkeit etwas ganz anderes bedeutet. Nicht das F-Objekt selbst, sondern sein Ana­logon soll im Verstand sein. Dieses Analogon ist selbst nicht F. Es hat eine andereEigenschaft, die wir als F* bezeichnet haben, und die die Eigenschaft F reprä­sentiert. Die Relation der Repräsentation, die zwischen dem äußeren Objekt derintentionalen Beziehung und seinem Analogon in der Seele besteht, resultiert ausdem Verhältnis, in dem zwei Eigenschaften Fund F* zueinander stehen, das wir inunserem Schema als ,,[?]" bezeichnet haben.

Alle drei Modelle sehen so aus, als ob man dabei ohne Bedenken mit den realabgetrennten Platonischen Eigenschaften operierte . Das muß allerdings als einebloß bildliehe Darstellungsweise betrachtet werden . Schon bei Aristoteles sind dieAllgemeinheiten von den konkreten Individuen nicht real abgetrennt und Brentanoakzeptierte gar keine allgemeinen Gegenstände. Im Aristotelischen Schema muß

S9 Diese Ausdrucksweise finden wir bei Petrus Johannis Olivi. Einerseits kritisiert er jede Form derIntentionalitätstheorie, die repräsentierende Entitäten einführt, und plädiert für eine direkte Beziehungzwischen einem mentalen Akt und seinem Objekt. (Vgl. Perler 2002, S. 131-144.) Andererseits schreibter aber: ,,[Wjas wir auch immer dureh eine aktuelle Betrachtung unseres Intellekts primär und an sichbegreifen, das begreifen wir in diesem Akt des Betrachtens. In dem innerlichen Begreifen und Bildenwird aber nicht nur der Akt selbst begriffen, sondern auch sein Objekt, insofern es intentional bzw.repräsentational im Akt selbst existiert." (Tracuuus de verbo, 6.2.3, zitiert nach Perler 2002 , S. 144.)Perler (2002, S. 145) bemerkt, daß diese Theorie kaum als eine Erklärung betrachtet werden kann . Esist schwierig zu verstehen, was hier unter einen Objekt, "insofern es intentional bzw. repräsentationalim Akt selbst existiert", zu verstehen ist, denn einerseits ist "damit nicht so etwas wie ein innererStellvertreter für den äußeren Gegenstand gemeint. Dies würde ja Olivis gesamter Argumentation gegenden Repräsentationalismus widersprechen." Andererseits "erklärt jedoch [Olivi) nicht, wie diese beson ­dere [intentionale bzw . repräsentationale] Existenzweise zustande kommt. " Es scheint, daß der VerweisOlivis auf das Objekt, "insofern es intentional bzw. repräsentational im Akt selbst existiert" als eineRedeweise zu verstehen ist, die als solche noch keine bestimmte Intentionalitätstheorie - und insbeson­dere keinen ontologischen Rahmen für eine solche Theorie - festlegt.

Auch Duns Scotus spricht in seiner Intentionalitätstheorie von den Gegenständen mit objektivemSein , ohne ihren ontologischen Status zu erklären . Vgl. dazu Perler 2002, S. 228 : " Welchen ontologi­schen Status haben dann die Gegenstände mit objektivem Sein [...p Scotus läßt diese Frage offen undhat dadurch [...) eine breite Diskussion ausgelöst. Verschiedene Scotisten glaubten, der Rekurs auf Ge­genstände mit objektivem Sein sei erst dann überzeugend, wenn diese Gegenstände ontologisch präzisebestimmt werden. [...) Angesichts der Vielzahl an Erklärungsversuchen stellt sich freilich die Frage ,warum Scotus selber keine ausführliche Erklärung gegeben hat. Hat er einen wichtigen Punkt in seinerTheorie vernachlässigt, indem er auf eine ontologische Bestimmung verzichtet hat? Diese Frage mußnicht notwendigerweise bejahend beantwortet werden . Man kann die Pointe der scotischen Theorieauch darin sehen, daß sie bewußt auf eine ontologische Bestimmung verzichtet, weil sie nur auf einenepistemologischen Punkt abzielt und jede Reifizierung der Gegenstände mit objektivem Sein vermeidenwill."

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BRENTANOS FR ÜHER KONZEPTUALISMUS 69

dementsprechend die Form F als immanent betrachtet werden. Sie ist sowohl demF-Gegenstand als auch der den F-Gegenstand erkennenden Seele als identisch die­selbe, wenn auch auf verschiedene Weisen, immanent. Die Interpretation der scho­lastischen Lehre vom ens obiectivum wird je nach Autor stark variieren, es mußaber betont werden, daß sie in der Regel als eine bloße Redeweise gemeint war, dieals solche keine ontologischen Implikationen hat. Was schließlich das dritte, Bren­tanosche Schema betrifft, so entwickelte er eine Theorie der Entitäten, die die inten­tionale Beziehung vermitteln, erst in den achtziger und neunziger Jahren. Von die­ser Ontologie der immanenten Entitäten werden wir im nächsten Kapitel sprechen.

Zum Schluß gilt es noch zu bemerken, daß die Aristotelische Lehre schon vonAlbertus Magnus und Thomas von Aquin wesentlich modifiziert wurde. Beide Au­toren behaupteten nämlich wiederholt, daß der ontologische Mechanismus, durchden die Aufnahme der Form eines Gegenstandes von der Seele zustande kommt,nur darin bestehen kann, daß die erkennende Seele ein bestimmtes Akzidens in ei­nem ganz normalen Sinne hat. Das folgende Schema illustriert diese Theorie :

Thomistisches Modell

G[?l> F

intentionaleBeziehung

ein Qbjekt,das FIst

Anstatt einer Form und zwei Weisen der Instantiierung haben wir hier zwei ver­schiedene Formen, die in derselben Weise instantiiert sind. Die ontologische Erklä­rung der Tatsache, daß sich eine erkennende Seele auf ein F-Objekt bezieht, bestehtdarin, daß diese Seele die Form G instantiiert, und daß diese Form zur Form F ineiner bestimmten Relation der "Repräsentation" steht, die wir hier als ,,[?]" bezeich­nen.

Sowohl Albertus als auch Thomas haben sich freilich nicht immer unzweideutigausgedruckt. Häufig sprachen sie so, als ob sie die Theorie Aristoteles' vorbehaltlosakzeptierten. Wir lesen z.B., daß dieselbe Form, die in unserem Schema als ,,F'bezeichnet wird, im wahrnehmbaren Gegenstand ein natürliches, und im Wahrneh­mungssinn ein intentionales bzw. geistiges Sein hat. (Vgl. Perler 2002, S. 13 f., 35)Andererseits sprachen sie oft von den repräsentierenden Spezies, wobei es nichtimmer klar ist, ob sie darunter einfach die Form G (die von der Seele instantiiert ist)meinen, oder eher zum Modell des repräsentierenden Analogons überspringen.(Vgl. Perler 2002, S. 70 f.) Wir hoffen allerdings, daß unser Schema den Intentio­nen der beiden Autoren noch am besten entspricht.

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70 KAPITEL 3

3 .2 DAS SEIENDE IM SINNE DES WAHREN UND DAS REAL S EIEND E

Die vollständigste und detaillierteste Darstellung der frühen Ontologie Brentanosfinden wir im Manuskript der Vorlesungen zur Metaphysik (Brentano M 96), dieBrentano seit 1867 in Würzburg gehalten hat.60 Während die bisher besprochenenSchriften einen in erster Linie interpretativen Charakter hatten, finden wir in diesenVorlesungen jene metaphysische Position, die Brentano mit Sicherheit nicht nurbloß seinen Studenten vorstellt, sondern auch für richtig hält. Diese Metaphysikkann keineswegs einfach als eine Version des Aristotelismus bezeichnet werden; invielen grundlegenden Aspekten ist sie schon sehr weit von den Ansichten des Meis­ters entfernt. Nichtsdestoweniger ist die ganze Problemstellung im Grunde Aristote­lisch und die Lösungen werden immer zunächst bei Aristoteles und bei seinen Inter­preten gesucht. Viele dieser Lösungen werden übrigens als richtig übernommen.

Die Problematik, die Brentano in seinen Vorlesungen bespricht , umfaßt die fol­genden Bereiche :

Metaphysik(Ontologie im weiten Sinne)

transzendentaler Teil Ontologie(Apologetik des (im eng eren Sinne)

WIssens xesenSkeptiker unä Kritiker)

Theologie

Vom Werdenund den Ursachendes Seienden

Kosmol ogie

Von denI2hysischenTe ilen

Von denlogisch enTeIlen

Von denmetaphysischenTeilen

Die Argumentation des "transzendentalen" Teils, in dem Brentano die epistemischeMöglichkeit der Metaphysik zu erweisen versucht, wird uns weniger interessieren .Auch die Theologie und Kosmologie, die aus den äußerst skizzenhaften NotizenBrentanos zur Zeit kaum zu rekonstruieren ist, liegt außerhalb des Rahmens diesesBuchs. Die Theorie der allgemeinen Struktur des Seienden, die wir in diesem Ka­pitel besprechen möchten, finden wir in dem Teil, den Brentano Ontologie im enge­ren Sinne nennt. Sie umfaßt die Lektionen XXXVII-LXVII und handelt von den

60 Das sehr interessante Manuskript wird gegenwärtig in Würzburg von Prof. W. Baumgartner zurPublikation vorbereitet. Da der Text bereits in einer bezüglich der Übereinstimmung mit dem Originalgeprüften elektronischen Version vorliegt, wäre das Zitieren nach den Seitennummern des Manu skriptseher unzweckmäßig. Andererseits werden natü rlich die Seitennummer des aktuellen Computer-Aus­druck s in der zukünftigen Edition auf keinen Fall beibehalten. Deshalb geben wir bei den Zitaten dieNummer der Lektionen an, in welchen sich die jewe ilig zitierte Stelle befindet. Da die Lektionen in derRegel kurz sind , dürfte die Lokalisierung der Zitate im Original keine größ eren Schwi erigkeitenbereit en.

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 71

"allgemeinen Eigentümlichkeiten alles Seienden" . Sie zerfällt in (i) die Untersu­chungen zur mannigfachen Bedeutung des Seienden, (ii) die Erörterung der phy­sischen, logischen und metaphysischen (selbständigen und unselbständigen) Teiledes Seienden und (iii) die Untersuchungen zum Werden und zu den Ursachen desSeienden. (M 96, XXXVII, 3)

Was den ersten Punkt betrifft, so hält Brentano an der Aristotelischen Lehre vonder mannigfachen Bedeutung des Seienden zum Teil weiterhin fest. Das Seiendewird entweder im eigentlichen oder im uneigentlichen Sinne ausgesagt. Nur dasSeiende im ersteren Sinne bildet den Gegenstand der Ontologie. In den WürzburgerVorlesungen subsumiert Brentano alle uneigentlichen Bedeutungen des Seiendenunter den Begriff des Seienden im Sinne des Wahren. In diesem Sinne ist - lesenwir - alles, was Subjekt oder Prädikat eines wahren affirmativen Satzes bildenkann. (M 96, XXXVIII, 4) In diesem Sinne ist also jedes fiktive, unmögliche oderbloß gedachte Objekt, denn es ist wahr, daß es fiktiv, unmöglich oder bloß gedachtist. Das Seiende in diesem Sinn gehört nicht zum Gegenstand der Ontologie .

Brentano setzt also seine frühe Strategie, die aus dem Wahrheitsbegriff keine on­tologischen Konsequenzen ziehen will, fort. Im Gegensatz zu den früheren Studienversucht er jedoch zu zeigen, daß man zum Zweck der Wahrheitstheorie tatsächlichkeine besonderen Entitäten (keine Wahrmacher, die speziell aus semantischenGründen notwendig wären) postulieren muß.

In der Lektion XXXVIII bespricht er ausführlich die Problematik der Wahrheits­theorie. Die dort entwickelte Theorie ist auch deswegen besonders interessant, weilsie die gewöhnlichen Vorstellungen von der Entwicklung der Wahrheitslehre Bren­tanos widerlegt. Der frühe Brentano wird nämlich sehr oft als ein Anhänger einerontologisch starken adaequatio-Lehre gesehen - die Meinung, die man aufgrunddes Vortrags Über den Begriffder Wahrheit hegt, den Brentano 1889 gehalten hatund der von Oskar Kraus als ein für den frühen Brentano repräsentativer Text imBand Wahrheit und Evidenz (Brentano 1930, S. 3-29) publiziert wurde.

1889 konnte Brentano tatsächlich eine solche adaequatio-Lehre vertreten, denninzwischen hat er schon eine genügend starke Ontologie in Kauf genommen. Indem Wahrheitsvortrag spricht er beispielsweise von den nicht-existierenden, zeit­lich modifizierten und propositionalen Entitäten. 1867 war er jedoch von solchenontologischen Exzessen sehr weit entfernt. Daß der Geist der wirklich frühen Philo­sophie Brentanos, was die ontologische Sparsamkeit betrifft, sehr nah bei seinenspäten reistischen Ideen liegt, ist eine der wichtigsten Entdeckungen, die man durchdas Studium seiner frühen Schriften macht."

In den Würzburger Vorlesungen vertritt Brentano bereits seine charakteristischenicht-propositionale Urteilstheorie. 62 Er betrachtet als die grundlegende Urteilsformdie existentielle Form (,,A ist" / ,,A ist nicht"), wobei der syntaktische Teil "ist" / "istnicht" als nicht referierend interpretiert wird - die Auffassung, die in der Psycho­logie zu einer der Hauptthesen der Brentanoschen Intentionalitätstheorie wird.

6\ In Chrudzimski 2001a, S. 71-74 wird gezeigt, daß die tieferen Motive der epistemisehen Auffassungdes Wahrheitsbegriffs bei Brentano nicht in ontologischen Skrupeln , sondern in seinem Begriffsempi­rismus liegen.62 Zur Urteilstheorie Brentanos vgl. Chisholrn 1982b, Simons I992a.

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72 KAPITEL 3

Dieser Teil des Urteils bezieht sich auf kein gegenständliches Element, sondern istnur ein Zeichen des mentalen Annehmens bzw. Verwerfens des Objektes A. (M 96,XXXVIII, 4) Wir lesen :

Der Satz : ein Baum ist grün ist wahr, wenn Baum und grün in der Wirklichkeit zusammentreffen, falschwenn sie in keinem Dinge vereinigt sind [...]. Nicht so bei dem Satze : "ein Baum ist". Der sprachlicheAusdruck ist hier wohl eine Komposition, nicht aber der inwohnende Gedanke. Ich habe nur eine Vor­stellung, die eines Baumes, und dieser stimm e ich zu, und das reine Zeichen dieser Zustimmung ohnejede Beimischung eines realen Inhalts ist das "ist", das sprachl ich, aber nicht dem Gedanken nach, Prä­dikat ist. Das Urteil ist eine Position , nicht Komposition . So ist denn auch in der Wirkli chkeit von demZusamm entreffen einer Wirkli chkeit mit einer anderen , in Folge dessen die Affirmation wahr sein soll ,nicht die Rede. (M 96, XXXVIII)

Brentano kritisiert dabei die Lehre von Thomas von Aquin , der neben der Aristote­lischen Unterscheidung zwischen Form und Materie noch eine zweite , zwischenSein und Wesen einführen wollte, wobei ein Wesen im Allgemeinen'" bereits dieAristotelische Form und Materie enthält und sich in Bezug auf das Sein wie einePotenz zu einem Akt verhält.

Thomas hat argumentiert, daß alles, was sich im Begriff einer Entität nicht fin­det, gewissermaßen als ein zusätzliches Element betrachtet werden muß. Nun kön­nen wir aus dem bloßen Begriff eines Zentauren oder eines Hundes selbstverständ­lich nicht wissen, ob die genannten Entitäten existieren oder nicht.64 Das Sein einesDings muß also - schließt Thomas - von seinem Wesen unterschieden werden . Aufeiner Seite ist also das Sein eines Dings in seinem Wesen nicht eingeschloßen, aufder anderen Seite gibt es allerdings keine bloßen, nicht-existierenden Wesen. Alles,was ist, ist seiend, und das heißt bei Thomas, daß es existiert .

Die Lösung, die Thomas in dieser Situation angenommen hat, besteht im We­sentlichen darin , daß die Zusammensetzung aus dem Wesen und dem Sein nachdem gleichen Modell betrachtet wird, wie die Zusammensetzung aus der Materieund der Form im Rahmen der Aristotelischen Metaphysik. Bei Aristoteles gibt esebenfalls keine bloße Materie. Jede aktuell auftretende Materie muß geformt sein .Die Seinsweise der Materie ist exakt die Seinsweise des Trägers einer substantialenForm . In diesem Sinn verhält sich die Form gegenüber der Materie wie ein Akt zueiner Potenz. Ganz ähnlich ist es Thomas zufolge mit dem Sein und dem Wesen.Die Seinsweise eines Wesens ist zu existieren , und das bedeutet: mit einem Seinvereinigt zu sein, das in Bezug auf das Wesen wie ein Akt in Bezug auf eine Potenzfungiert .'" Der Übergang vom Aristotelischen zum Thomistischen Modell kanndurch das folgende Schema illustriert werden:

63 Wenn wir von reinen Formen einmal absehen .64 Bei widersprüchlichen Begriffen können wir aus dem Begriff die Nicht-Existen z des Gegenstandserkennen. Der einzige Fall einer begrifflich notwendigen Existenz könnte eventuell in Anse1ms Gottes­beweis gesucht werden .65 Zur Lehre Thomas' vgl. "Alles, was nicht zum Begriff des Wesen oder der Quiddität gehört, ist etwasvon außen Hinzukommendes, was mit dem Wesen eine Zusammensetzung bildet; denn kein Wesenkann ohne seine Teile begriffen werden . Ein jed es Wesen oder jede Quiddität kann jedoch begriffenwerden , ohne etwas über das zum Wesen oder der Quidd ität gehörige Sein zu wissen [...] Es ist somitklar, daß das Sein etwas anderes ist als das Wesen oder die Quiddität, es sei denn . es gibt ein Ding , des­sen Quidd ität eben sein eigen es Sein ist [...].", De ente et essentut. S. 56. Nach Thomas gibt es natürlichein Seiendes "dessen Quiddität eben sein eigenes Sein ist", nämlich Gott. Die Folgerung Thomas' erin-

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 73

Aristoteles Thomas von Aquin

I

\

\

\\ ,

r -----I

I Form I

I (=Akt I),I I

I (Akt derI Materie):1 -'

Materie f

(=Po!enz I) ff \ I

, f Wesen- / / (=Potenz 2)

"interne" Prädikation

Beisp iel: "Das ist ein Pferd"

mit Kopula

"Existenzprodikation "

Beispiel : "Dieses Ding ist (=existiert)"

keine Kopula

Der Unterschied zwischen Aristoteles und Thomas besteht darin, daß das, was beiAristoteles als ein volles Seiendes fungierte (nämlich die Zusammensetzung aus derMaterie und der Form) bei Thomas als eine Potenz zweiter Ordnung (ein Wesen)interpretiert wird - eine Potenz, der noch ein Akt zweiter Ordnung (das Sein) zuge­sprochen werden muß. Infolgedessen kann im Rahmen der Metaphysik von Thomasdie existentielle Urteilsform eine natürliche ontologische Interpretation erhalten,während sie bei Aristoteles schwer zu situieren ist. Ein Existentialurteil besteht beiThomas gewissermaßen in einer Prädikation der Existenz von dem betreffendenWesen.66 In unserem Schema haben wir eine solche Prädikation, die ohne Kopulaauskommt, mit der Aristotelischen internen Prädikation verglichen, die eine Kopulabraucht, und die natürlich im Rahmen der Thomistischen Auffassung dieselbe onto­logische Interpretation findet wie bei Aristoteles.

Brentano kritisiert jedoch die Thomistische Verbesserung. Er schreibt:

Wir sahen, daß so verschieden der Gebrauch des Wortes ['Seiendes' ist] , daß es manchmal für sichallein nichts bedeutend [ist] und [bloß] mitausdrückt, ähnlich den sogenannten synkategorematischcnWorten . Dies dreifach: a) als Hilfswort; b) als Kopula ; [und] c) im Existentialsatz, wo es, wie wir gese­hen haben , auch kein eigentliches reales Prädikat, sondern ähnlich [wie] im vorigen Falle ein Zeichenunserer Zustimmung ist. Hiermit war etwas Wichtiges festgestellt. Der Fiktion eine[r] Zusammenset­zung der Dinge [von] eine[r] essentia und ein[em] esse (actus essendi , zu welchem jene potential, die

nert übrigens an eine der dialektischen Übungen, die uns Platon in seinem Parmenides zumutet: " Wenndas 'Ist' von dem seienden Eins ausgesagt wird und das 'Eins' von dem Einsseienden und das Sein unddas Eins zwar nicht dasselbe sind, aber doch zu demselben Gegenstand gehören, nämlich dem vorau s­gesetzten seienden Eins, muß da nicht notwendig das Ganze das seiende Eins selber sein , als seine Teileaber sich das Eins und das Sein darstellen?", Parmen ides, 142d 1-5.66 Thomas interpretiert den "prädizierbaren" Teil (Existenz) als einen Akt des Wesens . Eine andereMögl ichkeit, die von Avicenna ausprobiert wurde , besteht darin, die Existenz als ein Akzidens desWesens aufzufassen.

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74 KAPITEL 3

selbst bei den Philosophen des ersten Ranges wie Thomas von Aquin sich findet , [ ..] war ein für alle­mal der Eingang verwehrt. (M 96, XXXVII)

Nach' Brentano brauchen wir also keine Unterscheidung innerhalb des Seienden,welche der grammatischen Struktur eines Existentialsatzes Rechnung tragen würde,und zwar deswegen nicht, weil das existentielle "ist" kein reales Prädikat ist, dasirgendein semantisches Korrelat im Bereich des Seienden bräuchte . Das existen­tielle "ist" ist nur ein Zeichen einer mentalen Anerkennung. Dieses Wort drücktzwar einen mentalen Zustand aus, hat aber keine Referenzfunktion.67

Kehren wir jedoch zur Wahrheitstheorie der Würzburger Metaphysik zurück.Wenn das Urteilen in einer mentalen Anerkennung bzw. Verwerfung des vorge­stellten Objekts besteht, dann liegt das Hauptgewicht der Wahrheitstheorie auf denVorstellungen, die uns die Objekte, die anerkannt bzw. verworfen werden, präsen­tieren. Brentano definiert :

Wahr ist das Urteil, welches eine Vorstellung bejaht (einer Vorstellung zustimmt), die Zustimmung,oder welches eine Vorstellung vemeint (verwirft), die Verwerfung verdient (der Verwerfung wert ist).(M 96, XXXVIII, 5)

Diese Defmition involviert einen normativen Diskurs ("verdient ", "ist wert") , wasnicht allen Philosophen gefällt. Seit Aristoteles spricht man vom Verhältnis derÜbereinstimmung, welches die objektive Bedingung darstellen soll, auf die sich diewertenden Elemente reduzieren. Da sich das syntaktische Element "ist" / "ist nicht"nicht auf gegenständliche Strukturen in der Welt bezieht, sondern lediglich unseremmentalen Annehmen bzw. Verwerfen Ausdruck gibt, muß das Verhältnis der Über­einstimmung, durch welches die Philosophen den Wahrheitsbegriff zu definierenversuchen, als eine Übereinstimmung der im Urteil involvierten Vorstellung mit derWirklichkeit interpretiert werden . Jeder, der eine Theorie verteidigen will, welchedie Wahrheit als eine Art Übereinstimmung mit der Welt sieht, muß also in ersterLinie das Verhältnis der Übereinstimmung erklären, in dem eine Vorstellung miteiner Sache stehen kann. Es läßt sich zwar, wie es Brentano zeigt, ein solches Ver­hältnis tatsächlich eruieren, es fällt allerdings viel komplizierter aus, als es die Redevon der Übereinstimmung vermuten läßt.68

Ein positives Existenzurteil ,,A ist" ist z.B. genau dann wahr, wenn die Vor­stellung von A mit der Wirklichkeit übereinstimmt, das negative Urteil ,,A ist nicht"

67 In diesem Kontext wurde sogar ausnahmsweise Kant gelobt , für seine These , daß das existenti elle"ist" keine Prädikation sondern lediglich eine "Position" bedeutet. Vgl. "Sein ist offenbar kein realesPrädikat , d.i. ein Begriff von irgend etwas , was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Esist bloß die Position eines Dinges oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. ", Kritik der reinenVernunft, A 598, B 626 . Zu einer interessanten Interpretation der Kantischen These , daß die Existenz"kein reales Prädikat" ist vg1. Morscher 1985/86 . Morsche r schreibt: ,,[...] Kant seems c1early to takeexistence [...] to be a second-order attribute, i.e., an attribute not of the thing whose existence isasserted, but ofa corresponding notion or thought! [...]1 suspect therefore that at least part ofwhat Kantmeans by saying that 'existence' is not areal predicate is that 'existence ' is not e first-order predicate.",Morscher 1985/86, S. 279 . Im nächsten Kapitel werden wir übrigens sehen , daß Brentano in der mittle­ren Periode doch zu einer Auffassung gekommen ist, die eine Unterscheidung zwischen dem Sein­Aspekt und dem Sosein-Aspekt eines Gegenstands macht.68 Zur genaueren Erörterung der Wahrheitslehre aus der Würzburger Metaphy sik-Vorlesung vgl. Chru­dzimski 200Ia, Abschnitt 2.4.

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BRENTANOS FR ÜH ER KONZEPTUALISMUS 75

ist hingegen genau dann wahr, wenn die Vorstellung von A mit der Realität nichtübereinstimmt. Die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit bedeutet also bei einemnegativen Urteil eigentlich eine Nicht-Übereinstimmung. Dieser Fall ist zudemnoch verhältnismäßig einfach zu meistem . Wie sollen wir jedoch den Begriff derÜbereinstimmung für die Urteile über Vergangenheit und Zukunft bestimmen? Istdas Urteil ,,A war" wahr, so braucht der Gegenstand A natürlich j etzt nicht zu exis­tieren. Es war einmal ein König, es gibt ihn jedoch nicht mehr.

Brentano versucht dieses Problem mit Hilfe des Aristotelischen Begriffs einerunfertigen Realität, für welche er Zeit und Bewegung hält, zu bewältigen . Eineunfertige Realität ist eine Realität, die mindestens einem ihrer Teile nach nicht ist.Die Zeit ist nun (im eigentlichen Sinn) nur einem ihrer Teile nach (und genauer : nurihrer Jetzt-Grenze nach). Als solche ist sie jedoch in einem gewissen Sinn (eben alsunfertige Wirklichkeit) auch als Ganzes." Die Wahrheitsbedingungen des Urteilsüber Vergangenheit oder Zukunft werden dann folgendermaßen festgelegt:

Sagt man also, es sei wahr, weil seine Vorstellung mit einer Realität übereinstimmt , so muß dies etwaso erklärt werden : Wenn die Zeit eine fertige Wirklichkeit wäre wie der Raum u.dgJ., so daß nacheinan­der seiende Realitäten sich nicht ausschlössen, so würde eine Realität mit der Vorstellung übereinstim­men . (M 96, XXXVIII, 10)

Das erste, was bei dieser Formulierung auffallt, ist die großzügige Verwendung desirrealen Konditionals. Wir wissen heute, daß eine solche Redeweise sehr schwer­wiegende ontologischen Verpflichtungen bedeuten kann. " Es ist also nicht ausge­schlossen , daß die Ontologie, die sich in dieser Formulierung verbirgt, in Wirklich­keit viel komplizierter ausfällt, als dies die nominalen Phrasen der obigen Definitionsuggerieren. Was jedoch Brentano betrifft, so hat er sowohl in der frühen als auchin der späten Periode solche irrealen Konditionale ohne Bedenken verwendet. Dasirreale Modus funktioniert bei ihm als ein primitives Element der logischen Gram­matik, das keine ontologische Erklärung benötigt. Wir wollen hier nicht entschei­den, inwiefern diese Position kohärent und plausibel ist. Wir registrieren bloß diesefür das Verständnis der Brentanoschen Philosophie sehr wichtige Tatsache.

Neben dem irrealen Konditional finden wir auch den Aristotelischen Begriff der"unfertigen Wirklichkeit", der auch viele ontologische Rätsel birgt. ImAllgemeinenist es nicht klar, wie ernst diese Seinsweise in der frühen Periode der BrentanoschenPhilosophie genommen wurde.

Das nächste Problem für die Wahrheitsdefinition stellen die Wahrheitsbedingun­gen für die hypothetischen und disjunktiven Urteile dar. Sie werden folgender­maßen festgelegt. Das Urteil "Entweder A ist, oder B ist." ist genau dann wahr,wenn entweder die Vorstellung seines ersten, oder die Vorstellung seines zweitenGlieds mit der Realität übereinstimmt. Das hypothetische Urteil "Wenn A ist, dannist B." ist genau dann wahr, wenn entweder die Vorstellung seines ersten Glieds mitder Realität nicht übereinstimmt, oder die Vorstellung seines zweiten Glieds mit derRealität übereinstimmt.

69 Die Zeit ist dabei keine Realität für sich, sondern eine akzidente lle Bestimmung eines konkretenIndividuums.70 Sie kann z.B. zur Ontologie der möglichen Welten führen.

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76 KAPITEL 3

Brentano scheint hier eine Einsicht zu vermitteln, die seit der Zeit Wittgensteins(1922) und Tarskis (1933) einen sehr wichtigen Punkt aller semantischen Untersu­chungen bildet. Es handelt sich darum, daß man für viele zusammengesetztenUrteile keine besondere adaequatio-Relation mit der Realität postulieren muß. Ihresemantischen Werte lassen sich als Funktionen der semantischen Werte ihrerBestandteile darstellen, so daß man sich um die Natur des Wahrmachens nur im Fallder einfachsten atomaren Sätze kümmern muß. "Der Satz", sagt Wittgenstein, "isteine Wahrheitsfunktion der Elementarsätze ." (Tractatus , These 5)

Die Wahrheitsbedingungen der modalen Urteile, bei denen es wieder sehrschwer fallt, den Sinn der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zu bestimmen,werden von Brentano unter Bezugnahme auf die darin enthaltenen Begriffe so for­muliert. Das modale Urteil: "Notwendigerweise : A ist" ist dann und nur dann wahr,wenn (i) die Vorstellung dieses Urteils mit der Realität übereinstimmt, und (ii) dieWahrheit dieses Urteils aus den bloßen Begriffen einleuchtet (d.h. wenn die bloßeVorstellung von A das bejahende Urteil motiviert). (M 96, XXXVIII, 10)

Der Schluß, den Brentano aus dieser Erörterung zieht, ist in erster Linie negativ.Es ist uns zwar gelungen, eine Art Erklärung der adaequatio-Relation anzugeben,diese Relation erweist sich jedoch als sehr mehrdeutig. Die Form, die sie annimmt,hängt stark von der Art des involvierten Urteils ab. Die adaequatio-Relation mußalso für jede Art des Urteils eigentlich von neuem definiert werden und kann dem­gemäß kaum als eine allgemeine Erklärung gelten, die den Wahrheitsbegriff erhellt.Eine Definition, die Wahrheit als eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit faßt,ist demgemäß eher irreführend, denn sie verspricht eine systematische Zuordnungder Wahrheitsträger und Wahrmacher, während in Wirklichkeit keine derartigeRegelmäßigkeit existiert. Das Fazit ist also:

So zeigt sich denn, daß die Erklärung: Die Wahrhe it ist die Übereinstimmung des Verstande s mit derSache u.dgl. entweder falsch oder sehr undeutli ch und uneigentl ich zu verstehe n [ist), wechselnd jenach dem Charakter des Urteils. (M 96, XXXVIII, I I)

Wir können jedoch, schreibt Brentano weiter, eine Analyse des Wahrheitsbegriffsgeben, die eine genuine erklärende Kraft besitzt. Diese Erklärung operiert mit epis­temischen Begriffen.

Dagegen kann man die Wahrheit auch noch bestimmen als ein erkennendes Urteil (und [man) kann siedurch Beispiele nach den verschiedenen Modis des Urteils verdeutli chen).Wahrheit und Erkenntnis sind dasselbe . (M 96, XXXVIII , 12)

Sehr ähnliche epistemische Formulierungen der Wahrheitsdefinition finden wir inden Fragmenten aus dem Nachlaß, die üblicherweise zum Illustrieren der späten,reistischen Phase der Philosophie Brentanos dienen.

Die zitierte Wahrheitsdefinition kann natürlich kaum als zufriedenstellend be­trachtet werden . Wir wissen, daß es neben Erkenntnissen auch zufällige Wahrheitengibt. Der späte Brentano wird versuchen, diese Definition zu verbessern, indem erdie Wahrheit mit einer idealen Möglichkeit der Erkenntnis gleichsetzt. (Vgl. Bren­tano 1930, S. 139) Im Abschnitt 3.6 werden wir mehr darüber sagen.

Die Analyse des Wahrheitsbegriffs aus den Würzburger Vorlesungen wurde zueinem bestimmten Zweck unternommen . Brentano will zeigen, daß das Seiende im

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 77

Sinne des Wahren nicht zum Gegenstand der Ontologie gehört. Jedes Objekt, vondem man in einem wahren affirmativen Satz spricht, kann als ein Seiendes im Sinnedes Wahren bezeichnet werden. Aber diese Seinsweise braucht ontologisch nichternst genommen zu werden. Dafür muß Brentano jedoch zeigen, daß die Formulie­rung der Wahrheitsbedingungen der entsprechenden Urteile keine ontologischenKonsequenzen nach sich zieht, die nicht schon aus den anderen - von den semanti­schen Fragen unabhängigen - Gründen in Kauf genommen werden müßten .

Das tut er in seiner Analyse des Wahrheitsbegriffs, die wir oben kurz besprochenhaben. Wenn Brentano wirklich Recht hat, dann erfordert die Formulierung diesesBegriffs tatsächlich keine Entitäten, die nicht bereits aus anderen, unabhängigenGründen eingeführt würden . Die Entitäten, die man braucht, sind fast ausschließlichreale Objekte von Vorstellungen. Diese sind konkrete reale Individuen wie einBaum oder ein Pferd. Für negative Urteile brauchen wir im Besonderen keine nicht­existierenden Gegenstände." Und vor allem brauchen wir keine propositionalen En­titäten, die nach vielen bekannten Theorien die ontologischen Korrelate von ganzenSätzen darstellen.f Die einzigen ungewöhnlichen Entitäten, die wir in der Defini­tion Brentanos fmden, sind unfertige Realitäten und Begriffe. Die Begriffe gehörenjedoch selbst zu den Seienden im Sinne des Wahren und die unfertigen Realitätenbraucht Brentano, wie er zur Zeit der Würzburger Vorlesungen glaubte, auch unab­hängig von der Wahrheitstheorie, insbesondere zur Neutralisierung der philosophi­schen Paradoxe der Bewegung.

Das Seiende im Sinne des Wahren kann also, wie es scheint, tatsächlich als onto­logisch belanglos klassifiziert werden. Es gibt jedoch noch eine Art von Sätzen, diediese These in Frage stellen können . Es handelt sich um die sogenannten "intentio­nalen Kontexte", die explizit von intentionalen Zuständen sprechen. Wenn wir dieSätze der Art :

(1) Hans denkt an einen Zentauren

oder

(2) Maria denkt, daß Schnee weiß ist

unter die Lupe nehmen, scheint es, daß sich ihre Wahrheitsbedingungen direkt aufdie vorgestellten Entitäten beziehen müssen . Zu den logischen Konsequenzen dieserSätze scheinen nämlich auch die Existenz-Sätze zu gehören, welche Denkobjekteanerkennen:

71 Die These, die bekanntlich Meinong, aber auch Brentano in seinem Vortrag Über den Begriff derWahrheit (1889) aufstellt.72 Frege nennt solche Entitäten "Gedanken", bei Mcinong treten sie unter dem Namen "Objektive" auf.Der "mittlere" Brentano sprach von ihnen unter dcm Namen "Inhalte". Heute werden sie oft "Sach­verhalte", "Situationen" oder "Propositionen" genannt. Die möglichen Welten, die in der Philosophieder Modalitäten so große Rolle spielen, können als die maximalen widerspruchsfreien propositionalenEntitäten betrachtet werden. So interpretieren sie z.B. Plantinga und Chisholm. Vgl. Plantinga 1974,S. 44 f., Chisholm 1989, S. 43.

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78 KAPITEL 3

(3) Es gibt etwas, woran Hans denkt;

(4) Es gibt etwas, was Maria denkt,

die mittels der sogenannten Regel der Existenz-Generalisierung :

Fa :: (3x)(Fx)

abgeleitet werden.Was den Satz (3) betrifft, so ist der Zentaur, an den Hans denkt, natürlich nicht

in der von seinem Denken unabhängigen Realität. Es scheint jedoch, daß wir danndie Existenz eines Ersatzobjekts - eines (bloß) gedachten (bzw. eines nicht-existie­renden) Zentauren - postulieren müssen - die Denklinie, die Brentano nach 1874tatsächlich zu einer detailliert ausgearbeiteten Ontologie der inunanenten Denkob­jekte geführt hat. Was hingegen den Satz (4) angeht, so scheint es sogar dieExistenz einer propositionalen Entität zu behaupten - eine Tatsache, die vor allemBrentanos Schüler Meinong inspiriert hat, die aber auch in Brentanos Theorien ausden achtziger Jahren ihre ontologische BeIiicksichtigung fand.

In den Würzburger Vorlesungen leugnet Brentano jedoch die Legitimität solcherFolgerungen . Er schreibt:

Auch bei "E in Hund ist gedacht" kann ich nicht statt dessen "Ein gedachter Hund ist", wohl aber "Eineinen Hund Denkender ist" sagen . (M 96, XXXVIII, 9)

Aus dem Satz (1) können wir demgemäß den Satz:

(5) Es gibt einen an-einen-Zentauren-denkenden Hans,

nicht jedoch den Satz:

(6) Es gibt einen von-Hans-gedachten Zentauren

deduzieren . Die Regel der Existenz-Generalisierung gilt also im Rahmen der Onto­logie des jungen Brentano für die intentionalen Kontexte nicht. Die Wahrheitsbe­dingungen der intentionalen Kontexte beziehen sich in Wirklichkeit nicht auf dieDenkobjekte , sondern auf die denkenden Subjekte (die natürlich ihrerseits reale,konkrete Individuen sind) - wieder eine These, der für den späten Reismus Bren­tanos charakteristisch ist.

In dieser Weise könnte eventuell auch das Problem gelöst werden, daß in derErklärung der modalen Kontexte auf Begriffe Bezug genonunen wird. Die Begriffebrauchen nicht als eine besondere Kategorie des (ontologisch ernst zu nehmenden)Seienden stipuliert werden. Sie sind bloß objektiv im Verstand und können inunereliminiert werden, indem man anstatt von Begriffen von einem so-und-so ("be­grifflich") Denkenden spricht.73

73 Wie wir sehen werden , konnte eine solche Reduktion dem jungen Brentano nicht gelingen. DerGrund besteht darin , daß er alle Eigenschaften in konzcptualistischer Weise wegerklären wollte , wor-

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 79

"Was ist (im Unterschiede vom Seienden zur Bezeichnung der Wahrheit) dasreale Seiende?", fragt nun Brentano. "Wir können es", schreibt er, "nicht definieren,aber es durch Beispiele erläutern und solches, was man leicht mit ihm verwechselnkönnte [...] davon ausschließen. Haben wir es getan, so bleibt uns [noch] [..,] zu un­tersuchen, ob etwa auch dieses reale Seiende in einem mehrfachen Sinne den glei­chen Namen führe oder nicht." (M 96, XXXIX, 13)

Als Beispiel kann dienen jedes sachliche ([sach)haltige), wesenhafte Prädikat (eines unbedingt affinna­tiven Satzes, oder was als solches stehen kann) : Mensch, ausgedehnt, hier, jetzt u. dgl. (M 96, XXXIX,14)

Ausgeschlossen aus dem Bereich des Realen seien hingegen:

I . willkürli che Fiktionen , [...) Jupiter , Venus, Zentaur [...].2. wissenschaftliche Fiktionen, wie die imaginären Größen, das unendlich Kleine, der leere Raum [...],Grenzen [...].3. Sinnesfiktionen: Farbe , Ton oder Farbiges , Tönendes [...).4. die Scheinprädikate der Zustimmung: seiend, notwendig; und der Verwerfung der notwend igenFalschheit: möglich .5. die Negative : Nichts, leblos, brutum etc. und die Privative : blind , (schlecht). (Wovon es falsch ist,daß ihm ein reales Prädikat zukommt.)6. Potentialia, wie : Kraft , Fähigkeit (aufzunehmen oder verwandelt zu werden), Verstand, (habituelle)Kenntnis, (habituelle) Tugend u.s.f. eigentlich [wird dadurch) eine bloße Möglichkeit eines realen Seinsbezeichnet.An reales Seiende geknüpft, sind sie doch in sich selber nichts (wie die Privationen) . [...]7. Was [...] eigentlich bloßes Gewesensein oder Zukünftigsein einer Realität besagt.8. Die verba mentis : das Vorgestellte , das Behauptete .Ebenso, wovon wir sagen , daß es im Willen (im Herzen) sei, das Begehrte, Geliebte; (aber auch dasGehaßte) . Es kann auch Nichtseiendem zukommen .Ebenso das Gekonnte (was in der Macht ist) und was in Möglichkeit ist.9. das Abgebildete, gemalte als solches .10. Das, was dem Vorgestellten, Behaupteten u.s.f. als solchem zukommt. in der Weise, wie es vorge­stellt etc. ist. Wie: Das Allgemeine, Gattung, Art, Differenz, Subjekt, Prädikat u.dgl. (Wahrscheinlich­keit? Bedingtsein?)11. Die Collectiva und Divisiva, d.i. das, was man erhält, wenn der Verstand viele Dinge zu einerEinheit zusammen faßt, oder wenn er ein Ding in eine Vielheit scheidet, indem er das unvollständigErfaßte, so weit wie er sie erfaßt, als wäre es vollständig und ein Ganzes für sich, prädiziert. (M 96,XXXIX, 15-XL, 15)

Alle diese Entitäten können ruhig außer Acht gelassen werden . Ihre Seinsweise be­steht lediglich darin , daß man in einer gewissen Weise wahre Gedanken artikulierenkann . In diesem Sinne gehören sie alle zum Seienden im Sinne des Wahren .

3 .3 SUBSTAN Z U N D AKZIDENS

Was nun nach der Lehre der Würzburger Metaphysik den Gegenstand der Onto­logie bildet, sind zweifelsohne die konkret-individuellen Substanzen mit ihrenAkzidentien, wobei - sagt Brentano - noch zu untersuchen bleibt, ob wir es in die­sem Fall noch mit dem Seienden im mannigfachen Sinne (etwa mit den verschie­denen Aristotelischen Kategorien) zu tu haben.

über wir bald mehr sagen . Erst der späte Brentano, der eine nicht-konzeptualistische Theorie der Akzi­dentien entwickelte , konnte eine solche Redukt ion erfolgreich durchführen.

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80 KAPITEL 3

Daß die Unterscheidung zwischen den Eigenschaften und ihrem ontologischenTräger einen guten Sinn hat, war eines der Elemente der Aristotelischen Philoso­phie , die Brentano nie in Frage stellte. Auch die Theorie , die diesen Träger als einedurch die wesentlichen Eigenschaften unmittelbar qualifizierte Substanz auffaßt,der als unwesentliche Eigenschaften Akzidentien gegenüberstellt werden , hat ersowohl in der frühen, als auch in der mittleren und späten Periode aufrechterhalten.Seine Ansichten darüber, welche Bestimmungen als substantial und welche als akzi­dentell zu klassifizieren sind, haben sich hingegen verändert , ebenso wie die Mo­delle, durch welche er das Verhältnis zwischen der Substanz und ihren Akzidentienzu erklären versucht.

In den Würzburger Vorlesungen rechnet Brentano Z.B. örtlich e und zeitlicheCharakteristika zu den akzidentellen Bestimmungen," während sie in der späterenPeriode als substantiale Eigenschaften betrachtet werden. Die örtlichen und zeit­lichen Bestimmungen sind ferner nach der Theorie der Würzburger Metaphysikabsolute Akzidentien. Diese Lehre finden wir in den Lektionen XVII-XXIII derMetaphysik-Vorlesung. Brentano kritisiert dort sogar die Ansichten Aristoteles', derseines Erachtens diese Akzidentien im Grunde zu Relationen gemacht hat. Wir erin­nern uns an die Interpretation in Brentanos Dissertation, nach der die KategorienWo und Wann als Bestimmungen, die einem Ding "von außen" zugeschrieben wer­den, bezeichnet wurden .

Alle Relationen müssen jedoch auf gewissen absoluten Eigenschaften als ihrenFundamenten beruhen - so Brentanos feste ontologische Überzeugung, entspre­chend der These der Supervenienz von Relationen, welche wir in den vorigen Ka­piteln formuliert haben . Wir brauchen also auch die entsprechenden absoluten zeit­lichen und räumlichen Charakteristika, und zwar selbst dann, wenn sie uns erkennt­nismäßig unzugänglich sind.

Bei der örtlichen und zeitlichen Bestimmungen ist dies tatsächlich gerade derFall. Die örtliche und zeitliche Position eines Gegenstands können wir nur durcheine Relation zu den Objekten, deren Position als "bekannt" vorausgesetzt wird,bestimmen. Damit jedoch zwei Dinge in einer zeitlichen bzw. räumlichen Relationstehen, müssen sie unbedingt absolute zeitliche bzw. örtliche Bestimmungen haben,

74 Er betont jed och, daß bei den Dingen , welch e diese Akzidentien überhaupt haben , die zeitliche undörtliche Bestimmung nicht f ehlen kann . Eine örtliche oder zeitliche Bestimmung kann nur in der Weiseentfallen, daß sie durch eine andere örtliche oder zeitliche Bestimmung ersetzt wird . Wir haben es hieralso mit einer Kategorie von "notwendigen" Akzidentien zu tun. Ihre .A kzidentalität" besteht ledigl ichdarin , daß keine bestimmte zeitliche oder örtliche Bestimmung impli ziert wird . Irgendwelche Bestim ­mungen der Gattung Zeit und Ort muß es jedoch geben, im Gegensatz z.B. zu solchen Akzidentien, wieVorstellen, Denken, Empfinden, die ganz entfallen können, ohne durch eine andere Bestimmung der­selben Gattung ersetzt werden zu müssen . (M 96, XLIII) In der Lektion LV der Metaphysik-Vorlesungteilt Brentano alle Akzidentien in drei Gruppen: (I) Die wenigen absolut untrennbaren Akzident ien sinddie Bestimmungen, "welche dem Dinge in Bezug auf Gott zukommen, wie das Verhältnis des Ge­schöpfs zum Schöpfer". Andere Akzidentien sind von der Substanz trennbar, ihre Trennbarkeit hat je­doch verschiedene Grade. Einerseits haben wir (2) Akzidentien, die zwar entfallen können, die jedochdurch ein anderes Akzidens derselben Gattung ersetzt werden müssen (wie z.B, örtliche Bestimmungenfür Körper), andererseits gibt es (3) Akzidentien, die entfallen können, ohne durch ein ander es Akzi­dens derselben Gattung erset zt werden zu müssen , wie z.B. Denken, Empfinden.

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 81

auf denen sich "die schwächste Form des Seienden" - die zeitliche oder räumlicheRelation zwischen ihnen - aufbaut.

Die These, daß jede relative Bestimmung auf gewissen absoluten Bestimmun­gen, wie wir heute sagen würden, .superveniert", war eine der unerschütterlichenÜberzeugungen Brentanos, die viele seiner Schüler übernommen haben. Von denwenigen Ausnahmen, von denen wir noch sprechen werden, abgesehen, ist jedeRelation nach Brentano ontologisch reduzierbar, indem sie ihre notwendige undhinreichende Bedingung in gewissen monadischen Eigenschaften ihrer Fundamentehat. Um die Welt vollständig zu beschreiben, brauchen wir also lediglich alle Ge­genstände und alle ihre monadischen Eigenschaften aufzuzählen. Alle Relationenwerden sich davon "automatisch ergeben".

Die zeitlichen und örtlichen Bestimmungen bilden also nach der Lehre derWürzburger Metaphysik zwei wichtige Gattungen von absoluten Akzidentien. Siewerden aber von Brentano nicht als Universalien, sondern als individuelle Struk­turen, die von ihren substantialen Träger seinsabhängig sind, interpretiert. Nach derLehre Brentanos ist es nicht richtig zu sagen, daß viele Dinge in derselben Zeit sind.Es gibt vielmehr so viele Zeiten, wie viele es Dinge gibt. Die Zeit als eine akziden­telle Bestimmung kann nämlich, wie Brentano betont, keinesfalls als individuellidentisch vielen verschiedenen Substanzen zukommen. Richtig ist nur, daß allediese individuell verschiedenen Zeiten spezifisch gleich sind. (M 96, XXII) Diecharakteristische Eigenschaft der unfertigen Wirklichkeit der Zeit besteht nämlichdarin, daß sie nur ihrer Jetzt-Grenze nach ist. Dementsprechend müssen alle akzi­dentellen Zeitbestimmungen zwangsläufig der gleichen Spezies sein. Das gibt übri­gens den Anlaß zur Lehre, welche die Zeit als eine Art des Seienden, "in dem" alleDinge sind, auffaßt - der Lehre, die Brentano dezidiert verwirft.75

Ähnlich argumentiert Brentano bezüglich der örtlichen Charakteristika. AlsAkzidentien können sie keineswegs von einem Gegenstand auf einen anderen über­gehen. Wenn sich also ein Gegenstand A auf den Platz eines anderen Gegenstands Bverschiebt, dann erwirbt A eine örtliche Bestimmung, die der Bestimmung, die Bfrüher hatte, zwar spezifisch gleich ist, nichtsdestoweniger von ihr individuell ver­schieden sein muß. Die Besonderheit der Ortbestimmung besteht ferner darin, daßkeine zwei Gegenstände eine spezifisch gleiche örtliche Bestimmung zur selbenZeit haben können. (M 96, XIX) Diese Besonderheit der Ortbestimmung verleitetzur Auffassung, der Raum sei eine Art Behälter, "in dem" sich die Dinge bewegen,die Brentano scharfkritisiert.76

Wir sehen hier deutlich die Elemente der Tropentheorie, die wir im ersten Kapi­tel skizzenhaft dargestellt haben. Die zeitlichen Bestimmungen, die vielen Dingenzukommen, sind nur der Spezies nach gleich. Die verschiedenen Dinge sind nicht inderselben Zeit, jede Zeitbestimmung muß individuell verschieden sein. Ähnlich

75 VgI. dazu auch Goodman 1966, S.357: .A ccording to our analysis a concrete phenomenalindividual , ordinarily said to be in time, is regarded rather as having time in it; and its temporal size ­or duration - depends on how many moments it contains." Der wichtige Unterschied besteht dar in, daßdie zeitlichen Momente Goodmans nicht individuelle Eigenschaften, sondern Universalien sind.76 Ein solcher Raumbegriff war für Newton und Marty (1916) charakteristisch. Auch Johansson (1989)verteidigt diese Auffassung.

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82 KAPITEL 3

steht es mit dem Ort. Verschiebt sich ein Ding A - wie man es unpräzis vorphilo­sophisch sagt - auf den Platz, der früher von einem anderen Ding B besetzt war, soübernimmt A in Wirklichkeit nicht die örtliche Bestimmung von B. Die zweiBestimmungen sind wieder lediglich der gleichen Spezies. Individuell müssen sieverschieden sein.

Am Beispiel der örtlichen Bestimmungen sehen wir auch, daß Brentano dieindividuellen Eigenschaften als untransferierbar betrachtet. Die Zugehörigkeit zueinem konkreten Individuum ist in die örtliche Bestimmung ontologisch eingebaut ,so daß das Ding A nicht die örtliche Bestimmung vom Ding B übernehmen kann. Eskann höchstens eine örtliche Bestimmung haben, die der örtlichen Bestimmung vonA spezifisch gleich ist.

Brentano hat allerdings in seinen Würzburger Vorlesungen die Theorie der indi­viduellen Eigenschaften nicht genauer ausgearbeitet. Rätselhaft bleibt z.B., was dieRede von der "spezifischen Gleichheit" der individuellen Eigenschaften zu bedeu­ten hat. Soll sie buchstäblich verstanden werden, würde sie implizieren, daß mehre­re individuelle Eigenschaften einer Spezies zugehören, die dann wahrscheinlich alsein Universale zu interpretieren wäre. Es ist nicht klar, ob der junge Brentano dieheute populäre Auffassung , die Universalien als Ähnlichkeitsklassen von individu­ellen Eigenschaften definiert, annehmen wollte. Diese Lücke ist allerdings nicht sowichtig, und zwar deswegen, weil in der frühen Ontologie Brentanos letztlich auchdie individuellen Eigenschaften mit Hilfe einer konzeptualistischen Technik weger­klärt werden . Wir werden darüber bald etwas mehr sagen.

Brentano erörtert dann Einwände , die den Begriff eines Dings mit vielen Eigen­schaften als widersprüchlich erweisen wollen. Es handelt sich im Grunde um diefolgende Überlegung: wenn ein Ding A zugleich rot und dreieckig ist, dann ist Azugleich etwas Dreieckiges und etwas Rotes. Da jedoch etwas Dreieckiges mitetwas Rotem nicht identisch zu sein scheint, kann man argumentieren , daß man esin diesem Fall mit einer Vielheit zu tun hat, die zugleich eine Einheit ist. Als Einheitsoll das Ding als Ganzes entstehen und vergehen. Die Akzidentien können jedoch(und zwar per definitionem) entfallen, ohne daß das Ding zu existieren aufhört.(Vgl. M 96, VII)

Daß dieser Einwand wenig plausibel ist, scheint klar. Die intuitive Unplausibi­lität muß jedoch, soll sie philosophisch relevant sein, als Konsequenz einer Theorieerwiesen werden, die das Verhältnis Substanz-Akzidens näher artikuliert . In Lek­tion XXVI versucht Brentano eine solche Theorie zu geben. Vor allem bemerkt er,daß man von einer Einheit in zweifacher Weise sprechen kann:

Man unterscheidet [...]: die Einheit dem Wesen nach und die Einheit dem Subjekte nach. Die Einheitdes Wesens findet ihren Ausdruck darin, daß ich in abstrakter Form das eine von dem anderen prädi­ziere, z.B. wenn ich sage[ :] die Röte ist eine Farbe, die Ebene ist eine Fläche. Wo ich dies nicht vermag,fehlt die Einheit des Wesens , ich habe eine Mehrhe it dem Wesen nach. Die Einheit des Subjektes findetdagegen ihren Ausdruck darin , daß ich in konkreter Form das eine vom anderen aussage , z.B. der Kör­per ist rot, das Rote ist schwer. Jede dieser Einheiten ist eine Einheit in einem anderen Sinne , und es istdarum wohl möglich, daß, wo die eine, die andere nicht besteht , daß also was dem Subjekte nach eines,dem Wesen nach Vieles ist, und dies ist, was das Ding mit vielen Eigenschaften besagt. Es ist also hiernicht in demselben Sinne Eines und Vieles und darum kein Widerspruch . (M 96, XXVI)

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BRENTANOS FRÜH ER KONZEPTUALISMUS 83

Die wesentliche Einheit besteht dann, wenn die abstrakte Form der Prädikation an­gemessen ist. Eine solche Form kann, wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, alseine Art Erklärung der modalen Kontexte funktionieren. Betrachten wir die folgen­den Sätze:

(1) Alles, was rot ist, ist farbig;

(2) Notwendigerweise : [alles, was rot ist, ist farbig];

(3) Alle Raben sind schwarz;

(4) Notwendigerweise : [alle Raben sind schwarz).

Die Sätze (1)-(3) sind wahr, während der Satz (4) falsch ist. Worin besteht jedochder Unterschied zwischen den Sätzen (I) und (3), der bewirkt, daß die Anwendungdes modalen Operators "Notwendigerweise" sich im Fall des Satzes (1) als wahr­heitserhaltend erweist, während sie im Fall des Satzes (3) von einem wahren Satz zueinem falschen Satz führt, obwohl beide Sätze (1) und (3) uneingeschränkt allge­mein sind?

Die Antwort, die uns viele Philosophen geben, lautet, daß die modalen Opera­toren etwas wesentlich mehr als bloß eine universelle Generalisierung ausdrücken .Der Satz (2) kann in eine abstrakte Form überführt werden:

(2*) Die Röte ist eine Farbe .

Wir haben es jetzt mit einer Prädikation der höheren Gattung von einer Art zu tun.Wir sprechen nicht mehr von den Individuen, wie es in Satz (1), aber auch in Satz(2) der Fall war, wir sprechen von den Allgemeinheiten.

Was diese Allgemeinheiten sind, die die Rätsel der modalen Kontexte erklärensollen, ist eine Frage, die die Philosophen spaltet. Platon würde sie als von denkonkreten Individuen unabhängige Entitäten betrachten, Aristoteles scheint zubehaupten, daß sie als streng identisch in vielen konkreten Individuen (aber nichtaußer ihnen) bestehen. Die heutigen Anhänger der individuellen Eigenschaften in­terpretieren sie als Mengen von individuellen Eigenschaften. Viele würden behaup­ten, daß die einzige Allgemeinheit in unseren "Begriffen" steckt, wobei zunächstnoch offen bleibt, was man dabei unter "Begriff' versteht.

Die Bezeichnung "Begriff' hat natürlich etwas mit der intentionalen Beziehungzu tun. "Begriff ' ist etwas, "mittels dessen" wir denken und "durch das" wir uns aufdie Referenzobjekte beziehen. Das impliziert jedoch keineswegs, daß Begriffe inirgendwelchem Sinne mentale Entitäten sein müssen. So kann z.B. die Rolle desbegriffl ichen Vehikels der intentionalen Beziehung von Platonischen Entitätenübernommen werden.77

77 Eine Intentionalitätstheorie dieser Art finden wir bei Chisholm. Vgl. Chisholm 1976 und Chisholm1981.

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84 KAPITEL 3

Brentano, der in dieser Hinsicht unter dem Einfluß von Aristoteles steht, sprichtvom Verhältnis des Enthaltenseins, das zwischen den Begriffen besteht. Der Begriffeines Roten enthält den Begriff eines Farbigen. Die Begriffe heißen, sofern sie aufreale Dinge zutreffen, logische Teile dieser Dinge . Dem Satz (2*) können wir alsoauch die folgende Form geben :

(2**) Der logische Teil : rot zu sein enthält den logischen Teil:farbig zu sein .

Da der logische Teil rot zu sein den logischen Teil farbig zu sein enthält, aber nichtumgekehrt, kann der Teil rot zu sein vom Teil farbig zu sein nicht abgetrenntwerden, der Teil farbig zu sein jedoch auch ohne den Teil rot zu sein auftreten.Nicht alles, was farbig ist, muß also rot sein, selbst wenn eine solche Generalisie­rung (per Zufall) wahr wäre (d.h. wenn es in der ganzen Welt nur rote Dinge gäbe) .Der logische Teil farbig zu sein ist demgemäß vom logischen Teil rot zu sein ein­seitig abtrennbar.

Was nun den Satz (3) "Alle Raben sind schwarz" betrifft, so finden wir hier der­artige konzeptuelle Abhängigkeiten nicht. Im Begriff eines Raben ist seine Farbenicht spezifiziert. Diese logischen Teile sind also gegenseitig abtrennbar . Wenn estatsächlich nur schwarze Raben gibt, dann ist das eine kontingente Tatsache, diekeine konzeptuelle Erklärung und eo ipso keine Modalisierung zuläßt. 78 Die Einheitdieser zwei Charakteristika besteht also bloß dem Subjekt nach. (Bei der Prädikationvon Arten wird, wie Aristoteles sagen würde (Kategorien, Kap . 5, 2a), von einemSubjekt nicht der Begriff, sondern bloß der Name ausgesagt.) Die schwarze Farbe istdie Eigenschaft, die zwar jedem Raben zukommt, die jedoch auch entfallen kann,ohne daß der betreffende Rabe aufhören muß, Rabe zu sein. Nach einer der klassi­schen Definitionen heißt eine solche Eigenschaft Akzidens.

Ganz anderes ist es mit dem Satz :

(5) Alle Raben sind Tiere.

Hier gilt der modalen Satz:

(6) Notwendigerweise: [alle Raben sind Tiere]

Auch die abstrakte Form:

(6*) Der Rabe ist ein Tier

erscheint richtig . Sowohl der Name als auch der Begriff darf hier ausgesagt werden,und zwar deswegen, weil

78 In Wirklichkeit ist die Situation nicht so einfach . Denn außer den (im weiten Sinne) logischenModalitäten haben wir auch nomologische Modalitäten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die schwarzeFarbe aller Raben auf gewisse biologische Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen wäre. Die Probleme dernomologischen Modalitäten lassen wir allerdings beiseite .

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS

(6**) der logische Teil: Rabe den logischen Teil: Tier enthält.

85

Die Gegner der Idee eines Dings mit vielen Eigenschaften geben sich jedoch seltenmit der bloßen Unterscheidung von essentieller und akzidenteller Einheit zufrieden .Sie fordern eine Erklärung, worin die akzidentelle Einheit - die Einheit dem Sub­jekt nach - besteht, und an diesem Punkt tauchen, wie Brentano zugibt, tatsächlichernsthafte Probleme auf. Man sagt, daß das Ding viele verschiedene Eigenschaftenhat, sie kommen ihm zu.

Also z.B. wenn einer sagt: der Körper ist schwer, so heißt dies nicht] .] er ist eine gewisse Schwere, son­dern er hat eine gewisse Schwere, er besitzt sie. Wenn aber dies, so haben wir hier nicht bloß ein zwei­faches sondern ein dreifaches zu unterscheiden :I . den Körper2. die Schwere3. das Besitzen der Schwere, das ebenfalls dem Körper zukommt. (M 96, XXVI)

Die Frage lautet jetzt: ist die Einheit von 1. und 3. wieder bloß eine Einheit demSubjekt nach? In diesem Fall müssen wir sagen: "der Körper [...] besitzt das Be­sitzen der Schwere und es wiederholt sich die Frage, wie er sich zu diesem Besitzenverhalte u.s.f. in infinitum, was absurd ist." (M 96, XXVI) Ist dagegen die Einheitvon 1. und 3. eine wesentliche Einheit, dann ist der Körper das Besitzen der Schwe­re. In diesem Fall ist er jedoch natürlich auch das Besitzen der Härte, wovon zufolgen scheint, daß das Besitzen der Schwere das Besitzen der Härte sein muß, wasjedoch falsch ist. Denn ein Ding kann aufhören, hart zu sein, ohne aufzuhören ,schwer zu sein. Die Paradoxien werden also wieder aufgerollt.

Im ersten Kapitel haben wir darüber gesprochen, daß sowohl realistische alsauch nominalistische Ontologien letztlich gezwungen sind, das Verhältnis, das zwi­schen einem konkreten Individuum und einer ihm zukommenden Eigenschaft be­steht, das wir in einer neutralen Formulierung als ".J" bezeichnet haben, als einenprimitiven, weiter unerklärbarer Nexus zu interpretieren, der mit den "normalen"Relationen, die zwischen konkreten Individuen bestehen, nicht viel zu tun hat.Andernfalls droht ein unendlicher Regress, indem wir immer von neuem nach demontologischen Status der Relation, welche die Einheit zwischen dem Subjekt, derEigenschaft und der .J-Relation immer höherer Stufe herstellt.

Hier begegnen wir wieder diesem klassischen Dilemma, mit dem einzigen Unter­schied, daß Brentano die entsprechende Eigenschaft und den .J-Nexus zu einemGanzen zusammensetzt und fragt, welche Relation die gewünschte Einheit zwi­schen dem Subjekt und dem Komplex .J-Nexus+Eigenschaft sichert. Die erwarteteAntwort lautet natürlich: ein neuer .J-artiger Nexus höherer Stufe, was den Anfangeines unendlichen Regresses bildet.

Brentano erörtert zwei prima facie plausible Theorien, durch die diese Schwie­rigkeit beseitigt werden kann:

Die erste Ansicht hält dafür, die Substanz und ihre Akzidentien seien verschiedene Seiende , sie seienaber nicht Seiende in demselben Sinne des Wortes. Nur das substantiale Sein sei ein eigentliches, einselbständiges Sein, ein Sein schlechthin. Das Sein des Akzidens sei dagegen ein Insein ein Inwohnen inder Substanz (accidentis esse est inesse) und nur gewissermaßen ein Sein, ein esse secundum quid .Nach dieser Theorie , welche Ansicht großer Philosophen, insbesondere des Aristoteles und Thomaswar, löst sich die Schwierigkeit einfach. Die Substanz, welche eine Eigenschaft hat, ist weder die

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86 KAPITEL 3

Eigenschaft noch das Besitzen der Eigenschaft aber dennoch kommt ihr das Besitzen nicht wie eineweitere Eigenschaft zu. Es ist vielmehr dieses Besitzen der Eigenschaft essentiell mit dieser identisch .Das Sein des Akzidens ist ja Inwohnen in der Substanz , sein Verbundensein mit ihr selber , und dies ist,was wir auch als Besitzen der Eigenschaft beze ichnen . Wir kommen also zu keinem regressus in infini ­tum, beim ersten Schritte schon tritt Stillstand ein. Leicht erklärt sich nach dieser Theorie , wie ein Akzi­dens bleibt, während das andere wechselt. Nur wenn die Substanz eine andere wird, müssen zugleichdie Akzidentien wenigstens individuell andere werden. (M 96, XXVI)

Wir haben hier eine (zum Teil) Aristotelische Theorie . Sie betrachtet das Akzidensals ein von seiner Substanz verschiedenes Seiendes. Man kann demgemäß ontolo­gisch völlig verbindlich sagen, daß die rote Farbe ist. Das Sein, das wir dem Akzi­dens zuschreiben, ist jedoch keineswegs auf die gleiche Ebene zu stellen wie dasSein der Substanz . Nur die Substanz existiert selbständig . Das Sein eines Akzidensist hingegen auf das Sein der Substanz angewiesen . Das Sein des Akzidens ist einIn-der-Substanz-Sein.79 Es ist deswegen unzweckmäßig und irreführend, neben derSubstanz und dem Akzidens noch eine dritte Realität - eine Relation des Zukom­mens - einzuführen. Eine solche Relation bräuchte eventuell die Platonische The­orie, die jede Eigenschaft als ein unabhängiges Seiendes betrachtet. Im Rahmen derAristotelischen Sichtweise ist sie indessen völlig überflüssig, denn sie ist im Begriffdes Akzidens bereits enthalten .so Nach dieser Theorie müssen wir also auch unterden Entitäten, die zum Bereich der Ontologie gehören, verschiedene Bedeutungendes Seienden unterscheiden. Auch das Seiende im eigentlichen Sinne wird in man­nigfacher Bedeutung ausgesagt.

