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36 die nomadische kriegsmaschine des dschingis khan - die mongolenherrschaft aus der abendlndischen perspektive ++Das Meer der Steppe trennt nicht nur, es verbindet. Die nomadische Kriegsmaschine Dschingis Khans erweist sich auch als Kommunikationsmaschine, die an ihren Rndern sogar das Abendland in ihren Strudel zieht. Papst Innozenz IV. und Knig Ludwig der Heilige von Frankreich schicken Gesandte und Missionare nach Osten, weit über die Gren- zen der damals bekannten Welt hinaus. Die berichten über das absolut Andere, über das mongolische Weltreich, über nomadische Macht und Kriegstechnik. Die mittelalterliche Verlandung Europas wird gestrt: Nachdenken über die Filzzeltleute ... bis in die ge- genwrtige Theorie.++ »Der Feind hat riesige Streitkrfte gegen euch aufgeboten. Aber habt keine Angst. Die irakische Armee, das Volk und die Führung sind voll mobilisiert, um der US- Aggression zu begegnen. [Bagdad ist entschlossen,] diesmal die Mongolen unseres Zeitalters zu zwingen, an den Toren Bagdads Selbstmord zu begehen. Fernsehansprache Saddam Husseins anlsslich des 12. Jahrestages des Golfkriegs, taz, 18./19.1.2003: Saddam trotzt, die Nachbarn konspirieren Ein anderes Gesetz besagt, dass sie [die Mongolen] sich alle Welt untertan machen sollen und mit keinem Volk Frieden schlie- en dürfen, auer wenn es ihnen unterwor- fen ist, bis die Zeit ihres Untergangs ge- kommen sein wird. Johannes de Plano Carpini: Historia Mongalorum (1247) moira k. mertens

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die nomadischekriegsmaschine desdschingis khan- die mongolenherrschaft aus derabendländischen perspektive

++Das Meer der Steppe trennt nicht nur, es verbindet. Die nomadische KriegsmaschineDschingis Khans erweist sich auch als Kommunikationsmaschine, die an ihren Rändernsogar das Abendland in ihren Strudel zieht. Papst Innozenz IV. und König Ludwig derHeilige von Frankreich schicken Gesandte und Missionare nach Osten, weit über die Gren-zen der damals bekannten Welt hinaus. Die berichten über das absolut Andere, über dasmongolische Weltreich, über nomadische Macht und Kriegstechnik. Die mittelalterliche�Verlandung� Europas wird gestört: Nachdenken über die �Filzzeltleute� ... bis in die ge-genwärtige Theorie.++

»Der Feind hat riesige Streitkräfte gegeneuch aufgeboten. Aber habt keine Angst.Die irakische Armee, das Volk und dieFührung sind voll mobilisiert, um der US-Aggression zu begegnen. [Bagdad istentschlossen,] diesmal die Mongolenunseres Zeitalters zu zwingen, an denToren Bagdads Selbstmord zu begehen.�

Fernsehansprache Saddam Husseinsanlässlich des 12. Jahrestages des

Golfkriegs, taz, 18./19.1.2003: �Saddamtrotzt, die Nachbarn konspirieren�

�Ein anderes Gesetz besagt, dass sie [dieMongolen] sich alle Welt untertan machensollen und mit keinem Volk Frieden schlie-ßen dürfen, außer wenn es ihnen unterwor-fen ist, bis die Zeit ihres Untergangs ge-kommen sein wird.�

Johannes de Plano Carpini: HistoriaMongalorum (1247)

moira k. mertens

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Thema meiner Ausführungen ist derMongolensturm im 13. Jh., d.h. die West-und Ostexpansion der mongolischen No-maden unter Dschingis Khan und dessenNachfolgern. China, Persien, schließlichauch Russland fielen den mongolischenInvasoren zum Opfer. Mir geht es dabei umdie abendländische Perspektive und ichbeziehe mich hierbei auf die Augenzeugen-berichte der beiden FranziskanermöncheJohannes de Plano Carpini und Wilhelmvon Rubruk, die Mitte des 13. Jhs. zu denHerrschern der bis dato nur als �Tartaren�bekannten Mongolen geschickt wurden.