Diese Lösung sieht also den Irrtum des Einwandes nicht darin, daß er den ..1­Nexus zu einer normalen Relation macht, sondern darin, daß er überhaupt die Not­wendigkeit irgendeiner Verknüpfung zwischen dem Subjekt und seiner Eigenschaftannimmt. Wir brauchen überhaupt keine ..1-Verknüpfung, weder als eine normaleRelation noch als einen primitiven Nexus, weil die Zugehörigkeit zu diesem Subjektbereits in der Eigenschaft selbst steckt. (Es ist daher übrigens auch irreführend voneinem Komplex ..1-Nexus+Eigenschaft zu sprechen.)

Der erste Punkt, der betont werden muß, ist, daß diese Position nur sehr bedingtals Aristotelisch bezeichnet werden kann. Erstens, sie kann grundsätzlich nur für dieindividuellen Eigenschaften funktionieren . In keine allgemeine Eigenschaft, die alsidentisch dieselbe von vielen Individuen gehabt werden kann, kann eine Zugehörig­keit zu einem bestimmten Subjekt eingebaut werden. Einer allgemeinen Eigenschaftkann man nur eine unbestimmte Ungesättigtheit zuschreiben - eine Notwendigkeit,zu irgendeinem ontologischen Träger zu gehören -, jedoch kein bestimmtes Gebun­densein zu einem bestimmten Individuum. Für Brentano war die Lehre von denallgemeinen Entitäten dergestalt absurd, daß er sie bei seinem Meister nie findenwollte, trotzdem scheint jedoch Aristoteles eine solche Lehre vertreten zu haben. Esist deshalb zweifelhaft, daß seine Metaphysik ohne den .f-Nexus auskommt.

79 In seiner Dissertation spricht Brentano von der "Inexistenz" der Akzidentien in der Substanz. Vgl.Brentano 1862, S. 151, 167.80 Thomas von Aquin schreibt: ,,[D]iese Weise der Definition kommt eher den Akzidentien zu, die keinvollkommenes Wesen besitzen. Daraus ergibt sich, daß sie in ihrer Definition ein Zugrundeliegendeseinbeziehen müssen , das außerhalb ihres Genus ist.", De ente et essen/in , S. 45.

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 87

Sogar für die individuellen Eigenschaften ist es ferner nicht ganz klar, ob wir sieals einem bestimmten Subjekt zugehörig interpretieren sollen. Wie wir im erstenKapitel gesehen haben, spricht vieles dafür, daß der metaphysisch wirklich interes­sante Begriff der individuellen Eigenschaft keine solche bestimmte Zugehörigkeitinvolvieren kann. Wenn wir die individuellen Eigenschaften als Grundbausteine derRealität interpretieren, aus denen mit Hilfe der Relationen der Ähnlichkeit undKompräsenz sowohl Universalien als auch konkrete Individuen konstruiert werden,dann kann eine solche Zugehörigkeit zu einem bestimmten Subjekt nicht zum Be­griff einer individuellen Eigenschaft gehören. Was zu ihrem Begriff gehört, ist nureine allgemeine Ungesättigtheit. Eine individuelle Eigenschaft ist eine abstrakteEntität. Sie kann nur "in" einem (konkreten) Subjekt existieren, obwohl wir ausdem bloßen Begriff dieser Eigenschaft nicht wissen können, welches dieses Subjektist. Dasselbe gilt allerdings auch für eine allgemeine Eigenschaft, vorausgesetzt, wiroperieren im Rahmen des Aristotelischen metaphysischen Modells. Die Relationder Kompräsenz, ähnlich wie die von den metaphysischen Realisten postulierteExemplifizierung, ist eine externe, kontingente Relation.

Eine solche unbestimmte Zugehörigkeit zu einem Subjekt ist zwar alles, wasBrentano braucht, es ist jedoch auch zu berücksichtigen, daß auch das Bestehen derRelation der Kompräsenz involviert ist. Die ontologische Unselbständigkeit vonindividuellen Eigenschaften besteht nämlich exakt darin, daß sie nie isoliert auftre­ten, sondern immer in der Relation der Kompräsenz zu anderen individuellenEigenschaften stehen. Das Problem des ...I-Nexus tritt also in Zusammenhang mitder Relation der Kompräsenz auf. Ist die Relation der Kompräsenz mit den indivi­duellen Eigenschaften, die sie zu einem konkreten Individuum verknüpft, kom­präsent?

Bei der Diskussion der Untransferierbarkeit der örtlichen Bestimmungen habenwir gesehen, daß der junge Brentano dazu neigt, den individuellen Akzidentiendoch die Zugehörigkeit zu dem konkreten Individuum, dem sie aktuell zugehören,zuzuschreiben . Wenn wir dies verallgemeinern, dann sind seine individuellen Ei­genschaften untransferierbare Tropen. In diesem Fall wäre der ...I-Nexus tatsächlichin jedem Akzidens involviert, was jedoch derartige Akzidentien (wie wir im erstenKapitel gesehen haben) ontologisch sehr ineffizient macht.

Es ist also zweifelhaft, ob die von Brentano zuerst genannte Theorie selbst fürindividuelle Eigenschaften wirklich überzeugend ist. Brentano geht jedoch zu eineranderen Auffassung über, welche die reale Verschiedenheit der Substanz von Ei­genschaften überhaupt leugnet. In weiteren Teilen der Würzburger Vorlesung wirder diese Theorie, nicht die "Aristotelische" Lehre, die er noch vor fünf Jahren zuakzeptieren schien, als richtig betrachten.

Allein nicht alle geben zu, daß die Substanz und ihre Akzidentien eine Vielheit von Seienden seien .Besonders in unserer Zeit ist die Zahl derer wohl überwiegend, welche glauben, daß die Substanz samtihren Akzidentien ein einziges Seiendes sei, daß sie mit ihnen ein einheitliches Ganze ausmache.i I

In diesem Ganzen unterscheide nur unser Verstand die Substanz und jedes der Akzidentien, wie erja auch in dem einheitlichen Ausgedehnten und in der einheitlichen Bewegung eine Vielheit von ein-

81 Im Manuskript folgt hier ein von Brentano gestrichener Satz: "Von diesem Ganzen sei die Substanzund jedes Akzidens Teil. "

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88 KAPITEL 3

ander verschiedenen Teilen unterscheide. Freilich ist die Weise dieser Teilung eine andere, diese sindquantitative,jene, wenn wir sagen wollen, metaphysische Teile des Dinges . Wir kommen aber zu ihneninsofern in ähnlicher Weise als wir das Ding zunächst unvollständig erfassen und dann den Teil , wo­nach wir es erfassen, gegenüber den übrigen prädizieren . Es ist also nach dieser Ansicht diese Vielheitnicht in dem Dinge, wenn auch ihr Fundament in dem Dinge ist.

Nach dieser Theorie, die ebenfalls schon Aristoteles andeutet (Met[aphysik] , L. 1)82 würde sich dieObjection nach einer Seite hin noch einfacher lösen. Das Haben der Akzidentien würde ähnlich wie dasHaben quantitativer Teile zu erklären sein . Von einem Drillen wäre keine Rede, da in Wahrheit nichteinmal ein Zweites bestünde. Trotzdem würden die prädizierten Teile weder mit dem Ganzen, nochmiteinander ein und dasselbe sein . So wenig als Hom und Schwanz des gehörnten und geschwänztenOchsen. (M 96, XXVI)

Diese Theorie will die Substanz mit ihren Akzidentien als ein real unteilbares Gan­zes betrachten. Nur unser Verstand unterscheidet diese Aspekte . Die konzeptualisti­sehen Züge dieser Auffassung sind nicht zu übersehen und wir werden darüber baldmehr sagen .

Brentano formuliert jedoch bezüglich der zweiten Auffassung eine weitereSchwierigkeit. Wenn die Substanz mit allen ihren Akzidentien ein real unteilbares,integrales Ganzes ist, dann scheint jede Veränderung einer substantialen Umwand­lung zu gleichen.

Wenn nämlich die Substanz mit ihren Akzidentien ein Ganzes ist, so scheint, sobald dieses Ganzeaufh ört, die Substanz mit allen ihren Akzidentien einer essentiellen Umwandlung unterliegen zu müs­sen, und somit wäre ich, wenn ich mich örtlich bewege auch substantiell ein anderer Mensch 8 3 (M 96,XXVI)

Das ist tatsächlich genau das Problem, das die Unterscheidung zwischen densubstantialen und akzidentellen Eigenschaften erzwingt. Soll diese Unterscheidungaufgehoben werden, scheinen alle Eigenschaften gleich wichtig zu sein, und zwarso wichtig, daß das Entfallen jeder beliebigen Eigenschaft eine Aufhebung der sub­stantialen Einheit bedeutet. Brentano glaubt jedoch, die zweite Konzeption trotzdemverteidigen zu können:

Tro tzdem glaube ich, kann auch diese Theorie den Einwand lösen . Es ist nämlich nicht allgemein zuzu­geben , daß mit dem Hinwegfallen eines Teiles der andere einer wesentlichen Umwandlung unterlie gt.Vielmehr gibt es Fälle , in welchen dieser beim Hinweg fallen des ers ten nur inkornplett, essentiell [aber]dasselbe bleibt, oder in welchen er ohne ihn essentiell dasselbe sein würde , was er jetzt in der Verbin­dung mit den Übrigen ist. (M 96, XXVI)

Der Einwand, daß, wenn wir die reale Verschiedenheit von Substanz und Akzidensleugnen, jede Veränderung zwangsläufig eine substantiale Umwandlung bedeutenmuß, beruht auf der Annahme, daß in diesem Fall alle (durch den Verstand unter­scheidbaren) Eigenschaften gewissermaßen zu essentiellen Eigenschaften werdenmüssen . Die zitierte Verteidigung stellt dies in Frage . Brentano behauptet, daß esselbst im Fall eines real unteilbaren Ganzen möglich ist, daß dieses Ganze einenTeil verliert und trotzdem essentiell dasselbe bleibt. Die These scheint auf denersten Blick nicht besonders einleuchtend zu sein, die Beispiele , die Brentano zur

82 Es handelt sich wohl um die Stelle I069a 18-24.83 Später nimmt Brentano an, daß die örtliche Bestimmung ein essentielles Charakteristikum ist. DieBewegung bedeutet also nach dem späten Brentano in der Tat eine substantiale Umwandlung desKörpers .

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 89

Illustration dieser Idee bringt, können jedoch die Sache ein wenig klären. Brentanospricht von einer Bewegung, die innerhalb einer gewissen Strecke A-B essentielldieselbe bleibt, unabhängig davon, ob sie am Punkt B abbricht oder weiter dauert,und unabhängig davon, ob sie ab Punkt B die Richtung wechselt. Es geht alsodarum, daß es gewisse Teile gibt, die zwar von den anderen Teilen, mit denen sieaktuell ein Ganzes bilden, nicht real verschieden sind, die jedoch auch beim Ent­fallen dieser Teile ihre Identität behalten würden.

Der Hauptgedanke Brentanos scheint zu sein, daß ein Ding in der aktuellen Formgenommen (d.h. mit allen Eigenschaften, die wir ihm berechtigterweise zuschreibenkönnen), zwar ein real unteilbares Ganze ist, daß die gedankliche Teilung in diewesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften trotzdem ein Grund für die berech­tigte Anwendung eines modalen Diskurses darstellt.

Betrachten wir eine Rose a, die gestern rot war, die jedoch heute ihre schöneFarbe verloren hat (und z.B. braun geworden ist). Nach dem Modell, das uns Bren­tano vorschlägt, müssen wir sagen, daß gestern die Rose a mit ihrer roten Farbe Rein unteilbares Ganze war. Wir können dieses Ganze als ,,[a]R" bezeichnen. Nurunser Verstand unterscheidet den Aspekt der Farbigkeit und stellt ihn bei einerPrädikation : "Diese Rose ist rot" (,,Ra") der Substanz gegenüber. Diese konzep­tuelle Teilung zeigt jedoch, daß der (fiktive) Teil rote Farbe einen unwesentlichenAspekt der Rose bildet (und zwar im Gegensatz zum Teil Blume, der natürlich einenwesentlichen Bestandteil der Rose darstellt). Den Teil Blume müssen wir nämlichals einen unentbehrlichen Teil des Begriffs Rose auffassen, was, wie wir wissen, imRahmen des Aristotelisch-Brentanoschen Modells durch das Einbetten des allge­meineren Teils erfolgt. Wenn wir also den Teil Blume artikulieren wollen, könnteunsere Bezeichnung folgendermaßen aussehen: ,,[[b]a]R", wobei .b" für Blumesteht. Wenn wir auch andeuten wollen, daß jede Blume eine Pflanze ist, kompliziertsich unsere Bezeichnung zur Form ,,[[[p]b]a]R" usw. Das Zukommen von Akzi­dentien weist hingegen keine solche Verschachtelung auf. Alle Akzidentien sindgenau gleich akzidentell und befinden sich dementsprechend auf derselben Ebene.Wenn wir also Z.B. in unserer Bezeichnung auch ausdrücken möchten, daß die Rosesich am Ort 0 befmdet, werden wir die Ortsbezeichnung ,,0" einfach hinzufügen,,[[[p]b]a]RO", ohne irgendeine Hierarchie bezüglich Rund 0 zu postulieren .

Mit Hilfe dieser Notation können wir erläutern, warum eine modale (kontrafakti ­sehe) Aussage wie die folgende, korrekt ist:

(7) Die Rose a könnte nicht-rot sein.

Wir können aber auch erklären, warum folgende Aussage korrekt ist:

(8) Es ist notwendig, daß die Rose a eine Blume ist.

Daß die modale Aussage (7) richtig ist, macht klar, in welchem Sinn man von derIdentität des Objekts nach dem Verlust seiner (unwesentlichen) Eigenschaften spre­chen kann. Unsere Rose, die ihre rote Farbe verloren hat, ist heute braun. Mit ihrerbraunen Farbe bildet sie heute ebenfalls ein unteilbares Ganzes (das Ganze: [alB) .

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90 KAPITEL 3

Dieses Ganze ist einerseits von [a]R qualitativ verschieden (die Rose war rot undjetzt ist sie braun), andererseits soll zwischen den zwei Ganzen eine gewisse Iden­tität bestehen . Trotz des Entfallens der roten Farbe ist unsere Rose dieselbe geblie­ben, nur in einer - wie Brentano sagt - "inkompletten" Weise.

Wenn wir diese Theorie etwas präziser ausdrücken wollen, müssen wir, wie esscheint, zwei Arten von Identität unterscheiden . Einerseits haben wir eine strengeIdentität , die durch den Verlust der roten Farbe aufgehoben wird. Für diese Art derIdentität verwenden wir das übliche Zeichen ,,=" . Es gilt also:

~([a]R = [alB)

Andererseits gibt es jedoch auch essentielle (substantiale) Identität , die in unseremFall bestehen bleibt, und die wir durch das Zeichen ,,<=>" ausdrücken wollen. Es giltalso:

[a]R <=> [alB

Die Notation ,,[a]R" und ,,[a]B" scheint zudem zu erklären, warum hier die essen­tielle, aber nicht strenge Identität besteht. Eine metaphysische Interpretation dieserNotation erhalten wir, wenn wir das Ding in die Substanz und Akzidentien analy­sieren, die als verschiedene Teile betrachtet werden, und dann behaupten , daß dieessentielle Identität zwischen zwei zusammengesetzten Ganzen genau dann besteht,wenn zwischen ihren substantiellen Teilen strenge Identität besteht.

(Vx)(Vy)(Vz)(Vw)[([x]z<=> [y]w) == (x =y)]

Diese "ontologiesierende" Interpretation entspricht der von Brentano als ersten an­geführten, "Aristotelischen" Theorie . Diese Theorie nimmt, wie wir aus dem erstenKapitel wissen, außer der normalen Regel der Existenz-Generalisierung:

(REG) Fa :: (3x)(Fx),

noch mindestens eine neutrale Version der Regel der Existenz-Generalisierung hö­herer Stufe an:

(REG**) Fa :: (3x)(a ..l x).

Diese Regel impliziert noch nichts bezüglich des ontologischen Charakters dessemantischen Korrelats des Prädikats "P' (Brentano will es auf jeden Fall als eineindividuelle Entität betrachten) . Auch die technische Bezeichnung "..l", die die Be­ziehung der Exemplifizierung markiert, wird neutral verstanden . (Brentano behaup­tet, daß sie im Begriff des individuellen Akzidens bereits enthalten ist.)

Die erste Theorie, die Brentano präsentierte , besteht darauf, daß die Regeln(REG) und (REG**), zumindest dann, wenn "P' eine akzidentelle Eigenschaft be­zeichnet , von zwei real verschiedenen Entitäten sprechen:

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS

Fa:J [(3x)(Fx) /\ (3y)(a .J y) /\ ~(x = y)]

91

Die Theorie, die Brentano als zweites bespricht, will jedoch keine reale Verschie ­denheit der metaphysischen Teile des Seienden annehmen . Die Notation ,,[a]R" und,,[a]B" muß demgemäß konzeptualistisch interpretiert werden. Sie ist ein Produktunseres Verstandes, das als solches keine Isomorphie mit den Strukturen der Reali­tät voraussetzt. Das Prädikat der essentiellen Identität muß dementsprechend als einunreduzierbares Element der logischen Grammatik angesehen werden . Es kannnicht mehr in Termin i der strengen Identität der substantialen Teile definiert wer­den, denn die Gegenstände, von denen man die essentielle Identität aussagt, sind,laut dieser Theorie , real unteilbar. Dennoch ist diese Notation keineswegs unwich­tig. Die gedankliche Teilung rechtfertigt nämlich die Verwendung der modalen dere-Operatoren, so daß wir von den wesentlichen und unwesentlichen Zügen derDinge berechtigterweise sprechen können, obwohl die Apparatur der wesentlichenund unwesentlichen Eigenschaften, die wir zu diesem Zwecke stipulieren, im Grun­de fiktiv ist. Unsere rote Rose enthält also realiter keine (akzidentelle) EigenschaftRöte . Richtig ist jedoch, daß sie nicht-rot sein könnte . Dasselbe können wir auchausdrücken, indem wir sagen, daß die rote Farbe eine unwesentliche Eigenschaft ist,die die Rose verlieren kann, ohne ihre Identität zu verlieren . Wir bedienen uns dabeieiner fiktiven Teilung des Seienden , die harmlos ist, vorausgesetzt daß wir ausdieser facon de par/er keine metaphysischen Konsequenzen ziehen wollen .84

3.4 PHYSISCHE TEILE DES SEIENDEN

In seiner Ontologie unterscheidet Brentano drei Arten von Teilen , in welche einreales Seiendes zerlegt werden kann : (i) physische Teile, (ii) logische Teile und(iii) metaphysische Teile . Die physischen Teile sind ontologisch am wenigsten kon­trovers. Es handelt sich im Grunde um die real abtrennbaren Stücke eines Gegen­stands . Ein wichtiger Punkt besteht allerdings darin, daß die mereologische Kompo ­sition der Welt vom jungen Brentano nach Aristotelischen Richtlin ien verstandenwird. Alle Teile , die aus ihrem Ganzen nicht tatsächlich abgetrennt werden, existie­ren nach dieser Auffassung lediglich potentiell. (Vgl. Metaphysik, lOl9a 8-10)Dasselbe gilt für alle Kollektive, die nicht tatsächlich zu einer Sache vereinigt sind.(Vgl. Metaphysik, l039a 3) "Die Divisiva", schreibt Brentano, "sind real eins, dieKollektiva dagegen [sind eins nur] durch die collectio unseres Verstandes, durcheine Fiktion, die mehr oder minder ein Fundament in der Sache hat [...]." (M 96, L)

84 Eine charakteristische Eigenschaft der ganzen Philosophie Brentanos besteht darin, daß er den moda­len Diskurs nie auf eine ontologisch verpflichtende Weise zu begründen versuchte. Die Verwendungvon modalen Operatoren wurde von ihm in der Periode bis 1904 durch eine Analyse von Begriffenerklärt, wobei er die Rede von Begriffen sehr lange als ontologisch völlig unverpflichtend betrachtethat. Der späte Brentano (nach 1904) spricht hingegen von einem speziellen psychischen apodiktischenModus . Nur in der mittleren Periode, in der Begriffe als immanente Objekte interpretiert werden,gewinnen sie ontologische Bedeutung. In Chrudzimski 200la (S. 165-178) zeigen wir allerding s, daßauch in dieser Periode der apodiktische Modus als unreduzierbar betrachtet werden muß.

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92 KAPITEL 3

In der Lektion XLIX entwickelt Brentano die folgende Klassifikation physischerTeile:

physische Teile des Seienden

Teile eines Kollektivs Teile einer Sache

sich berührende Teile ineinandergefligte Teile gemischte Teile

Geist und Leib Teile eines Kontinuums

weitere Aufteilungen :

koexistierende sukzessive

(1) homoiomere - anomoiomere Teile

(2) gegliederte - ungegliederte Teile

(3) materiale - formale Teile

integrierende nicht -integrierende

(4) selbständige - unselbständige

Physische Teile zerfallen zunächst in zwei Gruppen, abhängig davon, ob es sich umdie Teile eines Kollektivs oder um die Teile einer einheitlichen Sache handelt. DieTeile eines Kollektivs existieren real, während das Kollektiv selbst nur eine Fiktiondes Verstandes - ein konzeptuelles Produkt der kognitiven Tätigkeit der collectio ­darstellt. Außer dieser objektiven Seinsweise im Verstand besitzt ein solches Kol­lektiv noch eine potentielle Seinsweise, kraft der Tatsache, daß seine Teile effektivin ein Ganzes zusammengefügt werden könnten. Was hingegen die Teile einer ein­heitlichen Sache betrifft, so ist die Situation umgekehrt. Nur die Sache selbst ist

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 93

real. Ihre Teile sind Fiktionen des Verstandes, die außerdem noch eine potentielleSeinsweise besitzen, da sie eines Tages effektiv abgetrennt werden können .

Die Teile einer Sache zerfallen ferner in drei Gruppen . Es gibt (i) sich berühren­de Teile, (ii) ineinandergeftigte Teile und (iii) gemischte Teile . Relevant für dieseAufteilung ist das Prinzip, nach dem die Einheit der jeweiligen Sache hergestelltwird. Im Fall der sich berührenden Teile haben wir es mit einer Art "Seinskonti­nuität" zu tun, die allerdings wieder sehr unterschiedlich sein kann. Brentano subsu­miert nämlich unter diese Rubrik sowohl die Teile eines Kontinuums, als auch dieEinheit von Leib und Seele . Bei den ineinandergefügten Teilen handelt es sich umTeile, zwischen denen eigentlich keine Kontinuität besteht, die jedoch nach Prin­zipien zusammengefügt würden, die so stark sind, daß man geneigt ist, anstatt voneinem Kollektiv, eher von einer einheitlichen Sache zu sprechen. Mit den gemisch­ten Teilen schließlich meint Brentano die chemischen Elemente einer chemischenVerbindung. In diesem Sinn sind Z.B. Sauerstoff und Wasserstoff die physischenTeile von Wasser.

Die Teile eines Kontinuums zerfallen in koexistierende und sukzessive Teile .Mit koexistierenden Teilen haben wir es zu tun, wenn ein Kontinuum als Ganzesexistiert . Ein solches Kontinuum ist jedes räumlich ausgedehnte Ding. Es gibt aberdem jungen Brentano zufolge auch andere Kontinua. Jedes Seiende, das in seinemontologischen Aufbau zeitliche Bestimmungen involviert , ist nach ihm eine unfer­tige Realität, die im eigentlichen Sinn nur einer ihrer Grenzen nach existiert. Alseine unfertige Realität existiert jedoch ein zeitliches Ding auch als Ganzes und alssolches hat es sukzessive physische Teile .

Alle Typen von sich berührenden Teilen lassen weitere Aufteilungen zu. Bren­tano unterscheidet zunächst (i) homoiomere und anomoiomere (ähnlichteilige undunähnlichteilige) und (ii) gegliederte und ungegliederte Teile. Bei diesen Aufteilun­gen handelt es sich darum, ob man die jeweilige Sache in Teile zerlegt , die einebestimmte Homogenität aufweisen und ob die Art der Ordnung zwischen den Tei­len eine besondere Bedeutung hat. Brentano formuliert keine strengen Kriterien,und auch seine Beispiele sind nicht besonders klar. Als anomoiomere Teile werdenZ.B. "Ort, Zeit, Schnelligkeit eines fallenden Körpers" genannt , was eigentlich nichtphysische, sondern metaphysische Teile sind, von denen wir noch sprechen werden .Die Unterscheidung zwischen gegliederten und ungegliederten Teilen wird durchden Vergleich zwischen einer Treppe und einer schiefen Ebene erklärt , was denHauptgedanken etwas besser verstehen läßt.

Eine weitere Unterteilung, die alle sich berührende Teile betrifft, ist diejenige inmateriale und formale Teile. "Die ersteren [werden]", schreibt Brentano, "ganzwillkürlich geschieden, die letzteren [weisen] mehr fundamento in re [aus)." Wirfinden wieder kein präzises Kriterium, denn es erweist sich, daß der Unterschied eingradueller ist. Wir lesen:

Die formalen [Teile] unterliegen wieder Abstufungen . Sie sind integrierend oder nichtintegrierend. Inte­grierend ist ein Teil, dessen Mangel Verstümmelung wäre. Nur wo Zweck ist, wie in den Organismen,können solche Teile sein. Aber auch hier [ist] nicht jeder formale Teil [integrierend] . Wer sich ein Haarbei[m] Kämmen ausriß, wird nicht klagen, daß er [dadurch] zum Krüppel geworden sei, und doch hat ereinen formalen Teil (im weiten Sinn) verloren . Dagegen [wird] wem die Hand abgehauen [wird, da­durch zum Krüppel).

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94 KAPITEL 3

So steigt aber die Bedeutung der formalen Teile mit der wachsenden Wichtigkeit [der Teile) , und ineinem noch höheren und engeren Sinn sind daher jene Teile formal, an welche das organische Lebengebunden ist, z.B. Herz, Gehirn. Andere [weniger wichtige Teile) wie die Hand sind in diesem Sinnenicht formal. (M 96, XLIX)

Von solch formalen und materialen Teilen kann man, schreibt Brentano, in einemanalogen Sinn auch in Bezug auf Kollektive sprechen. "Im Staat ist z.B. ein Bürgerein materialer Teil, der König, die Kammern, das Ministerium, die Beamten (ja, ingewissem Sinne jeder Beamte) ein formaler." (M 96, XLIX)

Brentano spricht also von einer Hierarchie von physischen Teilen, die durch dasfolgende Schema illustriert werden kann:

physische Teile eines Kontinuums

materiale Teile(Aufteilung ist beliebig)

formale TeileiAufteilung hat einfundamenturn In re)

eines nicht-organischen Dings

integrierende Teile(ihr Verlust Ist eineVerstümmelung)

Teile, an welche dasorganische Lebengebunden ist

darunter (vielleicht)selbständige Teile

im weiteren Sinne

unselbständigeTeIle

nicht-integrierende Teile

Nicht jeder Teil, selbst wenn er entsprechend einer Basis in der Sache identifiziertwurde - d.h. ein formaler Teil ist - , ist gleich wichtig. Insbesondere gibt es Teile,welche "ohne Verstümmelung " verloren werden können. Dazu gehören solcheTeile wie Haare und Blätter. Neben ihnen gibt es aber auch Hände und Augen, dieohne Verstümmelung nicht verlorengehen können - die integrierenden Teile. Und

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 95

unter den integrierenden gibt es auch solche wie Herz und Gehirn, die über dieEinheit der organischen Funktionen des betreffenden Gegenstands entscheiden.

Brentano unterscheidet schließlich unter sich berührenden Teilen selbständigeund unselbständige Teile, wobei die selbständigen Teile diejenigen sind, welchenach der Abtrennung ihre eigentliche Funktion noch erfüllen können. Er nennt hierden menschlichen Geist und meint, daß vielleicht auch "wichtigere Organe desOrganismus gegenüber den unwichtigen" als selbständige Teile betrachtet werdenkönnen.85

Die Theorie der physischen Teile, die uns der junge Brentano vorschlägt, ist alsoauf jeden Fall keine extensionale Mereologie. Wenn man seiner Theorie der phy­sischen Teile eine präzisere Gestalt geben wollte, könnte man die Prinzipien derextensionalen Mereologie höchstens zur Formalisierung der Theorie der materialenTeile verwenden, wobei man natürlich zusätzlich die Aristotelische Auffassung,nach der die nicht effektiv abgetrennten Teile und die nicht effektiv zusammenge­fügten Kollektive lediglich potentiell existieren, ebenfalls unterspielen müßte.

Was jedoch die Theorie der formalen Teile betrifft, so müsste man in diesem Falleine modale Mereologie verwenden, die zwischen den essentiellen und akzidentel­len Teilen unterscheidet und den Begriff der organischen Integrität näher thema­tisiert" Das Prinzip des mereologischen Essentialismus sagt, daß jeder Teil einessentieller Bestandteil des Ganzes bildet, dessen Teil es ist. Dieses Prinzip gilt imRahmen einer extensionalen Mereologie und Chisholm (l982a, S. 8) schreibt esdem späten Brentano zu. In der frühen Periode der Philosophie Brentanos gilt aberdieses Prinzip nicht uneingeschränkt.

3.5 LOGISCHE TEILE DES SEIENDEN

Wir haben bereits gesehen, daß man beim frühen Brentano klare Elemente derTheorie der individuellen Eigenschaften finden kann. In Wirklichkeit versucht erjedoch in den Würzburger Vorlesungen zweierlei Intuitionen Rechnung zu tragen:Erstens den Intuitionen, wonach Eigenschaften individuelle (obwohl abstrakte) As­pekte der individuellen Dinge sind, und zweitens jenen Intuitionen, die in ersterLinie die Möglichkeit der mehrfachen Prädikation derselben Eigenschaften betonen,und konsequenterweise die Eigenschaften als allgemeine Entitäten auffassen, die invielen Individuen als numerisch dieselben auftreten (können). Wenn es sich umindividuelle abstrakte Aspekte der individuellen Dinge handelt, spricht Brentanovon den metaphysischen Teilen des Seienden, allgemeine Entitäten behandelt erhingegen unter dem Namen logische Teile. Die Unterscheidung ist wichtig, obwohlbeide Typen von Teilen letztlich durch eine konzeptualistische Theorie, die sie alsFiktionen cum fundamento in re interpretiert, erklärt werden.

Die logischen Teile des Seienden, sind Teile der Begriffe, unter die das Seiendefällt - die Teile der Aristotelischen Definition des betreffenden Seienden:

85 Wer die heute beliebten Gedenkenexperimente mit den "brains in vats" überzeugend findet, wird hiervielleicht zustimmen .86 Eine solche Mereologie kann man in Simons 1987, Teil II1, finden.

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96 KAPITEL 3

Das logische Ganze ist ein Individuum einer Gattung. Ein logischer Teil ist jeder Teil der Definit ion,also Gattung, Differenz, weitere Differenz (Differenz der Differenz) u.s.f bis zur niedrigsten Allge­meinheit. (M 96, LI, I , I)

Wenn man also in einem Gegenstand seine logischen Teile unterscheidet, setzt mangewissermaßen voraus, daß er eine Zusammensetzung von Elementen von verschie­dener Allgemeinheit darstellt. In einem konkreten Löwen kann man dementspre­chend seine Löwen-Natur unterscheiden , die er mit allen anderen Löwen teilt, mankann sich jedoch auch auf die allgemeinere Säugetier-Natur oder Lebewesen-Naturkonzentrieren, die allen Säugetieren bzw. Lebewesen zukommt. Unter den logi­schen Teilen versteht man Strukturen, die allen Gegenständen gemeinsam sind, dieunter einen bestimmten allgemeinen Namen fallen. In diesem Sinn bilden die logi­schen Teile die ontologischen Korrelate der allgemeinen Namen . Nur das logischeGanze, da es eine Zusammensetzung aller logischen Teile ist, aus welchen ein be­stimmtes konkretes Individuum besteht, ist keine Allgemeinheit mehr, sondern die­ses Individuum selbst." Ein logischer Teil ist die ontologische Entsprechung einesallgemeinen, ein logisches Ganze die ontologische Entsprechung eines individu­ellen Namens." Die Theorie der logischen Teile fällt demgemäß mit der Untersu­chung zum Problem der Universalien zusammen. In beiden Fällen handelt es sichim Grunde darum, was den allgemeinen Namen entspricht.

Unter Universale verstehen wir das, was den allgemeinen Begriffen (ein Ding welches einzeln einemallgemeinen Begriffe) entspricht, (und mit einem allgeme inen Namen bezeichnet wird), wie einMensch, ein Tier, ein Baum , eine Pflanze , hoch , (ein Hohes), breit, (ein Breites) usf. (M 96, XL)

In der Lektion XL der Metaphysik-Vorlesung bespricht Brentano verschiedene Lö­sungen dieses Problems , die in der Geschichte der Philosophie formuliert wurden.Unten sehen wir den Baum dieser Lösungen, den wir sogleich genauer besprechenwerden . Die Positionen , die Brentano für richtig hält, werden durch einen Rahmenmarkiert.

87 Bzw. es ist die indiv iduelle Eigenschaft, d.h. ein individueller, abstrakter Aspekt dieses Individuums.Vgl. "Das logische Ganze greift metaphysisch nie über einen einzigen Teil hinaus [...]. Beispiele [...J:Röte - Farbenqualität, nicht aber intensive Röte und Röte oder hier seiende Röte und Rötej .] dagegen :Hier (da und da) - Ortbestimmtheit[,] Dann und dann - Zeitbestimmtheit[,] best[immter] Grad derIntensität - Intensität[ .]", Brentano EL 72, S. 119."Der logis che Teil (im Aristotelischen Sinn) ist an sich betrachtet unbestimmter als das logische Ganze .Aber auch dem logischen Ganzen fehlt die volle Bestimmtheit.Sie wird durch solche s, was nicht in ihm begriffen ist, wie man sich ausdrückt, indiv idualisiert (dieFarbe z.B. durch die Intensität , Ort) worauf späte r zurückzukomm en.", Brentano EL 72, S. 13I .88 Duns Scotus würde hier von einer haecceitas (d.h. einer Allgemeinheit, die nur durch einen einzigenGegenstand exemplifiziert werden kann) sprechen.

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS

Lösung des Problems der Universalien

97

NominaJisten

Allgemeine Namen sindentweder blosse Namen,oller Namen blosserFiktionen (Begntfe)

I I

was ist der Inhalteines allgemeinen Begriffs

II

[deevon einemIndividuum emer Klassebegleitet von der Erkenntnisdass die individualisierendenMerkmale irrelevant sind

(Berkeley, Hume)

Begriff der Anhäufungdef'Individuen

(James MiII)

I I I

Vorstellung, in derdie individualisierendenMerkmale fehlen

Iwas entspricht einemallgememen Begriff(was ist Universale)

II

Dinge, die vonden 'Einzeldingenreal verschieden undreal getrennt sind

(Platon)

Dinge, die vonden 'Einzeldingenreal verschieden abernicht real getrennt sind

(Wilhelm von Champeaux)

Dinge, die vondenc\nzeldipgepforma versemeden abernicht real getrennt sind

(Duns Scotus)

dieselben Dinge,die den indiv iduellenNamen entsprechen(d.h, Einzeldinge)

(Albertus , Thomas)

Die nominalistischen Theorien, welche die allgemeinen Namen entweder für bloße(was wahrscheinlich heißt -leere) Namen oder für die Namen von bloßen Fiktionen(d.h. die Namen von Begriffen) halten, lehnt Brentano kurzerhand als unhaltbarab.89 Die realistischen Theorien teilt er zunächst in drei Typen auf, abhängig davon,wie man den Inhalt eines allgemeinen Begriffs bestimmt. Es gibt - schreibt Bren­tano - die Philosophen, die einen allgemeinen Begriff als einen Begriff einer "An­häufung" von Individuen (die unter den Begriff fallen) interpretieren. Er schreibtdiese Ansicht James Mill zu.90 Die anderen Denker wollen einen allgemeinen Be­griff als die Idee von einem bestimmten Individuum, das unter diesen Begriff fällt,

89 Vgl. dazu auch Brentanos Vorlesungen zur Geschichte der mittelalterlichen Philosophie (1870),Brentano 1980, S. 19 f.90 Vgl. James Mill 1829, Bd. I, S. 206 f.: .Jt thus appears , that the word, man, is not a word having avery simple idea, as was the opinion ofthe Realists; nor a word having no idea at all, as was that oftheNominaJists; but a word calling up an indefinite number of ideas, by the irresistable laws of association ,and forming them into one very comp lex, and indistinct, but not therefore unintelligibile, idea.

It is thus to be seen, that appellatives, or general names , are significant, in two modes . We havefrequently had occasion to recur to the mode in which the simple ideas of sensations are assoc iated orconcreted, so as to form what we call the complex ideas of objects . Thus, I have the complex ideas ofthis pen, this desk, this room , this man, this handwriting. The simple ideas, so concreted into a complexidea in the case of each individual, are one thing signified by each appellative; and this complex idea ofthe individual , concreted with another, and another of the same kind, and so on without end, is the otherof the things which are signified by it. Thus, the word rose, signifies, first of all, a certain odour, acertain colour, a certain shape, a certain consistence, so associated to form one idea, that of theindividual ; next , it signifies this individual associated with another , and another, and another, and soon; in other words, it signifies the class ."

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98 KAPITEL 3

auffassen, wobei diese Idee von einer Erkenntnis begleitet wird, daß die individuali­sierenden Merkmale, die in der Idee natürlich mitenthalten sind, irgendwie irrele­vant bleiben. Das ist Brentano zufolge die Theorie Berkeleys und Humes.9!

Keine dieser Theorien hält Brentano für richtig. Die richtige Theorie des Inhaltsder allgemeinen Begriffe sagt, daß ein allgemeiner Begriff "eine Vorstellung [ist],in welcher (die) individualisierende(n) Merkmale [fehlen] (oder das individualisie­rende Merkmal) fehlt". (M 96, XLI) Ein allgemeiner Begriff sei also eine Vorstel­lung, die im Vergleich zu einer individuellen Vorstellung eine unvollständige Cha­rakteristik des Referenzgegenstands enthält. Sie spezifiziert nur diejenigen Merk­male, die für alle Objekte, die unter den Begriff fallen, gemeinsam sind.

Das semantische Schema, das wir erhalten, ist also das Folgende : die Namenbeziehen sich auf ihre Gegenstände kraft der Vorstellungen, mit denen sie assoziiertwerden. Diese Vorstellungen sind entweder individuell oder allgemein. Im ersterenFall bezieht sich die Vorstellung, und eo ipso der Name, auf ein einziges Indi­viduum. Wir haben es mit einem individuellen Namen zu tun. Im letzteren Fallbezieht sich die Vorstellung, und eo ipso der Name, auf viele Individuen . Der Nameist dann allgemein.

Diese semantische Theorie vorausgesetzt, könnte man versuchen, das Problemder Universalien auf der Ebene der Begriffe zu lösen. Einen Gegenstand a untereinen Begriff F fallend zu denken bedeutet in der Philosophie Brentanos, sich denGegenstand aals F vorzustellen. Bei jeder Vorstellung ist jedoch ihr Gegenstandobjektiv im Geist . Brentano nennt an verschiedenen Stellen sowohl die Vorstellungals auch den objektiv im Geist seienden Gegenstand Begriff. Da jedoch die Vorstel­lung eine Eigenschaft des Subjekts ist, die wie andere Eigenschaften eine ontolo­gische Erklärung braucht, ist es klar, daß die konzeptualistische Lösung des Prob­lems der Universalien sich eher auf das Objektivum konzentrieren muß.

Dem scholastischen Wortgebrauch zufolge besteht eine Vorstellung genau darin,daß der vorgestellte Gegenstand objektiv im Verstand ist. Der objektiv im Geistseiende Gegenstand wird nun jeweils anders sein, abhängig davon, wie der Refe­renzgegenstand vorgestellt wird. Wird er als F vorgestellt , so wird das Objektivumein F sein, wird er als Gerfaßt, wird das Objektivum ein G sein. Selbst wenn es soist, daß alle (realen) F-Objekte zugleich G-Objekte sind, ändert das nichts daran .Denn das, was objektiv im Geist ist, ist genau das, was gemeint wird - nichts mehrund nichts weniger . Die Objektiva sind intensionale Entitäten. Aus der Tatsache,

91 Vgl. dazu Berkeley 1710, S. 224 f., Hume 1739/40, Vol. I, S. 328. Brentano schreibt diese Ansichtauch lohn Stuart Mill zu. Zur tatsächlichen Position Mills vgl. die folgende Stelle von seinem A Sys tem01 Logic, Book I, eh. ii, § 3: "A general name is familiarly defined , a name which is capable of bcingtruly affirmed, in the same sense, ofeach ofan indefinite number of things. [...]

Thus, man is capable of being truly affirmed of John , George , Mary, and other persons wirhe utassignable lirnit ; and it is affirmed of all of them in the some sense; for the word man expresses certainqualitie s, and when we predicate it ofthose pcrsons, we assertthatthey all possess those qualities . [...]

lt is not unusual , by way of explaining what is meant by a general name, to say that it is a name of adass . But this, though a convenient mode of expression for some purposes, is objectionable as adefinition, since it explains the clearer of two things by the more obscure. lt would be more logical toreverse the proposition, and turn it into adefinition of the word dass . •A class is the indefinitemulititude ofindividuals denotcd by a general namc ."' , Mill 1843, S. 28.

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 99

daß Hans an den Morgenstern denkt, kann man deshalb nicht schließen, daß Hansan den Abendstern denkt. Als reale Gegenstände sind zwar Abendstern und Mor­genstern identisch, als Objektiva sind sie jedoch verschieden. Es besteht zwischenihnen zwar keine reale, wohl aber eine intentionale Distinktion .92

Das Schema der semantischen Beziehung, das wir dem jungen Brentano zu­schreiben können, sieht demnach folgendermaßen aus:

Objectivum "ist" nur im Sinne des Wahren(d.h, ontologisch "unverbindlich")

kann Platonisch(als unabhängig)oder Aristotelisch(als "im",Subjekt)mterpretiertwerden

ein Gegenstand. der Fist

v

mögliche Entsprechungendes allgemeinen Begriffs

die Menge vo_nF~~e~stän~e~ ,,

semantische Beziehung ;Wort -Gegenstand 1

,

[ntentionale BeziehungVorste)lung(=Akzldens desdenkenden Geistes)

besteht darin, dass del'G;e~.Ds!a~pder Beziehungobjektiv Im Geist Ist

- I /) /

/ I

, -

denkenderGeist

I \I F I\

,\ I, /

Objectivum"~nthä1t" nurdie Bestimmung F

Da nach Brentano "unsere Namen den Dingen unter Vermittlung der Vorstellungen(d.h. insofern sie von uns vorgestellt sind) beigelegt werden" (M 96, XLI), beziehtsich das Wort auf einen Gegenstand nur insofern, als es einer Vorstellung zuge­ordnet wird. Die Natur dieser Zuordnung hat Brentano nicht besprochen, es ist je­doch klar, daß sie konventionelle Elemente involvieren muß. Die Vorstellung einesGegenstands a besteht nun darin, daß der Gegenstand a gewissermaßen "in eigenerPerson" im Geist des Vorstellenden ist. Diese Anwesenheit ist jedoch ontologischunverbindlich. Der Gegenstand ist im Geist "bloß objektiv".

Die Frage, ob sich die Universalien als Begriffe interpretieren lassen, wenn manunter Begriff ens obiectivum versteht, hängt nun davon ab, welche Entitäten die

92 So schreibt z.B, Jacobus de Aesculo: "Die intentionale Distinktion aber ist jene, durch die sich Dingenur im objektiven bzw. im repräsentierenden Sein unterscheiden. [...] Die zweite Nebenthese lautet, daßdie intentionale Distinktion kleiner ist als die Realdistinktion und größer als die gedankliche Distink­tion [distinction rationis]. Gewisse Dinge können intentional voneinander verschieden sein , ohne daßsie eine Realdistinktion haben.", Zwei Questionen, S. 5 (zitiert nach Perler 2002, S. 234) . Die genauereSpezifizierung, welche Merkmale in einem Objektivum enthalten sind, ist indessen sehr schwierig. Wirstoßen hier auf dieselben epistemisch-Iogischen Probleme, mit denen jede Semantik, die mit intensio­nalen Entitäten operiert, kämpfen muß. Vgl. dazu Chrudzimski 200la, S. 129-154.

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100 KAPITEL 3

Rolle der Objektiva erfüUen.93 Im nächsten Kapitel werden wir sehen, daß dermittlere Brentano dieses Problem tatsächlich mit Hilfe immanenter Objekte meis­tert, die eine solche Interpretation zulassen. Beim jungen Brentano würde das aller­dings bedeuten, daß den allgemeinen Namen nur Fiktionen entsprechen. Das Seinder Objektiva gilt ihm nämlich um 1867 als das ontologisch unverbindliche Sein imSinne des Wahren. Deswegen rechnet Brentano alle Theorien, die als das, was denallgemeinen Namen entspricht, nur Begriffe zulassen, zu den nominalistischen The­orien." Die Realisten müssen die Lösung im Bereich des Seienden im eigentlichenSinn suchen.

Brentano zählt vier Theorien auf, die eine ontologisch ernst zu nehmende Ent­sprechung der allgemeinen Begriffe annehmen. Als erstes kommt die PlatonischeTheorie, welche Universalien als Dinge interpretiert, die von den konkreten Indivi­duen, die unter den allgemeinen Begriff fallen, real verschieden und getrennt sind.Die zweite Theorie, welche die Universalien als real verschieden aber nicht realgetrennt von den Einzeldingen sieht, schreib er Wilhelm von Champeaux ZU.

95 Diedritte ist die von Duns Scotus formulierte Theorie, welche die Allgemeinheiten alsvon den Einzeldingenformal verschieden auffaßt. (Vgl. auch Brentano 1980, S. 71)Zum Schluß kommt die Lehre, die Brentano für richtig hält, und die er als Aristote­lisch-Thomistische bezeichnet.

Thomas von Aquin , wie schon seine Lehrer Albertus und Aristoteles selbst, lehrt auch realistisch,I . das Universale sei etwas außerhalb des Geistes, d.h. es entspreche etwas nicht bloß individuellen,sondern auch den allgemeinen Namen und Begriffen ,2. aber nicht etwas außerhalb der Einzeldinge. oder eine besondere Realität oder3. Formalität, die zu den Einzeldingen gehöre , irgendwie in ihnen enthalten sei,4. sondern was den allgemeinen Begriffen entspreche sei dasselbe, was auch den Einzelvorstellungenentspreche.5. Dasselbe werde nur bald bestimmter und bald unbestimmter, aber beidesmal (weil ja die Bestimmt­heit nicht negiert wird) richtig gedacht, und da unsere Namen den Dingen unter Vermittlung der Vor­stellungen (d.h. insofern sie von uns vorgestellt sind) beigelegt werden, auch mit bestimmteren und un­bestimmteren Namen bezeichnet.6. Somit ist nach dieser Ansicht das Allgemeine als allgemeines nicht außer dem Geiste , was dem allge­meinen Begriffe entspricht. ist dieses oder jenes Einzelding.

93 So verstand Begriffe Petrus Aureoli. Im Gegensatz zu Duns Scotus betrachtet er die Gegenstände mitobjektivem Sein als eine ontologisch ernst zu nehmende Kategorie. Er schreibt. solche Gegenständeseien Produkte unseres Intellekts, ihr ontologischer Status wurde allerdings nie endgültig erklärt. ImUniversalienstreit bezieht Aureoli eine konzeptualistische Position . Die einzige Allgemeinheit steckt inunseren Begriffen (und das heißt in den Gegenständen mit objektivem Sein, die eine ontologische Kate­gorie sui generis bilden). Vgl. dazu Perler 2002, S. 289, 292, 310 .94 Vgl. dazu die Zusammenfassung der Positionen im Universalienstreit, die Walte r Burley in seinemTractatus de universalibus gibt. Er schreibt "Neben den gezeigten Auffassungen, denen zufolge dieUniversalien ein Dasein in der Realität haben , kann die spezielle Ansicht vertreten werden, daß dieUniversalien weder in der Realität existieren, noch in der Seele, noch außerhalb von ihr, sondern daßsie lediglich ein geistig-gegenständliches Dasein [esse obiectivum] innerhalb des Intellekts besitzen ."(S. 145) Er unterscheidet ein solches obiectivum von einem Begriff, "der ein echtes Seiendes ist, weil ereine seelische Qualität darstellt." (S. 147) Denn ,,[j]eder Begriff ist ein Akzidens." (S. 124)95 In seinen Vorlesungen zur Geschichte der mittelalterlichen Philosophie (1870) schreibt Brentanoüber Wilhelm von Champeaux : "Nicht zwar nahm er, wie Plato, ein Universale außerhalb der Indivi­duen an [...). Aber [er behauptete,) das Wesen der Dinge [sei) etwas Allgemeines, dem die Individu ­alität nur durch seine Akzidentien [verliehen wurde). Reell oder, wie er sagte, essentiell ein und das­selbe Sein sei zugleich ganz in allen seinen Individuen.", Brentano 1980. S. 19 f.

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 101

7. In ihm besteht kein Unterschied von Gattung und Differenz ; ich trage ihn erst hinein, indem ich alsein doppeltes, was ihm zukommt, unterscheide, daß es dem einen und anderen Begriffe entspricht.8. Allerdings hat dies (aber) in der Natur des Dinges (welches ein mehrfaches [ist], ein unbestimmteresund bestimmteres, und zwar [indem es] dieses bestimmte Erfassen zuläßt) seinen Grund, und darumnennt man die Distinktion : distinctio rationis cum fundamento [in re).9. Ihr entsprechend besteht zwischen den Dingen , welche an einem allgemeinen Begriff gemeinsamteilhaben , eine unitas (identitas) [rationis] cum fundamento in re. [...)Diese Ansicht ist unstreitig die richtige . (M 96, XLI)

Der "Realismus" Brentanos bezüglich der logischen Teile ist also eigenartig . Denallgemeinen Namen soll zwar in der realen Welt etwas entsprechen, dieses Etwas istjedoch genau dasselbe, was den Einzelvorstellungen (und eo ipso den individuellenNamen) entspricht. Das, worauf man sich durch beide Arten von Namen (bzw. Vor­stellungen) bezieht, sind also dieselben konkreten Individuen.96 Der Unterschied be-

96 Das erinnert an dic Position Abaelards. Er schreibt die Allgemeinheit nicht den Dingen , sondern denbedeutenden Wörter zu und auf die Frage , "ob die Genera und Spezies wirklich bestehen , das heißt , obsie etwas wirkl ich Existierendes bedeuten", antwortet er, "daß sie deshalb , weil sie im Akt der Benen­nung wirklich existierende Dinge bezeichnen, nämlich genau dieselben wie die Individualbezeich­nungen , keineswegs eine leere Meinung darstellen.", Logica .Jn gredientibus ". Glossae super Por­phyrium, S. 152. Abaelard erklärt auch näher, wie sich die allgemeinen Namen auf die Gegenständebeziehen . Wir finden bei ihm eine Version der Theorie der objektiven Seinsweise. Vgl. "So, wie aberdie Wahrnehmung nicht das wahrgenommene Ding ist, auf das sie sich richtet, ist auch der Gedankenicht die Form des Dinges, das er erfaßt , sondern der Gedanke ist eine bestimmte Aktion der Seele, aufGrund deren sie als 'denkend' bezeichnet wird; die Form aber, auf die er sich richtet, ist ein bestimmteseingebildetes und ausgedachtes Ding, das der Geist für sich, wann und wie er will , anfertigt - dazugehören jene phantastische Städte, die im Traum erblickt werden , oder die Form einer zu schaffendenVorrichtung, die ein Handwerker entsprechend dem zu formenden Ding und als Vorbild für es abw ägtund die wir weder als 'Substanz' noch als 'Akzidens' bezeichnen können.", ibid., S. 144. "Nachdem dieNatur der Gedanken im allgemeinen untersucht worden ist, wollen wir zur Unterscheidung der jeweilsden Universalien und dem Singulären zugehörenden Gedanken kommen. Sie werden nun eben darinunterschieden, daß der Gedanke von einem universalen Nomen ein gemeinsames und ungeordnetes Ab­bild von vielen Dingen erfaßt, während der Gedanke, den ein partikuläres Wort hervorbringt, über dieeigene und gewissermaßen einzelne Form eines Einzigen verfügt, das heißt eine Form, die sich ledig­lich auf eine Person bezieht.", ibid., S. 145. Abaelard versucht auch evo fundamentum in re, das über dieRichtigkeit der Prädikation von allgemeinen Namen entscheidet, ausfindig zu machen . Er spricht voneinem Status eines Dings, das dieses Ding Z.B.zu einem Menschen macht. "Als 'Status' des Menschenaber bezeichnen wir eben das Menschsein, was kein Ding ist und was wir auch als gemeinsamen Grundder Belegung [impositio] einzelner mit einem Nomen bezeichnen, weil diese miteinander übereinstim­men .", ibid., S. 143.

Auch Wilhelm von Ockham besteht darauf, daß ein allgeme iner Terminus nur für individuelleDinge steht, von denen er wahrhaft ausgesagt werden kann . Vgl. "Es gilt daher als allgemeine Regel,daß ein Terminus in einem Satz, zumindest wenn er signifikativ aufgefaßt wird, allein für dasjenigesupponiert, wovon er wahrhaft ausgesagt wird.

Hieraus folgt, daß es falsch ist, wenn einige ' Ignoranten' meinen, daß ein konkreter Ausdruck alsPrädikat für eine Form supponiere - etwa der Ausdruck 'weiß' im Satz 'Sokrates ist weiß' für dasWeiß-sein; den der Satz: ' Das Weiß-sein ist weiß' ist schlechthin falsch, aufweiche Weise auch immerseine Termini supponieren mögen .", Summe der Logik, I, Cap. 63 (in: Ockham 1984, S. 27) .

Nach Ockham kann jedoch ein Terminus auch nicht-signifikativ verwendet werden, nämlich dann,wenn er für etwas anders supponiert als das, was er normalerweise bezeichnet, wie z.B. in den Sätzen"Mensch ist ein häufig auftretendes Wort" oder "Mensch ist eine Spezies". Die Scholastiker haben indiesem Kontext drei Arten von Suppositio unterscheiden. In der personalen Suppositio supponiert einTerminus für das, was er bezeichnet, d.h. ein Wort "Mensch" supponiert in diesem Fall für einen Men­schen, wie im Satz: "Jeder Mensch ist ein Lebewesen ". In der materialen Supposition supponiert dasWort für sich selbst , wie Z.B. im Satz "Mensch hat sechs Buchstaben". (Heute verwendet man in diesem

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steht lediglich darin, daß dasselbe Ding mal mehr, mal weniger bestimmt gedachtwird. Der Grad der Allgemeinheit hängt vom Grad der Unbestimmtheit des Gedan­kens ab. "Das Allgemeine als allgemeines" existiert also nicht außer dem Geist. All­gemein sind nur unsere Begriffe . Das, was ihnen entspricht, ist immer "dieses oderjenes Einzelding" ."

Nun, wenn wir von einem Begriff sprechen, beziehen wir uns nicht, wie manvielleicht denken kann, auf eine Art Entität, die man in einem ontologisch wichti­gen Sinne als allgemein bezeichnen kann. Begriffe sind dem jungen Brentano zufol­ge entweder Objektiva, die vom metaphysischen Standpunkt als Fiktionen zu be­zeichnen sind, oder sie sind Vorstellungen, die ihrerseits Akzidentien des denken­den Geistes sind und nach der Theorie der metaphysischen Teile, die wir im näch­sten Abschnitt besprechen werden, genau so individuell wie ihre substantialen Trä­ger sein müssen.98 Solche individuellen Akzidentien werden übrigens letztlich eben­falls als Fiktionen des Verstandes cum fundamento in re erklärt.

Fall Anführungszeichen und schreibt : ,: Mensch' hat sechs Buchstaben". Man nimmt also im Grundean, daß (in einer präzisen Sprache) ein Wort nie für sich selbst supponiert.) Es gibt allerdings noch eineeinfache Suppos ition, in der das Wort für das supponiert, was wir ungefähr seine Bedeutung nennenwürden . In diesem Fall hängen die Ansichten , was die Entität ist, für die das Wort in diesem Fall suppo­niert, sehr stark von der Ontologie des jeweiligen Philosophen ab. Viele Scholast iker haben die Lehrevertreten , daß diese Entität im Fall eines allgemeinen Terminus eine allgeme ine Form sein muß. Wasallerding s Ockham betrifft , so nimmt er an, daß man sich in einer solchen Verwendung auf die Begriffebezieht , die seiner Lehre zufolge Intentionen der Seele (d.h. mentale Akte) sind. Vgl. "So supponiertz.B. der Ausdruck 'Mensch' im Satz 'Mensch ist eine Spezies ' für eine Intention der Seele, da es sichbei der Spezies um nichts anderes als eine solche Intention handelt. ", Summe der Logik, I, Cap. 64 (in:Ockham 1984, S. 31).97 Ob man diese Doktrin, wie es Brentano will, auch Thomas zuschreiben kann, ist zweifelhaft . Thomasscheint oft zu behaupten, daß sich ein Prädiksausdruck auf die allgemein e Form bezieht, die den einzel­nen Dingen zukommt. Vgl. z.B. Summa theologica, 111 , q. 16, a. 7, ad 4: .Praeterea, cum dicitur : ' Deusfactus est homo ' , subiectum factionis vel unitionis non est Deus, sed humana natura, quam significathoc nomen 'horno"." (in: Thomas von Aquin 1957, S. 28 f.) Vgl. dazu auch die folgende Stelle: "Aufdas Zweite ist zu sagen, daß der Ausdruck 'aktuell gedacht ' zweierlei bedeutet: das gedachte Ding unddas Gedachtwerden selbst. Und ebenso versteht man unter dem Ausdruck 'abstrahiertes Allgemeines'zweierlei: die Natur des Dinges selbst und die Abstraktion oder Allgemeinheit. Die Natur selbst also,der das Gedachtwerden oder das Abstrahiertwerden oder der Begriff (intentio) der Allgemeinheitmitfolgt. ist nur in den Einzeldingen , aber das Gedachtwerden oder Abstrahiertwerden selbst oder derBegriff der Allgemeinheit ist in dem Verstande. [...) Ebenso ist die Menschheit, die gedacht wird, nichtanders als in diesem oder in jenem Menschen vorhanden , daß aber die Menschheit ohne die individu­ellen Zutaten vorgestellt wird, was sie abstrah ieren heißt , ein Prozeß, an den sich der Begriff derAllgemeinheit knüpft , folgt der Menschheit mit, sofern sie mit dem Verstande aufgefaßt wird, in demdas Bild der Artbeschaffenheit und nicht der individuellen Prinzipien ist." , Summa theologica, I, q. 85,a. 2 (in: Thomas von Aquin 1977, S. 40 f.). Perler zitiert die folgende Stelle aus Thomas ' Kommentarzur Aristotelischen Hermeneutik : "Das Nomen 'Mensch' bezeichnet nämlich die Menschliche Natur inAbstraktion von Singulärem. Daher kann es nicht unmittelbar einen singulären Menschen bezeichn en."(Exp. Iibri Peryermenias I, 2, zitiert nach . Perler 2002, S. 95.) Brentano versuchte , Thomas als einenNominalisten darzustellen , während er höchstwahrscheinlich doch ein metaphysischer Realist war.98 Vgl. "Diese menschliche Natur besitzt nämlich im Intellekt ein Sein, das von allen Bedingungen derIndividuat ion losgelö st ist; somit besitzt sie gegenüber allen jenen Individuen auch eine gleichartig eBedeutung, die außerhalb der Seele sind, insofern sie gleichermaßen das Ebenbild [similitudo I vonallen ist, wie Wegweiser zur Erkenntnis aller , insofern sie Menschen sind. [...]

Wenngleich diese vernünftig erfaßte Natur die Wesenscharakteristik eines Universale besitzt , inso­fern sie zu den Dingen außerhalb der Seele in Bezug gesetzt wird, da sie ja für alle ein Ebenbild ist, ist

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 103

In diesem Sinn sind also die logischen Teile Produkte unseres Geistes - eine ArtFiktion. Was sie jedoch zu einer Fiktion cum Jundamento in re macht, ist die Tat­sache, daß auch die Gedanken, die ihre Gegenstände weniger bestimmt erfassen,richtig sein können.

Wir finden hier wieder die Elemente des normativen Diskurses, denen wir schonbei der Diskussion der Wahrheitsdefinition begegnet sind. In seiner Wahrheits­theorie brauchte Brentano keine besonderen Wahrmacher, weil er den Begriff derRichtigkeit eines Urteils nicht durch die Beziehung auf die Realität, die dem Urteilentsprechen sollte, sondern durch einen Vergleich mit einem erkennenden Urteildefiniert. Seine späte Formulierung defmiert ein wahres Urteil als ein Urteil, dasauch mit Evidenz gefällt werden könnte. (VgI. Brentano 1930, S. 139) Eine analogeSituation haben wir jetzt. Wir brauchen keine ontologisch verpflichtende Hierarchievon logischen Teilen in rebus, weil der Begriff der Richtigkeit einer bestimmtenkonzeptuellen Auffassung keinen Vergleich mit der Realität voraussetzt.

In Lektion XLII faßt Brentano die Lösungen des Universalienproblems , die inder Geschichte der Philosophie (so wie sie Brentano interpretiert) vorgeschlagenwurden, noch einmal systematisch zusammen. Das ganze Problem läßt sich nämlichin zwei Fragen fassen: (i) welche Art von Einheit besteht zwischen dem, was invielen Einzeldingen einem allgemeinen Begriff entspricht (welche Art von Einheithat ein Universale); und (ii) welche Art von Einheit ist charakteristisch für das Ver­hältnis zwischen dem, was einem allgemeinen Begriff entspricht, und dem Einzel­ding (welche Art von Einheit hat das Ganze: Universale+Einzelding) .

Die Antworten auf diese Fragen sind nach Brentano so zu interpretieren : Platonlehrt die reale und rationale Einheit der Allgemeinheiten (Ideen) und die reale undrationale Verschiedenheit von Ideen und Einzeldingen. Wilhelm von Champeauxbesteht ebenfalls auf der realen Einheit der allgemeinen Entitäten und auf ihrerrealen Verschiedenheit von den Einzeldingen, obwohl er sie als nicht real getrenntinterpretiert. Vielleicht handelt es sich also bei dieser Position um rationale Ver­schiedenheit der Allgemeinheiten in verschiedenen Einzeldingen und rationale Ein­heit der Allgemeinheit mit dem Einzelding. Brentano ist in diesem Punkt nichtsicher, er versieht die entsprechenden Stellen mit Fragezeichen. Duns Scotus vertrittdie Lehre von denJormalen Unterschieden, der Brentano vor allem eine prinzipielleUnklarheit vorwirft. Nach dieser Lehre wären die Entsprechungen eines allgemei­nen Begriffs in vielen Einzeldingen zwar real voneinander verschieden, nichtsdesto­weniger formal Eins. In einer ähnlichen Weise würden zwischen der Allgemeinheitund dem Einzelding eine formale Verschiedenheit und eine reale Einheit bestehen.Thomas von Aquin behauptet schließlich die reale Verschiedenheit der Entspre­chungen eines allgemeinen Begriffs in vielen Dingen sowie eine reale Einheit derAllgemeinheit mit dem Einzelding. Die Anwendung der allgemeinen Begriffe aufviele Dinge hat nach Thomas aber ihr Jundamentum in re. Unter den Entsprechun­gen eines allgemeinen Begriffs in vielen Dingen bestehe demgemäß eine Art ratio­naler Einheit (unitas rationis cum Jundamento in re) und ähnlich könnten wir von

sie dennoch eine partikuläre Denkform [species intellecta], insofern sie ein Sein in diesem oder jenembestimmten Intellekt hat.", Thomas von Aquin, De ente et essentia, S. 53.

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104 KAPITEL 3

einer rationalen Verschiedenheit zwischen der Allgemeinheit und dem Einzeldingsprechen (distinctio rationis cum Jundamento in re). Wir können das in der folgen­den Tabelle zusammenfassen, wobei die Zeichen ,,+" und ,,-" bedeuten, daß dieentsprechende Art der Einheit besteht bzw. nicht besteht:

Wilhelm vonPlaton Champeaux Duns Scotus Thomas

reale + + - -Einheit dessen,was in vielenEinzeldingen rationale + - (?) +einelTh~lIgem~inenBegn entspncht

formale +

reale - - + +Einheit dessen, waseinem allgemeinen

rationale + (?)Bcfri.ff cntspricht - -ml einemEinzelding

formale -

3.6 METAPHYSISCHE TEILE DES SEIENDEN

Den Intuitionen, die Eigenschaften als individuelle Aspekte von konkreten Indi­viduen sehen, versucht Brentano mit Hilfe seiner Theorie der metaphysischen Teiledes Seienden Rechnung zu tragen. Metaphysische Teile des Seienden sind Substanzund Akzidentien. In der Lektion XLIII bespricht Brentano verschiedene Theoriensolcher metaphysischen Teile. Die Besprechung verläuft nach einem ähnlichenSchema wie im Fall der logischen Teile. Die Positionen, die Brentano für richtighält, werden wieder durch einen Rahmen markiert .

Theorien der metaphysischen Teile

II

Nominalisten

(leugnen die Realität der Substanzoder der Akzidentien)

I

I Realisten I

sowohl Substanzals auch Akzidentiensind blosse Ph änornena

(Herbart)

I

Akzidentiensind blossePhänomena

(Kant)

I

Substanzist ein bIosses

Phänomen

(MilI)

IJedes Akzidens istein besonderes Ding"neben" der Substanz

(Augustinus)

nur Substanz istim eigentlichen SinnAkzidentien sind"in" der Substanz(distinctio realismodalis)

(Aristoteles)

typische Akzidentiensind blosse Modider Substanz, einigekönnen Jedoch dieTrennung überstehen

(Thomas)

Substanz mitihren Akzidenjjen=ein einziges Dingdie Unterscheidung isteine (nützliche)Fiktion des Verstandes

(Brentano)

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 105

Bezüglich der metaphysischen Teile haben wir zunächst wieder realistische und no­minalistische Positionen zu unterscheiden. Alle .mominalistischen" Auffassungen,die nach Brentano entweder Substanz oder Akzidentien "für bloße Phänomena"erklären (d.h. die Realität zumindest einer dieser zwei Kategorien leugnen), lehnt erkurzerhand ab. Sie sind nach ihm schlechtweg unhaltbar. (Als Anhänger dieser un­haltbaren Lehren werden Herbart, Kant und Mill angeführt) Man muß sich also ­fahrt Brentano fort - für eine der "realistischen" Positionen entscheiden, die sowohlden Begriff der Substanz als auch den der Akzidentien ernst nehmen.

Bei genauer Betrachtung dieser realistischen Theorien kommt Brentano schließ­lich zu einer Auffassung, die man mit guten Gründen als konzeptualisttsch klassifi­zieren kann und daher als (im weiten Sinne) nominalistisch. Denn es ist höchst un­klar, in welchem Sinn im Licht dieser Theorie die Eigenschaften noch ernst genom­men werden. Die Beteuerung Brentanos, daß er kein Nominalist ist, die er sowohl inder frühen als auch in der späten Periode wiederholt, muß daher immer mit einemVorbehalt betrachtet werden. Die Bezeichnung "nominalistisch" beinhaltet nämlichin seinem Wortgebrauch nicht nur die Leugnung der metaphysischen Realität vonUniversalien und auch nicht nur die Leugnung der metaphysischen Realität irgend­welcher ontologischen Entsprechungen zu den Prädikaten. Beides leugnet ja derjunge Brentano und trotzdem will er nicht als Nominalist gelten. In der Bezeich­nung "nominalistisch" ist für ihn offensichtlich auch die These enthalten, daß un­sere Eigenschaftsbeschreibungen prinzipiell grundlos sind, daß sie kein fundamen­turn in re besitzen.99 So verstanden galt ihm diese Bezeichnung offensichtlich alsein Schimpfwort, das er von allen seinen Theorien fernhalten wollte.

Brentano erwägt in seinen Würzburger Vorlesungen vier realistische Theorien,die im Wesentlichen den realistischen Positionen bezüglich Universalien entspre­chen. Angesichts der Tatsache, daß man ex hypothesi von den individuellen Aspek­ten der individuellen Dinge spricht, fällt dabei die Platonische Theorie weg, da sieden konkreten Individuen nur die von ihnen real abgetrennten Allgemeinheitengegenüberstellt.

Die erste Theorie, die jedes Akzidens als "ein besonderes Ding" neben der Sub­stanz setzt, die Brentano unter anderem Augustinus zuschreibt, wird als schlechthinabsurd klassifiziert. Als die zweite realistische Position wird die Aristotelische An­sicht angeführt, die verschiedene Bedeutungen des Seins unterscheidet und die denAkzidentien Sein in einem "schwächeren" (von der Substanz abhängigen) Sinne zu­schreibt. Diese Auffassung, die Brentano schon als eine der zwei möglichen Lösun­gen für das Problem des Dings mit vielen Eigenschaften präsentierte, hat für ihn

99 Vgl. "Es irren aber nicht nur diejenigen, welche ein Universale im eigentlichen Sinne bestehen las­sen, sondern auch diejenigen, welche leugnen, daß dem universellen Vorstellen in Wirklichkeit etwasentsprechen könne. Gerade dadurch, daß ihm mehreres in gleicher Weise in Wirklichkeit entsprechenkann, unterscheidet sich ja das universelle vom individuellen Vorstellen.

Die Vertreter des ersten Irrtums hat man Ultrarealisten , die des zweiten Nominalisten genannt. (Pas­sender wäre es, sie Konzeptualisten zu nennen und die Bezeichnung Nominalisten für diejenigen zureservieren, die leugnen, daß wir universelle Vorstellungen haben .)", Brentano 1933, S. 21.

Die zitierte Stelle stammt aus der späten Periode (nach 1904), sie illustriert jedoch die Konnota­tionen, die Brentano mit den Bezeichnungen "nominalistisch" und "konzeptualistisch" immer verbun­den hat.

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106 KAPITEL 3

mehr Plausibilität. Als dritte Ansicht wird eine Thomistische "Mittelposition" ange­führt: Das Sein in einem schwächeren Sinn wird hier ausschließlich einigen (dar­unter den psychischen) Akzidentien zugeschrieben . Gewisse andere Akzidentien(wie die Quantität) werden hingegen für prinzipiell trennbar von der Substanz ge­halten. (Vgl. dazu auch Brentano 1980, S. 51) Diese von theologischen Überlegun­gen bedingte Ansicht 100 wird von Brentano als höchst unklar und letztlich als inko­härent kritisiert . Schließlich nimmt Brentano selbst die folgende Theorie an:

Die vierte Ansicht endlich ist die, daß Substanz samt ihren Akzidentien ein einziges Ding sei, jene meta­physischen Teile aber nur durch Fiktion des Verstandes wie besondere Dinge gesetzt werden. Diese An­sicht scheint mir sicher die richtige. (M 96, XLIII)

Das ist die Theorie, die schon in Abschnitt 3.3 besprochen wurde. Demnach wirddie metaphysische Struktur des Seienden (die metaphysischen Teile: Substanz,Akzidentien) vom Verstand fiktiv stipuliert. In Lektion XXVI hat Brentano bereitsbeschrieben, wie eine solche Fiktion des Verstandes entsteht. Zu den metaphysi­schen Teilen kommen wir in einer ähnlichen Weise wie zu den physischen Teilen,indem "wir das Ding zunächst unvollständig erfassen und dann den Teil, wonachwir es erfassen, gegenüber den übrigen prädizieren." (M 96, XXVI) Die Vielheitder metaphysischen Teile ist also eigentlich nicht in dem Ding, sie wird vom Ver­stand erzeugt. Dennoch besteht Brentano darauf, daß "ihr Fundament in dem Dingist."

In welchem Sinne das Fundament dieser Vielheit "in dem Ding" sein soll und in­wiefern diese Auffassung noch als eine realistische Theorie zu klassifizieren ist,welche die Unterscheidung Substanz-Akzidens ontologisch ernst nimmt, ist jedoch ,wie gesagt, nicht klar. Denn was sollte dieses Fundament im Dinge ausmachen?'?'

Die Rede vom Fundament im Ding kann natürlich Verschiedenes bedeuten . Aufjeden Fall muß sie jedoch Beliebigkeit ausschließen. Unsere Zuschreibung derEigenschaften darf nicht arbiträr sein. Gewisse Zuschreibungen sind richtig, anderenicht. Die Erklärung dieser Tatsache wird die Erklärung dafür sein, in welchemSinn sich das Fundament dieser Zuschreibungen in re befmdet.

Die Erklärung, die uns normalerweise am natürlichsten scheint, besagt, daß dieRichtigkeit bzw. Unrichtigkeit einer bestimmten Eigenschaftszuschreibung genaudavon abhängt, ob das Ding eine bestimmte Eigenschaft hat oder nicht. DieseErklärung spricht jedoch von den Eigenschaften in rebus, was Brentano in seinenWürzburger Vorlesungen aber nicht akzeptieren will. Die Eigenschaften so genom­men, wie sie "naiv" prädiziert werden, sollen Fiktionen sein. Das Fundament derPrädikation kann also nicht darin bestehen, daß die Eigenschaften selbst in denDingen stecken, denn dann wären sie eben keine Fiktionen.

Um zu erklären, warum diese Fiktionen des Verstandes keine bloßen Fiktionensind, müssen wir uns an die epistemische Wahrheitsdefinition Brentanos erinnern.Diese Definition operiert ebenfalls mit keinen objektiven Strukturen in der Welt, die

100 Um das Dogma der Transsubstantiation philosophisch zu erklären , nimmt Thomas an, daß die übri­gen Akzidentien der Substanz durch Vermittlung der Quantität zukommen . Vgl. Summa theologica, 1Il,q.77.101 Die folgenden drei Paragraphen wurden von Chrudzimski 2001a, S. 180 f. übernommen .

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 107

als Wahrmacher dienen könnten. Sie beruft sich statt dessen auf den Begriff desWissens : "Wahrheit und Erkenntnis sind dasselbe " (M 96, XXXVIII, 12), sagt unsBrentano.

Diese Definition kann so natürlich kaum zufriedenstellend sein . Wir wissen, daßes neben Erkenntnissen auch zufällige Wahrheiten gibt. Sage ich etwa, daß die An­zahl meiner Haare gerade ist, so ist diese Behauptung entweder wahr oder falsch .102

Dazu muß ich meine Haare nicht zählen. Wahrheit und Erkenntnis sind also nichtdasselbe. In seiner späten Periode versuchte Brentano deshalb seine Wahrheitsde­finition so zu verbessern, daß sie derartige zufällige Wahrheiten nicht ausschließt.Die oft zitierte Formulierung aus der Abhandlung Über den Satz: veritas est adae­quatio rei et intellectus (1915) lautet:

Es läuft dies alles eigentlich auf nichts anders hinaus als darauf, daß die Wahrheit dem Urteile desrichtig Urteilenden zukommt, d.h. dem Urteile dessen , der urteilt , wie derjenige darüber urteilen würde,der mit Evidenz sein Urteil fällt; also der das behauptet, was auch der evident Urteilende behauptenwürde. (Brentano 1930, S. 139)

Im Definiens verwendet Brentano also den Begriff der Richtigke it, der seinerseitsdurch den Begriff der Evidenz erklärt wird. "Wahr" heißt "richtig" und richtig istein Urteil, das auch mit Evidenz gefällt werden könnte - ein Urteil, das auch derevident Urteilende fällen würde .103 Das Einbeziehen dieser späten Fragmente in dieDiskussion der frühen Metaphysik Brentanos scheint an dieser Stelle gerechtfertigt.Sie bilden die zwingende Weiterentwicklung der epistemischen Auffassung desWahrheitsbegriffs, die schon in den Würzburger Vorlesungen zur Metaphysik sehrdeutlich zum Ausdruck kommt. Auch bei der Erklärung des Problems der Univer­salien, die wir in diesen Vorlesungen fmden, beruft sich Brentano explizit auf denBegriff der Richtigkeit:

Die Lösung (des Problems der Universalien] ergibt sich aus der richtigen Fassung des Verhältnisses derUniversalien zu dem Individuellen. Ein und dasselbe Sein kann in mehr oder minder bestimmter Weise,in beiden Fällen aber richtig, vorgest ellt werden . Auch das minder bestimmt Vorgestellte ist daher realund eins mit dem bestimmter Vorgestellten und kann somit von ihm prädiziert werden . (M 96, XXXI)

102 Selbs t wenn es Behauptungen, wie einige Philosophen meinen, gibt, die weder wahr noch falschsind (z.B. die Behauptungen, die vage Termini involvieren, wie z.B. "kah lköpfig", "Haufen", oder diekontingenten Aussagen über die Zukunft), gehört diese Behauptung aller Wahrscheinlichkeit nach nichtdazu.103 Ob eine solch verbesserte epistemische Wahrheitsdefinition zufriedenstellend sein kann , lassen wirhier offen. Es gibt auf jed en Fall viele prominente Philosophen, die realistische Definit ionen des Wahr­heitsbegriffs , die mit keinen epistemischen Begriffen operieren, wie z.B. die WahrheitsdefinitionTarskis (1933), für unverständlich und philosophisch uninteressant halten . Vgl. "To say that truth is' correspondence to reality' is not false but empty, as long as nothing is said about what the'correspondence' is.lfthe 'correspondence' is supposed to be utterly independent ofthe ways in whichwe confirm the assertions we make (so that it is conceived to be possible that what is true is utterlydifferent from what we are warranted in taking to be true, not just in some cases but in all cases) , thenthe 'correspondence' is an occult one, and our supposed grasp of it is also occult.", Putnam 1995, S. 10.,,(T]he notion of truth, when it is introduced, must be explained, in some manner , in terms of ourcapacity to recognize statements as true, and not in terms of a condition which transcend s humancapacities .", Dummett 1976, S. 116. Vgl. dazu auch Peirce 1868, S. 52, Peirce 1878, S. 139, Sellars1967, S. 140-142, Putnam 198\, S. 55, Putnam 1990, S. 41.

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108 KAPITEL 3

Wenn wir diese Technik generell zur Definition des Begriffs der Eigenschaft (unab­hängig davon, ob es sich um eine essentielle oder um eine akzidentelle Eigenschafthandelt, und unabhängig davon, ob diese Eigenschaft als ein Universale oder als einabstraktes Individuum interpretiert wird) verwenden, können wir folgende Defini­tion annehmen:

Der Gegenstand a hat die Eigenschaft F =Df. a kann richtig als F vorge­stellt werden .

Daß die Unterscheidung Substanz-Akzidens ein Fundament in re hat, müßte sichdagegen in der Richtigkeit von gewissen modalen Behauptungen zeigen :

Der Gegenstand a hat die Eigenschaft F akzidentell =Df. a kann richtig alsF vorgestellt werden und a kann richtig als möglicherweise nicht-F vorge­stellt werden.

Der Gegenstand a hat die Eigenschaft F wesentlich =Df. a kann richtig alsF vorgestellt werden und a kann nicht richtig als möglicherweise nicht-Fvorgestellt werden .

Wir ersetzen also ontologischen Apparat der individuellen oder allgemeinen Eigen­schaften durch einen epistemisch-normativen Diskurs . Ob die philosophischen Ver­pflichtungen, die aus der Verwendung der Operatoren "richtig" bzw. "evident"resultieren , einfacher zu akzeptieren sind als die ontologischen Verpflichtungen, dieman durch die Einftihrung dieser Operatoren zu vermeiden hofft, sei dahinge­stellt. 104 Zu betonen ist jedoch die Tatsache , daß jede ontologische Reduktion ihrenPreis hat. Die Einftihrung des epistemisch-normativen Diskurses ist der Preis, dender junge Brentano, wenn auch unbewußt, zahlen muß.

Sowohl für die logischen , als auch für die metaphysischen Teile wurde also imGrunde dieselbe Lösung angenommen - eine Lösung, die Brentano zu den realis­tischen Lösungen zählt, die jedoch insofern nominalistisch ist, als sie die logischenund metaphysischen Teile letztlich für Fiktionen , wenn auch Fiktionen cum funda­menta in re, erklärt, und insofern konzeptualistisch ist, als sie diese Fiktionen aufdie gedanklichen Zergliederungen zurückftihrt .

Brentano wirft nun die berechtigte Frage auf, ob diese zwei Arten von Teilenangesichts ihrer gleichen Erklärung wirklich noch zu unterscheiden sind . Er bestehtjedoch auf der Unentbehrlichkeit dieser Unterscheidung. Beide Arten von Teilenentstehen zwar durch eine im Grunde fiktive, gedankliche Teilung der real einheit­lichen Dinge; die Teilung verläuft in beiden Fällen jedoch nach recht verschiedenenPrinzipien. Die logischen Teile sind die Teile des Individuums einer Gattung, wobeijeder Teil alle allgemeineren Teile enthält. Wir erhalten also eine verschachtelteStruktur:

104 Vgl. dazu Correspondence with Michael Loux , in: Sellars 1979, S. 149-180.

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS

dieser bestimmte Mensch

vernünftigesLebewesen

Iub,w,~" I

109

Die Prädikation der logischen Teile erfolgt, wie Brentano sagt, "in einer Linie", sodaß die allgemeineren logischen Teile von den weniger allgemeineren ausgesagtwerden können: Mensch ist ein vernünftiges Lebewesen, vernünftiges Lebewesenist ein Lebewesen usw. Diese Prädikation läßt (sofern es sich nicht um ein logischesGanzes handelt) auch eine abstrakte Form zu: Gorilla (als Art) ist eine Affe, Affe(als Gattung) ist ein Herrentier, Herrentier ist ein Lebewesen usw.

Bei den metaphysischen Teilen sieht die Situation anders aus. Die gedanklicheTeilung separiert hier nicht verschachtelte Allgemeinheiten, sondern individuelleAspekte eines Dings, wobei jedes bis zur letzten Differenz bestimmt sein muß. Wirbekommen dadurch die (absolut bestimmte) Farbe eines Dings, seine Größe, seineHärte usw. Solche Aspekte sind also gewissermaßen verschiedene (abstrakte) Indi­viduen, die das konkrete Individuum "von verschiedenen Seiten" bestimmen. Diesergibt das folgende Modell:

die bestimmte

Farbe

Die so verstandenen individuellen Eigenschaften können natürlich von ihremTräger (von der Substanz) ausgesagt werden: dieses Ding ist rot, ist groß, ist hartusw. Wenn wir jedoch eine individuelle Eigenschaft von einer anderen aussagenwollen, erhalten wir die Prädikation, die Aristoteles mit dem Seienden im Sinne derAkzidentien verbunden hat. Wir können zwar sagen, daß dieses bestimmte Farbigedieses bestimmte Harte ist, allerdings nur deswegen, weil diese bestimmte Farbe

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110 KAPITEL 3

und diese bestimmte Härte (zufälligerweise) demselben Subjekt zukommen. Dieabstrakte Form der Prädikation ist deswegen ausgeschlossen .

3.7 RELATIO NEN, GRENZEN UND KONTINU A

Relationen bilden diejenige Form des Seienden, die Philosophen immer besondersverdächtig erschienen . Aristoteles betrachtete sie als die schwächste Form des Se­ienden aufgrund der Tatsache, daß sie in ihrem Entstehen und Vergehen vomWechsel der monadischen Eigenschaften ihrer Glieder abhängig sind. Im erstenKapitel haben wir die These der Supervenienz von Relationen formuliert, die dieseIntuitionen zusammenfaßt. Sie besagt, daß zwischen zwei Gegenständen a und bnur dann eine Relation R besteht, wenn a und b derartige monadische Eigenschaftenhaben, daß das Bestehen der Relation R zwischen den Trägem von diesen Eigen­schaften mit Notwendigkeit impliziert wird. Relationen, für die diese These gilt, sindin einem wichtigen Sinn auf die monadischen Eigenschaften ihrer Glieder reduzier­bar. Es scheint, daß Brentano zur These der Supervenienz aller Relationen neigte.Sehr deutlich sieht man das in seiner Behandlung räumlicher und zeitlicher Positio­nen. Brentano hielt die Theorie, die Raum oder Zeit als ein System von Relationendefiniert, für widersinnig und seine Begründung ist immer dieselbe: Es gibt keinereine Relativität, alle Relationen beruhen auf den monadischen Eigenschaften ihrerGlieder.

In Lektion XLVII der Würzburger Vorlesungen erwägt Brentano die Frage, obman die Relationen zu den realen oder eher zu den nicht-realen Prädikaten rechnensoll, und kommt dabei zum Ergebnis , daß fast alle Relationen aus dem Bereich desRealen auszuschließen sind. Wir möchten diese Stelle in voller Länge zitieren:

Sind die Relationen , wie größ er , Geschöpf u.s.f. reale Prädikate oder nicht ? Sie sind es zum Teil, wiedenn namentlich manche Relationen zu Gott sicher als reale Relation en gelten müssen, Z.B. die desGeschöpfs zum Schöpfer. Zum Teil sind sie es aber nicht , wie z.B. wenn ich sage, etwas sei sich selb stglei ch .[...]Sche idung realer und nicht realer Relationen .Die nicht realena) wegen Mangels eines Terminus,b) deren Terminus Objektivum [ist) ,c) was ohne Veränderung des Subjekts verloren oder gewonnen wird .d) Daher [sind nicht real :) Relat ionen der Ähnlichkeit, Unähnli chke it, des Gegensatzes. Best ätigung[:)(komparativ) Gott [vgl. unten) .e) Relationen des Wirkens. Dieselbe Bestätigung [vgl. untenI.I) Relationen des Leidens, wo immer ein Leiden von einem anderen Prinzip heranstammen kann.g) Jene verwickelten Relationen.los

Es bleiben also [als reale Relationen nur) einige Wenige zu Gott.Geschöpf zu Schöpfer.

105 Aufgrund des Textes ist es nicht klar, welch e "verwickelten Relationen" Brentano meint. Es könntesich aber um die relat iven Best immungen handeln, die unter dem Namen .sienominationes mere extrin­seea" behandelt werden . Ein Gegenstand wird in diesem Fall in Beziehung zu einem anderen Gegen­stand gesetzt, der seiners eits durch eine Eigenschaft identifiziert wird , die für das Bestehen die serBeziehung irrelevant ist. Mit einer denominalio extrinseca haben wir es z.B. zu tun, wenn wir Johannals intelligenter als den letzten Lotto -Gewinner oder als kleiner als den einzigen Philosophen in seinerStadt bezeichnen .

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BR EN T A N O S F RÜ HE R KONZ EPTU ALI SM US 111

Ähnlichkeit mit dem Urbi lde.Hypostatische Union.[... ]Nicht real sind:a) Relationen zu dem, was nicht ist, also auch zum Gewesenen u.A.; Z.B. n ist größer als m war.b) Relationen zu sich selbst, da die Relation die Beziehung eines Dings zu einem anderen ist. Hier aberist die Mehrheit nur durch eine Operation des Verstands, der dasselbe sich selbst gegenüberstellt,gegeben .c) Relationen von Gott zu Kreatur. Wären sie reale Prädikate, so müßte Gott Akzidentie n haben . Auchwäre Gott [doch] in jeder Beziehung real dasselbe, [selbst ] wenn andere Kreaturen oder [gar] keinewären. Wenn ich also sage , er habe eine Ähnlichkeit mit jed er Kreatur , er schaffe u.s.f., so sind das kei­ne realen Prädikate.d) Dies führt zu einem anderen und wichtigen Kriterium. Wenn die Ähnlichkeit Gottes mit der Kreaturund sein Wirken auf sie keine reale Relation ist, so sche inen überhaupt die Ähnlichkeitsverhältnisseauch der Kreaturen zu einander und ihr Wirken auf andere [Gegenstände] keine realen Relat ionen. Wer­den sie ja ohne jede Änderung an dem Subjekte (Dinge , Substanz) verloren und gewonnen.Daß dies beim Wirken nicht scheint, hat seinen Grund darin , daß das Wirken wechselseitig [ist] und daßwir bei einem Wirken nach Außen zuvor unsere Glieder bewegen .Somit fassen wir den Satz allgemein so: was ohnejede Ä'nderung des Subjekts verloren oder gewonnenwird. ist keine reale Relat ion .Man bemerke, ich sage nicht , ohne eine besondere, selbständige Änderung, denn dies ist bei keinerRelation der Fall (auch bei manchen Akzidentien, wie Zeit (obwohl [hier] eine selbständige Umwand ­lung), Leiden u.dgl.), sondern ohne je de Änderun g, wie z.B. einer aufhört, größer zu sein, wenn einanderer über ihn hinauswächst u.dgl.Hienach erscheinen nicht bloß (I] die Ähn lichkeits- und Versch iedenheitsverhältnisse, [2] die Verhält­nisse des Erkannten zum Erkennenden und [3] umgekehrt und [4] das Verhältnis des Wirkenden zumLeidenden, sondern auch [5] das des Leidenden zum Wirkenden keine reale Relation zu sein, wo immerein Leiden gerade so auch von einem anderen Prinzip heranstammen kann. Denn dann kann ohneÄnderung am Subjekte seine Beziehung zu diesem Dinge wegfallen. Z.B. wenn ein unterstützter Körperstatt dessen gerade so durch unmittelbares Eingreifen Gottes in der Lage erhalten würde.Man bemerke, daß hiemit nicht gesagt ist, daß das Leiden kein reales Prädikat sei, sondern nur die Rela­tion des Leidenden zum Wirkenden . Beides ist nicht dasselbe, da ja auch einer von selbst leidet.Endlich sind nicht real die sogenann ten [6] Denominativa mere extinsecea wie z.B, gesattelt, bewaffnet,eingerahmt, versiegelt u.dgl., wo der Satte l, die Waffe, der Rahmen , das Siegel u.dgl. von einem ande­ren Ding prädiziert werden. (Brentano M 96, XLVII, meine Hervorhebungen)

Mit Ausnahme einiger Relationen, in denen die Geschöpfe zu Gott stehen106 undwelche die Heilige Dreifaltigkeit konstituieren sollen,107 will also Brentano alleRelationen aus dem Bereich des Realen ausschließen.

In erster Linie betrachtet er als nicht-real alle Relationen bei denen es entwederkeinen Terminus gibt oder der Terminus ein Objektivum ist. Das ist eine interessan­te Stelle, die zeigt, daß der junge Brentano auch solche merkwürdigen ein-stelligenRelationen zuläßt, wobei er sie allerdings kurzerhand als nicht-real klassifiziert. Wirhaben es hier mit einer ähnlichen Situation zu tun wie im Fall der objektiven Exis-

106 Dabei ist allerdings zu betonen, daß, obwohl die Relationen der kontingenten Dinge zum Schöpferals reale Relationen klassifiziert wurden, die Relationen des Gottes zu seinen Geschöpfen keineswegsals solch e gelten durften. Die Theorie von Relationen dieser Art war ein großes Thema der mittelalter­lichen Philosophie . Vgl. "The view became cornmon, though not universal, that allthough creatures arereally related to God, God is related to them only by a relation of reason.", Henninger 1989, S. 8.107 Das letztgenannte Problem hat Brentano übrigens nicht mehr lange beschäftigt. In eine m Brief anCarl Stumpf vom 9. November 1870 lesen wir: "Die Trinitätslehre glaube ich jetzt unter Aufzählungaller möglic hen Auffassungen durch ein Dilemma oder eigentlich durch ein Enneadilemma vollständigerledigt zu haben.", Brentano 1989, S. 12.

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112 KAPIT EL 3

tenz im Geist. Brentano läßt gewisse Redeweisen zu (ein Objekt des Denkens istobjektiv im Verstand, ich bin später als Karl der Größe), sagt aber zugleich, daß sieontologisch nicht ernst genommen werden müssen (ein objektiv im Geist Seiendesist nur ein Seiendes im Sinne des Wahren, eine Relation zu einem Gegenstand, denes nicht gibt, ist kein reales Prädikat).

Wenn für solche ein-stelligen "Relationen" die These der Supervenienz gilt,dann müssen sie sich auf die monadischen Eigenschaften eines einzigen Gliedesreduzieren . Und dies scheint in der Tat der Fall zu sein. Die Relation später als hatihre ontologische Basis in der absoluten zeitlichen Bestimmung des jeweiligen Ob­jekts, die Relation denken an reduziert sich in ähnlicher Weise auf die absolutenmentalen Eigenschaften des Subjekts, nämlich auf ein Haben einer bestimmten Vor­stellung, die ein Akzidens der Seele ist.

Das Problem solch merkwürdiger ein-stelliger (Pseudo-)Relationen ist für dieweitere Entwicklung der Ontologie Brentanos sehr wichtig. In der mittleren Periodebesteht Brentano darauf, daß alle Relationen die Existenz beider Glieder voraus­setzen. Sowohl intentionale Beziehungen als auch zeitliche Verhältnisse betrachteter zu dieser Zeit als normale Relationen. Um das zu gewährleisten, mußte er dieentsprechenden Termini (Objektiva, vergangene und zukünftige Objekte) als ontolo­gisch ernst zu nehmende Entitäten betrachten. Der späte Brentano kehrt zu seinerfrühen Theorie, die auch ein-stellige Relationen zuläßt, gewissermaßen zurück; under gibt sich viel Mühe, alle solche Relationen als im Grunde monadische Eigen­schaften des Subjekts zu interpretieren.

Kehren wir jedoch zur Theorie der Metaphysik-Vorlesung zurück. Auch dieMehrheit von "echten" Relationen, welche die Existenz beider Glieder voraus­setzen, will Brentano dort als nicht-real betrachten . Die Regel, die er dabei anwen­det, sagt, daß eine Relation immer dann nicht-real ist, wenn sie ohne Veränderungdes Subjekts verlorengehen oder entstehen kann. Wenn wir den Umstand, daß dieRelation R nicht-real ist als "irr(R)" bezeichnen, dann sieht die Regel Brentanosfolgendermaßen aus:

(\7'x)(\7'y) (\7'R){ {xRy /\ 0(3z)[(\7'F)(Fx == Fz) /\ ~(zRy)]} ::::l irreR)}(\7'x)(\7'y)(\7'RH {~(xRy) /\ 0(3z)[(\7'F)(Fx == Fz) /\ xRy]} ::::l irreR)}

Die Formel ,,(\7'F)(Fx == Fz)" bedeutet, daß die Gegenstände x und z genau dieselbenEigenschaften haben. Für Brentano, der das Prinzip der Identität des Ununterscheid­baren,

( \7'x)(\7'y)[~(x=Y)::::l ~( \7'F) (Fx == Fz)],

das man oft Leibniz zuschreibt, akzeptiert, impliziert das, daß x derselbe Gegen­stand wie z ist (d.h. daß x=z). Darüber hinaus sagt uns aber die Formel ,,(\7'F)(Fx ==Fz)" , daß der betreffende Gegenstand keine seiner Eigenschaften verloren und keineneuen Eigenschaften erworben hat.

Brentano stellt auch eine besondere Version des Kriteriums der Irrealität einerRelation für kausale Verhältnisse auf. Er sagt, daß ein Leiden eine nicht-reale

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 113

Relation ist, wenn es auch von einem anderen Agens verursacht werden könnte . Die(kausale) Relation R ist also nicht-real [irreR)], wenn es möglich ist, daß sie zwi­schen demselben Subjekt und einem anderen Terminus besteht, d.h. wenn die Rela­tion R ohne Veränderung des Subjekts den Terminus "wechseln" kann .

(Vx)(Vy)(VR){ {xRy /\ O(3z)(3g)[(VF)(Fx =Fz) /\ ~(y=g) /\ ~(zRy) /\ (zRg)]}::>irr(R)}

Unklar ist zunächst, ob die Glieder der Relation dabei andere Eigenschaften habenkönnen. Angesichts der These der Supervenienz:

(Vx) (Vy)(VR){xRy =(3F)(3G)[Fx /\ Gy /\ D(Vz)(Vw)(Fz /\ Gw::> zRw)]}

ist jedoch diese Frage wahrscheinlich zu bejahen. Sollte die These der Supervenienzgelten, so muß y einige Eigenschaften verlieren und g die entsprechenden Eigen­schaften erwerben, so daß die Relation R zwischen x und y verschwindet und zwi­schen x (d.h. z) und gentsteht.

Diese Regeln schließen praktisch alle kontingenten Relationen aus dem Bereichdes Realen aus, aber das ist auch die Konklusion, die Brentano ziehen will. Dieeinzigen realen Relationen sind nämlich "einige Wenige zu Gott", für sie gilt:

(Vx)[xRGott::> D(xRGott)]

Nicht alle Relationen zu Gott, erfüllen diese Bedingung. Die These :

(VR)(Vx)[xRGott ::> D(xRGott)]

ist nicht richtig. Gegenbeispiele können wir leicht im Bereich der intentionalenKontexte fmden . Wenn ein Subjekt S an Gott denkt, ist dieser Umstand sicherlichnicht notwendig. In diesen Fällen ist es allerdings unklar , ob es sich nicht um eineRelation zu einem Objektivum (zum Gott "im Verstand") handelt. 108

Wir gehen jetzt zum Begriff des Kontinuums über . Dieser Begriff war für dieganze Philosophie Brentanos sehr wichtig . Er verstand diesen Begriff nicht als einekomplizierte mathematische Konstruktion, sondern als etwas, was man aus jedersinnlichen Erfahrung ohne größere Probleme abstrahieren kann . Kontinuierlich istein Gegenstand, wenn er in infinitum geteilt werden kann. Ein solcher Gegenstandbesteht also nicht aus diskreten Teilen, sondern bildet eine Fusion der koinzidie­renden Grenzen. Solche Grenzen können natürlich für sich nicht bestehen; sie sindnur in einem Kontinuum.

Den Begriff des Kontinuums verwendet Brentano unter anderem zur Neutralisie­rung der Paradoxien der Bewegung und zu einem apriorischen Beweis des Satzes

108 Der späte Brentano besteht unzweideutig darauf, daß sich das denkende Subjekt nicht auf ein Objek­tivum, sondern auf ein reales Objekt bezieht. Die Intentionalitätstheorie des mittleren Brentano ist indieser Hinsicht sehr vieldeutig. Vgl. dazu Chrudzimski 2001a . Der junge Brentano hat über die Inten­tionalitätstheorie zu wenig geschr ieben, damit diese Frage entschieden werden kann.

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114 KAPIT EL 3

des Grundes . Der Beweis wird in den Lektionen XXXII-XXXIII skizziert . Bren­tano kritisiert zunächst die These Humes, daß wir keinen Begriff der Kausalitäthaben, der sich vom Begriff einer regelmäßigen Abfolge von Ereignissen unter­scheiden würde . Wir haben einen solchen Begriff und wir müssen ihn nicht, wie esKant für nötig hielt, apriorisch postulieren. Es gibt Erfahrungen, aus denen wir ei­nen solchen Begriff abstrahieren können - Erfahrungen, in denen uns kausale Be­ziehungen anschaulich gegeben sind. Es handelt sich dabei um innere Erfahrungen.Immer wenn wir z.B. Schlüsse ziehen, bemerken wir ein Kausalverhältnis zwischendem Denken von Prämissen und dem Denken des Schlusses . "Hier erfasse ich nichtbloß ein Nacheinander", schreibt Brentano , "sondern auch ein Auseinanderhervor­gehen, ein Hervorbringen des einen durch das andere, und bin daher im Stande, dieBegriffe von Ursache und Wirkung zu abstrahieren, die ich dann allgemeiner zurAnwendung bringe." (M 96, XXXII)109

Im zweiten Schritt bemerkt Brentano, daß der Begriff des Werdens den Begriffder Zeit involviert. Zeit ist ihrerseits ein Kontinuum, das in infinitum geteilt werdenkann. Wären also - argumentiert Brentano - keine Kausalgesetze im Spiel , welchedie Veränderungen in der Welt mit Notwendigkeit bestimmen , wäre in jedem Mo­ment das Sein und das Nichtsein eines beliebigen Dings gleichmäglich . In diesemFall wäre es aber unendlich Unwahrscheinlich, daß irgendein Ding länger als einenAugenblick dauert oder daß es sich allmählich, kontinuierlich und nicht abrupt undunberechenbar verändert. Was man erwarten könnte, wäre eher, daß jedes Ding imselben Moment abrupt entsteht und vergeht. Nun dauern die Dinge aber offensicht­lich länger als einen Augenblick und sie verändern sich allmählich, was Brentanozufolge für den Satz des Grundes mit einer unendlichen Wahrscheinlichkeit spricht.(Brentano M 96, XXXIII) 110

Angesichts der Wichtigkeit des Kontinuumbegriffs könnte man glauben, daß dieRelation zwischen einer Grenze und "ihrem" Kontinuum einen Sonderfall unter denRelationen darstellt - daß wir zumindest hier eine Relation vor uns haben, dieontologisch ernst genommen werden muß. Um 1867 betrachtete jedoch Brentanodiese Relation als kein ontologisches Problem, und zwar deswegen, weil er dieGrenzen für Fiktionen hielt. In Lektion XXV verwendet Brentano den Begriff derGrenze in einem Kontinuum zur Neutralisierung der Paradoxien der Bewegung. Erbemerkt dabei, daß man hier mit Fiktionen operiert, die zwar unsere Erklärungensehr vereinfachen, denen aber in Wirklichkeit keine Form des Seienden entspricht.Man kann zwar von der Grenze eines Gegenstands sprechen, das bedeutet allerdingsnur soviel, daß der Gegenstand nicht unbegrenzt ist, daß er eine bestimmte Größeund Gestalt hat. Die Grenze als solche gibt es nicht.

109 Viele Philosophen und Psychologen bestehen darauf, daß die kausalen Relationen schon in deräußeren Wahrnehmung beobachtbar sind . Vgl. z.B. Michotte 1954, Piaget 1974, Searle 1983. Andereargumentieren hingegen, daß sie nicht einmal in der inneren Erfahrung beobachtbar sind. Vgl. Tooley1997, S. 94.110 Die Idee dieses Beweises gibt es bereits bei Hobbes . Eine sehr ähnliche Argumentation kann manauch bei Tooley (1997, S. 104 f.) finden . Tooley betrachtet sie als ein guter Grund dafür , die Existenzvon Kausalrelationen anzunehmen, obwohl er diese Relationen, im Gegensatz zu Brentano, für nichtdirekt beobachtbar hält .

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BR EN T AN OS FR ÜH ER KONZ EP T U A LI S M U S 115

Die Grenze und ihr Ort sind weder etwas in Wirklichkeit noch, wie ein Teil, etwas in Möglichkeit. Sieist eine Fiktion und auch ihr Ort ist ein fingierter. Nun haben diese Fiktionen eine Basis in der Sache,denn die Körper und ihre Räume sind von endlicher, von bestimmter, messbarer Größe und ich kannmich ihrer - wie die Mathematik es tut, wenn sie von Punkten , Linien, Flächen sprich t - mit Vortei lbedienen. (Brentano M 96, XXV)

Das Werden und Aufhören und der ihnen zugewiesene Moment sind weder etwas in Wirklichkeit noch ,wie ein Teil , etwas in Möglichkeit. Auch diese Grenzen sind Fiktionen und auch ihre Zeit (zeitlicheBestimm theit) eine fingierte. Aber auch diese Fiktionen haben (wie die analogen räumlichen) eine Basisin der Sache, denn es gibt Dinge und Zeiten von endlicher, bestimmter, messbarer Dauer und ich kannmich darum auch dieser Fiktionen mit Vorteil bedienen.Wie also , gibt es ein Werden und Aufhören, oder gibt es keines? Eigentlich gibt es keines.Es fragt sich [aber] , was man damit sagen will. Will man sagen: es gibt Dinge die bald sind, bald nichtsind, [so ist die Antwort] Ja!Will man aber behaup ten, das Werden sei etwas, [so ist die Antwort:] Nein! (Brentano M 96, XXV)

Grenzen sind also "noch mehr" fiktiv als physische Teile. Physische Teile sindnämlich "in Möglichkeit", so daß sie zur Wirklichkeit werden können, wenn dasDing geteilt wird. Kein Ding kann jedoch in seine Grenzen geteilt werden . DerSinn, in welchem es Grenzen gibt, ist nur derjenige, daß die konkreten Individuen"messbar sind", so daß man gewisse Wahrheiten über sie ausdrücken kann, indemman (scheinbar) von ihren Grenzen spricht.

3 .8 KA T EG ORI E N , M AT ERI E U N D FO R M

Wie wir gesehen haben, wird die Aristotelische Lehre von der mannigfa chenBedeutung des Seienden in der Würzburger Metaphysik-Vorlesung nur zum Teilaufrechterhalten. Das Seiende zerfallt zwar in das Seiende im eigentlichen und imuneigentlichen Sinn, was jedoch das Seiende im eigentlichen Sinne betrifft, so hältes Brentano für synonym. Es wird nicht mehr in verschiedene Kategorien getei lt, diereale Verschiedenheit der Seinsweisen implizieren. Die Dinge bilden real unteilbareEinheiten. Die Teilung, die Aristoteles zur Unterscheidung der verschiedenen Sein­sweisen von Substanz und Akzidens geführt hat, ist fiktiv. Die Unterschiede, diesich auf verschiedene Kategorien beziehen, betreffen also in Wirklichkeit nicht dasSeiende im eigentlichen Sinn, sondern das Seiende im Sinne des Wahren , das, wiewir wissen, dem jungen Brentano zufolge überhaupt kein metaphysisches Problemdarstellt. Im realen Sinn haben wir es immer mit einem unteilbaren Seienden zu tun.(M 96, XLVIII) Selbst von der isolierten Substanz läßt sich nicht sagen, daß sie ist.

Die Substanz für sich allein ist nicht das Seiende (was das Ding ist), sondern die Substanz in Ver­bindung mit den anderen metaphysischen Teilen. Wäre die Substanz für sich allein, was das Ding ist, somüßte ich auf die Frage : was ist Sokrates, antworten (können): Die Natur eines Menschen . Nun aberantwortet je dermann: ein Mensch. Er antwortet also nicht mit dem Abstraktum, welches die Substanzvon den anderen metap hysischen Teilen prädiziert faßt, sondern mit dem Konkretum, welches, wennauch unbestimmt, die anderen Tei le einbegreift. Vollständiger würde man also antworten, wenn manalle Akz identien mit angäbe . (M 96, XLVI)

In einem fiktiven Sinn kann man allerdings von verschiedenen Kategorien spre­chen; und da es sich um keine beliebigen Fiktionen, sondern um Fiktionen cumJundamento in re handelt , bespricht Brentano in Lektion LIV auch die Aristoteli­sche Kategorienlehre. Er wiederholt die systematis che Dedukt ion aus der Disser­tation, was jedoch die Richtigkeit der Aristotelischen Aufzählung betrifft, so ist

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jetzt Brentano fünf Jahre später viel kritischer. Die Zahl der Kategorien, die Aristo­teles angegeben hat, scheint ihm sicherlich zu klein und auch die konkreten Ent­scheidungen des Meisters stellt er in Frage. Seine eigene Kategorientafel versuchtBrentano nicht zu formulieren, er bemerkt allerdings, daß sie keineswegs a priorianzugeben ist. Die Bestimmung von Kategorien muß aufgrund empirischer For­schung erfolgen und daher gibt es insbesondere keine Garantie, daß es keine Gat­tungen von Bestimmungen gibt, die uns aus mehr oder weniger zufälligen Gründenerkenntnismäßig unzugänglich sind. Angesichts der Beschränkungen des mensch­lichen Geistes und der spezifischen Perspektive, aus der wir unsere Welt betrachten,ist es sogar sehr wahrscheinlich , daß es viele solche Gattungen gibt.

Ein wichtiges Element der Aristotelischen Philosophie, das Brentano in seinenWürzburger Vorlesungen dezidiert verwirft, ist die Lehre von der Zusammenset­zung der Substanz aus der substantialen Form und der substantialen Möglichkeit ­der ersten, unqualifizierten Materie. Vor allem der Aristotelische Begriff der Mate­rie wird einer scharfen Kritik unterzogen . Es gibt zwar, schreibt Brentano, vieleKontexte, in denen man in einem guten Sinn (und in vielen verschiedenen Bede­utungen) von der Materie spricht. In keinem dieser Kontexte wird allerdings unter"Materie" die Aristotelische erste Materie verstanden. Und es gibt überhaupt keineProbleme, zu deren Lösung wir diesen Begriffbräuchten.

In Lektion LIII untersucht Brentano die Probleme des Individuationsprinzips undkommt zunächst zu dem Schluß, daß dieses Prinzip in einem gewissen Sinn Materieist, genau so, wie es Aristoteles wollte. Brentano unterscheidet fünf Bedeutungen, indenen man von einem Individuationsprinzip sprechen kann, wovon für uns die Be­deutung, die er als erste nennt, wichtig ist. In dieser Bedeutung bezeichnet man alsIndividuationsprinzip das, "was ähnlich wie die spezifische Differenz die Gattungzur Spezies, die Spezies zum Individuum kontrahiert." Duns Scotus hat in diesemZusammenhang von haecceitas gesprochen - von einer qualitativen Bestimmung,die gewissermaßen per definitionem höchstens einem einzigen Individuum zukom­men kann,'!' Aristoteles behauptet hingegen, daß die Individualität von verschie­denen Exemplaren derselben Spezies nicht aus einer qualitativen Bestimmung, son­dern aus der immanenten materialen Ursache resultiert.

Brentano übernimmt zunächst verbal die Lösung Aristoteles' . ,,[M]an kanndarum in gewissem Sinne sagen," sagt er, "die Materie sei das Individuationsprinzip

1II Vgl. "Alles Rangniedere [inferius] schließt in sich wesensmäßig etwas ein, das nicht im Begriff desRanghöheren [superiu s] eingeschlossen wird; ansonsten wäre der Begriff des Rangniederen genausoallgemein wie der Begriff des Ranghöheren und damit das 'wesensmäßig Rangniedere' nicht wesens­mäßig Rangniederes, da es ja nicht unter dem Allgemeinen und Ranghöheren stände ; folgli ch wird imBegriff des Individuums wesensmäßig etwas eingeschlossen, das nicht im Begriff der Natur einge­schlossen wird. Dieses ' Eingeschlossene' ist nun aber eine posit ive Entität [...]; und es schafft ein'we sensmäßig Eines' mit der Natur gemeinsam [d.h. es ist nichts akzident elles] : folglich ist es das jeneNatur von sich aus zur Singularität bzw. zum Begriff jenes Rangniederen Bestimm ende .", JohannesDuns Scotus , Ordinatio, S. 81. "Es gibt also außer der Natur in diesem und in jenem Bestimmten gewis­ses primär voneinander Verschiedenes [primo diversa], auf Grund dessen dieses und jene s Bestimmtesich voneinander unterscheiden [...]: dies können nun nicht Negationen sein [...], und auch nicht Akzi­dentien [...]; also werden es gewisse positive Entitäten sein, die an und für sich eine Natur genaubestimmen.", ibid., S. 86.

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS 117

[...]." Gleich danach heißt es jedoch: "Als Materie bezeichnet man nämlich sehrhäufig das, wovon ein Begriff oder eine Vorstellung abstrahiert ist [...]."

Diese Erklärung ist weit davon entfernt, den Aristotelischen Begriff der Materiein Kauf zu nehmen. Denn die Materie als Individuationsprinzip umfaßt nach Bren­tano alles, was als Grundlage für die Abstraktion eines Begriffs dient. Das scheintaber einfach ein konkretes Individuum zu sein. Von einem an sich unqualifiziertenAspekt der Substanz, der die Grenzen der realen Möglichkeit setzt, und der bewirkt,daß jede Realisierung einer substantialen Form zwangsläufig individuell sein muß,ist hier keine Rede . Das Individuationsprinzip ist Brentano zufolge eine individuelleSubstanz selbst und sie wird in solchen Kontexten "Materie" genannt.

Die Aristotelische Materie findet also im Rahmen der frühen Metaphysik Bren­tanos keinen Platz . Deswegen kann auch die Prädizierbarkeit der "zweiten" Sub­stanzen, von der Aristoteles gesprochen hat, nicht ernst genommen werden. DieSubstanz ist bei Brentano prinzipiell nicht-prädizierbar. Wenn wir eine Aristoteli­sche zweite Substanz (eine Natur) unbedingt aussagen wollen, bedienen wir unseiner Fiktion. Wir haben es hier wieder mit einer bloß gedanklichen Aufteilung desSeienden zu tun, die, ihre Richtigkeit vorausgesetzt, lediglich etwas Seiendes imSinne des Wahren ist. (M 96, LV)

Eine andere Problemgruppe, die Aristoteles mit Hilfe seiner Konzeption derersten Materie meistern möchte, bilden die Fragen der substantialen Umwandlung ­des Entstehens und Vergehens. Er nahm ein Prinzip an, gemäß dem in jeder Verän­derung etwas als Subjekt der Veränderung beharren muß. Bei einem akzidentellenWechsel ist diese Voraussetzung im Rahmen der Aristotelischen Ontologie in plau­sibler Weise erfüllt. Was bleibt, ist natürlich eine individuelle Substanz. Was jedochsollen wir als das beharrende Element stipulieren, wenn eine substantiale Umwand­lung stattfindet. Die Substanz kann das auf keinen Fall sein. Im Zusammenhang mitsolchen Überlegungen begegnen wir bei Aristoteles dem Begriff der ersten Materieals der substantialen Möglichkeit. Die Materie in dieser Bedeutung soll eben dieGrundlage der substantialen Umwandlungen darstellen.

Brentano übernimmt die Aristotelische Erklärung der akzidentellen Umwand­lung . Bei jeder akzidentellen Umwandlung bleibt als ein Subjekt der Veränderungdie Substanz und sie kann in diesem Fall "Materie" genannt werden. Die Lehre vonder reinen substantialen Möglichkeit will er jedoch nicht akzeptieren. Wenn wir voneiner solchen reinen Möglichkeit sprechen, haben wir es, so argumentiert Brentano,wieder mit einer Fiktion zu tun, und dazu noch mit einer Fiktion, die zum Zweckder Erklärung der betreffenden Probleme gar nicht notwendig ist.

Die Fragmente von Lektion LXIII der Metaphysik-Vorlesung, wo Brentano die­se Argumentation entwickelt, fehlen leider. In unserer Rekonstruktion stützen wiruns deshalb auf die Mitschrift der Würzburger Metaphysik-Vorlesung von Friede­rich Koch . (Koch 1867, S. 132-139)

Der Begriff der realen, substantialen Möglichkeit fällt nach Aristoteles nicht mitdem Begriff der logischen Möglichkeit zusammen. Mit der logischen Möglichkeitvon p haben wir es dann zu tun, wenn das Gegenteil von p nicht notwendig wahrist. (Metaphysik, I019b 23-24) Eine solche Möglichkeit ist jedoch nichts Reales,

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118 KAPITEL 3

während die substantiale Möglichkeit eine inunanente Ursache jedes Seienden seinsoll. (Vgl. Metaphysik, 1019b 34-1 020a 1)

Brentano argumentiert jedoch, daß der Begriff der realen Möglichkeit, von derAristoteles spricht, nur eine Zusanunensetzung des Begriffs der Wirklichkeit unddes Begriffs der logischen Mögli chkeit darstellt. Der Aristotelische Begriff der rea­len Möglichkeit kann Brentano zufolge auf keine andere Weise verstanden werden.Real möglich ist nach dieser Auslegung etwas, was keine logische Unmöglichkeitnach sich zieht, und dazu noch wirklich ist. "Die ganze Realität dieser realen Mög­lichkeit liegt also", sagt Brentano, "in der Wirklichkeit, sie fügt zur Wirklichkeit nureinen Begriff hinzu . [...] Also bleibt beim substantiellen Wechsel , da keine Realitätbleibt, auch keine reale Möglichkeit." (Koch 1867, S. 135)

Den substantialen Wechsel kann man jedoch - wie Brentano (Koch zufolge)fortfährt - auch ohne Annahme einer solchen dubiosen reinen Potentialität erklären.Man muß nur annehmen, daß man es bei einem solchen Wechsel mit einer Aufei­nanderfolge von verschiedenen Realitäten (verschiedenen Substanzen) zu tun hat,ohne daß es ein identisches Subjekt der Veränderung gibt, wobei jedoch die aufei­nanderfolgenden Realitäten zueinander in einem Kausalverhältnis stehen , so daßdie Substanz, die gerade vernichtet wird, in einem guten Sinn als die Ursache derje­nigen Substanz angesehen werden kann, die gerade entsteht. Eine solche Situationist möglich, wenn sich die aufeinanderfolgenden Substanzen in ihren zeitlichenGrenzen berühren, Bei der Erklärung der substantialen Umwandlung wurde indieser Weise die Aristotelische materiale Ursache gewissermaßen durch die Wir­kungsursache ersetzt.

Im originalen Manuskript M 96 schreibt Brentano, daß es deshalb innerhalb derKategorie Substanz keine unfertige Wirklichkeit gibt. Man findet hier nur die mo­mentanen Übergänge zwischen verschiedenen substantialen Realitäten. (M 96, LVI)In der Kategorie Zeit haben wir es hingegen ausschließlich mit der unfertigen Wirk­lichkeit zu tun. (ibid.) Brentano weist damit eine seiner Thesen aus der Dissertationzurück : Es ist nicht der Fall, daß man in allen Kategorien die Gegenüberstellung desdem Vermögen nach und des der Realität nach Seienden findet.

Da der Begriff der Aristotelischen Materie von Brentano verworfen wird, mußnatürlich auch der Begriff der Form eine wichtige Modifikation erfahren. Bei Aris­toteies waren dies ja zwei korrelative Aspekte einer individuellen Substanz, die iso­liert nur sehr bedingt denkbar sind . Wenn man also einen dieser Aspekte für fiktivund überflüssig erklären will, muß man auch den anderen entweder fallen lassenoder wesentlich umformulieren. Brentano zieht diese Konsequenz. In Lektion LXIIIsagt er, daß, während eine akzidentelle Form tatsächlich in einer "Materie" ist (wo­bei man hier unter "Materie" wieder einfach die Substanz des Akzidens zu verste­hen hat) , ist die substantiale Form in keiner derartigen Materie. Als Materie könntenämlich in diesem Fall nur ein unqualifiziertes Subjekt fungieren und dieses ist, wiewir gesehen haben, im Rahmen der Ontologie Brentanos eine grundsätzlich zweck­lose Fiktion. Die Form, die über die Wirklichkeit des Dings entscheiden soll, kanndementsprechend nur als das Ding selbst (d.h. als eine volle Substanz) interpretiertwerden.

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BRENTANOS FRÜHER KONZEPTUALISMUS

3 .9 DIE PROBLEME DER KONZEPTUALISTIS CHEN AUFFASSUNG

119

Die Grundthese unserer Darstellung von Brentanos Ontologie, wie sie in den Würz­burger Vorlesungen zu finden ist, besagt, daß es sich dabei um eine Version desKonzeptualismus handelt. Die innere Struktur des Seienden wird von Brentano aufWeisen reduziert, in denen dieses Seiende begrifflich erfaßt werden kann . Die Stan­dardeinwände, die man gegen konzeptualistische Theorien erhebt, bereffen (i) dieFrage, was darüber entscheidet, ob diese oder andere Begriffe auf diese oder jeneDinge anwendbar sind; und (ii) die ontologische Natur der Begriffe.

Was die erste Schwierigkeit betrifft, so beinhalten die Analysen Brentanos, wiewir gesehen haben, wichtige Elemente eines normativen Diskurses. Was die begriff­liche Artikulierung eines Seienden zu einer Fiktion cum fundamento in re macht, istnicht etwa eine Struktur, die sich tatsächlich in re befände, sondern die Tatsache,daß einige, aber nicht alle solche Artikulierungen richtig sind, wobei die Richtigkeiteinen epistemisch-normativen Sinn hat. Dabei bilden die Operatoren "richtig" bzw ."evident" sowie die modalen Operatoren "möglich" (bzw . die kontrafaktisch en Kon­ditionale) unreduzierbare Elemente der philosophischen Grammatik, die Brentanozur Beschreibung der Welt gebraucht.

Was das Problem des ontologischen Status von Begriffen betrifft, so glaubt derjunge Brentano an seinem Konzeptualismus verhältnismäßig bedenkenlos festhaltenzu können. Dabei hilft ihm die Rhetorik der ontologisch harmlosen objektivenSeinsweise, die er seit seiner frühen Studien zu Aristoteles verwendete. Ein Begriffist nämlich entweder ein mentaler Akt oder ein im Subjekt objektiv seiender Gegen­stand dieses Aktes . Im ersteren Fall haben wir es mit einer Eigenschaft zu tun , dieeine analoge Erklärung erfordert wie andere Eigenschaften. Im letzteren Fall - sodie These des jungen Brentano - liegt hingegen überhaupt kein ontologisches Prob­lem vor. Wenn nämlich von einer objektiven Existenz des Gegenstands im Verstandgesprochen wird, dann bedeutet dies noch nicht die Einführung einer ontologischernst zu nehmenden Begriffsentität (und insbesondere keine Reduplizierung deräußeren Realität durch eine immanente Entität) . Die Konzeption einer objektivenSeinsweise wurde vom jungen Brentano gerade deswegen benutzt, um solche onto­logischen Konsequenzen zu vermeiden.

Was objektiv im Verstand ist, sind dieselben Dinge, die in der Außenwelt exis­tieren können. Wir erinnern uns an die Aristotelischen Wurzeln dieser Lehre. Dieintentionale Beziehung besteht nach Aristoteles darin, daß die Seele die Form desReferenzgegenstands aufnimmt. Es geht also um dieselben Eigenschaften wie dieje­nigen , die das Referenzobjekt besitzt. Dieses wird nicht etwa durch eine zusätzlichpostulierte Entität vertreten oder repräsentiert, sondern ist gewissermaßen in eigenerPerson anwesend. Deswegen müßte die Seele , wenn sie im eigentlichen Sinn dieForm ihres Objekts aufnähme, buchstäblich zu diesem Objekt werden. Da jedoch dieSeele, die gerade an einen Elefanten denkt, deswegen nicht zu einem Elefantenwird , mußte Aristoteles eine merkwürdige Art des Aktualisierens einer Form ein­führen , die exklusiv für die intentionale Beziehung charakteristisch ist und die be­wirkt, daß das Referenzobjekt 0 gewissermaßen in eigener Person in der Seele ist,ohne daß die Seele dadurch zum Objekt 0 werden muß.

A. Chrudzimski , Die Ontologie Franz Brentanos© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2004

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120 KAPITEL 3

Die Art und Weise dieser Anwesenheit wurde später objektive Existenz genannt.Anstatt von einem Aufnehmen der Form eines Gegenstands spricht man dann da­von, daß der vorgestellte Gegenstand objektiv im Verstand ist. Dieser Unterschied,der zunächst als rein verbal erscheinen mag, bewirkt allerdings, daß die spezifischAristotelische Intentionalitätstheorie, die zumindest den Begriff der Form und zweiArten des Form-Aufnehmens voraussetzt, nicht in Kauf genommen werden muß.Ein Anhänger der Theorie der objektiven Seinsweise ist im Allgemeinen zu keinerbestimmten Ontologie verpflichtet. Der junge Brentano benutzt diese ontologischunverbindliche Redeweise sowohl in seinen Analysen der Aristotelischen Philoso­phie als auch in der Formulierung seiner eigenen Ansichten. Eben dank der prin­zipiellen ontologischen Unbestimmtheit dieser Redeweise kann er glauben, daß Ob­jektiva kein ontologisches Problem darstellen.

Die Dinge , an die man denkt, sind also dem jungen Brentano zufolge eo ipso imVerstand. Was jedoch den ontologischen Charakter dieser Seinsweise betrifft, sowird uns berichtet, daß sie gar nicht zum Bereich der Metaphysik gehört. Wannimmer ein Subjekt an ein Objekt 0 denkt, dürfen wir sagen , daß 0 in seinem Ver­stand objektiv ist. Alle ontologischen Fragen , die bezüglich dieses Seins gestelltwerden können, seien fehl am Platz, denn die rhetorische Betonung liegt dabei nichtauf "ist", sondern auf "Verstand". Es wird demgemäß auch gesagt , daß das ge­meinte Objekt bloß im Verstand ist, und eben deswegen kein metaphysisches Prob­lem darstellt. Wir können also sagen, daß wir es hier mit einem speziellen Quantorzu tun. Dies läßt sich anhand der Regel der Existenz-Generalisierung:

(REG) Fa => (:3x)(Fx),

erklären, die im Rahmen der intentionalen Kontexte ihre Gültigkeit verliert. JedeTheorie der Intentionalität will die logische Regelmäßigkeit, und darunter auch dieAnwendbarkeit von Regel (REG), im Rahmen der intentionalen Kontexte wieder­herstellen. Bezeichnen wir einen typisch Brentanoschen intentionalen Kontext ,,5stellt a vor" als ,JNT(S,a)", und betrachten zunächst eine direkte Anwendung vonRegel (REG) :

INT(S,a) => (3x)[INT(S,x)]

Diese direkte Version der Regel der Existenz-Generalisierung ist natürlich ungültig.Sie würde uns erlauben, aus der Tatsache, daß Maria Angst vor Gespenstern hat, aufdie Existenz von Gespenstern zu schließen.

Angesichts dieser Probleme führt man oft gewisse Stellvertreter ein, die wir "Be­griffsentitäten" nennen wollen , über die - wie man meint - ohne Probleme quanti­fiziert werden kann . Wir erhalten dann die folgende Version :

INT(S,a) => (3x){IMM(S,x) /\ D(Vy)[(y ist a);: repr(x,y)]}

Diese Regel ersetzt die eigentlichen Referenzobjekte, durch Entitäten, von denenman behauptet, daß sie bei jeder intentionalen Beziehung vorhanden sein müssen .

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BRENTANOS FRÜHER KONZ EPTUALISM US 121

Verschiedene Theorien der Intentionalität führen verschiedene derartige Entitätenein.112 Was immer jedoch diese .Begriffsentitäten'' sind, gilt daß ein Subjekt sichauf das Referenzobjekt a nur in der Weise beziehen kann, daß es in einer bestimm­ten Beziehung zu einer solchen Begriffsentität x steht , und diese wiederum zum Ob­jekt a in einer bestimmten Beziehung steht, oder stehen würde, wenn es das Objekta gäbe . (Die Bezeichnung ,,y ist b", die wir in der Regel finden, ist bewusst zwei­deutig . Sie kann sowohl die Identität (y = a), wenn "a" ein singulärer Term ist, alsauch die Prädikation, wenn .a" ein genereller Term ist, bedeuten.)

Die Beziehung zwischen der betreffenden Begriffsentität und "ihrem" Referenz­objekt bezeichnen wir als .reprtb.a]", was andeuten soll, daß die Entität x dieEntität a "repräsentiert" . Die Beziehung, in der das Subjekt zur Begriffsentität steht,haben wir als "IMM(S,x)" bezeichnet, da die Begriffsentitäten dem betreffendenSubjekt zumindest in dem Sinne "immanent" sind, daß es bei jeder intentionalenBeziehung eine solche Begriffsentität geben muß.

Im Rahmen dieser Theorie können wir also die Existenz einer solchen Begriffs­entität aus jedem intentionalen Kontext ohne weiteres folgern . Der genaue Charak­ter der Relation repr, wie auch der Relation IMM, in der das Subjekt zu einer Be­griffsentität steht, hängt von den konkreten Thesen der jeweiligen Theorie ab, undbraucht uns an dieser Stelle nicht zu beschäftigen.

Denn wir wollen jetzt eine Regel betrachten, die mit dem Quantor der objektivenSeinsweise operiert:

INT(S,a) ::>C3s_ouX)[INT(S,x)]

Diese Umformulierung führt, im Gegensatz zur vorigen Regel, keine zusätzlichenEntitäten ein. Wie bei der ursprünglichen Regel der Existenz-Generalisierung istnur vom Referenzobjekt die Rede . Die wichtige Modifikation steckt jedoch imQuantor. Es handelt sich hier nicht um den normalen Existenz-Quantor, sondern umden Quantor der "objektiven" Existenz (der Existenz im Geist des Subjektes S). DieVariablen, die von einem solchen Quantor gebunden werden, implizieren keineontologischen Verpflichtungen.

Soviel zur philosophischen Rhetorik der objektiven Seinsweise. Eine ganz ande­re Frage ist, ob die von ihr suggerierte Lösung tatsächlich funktioniert. Die Ent­wicklung der Philosophie Brentanos scheint eher das Gegenteil nahezulegen. Einewichtige Tatsache, deren man sich klar bewußt sein muß, ist nämlich, daß die Redevon den im Verstand objektiv seienden Gegenständen ein wichtiges Werkzeug derphilosophischen Analyse ist. Die intentionale Beziehung soll darin bestehen, daßder gemeinte Gegenstand objektiv im Verstand ist. Wenn man jedoch diese Rede ­weise als eine genuine philosophische Erklärung interpretieren will, dann sche int es,daß die intentionale Beziehung auf ein äußeres Objekt durch eine Relation zu einerEntität, die objektiv im Verstand ist, ersetzt wird . Das war tatsächlich die Richtung,in die Brentano nach 1874 gegangen ist. Wenn jedoch die intentionale Beziehung

112 Frege spricht von den Sinnen, Brentano von den immanenten Objekten , Meinong von den außerse­ienden Gegenständen, Husserl von den Noemata, Chisholm von Platonischen Eigenscha ften.

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122 KAPITEL 3

als eine logisch reguläre Relation zu einer immanenten Entität interpretiert wird,dann darf diese im Geist objektiv seiende Entität nicht ontologisch bagatellisiertwerden. Andernfalls verwandelt sich unsere Theorie in eine Art magische Erklä­rung, bei der man einerseits spezielle Objekte einfuhrt, andererseits jedoch den on­tologischen Bedenken mit einer dubiosen Beruhigung begegnet: "Keine Angst, allediese Entitäten sind bloß objektiv". Es scheint, daß die reiche Ontologie des "mittle­ren" Brentano aus einer Zurückweisung dieser Art philosophischer Magie resultiert.Die tatsächlichen ontologischen Verpflichtungen der objektiven Seinsweise wurdenvon ihm in dieser Periode explizit in Kauf genommen.113 Die Versuche des spätenBrentano, alle nicht-reistischen Kategorien zu verwerfen, mußten deswegen alsihren integralen Teil eine Übersetzung aller philosophischen Erklärungen enthalten,die mit immanenten Objekten operieren. Nach den Erfahrungen der "mittlerenPeriode" konnte die Rede von einer bloß objektiven Seinsweise nur in der Weise alsontologisch harmlos erwiesen werden, indern man sie als im Prinzip eliminierbarerwies.

IIJ Eine gute Zusammenfassung dieser Denklinie finden wir bei Marty. Vgl. "Die Scholast iker unter­schieden eine mentale und reale Existenz.

Mental oder, wie man sich auch ausdrückte , 'objektiv ' (d.h. als Objekt einer psychisch en Tätigkeit)existiert ein Vorgestelltes, Geliebtes als solches . Real existiert der Vorstellungsakt, eine Ausdehnung u.dgl.

Damit können aber offenbar nicht zwei verschiedene Bedeutungen der Existenz gemeint sein . DerBegriff, 'die Anerkennung zu verdienen' , ist stets derselbe, mag er wem immer, einem Realen oderNichtrealen (z.B. speziell einem 'Objektiven' als solchen) zukommen . Nur das soll eben gesagt sein ,daß, wer das eine anerkennt, damit ein Reales anerkannt habe, wer das andere , ein Objektiv es als sol­ches. Reale Existenz heißt also Existenz eines Realen . Das Adjektiv ist ähnlich verwendet , wie wennman anstatt von der Bejahung eines allgemein en Inhalts, von 'einer allgemeinen Bejahung' spricht. " ,Marty 1884, S. 173 f.

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KAPITEL 4

DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE

Gehen wir jetzt zur "mittleren" Phase der Philosophie Brentanos über, die sichungefähr von der Psychologie vom empirischen Standpunkt (1874) bis ca. 1904erstreckt. In dieser Periode beschäftigte sich Brentano in erster Linie mit deskriptiv­psychologischen Fragen. In seiner Psychologie macht er die intentionale Inexistenzdes Objekts zu seinem berühmten Kriterium zur Abgrenzung des Gebiets der Psy­chologie. Die psychischen Phänomene seien diejenigen, "welche intentional einenGegenstand in sich enthalten." (Brentano 1874/1924, S. 125) In dieser Schrift wirddiese merkwürdige Seinsweise von Brentano noch verhältnismäßig ontologischneutral verstanden - allem Anschein nach vorwiegend nach dem ontologisch unver ­bindlichen Modell der objektiven Existenz. Im Laufe der Zeit schiebt sich dasimmanente Objekt jedoch immer mehr ins Zentrum der deskriptiv-psychologischenAnalysen. Brentano wurde immer klarer, daß die Rede von einer bloß objektivenSeinsweise nicht länger als eine Suspendierung der ontologischen Verpflichtungenverstanden werden kann. Die Kategorie des immanenten Objekts wurde allmählichzu wichtig, um weiter auf diese Weise verharmlost werden zu können. In denVorlesungen um 1890 wird dem immanenten Objekt explizit ontologisch Rechnunggetragen.

Die ontologische Bereicherung der intentionalen Beziehung wird durch eineparallele Bereicherung auf anderen Gebieten begleitet. In den Schriften Brentanosbegegnen wir den zeitlich modifizierten Objekten (wie z.B. einem vergangenen a),den propositionalen Inhalten (wie z.B. dem Sein von a), darunter auch modalisier­ten Inhalten (wie der Notwendigkeit des Nichtseins von a). Auch Negativa, Priva­tiva und Kollektiva werden ernst genommen. Im Allgemeinen kann man sagen, daßBrentano die Redeweisen, die prima fa cie gewisse ungewöhnliche Entitäten einfüh ­ren, nicht mehr im Rahmen einer verhältnismäßig sparsamen Ontologie zu interpre­tieren versucht, sondern alle ontologischen Verpflichtungen, die aus solchen Rede­weisen zu resultieren scheinen, typischerweise ohne Bedenken in Kauf nimmt. Erbesteht zwar darauf, daß die ungewöhnlichen Entitäten irgendwie anders als dierealen Individuen existieren. Sie sind irreal, unwesenhaJt, gehen in keine kausalenZusammenhänge ein. Diese andere Seinsweise kommt jedoch nicht länger demNicht-Sein nahe. Die Jrrealia bilden jetzt neben den realen Entitäten eine zusätz­liche Kategorie, die vom ontolog ischen Standpunkt aus gleichberechtigt zu seinscheint.

Auch die Theorie der realen Entitäten erfährt bedeutsame Modifikationen . Einer­seits verliert sie ihre ausgezeichnete Stellung, denn alles, was der junge Brentanounter den Begriff des Seienden im Sinne des Wahren subsumierte, wird jetzt auf diegleiche Stufe gestellt. Die Untersuchung des realen , substantialen Seienden wirdkonsequenterweise bloß zu einem Teilbereich der Ontologie. Andererseits werden

123

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124 KAPITEL 4

jedoch die gedanklichen Aufteilungen dieses Seienden, die früher für Fiktionen cumfundamento in re erklärt wurden, viel ernster genommen. Die metaphysischen Teilewerden zu eigentlichen (obwohl real untrennbaren - abstrakten) Teilen der realenObjekte und auch die Hierarchie der logischen Teile bekommt ihre ontologischernst zu nehmende Verwirklichung - nämlich in Gestalt der immanenten Objekte.In dieser Form können sogar die allgemeineren logischen Teile durch einen Prozeßder Abstraktion effektiv abgetrennt werden, wodurch man die allgemeineren Be­griffe erhält.

4 .1 BRENTANOS DESKRIPTIVE ONTOLOGIE

Die Ontologie der intentionalen Beziehung, die der mittlere Brentano entwickelte,war derjenige Teil seiner Philosophie, der den größten Einfluß auf seine Schülerausgeübt hat. So einflußreiche Programme wie die Gegenstandstheorie Meinongsund die konstitutive Phänomenologie Husserls bilden (kritische) Weiterentwicklun­gen der Ideen, die Brentano in achtziger und neunziger Jahren in seinen Vorlesun­gen präsentierte . Das Studium dieser Vorlesungen, und zwar vor allem der Vorle­sungen zur Deskriptiven Psychologie (Brentano 1982) und der unpublizierten Lo­gik-Vorlesungen (EL 72 und EL 80), zeigt klar, wie viele Ideen, die man für Ent­deckungen seiner Schüler hielt, in einer rudimentären Form schon bei Brentano zufinden sind. Die in den Briefen oft wiederholten - und im Allgemeinen sicherlichübertriebenen - Klagen des alten Brentano, daß seine "untreuen Schüler" (wieMeinong und Husserl) im Grunde nichts anderes tun, als seine früheren Theorien(in die - wie Brentano schon damals meinte - falsche Richtung) weiterzuent­wickeln, enthalten einen Keim der Wahrheit. I 14

Mit der Brentanoschen Theorie des immanenten Objekts haben wir uns einge­hend an anderer Stelle beschäftigt. (Chrudzimski 2001a) Hier möchten wir zunächstnur die Ergebnisse dieser Untersuchungen ziemlich dogmatisch wiederholen. Wirhaben gesehen, daß der junge Brentano die Gültigkeit der Regel der Existenz-Ge­neralisierung für die intentionalen Kontexte leugnet. Aus dem Satz "Hans denkt anein Pferd" läßt sich, behauptet er in seinen Würzburger Vorlesungen, nur der Satz"Es gibt einen an-ein-Pferd-denkenden Hans" nicht jedoch der Satz "Es gibt einvon-Hans-gedachtes Pferd" folgern. In der mittleren Periode ändert er jedoch seineMeinung. Wenn Hans an ein Pferd denkt, dann muß das Pferd im Geist von Hansimmanent inexistieren. Das bedeutet jedoch nach dem mittleren Brentano nichtsweniger, als daß Hans in einer logisch regulären Relation zu einem immanenten

114 Es ist aber nicht unsere These , daß diese Klagen die ganze Wahrheit über die Philosophie Husserlsoder Meinongs enthalten. Zum ersten hat Brentano in seiner rnittleren Periode eine Ontologie derintentionalen Beziehung entwickelt. Was hingegen die beiden erwähnten Philosophen betrifft, so ist eshöchst unklar, ob Husserls transzendentale Phänomenologie oder Meinongs Gegenstandstheorie über­haupt als Ontologien zu deuten sind . Zum zweiten kann man bei Husserl schon sehr früh Versuche derEliminierung von intentionalen Gegenständen finden . Vg1. Husserl 1894, S. 317, 332 ff., 336 ff. VgI.dazu auch Küng 1973, S. 674 und Rollinger 1999. Zum dritten hat die Ontologie der idealen Bedeu­tungsspezies, die Husserl in den Logischen Untersuchungen entwickelte, in der Tat sehr wenig mit derBrentanoschen Philosophie zu tun und sie wurde laut Husserl eher durch die Schriften Bolzanosinspiriert. Vg1. Husserl1994, Bd. I, S. 29, 39.

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 125

Pferd steht. Der mittlere Brentano nimmt also eine Version der Regel der Existenz­Generalisierung an, die mit immanenten Begriffsentitäten operiert:

INT(S,a) ::>(3x){IMM(S,x) /\ D(Vy)[(y ist a) == repr(x,y)]}

Die immanente Begriffsentität wurde in der Psychologie "immanentes Objekt"genannt. Gemäß den Untersuchungen, die Brentano in den folgenden Jahren durch­geführt hat, erscheint sie als eine höchst komplizierte Entität. Wir fassen die Schrit­te dieser Komplizierung in einer gedrängten und vereinfachten Weise zusammen:

(1) Das immanente Objekt wurde als eine Entität eingeführt, die immer als dasObjekt der intentionalen Beziehung fungiert, wenn sich das Subjekt intentional aufetwas bezieht. (Brentano 1874/1924, S. 124 f.; Brentano 1982, S. 21) (2) Als sol­ches muß das immanente Objekt in der Zielposition der Intention stehen. So, wie eseingeführt wurde, ist es das, worauf sich das Subjekt intentional bezieht. (3) Ande­rerseits muß es jedoch als eine Entität interpretiert werden, die den psychischen Aktzwangsläufig begleitet. (4) Es kann also nicht der äußere Referenzgegenstand sein,denn diesen gibt es oft nicht. (5) Die Theorie des immanenten Objekts hat demge­mäß viele Eigenschaften der sogenannten Objekt-Theorie der intentionalen Bezie­hung, in der man spezielle Entitäten einführt, welche die vorphilosophisch verstan­dene Referenzgegenstände gewissermaßen ersetzen .

Das Prinzip der Existenz-Generalisierung nimmt im Fall einer Objekt-Theorieeine besondere (und in vielen Hinsichten kontraintuitive) Form an. Da die repräsen­tierende Entität den eigentlichen Referenzgegenstand gewissermaßen ersetzt , kanndie Relation repr, die zwischen der repräsentierenden Entität und dem, was reprä­sentiert wird, besteht, nur die Relation der Identität sein. Unser Prinzip sieht alsofolgendermaßen aus:

INT(S,a) ::>(3x)[IMM(S,x) /\ (x=a)]

Immer, wenn sich ein Subjekt intentional auf etwas bezieht, dürfen wir auf dieExistenz dessen, worauf es sich bezieht, schließen. Das, worauf es sich bezieht, istallerdings eine Entität, die bei jeder intentionalen Beziehung vorhanden sein muß,was durch ,JMM(S,x)" ausgedruckt wird. 115

(6) Die Annahme einer Objekt-Theorie determiniert noch nicht den ontologi­schen Status der postulierten Entitäten, die in der Zielposition des Aktes auftreten.Die Rolle der Zielentitäten in einer Objekt-Theorie können beispielsweise die Mei­nongschen Objekte übernehmen, die in Bezug auf die psychischen Akte ontologischvöllig unabhängig sind . Brentano hat allerdings angenommen, daß das immanenteObjekt ein ontologisch unselbständiges Korrelat des psychischen Aktes bildet.

115 Die kontraintuitiven Aspekte dieser Auffassung bestehen darin, daß es unklar ist, wie in ihremRahmen die unzutreffenden intentionalen Beziehungen überhaupt möglich sind . Da es uns hier in ersterLinie um die Ontologie der intentionalen Beziehung geht, die der mittlere Brentano entwickelte , lassenwir die Frage, ob seine mittlere Intentionalitätstheorie wirklich überzeugend funktioniert, beiseite. DieLösung kann eventuell in Brentanos Urteilstheorie gesucht werden. Vgl. dazu Chrudzimski 200la,S. 26 f., 80-83.

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126 KAPITEL 4

(Brentano 1982, S. 21) Diese ontologische Unselbständigkeit in Bezug auf denpsychischen Akt bestimmt in der Tat den Sinn, in dem ein Brentanosches Objekt als"immanent" bezeichnet werden kann. Die Immanenz des immanenten Objekts hatalso in erster Linie eine ontologische Bedeutung. Sie darf im Besonderen nicht mitder Immanenz verwechselt werden, die Husserl "reelle Immanenz" genannt hat, unddie für die psychischen Akte charakteristisch ist. (Vgl. Husserl 1901, S. 386 f.;Husserl 1907, S. 5)

(7) Im Zusammenhang mit dieser These ergeben sich jedoch gewisse Probleme.Eine von einem Bewußtseinsakt ontologisch abhängige Entität ist sicherlich nichtdas, worauf wir uns normalerweise zu beziehen glauben. Die ontologische Analysedes immanenten Objekts, die Brentano in seinen Vorlesungen zur Deskriptiven Psy­chologie unternommen hat, führt tatsächlich zum Schluß, daß ein immanentes Kor­relat des psychischen Aktes eine Entität ist, die sich von den realen transzendentenObjekten beträchtlich unterscheidet. Brentano nimmt im Besonderen an, daß einimmanentes Objekt die Eigenschaften, die für die (angeblichen) Referenzobjektecharakteristisch sind, nur in einem modifizierten, uneigentlichen Sinne hat. Es kannalso nicht einmal im eigentlichen Sinne rot, dreieckig oder hart sein. (Brentano1982, S. 27)

(8) Es erweist sich also, daß die Situierung des immanenten Objekts in der Ziel­position der Intention keineswegs unproblematisch ist. Entweder wird der ontologi­sche Status des immanenten Objekts in jeder intentionalen Beziehung systematischmißverstanden (so, daß das immanente Objekt vom Subjekt fälschlicherweise als imeigentlichen Sinne rot, dreieckig oder hart "gesehen wird"), oder dieses Objekt fun­giert in Wirklichkeit nicht als das Ziel der Intention, sondern eher als eine vermit­telnde Entität. Letzteres scheint Brentano in seiner Logik-Vorlesung aus den spätenachtziger Jahren angenommen zu haben.l'" Seine Intentionalitätstheorie verschiebtsich demgemäß in die Richtung der sogenannten Mediator-Theorie, die anstatt derspeziellen Zielentitäten spezielle vermittelnde Strukturen einführt. Die Theorie

116 Vgl. "Nochmals also : Was bezeichnen die Namen ? Der Name bezeichn et [i] in gewisser Weise denInhalt einer Vorstellung als solehe[n] , den immanenten Gegenstand; [ii] in gewisser Weise das, wasdurch Inhalt einer Vorstellung vorgestellt wird. Das Erste ist die Bedeutung des Namens . Das Zweite istdas , was der Name nennt . Von dem sagen wir, es komme der Name ihm zu. Es ist das , was, wenn esexist iert, äußerer Gegenstand der Vorstellung ist. Man nennt unter Vermittlung der Bedeutung. Diealten Logiker sprachen [deswegen] von einer dreifachen Supposition der Namen : [I] suppositio rnater­ialis : vide oben ; [2] suppositio simplex: Bedeutung: Mensch ist eine Spezies, d.i. die Bedeutung desWortes ' Mensch ' ist eine Spezies, d.i. der Inhalt der Vorstellung eines Menschen ist eine Spezies ;[3] suppos itio realis: das Genannte : Ein Mensch ist lebendig , ist gelehrt etc.", Brentano EL 80, S. 34 f.

Dieselbe semantische Theor ie vertrat Brentano , wie es scheint, bereits in der Vorlesung Alte undneue Logik aus dem Jahre 1877. Zu dieser Vorlesung gibt es eine Mitschrift, in der wir lesen: "Mankann dre ifaches untersche iden : etwas, was der Name kund gibt, was er bedeutet, und was er nennt.

Spricht jemand einen Namen aus, so gibt er kund, daß er ein gewisses Vorstellen habe , es bedeutelaber der Name den Inhalt eine r Vorstellung als solchen . Und es nennt der Name das, was durch denInhalt einer Vorstellung vorgestellt wird; davon sagen wir, es kommt ihm der Name zu; man nennt denGegenstand unter Vermittlung der Bedeutung; der Inhalt der Vorstellung vermittelt den Gegenstand.

'Sokrates ' ist der Genannte auch wenn er nicht ist. Die Bedeutung liegt im Inhalt der Vorstellungund diese wird kund gegeben dadurch , daß ich den Namen ausspreche." , Brentano EL 108*, S. 21. Fürden Hinweis auf diese Stelle der Logik- Vorlesung 1877 danke ich Johann C. Marek (Graz) .

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 127

Brentanos wird allerdings zu keiner eindeutigen Mediator-Theorie, Sie oszilliertziemlich unentschieden zwischen Objekt-Theorie und Mediator- Theorie.117

An diesem Punkt können wir auch bemerken, daß die Verweise auf Aristoteles,die Brentano bei der Besprechung seiner Intentionalitätstheorie wiederholt macht(vgl. Brentano 1874/1924, S. 125; Brentano 1982, S. 26 f.), mit einem Vorbehalt zubetrachten sind . Schon bei der Besprechung seiner frühen Aristoteles-Schriften ha­ben wir betont, daß Brentano selbst in seiner Analyse der Intentionalitätslehre vonAristoteles dessen ontologische Apparatur keineswegs übernimmt. Schon damalsversuchte Brentano, die Aristotelische Lehre von der intentionalen Beziehung aufseine eigene Weise darzustellen; und das bedeutete in erster Linie, daß er von derAristotelischen Form und Materie nichts hören will. Die Brentanosche Interpreta­tion der Aristotelischen Intentionalitätslehre oszillierte konsequenterweise zwischenseinen Verweisen auf die scholastische Lehre vom esse obiectivum und einer The­orie, die von speziellen vermittelnden Entitäten spricht. Wie wir sehen, setzt sichdieses Oszillieren auch in der Periode nach der Psychologie fort. 118

(9) Die Art der Repräsentation, die für die Beziehung zwischen dem immanentenObjekt und dem transzendenten Referenzgegenstand charakteristisch ist, entsprichtim Grunde dem .xleskriptionstheoretischen" Modell , das vor allem für Frege undRussell charakteristisch ist. Das immanente Objekt spezifiziert (einige) Eigenschaf­ten des (eventuellen) Referenzgegenstands, und zwar in der Weise, daß es dieseEigenschaften im modifizierten Sinne hat. (Vgl. Brentano Ps 21, S. 4)

Daß das immanente Objekt nur einige Eigenschaften des eventuellen Referenz­objekts spezifiziert, hängt mit dem Scheitern eines weiteren logischen Prinzips zu­sammen. Es handelt sich um das Prinzip der wechselseitigen Substituierbarkeit derGlieder einer wahren Identitätsaussage salva veritate:

(S) Fa /\ a=b ~ Fb.1I 9

In den intentionalen Kontexten scheint dieses Prinzip zu scheitern. Wenn Johann anden Sieger von Jena denkt, muß er deswegen nicht an den Besiegten von Water/oodenken, obwohl es sich dabei um ein- und dieselbe Person handelt.

Eine Möglichkeit, das Prinzip auch für intentionale Kontexte zu retten, wäre,anstatt von der Identität der eventuellen Referenzentitäten von der Identität der ver­mittelnden Begriffsentitäten zu sprechen. Wenn wir annehmen, daß die Begriffs-

117 Eine interessante Interpretation der Brentanoschen Lehre vom immanenten Objekt kann man inBrandl 200· finden. Brand] unterscheidet eine "naive" und eine "raffinierte" (sophisticatedt Versionder Immanenzlehre. Die "naive" Version ist im Grunde eine Objekt-Theorie, in der das immanenteObjekt als Referenzentität fungiert. Die "raffinierte" Version ist eine Mediator-Theorie. Sie involviertsowohl ein immanentes Objekt, als auch eine Fähigkeit des Subjekts, sich auf eine transzendente Entitätzu beziehen.118 Münch (1986, 1993, S.50-55), Antonelli (2000, 2001, S. 394 f., 407), Sauer (2000) und Smith(1994, S.35--41) scheinen indessen die Brentanoschen Verweise auf Aristoteles viel zu ernst zunehmen.119 Das Prinzip der Substituierbarkeit geht auf Leibniz zurück. Vgl. "Daß aber Adern B gegenüber das­selbe ist, bedeutet, daß in jeder beliebigen Aussage das eine für das andere unbesehadet der Wahrheitsubstituiert werden kann.", Leibniz 1686b, S. 21.

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128 KAPITEL 4

entität, die in einem Denken an den Sieger von Jena involviert ist, nur die Eigen­schaft Sieger-von-Jena-zu-sein enthält, und daß die Begriffsentität, die in einemDenken an den Besiegten von Waterloo die vermittelnde Funktion erfüllt, nur dieEigenschaft Besiegter-von-Waterloo-zu-sein enthält, dann besteht die gewünschteIdentität klarerweise nicht. Wir haben damit eine Erklärung, warum ein Schließenvon .Johann denkt an den Sieger von Jena " auf "Johann denkt an den Besiegten vonWaterloo" logisch nicht legitim ist.

Das war der Weg, den Frege (1892) vorgeschlagen hat. Er behauptete , daß sichin den intentionalen Kontexten die Referenz verschiebt. In den intentionalen Kon­texten bezieht sich ein Wort nicht auf sein "normales" Referenzobjekt, sondern aufdie Entität, die in den extensionalen Kontexten als der vermittelnde Sinn fungiert ;wobei im Sinn, wie Frege sagt, "die Art des Gegebenseins" des Referenzobjektsenthalten ist. (Frege 1892a, S. 26)

Im Fall Brentanos kompliziert sich die Sache zusätzlich dadurch, daß man vonder Identität der zwei immanenten Objekte strenggenommen nicht sprechen kann.Deshalb muß man als Bedingung der Substituierbarkeit eine Art "Äquivalenz" derentsprechenden immanenten Objekte fordern - eine Äquivalenz die genau dannvorliegt, wenn die betreffenden immanenten Objekte genau dieselben Eigenschaften(im uneigentlichen Sinne) haben. Da aber Brentano keine allgemeinen Entitätenakzeptiert, muß die Rede von der Identität der Eigenschaften wieder auf die strengeÄhnlichkeit der individuellen Tropen reduziert werden, wie wir im ersten Kapitelgesehen haben.120

Das alles macht das immanente Objekt zu einer ziemlich komplizierten Entitätund involviert viele ernsthafte Probleme, mit denen die Theorie Brentanos kämpfenmuß. Wie wir wissen, kommt der späte Brentano zum Schluß, daß diese Problemeletztlich nicht zu lösen sind. Nach 1904 erklärt er den Begriff des immanentenObjekts für einen Pseudo-Begriff - für einen Begriff, mit dem wir nur "zu hantierenglauben", denn eigentlich können wir einen solchen Begriff nicht einmal bilden.

Darüber werden wir im nächsten Kapitel sprechen. Jetzt wollen wir noch weiterauf Brentanos mittlere Theorie eingehen, da die Komplikationen dieser Theorie mitPunkt (9) keineswegs enden. Denn (10) wenn sich das immanente Objekt auf diePosition der vermittelnden Entität verschiebt, dann ergibt sich von neuem dasProblem, was in der Zielposition der Intention steht, wenn kein äußerer Referenz­gegenstand existiert. Brentano spricht gelegentlich von den nicht-existierenden Ge­genständen, die diese Aufgabe übernehmen könnten.121

(11) Ferner, wenn die Redeweise: "Hans denkt an 0" als eine geeignete Grund­lage für die Anwendung der Regel der Existenz-Generalisierung anerkannt wird,warum sollen die Kontexte der Art: "Hans denkt, daß p" in dieser Hinsicht vernach-

120 Genauer besprechen wir dieses Problem in Chrudzimski 200 Ja, S. 2I8-220.121 Vgl. "Dagegen, daß die Gegenstände [durch die Namen) bezeichnet [werden), wurde gesagt:I . Es fehle oft ein Gegenstand : also würden die Namen nichts bedeuten .Antwort : l ' Sie bezeichnen wohl die Gegenstände, aber bedeuten sie nicht, sondern nennen sie. DasWort ist also nicht ohne Bedeutung.2' Es darf nicht verwechselt werden, nichts bezeichnen (nennen) und etwas bezeichnen (nennen), wasnicht ist (wie ja auch wünschen, hoffen) ." , Brentano EL 80, S. 35.

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DIE ONTOLOGIE DER " M IT T L E R E N " PERIODE 129

lässigt werden? Um 1890 spricht Brentano tatsächlich auch von propositionalen In­halten, die ontologische Korrelate von ganzen Sätzen darstellen, ähnlich wie Ob­jekte (nominaler Form) ontologische Korrelate von Namen sind. Er postuliert sogarzwei Arten solcher Inhalte: immanente und transzendente.122

Die psychischen Phänomene, die durch die Namen ausgedrückt werden, sindBrentano zufolge Vorstellungen. Eine Vorstellung besteht darin, daß ein Subjekt einObjekt "vor Augen hat", wobei dieses "vor Augen Haben" durch die Annahmeeines vom psychischen Akt ontologisch abhängigen immanenten Objekts erklärtwerden soll. Die psychischen Phänomene, die dagegen durch vollständige Sätzeausgedrückt werden, zerfallen nach Brentano in zwei Gruppen. Sie sind entwederUrteile, oder emotionale Phänomene. Jedes Urteil hat, wie wir bereits wissen, eineexistentielle Form. Es besteht in der Annahme oder der Verwerfung des (vorge­stellten) Objekts. Jedes Urteil setzt dementsprechend eine Vorstellung voraus. Inähnlicher Weise bauen sich die emotionalen Phänomene auf einer Vorstellung auf.Sie weisen ebenfalls eine positiv-negativ Polarisierung auf. Jedes emotionale Phä­nomen besteht in einer (emotionalen) Annahme oder Verwerfung des (vorgestell­ten) Objekts. Das Objekt einer Vorstellung wird in einem emotionalen Phänomen,wie Brentano sagt, geliebt oder gehaßt.

Die Ontologie des Urteils, zu der Brentano in seiner mittleren Periode kommt,kann durch das folgende Schema illustriert werden:

I

Subjekt \ -, .» /

ontologische Immanenz ' _

enthält das Subjekt der intc;ntionalen Beziehungund die "immanenten" Entitäten

Urteil

Vorstellung

angenom­menes/verwor­fenes

/

/

J

transzendenteEntitäten

prpppsitionalerInhalt

Objekt

122 Vgl. "Wie die Namen haben sie [die Aussagen] eine doppelte Beziehung:a) auf den Inhalt eines psychischen Phänomens als solchen ;b) auf etwaige äußere Gegenstände.Der erste ist die Bedeutung.Das betreffende Phänomen ist aber in diesem Fall keine Vorstellung, sondern ein Urteil. Das Geurteilteals solche s ist die Bedeutung. Ähnlich bei der Bitte : das Gewünschte als Gewünschtes ist die Bedeu­tung .

Infolge davon, daß das, was die Beziehung zu etwaigem Gegenstand vermittelt, eine andere Art vonPhänomen ist, ist die Bezeichnung derselben eine andere, kein Nennen, sondern ein Anzeigen. DasAngezeigte ist das, was anerkannt oder verworfen wird. Wir können es andeuten oder abdeuten nennen(für dieses Letzte sagen wir ein das Nichtsein Andeuten).

Obwohl das von der Aussage bezeichnete Objekt dasselbe wie das benannte [ist], so bezeichnenAussagen und Namen darum doch nicht dasselbe.", Brentano EL 80, S. 36.

Auch Stumpf berichtet über die Lehre von den propositionalen Korrelaten der Urteile, die Brentanoum 1880 vertreten haben soll . Vgl. Stumpf 1907, S. 29. Über die immanenten und transzendenten pro­positionalen Entitäten vgl. auch Morscher 1990.

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130 KAPITEL 4

Ein psychisches Akt des Urteils baut sich auf eine Vorstellung auf. Die ontologi­schen Korrelate des Urteils bauen sich dementsprechend auf die ontologischen Kor­relate der zugrunde liegenden Vorstellung auf. In unserem Schema fmden wir zweiArten solcher Korrelate . Einerseits haben wir Entitäten, die sich in der Sphäre derontologischen Immanenz (des jeweiligen Subjektes) befinden . Sie sind in Bezug aufdie psychischen Akte ontologisch unselbständig - entstehen und verschwindenzusammen mit diesen Akten. Andererseits haben wir transzendente Entitäten, derenExistenz vom Subjekt völlig unabhängig ist. Stellt ein Subjekt einen Zentauren vor,dann existiert natürlich ein immanenter Zentaur. Ein transzendenter Zentaur exis­tiert hingegen nicht - die Vorstellung ist nicht zutreffend .

Nach dem mittleren Brentano bedeutet jedoch eine solche Situation lediglich,daß sich der Akt auf einen nicht-existierenden Gegenstand bezieht. Brentano würdealso zu dieser Zeit mit der paradoxen These Meinongs einverstanden sein: "es gibtGegenstände, von denen gilt, daß es dergleichen Gegenstände nicht gibt [...]." (Mei­nong 1904, S. 490)

Ähnlich sieht es aus, wenn wir die propositionalen Korrelate eines Urteils inBetracht ziehen. Erkennt ein Subjekt einen Zentauren an, dann existiert automatischein immanentes Korrelat dieses Urteils - ein anerkannter Zentaur. Ein entsprechen­des transzendentes Korrelat - die Existenz eines Zentauren - existiert allerdingsnicht. Wir werden jedoch noch später darauf zurückkommen, daß man im Rahmendieser toleranten Ontologie einem solchen Urteil dennoch sogar zwei transzendentepropositionale Korrelate zuordnen kann: die (existierende) Nicht-Existenz einesZentauren einerseits und die nicht-existierende Existenz eines Zentauren anderer­seits.

Gehen wir jetzt zu den emotionalen Phänomenen über und betrachten zunächstdas folgende Schema:

emot ionalesPhänomen

geliebtes/gehasst es

Vorstellung

Subjekt

ontologische Immanenz ' _

enthält das Subjekt der intentionalen Beziehungund die "immanenten" Entitäten

transzendenteEntitäten

propos itionalerInhalt

Objekt

Die Struktur dieser intentionalen Beziehung sieht der Struktur eines Urteils sehrähnlich. Wir haben eine Vorstellung, auf die sich ein psychisches Phänomen "höhe­rer Ordnung" aufbaut. Die Ontologie der Vorstellung bleibt dieselbe wie bei einemUrteil. Da wir jedoch diesmal mit einem emotionalen Phänomen zu tun haben, sinddie propositionalen Entitäten andere. Auf der Seite der immanenten Entitäten habenwir ein geliebtes bzw. gehaßtes Objekt und auf der transzendenten Seite finden wireinen positiven bzw. negativen Wert des entsprechenden Objekts.

Die ontologischen Konsequenzen der verschiedenen Variablen der intentionalen

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN " PERIODE 131

Beziehung sind dadurch allerdings noch nicht erschöpft. Stellt das Subjekt ein ver­gangenes oder zukünftiges Objekt vor, so ist der äußere Referenzgegenstand zeit­lich modifiziert . Der König Kar! der Große, den sich Hans vorstellt, existiert heutenicht mehr. Dennoch haben wir in diesem Fall sogar zwei transzendente Ersatz-En­titäten. Einerseits ist natürlich der nicht-existierende Karl der Große, andererseits istaber auch der vergangene Kar! der Große. (Vgl. EL 80, S. 158)

Die Ontologie des mittleren Brentano spiegelt damit beinahe jede Modifikationin der Art und Weise, in der das Objekt intentional erfaßt wird, ganz automatischwider. In dieser Beziehung ähnelt sie der Gegenstandstheorie Meinongs. Am deut­lichsten sieht man das am Beispiel der propositionalen Entitäten. Ein Urteil bestehtnach Brentano in einem mentalen Annehmen bzw. Verwerfen eines vorgestelltenObjektes. Eine solche Urteilstheorie ist prima facie nicht-propositional, was wir amBeispiel der Würzburger Metaphysik-Vorlesung beobachten konnten. Eben deswe­gen, weil ein mentales Annehmen bzw. Verwerfen kein gegenständliches Korrelatin der Welt braucht, benötigte der junge Brentano keine propositionalen Entitätenals Wahrmacher. Alles, worum er sich kümmern mußte, war, worin die adaequatio­Beziehung zwischen der Vorstellung und der Welt bestehen kann. Dasselbe gilt fürdie Theorie der emotionalen Intentionalität. Da jedes emotionale Phänomen einLieben bzw. ein Hassen eines Objektes ist, braucht Brentanos Ontologie primafacienur die Objekte der nominalen Form.

Ein klassischer Grund, warum man transzendente propositionale Entitäten pos­tuliert, liegt in der realistischen Deutung des Wahrheitsbegriffs. Im Besonderen gabes in der Brentano-Schule Philosophen, die behaupteten, daß wir nur dann dieBegriffe der Wahrheit eines Urteils und der objektiven Richtigkeit einer wertendenBehauptung erklären können, wenn wir solche transzendenten Wahr- bzw. Richtig­macher zulassen.123 Wie wir aber wissen, gehört Brentano nicht zu diesen Philoso­phen. Die Tendenz, die wir in seiner gesamten Philosophie beobachten können, istes, den Wahrheitsbegriff epistemisch zu erklären; und was den Begriff der Richtig­keit eines emotionalen Phänomens betrifft, so geht Brentano analog vor.124 Nichtder Wert eines Objektes, sondern die Richtigkeit eines emotionalen Aktes fungiertbei ihm als ein primitiver Begriff, mittels dessen der Begriff eines Wertes definiertwird.

Das Objekt 0 besitzt einen positiven Wert (0 ist gut) =Df Es ist möglich,daß sich eine richtige Liebe auf 0 richtet (es ist möglich, daß 0 richtiggeliebt wird).Das Objekt 0 besitzt einen negativen Wert (0 ist schlecht) =Df Es istmöglich, daß sich ein richtiger Haß auf 0 richtet (es ist möglich, daß 0richtig gehaßt wird).

125(Vgl. Brentano 188911955, S. 19)

123 Zu diesen Philosophen gehören vor allem Anton Marty und Alexius Meinong . Vgl. Marty 1908,Meinong 1910 und Meinong 1917.124 Vgl. dazu Chrudzimski 2001a, Kap. 2. Wir zeigen dort, daß die tieferen Gründe dieser Deutung desWahrheitsbegriffs in Brentanos Begriffsempirismus liegen.125 Man sollte natürlich noch präzisieren , ob das betreffende Objekt nur als ein Mittel (um eines

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132 K APIT EL 4

Sowohl die Urteilslehre Brentanos als auch seine Theorie der emotionalen Intentio­nalität sind also prima faeie nicht-propositional. Noch in der Psychologie scheintsich seine Intentionalitätstheorie in diesem Rahmen zu halten. In der Logik- Vorle­sung aus den späten achtziger Jahren (Brentano EL 80) wurde diese interessantenicht-propositionale Theorie jedoch ad acta gelegt.

Es ist allerdings wichtig zu verstehen, daß der Grund dieser Entwicklung nichtetwa darin bestand, daß sich Brentano gezwungen fühlte, propositionale Entitäteneinzuführen, weil er sie für bestimmte Zwecke der philosophischen Erklärungbrauchte. Wie wir sehen, kann seine Intentionalitätstheorie auch ohne propositio­nale Entitäten funktionieren. Der Grund bestand vielmehr darin, daß Brentanoglaubte, die propositionalen Entitäten so unzweideutig deskriptiv gegeben zu haben ,daß er seine Ontologie entsprechend erweitern mußte.

Die methodologische Regel, zu welcher der mittlere Brentano zweifellos neigt,können wir die Regel der unkritischen Deskriptivität nennen. Diese Regel fordert,daß jede Kategorie, die uns prima faeie deskriptiv zugänglich erscheint, schon ausdiesem Grund als eine ernst zu nehmende ontologische Kategorie einzuführen ist.Alle Entitäten, auf die sich unser vorphilosophischer oder philosophischer Diskursangeblich bezieht, werden kraft dieser Regel als zusätzliche ontologische Kate­gorien kurzerhand akzeptiert, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie außer dieserprimafaeie Evidenz noch irgendwelche erklärende Rolle spielen.

Natürlich hat Brentano diese Regel nie in uneingeschränkter Form akzeptiert. Esgab immer Bereiche der Sprache, die ihm vom ontologischen Standpunkt wichtigerund solche, die ihm weniger wichtig waren. Es gab gewisse Entitäten, die uns dervorphilosophische Diskurs unzweideutig nahelegt, die jedoch für Brentano immer"verboten" blieben (wie z.B. allgemeine Entitäten). Es ist jedoch unbestritten, daßdie Einstellung, die zu einer fast uneingeschränkten Form der Regel der unkriti­schen Deskriptivität neigt, in der mittleren Periode den Geist Brentanos beherrschte .

In seiner Einführung zur Metaphysik vom Jahre 1874 spricht Brentano von einerPhänomenologie, die eine getreue Beschreibung der "Grundbestandteile unsererVorstellungsinhalte" liefern sollte und die er jetzt zwischen dem transzendentalenTeil der Metaphysik und der eigentlichen Ontologie ansiedeln möchte. Nach dieserPhänomenologie sollte allerdings die Ontologie kommen, in der unter anderem dieEntscheidung getroffen wird, ob unseren Phänomenen noch eine "äußere" Wirk­lichkeit entspricht. Erst diese Ontologie soll uns die endgültige Analyse des Seien­den liefern. (Vgl. Brentano M 14/15, S. 15)

Die Phänomenologie scheint also im Jahre 1874 noch verhältnismäßig unselb­ständig zu sein. Sie bildet eine notwendige erste Stufe der Untersuchung, die der ei­gentlichen ontologischen Analyse das Material liefert, die aber noch nichts bezüg­lich der ontologischen Verpflichtungen entscheidet, die letztlich in Kauf genommenwerden müssen. Es bleibt offen, welche von den prima faeie deskriptiv legitimen

anderen willen) oder als ein Zweck (um seiner selbst willen) richtig geliebt bzw. gehaßt werden kann.Im ersten Fall besitzt es nur einen relativen (instrumentellen) Wert bzw. Gegenwert. Vg1. Brentano1889/1955 , S. 19.

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DIE ONTOLOGIE DER " M I T T L E R E N" PERIODE 133

Kategorien später noch wegerklärt werden können. Ockhams Rasiermesser scheint1874 bei Brentano noch viel Spielraum zu haben.

Später hat sich jedoch diese Phänomenologie verselbständigt. Das Gebiet desPsychischen, das laut Brentano mittels der unfehlbaren inneren Wahrnehmungzugänglich sein sollte , wird zum Hauptgebiet der Forschung und um 1885-87 wirdexplizit ein deskriptiver Teil der Psychologie zu einer selbständigen Disziplin ge­macht. 126 Diese Selbständigkeit bedeutet zwar nicht unbedingt, daß alle deskriptiv­psychologischen Ergebnisse automatisch ontologisiert werden müssen, wenn wiraber Brentanos Vorlesungen zur Deskriptiven Psychologie vom Jahre 1890/91lesen, ist es schon völlig klar, daß die ontologischen Konsequenzen direkt aus derBeschreibung der psychischen Realität gezogen werden; und diese Konsequenzenreichen manchmal weit über den Bereich des Psychischen hinaus.

Eine verblüffende Konsequenz dieser Einstellung können wir am Beispiel vonapodiktischen Urteilen beobachten. Brentano interpretierte immer ein apodiktischesUrteil (d.h. ein Urteil der Form "Es ist möglich/notwendig, daß...") gewissermaßenals ein Meta-Urteil. Ein apodiktisches Urteil ist nämlich nach ihm ein Urteil, das ausder Analyse der involvierten Begriffe resultiert.127 Wenn wir Z.B. den Begriff einesrunden Dreiecks auseinandernehmen, bemerken wir, daß er widersprechende Be­stimmungen enthält , so daß es unmöglich ist, daß es einen Gegenstand gibt, der die­sem Begriff entspricht. Ein apodiktisches Urteil ist ein Urteil, das durch die Analyseder involvierten Begriffe, wie es Brentano sagt, motiviert wird .

Angesichts dieser Theorie der Modalitäten brauchen wir keine ontologische Ent­sprechung des apodiktischen Modus des Urteilens . Das einzige , was eine Aussagedieses Modus richtig macht, ist die Tatsache, daß gewisse logische Beziehungenzwischen den Elementen des involvierten Begriffs (nach dem mittleren Brentano ­des immanenten Objekts) ein verwerfendes Urteil evident machen (und dadurchmotivierenj.V" Trotzdem hat Brentano um 1890 von den ontologisch ernst zu neh­menden Notwendigkeiten und Unmöglichkeiten gesprochen, was durch das folgen ­de Schema illustriert werden kann :

126 Laut Kraus hat Brentano die Unterscheidung zwischen der genetischen und der deskriptiven Psycho­logie erst um 1887 eingeführt. Vgl. dazu Kraus 1924, XVll ff. Baumgartner zitiert indessen einen BriefBrentanos an Marty vom 24. März 1885, in dem Brentano von einem Teil der Psychologie spricht , dener als "mikroskopische Anatomie des Seelenlebens" bezeichnet, die "die letzten Elemente, aus denenunsere Seelenerschein[un]gen sich zusammensetzen, klar legt". Vgl. Baumgartner 1996, S. 26. (DieseFußnote wurde von Chrudzirnski 2001a, S. 19 übernommen.)127 Vg1. "Eine notwendige Materie ist eine anzuerkennende Materie, bei welcher der Grund, weshalb sieanzuerkennen ist, in der Vorstellung selbst liegt. [.,,] Eine unmögliche Materie ist eine zu verwerfendeMaterie, bei welcher der Grund, weshalb sie zu verwerfen ist, in der Vorstellung selbst liegt.", BrentanoEL 80, S. 95. "Auch das apodiktische Urteil ist also ein assertorisches, nur ein solches, zu welchem einebesondere Bestimmung hinzukommt, nämlich daß mit ihm ein zweites darauf bezügliches Urteil ver­bunden ist, welches von ihm sagt, daß es a priori einleuchtet, also sein Motiv ausspricht." , ibid., S. 165.128 Brentano glaubte, daß die einzigen apodiktischen Urteile, die für uns evident sein können, negativsind. Er schließt jedoch nicht aus, daß es auch ein positives apodiktisches Wissen gibt, das für ein We­sen mit den höheren intellektuellen Fähigkeiten zugänglich wäre. Wenn wir z.B. einen präzisen BegriffGottes hätten, dann könnten wir eine Version des ontologischen Beweises richtig durchführen. Der Satz"Gott existiert" würde uns dann aus den bloßen Begriffen einleuchten und wir hätten davon ein posi­tives apodiktisches Wissen. Vgl. dazu Brentano 1929/1980, S. 48-52, 58.

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134 KAPITEL 4

apodiktisch- ,- -- -- -, ,

Vorstellung

, '

ontologische Immanenz \ --_-_-_-_ /

enthält das Subjekt der intentionalen Beziehungund die "immanenten" Entitäten

Notwendig

rran.szendenteEntitä ten

modalerpropositionalerInhalt

propositionalerInhalt

Objekt

Es ist ZU bemerken, daß es nach Brentano auch apodiktische emotionale Phänomenegibt. Es gibt Objekte, aus deren Begriffen es folgt, daß sie geliebt bzw. gehaßt wer­den sollen .t29 Ein apodiktisches emotionales Phänomen würde sich in einer analo­gen Weise auf die Struktur eines einfachen emotionalen Phänomens aufbauen .

, - - - - --ontologische Immanenz ' _

enth ält das Subjekt der intentionalen Beziehungund die "immanenten" Entitäten

Vorstellung

apodiktisch

gelibtes!gehasstes

, , ;

Notwend ig

transzend enteEntitäte n

modalerpropositionalerInhalt

propositionalerInhalt

Objekt

Die reiche Ontologie, die aus der deskriptiven Einstellung des mittleren Brentanoresultiert, ermöglicht es, eine Version der Wahrheitstheorie zu formulieren, die we­sentlich näher der Idee der adaequatio zwischen dem Ding und dem Verstand steht,als die Theorie aus der Zeit der Würzburger Vorlesungen, die wir oben besprochenhaben. Im Vortrag Über den Begriffder Wahrheit (1889) (Brentano 1930, S. 3-29)entwickelt Brentano die Idee einer gewissen Art Isomorphie, die zwischen demWahrheitsträger (Urteil) und dem Wahrmacher (transzendente Entität) besteht. AlleSchwierigkeiten, die in den Würzburger Vorlesungen aufgerollt wurden , kehren

129 Vgl. "In der Tat ist das bisher [00 ') Gesagte noch dahin zu ergänzen, daß alle als richtig charakteri­sierten Akte des Liebens und Bevorzugens [00'] allgemein, d.h. aufbegriffiich gedachte Objekte gerich­tet sind . Indem wir z.B. Erkenntnis im Allgemeinen oder, was dasselbe sagt , indem wir den allgemeinenBegr iff der Erkenntnis denken und dieser Begriff der Gemütstätigkeit zugrunde liegt , erwei st sich dieseals ein Analogon nicht der assertorischen, sondern der apodiktischen Erkenntnis . So wie die Axiom edurch das Denken allgemeiner Begriffe motiviert sind , aus den Begriffen (ex terminis) einleuchten, soentspringen auch die als richtig charakterisierten Akte des Interesses unmittelbar aus den Begriffen.Indem wir einen solchen Akt als einer richtig charakterisierten Liebe in uns wahrnehmen, wird unsdarum mit einem Schlage, ohne Induktion besonderer Fälle , die Güte der ganzen betreffenden Klasseklar.", Brentano 1952, S. 150. Vgl. auch Chisholm 1986, S. 51.

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DIE ONTOLOGIE DER " M IT T L E R E N " PERIODE 135

zurück, angesichts des ontologischen Reichtums findet jedoch in allen Zweifelfälleneine eindeutige und direkte Zuordnung statt. Ein wahres positives Existenz-Urteilkorrespondiert mit einern existierenden, ein negatives - mit einern nicht-existie­renden Objekt. Ein wahres Urteil über die Zukunft oder Vergangenheit findet seinKorrelat unter den zeitlich modifizierten Objekten. Modalisierte Urteile beziehensich auf modale Inhalte. Ihre richtige Form ist demgemäß nicht ,,.4 ist möglich"oder "Es ist möglich, daß A ist", sondern: "Die Möglichkeit von der Existenz von Aist".

Ironischerweise ist aber die Urteilslehre, die im Wahrheitsvortrag vorgestelltwurde, anders als die Theorie aus der Logik-Vorlesung, wieder nicht-propositional.Die semantischen Korrelate der einfachen Existenzurteile sind (existierende odernicht-existierende) Objekte. Die propositionalen Korrelate, wie das Sein von A,treten erst bei den Urteilen "höherer Ordnung", wie z.B. beim Urteil "Ein Sein voneinern Zentauren gibt es nicht" auf.

Die Ontologie Brentanos um 1890 ist also ziemlich unsystematisch, und ange­sichts der toleranten Einstellung, die der mittlere Brentano gegenüber der Bildungvon verschiedensten singulären Termen hatte, prinzipiell offen. Vor allem könnendie propositionalen Inhalte als solche beurteilt und die modalen Modifikationen ite­riert werden, so daß wir die Entitäten immer höherer Stufen erhalten. Wir könnenjedoch die wichtigsten Kategorien im folgenden Schema zusammenfassen:

Entitäten

1- - - - - - - - - - - - - 'I - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -I real I irreal; L "I I

I nominal : propositional1 - - - ­

I

I

I

I

I exis­I

I tierendI

I

r--. - - - -I

I

I

I nicht­I

I exis­I

I tierendI

I

Negativa imma- imma- tranzen-Privativa nente nente denteKojfektive Objekte propost- propost-

Substanzen, die un Teile tionale lIonaltej etzt existieren Inhalte Inha te

z.B. Ich Substanze? ? ?Negativa

Privativa • • •Kojfektiveun Teile

Substanze? ? ?

!tubstanzen, dLe.NegativaPrivativa · • .

,allses sie gä e, Kojft;Jftiveje(?tJ:,.,stleren un eilewur en

Negativa? ?

tranzen-z.B. Nessie Privativa dente

Kojfektive · • propost-un Teile tionale

InhalteI

I immanent IL J

zeitlich I

mod ifi­

ziert

Die Entitäten werden zunächst in existierende und nicht-existierende geteilt. Dieersteren fungieren, wie wir wissen, als die ontologischen Korrelate für die wahrenpositiven, die letzteren - für die wahren negativen Urteile. Brentano betont aller-

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136 KAPIT EL 4

dings , daß sich diese Aufteilung mit dem Unterschied real-irreal keineswegs deckt.Es gibt viele existierenden Entitäten, die nicht zu den realen gerechnet werdenkönnen (wie z.B. ein Sein eines Pferdes) . Es gibt aber auch solche nicht -existie­renden Entitäten, die, falls sie existieren würden , zweifelsohne als real zu bezeich­nen wären (wie z.B. der Heilige Nikolaus) . Solche Entitäten nennt Brentano auchgelegentlich real. (Seine Terminologie ist jedoch in diesem Punkt nicht eindeutig.Manchmal klassifiziert er alle nicht-existierenden Gegenstände als irreal.)

Alle realen Entitäten haben drei wichtige Eigenschaften: (i) sie existieren jetzt(bzw . im Fall der nicht-existierenden Entitäten : sie würden jetzt existieren); (ii) siesind ontologisch selbständig, d.h. wesenhaft oder substantial im AristotelischenSinne (oder würden es sein); und (iii) sie haben eine nominale Form .

Jeder irrealen Entität fehlt zumindest eine dieser Eigenschaften. Sie sind ent­weder nicht jetzt - also zeitlich modifizierte Entitäten -, oder sie sind ontologischunselbständige, d.h. in ihrem Sein auf andere (substantiale) Entitäten angewiesen ­physische Teile, Kollektive, immanente Objekte, Eigenschaften (metaphysischeTeile), Relationen, Privativa, Negativa - , oder sie haben propositionale Form, wiedie propositionalen Inhalte .

Die Einteilungen in nominal-propositional, immanent-transzendent und zeitlichmodifiziert-zeitlich unmodifiziert überschneiden sich im Bereich der irrealen Enti­täten mehrfach. Wir erhalten so zwar viele ontologische Kategorien, es ist allerding snicht klar, ob sie alle ernst genommen werden sollen .

Die transzendenten nominalen Objekte zerfallen sicherlich in zeitlich unmodifi­zierte und modifizierte. Weniger sicher ist, ob man eine solche Polarisierung auchfür die propositionalen Inhalte postulieren sollte. Der Grund dafür besteht darin, daßdie zeitliche Modifikation, wenn sie einmal dem nominalen Objekt zugeordnet wur­de, keine zusätzliche Modifikation im Urteil erfordert. Die richtige Form einesUrteils über die Vergangenheit wäre demgemäß nicht: "Es war einmal ein Mäd­chen", sondern: "Ein einmal gewesenes Mädchen ist" . Andererseits können jedochdie propositionalen Inhalte in einem neuen Urteil als Objekte auftreten. Soll ein sol­ches Urteil im Vergangenheit-Modus ausgedrückt werden , wie z.B. "Es war einmalein Sein eines Dinosauriers", dann müßte wahrscheinlich der beurteilte propositio­nale Inhalt als zeitlich modifiziert angesehen werden . Denn die richtige Form diesesUrteils wäre wahrscheinlich: "Es ist ein einmal gewesenes Sein eines Dinosauriers".

Brentano hat übrigens seine Theorie der zeitlichen Modifikation mehrmals revi­diert . Wir beziehen uns hier auf die Lehre, die er in der Periode 1873-1893 ver­treten hat, und die üblicherweise als "die frühe Theorie" des Zeitbewußtseins Bren­tanos angeführt wird . Ende 1893 verlegt er die zeitliche Modifikation in die Modides Urteils und die zeitlich modifizierten Objekte verschwinden aus seiner Onto­logie .130

Die nächste Frage betrifft die Kombination der zeitlichen Modifikation mit denimmanenten Entitäten. Zunächst scheint es, daß eine solche Kombination unmög­lich ist. Denn die immanenten Objekte als solche müssen natürlich gleichzeitig mit

130 Zur Gesch ichte der Brentan oschen Theori e des Zeitbewußtseins vgl. Chrudzimski 1998/1999. Wirwerden sie im letzten Kapitel noch genauer besprechen.

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN " PERIODE 137

gewissen psychischen Akten existieren. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß manin der Brentanoschen Erklärung der Intentionalität, die auf das psychische Lebenvon anderen Personen gerichtet ist, doch auch zeitlich modifizierte immanenteEntitäten findet.

Die immanenten Entitäten können nämlich, wie es scheint, nicht nur "aktuell be­nutzt", sondern auch als solche vorgestellt werden. Solange ein immanenter Gegen­stand (bzw. ein immanenter propositionaler Inhalt) in einer aktuellen intentionalenBeziehung benutzt wird, ist er ein unselbständiges Korrelat des psychischen Aktesund kann demgemäß weder nicht-existierend noch zeitlich modifiziert sein . Esscheint jedoch, daß wir auch an vergangene immanente Objekte und an immanenteObjekte von nicht-existierenden Akten denken können. Wäre dies der Fall, so wür­den wir als die Referenzobjekte solcher Gedanken Entitäten erhalten, die einerseitsimmanente Objekte bzw. immanente propositionale Inhalte sein sollen (denn alssolche werden sie doch vorgestellt), die aber andererseits in keinem Abhängigkeits­verhältnis zu den aktuellen psychischen Akten stehen. Derart ige bizarre Modifika­tionen scheinen virtuell ins Unendliche iterierbar zu sein.

Die Schwierigkeit zu entscheiden, ob diese Möglichkeit eine genuine oder nureine scheinbare ist, illustrieren übrigens gut die konzeptuelle Verwirrung, in die unsdie unbeschränkte ontologische Toleranz des mittleren Brentano verwickelt. Wirkönnen sicherlich sagen : "Ein vergangenes (bzw. ein nicht-existierendes) imma­nentes Pferd ist schön". Macht das jedoch auch einen Sinn? Können wir das Ge­sagte auch denken?

Eine weitere Frage stellt sich in Bezug auf Kollektive und Divisiva. Wir habensie ziemlich konventionell den nominalen Objekten zugeordnet, doch könnte manauch Gründe finden , sie eher als propositionale Entitäten zu betrachten. Kollektiveund Divisiva entstehen durch ein Zusammensetzen bzw. Teilen von anderen Enti­täten (in erster Linie, obwohl nicht ausschließlich, - von nominalen äußeren Objek­ten) . Der junge Brentano betrachtete Kollektive und Divisiva von realen Dingen alsFiktionen. In der mittleren Periode gelten sie ihm als unwesenhafte, irreale Enti­täten, die jedoch in einem ontologisch verpflichtenden Sinne sind. In den Abhand­lungen vom 1900 geht er allmählich zur Auffassung über, daß ein Kollektiv vonrealen Dingen selbst ein reales Ding ist. (Vgl. Brentano 1993, S.29) Das ist dieAuffassung, die für die späte Mereologie Brentanos charakteristisch ist. Alles, wassich im Rahmen des Universums der realen Dinge "zusammensetzen" oder "heraus­schneiden" läßt, gilt ihm ab 1904 als Ding.

Andere Kategorien von nicht-realen Teilen im weiten Sinne, die der mittlereBrentano einführt, sind Eigenschaften und Grenzen. (In unserer Tabelle werden sie,zusammen mit den Divisiva, als "Teile" bezeichnet.) Sie sind natürlich in Bezug aufihre ontologischen Träger (Kontinua) unselbständig.

Die weiteren Irrealia sind Privativa (wie z.B. ein Blinder) und Negativa (wie z.B.ein Nicht-Grüner). Sie sind Entitäten, auf die man sich durch eine Bezeichnungbezieht, die im Grunde in einer Negation einer Eigenschaft besteht. Privativa undNegativa sind irreal, weil das Nicht-Vorhandensein der negierten Bestimmung seinontologisches Fundament in gewissen positiven Eigenschaften des betreffendenGegenstandes fordert . Ein Blinder kann deswegen als eine Entität bezeichnet wer-

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den, die auf einer Entität superveniert, die normalerweise sieht, deren Sehvermögenaufgrund gewisser Anomalitäten gestört ist. Ein Nicht-Grüner kann in einer ähn­licher Weise als eine Entität bezeichnet werden, die auf einer Entität superveniert,die Eigenschaften besitzt, die ihr Grün-Sein ausschließen.

4 .2 EIGENS CHAFTEN UND BEGRIFFE

Zu den für die Geschichte der Ontologie besonders wichtigen Redeweisen, die vommittleren Brentano ontologisch ernster genommen werden, gehört die Zuschreibungeiner Eigenschaft (die Prädikation) . Unter den Entitäten seiner mittleren Ontologiefinden wir demgemäß auch Eigenschaften . Die neutrale Version der Regel derExistenz-Generalisierung der höheren Stufe:

(REG**) Fa :» (3x)(a .J x)

wird in dieser Periode von Brentano auf jeden Fall akzeptiert. Er formuliert jetzteine Theorie, die, im Gegensatz zu der Würzburger Theorie, für eine richtige Prädi­kation ein objektives Fundament in re postuliert. Die Existenz eines schwarzen Ge­genstands impliziert nach dieser Theorie die Existenz der Schwärze , wobei jedochdiese Schwärze nicht nach dem Muster des metaphysischen Realismus (d.h. als En­tität, die als streng identisch in vielen Individuen vorkommen kann), sondern ehernach dem Modell der Tropentheorie interpretiert wird.

Brentano bedient sich dabei der Metapher der physischen Teile. Die Eigenschaf­ten werden als Aspekte des Seienden aufgefaßt, die in ihren Trägem als Teile ent­halten sind, wobei die Metapher des Enthaltenseins die ontologische Unselbständig­keit der Eigenschaften veranschaulichen soll.

Die so verstandenen Eigenschaften sind also abstrakt . Sie sind von ihren ontolo­gischen Trägem (Substanzen) ontologisch abhängig und können nur in Gedankenabgetrennt werden, nämlich durch eine Abstraktion. Sie gehören demgemäß zumSeienden in einem schwachen, uneigentlichen Sinne. Nichtsdestoweniger stellen sieeine Kategorie des Seienden dar, die ontologisch ernst genommen werden muß. ImManuskript Abstraktion (Ps 21) aus dem Jahre 1889 bzw. 1899 (die Datierung istunsicher) finden wir Stellen, welche die ontologische Natur der Eigenschaftenetwas genauer behandeln . Brentano teilt dort den Bereich des Seienden zunächst inWesenhaftes und Unwesenhaftes. Das Adjektiv "wesenhaft" besagt dabei ungefährsoviel wie .s ubstantial" im Aristotelischen Sinne. Es bezieht sich auf ontologischselbständige, kausal relevante Teile der Welt. Ein Unwesenhaftes ist hingegen we­der ontologisch selbständig noch in das kausale Netz der Welt integriert.':" Trotz­dem ist es in einem Sinne, der im Rahmen der Ontologie seine Behandlung findenmuß. Brentano schreibt:

13 1 Besser wäre vielleicht zu sagen, daß die unwesenhaften Entitäten (wie z.B. Eigenschaften) in daskausale Netz nur durch ihre substantialen Träger integriert sind. (Denn die Behauptung , daß die Eigen­schaften, die in der Welt vorkommen, keinen Einfluß auf die kausale Geschichte der Welt haben , klingtja sehr kontraintuitiv .) Brentano formuliert es aber nicht in dieser Weise. Er behauptet einfach, daß dieirrealen Entitäten (darunter auch Eigenschaften) kausal nicht wirksam sind.

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 139

Es gibt Seiendes, welches beginnt, ohne selbst verursacht zu werden, einfach dadurch, daß etwasanderes verursacht wird. Ebenso hört es auf, ohne daß es selbst einen zerstörenden Einfluß erfahrt odereines erhaltenden Einflusses beraubt wird . Es beginnt, besteht und hört auf s.z.s . en parergo . [...]Solches Seiendes nennen wir .Unwesenhaftes"; etwas "Wesenhaftes" dagegen ist dasjenige, was alssolches wirkt oder wirken kann und als solches nicht beginnen kann, ohne als solches gewirkt zuwerden , und als solches nicht aufhören kann, ohne als solches einen Einfluß oder den Wegfall eineserhaltenden Einflusses zu erfahren. (Brentano Ps 2I, S. 3)

Er macht dann auf ein wichtiges Verhältnis der Korrelation aufmerksam, das zwi­schen verschiedenen Arten des Seienden besteht.

Unter dem Seienden, dem wesenhaften wie unwesenhaften, findet sich solches, was so mit einem ande­ren verbunden ist, daß jedes von ihnen, was es ist, nur in Verbindung mit dem andem ist und eben da­rum auch nur in Verbindung mit ihm gedacht und erkannt werden kann . [...] Man nennt sie Korrelative.(Brentano Ps 21, S. 6)

Solche Korrelate sind nicht nur ontologisch, sondern auch konzeptuell unselb­ständig.

Auch von ihren Begriffen ist keiner etwas fiir sich, jeder [ist], was er ist, nur in Verbindung mit demandem. [...] Aber dennoch sind der Begriffe wahrhaft zwei, und jeder von ihnen kann als Subjekt oderPrädikat mit anderen Begriffen in Beziehung stehen, ohne daß es der andere tut. (Brentano Ps 2 I, S. 6)

Solche Korrelationen finden wir bei Brentano auf verschiedenen Gebieten. Beson­ders wichtig für seine ganze mittlere Philosophie und für die weitere Entwicklungder Intentionalitätslehre bei seinen Schülern ist zweifelsohne die Korrelation zwi­schen dem Denkenden und dem Gedachten . Im Allgemeinen gilt, daß in einem sol­chen Paar von Korrelaten mindestens ein Glied etwas Unwesenhaftes sein muß. Inder zitierten Stelle sehen wir, daß Brentano einerseits auf der konzeptuellen Unselb­ständigkeit der Korrelate besteht - sie sind gewissermaßen nur in einer Verbindungmiteinander verständlich -, andererseits doch auf der Verschiedenheit der Begriffebesteht, so daß ,jeder von ihnen [...] als Subjekt oder Prädikat mit anderen Begrif­fen in Beziehung stehen [kann], ohne daß es der andere tut."

Das immanente Objekt kann also nur als ein Objekt eines psychischen Aktesgedacht werden. Dennoch besagt der Satz:

(1) Es gibt ein immanentes Objekt

etwas anderes als der Satz:

(2) Es gibt einen psychischen Akt,

obwohl zwischen den Sätzen (1) und (2) eine ontologisch notwendige Äquivalenzbesteht:

(3) D(Es gibt ein immanentes Objekt: Es gibt einen psychischen Akt).

Der späte Brentano wird aus solchen Äquivalenzen auf die Fiktivität einer der bei­den genannten Kategorien schließen - in diesem Fall auf die Fiktivität der imma­nenten Objekte. Es gibt - behauptet er nach 1904 - genau deswegen keine imma-

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140 KAPITEL 4

nenten Objekte, weil der Satz (I) in Wirklichkeit nicht mehr sagt als der Satz (2). Inder mittleren Periode galten ihm allerdings derartige Äquivalenzen als ein Beweisfür die ontologische Legitimität der betreffenden Kategorien . Von der Tatsache, daßder Satz (1) nicht mehr als der Satz (2) sagt, dürfen wir dem mittleren Brentano zu­folge schließen, daß die ontologische Kategorie des immanenten Objekts eine genauso gute ontologische Berechtigung besitzt wie die Kategorie der psychischen Akte.

Brentano verwendet den Begriff eines Korrelatenpaars auch zur Analyse desBegriffs der Eigenschaft. 132 Das Paar: Gegenstand-seine Eigenschaft erweist sich imLicht seiner Analyse als ein Paar von Korrelaten im obigen Sinne:

Das Schwarze = Schwärzehabendes; die Schwärze ihrem Begriffe nach = gehabte Schwärze, da siedurch einen ihr kategorisch fremden Teil die Individuation empfängt,133 somit sind beide Korrelative.Wir sehen nun, auch von diesen Korrelativen gilt, daß nur eines ein wesenhaftes , das andere ein unwe­senhaftes Korrelat ist.

Es scheint allgemein gesagt zu werden , daß von zwei Korrelativen in keinem Falle beide wesenhaftsind . (Brentano Ps 21, S. 9)

Eine Eigenschaft F und ein F-Gegenstand sind also im obigen Sinne Korrelative .Sie können nur in einer Verbindung miteinander gedacht werden . Deswegen gilt dieentsprechende Äquivalenz:

(4) O(Es gibt eine Eigenschaft F ;: Es gibt ein Objekt (ein konkretes Individu­um), das Fist) .

Dennoch haben wir es hier mit zwei Entitäten zu tun, die mit gleichem Recht zum"Mobiliar der Welt" gehören. Brentano entwickelt diesen Gedanken in seiner Lieb­lingsmetaphorik von Teil und Ganzem:

Wir haben oben gesagt, daß Schwärze und Schwarzes Korrelat ive seien. Es kommt darauf an, den Sinndieser Korrelation näher zu bestimmen.

Es ist klar , daß hier keine Identität vorliegt. Alles, was von einem, würde sonst vom anderen gelt enund die Relation des einen zum anderen dieselbe , wie die von diesem zum ersten sein . Das Gegenteil istaußer Zweifel. Es ist ebenso klar, daß nicht eine Relation von Teil zu Teil vorliegt, wie wenn unter demSchwarzen die örtliche Bestimmtheit zu verstehen wäre, insofern sie mit Schwärze verbunden ist.Schwa rz[es] heißt nicht] .] [ein] mit Schwärze als anderem kategorischen Teil verbund ener kategori­scher Te il. Sonst könnte nicht Farbiges vom Örtlichen und Örtliches vom Farbigen prädi ziert werden ;sie wären so wenig als Farbe und Ort identisch. Vielmehr handelt es sich um eine Relation von Teilzum Ganzen und Ganzen zum Teil. Es ist das Verhältnis ähnlich wie zwischen Schwan z und Ge-

132 Vgl. dazu auch die Fußnote Kraus ' in Brentano 1930, S. 186 f.133 Diese Bemerkung legt eine realistische Interpretation nahe . Schwär ze wäre danach ein Universale ,das durch ein Individuum instanti iert wird (und somit "die Individuation empfängt"). Aber auch ein"Zusammenschmelzen" von Verschiedenen individuellen Eigenschaften kann als in diesem Sinne indi­viduierend betrachtet werden . In einer individuellen Eigenschaft gibt es nämlich, solange sie getrenntvon ihrem Subjekt (d.h. von den anderen individuellen Eigenschaften, mit denen sie "zusammenge­schmol zen" ist) betrachtet wird, nichts, was implizieren würde , zu welchem Individuum die Eigenschaftgehört; und was noch wichtiger ist: solche isolierten individuellen Eigenschaften sind von einanderabsolut ununterscheidbar. In dieser Hinsicht ähneln die individuellen Eigenschaften tatsächli ch denUniversalien und in diesem Sinne kann man vielle icht ihre Verschmelzung mit anderen individuellenEigenschaften als Individuierung betrachten. Das gilt besonders für Brentano, der das Prinzip der Iden­tität von Ununterscheidbarem vorbehaltlos akzeptierte . Dieser Sinn von Individuation ist alle rdingsnicht der Sinn, den wir dem Wort "individuell" im ersten Kapitel gegeben haben.

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 141

schwänztes, Flügel und Geflügeltes . Geschwänztes ist = Schwanz habendes Ganzes. (Z.B. der Hund istgeschwänzt.) Schwanz ist = gehabter Schwanz (als Teil gehabter Schwanz). Wenn er abgeschnitten ist,ist er kein Schwanz mehr. Abgeschnitten ist für ihn wie tot für Mensch, ein modifizierendes Attribut.

So denn ist auch Schwarzes = Schwärze habendes Ganzes . Schwärze = gehabte (als Teil gehabte)Schwärze.

Der Begriff Schwärze wird notwendig gleichzeitig mit dem Begriff Schwarz[es] erfaßt, und die An­erkennung der Schwärze ist notwendig mit der Anerkennung des Schwarzen verbunden . Das folgt ausdem, was wir über die Korrelation gesagt haben. (Brentano Ps 21, S. 10 f)

Die individuell-konkreten Gegenstände werden also als Ganzen aufgefaßt, die ihreEigenschaften als abstrakte Teile haben. Die Eigenschaft-Teile sind abstrakt, weilsie von ihren Trägern nicht real separiert werden können. Das Verhältnis zwischenOrt und Farbe wird als Verhältnis zwischen zwei verschiedenen Teilen interpretiert,das Verhältnis zwischen der Farbe und dem Farbigen hingegen als das VerhältnisTeil-Ganzes.

Der korrelative Charakter der Eigenschaftsbegriffe wird auch in den Briefen anMarty aus der Zeit 1887-1901 diskutiert. Am 3. November 1891 schreibt Brentano:

[I]ch glaube , wir haben in Schönbühl darüber gesprochen, daß alle unsere allgemeinen Begriffe ingewisser Weise relativ sind, die konkreten wie die abstrakten. [Der Begriff] rot [ist relativ auf den Be­griff]: Röte ([und bedeutet] = Röte habend) und [der Begriff] Röte: [ist relativ auf den Begriff] rot ([undbedeutet] = Teil des Roten), weshalb esja auch von vornherein einleuchtet, daß sie als Korrelative ohneeinander nicht sein können.!"

Eigenschaftsbegriffe sind konzeptuell unselbständig, sie weisen zwangsläufig aufeinen ontologischen Träger hin. In einem undatierten Brief, der gemäß eines Ver­merks Martys im Oktober 1887 geschrieben wurde, stellt Brentano die Hypotheseauf, daß vielleicht jeder Begriff, als ein Produkt der Abstraktion eine "relative Be­stimmung" ist, die eine Beziehung auf etwas involviert, wovon er abstrahiert wurde:

Vielleicht ist jeder Begriff eine relative Bestimmung. Als solche hätte er wie jede Relation Fundamentund Terminus . [...] So wäre denn auch bei der Röte auch hinzufügen "von etwas" . (N.B. mehr jedenfallsnicht ; würde statt "etwas" irgend ein in der Erscheinung gegebenes Bestimmtes gesetzt , so verlöre derBegriff seine allgemeine Verwendbarkeit.)

Wir sehen, daß die Theorie der Eigenschaften bei Brentano sehr eng mit derAbstraktionstheorie zusammenhängt. Den Begriff der Eigenschaft gewinnen wirgewissermaßen durch eine Abstraktion höherer Stufe - eine Abstraktion, die aufden Ergebnissen der "normalen" Abstraktionen, durch die wir Begriffe bestimmterEigenschaften wie Röte, Dreieckigkeit usw . gewinnen, aufbaut. Im Brief vom 29.Oktober 1897 präsentiert Brentano die folgende Abstraktionstheorie:

Es liege [...] eine sinnliche Anschauung vor. Diese läßt sich analysieren; und [zwar] mannigfach . EineArt der Analyse hebt physische Teile heraus. So z.B. wenn einer aus dem Akkord Töne heraushört ,Farbelemente in der Mischfarbe unterscheidet und dgl. Hier spricht man gemeinIich nicht von Abstrak­tion und nennt das Herausanalysierte nicht einen Begriff. In der Tat könnte der herausgehörte Ton auchfür sich allein als Gehör-Phänomen gegeben sein.

Eine andere Art Analyse erfaßt einen concrescenten Teil, indem ich z.B. bemerke, daß das in einerGesichtsanschauung Gegebene rot, oder daß es hier ist, erfasse ich darin die Röte und den so und sobestimmten Ort. Ich komme daraufhin zu 2 Vorstellungen, der der Röte und der des Roten , [bzw.] derdes Hier und [der] des Hierseienden . Sie sind allgemein . Sie haben den Charakter von Beziehungen.Wenn in jeder Beziehungsvorstellung etwas direkt (als Fundament) und etwas indirekt (als Terminus)

134 Meine Hervorhebungen.

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142 KAPITEL 4

vorgestellt wird, so ist bei der Vorstellung der Röte das, was mit ihr concrescent das Rote ausmacht. inhöchster Allgemeinheit (Unbest immtheit) das terminal Gegebene, als insbesondere die örtliche Bestim­mung im Allgemeinen. (Wenn nicht so, müsste man sagen, das Ganze, welches Röte mit den anderenconcrescenten Teilen umfaßt, jene bestimmt, dies ganz unbestimmt gegeben , sei das terminal Gedachte.Vielleicht ist das richtiger.) Bei der Vorstellung des Roten aber ist das direkt Gegebene das , was beidem Begriff Röte terminal gegeben ist. 135

Die Abstraktion wird also als eine Analyse interpretiert, die Teile eines konkretenIndividuums erfaßt, analog zu einer Analyse, die konkrete physische Teile heraus­hebt. 136 Die Eigenschaft, die einem allgemeinen Begriff entspricht, wird als einabstrakter Teil betrachtet. Im Gegensatz zu den konkreten Teilen können solcheabstrakten Teile nicht effektiv isoliert werden . Eine Röte muß eine Röte von etwassein. Eigenschaft ist also eine Entität, die in ihrem Begriff eine Beziehung auf einkonkretes Individuum involviert, dessen abstrakter Teil sie ist.

Brentano betont allerdings, daß diese Beziehung in einem allgemeinen Begriffnur "im Allgemeinen" enthalten ist. In einem anderen undatierten Brief (der mitBleistift als vom Jahre 1897 identifiziert wurde) lesen wir:

Die konkrete Vorstellung, aus welcher ein Begriff geschöpft [wird), kann meines Eraehtens weder imgewöhnlichen Sinn, noeh terminal im Begriffe gegeben sein, sonst verlöre er seine Anwendbarkeit aufandere Fälle.

Aber es spricht manches dafür , daß , wie Aristoteles sagte, der Begriff der Akzidentien enthalte dender Substanz (im Allgemeinen). [und in einer analogen Weise] jeder unserer allgemeinen (anschau­lichen) Begriffe in gewisser Weise auf etwas , ohne was sie nicht sein können , hinweist, und daß diesterminal d.h. wie Terminus einer relativen Bestimmung in ihnen gegeben ist.

In dem Begriff Röte haben wir dementsprechend nur eine allgemeine Beziehung aufirgendeinen konkreten Gegenstand. Das einzige, was wir wissen , ist, daß dieser Ge­genstand rot sein muß . Wir fmden jedoch in keinem allgemeinen Begriff die Bezie­hung auf den Gegenstand, aus welchem er ursprünglich abstrahiert wurde . Denn indiesem Fall wäre der Begriff nur auf diesen Gegenstand anwendbar. Wir sehen also,daß der Begriff der individuellen Eigenschaft, mit der Brentano jetzt operiert, derBegriff eines transferierbaren Tropus ist.

Wir erinnern uns, daß der Begriff der individuellen Eigenschaft aus der Würz­burger Periode eher zum Begriff eines untransferierbaren Tropus neigte . Der Un­terschied läßt sich , wie es sche int, ziemlich einfach erklären. Im ersten Kapitel ha­ben wir bemerkt, daß von den zwei Tropenbegriffen der Begriff einer untransferier­baren individuellen Eigenschaft derjen ige ist, der uns zunächst viel natürlicher er­scheint. Zum Begriff der transferierbaren individuellen Eigenschaft, die einige sehrkontraintuitive Aspekte involviert, werden wir erst dann geführt, wenn wir bemer­ken, daß die untransferierbaren Tropen ontologisch uninteressant sind. Das bedarf

135 Meine Hervorhebungen .136 Dieser Vergleich erinnert an die folgende Stelle aus der Summa theologica: "Auf das Erste ist alsozu sagen, daß man auf doppelte Weise abstrahieren kann . Einmal in Weise der Verbindung und Tren­nung , wie wenn wir denken, daß etwas nicht in einem anderen ist oder von ihm getrennt ist. Dann inWeise einfacher und absoluter Betrachtung, wie wenn wir das eine denken , ohne auf das andere zuachten . Wenn man nun mit dem Verstande das abstrahiert oder voneinander trennt, was in WirklichkeJlnicht abstrahiert oder voneinander getrennt ist, so geschieht das nicht, ohne daß man falsch denkt.Wenn man aber auf die zweite Weise mit dem Verstande abstrahiert, was nicht wirklich abstrahiert ist,so denkt man nieht falsch [...[.", Summa theologica, I, q. 85. a. I (in: Thomas von Aquin 1977, S. 34.)

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN " PERIODE 143

aber einer detaillierten metaphysischen Analyse der individuellen Eigenschaften,die der junge Brentano wahrscheinlich nicht unternommen hat. Denn er interpretier­te solche Eigenschaften von vornherein als ein provisorisches Seiendes, das letztlichals eine Fiktion des Verstandes wegerklärt wird. Erst in der mittleren Periode wurdeder Begriff der individuellen Eigenschaft ontologisch wichtig und erst dann istBrentano zu transferierbaren Tropen übergegangen, welche die gewünschte meta­physische Arbeit wirklich leisten können.

Allgemeine Begriffe gewinnen wir also Brentano zufolge durch eine Abstrak­tion, die auf einem durch die äußere oder innere Anschauung vorgegebenen Mate­rial operiert und dieses Material in die abstrakten Teile zerlegt. Jede intentionaleBeziehung involviert nach der Lehre der mittleren Periode ein immanentes Objekt,und die Begriffe, von denen Brentano jetzt spricht, sind ebenfalls als immanenteObjekte zu interpretieren. Eine natürliche Erklärung der Natur der allgemeinen Be­griffe würde also sagen, daß es sich dabei um solche immanente Objekte handelt,welche die eventuellen äußeren Referenzgegenstände nur sehr unvollständig spezi­fizieren.

Eine solche Theorie können wir tatsächlich im Manuskript Ps 21 finden. DieTheorie der allgemeinen Begriffe, die Brentano dort formuliert, faßt sie als Enti­täten auf, die gewissermaßen nur diejenigen Merkmale der (eventuellen) Referenz­gegenstände enthalten, nach welchen diese Gegenstände vorgestellt werden. Wirlesen:

Der Vorstellende nimmt den Gegenstand in gewissem Sinne in sich auf. Daher spricht man beim Vor­stellen von einem Aufgenommenen (conceptus), Begriffirn weitesten Sinn [...].

Wird ein Seiendes vorgestellt - so daß ein Gegenstand in der Außenwelt besteht - so wird dieseräußere Gegenstand nie in erschöpfender Weise vorgestellt , sondern wie man sagt, nach gewissen Merk­malen, nach anderen aber nicht. Infolge davon kann jeder Gegenstand in der Außenwelt Gegenstandverschiedener Vorstellungen sein. Die eine erfaßt ihn nach diesen, die andere nach anderen Merkmalen[...]. Inhaltlich verschiedene Vorstellungen haben dann denselben Gegenstand. (Die Merkmale, nachwelchen der Gegenstand in die Vorstellung aufgenommen ist, bilden ihren Inhalt.) (Brentano Ps 21,S.4)

Der Begriff eines Roten würde dementsprechend nur das Merkmal rot-zu-sein ent­halten. Es scheint, daß Brentano ganz deutlich zur Auffassung neigt, nach der dieimmanenten Objekte (die er hier auch Inhalte nennt) durch das Abstraktionsver­mögen wirklich geteilt werden, wodurch wir unvollständige immanente Objekteerhalten.

Es muß jedoch betont werden, daß in den früheren Schriften Brentanos dieAbstraktion oft nicht als eine effektive Zerlegung, sondern als eine Art Konzentra­tion des Interesses auf bestimmte Teile des immanenten Objekts interpretiert wird,wobei die sonstigen Aspekte des Objekts gewissermaßen "außer Acht bleiben".Brentano vertritt diese Lehre vor allem in seinen Logik-Vorlesungen vom 1884/85(EL 72), wo er sie .Ennoetismus" nennt. Dort heißt es:

Hier zunächst nur ganz kurz, daß die Ennoetisten mit den Nominalisten darin einig sind, daß es nur eineWeise der [v]orstellenden Tätigkeit gebe, dagegen dadurch sich von ihnen unterscheiden, daß sie glau­ben, durch die lösende und einigende Kraft besonders (ausschließlich) auf einen oder mehrere Teile derGesamtvorstellung gerichteten Interesse, könnten diese Teile für sich allein die Vermittler der Benen­nung und die Vorstellungsgrundlage von besonderen Urteilen und Gemütsbeziehungen werden. (Bren­tano EL 72, S. 281)

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144 KAPITEL 4

[EIs zeigt sich in Bezug auf die Universalienfrage, daß wenn ich auch und eigentlich keine anderen alsindividuelle Vorstellungen habe, ich in gewisser Weise [-I nämlich als durch ein besonderes Interesseabgegrenzte Teilvorstellungen [-] sie [d.h. Universalien] doch habe, und diese Weise genügt, um denallgemeinen Namen nicht bloß, wie die Nominalisten wollten, eine Vielheit äquivoker individueller Be­deutungen zu geben , sondern ihnen einen einheitlichen, wahrhaft allgemeinen Sinn zu geben . (BrentanoEL 72, S. 290)137

In der späteren Periode neigte Brentano jedoch dazu, den allgemeinen Begriffenimmer größere Unabhängigkeit von den individuellen Vorstellungen zuzumessen .Am 15. Februar 1886 schreibt er an Marty:

Es ist wahr, daß immer wenn über Allgemeines (Abstraktes) geurteilt wird, konkrete Vorstellungengegeben sind. Aber dies schließt nicht aus, daß nicht zugleich allgemeine (abstrakte) vorhanden sind .Die konkrete stellt dann implizite vor, was die abstrakte explizite vorstellt.

Im Brief vom 21. Februar 1886 kehrt Brentano zwar zum Ennoetismus zurück. Erschreibt, daß es unmöglich ist, daß ein Aspekt zweimal vorgestellt wird, was derFall sein müßte, wenn neben einer individuellen Vorstellung noch eine allgemeinevorhanden wäre.

Es würden 2 Anschauungen von ihm vorhanden sein, welche doch - nach dem Gesetz , daß im Sehfeldeines das andere ausschließt - unmöglich erscheinen. Nicht bloß rot und grün oder rot und blau sondernauch rot und rot an derselben Stelle unmöglich sind .

In den neunziger Jahren entwickelte Brentano dennoch die oben besprochene The­orie der individuellen Eigenschaften, die mit ihren Substanzen korrelative Paare bil­den und mußte die allgemeinen Begriffe als verhältnismäßig selbständig in Bezugauf die individuellen Vorstellungen betrachten, aus denen sie abstrahiert wurden.

Es scheint übrigens, daß die Entwicklung der Abstraktionslehre vom Ennoe­tismus, der nur ein Außer-Acht-Lassen von einigen Aspekten, jedoch noch keine ef­fektive Zerlegung von immanenten Objekten zuläßt, zur Lehre, die explizit unvoll­ständige immanente Objekte einführt, gewissermaßen die Entwicklung des Begriffsdes immanenten Objekts widerspiegelt. Wie gesagt, wird das immanente Objekt inder Psychologie wahrscheinlich noch nach dem Muster der objektiven Existenz imGeiste verstanden. Wenn dieses Verständnis noch zehn Jahre später - in der Logik­Vorlesungen (EL 72) - maßgebend wäre, würde dies Brentanos Skrupel bezüglichder effektiven Zerlegbarkeit der immanenten Objekte erklären. Vergessen wir nicht,daß der objektiv im Geist seiende Gegenstand prima facie derselbe Gegenstand seinsoll, der im Fall einer treffenden intentionalen Beziehung in der äußeren Welt exis­tiert. Dieser kann aber keineswegs in seine abstrakten Eigenschaften effektiv zerlegt

137 Diese Theorie wurde möglicherweise von den Schriften lohn Stuart Mills inspiriert. Vgl. .Theformation [...] of a Concept, does not consist in separating the attributes which are said to compose it,from all other attributes of the same object, and enabling us to conceive those attributes , disjoined fromany others . We neither conceive thern, nor think them, nor cognise them in any way, as a thing apart,but solely as forming , in combination with numerous other attributes , the idea of an individual object.But , though thinking them only as part of a larger agglorneration, we have the power of fixing ourattention on thern, to the neglect of the other attributes with which we think them combined. [...1General concepts, therefore, we have, properly speaking, none; we have only complex ideas of objectsin the concrete: but we are able to attend exclusively to certain parts of the concrete idea: and by thatexclusive attention, we enable those parts to determine exclusively the course of our thoughts [.. ·1exactly as ifwe were able to conceive them separately from the rest." , MiII1865, S. 309 f.

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 145

werden. Schon in den um ein paar Jahre späteren Logik-Vorlesungen (EL 80) wirdallerdings das immanente Objekt als eine Entität betrachtet, die den intentionalenZugang zum eventuellen äußeren Referenzgegenstand lediglich vermittelt. Dereffektiven Zerlegbarkeit solcher vermittelnden Entitäten steht prinzipiell nichts imWege.

Von den Begriffen kehren wir nun zur ontologischen Struktur der konkreten re­alen Individuen zurück. Da Brentano an den zitierten Stellen des Manuskripts Ps 21von der Substanz gar nicht spricht, legt dies nahe, daß die individuell-konkreten Ge­genstände als Bündel von Eigenschaften interpretiert werden. Das stimmt allerdingsnur teilweise.

Vor allem spricht hier Brentano von den Bestimmungen, die er zu dieser Zeitnicht mehr für akzidentelle, sondern für substantiale hält. Qualität und Ort werdenals substantiale Eigenschaften der Objekte, die uns die äußere Wahrnehmung prä­sentiert, verstanden, wobei man allerdings nicht vergessen soll, daß es solche Ob­jekte nach Brentano in Wirklichkeit gar nicht gibt . Keine akzidentellen Eigenschaf­ten werden uns durch die äußere Wahrnehmung präsentiert. Den Begriff des Ak­zidens gewinnen wir nur dank der inneren Wahrnehmung. Sie zeigt uns unsere psy­chischen Akte, die Akzidentien der psychischen Substanz sind. Auf diesem Gebieterfassen wir jedoch keine substantialen Eigenschaften. Wir wissen nur im Allgemei­nen, daß es einen psychischen substantialen Träger geben muß, seine wahre Naturist uns jedoch verborgen. Die Epistemologie der Metaphysik, wenn man so sagendarf, auf der der mittlere (und größtenteils!" auch der späte) Brentano besteht, istalso einzigartig. Wir haben grundsätzlich zwei Arten von Erfahrung: innere undäußere, wovon uns erstere ausschließlich Akzidentien, und letztere ausschließlichsubstantiale Bestimmungen präsentiert.

Das Bild des physischen Gegenstands als eines Bündels von Eigenschaften, dassich aus der zitierten Stelle zu ergeben scheint, ist also in Wirklichkeit das Bild derphysischen Substanz als eines Bündels von substantialen Eigenschaften. Da jedocheinerseits die substantialen Eigenschaften ohne den Untergang der Substanz nichtentfallen können und andererseits Brentano an das logische Subjekt (die Aristote­lische Materie), das den substantialen Eigenschaften zugrundeliegen könnte, schonin der Würzburger Periode nicht glaubte, erscheint dieses Bild weniger kontrovers,als wenn auch akzidentelle Eigenschaften einbezogen würden. Es scheint, daß dieBrentanosche Substanz, die keinen Aristotelischen Materie-Aspekt beinhaltet, alsein Ganzes, das aus ihren (substantialen) Eigenschaften besteht, plausibel gedachtwerden kann. Ein wichtiger Aspekt der Theorie Brentanos besteht ferner darin, daßsubstantiale Eigenschaften eine Substanz dadurch konstituieren, daß sie zueinanderin einem doppelseitigen Fundierungsverhältnis stehen, von dem wir noch sprechenwerden. Die Bezeichnung "Bündel" ist also in diesem Kontext eher irreführend.l'"

138 Außer dem letzten Lebensjahr, in dem er die Qualitäten als Akzidentien von räumlichen Positionenbetrachtet.139 Die Bündel -Theorie der konkreten Individuen ist die dominante Position unter den Vertreter derTropenontologie. Nach dieser Auffassung ist ein konkretes Individuum einfach eine Klasse von kom­präsenten Tropen . (Vgl. z.B. Williams 1953.) Im Rahmen dieser Auffassung ist es jedoch sehr schwie­rig, die traditionell e Unterscheidung zwischen den wesentlichen und akzidentellen Eigenschaften in den

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146 KAPITEL 4

Die "Substantialisierung" aller äußerlich wahrnehmbaren Eigenschaften kannman ganz deutlich aufgrund von zwei Abhandlungen zur Metaphysik aus der Zeitum 1900 sehen. (Brentano 1992/93 und Brentano 1993) Brentano schreibt dort ex­plizit, daß sich die Metaphysik der physischen Gegenstände in der Aufzählung vonEigenschaften erschöpft, die für den Gegenstand konstitutiv sind. Die physischenGegenstände sind lokalisierte Qualitäten. Einen zusätzlichen substantialen Trägergibt es nicht. (Brentano 1992/93, S. 263; Brentano 1993, S. 34) Die Umwandlungsolcher Eigenschaften bewirkt konsequenterweise eine substantiale Umwandlungim Sinne von Aristoteles . Wenn ein physischer Gegenstand seine Position oderFarbe ändert, haben wir es nicht mehr mit demselben Gegenstand zu tun.140

Diese Theorie, in der die abstrakten Namen wie "Tugend" oder "Schwärze"ontologisch ernst zu nehmende (obwohl abstrakte) Entitäten bezeichnen, verwirftBrentano im Jahre 1901. In einem Brief an Marty kritisiert er seine Anwendung derTheorie der korrelativen Begriffspaare auf das Problem der Eigenschaften, und be­trachtet die abstrakten Namen als Sprachfiktionen (vgl. Brentano 1930, S. 73-75),was eine Art Rückkehr zur Würzburger Position zu sein scheint. Diese nominalisti­sehe Phase dauerte allerdings nicht lange. Ab 1904 werden die Eigenschaften wie­der ontologisch ernst genommen, wobei Brentano jetzt vor allem die Theorie derAkzidentien entwickelt. Das bildet allerdings schon das Thema des nächstenKapitels.

4 .3 RELATIONEN

In der Periode der Metaphysik- Vorlesung betrachtete Brentano fast alle Relationenals eine besonders schwache Form des Seienden. Mit Ausnahme einiger Relationenzu Gott galten ihm alle Relationen als nicht-real. Beim mittleren Brentano kompli­ziert sich dieses Bild ein wenig, und zwar vor allem deswegen, weil er jetzt vieleEntitäten, denen er in der frühen Periode lediglich das Sein im Sinne des Wahrenzuschrieb, ontologisch ernst nimmt. Der mittlere Brentano kann also seine Rela­tionstheorie wesentlich vereinfachen, indem er die Gruppe der merkwürdigen ein­stelligen Relationen streicht. Er besteht jetzt darauf, daß jede relative Bestimmung

Griff zu bekommen. Alle Eigenschaften scheinen zwangsläufig zu wesentlichen Eigenschaften zu wer­den . Deswegen behaupten einige Tropentheoretiker, daß man auch im Rahmen der Tropentheorie zurKonzeption eine s Trägers von Eigenschaften zurückkehren muß. (Vgl. Martin 1980) Einen anderenWeg schlägt Simons vor. Er postuliert keinen Träger von Tropen , unterscheidet hingegen in einemkonkreten Individuum einerseits einen wesentlichen Kern, andererseits eine akzidentelle Peripherie. DerUnterschied liegt in den Fundierungsverhältnissen zwischen den betreffenden Tropen . Die wesentlichenTropen stehen zueinander in einem starken, doppelseitigen Fundierungsverhältnis, während die Fundie ­rungsverhältnisse zwischen dem wesentlichen Kern und der akzidentalen Peripherie viel lockerer sind.Vgl. dazu Simons 1994 .140 Vgl. "Mit Umwandlung entsteht Z.B. ein neuer Körper durch Orts- oder Qualitätsänderung, währendder alte vergeht.

Ohne Umwandlung entsteht, wie schon Aristoteles erkannte, jeder psychische Akt sensitiven wieintellektiven Charakters, Z.B. eines Sehenden als solches.", Brentano 1993, S. 35.

Die Schwierigkeiten der Auffa ssung Brentanos, welche die räumlichen Charakteristika als essen­tielle Bestimmungen interpretiert, besprechen Galewicz 1992/93, Zelaniec 1995/96 und Zelaniec 1997 .

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 147

ontologische Verpflichtungen bezüglich dessen, in Bezug worauf die Bestimmungrelativ ist, involviert. In der Logik-Vorlesung lesen wir:

Wird das relativ Bezeichnete anerkannt , so wird außer ihm zugleich das anerkannt , in Bezug worauf esbestimmt wird. (Brentano EL 80, S. 40)

Wenn also ein Satz, der dem Gegenstand a eine relative Bestimmung zuschreibt,wahr sein soll, muß nicht nur a, sondern auch das, in Bezug worauf a bestimmtwird, existieren. Gibt es also ein Subjekt, das an einen Zentauren denkt, so muß esauch einen (gedachten) Zentauren geben. Gibt es einen Menschen, der später alsKar! der Große lebt, so muß es auch den (vergangenen) Kar! den Großen geben.Um den Preis der Erweiterung der Ontologie durch eine Gruppe irrealer Entitätenkonnte so eine Vereinheitlichung der Relationslehre erreicht werden.

Andererseits erweist es sich jedoch, daß man im Rahmen der so bereichertenOntologie unter den Relationen auch solche findet, die ontologisch gesehen beson­ders wichtig sind. Sie erweisen sich in der Tat als so wichtig, daß sie beim mittlerenBrentano unerwartet den Status von realen Entitäten bekommen. In der Logik-Vor­lesung 1884/85 (EL 72) lesen wir:

Wie verhält [es] sich in dieser Hinsicht mit den betrachteten Relationen? [Sind sie] alle real [oder] allenicht real oder teilweise [real und teilweise nicht real)? [...)Cl) Daß nun ein Teil wenigstens nicht real [ist.] ist leicht erkennbar; alle jene nämlich , welche zwischenNichtrealem [bestehen) .(2) Das Gleiche wird dann aber auch von solchen gewissen anderen gelten, die ebensowohl zwischenNichtrealem als Realem stattfinden.So die Verhältnisse der Gleichheit und Verschiedenheit.In der Tat fügt z.B. die Relation der Gleichheit, welche einem Rot[en) gegenüber einem anderen zu­kommt , indem dieses wirklich ist, nichts Neues hinzu, bringt keine reale Änderung an ihm hervor . [...]Sie sind nicht reale Relationen cum fundamento in re. [...)(3) Dasselbe wie von Gleichheit und Verschiedenheit wird auch von den Zahlen und ähnlichen Mengengelten; da diese Kollekt ive ganz auf der Gleichheit und Verschiedenheit beruhen .Ja von allen Kollektiven ist dasselbe zu sagen. Das Einzelne , woraus sie als Teile bestehen , mag realsein, das Ganze ist es nicht. [...)Auch von der Größe und Gestalt gilt aus gleichem Grund dasselbe .(4) Es bleiben nun noch die anderen Verbindungen von Teilen mit Teilen und die Relationen zwischenihnen und dem Ganzen zu betrach ten übrig.Die metaphysischen, logischen, physischen [Teile) . Gleich bei den ersten sehen wir, daß [hier] einwesentlich anderer Fall [vorliegt) .Blau mit der örtlichen Bestimmtheit a und Rot mit der örtlichen Bestimmtheit b, [sind) offenbar etwasanderes als Blau mit der örtlichen Bestimmtheit b und Rot mit [der örtlichen Bestimmtheit] a; und dochwären in beiden Fällen Rot, Blau, a und b wirklich.Hier dürfte also die Relation als etwas Reales angesehen werden .Ähnlich es möchte von der Relation des logischen Ganzen zum logischen Teil gelten ; zu der Farbe(,]insofern sie im Blau wirklich [enthalten ist,] steht das Rot nicht in derselben Beziehung und Verbin­dung in welcher es zu der in ihm wirklichen steht.Dagegen könnte man von dem physischen Ganzen, welches ja nach dem früher Gesagten ganz aufRelationen spezifischer [örtlicher] Unterschiede beruht, wohl mit Recht sagen , daß seine Verhältnissezu den physischen Teilen keine realen Relationen seien . Mit seinen drei Dritteln ist das Kontinuumsofort gegeben und fügt nichts Reales hinzu .Auch bezüglich der letzten Elemente des Kontinuums H der Grenzen [-I dürfte dasselbe gelten . Dochhaben wir [einen) sicheren Grund , hier eine noch andere Art von Relation [...) zu supponieren [-Inämlich Relationen der Kausalität. Es läßt sich leicht erkennen, daß ohne sie ein Kontinuum unmöglich

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148 KAPITEL 4

[wäre], da [eine] Grenze nichts für sich [ist], etwas aber und alles also [nur] im Zusammenhang mitanderen [Grenzen].141So haben wir denn (I) nicht reale Relationen ohne reales Fundament,(2) nicht reale Relationen mit realem Fundament (direkt oder indirekt)(3) aber auch gewisse reale Relationen gefunden.Bei der Betrachtung der psychischen Erscheinungen werden wir in den Kausalverhältnissen noch ande­re solche l42entdecken (zu verzichten haben).143 (Brentano EL 72, S. 218-220)

Was entscheidet darüber , ob eine Relation real ist? Am Anfang der zitierten Stelleformuliert Brentano zwar das Kriterium, daß eine Relation genau dann nicht-realist, wenn sie entweder zwischen Nichtrealem besteht, oder zumindest "ebensowohl"zwischen Nichtrealem bestehen könnte, doch werden nun auch Relationen zwischenmetaphysischen und logischen Teilen (d.h. zwischen Nichtrealem) zu den realenRelationen gerechnet. In Wirklichkeit geht es also um etwas anderes.

Wenn wir die Argumente Brentanos für die Irrealität der Verhältnisse derGleichheit und Verschiedenheit und der Relationen der physischen Teile zu denphysischen Ganzen etwas genauer anschauen, sehen wir, daß das Kriterium, dasdarüber entscheidet , ob eine Relation als real zu klassifizieren ist, sich in Wirklich­keit darauf bezieht, ob sich die entsprechende Relation ontologisch reduzieren läßt.Die Relationen der Gleichheit und Verschiedenheit superven ieren klarerweise aufden monadischen Eigenschaften ihrer Glieder. Die Relationen, in denen die phy­sischen Teile zueinander stehen, lassen sich ebenfalls aus den (absoluten) räum­lichen Positionen, an die Brentano glaubte, deduzieren . Dasselbe betrifft auch dieVerhältnisse zwischen den Grenzen und dem Kontinuum, das aus diesen Grenzenbesteht. 144

141 Brentano geht es hier offensichtlich um das Argument, das von der Kontinuität zum Kausalitätsprin­zip führt, das wir im dritten Kapitel kennengelernt haben .142 Es ist nicht klar, ob hier Brentano "andere solche realen Relationen" meint. Denn die Kausalverhält­nisse werden leider in der Logik-Vorlesung EL 72 letztlich nicht untersucht.143 Die Worte "zu verzichten haben " wurden von Brentano später hinzugefligt. Und in der Tat, dieKausalverhältnisse werden in der Logik-Vorlesung EL 72 nicht näher besprochen. Es ist also nicht klar,ob er sie auch als reale Relationen betrachten wollte.144 In der Logik-Vorlesung 1884/85 definiert Brentano das Kontinuum folgendermaßen :"Ein wahrer Begriff des Kontinuums ist hienach dieser :Ein Kontinuum ist eine unendliche Menge von Individuen, die der untersten Gattung (resp. Quasigar­tung) nach übereinstimmend, spezifische Unterschiede zeigt;aber so, daß in ihr jeder spezifische Abstand eines Individuums vom anderen vollkommen und mit indi­vidueller Einheit der Bindeglieder vermittelt wird ." (Brentano EL 72, S. 170 f.)"Dieser Begriff enthält nichts, was dem Ort- oder Zeitkontinuum exklusiv wäre. Er ist ganz allgemein.Alle in und etwa außer der Erfahrung gegebenen Kont inua müssen ihm und den darauf abzuleitendenEigenschaften entsprechen .Wir sehen daraus, daß was ein Kontinuum bildet und das woraus ein anderes besteht, kann in seinerabsoluten Bestimmungen völlig verschieden sein, nur gewisse Relationen müssen da wie dort sichfinden .So die von untersten Gattung und spez ifischer Differenz; ferner eine Vielheit [-I ja unendli che Vielheit[-I solcher Spezies; spezifische Abstände; vollkommen vermittelnde Reihen von Differenzen und jeneeigentümliche Doppelbeziehung jedes Mitgliedes der Reihe , vermöge deren es, individuell einheitlich,das Ende der einen und den Anfang der anderen Teilreihe bildet und so ihren Zusammenhang herstellt;ein ganz eigentümliches Verwachsensein, indem weder die eine noch die andere Teilreihe ganz erhaltenwerden könnte, wenn die andere ganz und bis zum letzten Glied wegfiele. Vielmehr würde auch sie not­wendig unzählige von ihren Gliede r mitverlieren.

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DIE ONTOLOGIE DER " M IT T L E R EN " PERIODE 149

Auf den ersten Blick scheint es, daß auch die Kausalverhältnisse, deren Begriffwir - Brentano wiederholt hier seine These aus der Metaphysik-Vorlesung - auf­grund der psychischen Motivation gewinnen (Brentano EL72, S. 467), auf den mo­nadischen Eigenschaften ihrer Glieder supervenieren. Brentano war nämlich über­zeugt, daß alle psychischen Motivationen (und in der Tat alle Kausalverhältnisse)nach notwendigen Gesetzen ablaufen. Gibt es also die entsprechende Ursache, sogibt es mit Notwendigkeit auch die Wirkung (und dementsprechend auch die ent­sprechende kausale Relation zwischen den beiden).

Die Frage, wie die Kausalverhältnisse interpretiert werden sollen, ist allerdingsnicht einfach zu beantworten . Selbst wenn wir sowohl von der Möglichkeit der so­genannten ,,singular causation", d.h, eines kausalen Nexus, der keine allgemeineGesetzmäßigkeit involviert, als auch von der Humes Auffassung der Kausalität, dieneben einer regelmäßigen Aufeinenderfolge von Ereignissen keinen zusätzlichenkausalen Nexus postuliert, absehen, und jede Kausalbeziehung als Instantiierungeines allgemeinen Kausalgesetzes betrachten, dürfen wir nicht vergessen, daß dieNotwendigkeit, die hier in Frage kommt, eine nomologische Notwendigkeit ist. JedeUrsache impliziert zwar ihre Wirkung mit Notwendigkeit, allerdings erst dann,wenn wir in unserer Folgerung die entsprechenden Kausalgesetze berücksichtigen.Die Formulierung dieser Kausalgesetze scheint nun ihrerseits den Begriff der kau­salen Beziehung wesentlich vorauszusetzen. Es ist also keineswegs klar, ob sich dieKausalverhältnisse letztlich als interne Relationen interpretieren lassen. Es istdurchaus möglich, daß die "kausalen Kräfte" eines Gegenstandes, die wir als Funk­tionen seiner monadischen Eigenschaften betrachten wollen, in Wirklichkeit schon

Der Begriff eines Kontinuums ist also ein relativer Begriff, und ein sehr eigentümlicher. Er ruht aufgewissen Relationen der Gleichheit von Teil mit Teil zu einem Ganzen.Dieses Ganze ist, was wir, im Unterschied von dem bloß kollekt iven Ganzen einerseits und dem logi­schen und metaphys ischen Ganzen andererseits, ein phys isches Ganze genannt haben. Jedes Kontinuumist demnach entweder selbst ein physisches Ganzes oder gehört zu einem solchen . Das Letztere, wennderselbe Zusammenhang sich noch weiter erstreckt, d.h. auch noch zwischen dem betreffenden Konti­nuum selbst und anderen Kontinuis besteht ; die sämtlichen zusammenhängenden (N.s. nicht etwa bloßaneinandergrenzenden) Kontinua bilden ja ein Kontinuum .Die Vereinigung einer unendlichen Menge zu einem solchen physischen Ganzen ist wirklich eine we­sentlich andere und viel innigere als zu einem bloßen kollektiven Ganzen. Die bloß kollektive unendli­che Menge hat keine Einigung der Teile außer der, welche in der Übereinstimmung der Glieder in dem,was die Einheit bildet, gegeben ist.Beim physischen Ganzen dagegen besteht eine Zusammeng ehörigkeit, die von der Art ist, daß jedesIndividuum einer Spezies, das als Element darin enthalten ist, nichts für sich, sondem alles nur imZusammenhang mit (den) anderen ist.[ ...]Was in dieser Weise nur im Zusammenhang mit einem Kontinuum etwas ist und sein kann, nennen wireine Grenze ." (Brentano EL 72, S. 178-180c)"Ist die Grenze ein Kontinuum , so besteht sie selbst aus Grenzen und in letzter Instanz jedes Kontinuumaus unendlich vielen nicht kontinuierlichen Grenzen .Die (physischen) ersten Elemente eines Kontinuums sind also alle nieht kontinuierlich." (BrentanoEL 72, S. 181 f.)"Eine solche Grenze nennen wir (das Wort im allgemeinsten Sinne nehmend) einen Punkt . (Raum­Zeit- Qualitäts- Intensitätspunkt usw.)" (Brentano EL 72, S. 182)

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150 KAPIT EL 4

begrifflich eine Beziehung auf die entsprechende Wirkung involvieren, und sichdeshalb auf die monadischen Eigenschaften nicht reduzieren lassen. 145

Brentano hat jedoch die ontologische Natur der Kausalität nicht genauer unter­sucht (insbesondere werden die Kausalverhältnisse in der Logik-Vorlesung EL 72nicht weiter behandelt). Deshalb ist es nicht ganz klar, ob er die Kausalverhältnisseletztlich als externe Relationen interpretieren wollte . Im letzten Kapitel werden wirnoch sehen, daß der späte Brentano stark dazu tendierte , die Kausalverhältnissedoch als interne Relationen aufzufassen.

Wenn wir also den unklaren Fall der Kausalverhältnisse beiseite lassen, dannscheinen alle bisher besprochenen Relationen auf ihren Gliedern zu supervenieren.In diesem Sinne sind sie alle ontologisch überflüssig . Sie sind für die Beschreibungder Sachlage irrelevant. Alles, was solche Relationen "hervorbringen" könnten,wurde schon von den monadischen Eigenschaften erledigt.

Ganz anders sehen jedoch die Dinge aus, wenn wir die Relationen untersuchen,welche die metaphysischen Teile eines Gegenstands "verbinden". Die metaphysi­schen Teile Rot und die räumliche Position a bleiben an sich unverändert, unab­hängig davon, ob sie miteinander "verbunden" sind oder nicht. Die Tatsache, daßsie in dieser Weise verbunden sind, macht jedoch sicherlich einen ontologischenUnterschied aus. Sie entscheidet darüber, ob sich etwas Rotes in der Position a

tatsächlich befindet.Wir sehen auch klar, daß in Wirklichkeit nicht die Frage , ob die Glieder der

Relation real sind, für die Realität der Relation relevant ist, denn die metaphy­sischen Teile sind ja irreal. Ob eine Relation "real" oder "nicht-real" genannt wird,hängt vielmehr davon ab, ob sie ontologisch wichtig oder überflüssig ist.146

Auf Grund der zitierten Stelle sehen wir übrigens, daß der mittlere Brentanoganz deutlich zu einer Tropentheorie neigt , die mit den individuellen Eigenschaftenund einer sie bündelnden Relation operiert. Eine solche Relation postulieren vieleTropentheoretiker. Im ersten Kapitel haben wir sie die Relation der Kompräsenzgenannt. Aus der Argumentation Brentanos, die zur These der Realität der Relationder Kompräsenz führt, folgt, daß er sie als eine kontingente Relation interpretiertund daß seine individuellen Eigenschaften transferierbare Tropen sind. Der meta­physische Teil Rot könnte als solcher bestehen, ohne daß er mit der räumlichenPosition kompräsent sein muß, mit der er aktuell kompräsent ist. In die individu-

145 Eine andere Frage ist, ob sich kausale Relationen auf nicht -kausale Bestimmungen reduzieren las­sen. Tooley (1987, S. 244-247) vertritt die Auffassung, daß die kausalen Relationen als unreduzierbarauf die nicht-kausalen Bestimmungen angesehen werden sollen . Er nennt dies die "realistische" Auffas­sung von Kausalität. Ducasse (1968, S. 3-4) und Ehring (1997) behaupten hingegen, daß der Kausal­begriffreduzierbar ist. Vgl. "Causal realists reject causal reduction ism because reduct ionism enta ils thatthe causa1 supervenes on the noncausal and causal realists reject superven ience. Causal realists claimthat there are examples in which different possible causal facts are associated with noncausallyindistinguishable worlds .", Ehring 1997, S. 62.146 Das ähnelt übrigens der Weise, in der Meinong von den realen Relationen spricht. (Vgl. Meinong1882. S. 142; Meinong 1899, S. 395; Findlay 1963, S. 96.) Nach Meinong heißen "real" diejenigenRelationen , die Komplexe produzieren, die auf eine bloße Kollektion ihrer Elemente nicht reduzierbarsind, und zwar im Gegensatz zu den Relationen, die Meinong ideale Relationen nennt (wie z.B. Ähn­lichkeit ). Die idealen Relationen produzieren keine neuen Komplexe und bestehen mit Notwendigkeit,immer wenn ihre Glieder bestehen .

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 151

ellen Eigenschaften des mittleren Brentano ist dementsprechend keine Zugehör ig­keit zu einem bestimmten konkreten Individuum eingebaut. In Abschnitt 4.2 habenwir gesehen, daß im Begriff einer Eigenschaft nur eine allgemeine "Ungesättigt­heit" involviert ist. Jede Eigenschaft ist zwar eine abstrakte Entität und muß deshalbimmer eine Eigenschaft von etwas (von einem konkreten Individuum) sein, imBegriff einer Eigenschaft gibt es allerdings nichts, das implizieren würde, daß siedie Eigenschaft von eben diesem Gegenstand sein muß.

Daß die Glieder einer realen Relation nicht unbedingt real sein müssen, siehtman besonders klar am Beispiel der zweiten Gruppe, die Brentano anführt. Wir ha­ben hier logische Teile von verschiedener Allgemeinheit, die mit Sicherheit nichtreal sind. (Bezüglich metaphysischer Teile, die zumindest individuell sind, könnteman daran noch eventuell zweifeln.) Auch die Relationen zwischen einem logi­schen Ganzen und einem logischen Teil erweisen sich als real. Es ist nämlich einekontingente Tatsache, daß eine Farbe eine rote Farbe ist. (Obwohl es natürlich nichtkontingent ist, daß eine rote Farbe eine Farbe ist.)

In der Würzburger Periode hätte Brentano alle Relationen zwischen metaphy­sischen und logischen Teilen als ontologisch unwichtig klassifiziert, weil er diemetaphysischen und logischen Teile als Fiktionen des Verstandes interpretierte.Reale Dinge sind an sich unstrukturierte Ganzheiten, denen eine innere Struktur nurfiktiv zugeschrieben wird. Metaphysische und logische Teile sind im Grunde nur imVerstande, und so sind es auch alle Relationen zwischen ihnen. Dem jungen Bren­tano zufolge wären also diese Relationen nicht-real in dem Sinne, in dem er diesesWort in der zitierten Logik Vorlesungen in Bezug auf ontologisch reduzierbare Re­lationen verwendet.

Der mittlere Brentano kann aber diese Argumentation nicht wiederholen, weildie metaphysischen und logischen Teile inzwischen zu wichtig geworden sind. Sieheißen zwar weiterhin nicht-real (in dem Sinne, daß sie nicht-wesenhaft, nicht­substantial sind), sie sind aber keine Fiktionen mehr. Die Relationen zwischen ihnenkönnten also nur dann für unwichtig erklärt werden, wenn sie auf den monadischenEigenschaften ihrer Glieder supervenieren. Für die Relation der Kompräsenz giltdas aber nicht.

Wir sehen jetzt klar, daß das Adjektiv nicht-real beim mittleren Brentano sehrmehrdeutig geworden ist. Einerseits sollte es darauf hinweisen, daß die betreffendeEntität kein selbständiges Entstehen und Vergehen (sondern nur eine Art Mitwer­den) hat und daß sie in keine kausalen Zusammenhänge eingeht. Das gilt von derRelation der Kompräsenz offensichtlich nicht. Sie ist durch keine Eigenschaftenihrer Glieder impliziert und ihr Bestehen ist sicherlich wichtig für die kausalen Fä­higkeiten des resultierenden Gegenstands. So gesehen ist es richtig, diese Relation"real" zu nennen. Andererseits müssen wir aber fragen: Tragen die metaphysischenund logischen Teile tatsächlich nichts zu den kausalen Fähigkeiten des Gegen­stands, dessen Teile sie sind, bei? Es scheint, daß diese Frage zu verneinen ist.Dennoch werden die metaphysischen und logischen Teile von Brentano als irrealbezeichnet. Wenn diese Bezeichnung dadurch gerechtfertigt sein soll, daß sie ledig­lich abstrakte Aspekte eines Gegenstands bilden, der erst als ein vollständiges, kon­kretes Individuum einen kausalen Einfluß ausüben kann, dann sollte auch die Rela-

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152 KAPITEL 4

tion der Kompräsenz irreal genannt werden, denn auch sie bildet bloß einen ab­strakten Aspekt eines solchen Individuums.

Bei der Lektüre des mittleren Brentano darf man daher nicht so sehr daraufachten, wie er die Entitäten nennt . Man muß sich vielmehr darauf konzentrieren,welche Rolle diese Entitäten in seiner Ontologie spielen und wie wichtig diese Rolletatsächlich ist.

Mehrmals haben wir schon bemerkt, daß Brentano zu einer Position neigte, diedie These der Supervenienz in Bezug auf alle Relationen aufrecht erhält. In denzitierten Stellen der Logik-Vorlesung 1884/85 sehen wir, daß in der mittleren Peri­ode diese These bei den Relationen zwischen metaphysischen und logischen Teilensuspendiert zu werden scheint. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, daß es sich indiesem Fall um sehr spezielle Verhältnisse handelt - um Verhältnisse, die innerhalbeines konkreten Individuums zwischen seinen abstrakten Teilen bestehen und diegewissermaßen erst die Einheit des jeweiligen Individuums herstellen. Im erstenKapitel haben wir sie intra-individuelle Relationen genannt und wir haben auchgute Grunde gefunden, derartige Beziehungen speziell zu behandeln. Wenn wireinen unendlichen Regreß vermeiden wollen, dürfen sie nicht als normale Rela­tionen interpretiert werden.

4 .4 DIE THEORIE DER TEILE IN DER DESKRIPTIVEN PSYCHOLOGIE(1890 /91)

Die Vereinfachung des ontologischen Aufbaus der physischen Gegenstände, die wirbeobachten konnten, resultiert zweifelsohne aus der Beschäftigung mit Problemender deskriptiven Psychologie, auf die sich Brentano zu dieser Zeit konzentriert. Diephysischen Gegenstände, so wie sie uns in der äußeren Wahrnehmung erscheinen,werden nicht länger als ein verläßlicher Schlüssel zur Formulierung einer Kate­gorienlehre betrachtet. Nicht nur ist die äußere Wahrnehmung nicht evident, so daßes keine Garantie gibt, daß das, was sie uns präsentiert, existiert. Brentano zufolgehaben wir sogar gute Gründe, die physischen Phänomene als eine Art Pseudo-Reali­tät zu betrachten . Alles, was uns die modeme Physik sagt, spricht gegen die Annah­me, daß es in Wirklichkeit Bestimmungen gibt, die den in der äußeren Wahrneh­mung gegebenen Qualitäten entsprechen würden. 1874 unterscheidet Brentano inseiner Einleitung in die Metaphysik (M 14/15) einerseits Fragen der "Phänomeno­logie", die rein deskriptiv vom ontologischen Aufbau der Phänomene handelt, ande­rerseits die Frage, ob diesen Phänomenen noch eine transzendente Wirklichkeit ent­spricht. Die Ontologie der physischen Phänomene wird so gewissermaßen zu einerOntologie des als ob. Man untersucht die Phänomene als ob sie in der Wirklichkeitbestünden . Man formuliert ontologische Gesetze, die für diese Art von Gegenstän­den gälten. Man weiß jedoch, daß es sich dabei um die Untersuchung eines "fik­tiven Beispiels" handelt. (Vgl. Brentano 1982, S. 14 ff.)

Was unter dem Namen der physischen Phänomene in der mittleren Periode inWirklichkeit untersucht wird, sind also die Gegebenheiten des Bewußtseinsfeldes,die Brentano als räumlich lokalisierte Qualitäten interpretiert. Das erklärt die Ver­einfachung der Ontologie, die schließlich alle Eigenschaften dieser Gegebenheitenals substantial interpretiert. Die auf den ersten Blick sehr kontraintuitiven Kon-

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DIE ONTOLOGIE DER " M IT T L E R EN " PERIODE 153

sequenzen dieser Auffassung, wie Z.B. die These, daß jede örtliche oder qualitativeVeränderung letztlich als eine substantiale Umwandlung interpretiert werden muß,erscheinen in diesem Licht weniger unplausibel. Es ist schließlich eine Frage derKonvention, ob wir bei einer Veränderung des Sehfeldes von einer (akzidentellen)Veränderung desselben Phänomens oder von einer Aufeinanderfolge von zwei ver­schiedenen Phänomenen sprechen wollen.

Das Gebiet, das damit umso wichtiger wird, ist das Gebiet des Psychischen, dasuns durch die unfehlbare innere Wahrnehmung zugänglich ist. ' 47 Darin finden wirdie genuinen Akzidentien, die ersatzlos entfallen können. Das sind die psych ischenAkte, wie ein Vorstellen, ein Urteilen oder ein Lieben. Psychische Akte präsen­tieren sich uns mit Evidenz als Akzidentien. Sie sind also abstrakte metaphysischeTeile, die als solche nur in einer Substanz existieren können. Eine solche Substanzvon psychischen Akten müssen wir zwar postulieren, ihre substantialen Bestim­mungen sind uns allerdings erfahrungsmäßig nicht gegeben . Wir wissen, daß eseine Substanz von psychischen Akten gibt, wir wissen allerdings nicht , was sie ist.

Die Ontologie des mittleren Brentanos bevorzugt konsequenterweise immer stär­ker die Perspektive der ersten Person, was jedoch nicht unbedingt eine Einschrän­kung ihres Interessengebiets bedeuten muß. Die Theorie der Intentionalität, die fürjede intentionale Beziehung außer dem (eventuellen) Referenzobjekt immer nochein immanentes Korrelat postuliert, bewirkt, daß alle ontologischen Fragen , dienicht direkt das psychische Subjekt betreffen, trotzdem in den Grenzen der Carte­sianischen Innensphäre behandelt werden können . Man muß nur die Aufmerksam­keit auf die immanenten Korrelate richten, die doch ursprünglich als Stellvertretervon Referenzentitäten eingeführt wurden. Alle erdenklichen Entitäten können sogewissermaßen anhand bloßer psychischer Akte untersucht werden . Die Monade,die durch die innere Wahrnehmung zugänglich ist, spiegelt in diesem Sinn tatsäch­lich die ganze Welt wider .

Diese Untersuchung beschränkt sich freilich auf eine Art der Analyse, die Bren­tano Psychognosie oder deskriptive Psychologie nannte, und die später, nach eini­gen reinigenden Prozeduren phänomenologische Beschreibung genannt wurde .148

Obwohl sie Brentano zufolge auf einer Art Empirie (nämlich auf der inneren Wahr­nehmung) beruht, schließt sie die im normalen Sinne empirischen Untersuchungenaus und kommt einer Begriffsanalyse sehr nahe.

[DJie Psychognos ie [...J lehrt nichts über die Ursachen , welche das menschl iche Bewußtsein erzeugenund welche machen, daß eine gewisse Erscheinung jetzt auftritt, jetzt unterbleibt oder verschwindet: siegeht auf nichts anderes aus als uns einen allgemeinen Begriff von dem gesamten Bereich menschlichenBewußtseins zu geben , indem sie die sämtlichen Grundbestandteile angibt, aus welchen alles, wasirgendwann von einem Menschen innerlich wahrgenommen wird, sich zusammensetzt, und die Verbin­dungsweisen , welche zwischen diesen Teilen möglich sind, aufzählt. (Brentano 1982, S. 2)

In seinen deskriptiven Analysen plädiert Brentano für die "Einheit, nicht Einfach­heit des Bewußtseins". (Brentano 1982, S. 10) Er kritisiert sowohl die Ansicht, diedas Bewußtsein als etwas absolut Einfaches sehen will, als auch die Lehre Humes,

147 Zum epistemischen Charakter der inneren Wahrnehmung vgl. Chrudzimski 2001a, S. 101- 104.148 Was eine deskriptive Psychologie von einer phänomenol ogischen Beschreibung unterscheidet, kannman am einfachsten anhand von Husserls Idee der Phänomenolog ie (Husserl 1907) verstehen .

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154 KAPITEL 4

der unter den Ideen keine Ich-Idee zu finden vermag und letztlich das Bewußtseinals einen bloßen Strom von Ideen auffaßte . Das Bewußtsein bildet Brentano zufolgeein strukturiertes Ganzes , in dem sich zwar verschiedene Elemente unterscheidenlassen, das jedoch kraft diverser Fundierungsverhältnisse, die zwischen diesen Ele­menten bestehen, kein bloßes Kollektiv, sondern eine organisierte Einheit bildet.(Vgl. dazu Smith 1992/93) Er spricht von den Teilen des Bewußtseins und versucht,die wichtigsten ontologischen Abhängigkeitsverhältnisse, die zwischen diesen Tei­len bestehen, zu eruieren.

In den Vorlesungen zur deskriptiven Psychologie (1890/91) unterscheidet Bren­tano verschiedene Arten solcher Teile . (Brentano 1982, S. 12-27, 79 f.) Die erstewichtige Dichotomie bezieht sich darauf, ob sich die betreffenden Teile real oderlediglich in Gedanken abtrennen lassen . Wir haben demgemäß einerseits wirklichablösbare und andererseits bloß distinktion elle Teile .149 Unter den wirklich ablös­baren Teilen finden wir dann nach Brentano gegenseitig und einseitig abtrennbareTeile .

Ein Beispiel für die gegenseitige reale Abtrennbarkeit ist Sehen und Hören . Einpsychisches Subjekt kann zwar beide Teile besitzen, jeder dieser Teile kann jedochverschwinden, ohne daß der andere dadurch irgendwie modifiziert werden muß . Indiesem Sinne kann man also sowohl Sehen von Hören, als auch Hören von Sehenreal abtrennen. Ein anderes Beispiel bieten uns physische Teile jedes Gegenstands,der effektiv "zerstückelt" werden kann . Ein Beispiel der einseitigen Abtrennbarkeitstellt hingegen Sehen und Bemerken dar. Man kann sehen , ohne alle Aspekte desGesehenen explizit zu bemerken, man kann jedoch nicht bemerken, wenn manzugleich nicht sieht. Der Teil Sehen kann dementsprechend vom Teil Bemerken realabgetrennt werden (d.h. nach einer solchen Abtrennung weiter bestehen), aber nichtumgekehrt. Der Teil Bemerken hat, so kann man sagen, im Teil Sehen sein ontolo­gisches Fundament.

Wir gehen jetzt zu den bloß distinktioneIl ablösbaren Teilen über. Unter ihnenfinden wir einerseits distinktionelle Teile im eigentlichen Sinn . Wenn Atome derEtymologie des Wortes entsprechend wirklich unteilbar wären, dann können wiruns, schreibt Brentano, solche bloß distinktionellen physisch en Teile als die physi­schen Teile eines Atoms vorstellen, die lediglich in Gedanken separiert werden kön­nen. (Brentano 1982, S. 13) Wenn wir jedoch von solch wissenschaftlichen Hypo­thesen absehen und nur die im Rahmen der deskriptiven Psychologie zugänglichenPhänomene untersuchen, zerfallen distinktionelle Teile im eigentlichen Sinne invier Gruppen.

Die erste Gruppe bilden sich durchwohnende (d.h . gegenseitig bloß distinktioneIlabtrennbare) Teile. Ein Beispiel für dieses ontologische Verhältnis bieten zwei As­pekte , die nach Brentano in jedem Objekt der Empfindung enthalten sein müssen :Räumlichkeit und Qualität. Diese zwei Aspekte sind real untrennbar und befindensich sozusagen auf derselben logischen Ebene, denn sowohl die Räumlichkeit alsauch die Qualität bestimmen das Objekt jeweils vollständig. Sie bilden jeder fürsich einen individuellen Aspekt , der nicht mehr weiter spezifiziert werden kann . In

149 Stumpf (1873. S. 109) nennt solche bloß distinktion ollen Teile Teilinhalte.

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DIE ONTOLOGIE DER " M IT T L E R EN " PERIODE 155

der Terminologie der Würzburger Metaphysik-Vorlesung sind sie metaphysischeTeile des Objekts der Empfindung. Wie wir gesehen haben, werden sie jetzt alswesentliche (substantiale) Eigenschaften des physischen Phänomens betrachtet.Durch ihr gegenseitiges Durchdringen vervollständigen sie sich gegenseitig , so daßsie ohne irgendwelchen zusätzlichen Träger das individuell-konkrete physische Ob­jekt konstituieren können . Deswegen ist auch die Abtrennbarkeit dieser Aspekte,obwohl bloß distinktionell, nichtsdestoweniger gegenseitig. Sie bestimmen das Ob­jekt von "verschiedenen Seiten" und sind in dieser Funktion "gleichwichtig". Dieräumliche Bestimmung als solche determiniert in keiner Weise die Qualität ; und dieQualität als solche hat keinen Einfluß auf die räumliche Lokalisierung.

Die zweite Gruppe von distinktionellen Teilen im eigentlichen Sinne bilden dieuns schon vertrauten logischen Teile. Wir haben es hier mit der Hierarchie derBegriffe zu tun, unter die das Objekt fällt. Die untere Grenze dieser Hierarchie (daslogische Ganze) bildet der völlig individualisierte Begriff (das Individuum einerbestimmten Gattung), die obere Grenze wäre der allgemeinste Begriff, unter dendas Objekt fällt - der Begriff der höchsten Kategorie , zu der das Objekt gehört . Dieso verstandenen logischen Teile bilden im Gegensatz zu den gegenseitig abtrenn­baren metaphysischen Teilen eine Reihe, die nach ontologischen Abhängigkeitsver­hältnissen streng geordnet ist. Die allgemeineren logischen Teile können von denweniger allgemeinen Teilen (distinktionell) abgetrennt werden, jedoch nicht umge­kehrt. Jede Röte muß eine Farbe sein, nicht jede Farbe muß hingegen Röte sein.

Die dritte Art der distinktionellen Teile im eigentlichen Sinne sind die Teile desintentionalen Korrelatenpaars . Während sich die bisher besprochenen Teile nochim konzeptuellen Rahmen der Würzburger Metaphysik bewegen (wobei sie in derWürzburger Periode, wie wir uns erinnern, als fiktiv interpretiert wurden), so be­zieht sich diese Unterscheidung schon auf die Theorie des immanenten Objekts, dieBrentano seit der Psychologie sukzessiv entwickelte . Die Teile des intentionalenKorrelatenpaars sind nämlich nichts anderes als der psychische Akt und sein imma­nentes Objekt. 150 Da Brentano das immanente Objekt als ein untrennbares Korrelat

150 Antonelli (2000 und 2001, S. 395-405) vertritt die These, daß das Korrelat der Deskriptiven Psycho­logie mit dem immanenten Objekt der Psychologie vom empirischen Standpunkt nicht viel zu tun hat.Das immanente Objekt sei das Zielobjekt der intentionalen Beziehung, das bloß objektiv im Verstand(d.h. ontologisch unverpflichtend) sei. Das Korrelat hingegen sei eine postulierte vermittelnde Entität,die zwar irreal, nichtsdestoweniger ontologisch verpflichtend ist, die jedoch auf jeden Fall kein Zielob­j ekt des Aktes darstellt. Das wäre tatsächlich eine kohärente Interpretation, gegen sie spricht jedoch zumersten die Tatsache, daß Brentano in der Deskriptiven Psychologie (Brentano 1982) das immanente Ob­jekt nicht einmal erwähnt, was nahelegt, daß das Korrelat eher eine Präzisierung des Begriffs des imma­nenten Objekts darstellt, als eine Entität, die inzwischen "neben" dem immanenten Objekt eingeflihrtwurde. Zum anderen finden wir in der Logik-Vorlesung (Brentano EL 80) eine Theorie, in der geradedas immanente Objekt als eine Entität fungiert, die den intentionalen Zugang zu einem (eventuellen)transzendenten Gegenstand vermittelt. Die Bezeichnung "Korrelat" taucht in dieser Vorlesung nichtauf. Das alles spricht dafür, daß Brentano die Bezeichnungen "intentionales Korrelat" und "immanentesObjekt" in Wirklichkeit als synonym verwendet hat. Diese Hypothese wird durch das folgende Zitat ausder Logik-Vorlesung [EL 72] eindeutig bestätigt: "Wenden wir uns nun zur Analyse der Elemente unse­rer inneren Wahmehmungsvorstellung, so weit wie sie eben führen können. Ihr Objekt ist unser Selbstin seinen wirklichen mannigfachen psychischen Beziehungen mit intentionalen Korrelativen (imma­nenten Gegenständen). Denn daß ein solcher immer beim Psychischen gegeben und gegenüber demPhysischen dafür [d.h. für das Psychische] charakteristisch [ist], haben wir früher gesehen.", Brentano

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156 KAPITEL 4

- gewissermaßen ein Schattenbild - des Aktes betrachtet, sind diese zwei Korrelatenatürlich real untrennbar. Die Art ihrer Verbindung ist ferner sowohl von dergegenseitigen distinktionellen Abtrennbarkeit der sich durchwohnenden Teile, alsauch von der einseitigen distinktionellen Abtrennbarkeit der logischen Teile ver­schieden. Wir haben es hier mit einem ontologischen Verhältnis sui generis zu tun,das sich auf andere ontologische Abhängigkeitsverhältnisse nicht zurückführen läßt.So hoch ist beim mittleren Brentano der Preis für die philosophische Erklärung desIntentionalitätsphänomens.

Eine weitere Art der distinktionellen Teile im eigentlichen Sinne, die ebenfallsmit der konkreten Theorie der Intentionalität, die Brentano vertritt, zusammenhängt,sind die Teile der "psychischen Diploenergie ". Dabei handelt es sich um die The­orie der inneren Wahrnehmung, die Brentano in seiner Psychologie formuliert hat.Jeder psychische Akt - so die These Brentanos - hat ein Doppelobjekt. Er beziehtsich nicht nur darauf, was wir ihm vorphilosophisch als sein Objekt zuordnen wür­den und was Brentano sein primäres Objekt nennt (z.B. für die Vorstellung einesBaumes - ein Baum), sondern er bezieht sich "nebenbei" auch auf sich selbst alsauf sein sekundäres Objekt.':" Jeder Akt stellt neben seinem primären Objekt auchsich selbst vor und darüber hinaus erkennt er sich selbst in einem evidenten Urteilan. Eben diese komplexe Struktur des primären und sekundären Bewußtseins meintBrentano, wenn er von den Teilen der psychischen Diploenergie spricht. Das onto­logische Fundierungsverhältnis ist hier wieder sui generis - auf andere ontologischeAbhängigkeitsbegriffe unreduzierbar.

Die Komplizierung der Ontologie, die in der mittleren Periode stattfindet, be­schränkt sich allerdings nicht auf das oben Gesagte . Denn außer den distinktionellenTeilen im eigentlichen Sinn haben wir noch distinktionelle Teile im uneigentlichen ,modifizierten Sinn . Bisher haben wir die ontologische Struktur der realen psychi­schen Individuen (bzw. - wie im Fall der sich durchwohnenden Teile - der pseudo­realen physischen Phänomene) untersucht. Was geschieht jedoch, wenn wir jetztZ.B. vergangene Gegenstände unter die Lupe nehmen? Durch die ontologische Ana­lyse solcher Entitäten erhalten wir Brentano zufolge distinktionelle Teile im unei­gentliehen (modifizierten) Sinn. In einem gewesenen Ton können wir die Eigen-

EL 72, S. 229. Zu den Einzelheiten der Lehre vom immanenten Objekt, die ohne Zweifel viele kontra­intuitive Aspekte involviert und die Antonelli durch seinen Vorschlag weniger kontra intuitiv machenwollte , vgl. Chrudzimski 2001a.151 Diese Theorie wurde schon 1867 in den Würzburger Vorlesungen zur Metaphysik vorgetragen . Vgl."Die Einwirkung des (äußeren) Objekts könnte einen Akt hervorrufen, in welchem nicht bloß dasObjekt, sondern auch der Akt selbst erkannt würde. Also[:] wer etwas sieht (z .B v), [müßte] in dem Akt[des Sehens) selbst sich seines Sehens mitbewußt sein. Dann wäre dieses Bewußtsein Bewußtsein desBewußtseins und die Schwierigkeit [wäre] gelöst.". Brentano M 96. XXVIII. In den Würzburger Vorle­sungen erwägt jedoch Brentano versuchsweise (als eine kohärente philosophische Position) auch eineReflexionstheorie des Selbstbewußtseins. Vgl. ..Eine Substanz kann sich ihrer ja bewußt sein, ohne sichdiesem Akt des Bewußtseins nach bewußt zu sein. Die Selbsterkenntnis wird dann eine unvollständige,aber darum nicht mit Irrtum behaftet sein .

Erläuterung : Ich sehe . Erfasse mich dann als Sehenden . Dann bin ich mir meiner Selbst bewußt . alsdieses Sehenden , nicht aber als dieses (Sehenden und) seines Sehens Bewußten. Durch weitere Refle­xion kann ich mir auch als dieses Bewußtseins teilhaftig bewußt werden u.s.f. in infinitum." , BrentanoM 96, XXVIII.

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 157

schaften des Tons wohl unterscheiden. Wir können manchmal sagen, welche Höheein gestern gehörter Ton hatte. Wenn wir es jedoch tun, bedienen wir uns Brentanozufolge schon nicht mehr mit einem "normalen" Unterscheiden, sondern mit einem"modifizierenden Distinguieren".

"Gewesen" verhält sich zu "Ton" nicht wie eine determinierende bereichernde , sondern wie eine modi­fizierende Bestimmung. Ton ist im gewesenen Ton nicht eigentlich, sondern modifiziert enthalten undkann darum auch nicht durch ein eigentliches, einfaches Distinguieren (Bemerken), sondern nur durchein modifizierendes Distinguieren daraus gewonnen werden. (Brentano 1982, S. 19)

Ein vergangener Gegenstand ist also in einem gewissen Sinne wie ein realer Gegen­stand. Er ist wie ein realer Gegenstand, mit dem Unterschied, daß er vergangen ist.Er ist durch den Zusatz "vergangen" in seiner Natur modifiziert, jedoch nicht deter­miniert. Ein vergangener König hört also gewissermaßen nicht auf, mächtig zu sein,er ist jedoch mächtig nur in einem modifizierten Sinne .

Brentano wiederholt diese Überlegung für psychische Akte und ihre immanentenKorrelate :

Schon Aristoteles sagt, das Sehende sei gewissermaßen gefärbt. [...] Aber es ist nur "gewissennaßen"gefärbt, die Farbe ist nicht eigentlich in ihm und kann darum nicht als eigentlicher distinktion eller Teilvom Sehen bezeichnet werden .

Aber indem sie doch wenigstens "gewissennaßen" in ihm ist, zeigt sich, daß hier etwas vorliegt, wiewir es bei dem Phänomen des vergangenen Tons konstatierten, in welchem der Ton gewissermaßen lag.Und wie dieser, so wird darum die Farbe aus dem Sehen durch modifizierende Distinktion als Teil ge­wonnen werden können . [...]

Und was von dem realen Glied der intentionalen Beziehung gilt, das gilt auch von seinem nichtrealen Korrelat. "Gesehene Farbe" enthält gewissermaßen Farbe in sich, nicht als distinktioneller Teilim eigentlichen Sinn, sondern als ein durch modifizierende Distinktion daraus zu gewinnender Teil. [...]

Und daran schließen sich dann weiter noch die Teile dieser Teile als uneigentliche distinktionelleTeile ; z.B., wie Laut als Teil eines als vergangen sinnlich vorgestellten Lautes . (Brentano 1982,S. 26 f.)

Wir erfassen jetzt genauer den Sinn, in welchem die Brentanosche Monade dieganze Welt widerspiegelt. Alles, wovon wir in einer direkten Einstellung als voneinem äußeren Objekt sprechen, muß zu diesem Zwecke vorgestellt werden. Sobaldes jedoch vorgestellt wird, ist es in gewissem Sinne sowohl im psychischen Akt alsauch in seinem irrealen Korrelat enthalten. Aus jeder ontologischen Beschreibungeines Gegenstands, auch wenn sie, wie im Fall der Analyse der physischen Phäno­mene, eine Beschreibung einer fiktiven Entität - eine Ontologie als ob - ist, läßtsich durch eine modiftzierende Blickwendung eine ernsthafte ontologische Be­schreibung der inneren Struktur einer intentionalen Beziehung ableiten; und umge­kehrt: Aus jeder ontologischen Beschreibung der inneren Struktur einer intentiona­len Beziehung können wir durch eine Modifikation des Sinnes eine These derOntologie als ob erhalten, welche die (angebliche) Referenzentität betrifft.

Die Tatsache, daß ein Pferd bloß vorgestellt ist, ändert weder seine Farbe, nochdie ontologischen Verhältnisse, in denen diese Farbe als ein Teil zum Ganzen desPferdes steht. Die modiftzierten, bloß vorgestellten Gegenstände haben in einemgewissen Sinne dieselben Eigenschaften und dieselbe ontologische Struktur wie ihrerealen unmodifizierten Entsprechungen. Sie haben sie allerdings nur in einem ge-

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158 KAPITEL 4

wissen Sinne und deswegen müssen wir in ihrem Fall von den distinktionellen Tei­len im uneigentlichen Sinn sprechen. 152 Auch in dem psychischen Akt, dessen Kor­relat dieses (bloß vorgestellte) Pferd ist, können wir gewissermaßen die Farbe desPferdes und die korrelative Komplexität der ontologischen Fundierungsverhältnissewiederfmden . Alles das geschieht durch eine Art modifizierender Distinktion, ähn­lich wie im Fall der zeitlich modifizierten Objekte.

In der Deskriptiven Psychologie spricht Brentano nicht von den nicht-existie­renden Gegenständen . Wir können jedoch vermuten, daß sie analog behandelt wer­den müssen. Ein nicht-existierender rosaroter Elefant ist in einem gewissen Sinnerosarot. Wir können also in ihm seine rosarote Farbe als Teil unterscheiden. Wennjedoch sowohl ein vergangenes als auch ein bloß vorgestelltes Pferd seine schwarzeFarbe nur in einem modifizierten Sirme haben kann, wäre es höchst unplausibel an­zunehmen, daß ein nicht-existierender rosaroter Elefant im normalen Sinne rosarotsei. Die Bestimmung "nicht-existierend" muß ebenfalls als eine modifizierendeBestimmung betrachtet werden.

Wir erhalten also die folgende Klassifikation der Teile:

152 In der Logik-Vorlesung aus dem Jahre 1884/85 lesen wir: "Besonders zu beachten ist auch derUnterschied zwischen Gleichheit im eigentlichen Sinne und einer wesentlich anderen Weise der Über­einstimmung, die ich Quasigleichheit oder Gleichheit mit METABASIS EIS ALLO GENOS nennen möchte .Eine solch e bestände zwischen einem Menschen und einem vorgestellten Menschen, der, wie wir frühererörterten, nichts Reales und [afortioril nicht wahrhaft ein Mensch ist.Im Bereiche dessen , was wir bisher analysierten, besteht eine Gleichheit mit METABASISEIS ALLO GENOSzwischen einem gegenwärtigen und einem in der Gedächtnisvorstellung enthaltenen gewesenen Ton,der auch nichts Reales und [afortioril kein Ton im eigentlichen Sinn zu nennen ist " , Brentano EL 72,S. 133 f."Man hat oft gesagt: Die Wahrheit eines Urteils bestehe in der Übereinstimmung des Gedankens undder Sache (adaequatio rei et intellectus) .Das wäre eine solche Quas igleichheit wie die, von der wir eben sprechen , denn unter Sache ist das nichtmodifizierte im Unterschied von dem Modifizierten [...] zu denken [...1.", Brentano EL 72, S. 453 .

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 159

Teile

: -------------,-----------j------------1------------iI

wirklich ablösbare distinktionelle I

gegenseitig einseitig imeigentlichen

Smn

immodifizierten

Smn

Ilhy.siseheTeIle

ein Akzidens voneinem anderenAkzidens

Substanz vonIhrem Akzidens

gegenseitig

~einseitig Verhältnisse sui generis

"in" einemintentionalen I

Korre at II

I_ _ _ _ J

II

I

t "in"einemI Ils.YchischenI ARtI

I

Teile liesintentionalenKorrelatenpaars

"in" einemnicht­eXI~tierendenObjekt

Teile der12sychlsehenDiploenergie

logischeTeIle

"in" einemvc;rg3ngenenObjekt

sichdurch­wohnendeTeile

Ilhy.siseheTeile einesAtQms(Fiktion)

....----------- Teile von diesen Teilen

Die Rückbeziehung der modifizierten Gegenstände auf die Klassifikation derwirklich ablösbaren und der distinktionell ablösbaren Teile im eigentlichen und immodifizierten Sinn bedeutet, daß die innere Struktur dieser Gegenstände jede Artder ontologischen Aufteilung in einer modifizierten Weise widerspiegeln kann . ImBesonderen kann ein immanentes Korrelat jede ontologische Struktur mimen .

4 .5 DIE "KONSTRUIERBARKEIT" VON ENTITÄTEN

Was in unserem Schema durch die Rückbeziehung der modifizierten Gegenständeauf die Klassifikation der Teile nur angedeutet wird, ist die Tatsache, daß dieontologischen Modifikationen prinzipiell iterierbar sind. Es ist Z.B. klar , daß sowohlAkte, als auch vergangene und zeitlich modifizierte Objekte vorgestellt werdenkönnen. Genauer ausgefiihrt ergibt sich daraus die folgende Tabelle :

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160 KAPITEL 4

enthillen.nur dieser Tell

zeitli~h nicht ~~" psych . "im"modi iziert existierend Korrelat

zeitlimmodi iziert Z[Z(a)] N[Z(a)] A[Z(a)] K[Z(a)]

nichtexistierend Z[N(a)] N[N(a)] A[N(a)] K[N(a)]

~~" psych .Z[A(a)] - N[A(a)] A[A(a)]- K[A(a)] - f-

"im"Z[K(a)] - N[K(a)] ..., A[K(a)] - K[K(a)] - f-Korrelat

Diese Kated10rien Es ist nicht kar, Diese Kategorien ~indkönnen in er ob wir diese Kate- In der Inneren Wa r-Erinnerung gorie brauchen . nehmung enthalten.an eine InnereWahrnehmung

Vielleich sind auchinvolviert sein.diese Kategorienin der inneren

Nach .1893 bleibt Wah ehmung

Wenn ein Objekt einer bestimmten Modifikation unterliegt, wird es im Bereich desentsprechenden modifizierenden Operators plaziert: Z(a) ist ein zeitlich modifizier­tes (vergangenes, zukünftiges) a; N(a) - ein nicht-existierendes a; A(a) - ein a, sowie es "in einem gewissen Sinn" im psychischen Akt ist; und K(a) - ein a, so wie es"in einem gewissen Sinn" im Korrelat dieses psychischen Aktes ist. Die Modifika­tionen höherer Stufe erfolgen in gleicher Weise : A[Z(a)) ist ein a, so wie es ineinem psychischen Akt, der ein zeitlich modifiziertes (z.B. vergangenes) a vorstellt,enthalten ist. Ein N[Z(a)) ist ein nicht-existierendes zeitlich modifiziertes (z.B. ver­gangenes) a usw.

Keine Kategorie in dieser Tabelle ist völlig unproblematisch. Gewisse Rubrikenerscheinen jedoch besonders dubios. So ist man stark geneigt, die KombinationN[N(a)} als höchst verdächtigt zu betrachten. Was sollte die Iteration der N-Modi­fikation eigentlich bedeuten? Soll sie als eine merkwürdige Verstärkung der Nicht ­Existenz betrachtet werden, etwa nach dem Muster: "Der Gegenstand a ist - sageund schreibe - nicht-existierend"? Oder sollen wir eher eine merkwürdige Versionder Regel negatio duplex afirmat in Erwägung ziehen, die ein nicht-existierendesnicht-existierendes a zu einem existierenden a machen würde . ,,N[N(a))" würdedann als eine Bezeichnung eines Objekts a interpretiert, das als nicht-existierendnicht existiert. Das würde heißen, daß die Modifikation "nicht-existierend" verneintwurde, so daß a schließlich als existierend bezeichnet wird .

Die Bestimmung nicht-existierend scheint übrigens in ihrem logischen Charakternicht nur von den normalen, determinierenden Bestimmungen, wie rot, dreieckigoder intelligent, sondern auch von den anderen modifizierenden Bestimmungenunserer Tabelle (zeitlich modifiziert, bloß vorgestellt) deutlich zu verschieden. DerUnterschied liegt darin , daß während alle determinierenden Bestimmungen sowiedie zeitlichen und intentionalen Modifikatoren zur "Konstruktion" von Gegenstän­den im Prinzip beliebig verwendet werden können, ist die Bestimmung nicht-

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 161

existierend (und, wenn es darum geht, auch existierend) in diesem Sinne nicht freiverfügbar, Wollen wir in einer Ontologie, die nach den Prinzipien des mittlerenBrentano angelegt ist, einen Zentauren einführen, dann ist er eo ipso da. In diesemSinne ist er gewissermaßen frei konstruierbar. Obwohl er jedoch "da ist", ist ernicht-existierend, aus dem einfachen Grund, daß es in Wirklichkeit keine Zentaurengibt. Einen existierenden Zentauren können wir nicht haben, mögen wir ihn einemnicht-existierenden auch noch so sehr vorziehen. Die Existenz-Bestimmung ist indiesem Sinne für eine freie Konstruktion von Entitäten unzugänglich.l" Wenn wirdie iterative Form N[N(a)) mit der Regel negatio duplex afirmat zulassen, könnenwir höchstens sagen, daß man einen existierenden Zentauren nur als eine nicht­existierende Entität beikonstruieren kann . Eine Existenz-Bestimmung können wirnur um den Preis als frei komponierbar betrachten, daß man zugleich eine un­komponierbare Existenz-Bestimmung höherer Ordnung zuläßt. Die komponierbareNicht-Existenz-Modifikation mußte also als eine Art "nicht seriöser" Bestimmungbetrachtet werden, die wir vielleicht als N* symbolisieren können (die KorrelativenExistenz-Bestimmungen, die Brentano nicht einführt, könnten als E und E* be­zeichnet werden).

Die anderen Zeit- und bloß-gedacht-Modifikationen weisen keine derartigen Be­sonderheiten auf. Die Zeit- und bloß-gedacht-Modifikationen scheinen ferner zu­sammen mit den determinierenden Bestimmungen zur .Emergenz" der Existenz­Bestimmung beizutragen. Daß es in unserer Ontologie nur einen nicht-existierendenZentauren gibt, ändert nichts daran, daß wir durch eine Modifikation durch denOperator K[...] einen bloß gedachten Zentauren erhalten, den es gibt, solange je­mand den entsprechenden psychischen Akt vollzieht. Genauso gibt es (heute) keineMammute und keine Dinosaurier, es gibt aber viele vergangene Mammute undDinosaurier.

Diese Überlegungen sind wichtig und haben insbesondere Meinong dazu veran­laßt, unter dem Einfluß Mallys die "modalen" Bestimmungen (wie existierend,nicht-existierend, widersprüchlich, wahrscheinlich) auf eine andere Stufe zu stellenals die normalen Eigenschaften, wie rot oder dreieckig. Die Bestimmungen, welchedie Ausstattung eines Gegenstands bestimmen - die Soseinsbestimmungen - sindMeinong zufolge zum einen von den Seinsbestimmungen dieses Gegenstandesvöllig unabhängig. Daß ein Gegenstand eine bestimmte Natur hat, impliziert alsonicht, daß er exisnert.!" Da das Meinongsche Universum so dicht gefüllt ist, daßjeder Kollektion von (nicht-modalen) Eigenschaften ein Gegenstand entspricht,

153 Darin besteht die Russellsche Kritik der Gegenstandstheorie Meinongs. (Russe11 1905b, S. 533)Wenn es, wie es Meinong ursprünglich wollte, jeder Beschreibung ein entsprechender Gegenstand ,jen­seits des Seins und Nichtseins" entspräche, dann müßte der Beschreibung "ein existierender goldenerBerg" ein goldener Berg, der existiert, entsprechen . Vgl. dazu auch Parsons 1980, S. 42.154 Das ist das berühmte Prinzip der Unabhängigkeit des Soseins vom Sein, dessen Formulierung auchMally zu verdanken ist. Vgl. Mally 1904, S. 126. Lambert formuliert dieses Prinzip folgendermaßen :"The principle of independence , in what I shall call the strict sense, is henceforth the claim that theargument

There are nuclear properties PI. P2 ... such that the set of PI, P2 ... attaches to s;So, s has being

is invalid .", Lambert 1983, S. 28 f. ("Nuclearproperties" sind natürlich nicht-modale Eigenschaften .)

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162 KAPITEL 4

können die Soseinsbestimmungen durch ein beliebiges Meinen erreicht werden.Immer wenn man einen goldenen Berg meint, wird im Außersein-Bereich ein gol­dener Berg "intentional getroffen". Die Seinsbestimmungen können hingegen erstdurch ein berechtigtes Meinen erreicht werden. Ein goldener Berg, der existiert,kann nur dann "intentional getroffen" werden, wenn man ein (epistemisch) berech­tigtes Urteil mit dem Inhalt: "Ein goldener Berg existiert" vollzieht. 155

Aus den normalen Bestimmungen können wir also Gegenstände frei kompo­nieren, sobald sie jedoch komponiert werden, resultieren die modalen Bestimmun­gen gewissermaßen automatisch. In diesem Sinne werden die modalen Bestimmun­gen, die ein bestimmtes Objekt hat, durch die anderen, "normalen" Bestimmungendieses Objekts (und durch den tatsächlichen Zustand der realen Welt) impliziert.Ein goldener Berg ist zwangsläufig nicht-existierend, ein rundes Dreieck - zwangs­läufig widersprüchlich (und a fortiori nicht-existierend) usw. Die modalen Bestim­mungen wie widersprüchlich, notwendig, wahrscheinlich, die einem Objekt zukom­men, supervenieren in diesem Sinne auf seinen "normalen" Bestimmungen. Auch inBezug auf die Bestimmungen existierend/nicht-existierend ließe sich von der Super­venienz sprechen, allerdings nur dann, wenn man den kontingenten Zustand desUniversums als einen gegebenen Faktor betrachtet, der zusammen mit den Bestim­mungen des Objekts zur Emergenz der Existenz bzw. der Nicht-Existenz des betref­fenden Objekts beiträgt.

Brentano hat allerdings seine Untersuchungen zu den nicht-existierenden Objek­ten nicht so weit geführt , Es ist dementsprechend nicht klar, wie bei ihm die Itera­tion der N-Modifikation interpretiert werden soll.

Die Iteration der zeitlichen Modifikation Z[Z(a)} scheint auf den ersten Blickebenfalls wenig Sinn zu machen. Ein vergangenes vergangenes a wäre, so könnenwir mit guten Gründen vermuten, einfach ein vergangenes a, ein zukünftiges zu­künftiges a einfach ein zukünftiges a, und die Bezeichnung "ein vergangenes zu­künftiges a" ist entweder widersprüchlich, oder es handelt sich um ein gegenwärti­ges a (falls wir annehmen, daß sich in diesem Fall die Modifikationen vergangen esund zukünftiges gegenseitig aufheben).

Indessen muß dem nicht unbedingt so sein. Wenn wir die Modifikation zukünftigals Z+ und die Modifikation vergangen als Z' bezeichnen, dann kann die Notation"Z-[Z+(a)j" auch bedeuten, daß ein vergangenes aals vergangen es zugleich ein

155 Vgl. dazu Meinong 1915,281 f. Meinong unterschied zunächst (unter Einfluß Mallys) zwischenzwei Arten von Eigenschaften, die er .Jconstitutorische" und .außerkonstuutonsche'' nennt (bei Mallyhießen sie " formale" und .außerformale") . Nur die konstitutorischen Bestimmungen (wie rot, dreieckigusw.) können ohne weiteres zur Konstruktion von Meinongschen Gegenständen verwendet werden .(Vgl. Meinong 1907,223 f.) Die Existenz-Bestimmung gehört natürlich zu den außerkonstitutorischenBestimmungen und der goldene Berg, der existiert , kann deswegen nicht in das ontologische Univer­sum eingeführt werden. Dann nahm Meinong aber an, daß man aus jeder seriösen Seinsbestimmungeine "nicht-seriöse" ("depotenzierte") Seinsbestimmung erhalten kann, in der "das modale Moment"fehlt. (Vgl. Meinong 1915, S. 291) Aus einer Existenz erhalten wir also eine Existenz als ob, was dazuführt, daß man zwischen einem existierenden goldenen Berg (den wir in der Meinongschen Ontologielinden können) und einem goldenen Berg, der existiert (den es selbst bei Meinong nicht gibt) unter­scheiden muß. Das entspricht natürlich unseren .unsen ösen'' Modifikatoren N· und E·. Russell kriti­siert diese Unterscheidung als prinzipiell unverständlich. Vgl. Russell 1907. Vgl. dazu aueh Jacquette200 I, Jacquette 1985/86 , Reicher 200 I .

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D I E ONTOLO G IE D ER " M IT T L E R EN " PERI OD E 163

zukünft iges a ist. Und das kann Z.B. bedeuten, daß ein Objekt während einer ver­gangenen Periode bis zu einem gewissen Zeitpunkt das-und-das war. Hat Johannvom 1970 bis 1990 Gitarre gespielt, so ist ein vergangener Gitarrespieler Johannanno domini 1981 zugleich (noch) ein zukünftiger Gitarrespieler. Er ist allerdingsein zukünftiger Gitarrespieler nur aus der Perspektive der Vergangenheit. Dennheute spielt er nicht mehr und wir nehmen an, daß er nie wieder spielen wird. Wennwir also Johann den Gitarrespieler als j g bezeichnen, dann paßt die Bezeichnung"Z-[Z+Og)]" zu Johann und sie scheint eine gewisse Information über seinekünstlerische Entwicklung zu vermitteln, die sich ohne die Iteration von zeitlichenModifikationen nicht wiedergeben läßt (vorausgesetzt, daß wir die zeitliche Modi­fikation generell vom Verb in die nominale Gruppe verlegen, wie es sich dermittlere Brentano etwa bis Ende 1893 wünschte). Auf diesem Hintergrund erschei­nen auch die Formen "Z-[Z- (a)]" und "Z+[Z+ (a)]" als nicht sinnlos. Sie beinhaltendie Information, daß ein vergangenes a noch immer ein vergangenes a ist (d.h. daßes schon früher a war), bzw. daß ein zukünftiges a noch immer ein zukünftiges a ist(d.h. daß es auch später noch a sein wird).156

Andere Kombinationen von Modifikationen scheinen auf jeden Fall eindeutigproduktiv zu sein. Dennoch ist keine Art von Iteration wirklich unzweideutig . Dieoberste Reihe der Tabelle ist noch verhältnismäßig unproblematisch. Wir haben hierein nicht-existierendes zeitlich modifiziertes a und ein bloß vorgestelltes zeitlichmodifiziertes a, und zwar einerseits so genommen, wie es im psychischen Akt ist,andererseits so, wie es im Korrelat dieses Aktes ist.

Als Beispiel von einem nicht-existierenden zeitlich modifizierten a - d.h.N[Z(a)} - könnte man einen vergangenen Pegasus anfuhren. Er ist vergangen under existiert nicht. Nun finden wir jedoch in der zweiten Reihe unserer Tabelle einzeitlich modifiz iertes nicht-existierendes a - Z[N(a)). Hat die Tatsache, daß dieAufeinanderfolge der Operatoren Z und N umgekehrt wurde, irgendwelche ontolo­gischen Konsequenzen? Die Antwort ist nicht klar, man kann jedoch annehmen,daß in dem Fall, in dem sich der Operator Z im Bereich des Operators N befindet,die Nichtexistenz des Objekts a gewissermaßen auch aus dem Vergangen-Sein vona resultiert . (Das setzt natürlich die Auffassung der Bestimmung nicht-existierendvoraus, nach der sie ein Charakteristikum ist, das durch die anderen, "normalen"Bestimmungen impliziert wird.)

Nehmen wir Z.B. an, daß Johann heute den Nobelpreis bekommen hat. Er istdemgemäß ein gegenwärtiger Nobelpreisträger. Bezeichnen wir Johann den Nobel­preisträger als jn und versuchen wir, ihn zeitlich zu modifizieren. Im ersten Schrittbekommen wir den vergangenen Johann den Nobelpreisträger: Z- On) . Da jedoch

156 Vgl. "Das Zukünftige erscheint dem Vergangenen entgegengesetzt, wie das oben dem unten und dasrechts dem links und das vom dem hinten und das Warme dem Kalten und das Bittere dem Süßen. Nunschließen Gegensätze sich in demselben Subjekt aus. Es kann darum dasselbe nicht zugleich demselbenTeile nach kalt und warm, bitter und süß, oben und unten. vom und hinten sein. Dagegen kann es rechtwohl zugleich gewesen und zukünftig sein. Wieso? Wie ist das denkbar? Nun recht leicht! Und ein Bei­spiel dafür ist jeder Fall der Dauer, wo während der Dauer dasselbe zugleich gewesen , gegenwärtig undzukünftig ist. Das Paradoxon löst sich daraus, daß die vergangene und zukünftige Zeitbestimmtheitnicht determ iniert . sondern wesentlich modifizier t, so daß es also ein anderer Fall ist, als wenn dasselb ezugleich oben und unten wäre." , Brentano EL 72, S. 104 f.

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164 KAPITEL 4

Johann erst heute (oder noch genauer: in diesem Zeitpunkt) den Nobelpreis be­kommt, existiert der vergangene Johann der Nobelpreisträger nicht. Die Bezeich­nung "N[Z-On))" scheint also durchaus treffend zu sein (es gibt den N[Z-On)}) ,während die Bezeichnung "NOn)" unzutreffend ist (den NOn) gibt es nicht) . Wenndie N-ModifIkation wirklich eine Modifikation ist, die aus den anderen Bestimmun­gen resultiert, dann können wir den Gegenstand NOn) in unsere Ontolog ie nichteinführen (wir könnten höchstens einen ziemlich dubiosen N[N*On)] haben) .

Die zweite Reihe der Tabelle enthält außer den bereits besprochenen Z[N(a)]und N[N(a)] auch noch die Formen A[N(a)] und K[N(a)]. Es handelt sich dabei umnicht-existierende Objekte wie sie in einem psychischen Akt bzw. in seinem imma­nenten Korrelat enthalten sind. Die wichtigste Zweideutigkeit dieser Formen bestehtdarin, daß es zunächst nicht klar ist, ob wir von einem nicht-existierenden Objektsprechen, das vorgestellt ist, oder ob es eher um ein Objekt geht , das als nicht-exis­tierend vorgestellt ist. Die zweite Interpretation hat zweifelsohne mehr Plausibilität,denn die bloße Tatsache, daß ein Objekt nicht-existierend ist, scheint auf die Weise,wie es in einem psychischen Akt (bzw . in seinem Korrelat) enthalten ist, keinenEinfluß zu haben . Stellt ein Subjekt einfach das Objekt a vor, dann haben wir es mitder Form A(a) bzw. K(a) zu tun, unabhängig davon , ob a in Wirklichkeit existiertoder nicht. Um die Formen A[N(a)] und K[N(a)] zu erhalten, muß das Subjekt dasObjekt a als nicht-ex istierendes vorstellen. Interessant ist dabei die Tatsache, daßdie Frage , ob a tatsächlich existiert oder nicht, für die Formen A[N(a)] und K[N(a)]irrelevant zu sein scheint. Stellt ein Subjekt ein nicht-existierendes a vor, dann ha­ben wir ipso fa cto die Gegenstände A[N(a)] und K[N(a)] unabhängig davon , ob atatsächlich existiert oder nicht.

Wenn sich also die Modifikation nicht-existierend (N) im Bereich der Modifika­tion bloß vorgestellt (A bzw. K) befindet, wird selbst der Sinn von N modifiziert. Eshandelt sich nicht länger um die "objektive" Bestimmung, die durch andere Bestim­mungen des Objekts impliziert wird, sondern um die Bestimmung: als-nicht-existie­rend-vorgestellt-zu-sein, die wir aus eigener Macht einem Gegenstand zulegen kön­nen. Ein Objekt kann als existierendes bzw. nicht-existierendes auch falsch vorge­stellt werden. K[N(a)] und A[N(a)] involvieren also keineswegs N(a) in der Weise ,daß das Zutreffen von K[N(a)] und A[N(a)] das Zutreffen von N(a) implizierte.157

Die zwei letzten Reihen der Tabelle umfassen die Modifikationen der vorge­stellten Objekte. Beobachten wir zunächst die zwei letzten Rubriken dieser zweiReihen, welche die Iterationen der intentionalen Modifikationen betreffen. Wir fin­den hier die Formen A[A(a)], A[K(a)], K[A(a)] und K[K(a)] . Alle diese Formenscheinen im sekundären Bewußtsein involviert zu sein. Das, was ein sekundäresBewußtsein vorstellt, ist der (aktuelle) psychische Akt mit seiner wesentlichen Kor­relationsstruktur. Das Objekt des primären Bewußtseins unterliegt also, insofern wires so auffassen wie es im sekundären Bewußtse in enthalten ist, einer doppeltenModifikation,

157 Vgl. dazu die angeführte Theorie Meinongs , die zwischen einem existierendem goldenem Berg undeinem goldenem Berg, der existiert, untersche idet. Vgl. Fußnote 155.

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 165

Was nicht ganz klar ist, ist allerdings, ob die Formen K[A(a)} und K[K(a)}ebenfalls als Modifikationen des sekundären Bewußtseins zugelassen werden sol­len. Es ist nämlich nicht klar, ob man im Rahmen des sekundären Bewußtseinsüberhaupt ein Korrelat postulieren soll. In seiner Psychologie schreibt Brentano,daß die innere Wahrnehmung den einzigen Fall darstellt, in dem das phänomenaleObjekt des Aktes zugleich ein wirkliches Objekt ist. (Brentano 1874/1924, S. 129)Das könnte nahelegen, daß man es in diesem Fall mit keinem zusätzlichen Korrelatzu tun hat. Die Formen K[A(a)} und K[K(a)} (wie auch die Formen A[A(a)},A[K(a))) beschränken sich allerdings nicht auf ein sekundäres Bewußtsein. Sie kön­nen, wie es scheint, auch dann auftreten, wenn wir an die Gedanken anderer Per­sonen denken.158

Die Formen Z[A(a)} und Z[K(a)}, welche die intentionale Modifikation in diezeitliche Modifikation einbetten, können in den Erinnerungen bzw. Erwartungen,die auf eigene und fremde psychische Akte gerichtet sind, enthalten sein.

Was schließlich das Einbetten der intentionalen Modifikationen in die N-Modi­fikation betrifft, so könnte sie dort ihre Anwendung finden, wo man von den nicht­existierenden psychischen Akten spricht. Im irrealen Konditional: "Wenn Kolum­bus wüßte, daß er nicht Indien sondern Amerika erreicht hat, würde er die Eingebo­renen sicherlich nicht 'Indianer' nennen." scheint dies Z.B. der Fall zu sein.

Die Antwort auf Frage, ob wir auch vergangene bzw. nicht-existierende imma­nente Entitäten zulassen sollen, hängt also davon ab, wie wir die Bedingungen deskognitiven Zugangs zu diesen Entitäten bestimmen. Wenn wir darauf bestehen, daßsie ausschließlich durch die innere Wahrnehmung zugänglich sind, dann werden sienatürlich immer in der Korrelation zu einem aktuellen psychischen Akt auftreten.Wenn wir hingegen zulassen, daß man sich auf ein einmal distinktioneIl separiertesimmanentes Objekt auch irgendwie direkt (analog wie auf ein äußeres Objekt)beziehen kann, dann ist nicht ausgeschlossen, daß man auch von den vergangenenund nicht-existierenden Entitäten dieser Art sprechen kann.

Wir möchten zuletzt noch einen wichtigen Punkt besprechen. Es ist eine interes­sante Tatsache, daß die Bestimmungen existierend / nicht-existierend nur dann ausden anderen Bestimmungen resultieren, wenn diese anderen Bestimmungen dasObjekt sozusagen "komplett" spezifizieren. Wenn von einem Objekt nur allgemeingesprochen wird, scheint sein Existenz-Status ebenfalls unbestimmt zu sein. (Außerwenn es schon aufgrund dieser Bestimmung klar ist, daß es einen solchen Gegen-

158 Vgl. "Wir bilden in Hinblick auf uns selbst den Begriff eines Denkenden, welcher in seinem Denkenauf einen Gegenstand gerichtet ist. Es sei dies der Gegenstand A, dessen Begriff ebenso wie der desDenkenden der Begriff von etwas Wesenhaftem sein mag. Von diesem Wesenhaften A sagen wirdaraufhin mit aller Wahrheit , daß es von mir, dem Denkenden, gedacht werde. Es ist ebenso wahr, daßes ein gedachtes A, als daß es ein wirkliches A ist. Und es kann aufhören, als wirkliches A zu sein,während es als gedachtes A fortbesteht, solange der Denkende es denkt. Umgekehrt wird es als gedach­tes A aufhören, wenn der Denkende es zu denken aufhört, wie immer es als wirkliches A noch fortbe­steht. Sagt man: eben, indem man es dem wirklichen A entgegenstellt, gibt man zu erkennen , daß dasgedachte A nichts Wahres und Wirkliches ist: so ist zu erwidern : Keineswegs! Es kann etwas rechtwohl etwas Wahres und Wirkliches sein, ohne ein wirkliches A zu sein. Es ist ein wirklich gedachtes Aund somit, da dies dasselbe sagt, auch ein wirkliches gedachtes A, dem wieder ein anderes als gedach­tes gedachtes A entgegengesetzt werden kann, wenn einer denkt, daß einer A denke.", Brentano 1930,S. 31. (0. Kraus datiert dieses Fragment aufgrund der Handschrift als lange vor 1901 geschrieben .)

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166 KAPITEL 4

stand nicht gibt, oder daß er gar widersprüchlich ist.) Betrachten wir den allge­meinen Begriff Hund. Wie können wir entscheiden, ob wir uns, wenn wir diesenBegriff in unserer intentionalen Beziehung verwenden, auf einen existierenden oderauf einen nicht-existierenden Gegenstand beziehen? Es gibt zwar viele existierendeHunde, es gibt jedoch auch viele nicht-existierende Hunde (z.B. alle geflügelten,alle philosophierenden und alle französisch sprechenden Hunde). Damit die Exis­tenz bzw. Nicht-Existenz des Objektes aus seinen Bestimmungen resultiert, mußgenau gesagt werden, um welches Objekt es sich handelt. Deswegen betrachteteMeinong die unvollständigen Objekte als unbestimmt bezüglich ihres Seins .159

Was jedoch Brentano betrifft, so treten bei ihm die unvollständigen Objekte nurin der Form der immanenten Korrelate (der allgemeinen Begriffe) auf. Ein unvoll ­ständiges Objekt können wir uns in Anlehnung an Frege (1892b) als eine unge­sättigte, ergänzungsbedürftige Entität denken. Eine solche Entität kann nach Bren­tano entweder als ein abstrakter (logischer oder metaphysischer) Teil eines vollstän­digen Individuums (z.B . als eine Eigenschaft eines physischen Objekts) bestehen,oder sie muß im Rahmen einer intentionalen Beziehung in der modifizierten Formin einem Korrelat (bzw . in einem Akt) sein . Ein allgemeiner Begriff ist eben einimmanentes Objekt, das als seine Teile (im modifizierten Sinne) eine unvollständige.arnterindividuelle" Kollektion von Eigenschaften enthält. Wenn "U" - "unvollstän­dig" heißt , dann gelten die folgenden Axiome:

(U.l) (Vx)[Ux=(3F)~(Fxv~Fx)]

(U.2) (Vx){ Ux::> (3y)(VF)[(Fy v ~Fy) /\ (y .J x)] v (3y)[y = K(x)]}

Das Axiom (U.l) ist im Grunde genommen die Definition der Unvollständigkeit. Esbesagt, daß für die unvollständigen Objekte das Prinzip des ausgeschlossenen Drit­ten nicht gilt. Das Axiom (U.2) sagt, daß ein unvollständiges Objekt nur entwederals ein abstrakter Teil eines konkreten Individuums oder als ein (uneigentliches)Teil eines intentionalen Korrelats existieren kann . (Wir haben hier die Notation ".J"

verwendet, die dann angemessen ist, wenn wir bereit sind, jede unvollständigeKollektion von Bestimmungen selbst als eine Eigenschaft zu betrachten. Ein Hundzu sein wäre also eine Eigenschaft von Rex und ein weißer Mann zu sein eineEigenschaft von Sokrates.)

Die Annahme, daß ein abstrakter Teil eines konkreten Individuums selbst als einObjekt zu betrachten ist, das eine unvollständige Kollektion von Eigenschaften hat ,ist nur dann angemessen, wenn wir die konkreten Individua als Bündel von Eigen­schaften betrachten. Die Relation des Habens einer Eigenschaft, die wir durch " .J"

bezeichnen, ist in diesem Fall eigentlich als eine Relation des Gehorens zu einembestimmten Bündel von Eigenschaften zu interpretieren. Im Rahmen dieses Modellskann man also sagen, daß ein unvollständiges Bündel (ein abstrakter Teil eines kon ­kreten Individuums) genau diejenigen Eigenschaften hat, aus denen es besteht.Wenn wir hingegen in unserer Ontologie von einem Substrat sprechen wollen, das

159 Darauf stützt sich die ganze Wahrscheinlichkeitslehre Meinongs. Vg1. Meinong 1915.

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DIE ONTOLOGIE DER " M IT T L E R E N" PERIODE 167

die Eigenschaften instantiiert, dann muß die .J-Relation als eine Relation zwischendiesem Substrat und der entsprechenden Eigenschaft interpretiert werden, so daßeine unvollständige Kollektion von Eigenschaften erst "in Verbindung mit ihremSubstrat" das Axiom V.l erfüllen würde. Der Axiom V .2 könnte in diesem Fall fol­gendermaßen umformuliert werden:

(V .2*) (Vx) {Ux :: (3y)(VF)[(Fy v ~Fy) /\ (Fx :: Fy)] v (3y)[y = K(x)]}

Die Theorie der allgemeinen Begriffe kann übrigens ein wenig Licht werfen auf denCharakter der Modifikation, die die Teile der Objekte als Teile des immanentenKorrelats erleiden. Wie wir gesehen haben, spiegeln die immanenten Entitäten ge­wissermaßen die als transzendent vorgestellte Welt wider. Wann immer die (even­tuelle) transzendente Referenzentität einen gewissen (logischen oder metaphysi­schen) Teil haben muß, um überhaupt Referenzentität zu sein, hat das entspre­chende immanente Objekt diesen Teil in einem uneigentlichen Sinne. Angesichtsder Theorie der allgemeinen Begriffe scheint es, daß die Arten der Abtrennbarkeitdieser Teile, die für die transzendenten und immanenten Entitäten charakteristischsind, ganz unterschiedlich sind.

Die logischen und metaphysischen Teile sind, sofern sie als Bestandteile dertranszendenten Objekte verstanden werden, bloß distinktioneil abtrennbar. Dietranszendenten Objekte müssen, sofern sie überhaupt sind, vollständig bestimmtsein. Ganz anders sieht jedoch die Situation aus, wenn wir die immanenten Enti­täten betrachten. Unter den immanenten Objekten finden wir nämlich nicht nur dieindividuell bestimmten Korrelate, die nach dem mittleren Brentano Z.B. für dieAkte der Empfindung charakteristisch sind.160 Wir fmden darunter auch allgemeineBegriffe, die sich auf mehrere transzendente Individuen beziehen, und deren Allge­meinheit darin besteht, daß sie eine unvollständige Menge der Merkmale eineseventuellen Referenzobjekts spezifizieren.

Diese Spezifizierung kann jedoch nur darin bestehen, daß die allgemeinen Be­griffe eine unvollständige Kollektion der (metaphysischen oder logischen) Teile "ineinem gewissen Sinn" haben. Es scheint also, daß die metaphysischen und logi­schen Teile, die von den immanenten Objekten gehabt werden, durch den Prozessder Abstraktion doch wirklich abgetrennt werden können. Der uneigentliehe Sinn,in dem diese Teile gehabt werden, beinhaltet also in erster Linie ihre effektiveAbtrennbarkeit. 16 1

Alle Modifikationen, die wir besprochen haben, können natürlich weiter (virtuellins Unendliche) iteriert werden. Die Grenzen der deskriptiv-psychologischenZweckmäßigkeit dieser Iteration scheinen zwar schnell erreicht zu werden, vomontologischen Standpunkt her haben wir jedoch eine unendliche Komplikation vor

160 Der späte Brentano, der keine immanenten Objekte akzeptiert, betrachtet hingegen alle Vorstellun­gen als mehr oder weniger allgemein.161 Wir haben allerdings gesehen, daß Brentano sehr lange zu der Auffassung neigte, wonach derProzeß der Abstraktion als eine Art Konzentration der Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte der vor­gestellten Entität interpretiert werden muß. Die reale Abtrennbarkeit der Teile des immanenten Objektsist für die ontologisch reichste Periode um 1890 charakteristisch .

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168 KAPITEL 4

uns. Die Selbstreferenz, die im sekundären Bewußtsein involviert ist, droht übrigenseine solche unendliche Komplikation sogar in jeden psychischen Akt einzuführen.

4 .6 DIE ONTOLOGI E DER INTENTIONALEN BEZIEHUNG

Mithilfe der Klassifikation der Teile, die Brentano in der Deskriptiven Psychologievornimmt, können wir die wichtigsten metaphysischen Thesen des mittleren Bren­tano, von denen wir bereits gesprochen haben, besser erfassen . Die einzigen realabtrennbaren Teile sind, neben den physischen Teilen, ausschließlich die psychi­schen Akzidentien. Nur auf dem Gebiet des Psychischen haben wir mit Eigen­schaften zu tun, die real ersatzlos entfallen können , ohne die Existenz ihres substan ­tialen Trägers zu gefährden. Konkrete Thesen bezüglich der psychischen Substanzfinden wir hingegen nicht. Eine solche Substanz kann aufgrund der deskriptiv fest­stellbaren ontologischen Struktur der psychischen Akte mit aller Sicherheit postu­liert werden , ist jedoch selbst deskriptiv unzugänglich. (Brentano 1982, S. 81-83)Als Beispiele von Eigenschaften, die real untrennbar sind, fungieren hingegen de­skriptiv erfassbare Momente der physischen Phänomene.

Schon in der Würzburger Metaphysik-Vorlesung hat Brentano zwei wichtigeGruppen von Akzidentien unterschieden: Akzidentien, die, falls sie entfallen , un­bedingt durch eine andere Eigenschaft derselben Gattung ersetzt werden müssen(wie räumliche und qualitative Bestimmungen der äußeren Objekte) und Akzi­dentien, die ersatzlos entfallen können (wie psychische Akte). In der mittleren Peri­ode realisierte er indessen, daß die Antwort auf die Frage, ob man die Eigenschaftender ersten Gruppe noch überhaupt Akzidentien nennen soll, nicht ganz klar ist. DieVerschiebung des Hauptgewichts der Untersuchungen auf die psychische Realitäthat zusätzlich bewirkt, daß die Antwort auf diese Frage (da sie nur die physischenPhänomene betrifft) immer mehr zu einer konventionalen Entscheidung wurde .Aufgrund der Abhandlungen vom 1900 haben wir gesehen, daß Brentano zuneh­mend zur Auffassung neigte, räumliche und qualitative Bestimmungen von phy­sischen Phänomenen als wesentliche Eigenschaften zu betrachten. Da er zu dieserZeit auch zeitliche Bestimmungen für wesentliche Bestimmungen von Objektenhält, 162 ergibt sich das Bild, daß alle Bestimmungen der physischen Phänomene we­sentlich sind. Ein physisches Phänomen kann dementsprechend keine seinerBestimmungen verlieren, ohne zu einem wesentlich anderen Phänomen zu werden .Diese Konsequenz verliert zum Teil ihre Kontraintuitivität, sobald wir bemerken,daß es sich dabei im Grunde um "sehr dünne" Entitäten handelt - um die flüchtigenGegebenheiten des Bewußtseinsfelds.

Wenn wir diese Entitäten als etwas real Seiendes betrachten, so wie es in dernatürlichen, vorphilosophischen Einstellung der Fall ist, müssen wir Brentano zu­folge sagen, daß dies ein Irrtum ist. Solche Entitäten gibt es nicht. Sie sind fiktiv ,jedoch nicht absurd . Es könnte solche Entitäten geben, obwohl wir nach Brentanogute Gründe haben, ihre tatsächliche Existenz zu leugnen . Deswegen kann aufgrundihrer Beschreibung eine Art Ontologie als ob formuliert werden.

162 Zu dieser Zeit glaubt Brentano nicht mehr an zeitliche Modifikationen der Objekte wie zukünft igund vergangen.

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 169

Als Ersatz für diese fiktiven Referenzentitäten gibt es sogar zwei Arten von Stell­vertretern, die tatsächlich vorhanden sind. Wir haben einerseits ein immanentesKorrelat des Aktes, und andererseits ein nicht-existierendes Objekt. Wäre dasäußere Referenzobjekt (falls es existierte) rot und dreieckig, so sind die beidenStellvertreter in einem gewissen Sinne rot und dreieckig. Sie haben die Teile Röteund Dreieckigkeit als ihre distinktionellen Teile im modifizierten, uneigentlichenSinn, wobei die Art der "Uneigentlichkeit" in diesen zwei Fällen verschieden ist.Das folgende Schema illustriert diese Gedanken:

sekundäres Bewusstseinerfa sst den Akt inseiner Zuordnungzu seinem irrealen Korrelat

"QSubstanz

RSychisches Akzidens\Vorstellung)unabtrennbär von seinemImmanenten Objekt

" Qualität

immanentesObjektem IrrealesKorrelatdes Aktes

realesQbjekt(fiktiv)

nichteXl$tierendesObjekt

Die einzige existierende reale Entität unseres Schemas ist das sich intentionalBeziehende psychische Subjekt. Sein reales Akzidens ist der psychische Akt derVorstellung. Er bildet eine akzidentelle Eigenschaft der psychischen Substanz. DasSubjekt kann aufhören, diesen Akt zu vollziehen, ohne daß es dadurch seine sub­stantiale Individualität verlieren muß. Der psychische Akt wird demgemäß als einGanzes, das sein Subjekt als Teil enthält, symbolisiert. Das ist die Metaphorik,mittels der der späte Brentano das Verhältnis Substanz-Akzidens in den Griff zu be­kommen versucht, während der mittlere Brentano das Verhältnis Substanz-Akzi­dens als ein Verhältnis von zwei sich durchwohnenden Teilen interpretiert.P" Inunserem Schema stützen wir uns dennoch auf die Metaphorik des späten Brentano.In dieser Weise können wir nämlich die Brentanosche Theorie der intentionalenBeziehung verhältnismäßig einfach schematisch darstellen, und der Anachronismus,den wir hier begehen, hat für unsere Analyse keine unerwünschten Konsequenzen.Denn wir versuchen aus dieser Darstellung keine ontologischen Konsequenzenabzuleiten.

Der psychische Akt ist also ein Akzidens des Subjekts. Er hat jedoch eineStruktur, in der sich ebenfalls unselbständige Teile unterscheiden lassen. Zum einensteht er in einer notwendigen Korrelation zu seinem immanenten Objekt. Dieses ist

163 Vgl. ..Substanz und Inhärenz [als] Verh ältnis sich durchwohnender Teile, von welchen der eine alsder hauptsächliche betrachtet wird [z.B. beim] Blick auf die phys ischen Konkreta [oder beim] Blick aufIch . (Insbesondere vielleicht hier, weil die Individualität [der Substanz als solche bestehen bleibt] ,während Akzidentien [auftreten oder wegfallen]." , Brentano 1982, S. 101.

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170 KAPITEL 4

eine einzigartige irreale Entität, weshalb sie in unserer Graphik mit einer gestrichel­ten Linie gezeichnet wird . Die psychischen Akzidentien haben also nach Brentanodie merkwürdige Eigenheit, daß sie - als Akzidentien realer Subjekte - in einemgewissen Sinne irreale Entitäten sui generis als Teile enthalten. Brentano bestanddarauf, daß die Korrelation zwischen dem Akt und seinem immanenten Objekt alsein ontologisches Verhältnis sui generis verstanden werden muß.

Zum anderen beinhaltet jeder psychische Akt ein sekundäres Bewußtsein, dessenObjekt der Akt selbst ist. Bei dem sekundären Bewußtsein haben wir es Brentanozufolge mit dem einzigen Fall zu tun, in dem das immanente Objekt des Aktes zu­gleich ein reales Seiendes ist - nämlich das psychische Subjekt mit seinem Akt undallem, was dazu gehört (insbesondere mit dem irrealen Korrelat) .

Den qualitativ bestimmten äußeren Gegenstand, der dem Akt entsprechen würde ,gibt es nach Brentano in Wirklichkeit nicht. Er ist also fiktiv, er wäre jedoch (fallses ihn gäbe, was logisch nicht ausgeschlossen ist) ebenfalls eine reale Entität. Des­wegen wurde er in unserem Schema, ähnlich wie die realen Teile des sich intentio­nal beziehenden psychischen Subjekts, mit einer dicken Linie gezeichnet. Er wäredie einzige Entität , welche die metaphysischen Teile Qualität und Lokalisierung imeigentlichen Sinne hätte . Das gilt weder für das immanente Objekt , noch für dennicht-existierenden äußeren Gegenstand (den es natürlich auch gibt) . Beide Enti­täten haben zwar in einem gewissen Sinne dieselben Eigenschaften, wie diejenigen,die der äußere existierende Gegenstand hätte, sie haben sie allerdings in einem mo­difizierten, uneigentlichen Sinne .

Wie die Ontologie der propositionalen intentionalen Beziehung (eines assertori ­schen Urteils) nach der Lehre der Logik- Vorlesung (EL 80) aussehen kann, illu­striert das nächste Schema:

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 171

propositionalertranszendenterInhalt(bestehender) propositionaler

transzendenterInhalt (nichtbestehender)

Nicht-Sein des

Objekts

t

nichtexistierendesObjekt

/ "-/ \

Qualität \1--- --\ Lokalisierung I

" /

Sein des

Objekts

t/ <,

<,

nicht8'ist'erendes

/ \Qualität I

I- ---~

\ Lokalisierung I

" /

~OPosi ti !lnalernszendenter

W alt(bestehender)

Objekts

t

Sein des

Objekts

t

propositionalerlranszen(!enterInhalt (nichtbestehender)

immanentesObjekt

angenommenes ,

Objekt

t

propositionalerImmanenterInhalt

,\, , \

' I Qualität \:---- --- --1'' , Lokalisierung /

,

sekundäres Bewusstsein

p,.sychischesAkzidens(Urteil)

I1SYChiSChCQSubstanz

psychisches A idenstVorstellung)

Ein Urteilen ist ein psychisches Akzidens, das sich auf eine Vorstellung aufbaut,d.h. in einer Vorstellung als Akzidens inhäriert. Der subsistierende Teil des Urtei­lenden ist dementsprechend der Vorstellende. Der Teil Vorstellender ist vom TeilUrteilender einseitig abtrennbar. Nach der Metapher des späten Brentano enthältalso jeder Urteilende einen Vorstellenden als seinen eigentlichen Teil.

Nach der Lehre der Logik-Vorlesung hat jedes Urteil sein eigenes gegenständ­liches Korrelat, und zwar sowohl ein immanentes als auch ein transzendentes. DieseKorrelate setzen in einer ähnlichen Weise die Korrelate der Vorstellung voraus unddeswegen wird jedes solche Korrelat in unserem Schema als ein Ganzes symboli­siert, welches ein nominales Objekt als sein Teil enthält. Unser Beispiel ist einpositives assertorisches Urteil. Das immanente Korrelat ist also in unserem Fall dasangenommene Objekt; das transzendente Korrelat hingegen - das Sein des Objekts.

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172 KAPITEL 4

Da es sich um ein Urteil der äußeren Wahrnehmung handelt, die generell "unwahr­haftig" ist, besteht dieser Inhalt natürlich nicht.

In unserem Schema fmden wir jedoch nicht bloß ein, sondern sogar vier trans­zendente proposit ionale Entitäten, die sich mit dem Urteil auf verschiedene Weisenkorrelieren lassen. Der Grund dafür besteht darin, daß wir zum einen generell zweiArten propositionaler Entitäten konstruieren können, entsprechend der positiv-nega­tiven Polarisierung des Urteils. Wir erhalten so für jeden Gegenstand sein Sein undsein Nichtsein . Zum anderen haben wir schon auf der Ebene der nominalenEntitäten sowohl existierende als auch nicht-existierende Objekte. Auch aus diesenEntitäten können wir durch dieselbe Operation zwei Arten propositionaler Inhalteerhalten . Wenn wir also den Sein/Nicht-Sein-Operator, der aus einem nominalenObjekt einen propositionalen Inhalt erzeugt, einfach als ,,+{ ...}" bzw. ,,-{ ...}"bezeichnen, bekommen wir für jedes Objekt a:

(I)(Il)(III)(IV)

Sein von a;Nicht-Sein von a;Sein von nicht-existierendem a;Nicht-Sein von nicht-existierendem a;

+{a};-{a};+{N(a)} ;-{N(a)} .

Wenn das Objekt a existiert, dann sind (I) und (IV) bestehend, (Il) und (III) - nicht­bestehend . Existiert das Objekt a nicht, dann bestehen (Il) und (III), aber nicht (I)und (IV).

Daß hier Brentano einen ontologischen Dschungel pflegt, braucht wahrschein­lich nicht betont zu werden. In Wirklichkeit ist das jedoch erst der Anfang einervirtuell unendlichen Komplikation von propositionalen Inhalten.164 Denn die Inhaltekönnen, wie wir uns erinnern, wieder beurteilt werden.165 Wir erhalten dann:

(I) Sein vom Sein von a;Nicht-Sein vom Sein von a;

(Il) Sein vom Nicht-Sein von a;Nicht-Sein vom Nicht-Sein von a;

(III) Sein vom Sein von nicht-existierendem a;Nicht-Sein vom Sein von nicht-existierendem a;

+{+{a} };-{+{a }};+{-{a} };-{-{a} };+{+{N(a)} };-{+{N(a)} };

164 Der ontologische Dschungel der propositionalen Inhalte ist allerdings unabhängig von der domi nie­renden Tendenz in Brentanos lntentionalitäts- und Modalitätstheorie entstanden . In Chrudzimski 200l azeigen wir, daß keine von diesen Theorien in Wirklichkeit die propositionalen (und insbesondere moda­len) Inhalte braucht. Der Grund, warum sich die propositionalen Inhalte in der mittleren OntologieBrentanos trotzdem etabliert haben, liegt in der Regel der unkritischen Deskriptivität . Diese Regelfordert, jede Kategorie, auf die sich unser vorphilosophischer oder philosophischer Diskurs angeblichbezieht, als eine zusätzliche ontologische Kategorie einzuführen , unabhängig davon, ob sie noch außerdieser prima facie Evidenz noch irgend welche erklärende Rolle hat.165 Findla y betont diesen Punkt in seiner Besprechung von Meinongs Objektiven. Vgl. .The immediateobject of one objective may of course be another objective [...]. Thus the objective ' 0 is a fact' has asits material the objective O. 0 might itself have another objective P as its material , and P might beabout Q. There is no limitto the complexity of such a Chinese-box system ; however complex 0 may bewe can always turn to 0 ', which concems 0, and which is therefore of a higher order of complexity .",Findla y 1963, S. 71.

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DIE ONTOLOGIE DER "MITTLEREN" PERIODE 173

(IV) Sein vom Nicht-Sein von nicht-existierendem a;Nicht-Sein vom Nicht-Sein von nicht-existierendem a;

+{-{N(a)}} ;-{-{N(a)} }.

Wenn wir auch modifizierte nicht-seiende Inhalte als Gegenstande des Urteils zu­lassen (und aus welchem Grund sollten wir das verbieten?), erhalten wir direkt:

(I) Sein vom Sein von a;Sein vom nicht-seienden Sein von a;Nicht-Sein vom Sein von a;Nicht-Sein vom nicht-seienden Sein von a;

+{+{a}};+{N(+{a})} ;-{+{a} };-{N(+{a})} ;

usw. in den übrigen Kategorien (II)-(IV).Diesbezüglich gilt es jedoch zu bemerken, daß die Modifikation nicht-seiend in

Bezug auf propositionale Inhalte wahrscheinlich ähnlich wie die Modifikationnicht-seiend in Bezug auf Objekte betrachtet werden muß. Sie ist eine Bestimmung,die aus den sonstigen Bestimmungen des Inhalts (zusammen mit dem kontingentenZustand des realen Universums) zwangsläufig resultiert. Wie bei den nicht seinen­den Objekten können wir uns allerdings einen Inhalt als nicht-seiend vorstellen,selbst, wenn er in Wirklichkeit ist.

Wir können dann noch die modalen Inhalte berücksichtigen, wie Notwendigkeitund Unmöglichkeit von a. Brentano ist in diesem Punkt nicht immer präzise, wirkönnen jedoch annehmen, daß die modalen Operatoren im Grunde auf den propo­sitionalen Inhalten operieren. Es handelt sich also nicht um die Notwendigkeit bzw.Unmöglichkeit von a, sondern um die Notwendigkeit des Seins von a: D{+{a}}bzw. die Notwendigkeit des Nicht-Seins von a: D{-{a}} . Wenn wir modalisierteInhalte einführen, können wir z.B. ohne Probleme von der Notwendigkeit des Seinsvom nicht-seienden Sein von asprechen - d.h. 0 {+{N(+{a} )}}.

Die Modifikation notwendig resultiert ebenfalls aus den anderen Bestimmungendes Inhalts . Das Nichtsein eines runden Dreiecks ist notwendig und das Nichtseineines Zentauren ist es nicht . Wir sind außerstande, ein notwendiges Nichtsein einesZentauren und ein nicht-notwendiges Nichtsein eines runden Dreiecks in unsereOntologie einzuführen. Wir können uns jedoch solche Sachen wohl vorstellen. Wirkönnen uns ein notwendiges Nichtsein eines Zentauren denken, und in diesem Sinnbesteht er gewissermaßen in unserem Geist. Die Freiheit der iterativen Konstruktionwird in diesem Fall nur durch die Endlichkeit des menschlichen Geistes beschränkt.

Wir können annehmen, daß sich die transzendenten Inhalte zu ihren immanentenEntsprechungen etwa so verhalten wie die transzendenten Objekte zu den immanen ­ten Objekten. Die transzendenten Inhalte erleiden also eine analoge Modifikation.Einem Akt des Urteils : "a ist" entspricht demgemäß ein transzendenter propositio­naler Inhalt:

+{a}.

(Ob dieser Inhalt auch besteht , hängt, wie gesagt, nicht von uns ab.) Das immanentepropositionale Korrelat dieses Aktes besteht jedoch, solange der Akt besteht. Es ist:

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174 KAPITEL 4

K(+{a}) ;

Auch im Akt selbst finden wir "in einem gewissen Sinne" den gleichen Inhalt:

A(+{a}).

Wenn wir also denken, daß das Nichtsein eines Zentauren notwendig sei, dann ist ineinem gewissen Sinne in unserem Geist ein notwendiges Nichtsein eines Zentauren.Wir haben also sowohl:

A(O{-{z} })

als auch:

K(O {- {z} }).

Was jedoch die transzendenten Inhalte betrifft, so "haben" wir

O{-{z} }

nicht. Das Nichtsein eines Zentauren ist eben nicht notwendig wir können dagegennichts unternehmen. Wir haben also nur einen nicht-existierenden (nicht-bestehen­den) 0 {-{Z} }, d.h.:

N{O{-{z}}}

und außerdem übrigens auch:

- {O {- {z}}}

In Bezug auf propositionale Inhalte neigen wir dazu, die Iterierbarkeit der Nicht­sein-Modifikation und die Gültigkeit der Regel negatio duplex ajirmat anzuneh­men.

4.7 D ER ONTOLOGIS CH E REICHTUM DER MITTL EREN PERIODE UNDDER FRÜHE KONZEPTUALISMUS

Die Erweiterung der Ontologie beim mittleren Brentano war eine Antwort auf dieProbleme der konzeptualistischen Auffassung, die wir im letzten Abschnitt desvorigen Kapitels skizziert haben . Wir haben gesehen , daß der junge Brentano nurdiejenigen Entitäten ernst nahm, die nach den Aristotelischen Begriffen als Sub­stanzen zu klassifizieren wären . Im Gegensatz zu Aristoteles interpretierte aberBrentano alle ontologischen Artikulierungen, die solchen Entitäten innere Strukturverleihen, als Fiktionen. Solche Fiktionen sind zwar nicht grundlos, ihr Fundament

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DIE ONTOLOGIE DER " M IT T L E R EN " PERIODE 175

besteht jedoch lediglich darin, daß einige begriffliche Artikulierungen des Seiendenrichtig sind, wobei diese Richtigkeit einen epistemisch-normativen Sinn hat.

Die Ontologie des jungen Brentano bildet dementsprechend eine Version desKonzeptualismus . Die ganze ontologische Struktur des Seienden reduziert sich aufdie richtige Anwendung von Begriffen. Die wichtigste Frage, die sich angesichtsdieser Theorie automatisch ergibt , stellt sich bei jeder Form von Konzeptualismus:Welches ontologische Instrumentarium nehmen wir in Kauf, indem wir von Begrif­Jen sprechen? Der springende Punkt dieser Theorie ist also die ontologische Naturder Begriffe. Bei dem jungen Brentano finden wir jedoch keine Ontologie vonBegriffen. Die Begriffe sind entweder Akzidentien der Seele, oder die objektiv imVerstand seienden Gegenstände, wobei sowohl die ersteren als auch die letzterenwieder Fiktionen sind .

Der philosophischen Analyse des jungen Brentano droht also ein unendlicherRegress . Was die fiktiven Artikulierungen des Seienden zu Fiktionen cum funda­mento in re macht, ist die Richtigkeit von einigen Anwendungen von unseren Be­griffen, die Begriffe selbst sind aber wieder Fiktionen, die, sofern sie Fiktionen cumfundamento in re sind, eine analoge Erklärung brauchen usw.

Der wichtigste Punkt der Entwicklung, die in der mittleren Philosophie Bren­tanos stattgefunden hat, war also die Ausarbeitung einer ontologisch seriösenTheorie der Begriffe; und sie wurde in Gestalt der Theorie des immanenten Objektsformuliert. Dies untermauert die Auffassung, daß die Einführung von immanentenObjekten der wesentliche Punkt der mittleren Periode Brentanos war. In der Tat wardies auch der einzige Punkt, der wirklich nötig war, um die Probleme des Konzep ­tualismus zu lösen. Da Brentano über eine nicht-propositionale Urteilstheorie undeine epistemische Wahrheitsdefinition verfügte, brauchte er im Grunde keine pro­positionalen Entitäten (weder in der Rolle der immanenten Inhalte von Urteilennoch in der Rolle der Wahrmacher). Die Eigenschaften und alle anderen Strukturenin den Dingen könnten von ihm weiterhin konzeptualistisch wegerklärt werden.

Die Theorie des immanenten Objekts bildete jedoch in Wirklichkeit nur denersten Schritt einer kontinuierlichen Erweiterung der Ontologie , in deren Rahmenalle Fiktionen der frühen Periode ihre ontologisch ernst zu nehmende Entsprechungfanden . Der Grund dafür bestand, wie wir schon angedeutet haben , in der deskrip­tiven Grundhaltung Brentanos. Die Begriffe waren in der frühen Periode nur eineKategorie der Fiktionen unter anderen. Vom deskriptiven Standpunkt her gesehengenossen sie daher keinen privilegierten Status . Als immanente Objekte in dermittleren Periode aus dem Verlangen nach tiefer philosophischer Erklärung ontolo­gisch ernst genommen wurden , sah Brentano deshalb keinen Grund , warum andereFiktionen in dieser Hinsicht schlechter behandelt werden sollten .

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KAPITEL 5

REISMUS

Wer von "robusten Sinn für die Realität" des jungen Brentano beeindruckt war , wiewir ihn im dritten Kapitel darstellten, der mußte am Ende des vierten Kapitelsstaunen. Denn nun scheint es, als ob um 1890 die ganze Tugend der ontologischenSparsamkeit, die der junge Brentano zu schätzen wußte , plötzlich verlorengeht.Während der junge Brentano alle Redeweisen, die irgendwelche extravagantenEntitäten einzuführen scheinen, im Rahmen einer verhältnismäßig "vernünftigen"Ontologie zu meistern versuchte, nimmt der mittlere Brentano solche Entitäten typi­scherweise ohne Bedenken in Kauf. 166 Dabei bewirkt der rekursive Charakter derSprache, daß die resultierende Ontologie eine virtuell unendliche Hierarchie vonEntitäten immer höherer Ordnung beinhaltet.

Wir kennen inzwischen auch die Gründe dieser Entwicklung. Wir wissen, daßdie ontologische Sparsamkeit des jungen Brentano in Wahrheit nicht mehr als einebloße Deklaration war und noch nicht als eine ernsthafte Position zu betrachten ist.Der Anschein der Sparsamkeit resultiert großteils aus der ontologischen Naivität,mit der Brentano die Rhetorik der objektiven Seinsweise in seinen Untersuchungenbenutzt. Seine konzeptualistische Auffassung birgt jedoch prinzipielle Unklarheitenin sich, gerade was den für die Theorie zentralen Begriff des Begriffs betrifft, unddie reiche Ontologie der mittleren Periode resultiert aus dem Versuch, eine philoso­phische Theorie der Begriffsentitäten zu liefern. Das Ergebnis ist allerdings, daßbeinahe alles, was bisher als das objektiv Seiende bzw . als das Seiende im Sinne desWahren verharmlost wurde, ontologisch ernst genommen wird.

Wenn man jedoch Brentanos Schriften aus der mittleren Periode - von derPsychologie vom empirischen Standpunkt (1874) über die beiden Logik-Vorlesun-

166 Auf eine interessante Interpretationsmöglichkeit wurde ich von Johannes Brandl (Salzburg) auf­merksam gemacht. Es scheint nämlich im Prinzip möglich zu sein , die ganze deskriptive Psychologie,so wie sie von Brentano in seiner mittleren Periode entwickelt wurde, als eine im Grunde ontologischneutrale Beschreibung zu interpretieren. Wenn wir uns an Brentanos Einführung zur Metaphys ik vomJahre 1874 erinnern , in der Brentano tatsächlich von einer Phänomenologie spricht, die eine getreueBeschreibung der "Grundbestandteile unserer Vorstellungsinhalte" liefern soll , und die er von eine rOntologie unterscheidet, in der unter anderem die Entscheidung getroffen wird, ob unseren Phäno ­menen noch eine "äußere" Wirklichkeit entspri cht (Brentano M 14/15, S. 15), dann scheint es, daß estatsächlich eine Zeit (um 1874) gab, zu der Brentano mit solchen Gedanken spielte. Die so verstand enedeskriptive Psychologie (bzw . Phänomenologie) befände sich dann sehr nahe der Phänomenologie Hus­serls.

Diese Interpr etat ion ist, wie gesagt, sehr interessant , und sie kann für die Erforschung der Beziehun­gen zwischen der Brentanoschen deskriptiven Psychol ogie und der Husserlschen Phänomenologie inder Tat fruchtbar sein. Eine andere Frage ist aber, ob diese ontologisch neutrale Interpretation in Bezugauf die ganze "mittlere" Periode (1874-1904) der Philosoph ie Brentanos aufrechterhalten werden kann .Die These dieses Buchs lautet , daß die getreu e Beschreibung der "Grundbestandteile unserer Vorstel­lungsinhalte " in den achtziger und neun ziger Jahren von Brentano doch ontologisiert wurde.

176

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REISMUS 177

gen aus den achtziger Jahren (EL 72 und EL 80) bis zum Wahrheitsvortrag (1889)und zur Deskriptiven Psychologie (1890/91) - miteinander vergleicht, sieht man,daß seine Ontologie der Intentionalität zu dieser Zeit in stetigem Fluß war. Brentanoversuchte, seiner Intentionalitätstheorie immer genauere ontologische Gestalt zugeben, ohne jedoch jene Form zu erreichen, mit der er wirklich zufrieden gewesenwäre. Konsequenterweise finden wir nirgendwo eine Lehre, die man als die endgül­tige Lehre vom immanenten Objekt betrachten könnte . Was uns die Schriften dermittleren Periode bieten, ist vielmehr ein Bündel von Ideen, die häufiger miteinan­der konkurrieren als sich gegenseitig vervollständigen. Es ist deshalb nicht verwun­derlich , daß Brentano mit seiner Theorie zunehmend unzufrieden wurde . Schon um1893 setzten bei ihm ernsthafte Zweifel ein, die letztlich um 1904 in eine Theoriemündeten, die alle irrealen Entitäten der mittleren Periode als Fiktionen der Spracheverwarf und die man gewöhnlich Brentanos Reismus nennt.

Der späte Brentano wollte zum großen Teil zur konzeptualistischen Auffassungzurückkehren. Er behauptete noch einmal , daß viele Redeweisen, die von unge­wöhnlichen Entitäten zu handeln scheinen, keine ontologischen Verpflichtungenimplizieren. Diesmal begnügte er sich allerdings nicht mit einer bloßen Deklaration,sondern versuchte zu zeigen, daß sich alle sprachlichen Konstruktionen, die sichanscheinend auf Irrealia beziehen, tatsächlich so umformulieren lassen, daß dieBezugnahme auf Irrealia verschwindet. Der junge Brentano versuchte gewisse Re­deweisen ontologisch zu bagatellisieren, der späte Brentano versuchte sie aus demphilosophischen Diskurs zu eliminieren .

5 .1 SUBSTANZEN UND AKZIDENTIEN

Die späte Ontologie Brentanos wird oft als .reistisch" bezeichnet, weil sie nurDinge als legitime Bewohner des philosophischen Universums akzeptiert, wobei einDing ein individuelles Konkretum der nominalen Form ist. Dem späten Brentanozufolge gibt es also weder Universalien, noch individuelle Abstrakta (wie Tropen),noch irgendwe1che propositionalen Entitäten . Ontologisch legitime Dinge sind fürBrentano in erster Linie die drei-dimensionalen physischen Körper und die nicht­physischen Geister, die er manchmal positiv als null-dimensional (Brentano 1933,S. 159) und manchmal rein negativ als nicht-räumlich (Brentano 1933, S. 270) be­zeichnet. Brentano ist aber bereit, auch "einen Topoid von mehr als 3 Dimen­sionen" als ein Ding zu klassifizieren. (Brentano 1933, S. 4)

Dazu kommen alle Komplexe und Teile (Brentano nennt sie "Kollektive" und.D ivisiva"), die sich aus solchen Dingen "zusammensetzen" bzw. "ausschneiden"lassen . Als Dinge sind sie vom ontologischen Standpunkt aus völlig gleichbe­rechtigt. Der junge Brentano betrachtete Kollektive und Divisiva Aristoteles fol­gend als etwas lediglich dem Vermögen nach Seiendes, der mittlere Brentano hieltsie für nicht-reale Entitäten . Nun neigt Brentano zu einem Prinzip der unbeschränk­ten mereologischen Toleranz, nach dem jedes beliebige, egal wie "unnatürliche"und "unzusammenhängende" Kollektiv, als ein Ding zu betrachten ist. Nach diesemPrinzip wäre also auch ein Ganzes, das aus dem Mailänder Dom und der Hälfte derTomate auf meinem Tisch besteht , ein Ding - ein Ding, das übrigens Eigenschaften

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178 KAPITEL 5

hat, die weder dem Mailänder Dom, noch der Hälfte der Tomate auf meinem Tischzukommen.

Diese Tendenz zur mereologischen Toleranz konnten wir bereits im letztenKapitel anhand der Texte aus der Zeit um 1900 beobachten. (Brentano 1992/93 undBrentano 1993) Gibt es zwei Dinge a und b, dann gibt es - so meint Brentano ab1900 - automatisch auch das Kollektiv a+b. Sind a und b teilbar, dann gibt es - sobehauptet er spätestens ab 1904 - auch viele Divisiva (wie z.B. ein Drittel von a,eine Hälfte von b etc.). Alle diese Gegenstände existieren ferner in demselben Sinnewie a und b - d.h. als Dinge . Das bedeutet jedoch nicht, daß sie irgendwie nebenden Dingen a und b als zusätzliche Entitäten existieren .l'" Die Prinzipien zur Kon­struktion von Entitäten, die der späte Brentano annimmt, sind mereologisch, nichtmengentheoretisch. Das Brentanosche Kollektiv, das aus a und b besteht, bildetseinen eigenen (unechten) Teil in demselben Sinne, in welchem a und b echte Teiledieses Kollektivs bilden. Im Fall einer Menge {a, b} und der Relation E verhält essich natürlich anders. Die Gegenstände a und b sind Elemente dieser Menge(a E {a, b} und b E {a, b}), während die Menge {a, b} selbst nicht zu ihren Ele­menten gehört ({a, b} E: {a, b}). Selbst a und die Einerklasse {a} sind als verschie­dene Entitäten zu interpretieren, was der späte Brentano immer als einen großenontologischen Unsinn betrachtete.

Außer Individualität, Konkretheit und nominaler Form gibt es allerdings nocheine Bedingung, welche Brentanos Dinge erfüllen müssen. Sie sind individuelleKonkreta der nominalen Form, die jetzt existieren . Der späte Brentano läßt wedernicht-existierende, noch zeitlich modifizierte Gegenstände ZU . 168

Im Gegensatz zur Theorie der Würzburger Periode betrachtet der späte Brentanoseine Dinge jedoch nicht als unstrukturierte Ganzen , die nur fiktiv von einem Ver­stand zerlegt werden können. Die Dinge des späten Brentano haben eine ontolo­gisch ernst zu nehmende Struktur, weil man in ihnen Substanz und Akzidentienunterscheiden kann. Die Theorie der Akzidentien bildet deshalb einen der zentralenBestandteile seiner späten Ontologie .

Akzidentien können für den späten Brentano weder Universalien, noch individu­elle Abstrakta sein. Sie müssen daher individuelle Konkreta sein, genau wie dieSubstanzen, deren Akzidentien sie sind. Dabei soll folgendes gelten : (i) Ein Akzi­dens ist von seiner Substanz ontologisch abhängig, es kann die Vernichtung seinerSubstanz nicht überstehen. (ii) Die Substanz ist hingegen ontologisch selbständig,jedes Akzidens kann wegfallen, ohne daß seine Substanz dadurch vernichtet wird.(iii) Das Hinzukommen eines Akzidens bedeutet eine (akzidentelle) Veränderung(Bereicherung) des Gegenstands, ein Ding a mit einem Akzidens unterscheidet sich

167 ,,[U)nter einem Seienden, wenn man das Wort im eigentlichen Sinne gebraucht, versteht man einDing wie z.B. einen Körper, einen Geist oder einen Topoid von mehr als 3 Dimensionen. Dabei kannaber auch der Teil eines Körpers oder Topoids ein Ding genannt werden, und so erkennt man, daß rechtwohl auch mehrere Dinge zusammen ein Ding genannt werden können , nur darf man nicht glauben , daßdie beiden Teile zusammengefaßt als ein drittes Ding zu zwei Dingen hinzukommen.", Brentano 1933,S.4.16 8 "Fragen wir, was es denn im eigentlichen Sinn des Wortes gebe, so ist darauf zu antworten, das wasmit Recht in dem Modus präsens anzuerkennen ist.", Brentano 1933, S. 18.

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REISMUS 179

vom Ding a ohne dieses Akzidens. (iv) Ein Akzidens ist aber dabei genau so indi­viduell und konkret wie seine Substanz.

Die Theorie, die nach Brentano alle diese Aussagen wahr macht, faßt ein Akzi­dens als ein Ganzes auf, das seine Substanz als Teil enthält. Das Verhältnis Teil­Ganzes ist in diesem Fall jedoch einzigartig. Ein Akzidens ist zwar nicht dasselbewie seine Substanz, es bereichert seine Substanz, fügt aber keinen neuen Teil hin­zu.169 Dies ist ein schwieriger Punkt, den wir im Folgenden näher zu erläutern ver­suchen.

Wir sehen, daß der späte Brentano alle ontologischen Verhältnisse mittels mere­ologischer Metaphern zu meistem versucht. Die mereologische Redeweise gewinntdabei einen Sinn, der viel wörtlicher zu nehmen ist, als wenn er in der frühen undmittleren Periode von den "Teilen des Seienden" spricht. Insbesondere bildenKollektive und Divisiva des späten Brentano Teile und Ganzen im für die exten­sionale Mereologie paradigmatischen Sinne. Das Teil-Ganzes-Verhältnis erfüllt hierzumindest drei wichtige Bedingungen : Irreflexivität, Transitivität und Supple­mentativität. In Baumgartner/Simons 1992/1993 finden wir dafür die folgendenAxiome:

IRREFL: FOralle a und b: wenn a ein Teil von b ist, so ist b kein Teil von a.TRANS: Für alle a, bund c: wenn a ein Teil von b ist und b ein Teil von c ist, so ist a ein Teil von c.SUPPL: Für alle a und b: wenn a ein Teil von b ist, dann gibt es c derart, daß c ein Teil von b ist und

c disjunkt von a ist. (Baumgartner/Simons 1992/1993 , S. 56 f.) 170

(Dabei sind zwei Gegenstände genau dann mereologisch disjunkt, wenn sie keinegemeinsamen Teile haben.)

Die Besonderheit der Substanz-Akzidens Beziehung kann nun so präzisiert wer­den: Sie ist eine Teil-Ganzes Beziehung, die die Bedingung der Supplementativitätverletzt. Ein Akzidens "enthält seine Substanz als Teil, fügt aber keinen zweitenTeil als etwas ganz neues hinzu [...]." (Brentano 1933, S. 11) Es gibt also keinenTeil des Akzidens, der von der im Akzidens enthaltenen Substanz distinkt wäre.

Der Hauptgedanke, dem Brentano hier folgt, läßt sich so darstellen: Gemäß demPrinzip der mereologischen Toleranz, wonach alles, was sich aus den gegebenenDingen zusammensetzen oder ausschneiden läßt, ein vom ontologischen Standpunktgleichberechtigtes Ding ist, ist jeder Teil eines Gegenstands (nennen wir diesen Teila), der von einem anderen Teil dieses Gegenstands (nennen wir diesen Teil b) dis­junkt ist, als ein von b distinktes Ding zu betrachten. Das heißt, daß a auch ohne bexistieren könnte, denn zum Begriff eines Dings gehört die ontologische Selbstän­digkeit. Dinge sind ja konkrete Gegenstände. Nun steckt im Begriff eines individu­ellen Akzidens aber, daß es in Bezug auf seine Substanz ontologisch unselbständigist. Es ist eine Entität, die beim Untergang seiner Substanz zwangsläufig ebenso

169 "Ein Seiendes im eigentlichen Sinne ist nicht bloß jede Substanz , sondem auch jedes Akzidens .Dieses enthält seine Substanz als Teil , fügt aber keinen zweiten Teil als etwas ganz neues hinzu [...]." ,Brentano 1933, S. 11.170 Wenn wir eine mereologische Theorie konstru ieren wollen, die den Begriff Teil wirklich gemäßseiner intuitiven Bedeutung bestimmt, dann brauchen wir viel stärkere Axiome als eine bloße Konjunk ­tion von IRREFL, TRANS und SUPPL. Vgl. dazu Simons 1987, S. 26--37, Lesniewski 1992, S. 230­232,316.

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180 KAPITEL 5

verschwindet; und was im gegenwärtigen Kontext besonders wichtig ist: Das Akzi­dens verschwirtdet dabei komplett. Es gibt keinen Teil des Akzidens, der den Unter­gang seiner Substanz überstehen könnte, was bedeutet, daß es keine Teile des Akzi­dens gibt, die von seiner Substanz disjunkt sind. Wenn wir also das ontologischeVerhältnis Substanz-Akzidens überhaupt als ein Teil-Ganzes-Verhältnis betrachtenwollen, dann muß SUPPL außer Kraft gesetzt werden. Wir werden solche substan­tialen Teile, deren Enthaltensein in einem Akzidens-Ganzen diesen ontologisch ein­zigartigen Charakter hat, im Weiteren als "S-Teile" bezeichnen .

Obwohl Brentanos mereologische Ontologie für alle Ding-Kategorien geltensoll, ist es speziell das Gebiet des Psychischen, auf das sich seine besondere Auf­merksamkeit richtet. Das gilt ganz besonders für die Theorie der Akzidentien, dennAkzidentien, die uns kognitiv zugänglich sind, soll es Brentano zufolge nur auf demGebiet des Psychischen geben. Typische Beispiele von Akzidentien sind dement­sprechend eine Vorstellung oder ein Urteil. Es sind psychische Akte, die zu existie­ren aufhören können, ohne daß die psychische Substanz (die Seele) verschwindenmuß.

Entsprechend seiner Theorie, die Akzidentien als konkrete Ganzheiten interpre­tiert, die ihre Substanzen als S-Teile enthalten, spricht der späte Brentano selten voneiner Vorstellung oder einem Urteil . Damit wären Abstrakta gemeint, die für ihreKonkretisierung noch einen substantialen Träger brauchen . Brentano spricht statt­dessen von einem Vorstellenden oder einem Urteilenden, wodurch der substantialeTräger schon mitbezeichnet ist.171 Ein Vorstellender enthält ein denkfähiges Sub­jekt , ein Urteilender enthält in ähnlicher Weise einen Vorstellenden (und a fortioriein denkfähiges Subjekt) . Nach dem späten Brentano gibt es also auch Akzidentien"höherer Ordnung" - Akzidentien von Akzidentien . Jede Kette von Akzidentien hö­herer Ordnung muß aber schließlich zu einem Träger, der noch kein Akzidens ist, ­d.h. zu einer Substanz - führen. Jedes Seiende muß dementsprechend eine Substanzals seinen S-Teil enthalten . Brentano kann dementsprechend seine späte Ontologiefolgendermaßen zusammenfassen:

Es bleiben nur die Substanzen und konkreten Akzidentien . Diese sind erweiterte Substanzen . EineSubstanz ist als Teil in ihnen begriffen. Somit kann man sagen , alles , was Substanz enthält, ist real.(Brentano 1977, S. 324)

5 .2 ATOME UND KONTINUA

Die Ontologie des späten Brentano enthält also nur die gegenwärtige individuelleKonkreta . Diese Konkreta sind entweder Geister (Seelen) oder Körper. Geister sindmereologische Atome. Sie sind Substanzen der psychischen Eigenschaften wie Vor­stellungen, Urteile und Gemütsbeziehungen. Solche psychischen Eigenschaftenkönnen ersatzlos entfallen, ohne daß die Existenz ihrer Substanz in irgendwelcher

171 Vgl. "Zu diesen Namen , die nicht wahrhaft etwas nennen, geh ören die Abstrakta, welch e die Spra­che wahren konkreten Namen zurseite stellt. Alle Sätze , worin ein abstrakter Ausdruck im Sinne derAristotelischen 'Formen' zum Subjekt gemach t ist, sind nicht wahrhaft Prädikationen. Nicht Röte son­dern ein Rotes kann man vorstellen ." , Brentano 1933, S. 235. Chisholm spricht im Zusammenhang da­mit von der Theorie der konkreten Prädikation beim späten Brentano. Vgl. Chisholm 1982a , S. 5.

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REISMUS 181

Weise gefährdet würde. Die psychischen Akte sind dementsprechend Akzidentienvon substantialen Seelen. Körper sind hingegen räumliche Kontinua, die prinzipiellad infinitum geteilt werden können. In der äußeren Erfahrung sind uns keine Akzi­dentien von Körpern gegeben. Sowohl räumliche Position als auch Qualität betrach­tet der späte Brentano als substantiale Eigenschaften.172

Wir sind dem Begriff des Kontinuums bei Brentano schon mehrmals begegnet.Auch in seiner späten Philosophie spielt er eine große Rolle. Brentano behauptet,daß wir in allen unseren äußeren und inneren Wahrnehmungen Kontinua gegebenhaben. (Brentano 1976, S. 9) In der äußeren Wahrnehmung erscheinen uns Körperund in der inneren Erfahrung erfassen wir Z.B. das Sehen des Körpers, das als einpsychisches Akzidens zwar nicht räumlich ausgedehnt ist, dennoch aber Brentanozufolge eine analoge kontinuierliche Komplexität involvieren muß. Der Begriff desKontinuums wird nach Brentano direkt aus solchen Wahrnehmungen abstrahiert.(Brentano 1976, S. 6) Er braucht nicht mittels komplizierter mengentheoretischerOperationen konstruiert werden, wie es Poincare und Dedekind verlangen. (Bren­tano 1976, S. 3-5)

Auf diesem Weg kommen wir zum nächsten Aristotelischen Begriff, dem wir beiBrentano ebenfalls bereits begegnet sind - zum Begriff einer Grenze. Durch eineapriorische Folgerung können wir nämlich wissen, daß ein Kontinuum den Begriffeiner Grenze und den der Koinzidenz von Grenzen involviert (Brentano 1976, S. 7;vgl. auch Aristoteles, Physik, 227a 11-12), obwohl wir die einzelnen Grenzeneigentlich nicht erfahrungsmäßig gegeben haben. (Brentano 1976, S. 12) Die Gren­zen, aus denen ein gegebenes Kontinuum besteht, haben immer um eine Dimensionweniger als das betreffende Kontinuum. Eine Gerade ist durch Punkten begrenzt,eine Fläche durch Linien, ein drei-dimensionaler Körper durch Flächen usw.

Es gibt verschiedene Kontinua. Das erste Charakteristikum, nach dem sich dieKontinua voneinander unterscheiden, ist (i) die Anzahl der Dimensionen. Ein 1­dimensionales Kontinuum ist ein Kontinuum, dessen Grenzen keine Kontinua mehrsind. Ein n-dimensionales Kontinuum hat Grenzen, die selbst Kontinua von n-1Dimensionen sind. (ii) Kontinua zerfallen ferner in solche, die selbständig existie­ren, und solche, die nur als Grenzen in einem anderen Kontinuum bestehen (Bren­tano 1976, S. 14), wobei es sich sowohl um äußere (wie z.B. die Oberfläche einerKugel), als auch um innere Grenzen (wie z.B. die Linie, die sich im Inneren einerKugel befindet) handeln kann. (iii) Eine weitere wichtige Unterscheidung teilt Kon­tinua in chronische und topische . Chronische Kontinua bestehen nur einer ihrerGrenzen nach, wofiir das beste Beispiel die Zeit ist. Topische Kontinua bestehenhingegen allen ihren Grenzen nach. (Brentano 1976, S. 21)

Aus solchen Gegenständen können dann beliebige Kollektive und Divisiva ge­bildet werden, wovon jedes ein ontologisch gleichberechtigtes Ding ist. Alle dieseDinge können Akzidentien haben, die wieder Dinge sind, die ihre Substanzen als S­Teile enthalten.I

?3 Das ontologische Universum des späten Brentano sieht also fol­gendermaßen aus:

172 Er ändert diese Ansicht in seinem letzten Lebensjahr, in dem er sinnliche Qualitäten als Akzidentienvon räumlichen Positionen betrachtet. Vgl. Brentano 1976, S. 209; Brentano 1933, S. 269.173 Erfahrungsmäßig sind uns aber nur psychische Akzidentien gegeben .

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182 KAPITEL 5

I Realia II

I

ISubstanzen

- - - - - --- -----I I

substantielleEigenschaften

(Fiktionencum fundamentoin re)

akzidentelleEigenschaften

.- - - - - - - - - - -- ---.: ImPlikation> :

"eigene" Eigenschaften. die ausEigenschaften den Verhältnissen der

~ Teile zueinander folgen

zusammengesetzteI I

I I

--~-----------: ~ '--'-,----1-------------:einfache

~ [?]r-.. ---------~

1- - - - - - -

KollektiveKontinuaGeister Punkte

(Grenzen) " : - -,;I I I I I _ - - I I I

- - - - - - - - - - - - - - - - - - .- - - - - - -I - :. ~ - :: - - - - - - - - - / - , - - -

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o

I

bo

Geister Körper

In der Welt gibt es in erster Linie Substanzen, d.h. Geister und Körper. Geister sindunteilbare mereologische Atome, Körper sind Kontinua , die Koinzidenzen vonGrenzen sind. Zu den Substanzen gehören auch alle Kollektive und Divisiva , dieman im Rahmen dieser Welt konstruieren kann. An einigen Stellen bezeichnetBrentano auch die Grenzen , aus denen Kontinua bestehen , als Substanzen. (Bren­tano 1933, S. 249) In diesem Fall hätten wir es allerdings mit einer untypischenSubstanz zu tun, nämlich mit einer solchen , die in ihrer Existenz von dem Konti-

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REISMUS 183

nuum, dessen Grenze sie ist, ontologisch abhängig ist. 174 Andererseits gibt es jedochKontinua (nämlich chronische), die nur einer ihrer Grenze nach sind.175 In diesemFall ist also die Grenze in der Tat das einzige, was wirklich ist, und das Kontinuumvon dem diese Grenze abhängig ist, existiert, mit der winzigen Ausnahme der ge­genwärtigen Grenze, zum Teil schon nicht mehr, zum Teil noch nicht. (Vgl. Bren­tano 1977, S. 382)

Die Substanzen zerfallen dementsprechend in einfache (Geister und räumlichePunkte, falls wir die letzteren doch als Substanzen betrachten wollen)t76und zusam­mengesetzte (Kontinua und Kollektive).

Die Eigenschaften, die ohne Untergang ihrer Substanz nicht entfallen können,heißen substantiale Eigenschaften. Solche substantialen Eigenschaften sind entwe­der (i) "eigene" Eigenschaften von Substanzen oder (ii) sie "ergeben sich" aus denVerhältnissen, in welchen Teile von zusammengesetzten Substanzen zueinanderstehen . Da diese Verhältnisse, kraft der These der Supervenienz von Relationen aufdie monadischen Eigenschaften ihrer Glieder reduzierbar sein müssen, erweist essich, daß alle Eigenschaften der Art (ii) auf die Eigenschaften der Art (i) reduzier­bar sind . Solche substantialen Eigenschaften werden übrigens , wie wir noch sehenwerden, durch eine konzeptualistische Technik wegerklärt .

5.3 RE LA nONEN

In einem Fragment vom 28. September 1908 (Brentano 1933, S. 57) klassifiziertBrentano explizit Relationen als kollektive Bestimmungen - d.h. als Bestimmungen,die den Gegenständen zukommen, die aus vielen Dingen bestehen . Solche Kollek­tive sind nun, wie wir wissen, Dinge, und Relationen sind dementsprechend imGrunde monadische Eigenschaften solcher (zusammengesetzten) Dinge - Eigen­schaften, die aus den Verhältnissen ihrer Teile zueinander resultieren (wobei dieseVerhältnisse wieder aufmonadische Eigenschaften dieser Teile reduzierbar sind).

Brentano nennt als Beispiel das Bunt-Sein eines Eis. Ein Ei ist bunt, weil seineTeile verschiedene Farben haben und weil sie zueinander in bestimmten räumlichenVerhältnissen stehen, die ihrerseits aus den entsprechenden absoluten räumlichenPositionen resultieren. In einem gewissen Sinne sind also Relationen (als monadi­sehe Eigenschaften von Kollektiven) genau so ontologisch wichtig wie andereEigenschaften. In einem anderen Sinne (wenn wir sie als etwas, was gewissermaßen"zwischen" den Gliedern besteht, interpretieren wollen) sind sie nach wie vor, wie

114 Vgl. "Gibt es räumlich ausgedehnte Substanzen, bei welchen nur Grenzen und in letzter InstanzPunkte als letzteinheitliche Subjekte gelten können, so zeigt sich bei ihnen ein relativer Charakter, dersich ähnlich bei geistigen Substanzen nicht findet.", Brentano 1933, S. 244.175 Vgl. "Man kann vielleicht sagen, der Begriff des Seienden im eigentlichen Sinne decke sich mit demdes Gegenwärtigen. Jedes Gegenwärtige sei aber ein zeitlich Ausgedehntes, welches einem Momentenach gegenwärtig sei und sei.", Brentano 1933, S. 12.116 Chisholm (1982a, S. 13) besteht darauf, daß die Brentanoschen Grenzen weder Substanzen nochAkzidentien sind.

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184 KAPIT EL 5

es Aristoteles wollte, "am wenigsten ein Wesen und etwas Seiendes". (Metaphysik,1088a 30-31)177

Die Relationslehre des späten Brentano war jedoch mehrdimensional. Die Auf­fassung, wonach die Relationen als kollektive Bestimmungen zu interpretieren sind,ist nur ein Aspekt dieser Lehre . Wir erinnern uns, daß der junge Brentano einzigar­tige l-stellige Relationen akzeptierte , wie z.B. die zeitlichen Relationen zu einemvergangenen Gegenstand. In der mittleren Periode wurden alle diese Relationen zunormalen 2-stelligen Relationen, bei denen jedoch ein Glied eine irreale Entität ist.Der späte Brentano akzeptiert keine Irrealia und kehrt zur Idee der I-stelligen Rela­tionen zurück. Denn es zeigt sich für ihn, daß sich solche Relationen auf monadi­sehe Eigenschaften reduzieren.

In einem Manuskript vom 8. Januar 1915 protestiert Brentano gegen die Auffas­sung, die alle Relativa als Irrealia klassifiziert . Diese Auffassung hat unter anderemMarty vertreten. Sie stützte sich in erster Linie auf das Argument, daß die relativenBestimmungen auch ohne irgendwelche Veränderung des Gegenstands, dem sie zu­kommen , entfallen können . Das involviert aber dem späten Brentano zufolge dieVoraussetzung der notwendigen Zweigliedrigkeit aller Relationen - eine Voraus­setzung, die der späte Brentano verwirft. Viele Relationen - meint er jetzt - beste­hen wohl auch dann, wenn es nur ein Glied gibt. Relationen , die beide Gliederbrauchen, stellen eher eine Ausnahme als die Regel dar.

Mit einer relativen Bestimmung haben wir es dann zu tun, wenn in der Zuschrei­bung dieser Bestimmung außer dem Subjekt, das in recto erwähnt wird, noch einanderer Gegenstand in obliquo genannt werden muß. Im Gegensatz zu seiner Theseaus den achtziger Jahren :

Wird das relativ Bezeichnete anerkannt. so wird außer ihm zugleich das anerkannt, in Bezug worauf esbestimmt wird . (Brentano EL 80, S. 40)

meint Brentano jetzt, daß im Allgemeinen nur das, was in recto vorgestellt wird(das Fundament der Relation) , eigentlich anerkannt wird. Von dem in obliquo vor­gestellten (dem Terminus der Relation) gilt das nur ausnahmsweise. (Brentano1933, S. 169)

Es gibt insgesamt sechs Hauptklassen von Relationen, die der späte Brentanoaufzählt: (1) komparative Relationen , (2) Kausalrelationen, (3) intentionale Bezie­hungen, (4) zeitliche Relationen, (5) "das eigentümliche Verhältnis der Grenze unddes durch sie begrenzten Kontinuums", (6) die Teil-Ganzes-Relationen. (Brentano1933, S. 167-170) Zumindest für die Gruppen (2), (3) und (4) ist es dem späten

177 Vgl. "Zu den absoluten wirklichen Bestimmungen [...) kommen dann die relativen Bestimmungeneiner Substanz inbezug auf eine andere . Sie sagen nichts aus, was nicht in der Vereinigung gewisserabsoluter Bestimmungen, die der einen und anderen Substanz zukommen , vollständig beschlossen ist.Sie geben die Bestimmung aber, indem sie das eine Korrelat in recto , das andere in obliquo berücks ich­tigen. Dies ist das einzige, was dem entgegensteht, zu sagen, daß das Subjekt der Prädikation nichtmehr eine Substanz , sondern ein Kollektiv von Substanzen sei. Und wie ein Kollektiv von Substanzenaufhören kann, ohne daß die eine derselben aufhört oder irgendwie alteriert wird, so kann auch einerelative Bestimmung verloren werden, ohne daß irgendetwas an dem Dinge, das sie gehabt hat, sichändert . So sind denn diese wirklichen Bestimmungen, wie Aristoteles sagt, viel weniger noch zur Reali­tät einer Substanz zu rechnen.", Brcntano 1933, S. J20 f.

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REISMUS 185

Brentano zufolge offensichtlich, daß der Terminus nicht zu existieren braucht,damit die Relation bestehen kann. Hans denkt an einen Zentauren, den es nicht gibt.Peter lebt später als Karl der Große, der (als vergangen) ebenfalls nicht existiert .Und was die Kausalbeziehungen betrifft, so spricht man oft "von mittelbaren Ursa­chen, und diese gehen meist, wenn auch nicht immer, der Zeit nach voran." (Bren­tano 1933, S. 168)178

Auch wenn wir die Kontinua unter die Lupe nehmen, finden wir unter ihnen, wiewir gesehen haben, chronische, die nur einer ihrer Grenzen nach bestehen. In derTat ist dies sogar die ontologische Struktur aller Dinge, die wir in unserer Erfah­rung gegeben haben. Wir erfahren ja nur Dinge, die jetzt existieren. Dieses Jetzt istjedoch eine Grenze und involviert als solche die Beziehung auf ein Kontinuum,dessen Grenze es ist. Das betreffende Kontinuum muß also immer in obliquogedacht werden, trotz der erstaunlichen Tatsache , daß es ein solches Kontinuumtr . ht 'b 179S eng genommen ntc gl t.

Schließlich werden sogar die komparativen Relationen (I) zu solch ein-stelligenRelationen erklärt.

Und wie verhält es sich bei Vergleichsbestirnmungen? Sind eine Million Menschen nicht immer weni­ger als eine Billion, ob nun soviel existieren oder nicht? Von einem Entfall des Relativs ohne Änderungdes Subjekts scheint also auch hier nicht die Rede? (Brentano 1933. S. 168)

Die Argumentation Brentanos hier scheint auf den ersten Blick nicht besonderseinleuchtend zu sein. Geht es um eine Relation, die zwischen zwei Gruppen vonMenschen besteht, so scheint sie nicht zu bestehen, wenn eine der Gruppen fehlt.Geht es aber um eine relative Bestimmung, die soviel besagt wie, daß eine Gruppeweniger Mitglieder enthält als eine Billion, so ist das, wie es scheint, eine mona­disehe Eigenschaft der Gruppe , die als solche die Existenz anderer Gegenständenicht erfordert.

Um die Argumentation Brentanos zu verstehen, müssen wir uns bewußt sein, daßseine späte Ontologie explizit reduktiv ist. Der junge Brentano konnte alle uner­wünschten Entitäten als "nicht-real" verharmlosen. Der späte Brentano muß allediese Entitäten jedoch eliminieren. Er muß zeigen, daß sie sich im Grunde aufandere (ontologisch weniger problematische) Entitäten reduzieren lassen. Die Rela­tionen als Entitäten, die irgendwie "zwischen" zwei Gegenständen stünden, wärenfür den späten Brentano sehr schwierig zu akzeptieren. Wenn man dann das Zu­kommen der relativen Bestimmungen vom Bestehen der entsprechenden Relationenabhängig machen würde, würden solche relativen Bestimmungen natürlich "ohne

178 Wir können allerdings auch von einer Beziehung des Gewirktwerdens sprechen. die Gleichzeitigkeitvoraussetzt. Vgl. ..Anders ist es bei der Beziehung des Gewirktwerdenden zu dem Wirkenden. Hiermuß der Terminus zugleich mit dem Gewirktwerdenden wirklich sein. und nur solange dauert dasGewirktwerdende als solches. als ein Wirkendes als solches besteht. ... Brentano 1933. S. 283.179 Es ist allerdings zu betonen. daß die Nicht-Existenz der vergangenen und zukünftigen Gegenständedoch etwas anderes bedeutet als die Nicht-Existenz von bloßen Fiktionen . Die vergangenen undzukünftigen Gegenstände können nämlich in den entsprechenden zeitlichen Modi richtig anerkanntwerden. Karl den Großen gibt es zwar nicht , aber er war. während es einen Zentauren weder gibt, nochgab. noch geben wird.

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186 KAPITEL 5

Veränderung des Subjekts verschwinden", was für Brentano em unzweideutigesZeichen der Irrealität der betreffenden Bestimmung war.

Die Strategie Brentanos besteht aus zwei Schritten . Im ersten Schritt versuchter zu zeigen, daß es keine relativen Bestimmungen gibt, deren Zukommen vom Be­stehen der entsprechenden Relation abhängig wäre. Brentano schreibt:

Dazu kommt noch ein zweites Moment , das irreführt . Der sprachliche Ausdruck für Relativa besagt invielen Fällen mehr als das bloße Beziehen, indem er nämlich auch die Anerkennung von etwasausspricht, was außerhalb des in modo recto Gedachten liegt. So ist es, wenn ich sage "Cajus ist größerals Titus", was ja so viel heißt wie .Cajus ist größer, als Titus ist". Eben dieser Umstand, daß hier nochüber etwas außerhalb des Subjekts eine Aussage gemacht wird, erzeugt den Anschein, als ginge dasrelative Attribut verloren ohne Änderung am Subjekte . Sobald wir aber das, was bloß relatives Attributist, rein herausheben, verschwindet dieser Schein . (Brentano 1933, S. 174)

Wie Alfred Kastil in einer Fußnote zur Kategorienlehre bemerkt (Brentano 1933,S. 337, Fußnote 22), scheint hier Brentano die Existenz des Terminus der Relationals eine denominatio mere extrinseca zu interpretieren. Mit der denominatio mereextrinseca haben wir zu tun, wenn in einer relativen Bestimmung eines GegenstandsMerkmale des Bezugsgegenstandes erwähnt werden, die für das Bestehen der Rela­tion eigentlich irrelevant sind. Bezeichnen wir Cajus als so groß wie einen zweiMeter großen Gegenstand, so ist dies nicht der Fall. Denn es ist genau die Größedes Gegenstands, die für das Bestehen der Relation verantwortlich ist. Bezeichnenwir ihn hingegen als so groß wie meine Lieblinsskulptur, oder so groß wie dereinzige Gegenstand in meinem Zimmer, der ausschließlich aus Holz besteht, dannhaben wir es mit einer denominatio mere extrinseca zu tun. Denn es besteht keinnotwendiger Zusammenhang zwischen den genannten Merkmalen und der Größedes Gegenstands, die doch allein über das Bestehen oder Nicht-Bestehen der Rela­tion entscheidet.

Was aber dieses "bloß relative Attribut" ist, von dem Brentano spricht, und dasaus dem sprachlichen Gewirr als das einzig ontologisch Wichtige übrigbleiben soll,ist nicht ganz klar. Es schein1, daß es sich um die absolute Bestimmung handelnmuß, welche die Grundlage der relativen Bestimmung bildet. In diesem Fall wäredas eine bestimmte Größe, die Cajus hat. Die relative Bestimmung "vergleicht"dann diese Größe mit einer bestimmten Größe, die (per accidens) Titus besitzt. Wasdie relative Bestimmung im Grunde sagt, ist also nach Brentano nicht, daß Cajusgrößer als Titus ist (was implizieren würde, daß es Titus gibt), sondern eher, daßCajus größer wäre als jeder, der die gleiche Größe hätte wie diejenige , die peraccidens Titus hat; und daß es so ist, hat seinen einzigen Grund in der absolutenGröße von Cajus.

In dieser Formulierung spielt also das irreale Konditional eine wichtige Rolle.Tatsächlich ist die Unreduzierbarkeit des irrealen Konditionals ein wichtiger Teildes Preises, den sowohl der junge als auch der späte Brentano für seine ontologi­schen Reduktionen bezahlen mußte .

Das war der erste Schritt zur Reduktion von Relationen . Der zweite Schrittbesteht darin, daß man zeigt, daß auch dann, wenn es den Terminus einer relativenBestimmung in Wirklichkeit gibt, diese Tatsache keine Relation involviert, dieontologisch mehr wäre als das bloße Kollektiv, das zwei betreffende Glieder zusam­men mit allen ihren monadischen Eigenschaften urnfaßt. Der Schlüssel dafür steckt

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REISMUS 187

in der These der Supervenienz von Relationen, die Brentano in Bezug auf alle "nor­malen" Relationen aufstellt. Relationen supervenieren auf den monadischen Eigen­schaften ihrer Glieder. Wenn es eine Relation R zwischen den Gegenständen a undb gibt, dann müssen a und b solche Eigenschaften haben, die das Bestehen derRelation R mit Notwendigkeit implizieren. Die Relation zwischen a und b bildet indiesem Sinne keine ontologische Bereicherung. In einer vollständigen Beschreibungder Welt braucht sie neben den monadischen Eigenschaften der Dinge nicht einmalerwähnt zu werden.

Die einzige Ausnahme bildet hier eine Untergruppe der Gruppe (6). Es handeltsich dabei um jene Teil-Ganzes-Relationen, die für das Verhältnis Substanz-Akzi­dens maßgebend sind. In seinem Entwurf zur Kategorienlehre vom Jahre 1916nennt es Brentano eine Kategorial-Beziehung. (Brentano 1933, S. 282) Solche Ka­tegorial-Beziehungen können keineswegs als interne Relationen interpretiert wer­den. Die These der Supervenienz gilt hier offensichtlich nicht, denn ein Akzidens istdoch per dejinitionem etwas, dessen Zukommen einer Substanz etwas kontingentes(eben etwas akzidentelles) ist. Die Kategorial-Beziehung zwischen einer Bestimm­ten Substanz und einem bestimmten Akzidens kann also keineswegs durch dieabsoluten Naturen der betreffenden Substanz und des betreffenden Akzidens impli­ziert werden.

Es gibt allerdings gute Gründe, in diesem Fall das Wort "Relation" überhaupt zuvermeiden. Wir haben es hier mit einem metaphysisch primitiven Nexus zu tun, derdie innere Struktur eines konkreten Individuums konstituiert und der aller Wahr­scheinlichkeit nach nicht wie eine normale Relation behandelt werden kann. Es istnicht einmal klar, ob die Rede vom Impliziert-Werden der Kategorial-Beziehungdurch die absoluten Naturen der betreffenden Entitäten überhaupt einen Sinn macht.Wenn man nämlich von der Kategorial-Beziehung sozusagen von der Seite desAkzidens her denkt, dann erscheint sie durchaus als intern , und zwar sogar im ur­sprünglichen Sinne Bradleys. Denn sie scheint in der Tat durch die Existenz einesihrer Glieder (nämlich des Akzidens) impliziert zu werden. Vergessen wir nicht,daß nach der reistischen Lehre Brentanos ein Akzidens ein Ganzes ist, das seineSubstanz als Teil enthält. Insofern es also ein bestimmtes individuelles Akzidensgibt, muß es auch seine Substanz geben.

Andererseits ist es aber die Hauptvoraussetzung der ganzen Theorie, daß keinAkzidens seiner Substanz mit Notwendigkeit zukommt. Von der Seite der Substanzerscheint also die Kategorial-Beziehung als extern . Denn wenn es dieses Akzidensnicht gibt, wird dadurch die Substanz als solche in keiner Weise beschädigt.

Diese Schwierigkeiten resultieren allerdings zum großen Teil aus einer zweideu­tigen Verwendung des Akzidensbegriffs . Diese Zweideutigkeit entspricht übrigensder Zweideutigkeit des Tropenbegriffs, auf die wir im ersten Kapitel aufmerksamgemacht haben. Wir haben dort zwischen den transferierbaren und untransferier­baren Tropen unterschieden, je nachdem, ob sie eine Zugehörigkeit zu einem be­stimmten Individuum eingebaut haben oder nicht. Ähnlich sehen die Dinge im Falldes spät-Brentanoschen Akzidensbegriffs aus. Einerseits sagt man, daß ein Akzi­dens einer Substanz zukommt, als ob es sich dabei um zwei verschiedene Entitätenhandelte, die ihre eigenen Naturen haben, welche die entsprechende Kategorial-

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188 KAPITEL 5

Beziehung implizieren oder nicht implizieren können. Andererseits besteht mandarauf, daß ein Akzidens seine Substanz als S-Teil enthält und deswegen gewisser­maßen alles, was zu ihrer absoluten Natur gehört, bereits als Teil seiner eigenenNatur hat.

Wir müssen uns also für eine dieser Redeweisen entscheiden. Betrachten wir einAkzidens als etwas, das noch keine bestimmte Substanz (sondern höchstens sozu­sagen "einen leeren Platz" für eine beliebige Substanz) involviert, dann muß dieKategorial-Beziehung zwischen diesem Akzidens und einer bestimmten Substanzals eine externe Relation betrachtet werden. Denn sowohl die genannte Substanzkönnte ohne dieses Akzidens existieren, als auch dieses Akzidens könnte eineranderen Substanz zukommen. Betrachten wir hingegen ein Akzidens als etwas, dasbereits eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Substanz involviert, dann ist dieKategorial-Beziehung zwischen dem Akzidens und seiner Substanz bereits imBegriff des Akzidens involviert.

Es scheint, daß der späte Brentano zwischen diesen zwei Begriffen von Akzi­dentien ein wenig oszillierte. Einerseits besteht er darauf, daß die Akzidentien alssolche reale Dinge sind, die ihre Substanzen als S-Teile enthalten. Andererseitsspricht er oft davon, daß die Akzidentien durch ihre Substanzen individuiert wer­den.180 Sind nun die Akzidentien wirklich reale Dinge, die ihre Substanzen bereitsenthalten, dann brauchen sie keine Individuation (und erst recht nicht eine Indivi­duation durch eine Substan z). Werden die Akzidentien hingegen erst durch die Sub­stanzen individuiert, dann sind sie an sich ontologisch unselbständige Abstrakta, dienur "im Allgemeinen" eine Zugehörigkeit zu einem substantialen Träger aufweisen(und damit übrigens auch den Rahmen der reistischen Ontologie sprengen) .

5.4 DI E INTENTIONALE BEZIEHUNG

Wir erinnern uns, daß es Gründe deskriptiver Natur waren, die in der mittleren Peri­ode der Brentanoschen Philosophie zur Erweiterung seiner Ontologie ftihrten. Bren­tano glaubte damals, jede Kategorie, die uns prima facie als deskriptiv zugänglicherscheint, als eine ernst zu nehmende ontologische Kategorie betrachten zu müssen.Diese methodologische Regel haben wir die Regel der unkritischen Deskriptivitätgenannt. Besonders effizient in der Produktion immer neuer ontologischer Kate­gorien hat sich diese Regel in der Verbindung mit der Brentanoschen Theorie derinneren Wahrnehmung erwiesen.

Eine intentionale Beziehung ist Brentano zufolge immer zweidimensional. Jederpsychische Akt hat neben seinem primären Objekt, d.h. dem Objekt, das wir demAkt vorphilosophisch zuordnen würden, noch sich selbst als sein sekundäres Ob­jekt. In jedem Akt des Sehens haben wir nicht nur das Gesehene, sondern auch dasSehen vor (den geistigen) Augen, in jedem Hören eines Tons erfassen wir "neben­bei" auch das Hören selbst, in jedem Denken an etwas denken wir auch an diesesDenken. Jedes Bewußtsein ist Brentano zufolge selbstreferierend.

180 Vgl. z.B. Brcntano 1933, S. 22, 37, 105, 108, 112, 131, ISO, 152, 246.

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REISMUS 189

Zentral für die Entwicklung der Ontologie der mittleren Periode war die Annah­me, daß eine solche innere Wahrnehmung den psychischen Akt in einer notwen­digen Zuordnung zu einem Objekt erfaßt. Erfassen wir das Sehen, so müssen wirzugleich die Tatsache erfassen, daß es ein Sehen von etwas ist. Es ist nach Brentanoein Definitionsmerkmal des Psychischen, daß es zwangsläufig "über etwas" ist ­daß es immer ein Objekt hat. Dazu kommt, daß nach Brentano innere Wahrneh­mung unfehlbar ist. Die Struktur der intentionalen Beziehung, die in ihr erfaßt wird,läßt sich also prinzipiell weder einfach leugnen noch subtil eliminieren.

Das Objekt, das wir dem Akt vorphilosophisch zuschreiben, gibt es jedoch sehroft nicht. Wir denken an Zentauren, haben Angst vor Gespenstern, und Brentanozufolge begegnen wir sogar in unseren äußeren "Wahrnehmungen" permanent Ob­jekten, die in der Form, in der sie uns erscheinen (d.h. mit sinnlichen Qualitäten"bekleidet") eigentlich nicht existieren. Die Korrelate der psychischen Akte, die vonder inneren Wahrnehmung erfaßt wurden, dürfen also nicht mit den vorphilo­sophisch verstandenen Objekten der Akte identifiziert werden. Sie müssen - soschließt Brentano - als eine besondere ontologische Kategorie interpretiert werden.Es sind Entitäten, die die psychischen Akte "begleiten", selbst wenn es in der vonden Akten unabhängigen Wirklichkeit keine Entsprechungen dafür gibt. Auf dieseWeise wurden diese irrealen Korrelate der psychischen Akte zu einer der zentralenontologischen Kategorien beim mittleren Brentano.

Der späte Brentano, der keine ontologischen Kategorien außer der Kategorie derrealen Dinge zulassen will, muß diese Folgerung abwenden. Die Aufgabe ist des­halb schwierig, weil Brentano weder die Unfehlbarkeit der inneren Wahrnehmungnoch die notwendige Zuordnung von Akt und Objekt preisgeben will.

Brentano betont jetzt, daß der Begriff Vorstellung eindeutig ist, was zur Folgehaben soll, daß alle Vorstellungsobjekte zu einer einheitlichen ontologischen Kate­gorie gehören müssen, nämlich zur Kategorie der realen Dinge . "So verschiedenesauch Gegenstand unseres Denkens werden kann," lesen wir, "es muß doch allesunter denselben allgemeinsten Begriff fallen, nämlich unter den eines Etwas d.h.eines Realen." (Brentano 1933, S. 18)18\ Was uns in der inneren Wahrnehmungerscheint, sind in erster Linie psychische Akzidentien, die der neuen OntologieBrentanos zufolge konkrete Dinge sind, die ihre psychischen Substanzen als S-Teileenthalten. Psychische Akte sind nun aber ihrerseits durch ein intentionales Gerich­tetsein charakterisiert , das den mittleren Brentano zur Einführung der immanentenObjekte veranlaßt hat. Wie kann er diesem Umstand im Rahmen seiner neuen Onto­logie Rechnung tragen?

181 Der späte Brentano führt diesen Gedanken oft als ein Argument für seine These an, daß nur Realiavorstellbar sind. Wir lesen z.B.: "Der Beweis stützt sich darauf, daß der Begriff des Vorstellens ein ein­heitlicher, daß der Name also univok, nicht äquivok ist. In diesem Begriffe liegt aber, daß jedes Vor­stellen etwas vorstellt, und es könnte, wenn dieses ' Etwas' nicht selbst eindeutig wäre, auch der Name'Vorstellen' nicht eindeutig sein. Ist dies gewiß, so ist es unmöglich, daß unter dem Etwas bald einReales (Ding), bald etwas Nichtreales zu verstehen ist. Denn es gibt keinen Begriff, der Realem undNichtrealem gemeinsam sein könnte. Dieser Beweis ist meines Erachtens schlechterdings entschei­dend.", Brentano 1977, S. 249. Ob die angeführte Stelle als ein plausibles Argument für die reistischePosition betrachtet werden kann, ist allerdings zweifelhaft. Vgl. dazu Wolenski 1994 und die dortberücksichtigte Literatur.

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190 KAPITEL 5

Der späte Brentano bietet uns dafür an verschiedenen Stellen zwei Techniken,mit denen man sich von den immanenten Objekten befreien kann. Manchmal betonter, daß die innere Wahrnehmung im Grunde genommen nur das Subjekt mit einereinzigartigen psychischen Eigenschaft erfaßt. In der Abhandlung Vom Objekt(Februar 1906) schreibt Brentano z.B., daß in der (scheinbaren) Anerkennung desObjekts eines Denkens, die man in einem Satz der Art: "Ein vorgestellter Zentaurist" ausspricht, eigentlich nur die Anerkennung des denkenden Subjekts involviertist. Nur der "Denkende mit einer eigentümlichen Differenzierung", sagt Brentano,wird anerkannt. (Vgl. Brentano 1977, S. 339) Die "eigentümliche Differenzierung",von der hier Brentano spricht, ist wohl eine monadische Eigenschaft, eine Eigen­schaft des auf-das-und-das-Gerichtetseins. "Der Denkende mit einer eigentümli­chen Differenzierung" wäre also nach der späten Lehre Brentanos ein Akzidens desSubjekts, d.h. ein konkretes Ding, das das Subjekt als seinen S-Teil enthält.

Diese Interpretation geht in die Richtung der sogenannten adverbialen Intentio­nalitätstheorie, die anstatt spezieller Ziel- oder Vermittlungsentitäten in der Erklä­rung des Intentionalitätsphänomens auf die monadischen Eigenschaften des Sub­jekts rekurriert. Ein Subjekt denkt an einen Hund, sagt uns ein Anhänger deradverbialen Theorie, genau dann, wenn er hundlieh denkt, wobei .Jiundlich" einCharakteristikum des Denkens ist. Wenn wir die Intentionalität so interpretieren,dann brauchen wir in einer Intentionalitätstheorie keine speziellen Objekte, wederin der Rolle der Ziel- noch in der Rolle der Verrnittlungsentitäten. Wir brauchen nurgewisse Eigenschaften "zweiter Stufe" (Eigenschaften von psychischen Eigenschaf­ten), die typischerweise mittels Adverbien zum Ausdruck gebracht werden.182 VieleStellen aus den späten Manuskripten Brentanos legen eine solche adverbiale Inter­pretation seiner Lehre nahe.

Es gibt aber auch andere Interpretationsmöglichkeiten . In der Tat betont derspäte Brentano wiederholt, daß das Objekt der Vorstellung, obwohl es nicht zu exis­tieren braucht und obwohl man keinen Stellvertreter von ihm hat, dennoch bei jederBeschreibung eines Vorstellenden in obliquo erwähnt werden muß.183 Das legt einanderes Bild der Intentionalität nahe, das sich wesentlich auf die ontologisch unver­pflichtende Deutung der recto/obliquo Unterscheidung stützt. Nach diesem Bildstellt die innere Wahrnehmung nicht nur das Subjekt der intentionalen Beziehungvor. Die innere Wahrnehmung ist .zweistrahlig". Sie involviert nicht nur eine Inten­tion in recto, die sich auf das psychische Subjekt bezieht, sondern auch einen Teil inobliquo, der sich auf das primäre Objekt richtet. Der Witz besteht nun darin, daß dieIntention in obliquo ontologisch unverpflichtend ist. Das primäre Objekt brauchtnicht zu existieren, damit die innere Wahrnehmung zutreffend ist.

182 Die Idee der adverbialen Theorie verdanken wir C. J. Ducasse. Vgl. "The hypothesis [...] is that'blue', 'bitter', ' sweet' , etc., are names not of objects of experience, nor of species of objects of ex­perience, but of species 0/ experience itse/f. What it means is perhaps made clearest by saying that tosense blue is then to sense b/ue/y, just as to dance waltz is to dance 'waltzily' (i.e., in the manner called'to waltz') [...].", Ducasse 1951, S. 259. Heutzutage wird sie vor allem mit Chisholm assoziiert.183 Vgl. z.B. "Fragt man, was eine relative Bestimmung im Unterschied von einer absoluten sei, so istzu antworten, wer eine relative Bestimmung in recto denkt, stellt immer auch etwas in obliquo vor. Sodenkt einer, der einen Sehenden denkt, in obliquo auch ein Farbiges, das von diesem gesehen wird.",Brentano 1933, S. 237 f. Vgl. auch Brentano 1977, S. 340.

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REISMUS 191

Im folgenden Schema haben wir die Zusammenhänge zwischen der Lehre vomimmanenten Objekt und den zwei Interpretationen der späten Lehre Brentanoszusammengefaßt:

psychisches Akzidens(Vorstellung)unabtrennbar von seinemimmanenten Objekt

sekundäres Bewusstseinerfasst den Akt insemer Zuordnur,gzu seinem irrea en Korrelat

reales Objekt(braucht nichtzu existieren)

Brentanos Lehreum 1890

immanentesQbjllktem irreales

\ Korrelat\ des Aktes

\

f

I\

\-,

primäreIntentionQSYChQ

Substanz

sekund äres Bewusstseinerfasst den Akt inseiner Zuordnungzu seinem (realen) Objekt

Vorstellungpsychisches Akzidens

Brentanos Lehreum 1904(relationaleInterpretation)

sekundäres Bewusstseinerfasst den Aktals ein monadischesAkzidens des Subjekts

reales Objllkt(braucht mchtzu existieren)

Brentanos Lehreum 1904(adverbialeInterpretation)

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192 KAPITEL 5

Nach Brentanos Lehre aus den achtziger-neunziger Jahren erfaßt die innere Wahr­nehmung den psychischen Akt in seiner notwendigen Zuordnung zum Objekt. Lautder Regel:

Wird das relativ Bezeichnete anerkannt, so wird außer ihm zugleich das anerkannt , in Bezug worauf esbestimmt wird. (Brentano EL 80, S. 40)

wird sowohl das Subjekt als auch sein Objekt in einer ontologisch verpflichtendenWeise anerkannt; und laut der These der Unfehlbarkeit der inneren Wahrnehmungmüssen sie beide existieren. Deshalb können wir im Rahmen dieser Theorie dieinnere Wahrnehmung, obwohl sie den psychischen Akt in recto und sein Korrelat inobliquo vorstellt, als im Grunde "einstrahlig" betrachten. Denn zwischen diesenzwei Modi der psychischen Repräsentation besteht kein Unterschied der ontologi­schen Verpflichtung, und das ist das einzige, was uns in diesem Kontext interessiert.Die Konsequenz ist, daß man zwischen dem immanenten Korrelat des Aktes unddem (eventuellen) transzendenten Objekt (das nicht zu existieren braucht) unter­scheiden muß. Wir erinnern uns, daß der mittlere Brentano gelegentlich auch vonden nicht-existierenden Gegenständen gesprochen hat. Diese Verkomplizierung las­sen wir allerdings beiseite.

Nach der relationalen Interpretation der späten Theorie bildet die Unterschei­dung recto/obliquo einen unentbehrlichen Teil des Mechanismus, mittels dessen diementale Realität repräsentiert wird. Die innere Wahrnehmung wird jetzt essentiellzweistrahlig, wobei nur der Teil in recto eine ontologische Kraft besitzt. Das Ergeb­nis ist, daß man kein immanentes Objekt einzuführen braucht und daß die Aufga­ben, die nach der früheren Theorie zum Teil durch das immanente, zum Teil durchdas transzendente Objekt erfüllt wurden, jetzt alle vom transzendenten Objekt über­nommen werden können. Das transzendente Objekt ist das, was existieren muß,wenn die äußere Vorstellung des Subjekts treffend sein soll. Es ist aber auch das,was in der inneren Wahrnehmung als das Objekt, das notwendigerweise der Vor­stellung zugeordnet wird, erfaßt wird, und zwar unabhängig davon, ob die betref­fende Vorstellung treffend oder untreffend ist. Das ganze Geheimnis besteht nundarin, daß dasselbe (äußere) Objekt einmal (in der äußeren Wahrnehmung) in recto,ein anderes mal (in der inneren Wahrnehmung) in obliquo vorgestellt wird.

Nach der adverb ialen Interpretation sieht jedoch die intentionale Beziehung wie­der anders aus. Das, was die innere Wahrnehmung erfaßt, ist das Subjekt mit seinerpsychischen Eigenschaft. Das äußere Objekt bleibt sozusagen "außerhalb der Reich­weite" der inneren Wahrnehmung. In dieser Situation kann das äußere Objekt derspäten Theorie zufolge nur die Funktion des äußeren Objekts der Theorie aus dermittleren Periode übernehmen . Es ist das, was existieren muß, wenn die äußereWahrnehmung treffend sein soll. Die Funktion des immanenten Objekts muß hin­gegen durch die innere Struktur des psychischen Aktes übernommen werden. Manmuß annehmen, daß es ein Charakteristikum der psychischen Eigenschaft (der Vor­stellung) gibt, das darüber entscheidet, ob und worauf sich das Subjekt intentionalbezieht. Die Rede von dem Denkenden "mit einer eigentümlichen Differenzierung"muß im Rahmen dieser Interpretation ernst genommen werden.

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REISMUS 193

An anderer Stelle (Chrudzimski 2001a, Kap. 7) haben wir diese zwei Interpre­tationen genauer besprochen und dort auch die Gründe erörtert, die zugunsten derrelationalen Interpretation sprechen. Wir haben allerdings auch konstatiert, daß vomontologischen Standpunkt aus die adverbiale Interpretation viel besser abschneidet.Sie ist mit der Theorie der Akzidentien des späten Brentano auf ganz einfache Wei­se zu vereinbaren . Die relationale Interpretation droht hingegen, eine Gruppe vonunreduzierbar nicht-extensionalen Relationen einzuführen, die mit der generellenTendenz der Philosophie Brentanos, alle Relationen als Entitäten aufzufassen, dieauf den monadischen Eigenschaften ihrer Glieder supervenieren, nicht besondersgut harmoniert. Wir nehmen daher an, daß die adverbiale Interpretation der spätenLehre Brentanos die richtige Interpretation ist, da sie im Rahmen der skizziertenreistischen Ontologie bleibt.

5 .5 DIE KATEGORIEN TAF EL

In seinen Entwürfen der Katagorienlehre versucht Brentano im Geiste von Aristo­teles eine Kategorientafel zu entwickeln, also ein Schema, in dem alles Seiendenach allgemeinen Prinzipien eingeteilt wird. Aus dem Jahr 1905 stammt die folgen­de Klassifikation (Brentano 1933, S. 118-121):

Kategorien

Substanz

absolute

Akzidentien

relat ive

reduzierbar aufdie absolutenEigenschaftender Glieder

anhaftende

(z.B. der Habituseines Wissens)

das zum Entsteheneiner QualitätfUhrt

Leiden und Tun

das zu keinem Entsteheneiner Qualitätführt

eine spezielleGruppe

denominationesextnnseca

Das oberste Prinzip, das die Dichotomie zwischen Substanz und Akzidens erzeugt,ist die ontologische Selbständigkeit bzw. Unselbständigkeit einer Entität. Alle ande­ren Einteilungen betreffen die Kategorie der Akzidentien. Sie zerfallen in absoluteund relative, wobei relative Akzidentien, wie wir gesehen haben, auf absolute Akzi­dentien der involvierten Substanzen reduzierbar sind. Zu ihnen gehören als einespezielle Gruppe die denominationes mere extrinseca, deren Natur wir ebenfallskurz besprochen haben.

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194 KAPITEL 5

Unter den absoluten Akzidentien befinden sich auf der einen Seite die "anhaften­den" Bestimmungen, die Aristoteles zur Kategorie der Qualität rechnete. (Brentano1933, S. 119) Brentanos Lieblingsbeispiel in dieser Kategorie ist "der Habitus einesWissens". (Brentano 1933, S. 119, 238) Eine Bestimmung dieser Art wird vonihrem Subjekt selbständig "getragen" und sie muß, "um aufgehoben zu werden,durch irgendwelche Ursache zerstört werden". (Brentano 1933, S. 119) Auf deranderen Seite gehören zu den absoluten Akzidentien auch solche, die einen aktu­ellen Einfluß einer anderen Substanz voraussetzen - die Aristotelischen Akzi­dentien Tun und Leiden. Unter Leiden fallen nach Brentano alle psychischen Akte .Trotz des Bezugs auf eine andere Substanz betrachtet Brentano solche Akzidentienals absolute Bestimmungen. "Man hat es hier mit einem absoluten Tragen durch dasSubjekt, wenn auch mit einem solchen zu tun, das für sich allein nicht ausreicht,indem vielmehr zum Bestand des Akzidens noch ein gewisses anderes Getragen­werden erfordert ist." (Brentano 1933, S. 120) Einige solche Akzidentien führenzum Entstehen einer Qualität, andere nicht.

Im Jahre 1916, also elf Jahre später, verfaßt Brentano eine andere Klassifikationder Prädikate (Brentano 1933, S. 238-243), die wir im folgenden Schema zusarn­menfassen:

Prädikate

passive Affektionen

substantielle

relat ive

(beruhen auf derRelation zu Gott)

absolute

akzidentelle

relativeAkzidentien

(bei der Bestimmungmuss etwas in obliquogenannt werden)

komparative Bestimmungen

(auf die anderen Kategori enredu zierbar)

absoluteAkzidentien

(Inhärenzen)

(z.B. der Habitu seines Wissens)

II, T,-,I I I I

verschiedene Kategorien

die Akzid entien derselbenKategorie. schliessen sichgegeüseitig aus

die zu einemWerk führen

(z .B. Bewegung)

die zu keinemWerk führen

(psychische Akzidentien)

Wir fmden hier wieder substantiale und akzidentelle Bestimmungen, und unter denAkzidentien gibt es wieder absolute und relative. Diesmal finden wir jedoch, daßdie absoluten Akzidentien "sämtlich Inhärenzen" (d.h. Aristotelische Qualitäten)sind . Als Beispiel dient wieder "der Habitus eines Wissens". (Brentano 1933,S. 238) Solche absoluten Akzidentien werden nun von Brentano in verschiedeneweitere Kategorien eingeteilt, die sich durch "verschiedene Prädikationsweisen"auszeichnen.

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REISMUS 195

Interessant ist dabei die Weise, in der man feststellt, ob zwei absolute Akzi­dentien zum selben genus infimum gehören. Dies sei dann der Fall, so Brentano,wenn sie "entweder spezifisch gleich sind oder in spezifisch gleiche umgewandeltwerden können", wie Z.B. "eine Tugend und der ihr entgegengesetzte sittliche Habi­tus" oder ein Rotes und ein Blaues. (Brentano 1933, S. 239)184 Solche zum selbengenus infimum gehörenden absoluten Akzidentien schließen sich nach Brentano ge­genseitig aus. "Es scheint," so sagt er, "daß niemals zwei Inhärenzen vom gleichengenus infimum und darum von gleicher Prädikationsweise demselben letzteinheit­liehen, substanziellen Subjekte zukommen." (Brentano 1933, S. 239)185

Auch die passiven Affektionen, die "zu einem Werk führen", d.h. Umwandlun­gen sind, weisen solche verschiedenen Weisen des Zukommens zu einem Subjektauf, und zwar "wenn die Werke, zu denen sie führen, der letzten Gattung nach ver­schieden sind." (Brentano 1933, S. 277) Alle passiven Affektionen, die keine Um­wandlungen sind, kommen jedoch dem Subjekt in derselben Weise zu. (Brentano1933, S.279) Das Gesetz des gegenseitigen Ausschließens gilt hier nicht. EinBewußtseinssubjekt kann gleichzeitig verschiedene Vorstellungen, verschiedeneUrteile und verschiedene Gemütsbeziehungen haben.

Wir sehen, daß sich diese neue Klassifikation von der Tafel aus dem Jahre 1905vor allem dadurch unterscheidet, daß sie die passiven Affektionen (d.h. Leiden)nicht unter die absoluten, sondern unter die relativen Akzidentien subsumiert.Dieser Unterschied erscheint allerdings als nicht so wichtig angesichts des ontologi­schen Status, den Relationen nach Brentano haben. Da sie auf die monadischenEigenschaften ihrer Glieder reduzierbar sind, wird die Entscheidung, welche Be­stimmungen absolut und welche relativ sind, so zu einer konventionellen Entschei­dung, die sich vor allem darauf richtet, welche Redeweise in Bezug auf die psychi­schen Akte Brentano gerade bevorzugte. Um 1905 war er geneigt anzunehmen, daßdie Richtigkeit der relativen Bestimmung doch die Existenz des Terminus fordert(vgl. Brentano 1933, S. 120 f.); deswegen rechnete er passive Affektionen (Leiden)- d.h. die Kategorie, die alle psychischen Akte umfaßt - zu den absoluten Akziden­tien. Denn psychische Akte, so war die unerschütterliche Überzeugung Brentanos,setzen die Existenz ihrer (primären) Objekte in keiner Weise voraus. Zehn Jahrespäter betont Brentano jedoch in erster Linie die ontologische Harmlosigkeit desmodus obliquus und konnte konsequenterweise ohne Probleme auch die psychi-

184 In Johansson 2000 wird eine Theorie der ontologischen Kategorien entwickelt, die in Anlehnung anJohnson 1921/1922/1924 mit den Begriffen der "determinables" und "determinates" operiert, und diewesentlich auf der Idee einer solchen Umwandlung von Qualitäten beruht. Wenn es eine Möglichkeitgibt, daß man zwei Qualitäten Q und P in Gedanken durch eine Reihe von .Zwischenqualitäten" ver­bindet, so daß die Qualität Qohne irgendwelche Sprünge in die Qualität P "übergeht", dann sind Q undP entweder die niedrigsten "determinates", oder höchstens bloß konzeptuelle "determinables". Mit den"determinables", die ontologisch ernst zu nehmen sind, haben wir Johansson zufolge erst dann zu tun,wenn sich keine solche Reihe konstruieren läßt, d.h. wenn zwischen Q und P eine "ontologischeLücke" besteht. Solche "ontological determinables" sind nach Johansson z.B. Farbe und Gestalt . Vgl.dazu auch Goodman 1966, S. 285: "Given any two qualia belonging to the same category, we can tracea path from one to the other by aseries of steps, each to a quale matehing the peceding one. When twoqualia belong to different categories , there is no such pathjoining them [..·1·"185 Auch Johansson (2000) nimmt ein solches "principle of determinate exclusion" für einige seiner"determinates" an.

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196 KAPITEL 5

sehen Akte als Relationen betrachten. Deswegen landen die passiven Affektionennun in der Rubrik der relativen Akzidentien. Außerdem ist zu bemerken, daßangesichts der ontologischen These der Supervenienz von Relationen, die BrentanoZeit seines Lebens akzeptierte, der Streit darum, welche Bestimmungen als relativund welche als absolut zu betrachten sind, keine akuten ontologischen Problemeaufwirft.

Ein interessanter Punkt der Klassifikation vom Jahre 1916 ist, daß wir unter densubstantialen Bestimmungen ebenfalls relative Bestimmungen finden . Es handeltsich um einige Relationen zu Gott, von denen wir bereits gelegentlich gesprochenhaben . Wenn wir die Grenzen als Substanzen betrachten, müßten wir ihre notwen­dige Zugehörigkeit zu einem Kont inuum ebenfalls als eine substantiale relative Be­stimmung interpretieren.186

5 .6 ZUR ÜCK ZUM KONZ EPTUALISMUS

Wer behaupten will, daß eine ernsthafte Ontologie nur mit realen Dingen zu tun hat,der sollte zeigen, daß man irreale Entitäten tatsächlich nicht braucht. Dies gilt urnsomehr für Brentano, da er nicht nur ein Mitglied, sondern in der Tat der Begründereiner Schule war, in der man mittlerweile mit Vorliebe mit irrealen Entitätenhantierte. Wir erinnern uns, daß seine mittlere reiche Ontologie , die ihre Schüler sobegeistert hat, im Grunde daraus result ierte, daß alle Entitäten, die vom jungenBrentano als Seiende im Sinne des Wahren ontologisch verharmlost wurden , ihrenPlatz im Bereich der nicht-realen Entitäten fanden. Vielleicht könnte man also die­sen Schritt einfach rückgängig machen, indem man alle Irrealia wieder zu Fiktionendes Verstandes erklärt?

Im Folgenden werden wir sehen , daß der späte Brentano tatsächlich in vielenAspekten zu seiner Würzburger Position zurückkehrte. Ganz so einfach war dieserSchritt aber nicht. Der größte Unterschied zwischen dem späten Reismus Brentanosund seiner frühen Würzburger Ontologie bestand nämlich darin , daß der alte Meis­ter inzwischen seine ontologische Unschuld verloren hat. Die konzeptualistischeErklärung, wie er sie in der Würzburger Metaphysik-Vorlesung gab, konnte ihn jetztnicht mehr zufriedenstelIen. Zu sagen , daß ein rotes Ding deswegen rot ist, weil es"unter den unbestimmten Begriff eines Roten falle" ist noch keine endgültige Ant­wort auf die ontologische Frage . Welche ontologischen Verpflichtungen sie nachsich zieht, hängt davon ab, was man unter einem Begriff versteht. Sind BegriffeUniversalien, immanente Objekte, oder noch etwas anderes? Die Naivität der un­reflektierten Rede vom esse obiectivum konnte Brentano um 1904 nicht mehrakzeptieren.

186 Vgl. "Es ist nun klar, daß, wer eine nur in Abhängigkeit von einem erhaltenden Prinzip bestehendeSubstan z vollständig erkennen würde , auch dieses Prinzip in obliquo mitvorstellen und aus der Erkennt­nis der abhängigen Substanz auch seine Erkenntnis erlangen würde. [...) Eine solche Vorstellung, wel­che mit einem Realen, das in recto vorgestellt wird, auch ein Reales in obliquo vorstellt, nennt man einerelative Bestimmung, die, wie wir sehen , bald substanziell , bald akzidentell sein kann.

Etwas ähnliches gilt auch bei den substanziellen und akzidentellen Grenzen, wegen der Zugehörig­keit zu einem Ganzen, als dessen Grenzen sie bestehen.", Brentano 1933, S. 251.

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REISMUS 197

Die Theorie der Intentionalität des "mittleren" Brentano, die der Rede vom esseobiectivum eine ontologisch verpflichtende Interpretation gibt, haben wir imvorigen Kapitel in großen Zügen rekonstruiert. Brentano spricht dort von einem im­manenten Objekt, das in einem Urteil mental angenommen bzw. verworfen wird .Wenn Brentano damit das ontologische Problem lösen will, was Eigenschaften sind,ist er dem Leser eine Erklärung der höchst unklaren Metaphysik der immanentenObjekte schuldig. In seiner mittleren Periode - vor allem in den Vorlesungen ausden achtziger und neunziger Jahren - versucht Brentano tatsächlich eine Metaphy­sik der immanenten Entitäten zu entwickeln. Das Ergebnis dieser Analyse ist jedochvom Standpunkt der metaphysischen Reduktion aus eher enttäuschend. Es erweistsich nämlich, daß man letztlich auch den immanenten Entitäten Eigenschaften zu­schreiben muß. Zudem stellt sich heraus, daß die immanenten Objekte ihre Eigen­schaften in einem uneigentlichen Sinne haben, was natürlich ein neues ontologi­sches Rätsel bedeutet.

Durch diese Bemerkungen wollen wir keineswegs die ganze Entwicklung derfrühen Intentionalitätstheorie Brentanos diskreditieren. Die Einführung der imma­nenten Entitäten hatte ihre guten Gründe, die von der metaphysischen Problematikder Eigenschaften unabhängig sind, und die Entwicklung der Lehre vom immanen­ten Objekt folgte einer inneren Logik, auf die wir an dieser Stelle nicht näher ein­gehen können. (Vgl. dazu Chrudzimski 2001a) Wichtig ist in diesem Zusammen­hang die Tatsache, daß die reife Theorie des immanenten Objekts aus den achtzigerund neunziger Jahren die konzeptualistische Auffassung von Eigenschaften keines­wegs unterstützt.

Dieses negative Ergebnis ist übrigens nicht auf die Lehre Brentanos beschränkt.Jeder Konzeptualismus, der die Rede von den Eigenschaften auf die Rede von der(richtigen) Anwendung von Begriffen zu reduzieren verspricht, mündet letztlich ineinen Streit um die ontologische Natur der Begriffe. Und wir haben wenig Grund zuhoffen, daß der ontologische Aufbau der Begriffe weniger geheimnisvoll ist als derAufbau der Gegenstände der Außenwelt.

Durch Begriffe werden die Gegenstände der Außenwelt repräsentiert . Sollenalso Begriffe philosophisch thematisiert werden, muß in erster Linie die Natur die­ser Repräsentation näher erklärt werden. Wenn man sich auf eine Tomate "durch"den Begriff ein rotes Gemüse oder auf einen Menschen durch den Begriff ein ver­nünftiges Lebewesen bezieht, dann werden im Begriff gewisse Eigenschaften desGegenstands explizit "genannt". Normalerweise werden dies nur wenige Eigen­schaften sein , so daß unter einen Begriff in der Regel viele Individuen fallen . Diegroße Frage lautet jedoch: Wie sind die Eigenschaften des Referenzgegenstands imBegriff spezifiziert? Ist es möglich, diesen Mechanismus zu erklären, ohne sich indieser Erklärung auf den Begriff der Eigenschaft zu berufen?

Es gibt Theorien, die Begriffe mit (Platonisch verstandenen) Eigenschaften iden­tifizieren.l'" Die Frage, wie die Eigenschaften des Referenzobjekts spezifiziert wer-

187 Eine solche Theorie finden wir bei Chisholm (1976, 1981). Auch die Intentionalitätstheorie Freges(I 892a) kann so interpretiert werden, vorausgesetzt , man interpretiert seine Sinne als Eigenschaften, dieeventuell von den Referenzobjekten exemplifiziert werden. Auch Camap (1960) betrachtet die Inten-

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den, findet im Rahmen einer solchen Theorie eine kristallklare Antwort: Die Eigen­schaft des Referenzobjekts wird in einem Begriff spezifiziert, indem der Begriffdiese Eigenschaft ist. Etwas durch den Begriff "ein F' zu meinen, heißt: die Eigen­schaft F mental zu erfassen. Diese Theorie erlaubt natürlich keine konzeptualisti­sehe Reduktion von Eigenschaften, denn sie setzt den Begriff der Eigenschaft alseinen primitiven Begriff der Theorie voraus. Sie wäre übrigens für Brentano alleinschon wegen seines Anti-Platonismus unannehmbar gewesen.

Andere Theorien betrachten Begriffe als Entitäten, die in gewisser Weise mental­abhängig sind. Die klassische Cartesianische Ideenlehre kann wahrscheinlich alseine Version dieser Auffassung interpretiert werden. Die Theorie, die Brentano inder Periode nach der Psychologie entwickelte, scheint sich auch in den Grenzen die­ses Paradigmas zu bewegen. Sollten jedoch Begriffe als mental-abhängige Entitäteninterpretiert werden, dann sind sie auf jeden Fall Gegenstände einer merkwürdigenArt, und die Erklärung der Tatsache, daß sie andere Entitäten repräsentieren, muß,wie es scheint, in ihren Eigenschaften liegen. Wir stehen also wieder vor dem Pro­blem, was es bedeutet, eine Eigenschaft zu haben. Die Frage wurde lediglich ver­schoben, wobei zusätzlich die Natur der mental-abhängigen Gegenstände, die jetztzur Diskussion stehen, höchst unklar erscheint.

Man kann Begriffe aber auch als etwas Mentales betrachten, indem man sie nichtals merkwürdige mental-abhängige Gegenstände auffaßt, sondern als mentale Wei­sen des Meinens interpretiert . Sich intentional durch den Begriff F auf etwas zu be­ziehen, sollte nach dieser Auffassung nicht so interpretiert werden, als ob man sichmittels etwas (mittels eines immanenten Objekts, eines Fregeschen Sinnes, einesMeinongschen unvollständigen Gegenstandes oder einer anderen Entität) inten­tional auf etwas bezieht. Es geht vielmehr darum, daß man sich in einer bestimmtenWeise intentional bezieht (daß man sich F-lich intentional bezieht). Sich in einer be­stimmten Weise zu beziehen ist jedoch zweifelsohne eine Eigenschaft des Subjekts,die ebenfalls auf ihre metaphysische Würdigung wartet.

Wie wir wissen, ist dies tatsächlich der Weg, den Brentano nach 1904 einge­schlagen hat. Wenn wir von Begriffen sprechen, sprechen wir in Wirklichkeit vonden Weisen der intentionalen Beziehung. Sich auf etwas mittels des Begriffs F zubeziehen, heißt demnach nicht mehr und nicht weniger als: sich auf etwas in derWeise zu beziehen, daß dieses etwas als ein F-Objekt bestimmt wird.

Sich intentional zu beziehen, ist aber eine Eigenschaft eines psychischen Sub­j ekts . Ein Charakteristikum dieser Beziehung, das sie zu einer Beziehung "auf einF-Objekt" macht, muß demnach eine Eigenschaft höherer Stufe (eine Eigenschaftder Eigenschaft) sein. Die Rede von Begriffen ist also im Grunde eine Rede vonEigenschaften von Eigenschaften von psychischen Subjekten. Die konzeptualisti­sehe Reduktion kann somit keine endgültige Antwort darauf geben, was Eigen­schaften sind. Sie muß durch eine ontologisch robuste Theorie von Eigenschaften(genauer durch eine Theorie psychischer Akzidentien) ergänzt werden. Deshalb wird

sion eines Prädikats als eine Eigenschaft, die von denjenigen Gegenständen exemplifiziert wird, dieunter das Prädikat fallen .

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REISMUS 199

in der späten Ontologie Brentanos der Begriff des Akzidens, wie wir gesehen ha­ben, im Unterschied zur frühen Würzburger Lehre, ontologisch ernst genommen.

5 .7 DIE PHASEN DER KONZEPTUALISTISCHEN REDUKTION

Die Entwicklung, die von der ontologisch reichen Theorie der achtziger und neun­ziger Jahre zur asketischen Ontologie der reistischen Periode führte, verlief schritt­weise. Schon 1886 hat Brentano, aufgrund von Überlegungen, die mit seinemBegriffsempirismus zusammenhängen, auf die Negativa - d.h. auf Gegenstände wieNicht-Schwarzes, ein Nicht-Mensch usw. - verzichtet. Das stand noch mit keinergenerellen reduktiven Absicht in Verbindung. Dieser Plan wurde allerdings schonsieben Jahre später angekündigt. Am 24. November 1893 schreibt Brentano anMarty:

In schlafloser Nacht habe ich kürzlich eine wichtige Arbeit im Kopfe durchgeftihrt und dann morgensskizziert ; eine vollständige Theorie von ens rationis im Unterschied vom ens reale . Ich fand, daß alleKlassen der bloßen entia rationis (cum fundamento in re), d.h. des Existierenden , dem die Realitätfehle, sich als Begriffe erweisen, die ein intentionales Moment enthielten (wie es bei gedacht, aner­kannt , geleugnet, wahr, falsch, unmöglich, möglich, notwendig, zufällig, geliebt, gehaßt u.s.w. ohneWeiteres ersichtlich ist). Aber auch bei Kollektiven und Disjunktiven, bei allen Relationen, die nurentia rationis [sind,] usw. gilt dasselbe. Und schließlich fand ich - was aber nur durch eine wesentlicheUmbildung 'meiner' bisherigen psychologischen Ansicht von Ruhe, Bewegung usw. möglich würde,dasselbe auch bei gewesen, gegenwärtig und zukünftig. Die Reform, die ich hier vornahm, läßt eineMenge von Schwierigkeiten entfallen, mit welchen die alte Lehre behaftet war.188

Aufgrund der zitierten Stelle ist es zunächst nicht ganz klar, was genau das Enthal­tensein eines intentionalen Moments in allen entia rationis cum fundamento in rebedeuten soll. Klarer wird dies allerdings, wenn wir uns die Durchführung diesesProgramms im Fall der zeitlich modifizierten Objekte anschauen. Das Manuskript,in dem das Ergebnis dieser schlaflosen Nacht (vom 20.121. November 1893) vor­liegt, trägt die Signatur TS 14.t 89 Brentano stellt dort zunächst die allgemeine Theseauf:

Was ist das Gemeinsame des Nichtrealen? - Ich glaube sagen zu können : ein intentional objektives Mo­ment im Begriff. (TS 14, S. 85283)

Weiter beschäftigt er sich jedoch ausführlicher nur mit den Fragen des Zeitbewußt­seins, wobei er die zeitlich modifizierten Objekte durch die zeitlichen Modi ersetzt.Diese Theorie wurde in einem Brief an Marty aus dem Jahre 1895 folgendermaßenzusammengefaßt:

So gut man annehmen könnte, das Objekt der Proterästhesie sei in continuierlicher Weise modifiziert,ließe sich nun auch denken, das Objekt sei unverändert, aber die darauf bezügliche Anerkennung unter­liege einer continuierlichen Veränderung. (Brentano 1895, S. 7)

Die Lösung Brentanos besteht also im Grunde darin, daß er die ungewöhnlichenEntitäten zugunsten ungewöhnlicher psychischer Modi aufgibt. Während er in dermittleren Periode jedem psychischen Akt, der sich auf die Vergangenheit bezieht,

188 Ein Brief an Marty vom 24. November 1893.189 Ich bedanke mich bei Prof. W. Baumgartner, der mich auf dieses wichtige Manuskript aufmerksamgemacht hat,

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200 KAPIT EL 5

ein zeitlich modifiziertes Objekt zuordnet, behauptet er jetzt , daß man keine solcheModifikation des Objekts braucht. Das Objekt des Aktes bleibt "normal". Die Be­stimmung "vergangen" stammt von der Weise, in welcher der Akt der Anerkennungvollzogen wird. Eine intentionale Beziehung auf etwas Vergangenes besteht alsodarin, daß man ein normales (d.h. zeitlich unmodifiziertes) Objekt im Modus derVergangenheit betrachtet und solche Modi sind nichts anderes als die Weisen, indenen die psychischen Akte vollzogen werden.

Wenn wir die psychische Eigenschaft , die darüber entscheidet, ob sich der psy­chische Akt auf ein F-Objekt, ein G-Objekt oder auf ein in einer noch anderen Wei­se bestimmtes Objekt bezieht, als eine psychische Eigenschaft zweiter Stufe (d.h.eine Eigenschaft von einem Akt, der selbst eine psychische Eigenschaft des Sub­jekts ist) betrachten, so sind die Aspekte, die entscheiden, in welchem zeitlichenModus ein Objekt gemeint wird, wahrscheinlich ebenfalls als solche psychischenEigenschaften zweiter Stufe zu interpretieren . Sie setzen nämlich einen psychischenAkt entsprechender Art (z.B. eine Vorstellung oder Urteil), aber keinen bestimmtenTyp des Objekts voraus und befinden sich dementsprechend auf derselben Ebenewie die Differenzierungen, die das Objekt des Aktes bestimmen.

Hätte Brentano diese Technik Ende 1893 auf alle Klassen von Irrealien ange­wendet, so wäre dies eine Art direkte Rückkehr zur Würzburger Theorie . Alle Irre­alia (darunter auch Eigenschaften) würden als Fiktionen betrachtet werden, die sichim Grunde auf gewisse ungewöhnliche Weisen des Meinens reduzieren lassen. Tat­sächlich hat Brentano dieses Programm jedoch 1893 zunächst nur für den Sonder­fall der zeitlich modifizierten Objekte durchgeführt . Wir wissen auch warum sichdiese Technik nicht verallgemeinern hätte lassen. Da die Weisen des Meinens selbstEigenschaften zweiter Stufe von psychischen Subjekten sind, würde sich dieAnalyse zumindest im Fall der Eigenschaften in einem Kreis bewegen . Um diesesProgramm im Rahmen der reistischen Ontologie durchführen zu können, brauchteBrentano eine Theorie der psychischen Akzidentien, die sie als Dinge interpretiert,und dazu kam er erst zehn Jahre später - um 1904.

1901 versuchte Brentano übrigens tatsächlich, diese im Grunde konzeptualisti ­sche Technik zur Analyse des Begriffs der Eigenschaft zu verwenden . Den Belegdafür liefert wieder ein Brief an Marty, diesmal vom März 1901. (Brentano 1930,S. 73-75) Brentano kritisiert dort seine Theorie der korrelativen Begriffspaare, diewir im letzten Kapitel besprochen haben. Die Analogie mit den physischen Teil­Ganzes-Verhältnissen, wie Schwanz-Geschwänztes - so behauptet er jetzt - seinicht sehr tiefgreifend.

Nun aber wollte es mir scheinen, daß diese Analogie falsch sei. Die Vorstellung eines Roten, sage ichmir, ist nicht Vorstellung eines Teiles des Dings, sondern des ganzen Dings in unvoll kommen be­stimmter Weise . [...)

Das Wahre ist, daß der ganze Gegenstand mittel s eines unbestimmten Begriffs vorgestellt wird . Undweiter ist nichts zu sagen . Somit ist auch in dem roten Objekt seine Röte nicht zu finden und zu unter­scheiden. Vielmehr kann man ihm nur zuschreiben, "daß es rot sei" =das Rotsein =daß von ihm "rot"prädi ziert werden könne = daß es unter den unbestimmten Begriff eines Roten falle . (Brentano 1930,S 74)

Dem aufmerksamen Leser wird hier nicht entgehen, wie ähnlich die Formulierun­gen waren, die wir in der Würzburger Metaphysik-Vorlesung von 1867 fanden. Die

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REISMUS 201

Beziehung auf einen unbestimmten Begriff eines Roten bleibt jedoch, und das istkein Zufall. Als Begriffe fungieren allerdings bis 1904 immanente Objekte, die, wiegesagt, ebenfalls Eigenschaften haben müssen. Der Versuch der konzeptualistischenEliminierung von Eigenschaften mußte deshalb scheitern.

Die Phasen des Übergangs vom frühen Konzeptualismus zum späten Reismushaben wir in der folgenden Tabelle zusammengefaßt:

Geister

Körper

einige Rela­tionen zuGollKollektive

DivisivaGrenzen

intra­individuelleRelationenRelationGrenze­Kontinuum2-stelligeRelationenl-stelligeRelationensubstarmaleEigenschaftenmonadischeAkzidentienzeitlichmodifizierteObjektenicht-existie­rende ObjekteimmanenteObjekteimmanenteInhalte

transzendenteInhalte

egativa

im Sinne desWahren

im Sinne desWahren[?] noch inEL 72 nichtexplizitim Sinne desWahren [?]im Sinne desWahren

ersetzt durchModi des Urteils

uminterpretiertals l -stelliguminterpretiertals RelativaunbestimmtesVorstellen

ersetzt durchmodi obliqui

ersetzt durchnormativeBegriffe

Auf der linken Seite der Tabelle sind verschiedene Entitäten aufgelistet, mit denenBrentano in seiner Philosophie hantierte. Oben haben wir eine Zeitskala. Durch ver-

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202 KAPITEL 5

schiedene Weisen der Ausfüllung von Zellen versuchen wir zu zeigen, wie ernstbestimmte Kategorien zu verschiedenen Zeiten genommen wurden. Je dunkler eineZelle ist, desto ernster wird die entsprechende ontologische Kategorie genommen .

In der Periode um 1867 werden als im eigentlichen Sinne seiend nur die jetztexistierenden konkreten Individuen betrachtet. Kollektive, Divisiva, Grenzen, zeit­lich modifizierte und nicht-existierende Gegenstände werden als das dem Vermö­gen nach Seiende interpretiert . Das ontologische Gewicht, das der junge Brentanodieser Seinsweise zumißt, bleibt jedoch ein Rätsel, was durch dieselbe (weiße) Far­be wie beim Seienden im Sinne des Wahren angedeutet werden soll. Letzteres hatte,wie wir wissen, gar keine ontologische Bedeutung. Zu den Seienden im Sinne desWahren gehören essentiale und akzidentelle Eigenschaften, immanente Objekte(Objektiva), sowie alle immanenten und transzendenten propositionalen Inhalte.

In der mittleren Periode wurden alle Kategorien, die um 1867 entweder als dasdem Vermögen nach Seiende oder das Seiende im Sinne des Wahren klassifiziertwurden, als irreale Entitäten betrachtet. Sie gewinnen dadurch sehr an ontologi­scher Bedeutung . In der Tat ist in dieser Periode die Rede von irrealen Entitätengenau so ontologisch verpflichtend wie die Rede von realen Gegenständen. Den Be­ginn der mittleren Periode haben wir (ziemlich konventionell) mit dem Jahr 1874 ­mit dem Jahr der Publikation der Psychologie vom empirischen Standpunkt - identi­fiziert. Ihren Höhepunkt erreicht diese Periode um 1890.

Der Übergang zur späten reistischen Theorie ist durch ein steigendes "ontologi­sches Bewußtsein" charakterisiert . Wenn eine Kategorie nach 1874 in der Tabelleweiß wird, dann bedeutet das, daß sie von Brentano nicht bloß als "ontologisch un­wichtig" verharmlost wurde, sondern daß sie explizit "reduziert" wurde. Diese Re­duktion besteht darin, daß ein ungewöhnliches Objekt durch einen entsprechendenpsychischen Modus ersetzt wurde. 190 Im Folgenden werden wir diesen Prozeß beineun verschiedenen Kategorien im Einzelnen darstellen:

(A) 1886 wurden Negativa (wie Z.B. ein Nicht-Grünes, ein Nicht-Mensch usw.)durch den Modus des Doppelurteils ersetzt. In Brentanos Reform der Logik spieltensolche Negativa zunächst eine wichtige Rolle. In der Psychologie versuchte er dievier traditionellen Urteilsformen als Existenzialurteile aufzufassen. Die Überset­zung, die zunächst am natürlichsten erschien, war:

(i) Ein S ist P [(3x)(Sx /\ Px)] =Df. Ein P-seiendes S ist.(0) Ein S ist nicht P [(3x)( Sx /\ ~Px)] =Df. Ein nicht-P-seiendes S ist.(e) Kein S ist P [('ifx)(Sx ~ ~Px)] =Df. Ein P-seiendes S ist nicht.(a) Jedes S ist P [('ifx)(Sx ~ Px)] =Df. Ein nicht-P-seiendes S ist nicht.

Der Ausdruck "nicht-P-seiendes S", der in den Urteilsformen 0 und a vorkommt,bezeichnet ein Negativum. Solche Negativa will Brentano spätestens ab 1886 elimi­nieren.l'" indem er eine zusätzliche Urteilsform einführt, die gewissermaßen zwei

190 Die restlichen Teile des Abschnitts wurden zum größten Teil aus dem Buch Chrudzimski 2001a(S. 53-55 und 260-262) und aus dem Aufsatz Chrudzimski 1998/99 übernommen.19. Den ersten offiziellen Hinweis auf die Lehre der Doppelurteile finden wir in einer Fußnot e zur2. Auflage der Abhandlung Miklosich über subj ektlose Sätze (veröffentlicht zusammen mit dem Vortrag

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REISMUS 203

Urteile miteinander in Beziehung setzt - die Form des Doppelurteils. In einem Dop­pelurteil baut sich eine unselbständige Prädikation auf einem Existenzialurteil auf.Eine offizielle Formulierung dieser Lehre kann man im Anhang zur Klassifikationder psychischen Phänomene (1911) finden . Nach dieser Formulierung haben wir esmit einem Doppelurteil dann zu tun, wenn ein Objekt zuerst in einem einfachenExistenzialurteil:

(i) A ist

anerkannt wird, und dann diesem Objekt eine Eigenschaft zugeschrieben oder abge­sprochen wird. Wir sollen jedoch nicht annehmen, daß dieses Zuschreiben oder Ab­sprechen in einem kategorischen Urteil der folgenden Form geschieht:

(ii)(iii)

A ist B,A ist nicht B.

bzw.

Nach Brentano gibt es nämlich solche Urteilsformen gar nicht. Das Zuschreibenoder Absprechen erfolgt in einem neuen Existenzialurteil, in dem das Urteil (i) ineiner spezifischen Weise vorausgesetzt und dadurch in einem gewissen Sinne be­schränkt wird. Die Form dieses Existenzialurteils ist:

(ii*) Ein B-seiendes [und im Urteil (i) anerkanntes] A ist, bzw.(iii*) Ein B-seiendes [und im Urteil (i) anerkanntes] A ist nicht.

(Vgl. Brentano 191111925, S. 164 f.; vgl. auch Marty 1895, S. 63 f.)

Bei der Interpretation der Formen (ii*) und (iii*) ist es jedoch wichtig, daß die inden eckigen Klammem auftretende verbindende Formel ,,[und im Urteil (i) aner­kanntes]" keineswegs als eine Bezeichnung betrachtet werden darf, die sich auf einElement bezieht, das zum Inhalt des Urteils gehört . Durch diese Formel wurde diepsychische Struktur wiedergegeben, in der zwei Urteile miteinander verbunden wer­den . Wir haben es hier mit einem neuen Modus des Urteilens und nicht mit einemneuen inhaltlichen Element zu tun.

Da man die offizielle Formul ierung der Lehre von den Doppelurteilen erst imAnhang zur Klassifikation der psychischen Phänomene (1911) findet, wo sie imKontext der reistischen Ontologie des späten Brentano präsentiert wird, kann manüber die Motive , die ihr ursprünglich zugrundelagen, nur spekulieren. Es scheintaber nicht unwahrscheinlich, daß Brentano schon ziemlich früh einige Schwierig­keiten mit der psychologischen Erklärung der Bildung negativer Begriffe hatte . Daß

Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis) . Vg1. Brentano 1883/1925, 193 f. (die Fußnote stammt von 1889).Schon am 15. Februar 1886 schreibt jedoch Brentano an Marty (in einem unveröffentlichten Brief): "Esgibt auch Fälle von besonderen Urteilen, welche von anderen Urteilen untrennbar sind, z.B. EinMensch ist nicht gesund. Dieser Satz ist - ich habe Ihnen dies mündlich, glaube ich, begründet - derAusdruck eines mehrfachen Urteilen 1.) ein Mensch wird anerkannt und 2.) von ihm die Gesundheitgeleugnet. Diese Leugnung läßt sich nicht von jener Anerkennung trennen. Wenn Sie es versuchen,erhalten Sie ein allgemeines und nicht das hier gegebene partikuläre negative Urtei1."

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204 KAPITEL 5

die Einführung der Doppelurteile genau diesem Zweck dienen soll, berichtet Mar­ty,l92der hier wahrscheinlich der Lehre seines Meisters folgt.

Daß negative Begriffe für Brentano ein besonderes Problem darstellten, hat mitseinem Begrijfsempirismus zu tun, den Brentano Zeit seines Lebens vertreten hat.Er glaubte, daß wir alle unsere Begriffe mit Hilfe gewisser abstraktiver, syntheti­scher und idealisierender Operationen aus der Erfahrung gewinnen. Die Gegeben­heiten der Erfahrung sind jedoch, so können wir mit gutem Grund vermuten, aus­schließlich "positive" Objekte. Einen negativen Begriff können wir weder durcheine einfache Abstraktion, die sich auf ein solches "positives" Objekt bezieht, nochdurch eine Reflexion auf ein einfaches verwerfendes Urteil gewinnen. (Durch einesolche Reflexion gewinnen wir Brentano zufolge den Begriff der Nicht-Existenzdes Objekts, aber keineswegs den Begriff eines Objekts, das nicht-F ist.) DieUrteilsformen 0 und a der Psychologie sind aus konzeptuellen Gründen daher garnicht möglich, da sie mit Begriffen operieren, die wir vom Standpunkt des Begriffs­empirismus aus gar nicht haben können.

Das Problem löst sich jedoch, sobald wir den Modus des Doppelurteils ein­führen. Obwohl Doppelurteile nur mit positiven Begriffen operieren, enthalten sieeinen "absprechenden" Modus und können so ein zuvor anerkanntes Objekt negativcharakterisierten . Durch Reflexion auf solche Doppelurteile können wir daher dennegativen Begriff eines nicht-F bilden. Ein nicht-F zu sein, heißt in einem "abspre­chenden" Doppelurteil (das einem Gegenstand die Eigenschaft F abspricht) richtiganerkannt werden zu können .

(B) Ende 1893 geht Brentano daran, die zeitlich modifizierten Objekte durch dieEinführung der zeitlichen Modi zu eliminieren. Brentano glaubte sehr lange, daß injeder Perzeption zeitlich ausgedehnter Objekte auch irreale Entitäten involviert sind.Aufgrund einer ursprünglichen Assoziation werden in einer solchen Perzeption dieVorstellungen der gegenwärtig seienden Gegenstände mit den Vorstellungen zeit­lich modifizierter Objekte verkn üpft.i'" Solche zeitlich modifizierten Objekte sollenvon den zeitlich unmodifizierten Objekten gattungsverschieden sein und gehörendementsprechend zu den irrealen Gegenständen. Diese Theorie findet man in Bren­tanos Schriften der siebziger, achtziger und neunziger Jahre.194

192 Vgl. "Die einfache Verwerfung von etwas kann in der Tat nicht Quelle der negativen Begriffe wie:Nichtmensch, unfruchtbar, nichtlebendig (leblos) sein . Der Begriff nichtlebendig kann nur durch Refle­xion auf ein Doppelurteil gewonnen werden . [...1Die Bildung solcher Negative setzt also allerdingsDoppelurteile voraus .", Marty 1894, S. 71.193 Vgl. " In den bisher Behandelten zeigt sich die Zeit vielfach dem Ort verwandt. Es ist aber Anderes ,wodurch sie sich ebenso von ihm, wie von der Qualität und Intensität, also von allen früher behandeltenElementen unserer sinnlichen Vorstellungen unterscheidet.

So vor allem dadurch, daß sie sich, wie öfters erwähnt , in ihren verschiedenen Spezies in keinerWahmehmungsvorstellung als solcher, sondern nur in der Phantasie findet.

Durch eine besondere Art Assoziation [...], die wir im Unterschied von anderen (den erworbenen)Assoziationen, ursprüngliche Assoziation nennen können, treten die ersten Erscheinungen der Vergan­genhe it auf. Man könnte diese Erscheinungen 'momentane Gedächtniserscheinungen' nennen [...]." ,Brentano EL 72, S. 93.194 Vgl. Brentano EL 72, S. 108; Brentano EL 80, S. 158; Brentano 1982, S. 19,21 ,92-97. Die Theorieder zeitlich modifizierten Objekte war ohne Zweifel die bekannteste Theorie des Zeitbewußtseins Bren­tanos .

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REISMUS 205

Nach dieser Theorie entspräche die Oberflächengranunatik unserer Sprache nichtgenau dem, was in den tieferen psychologischen Schichten des Zeibewußtseins tat­sächlich stattfmdet. Das granunatische Tempus kommt nämlich normalerweise imVerb zum Ausdruck. Nach Brentano sollte jedoch in einer idealen philosophischenSprache die zeitliche Modifikation eher in der nominalen Gruppe lokalisiert wer­den. Wir sollten anstatt:

Awar:A ist; undA wird sein ,

eher die folgenden Formulierungen verwenden:

Das vergangene A ist,Das gegenwärtige A ist,Das zukünftige A ist.

Die zeitliche Modifikation, die in der gewöhnlichen Sprache durch ein mehrdeu­tiges "ist" (nämlich: "war" , "ist" , "sein wird") wiedergegeben wird, steckt im Rah­men dieser Theorie in den modifizierenden zeitlichen Bestimmungen des Objekts.Deswegen kann das Wort "ist" , auch wenn es in zeitlichen Kontexten vorkonunt, imRahmen dieser Theorie als eindeutig betrachtet werden. Was hingegen mehrdeutigwird, ist die nominale Gruppe. Wir haben es hier einmal mit "normalen" und zwei­mal mit zeitlich modifizierten Objekten zu tun, die, wie gesagt, zu verschiedenenontologischen Kategorien gehören.

Ende 1893 ersetzte Brentano nun die Theorie des zeitlich modifizierten Objektsdurch die Theorie der zeitlichen Modi des Urteils. Demnach werden in der Per­zeption zeitlich ausgedehnter Objekte die normalen, realen Gegenstände erfaßt undin verschiedenen zeitlichen Modi beurteilt. Gegenstände, die als vergangen, gegen­wärtig oder zukünftig perzipiert werden, werden zuerst alle als Realia vorgestelltund dann in den verschiedenen Modi des Urteils anerkannt .

Nach dieser Theorie, die eine gewisse Art Rückkehr zur Umgangssprache bedeu­tet,1 95 entspricht also die tiefenpsychologische Granunatik des Zeitbewußtseins

195 Darüber hinaus ist sie auch eine Rückkehr zur Theorie, die der junge Brentano vertreten hat. Erberichtet darüber in der Logik-Vorlesung. VgI. "Da ich diese Stelle bei [lohn] Stuart MiII fand [vgl.MiII, A System 0/Logic, Book I, e h. iv, § 2], freute ich mich sehr, denn es war das, was er hier sagt, imwesentlichen auch meine Ansicht. Ich dachte damals, daß die Bejahungen, die etwas als vergangen oderzukünftig bejahten , dasselbe bejahten , wie die, welche es als gegenwärtig bejahten . Die Vorstellung seidieselbe, der Akt der Bejahung ein anderer.", EL 80, S. 157. Nach Marty soll Brentano diese Theorie inseinen Vorlesungen 1868-70 vorgetragen haben. Vgl. Marty I895b, S. 9. Schon in den Vorlesungen zurMetaphysik (M 96), die Brentano seit 1867 in Würzburg hielt, finden wir jedoch eine andere Theorie,die als interessante Mittelpos ition zwischen der Theorie der zeitlichen Urteilsmodi und der Theorie deszeitlich modifizierten Objekts gesehen werden kann. Wir lesen: "Wir haben [...] Vergangenheit undZukunft in unserer Vorstellung . [...] Was nun in solcher Weise vorgestellt wird, unterscheidet sich nichtbloß von einem als gegenwärtig Vorgestellten, wie Z.B. was als blau und was als grün vorgestellt wird,sondern die Verschiedenheit des Vorgestellten verlangt auch eine andere Weise der Zustimmung . Dennfalsch wäre z.B., wollte man statt des Satzes 'Vor fünfzig Jahren ist Napoleon gewesen' sagen ' Der vor

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ziemlich genau der Weise, wie die Umgangssprache das Tempus wiedergibt. Diezeitlichen, modifizierenden Bestimmungen der Objekte entfallen, denn die Objektewerden nicht als modifiziert vorgestellt. Sie werden stattdessen in verschiedenenModi anerkannt, was gewöhnlich im Verb (und bei Brentano in dem existentialen"ist") seinen Ausdruck findet. Im Vergleich zur Umgangssprache bringt dieseTheorie eine Verdeutlichung, indem sie präzisiert, worin die zeitliche Bestimmung,die normalerweise im Verb vorkommt, besteht. Sie besteht darin, daß das Objekt inverschiedenen Modi anerkannt wird . Demgemäß gibt diese Theorie auch eine ArtErklärung, warum die zeitliche Bestimmung eben im Verb ihren Ausdruck findensoll. Anstelle des umgangssprachlichen: "A war", "A ist" und "A wird sein" solltenwir also das folgende schreiben:

A war (= ist im modus der Vergangenheit) ;A ist (= ist im modus der Gegenwart) ; undA wird sein (= ist im modus der Zukunft) .

Eine weitere Änderung nahm Brentano 1905 vor, indem er seine Theorie der ver­schiedenen Modi der Vorstellung entwickelte.196 Nun konnte er die zeitlichen Modides Urteils durch die zeitlichen Modi der Vorstellung ersetzen. Die an sich zeitlichunmodifizierten, realen Objekte werden nach dieser Theorie bereits in der Vorstel­lung mittels verschiedener zeitlicher Modi präsentiert.

Diese neue Theorie behauptet also, daß die zeitlichen Bestimmungen, obwohl siekeine Bestimmungen der Objekte sind, nichtsdestoweniger schon auf der Ebene derVorstellung auftreten. Die Vorstellungen können nämlich nach dieser Lehre nichtnur durch ihre Objekte differenziert werden, sondern auch durch die Modi, in denender Akt des VorsteIlens vollzogen wird . Wenn wir "A war", "A ist" und "A wirdsein" im Rahmen dieser Theorie korrekt ausdrücken m öchten, müssen wir die fol­gende Formulierung wählen:

Ein [im vergangen-Modus vorgestelltes] A ist,Ein [im gegenw ärtig-Modus vorgestelltes] A ist,

fünfzig Jahren gewesene Napoleon ist'. [...] Oder statt 'In hundert Jahren werden (noch) Hunde leben.' ­'Hunde, die in hundert Jahren leben werden, sind ' . [Der Satz.] 'Ein gewesener oder ein werdenderHund ist' ist falsch . wenn es gleich wahr ist, daß ein Hund gewesen ist oder sein wird. Anders bei demSatz 'Ein Hund ist braun '. Hier ist sofort auch wahr 'Ein brauner Hund ist' . Somit zeigt sich , daß'gewesen ' oder 'vergangen' nicht in der Weise zustimmend von etwas ausgesagt wird wie 'braun' unddgl. ... M 96. XXXVIII. 10.

Brentano sagt uns hier. daß die zeitlichen Modifikationen zwar schon in der Vorstellung auftreten.was den ersten Schritt zur Theorie des zeitlich modifizierten Objekts bedeuten kann , behauptet aber zu­sätzlich . daß wir eben deswegen außerdem auch verschiedene Arten der Zustimmung brauchen. DerSatz : ..Ein gewesener Hund ist" ist nach Brentano falsch, weil ein Hund. wenn er gewesen ist, eo ipsonicht ist. Brentano schreibt, daß wir außer der Modifikation des Objektes noch eine Modifikation derZustimmung brauchen . Wir können eine solche Theor ie die Theorie der Doppe/modifikation nennen.Erst in den siebz iger Jahren ist Brentano dann zu einer Theor ie des modifizierten Objekts mit demeindeutigen "ist" übergegangen.196 Die erste ausfLihrliche Formulierung dieser Theorie findet sich in einem Brief an Marty vom 22. Mai1905, abgedruckt in Brentano 1977, S. 122-124.

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REISMUS

Ein [im zukünftig-Modus vorgestelltes] A ist.

207

Die Motivation für diese Theorie liegt darin, daß man, wie es scheint, zeitlichbestimmt vorstellen kann, ohne daß man deswegen auch urteilen müsste. Wenn wiruns einen gewesenen oder zukünftigen goldenen Berg bloß vorstellen, müssen wirnicht anerkennen, daß ein solches Objekt irgendwann existiert, existierte oder exis­tieren wird. Wenn wir das Wesen des Zeitbewußtseins also in den psychologischenModi sehen wollen, dürfen wir es, wie es scheint, nicht in den Modi des Urteilsplazieren. Eine zusätzliche Bestätigung für die Theorie der zeitlichen Modi des Vor­stellens liegt darin, daß auch emotionale Akte (Gemütsbeziehungen) zeitlich be­stimmt sein können (wir können uns auf den zukünftigen Urlaub freuen). Nach derLehre Brentanos sind jedoch sowohl die Akte des Urteilens als auch die Akte derGemütsbeziehung in Vorstellungen fundiert. Wir erhalten damit eine sehr eleganteTheorie, wenn wir annehmen, daß (i) der loeus tempori bereits in der Vorstellungliegt, und (ii) die "supraponierten" Akte des Urteilens oder der Gemütsbeziehungdie zeitlichen Modi der ihnen zugrundeliegenden Vorstellung übernehmen.

Ein interessanter Aspekt der Theorie, die anstatt der zeitlichen Modifikation derObjekte einen Unterschied der psychologischen Modi postuliert, besteht darin, daßdie Perzeption zeitlicher Unterschiede nach einer solchen Theorie ausschließlichdank der inneren Wahrnehmung möglich ist. Denn die zeitliche Ausdehnung desBewußtseins liegt ausschließlich in den verschiedenen Arten, wie psychische Aktevollzogen werden, und dies kann ausschließlich in der inneren Wahrnehmung er­fasst werden. Der späte Brentano akzeptiert auch diese Konsequenz. (Vgl. Brentano1968, S. 52; Brentano 1976, S. 121.)

Nach 1914/1915 betrachtet Brentano die zeitlichen Modi der Vorstellung alseinen Spezialfall der modi obliqui. Die Vorstellung, die etwas zeitlich Bestimmtespräsentiert, muß nach dieser späten Theorie eine einzigartige relationale Form ha­ben. Wer immer ein vergangenes Objekt A vorstellt, behauptet Brentano jetzt, stelltein anderes Objekt B vor, das gegenwärtig ist. Das Objekt B wird jedoch in dieserVorstellung in Bezug auf A relational charakterisiert . Es wird als etwas bestimmt,was von A so und so zeitlich absteht. 197 Die Sätze: "A war"; "A ist"; und "A wirdsein" müssen, unter Voraussetzung dieser Theorie, folgendermaßen umformuliertwerden:

Es gibt ein B, das gegenüber A später ist,Es gibt ein B, das mit A gleichzeitig ist,Es gibt ein B, das gegenüber Afrüher ist.

Im Rahmen dieser Theorie versucht Brentano, die zeitlichen Kontexte auf ähnlicheWeise zu analysieren wie die intentionalen Kontexte. Die späte Theorie Brentanosgewinnt dadurch eine imposante Einheitlichkeit.

197 Vg1. Brentano 1925, S. 222; Brentano 1977, S. 320; Brentano 1976, S. 156. Brentano war jedo ch indiesem Punkt nicht sicher. Noch im Brief an Kraus vom 31. Mai 1916 behauptet er, daß die zeitlichenModi auf die modi obliqu i doch nicht reduzierbar sind. Vgl. Brentano 1977, S. 308.

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208 KAPITEL 5

(C) 1901 fmden wir bei Brentano einen Versuch, auch die Eigenschaften durcheine unbestimmte Weise des Vorstellens zu ersetzen (Brentano 1930, S.73-75),was eine volle Rückkehr zum Würzburger Konzeptualismus bedeuten würde . Wa­rum dieser Versuch nicht gelingen konnte, haben wir bereits besprochen. Um dieZirkularität zu vermeiden, braucht man mindestens eine Theorie der psychischenAkzidentien, die nicht konzeptualistisch ist.

(D) Erst 1904 ging Brentano daran, eine solche Theorie der Akzidentien zu for­mulieren . Sie gilt als die späte Ontologie Brentanos und faßt ein Akzidens als einkonkretes Individuum auf, das seine Substanz als seinen S-Teil enthält . Es ist aberzu betonen, daß unter der Voraussetzung der Theorie von psychischen Akzidentien ,die konzeptualistische Reduktion (C) in Bezug auf die substantialen Eigenschaftendoch aufrecht bleibt. Die substantialen Eigenschaften können nämlich nicht als Din­ge, die ihre Substanz enthalten, interpretiert werden, denn sie konstituieren ja dieSubstanz selbst. Es scheint also, daß sie als abstrakte Aspekte der Substanz inter­pretiert werden müssen . Abstrakta gibt es aber dem späten Brentano zufolge nicht.Die substantialen Eigenschaften müssen also als Fiktionen uminterpretiert werden.Die einzige Realität , die ihr Jundamentum in re bildet, ist die (möglicherweise kont­raJaktische) Realität eines richtigen Urteils (d.h. eines psychischen Akzidens), daseine (an sich unteilbare) Substanz allgemein nach ihrer wesentlichen Eigenschaft(z.B. als rot) erfassen kann.

(E) Die ontologischen Verpflichtungen hinsichtlich der immanenten Korrelatepsychischer Akte werden von Brentano suspendiert, indem er einen speziellen,ontologisch harmlosen modus obliquus einführt, in dem die Objekte des Denkenszur Beschreibung einer intentionalen Beziehung erwähnt werden. Brentano ent­scheidet sich jedoch für diesen Weg ebenfalls erst nach 1904.

(F) Die reistische Reduktion aller erdenklichen Wahrmacher (aller propositio­nalen Entitäten) ist implizit in der epistemischen Deutung des Wahrheitsbegriffenthalten, die, wie wir gesehen haben, für die ganze Philosophie Brentanos charak­teristisch ist. Tatsächlich hat jedoch Brentano auf die propositionalen Inhalte eben­falls erst nach 1904 verzichtet. Der Satz:

Ein Sein von A ist,

bedeutet nach dem späten Brentano:

Ein Urteil vom Inhalt [A ist] wäre wahr,

und das bedeutet:

Ein [A ist]-Urteilender wäre ein Richtig-Urteilender,

was letztlich als:

Ein [A ist]-Urteilender könnte ein mit-Evidenz-Urteilender sein

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REISMUS 209

übersetzt wird .Die propositionalen Inhalte werden auf diese Weise durch (i) die psychischen

Subjekte und ihre psychischen Akzidentien (Ein (A istj-Urteilender), (ii) einen epis­remiseh-normativen Begriff (Evidenz) und (iii) einen kontrafaktischen modalenKonditional (könnte) erklärt bzw . ersetzt.

(G) Die objektiven Werte (bzw . die wertvollen Objekte, die Wertverhalte), die ineinigen Theorien (z.B. bei Marty) als .Richtigmacher'' der richtigen Gemütsbezie­hungen fungieren, werden zugunsten gewisser ausgezeichneter Gemütsbeziehungenaufgegeben. Diese Lehre wurde von Brentano im Grunde schon im Vortrag VomUrsprung sittlicher Erkenntnis (1889) vertreten. Sie operiert mit dem Begriff der alsrichtig charakterisierten Gemütsbeziehung, der in Brentanos Ethik eine analogeFunktion erfiillt wie der Begriff des evidenten Urteils in seiner Wahrheitstheorie.

In der Abhandlung Über Seiend, Wahr und Gut (1908) definiert Brentano:"Wenn ich sage, die Liebwürdigkeit von etwas ist, so heißt das so viel, als daßeiner, der es unrichtig liebt, unmöglich ist . [...] Sagt man von etwas Realem, es seigut [...], wenn es unmöglich ist, dieses Ding unrichtig zu lieben, m.a.W., wenn eines unrichtig Liebender unmöglich ist." (Brentano 1977, S.357) "Wer sagt, es istgut, daß A sei, glaubt, daß derjenige richtig vorziehe, welcher vorzieht, daß A sei,als daß es nicht sei [...[." (Brentano 1977, S. 358)

(H) Die modalen Begriffe der Möglichkeit und Notwendigkeit werden durch dieBeziehung auf den speziellen apodiktischen Modus des Urteilens erklärt.!" "A istunmöglich" bedeutet nach dieser Analyse soviel wie: "Jemand, der A apodiktischverwerfen würde, wäre ein richtig Urteilender". Auch die Bezeichnung "unmög­lich" , die in den Definitionen, die wir unter (G) angefiihrt haben, auftritt, wird indieser Weise auf die Richtigkeit einer apodiktischen Verwerfung reduziert.

(I) Die Relationen, die in der mittleren Periode alle als 2-stellig betrachtet wur­den, werden, wie wir gesehen haben, zuerst als l-stellig uminterpretiert und in ei­nem zweiten Schritt für monadische Eigenschaften erklärt. Nur einige spezielle Fäl­le von Relationen müssen ontologisch ernst genommen werden. In erster Linie be­trifft das die intra-individuelle Relation zwischen der Substanz und dem Akz idens ,die Brentano in der Metaphorik eines eigenartigen Enthaltenseins ausdrückt. Fernersind einige Relationen zu Gott dem späten Brentano zufolge ontologisch unredu­zierbar. Schließlich ist auch die Beziehung auf ein (unbestimmtes) Kontinuum, diein jeder Grenze involviert ist, nicht wegzuerklären.

Was nach der Durchführung der reist ischen Reduktion noch zu erklären bleibt,ist, warum wir in unserer Umgangssprache doch so viele Namen von irrealen Enti­täten vorfinden - eine umso wichtigere Aufgabe, als der späte Brentano die Irrealiafür unvorstellbar hält. Wie können wir glauben, uns auf etwas mit einem Namen zu

198 Im Brief an Kraus vom 13. April 1916 wird die Unreduzierbarkeit des apodiktischen Modus deutlichausgesprochen . Vgl. Brentano 1977, S. 302. Brentano schreibt dort, daß die Situation bei den modalenKontexten analog der bei den temporalen Kontexten ist. Genau so, wie man um den Preis der Einfüh­rung der zeitlich modifizierten Objekte auf die zeitlichen Modi verzichten kann, kann man auch anstattdes apodiktischen Modus die modalisierten Entitäten, wie ein Unmöglichsein oder ein Notwendigseinvon A einführen . Der späte Brentano will jedoch natürlich gerade in die entgegengesetzte Richtunggehen. Vgl. dazu auch Chisholm 1986, S. 43-45.

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210 KAPITEL 5

beziehen, was in Wirklichkeit nicht nur nicht-existent , sondern sogar schlechthinunvorstellbar ist? Die Antwort, die uns Brentano gibt, nimmt auf die instrumentaleFunktion der Sprache Bezug. Die Sprache ist im Allgemeinen nicht entstanden, da­mit man durch ihre Grammatik die tiefste ontologische Struktur der Welt erkennenkann, sondern sie ist in erster Linie ein Werkzeug des menschlichen HandeIns. Dieabkürzenden Ausdrucksweisen, die manchmal durch ein einziges Wort sehr kompli­zierte psychische Strukturen zum Ausdruck bringen, sind vom pragmatischenStandpunkt aus völlig berechtigt. Irreführend werden sie erst dann, wenn wir sie alseinen verläßlichen Leitfaden der ontologischen Analyse betrachten.

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SCHLUSSWORT

So also sieht die Ontologie Brentanos in ihrer historischen Entwicklung aus. Wasman in diesem Licht deutlich sieht, wird von vielen Schülern Brentanos bestätigt:Brentano war kein Dogmatiker und kein Philosoph, der in erster Linie nach einemkohärenten System strebte. Zwei mal hat er seine ontologischen Ansichten gründ­lich revidiert und was ihn dabei bewegte, waren vor allem die neuen Erklärungs­möglichkeiten, die sich eröffnen, wenn man die Welt aus einer neuen philosophi­schen Perspektive betrachtet.

So war es beim Übergang von der frühen konzeptualistischen Position zur rei­chen Ontologie der mittleren Periode. Brentano hat eingesehen, daß ein uneinge­schränktes Hantieren mit dem Begriff der Fiktionen cum Jundamento in re eher alsein Verzicht auf jede philosophische Erklärung, denn als eine solche anzusehen ist.Die Konzentration auf Fragen der Psychologie hat ihm klar gemacht, daß man zumZweck der philosophischen Erklärung des Intentionalitätsphänomens doch gewisseontologische Verpflichtungen in Kauf nehmen muß.

Brentano hat sich zunächst für eine Ontologisierung des ens obiectivum entschie­den, und dann im Laufe der Zeit diverse Möglichkeiten ausprobiert, die sich auseiner ähnlichen Ontologisierung anderer Kategorien ergeben, die in seiner frühenPeriode als Seiendes im Sinne des Wahren verharmlost wurden. Sehr schnell ist ihmdabei klar geworden, daß man in dieser Prozedur nur konventionell eine Linie zwi­schen den ontologisch verpflichtenden und den ontologisch unschuldigen Rede­weisen ziehen kann. Es kam die Zeit der Regel der unkritischen Deskriptivit ät.

Der ontologische Dschungel, den wir bei Brentano um 1890 finden, hat ihmjedoch offensichtlich wenig gefallen. Deswegen gibt es schon ab 1893 Versuche, indie Ontologie wieder eine Ordnung zu bringen. Zunächst wird die Idee einer voll­ständigen Rückkehr zur konzeptualistischen Position in Erwägung gezogen; und inder Tat, zwischen 1893 und 1904 hat Brentano immer wieder verschiedene Kate­gorien nicht-realer Entitäten auf diese Weise wegerklärt. Die vollständige Rückkehrzum Konzeptualismus konnte aber nicht gelingen, und zwar deswegen nicht, weilBrentano in der mittleren Periode zu gut gelernt hatte, daß eine philosophischeErklärung erst dann stark und überzeugend ist, wenn sie ontologisch verankert ist.1904 entdeckte er schließlich, wie eine solche Verankerung ohne Bezug auf Irrealiaaussehen könnte. Brentano kam auf die Idee, daß Akzidentien als konkrete Dingeinterpretiert werden können. Damit war der Hauptgedanke seiner dritten Periodegefunden.

Angesichts der Geschichte der Brentanoschen Ontologie, wie wir sie geschilderthaben, kann man wohl kaum annehmen, wie es manche seiner Schüler taten, daßdie späte Ontologie Brentanos einen endgültigen Abschluß seiner Philosophie dar­stellt. Dies wäre zumindest voreilig und würde die wahre Moral der Brentanoschen

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212 SCHLUSSWORT

Philosophie verschleiern . Wäre Brentano 1917 nicht gestorben, müßten wir wahr­scheinlich auf den nächsten Durchbruch gar nicht lange warten. Die Moral seinerLehre scheint deshalb eher darin zu bestehen, daß keine Verkündigung eines Endesder Philosophie gerechtfertigt sein kann.

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NAMENREGISTER

Abael ard, 101A1bertus Magnus, 69; 100Alston , W. P., 7Andro nikos von Rhodos, 5AngeleIli, 1., 34; 38Anselm von Canterbury, 72Antonelli, M., 1; 2; 127; 155; 156Aristoteles, 5; 7; 9; 11; 21; 27; 33- 75;

79f.; 83-91; 95f.; 100; 105; 109f.;115-1 20; 127; 136; 138; 142; 145f.;157; 174; 177; 180f.; 184; 193f.

Armstrong, D. M., 18; 24 ; 30Augu stinus , 105Avicenna (Ibn Sifia), 73

Bacon , J., 27Barwise, J., 35Baumgartner, W., 2f.; 70; 133; 179; 199Berkeley, G., 98Boethius, 5; 17; 38Bolzano, B., 124Bradley, F. H., 24; 187Brandl , J., 127; 176Broad, C. D., 25Burley, Walter, 100

Campbe ll, K., 25; 28; 31Camap, R., 31; 197Chisholm, R. M., 2; 10; 25; 43 ; 71; 77;

83; 95; 121 ; 134; 180; 183; 190; 197;209

Chrudzimski, A., 2; 7; 12; 23f.; 63; 65;71; 74; 91; 99; 106; 113; 124f.; 131;133; 136; 153; 156; 172; 193; 197;202

Dedekind, J. W. R., 181Degen, J. W., 34Descartes, R., 37; 198Ducasse, C. J., 150; 190Dummett, M., 107Duns Scotus, 68; 96; 100; 103; 116

221

Ehring, D., 150

Findlay, J. N., 150; 172Frege, G., 32; 77; 121; 127f.; 166; 197f.

Galewicz, W., 146Geach , P., 7Goodman, N., 3 1; 8 1; 195

Hare, R. M., 25Henninger, M. G., 111Heraklit, 10; 52Hobbes, T., 114Hume , D., 98; 114; 149; 153Husse rl, E., I ; 41 ; 121; 124; 126; 153;

176

Ingarden , R., 4; 41

Jacobus de Aesc ulo, 99Jacquette, D., 162Johansson, 1., 24f.; 81; 195Johnson , W. E., 195

Kant, 1., 37; 74; 105; 114Kastil , A., 2; J86Kim, J., 25Koch, F., 117; 118Kraus , A., 4Kraus , 0 ., 2; 60; 71; 133; 140; 165; 207;

209Küng , G., 3; 7; 22; 124Künne , W., 7

Lambert, K., 161Lehrer , K., 13Leibni z, G. W., 37; 39; 41 ; 127Lejewski, C., 7Lesn iewski, S., 179Locke , J., 37Loux, M. 1., 22; 47; 108Lowe, E. J., 9; 47

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222 NAME NR EGISTER

Mally, E., 161f.Marek, J. c., 126Martin, C. S ., 18; 146Marty, A., I ; 81; 122; 131; 133; 141;

144; 146 ; 184 ; 199f.; 203-206; 209Maurin, A.-S ., 18Mayer-Hillebrand, F., 2McGee, V., 13Meinong, A., I; 29 ; 77f.; 121; 124f.;

130f.; 150; 16If.; 164 ; 166; 172; 198Michotte, M., 114MiII,1. S., 98; 105; 144 ; 205Mill, James, 97Moore, G. E., 25Morgan, C. L., 25Morscher, E., 4 ; 74; 129Mulligan, K., 27Münch, D., I; 127

Newton, 1., 81

Ockham, Wilhelm, von , 33; 10lf.

Parmenides, 52Parsons, T., 161Peirce, C. S., 107Perl er, D., 59 ; 68f. ; 99f. ; 102Perry, 1., 35Pctrus Aureoli, 100Petrus Johannis Olivi, 68Piaget, 1., 114Plantinga, A., 10; 77PI~on,9 ; 10;21 ;27;35f.;39;49;52;

58 ; 73 ; 83 ; 86 ; 103; 105

Poltawski, A. , 4Poincare, J. H., 181Porphyrios, 5; 40Price, H. H., 30 ; 31

Prior, A. N., 7Putnam, H., 107

Quine, W. V. 0., 7

Reicher, M. E., 162Reimherr, A., 4Rojszczak, A., 29Rollinger, R. D., 124Russell , S ., 15; 23; 24; 26 ; 30 ; 35; 51 ;

127; 161f.

Sauer, W., 127Searle, 1. R., 114Seil ars, W., J07 ; 108Si rnons, P. M, 2; 27 ; 71 ; 95 ; 146; 179Smith , S ., 2; 27 ; 29; 127; 154Spinoza, S ., 37Stout, G. F., 18Strawson , P. F., 35Stumpf, c, 25; 111; 129; 154

Tarski, A., 76 ; 107Thomas von Aquin , 57 ; 59f. ; 69 ; 72-74;

85f.; 100; 102f.; 106; 142Tooley, M., 114; 150Twardowski, K., I

Whitchcad, A. N. , 35Wiggins, D., 47Wilhelm von Champeaux, 100; 103Williams, D. c., 12; 14; 18; 145Wittgenstein. L., 29 ; 35 ; 76

Wolcnski, J., 189Wolniewicz, S ., 35

Zelaniec, W., 146

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Collected Papers, II see below under Volume 15Collected Papers , III see below under Volume 22

Collected Papers, IV see below under Volume 13612. J.M. Broekman: Phän omenologie und Egologie. Faktisches und transzendentales Ego bei Edmund

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Edmund Husserl, entwickelt am Leitfaden der Zeitproblematik. 1966 ISBN 90-247-0254-224 . O. Laffoucriere: Le destin de la pensee et 'La Mort de Dieu' selon Heidegger: 1968

ISBN 90·247-0255-025. E. Husserl : Briefe an Roman Ingarden. Mit Erläuterungen und Erinnerungen an Husser!. Hrsg . von

R.1ngarden.1968 ISBN Hb: 90-247-0257-7; Pb: 90-247-0256·926. R. Boehm: Vom Gesichtspunkt der Phänomenologie (I) . Husserl -Studien . 1968

ISBN Hb: 90-247-0259-3; Pb: 90-247-0258-5For Band II see below under Volume 83

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