�Sie alle [die Nachfahren Dschingis Khans]besitzen jetzt große Lager, vermehren sichTag für Tag und breiten sich in jener weitenEbene aus, die wie ein Meer ist.�

Wilhelm von Rubruk: Itinerarium (1257)

EinleitungDas 12. Plateau in Deleuze/Guattaris Buch�Kapitalismus und Schizophrenie. 1000 Pla-teaus�1 ist betitelt: �1227. Abhandlung überNomadologie: Die Kriegsmaschine.� 1227ist das Todesjahr von Dschingis Khan, dender ungarische Historiker Michael deFerdinandy als das �Urbild der Macht�2

bezeichnete. 1227 ist also das Jahr, in demDschingis Khans Söhne die väterliche,mächtige Mongolenkriegsmaschine über-nahmen und zu ihren Zwecken fortbildeten.Sie führten Kriege, um besser ihre Steuerneinzutreiben, planten die Eroberung des

fernen Westens, sahen sich als Herrscherder gesamten Erde unter dem weiten eu-rasischen Himmel. Ögödei Khan, DschingisKhans zweitjüngster Sohn, ließ das mon-golische Volk zählen, legte Brunnen in derSteppe an, führte das Papiergeld ein, be-gann mit der Erbauung eines festenHerrschersitzes, mit dem Errichten vonWällen um die herrschaftlichen Zelte vonKarakorum und ließ die GeschichteDschingis Khans niederschreiben, die heu-te als die �Geheime Geschichte der Mon-golen�3 bekannt ist. Sprich, mit Deleuze/Guattari setzte mit dem Tode DschingisKhans auch schon die Reterritorialisierungder väterlichen Kriegsmaschine ein, dieSöhne integrierten den Staatsapparat in ihrnomadisches Expansionsprojekt.//:: Das Jahr 1227 stellt für Deleuze/Guattari also eine Art geschichtlichenReibepunkts dar, an dem sie ihre Theorienvon sesshafter und nomadischer Machtaus-übung gut aufhängen können. UnterDschingis Khan gab es die Kriegsmaschinenoch in ihrer nomadischen Reinform.

1. Wer ist eigentlichDschingis Khan?Dschingis Khan ist der charismatische Ur-vater der Mongolen. Unter seinem Jugend-namen Temüdschin begann er, die mongo-lischen Nomadenverbände der Zentral-asiatischen Steppe zu vereinen. Unter sei-nem Herrschertitel Dschingis Khan unter-warf er sich nicht nur nomadische und

halbsesshafte Clans, sondern mächtigeHochkulturen wie China und Persien. Sei-ne Söhne und Enkel bauten seine Machtimmer weiter aus. Sie überfielen Russlandund den arabischen Raum bis sie das größ-te Weltreich der Menschheitsgeschichtezusammengeräubert hatten.

Geboren wurde Temüdschin 1167.Temüdschin heißt das �Eisenklirren�4 oderim übertragenen Sinne eben der Schmied.Nachdem er die Nachbarstämme der Merkitund der Tataren mit seinen Gefolgsleutenvernichtet hatte und 1204 den Stamm derNaiman samt seinem Schriftsystem unter-worfen hatte, wurde er zum Dschingis Khangewählt. D.h. Temüdschin hatte wie seineVorreiter bei den Hunnen (Rua, Attila) ei-nen Zusammenschluss der Steppenvölkerermöglicht, und er hatte ihnen das Alpha-bet der Uighuren als Beute gebracht.Die �Geheime Geschichte der Mongolen�weiß zu erzählen: �Nachdem sie auf dieseWeise die Völker in den Filzwandzelten zuGetreuen gemacht hatten, versammeltensie sich im Tiger-Jahr (1206) an der Onan-Quelle, pflanzten die neunzipflige weißeFahne auf und gaben dort dem DschingisKhan den Titel Khan.�5

Khan heißt soviel wie �Herrscher der Herr-scher�.6 Was aber Dschingis bedeutet, istnicht geklärt. Unfassbar scheinen auch dieAusmaße des mongolischen Weltreichs.Auf dem Höhepunkt seiner Macht um 1280umspannte es den gesamten eurasischenKontinent. Es ist leichter die Länder aufzu-

1 Gilles Deleuze, FélixGuattari: Kapitalismus undSchizophrenie. 1000 Plateaus.Berlin 1992.2 Michael de Ferdinandy:Tschingis Khan. Der Einbruchdes Steppenmenschen.Hamburg 1958.3 Manfred Taube (Hg.):Geheime Geschichte derMongolen. Leipzig und Wei-mar 1989.4 s. Hans D. Leicht: Wilhelmvon Rubruk: Reisen zumGroßkhan. Von Konstantino-pel nach Karakorum 1253-1255. Stuttgart 1984. In derEröffnung des Briefes vonMöngke-Khan an Louis IX.heißt es: �Vom ewigen Gott istes so gefügt, daß, da es imHimmel nur einen ewigen Gottgibt, auch auf Erden nur einHerrscher sei, nämlichDschingis Khan, der SohnGottes, Temudschin, das heißtEisenklirren. � p. 204.5 Manfred Taube (Hg.):Geheime Geschichte derMongolen. Leipzig und Wei-mar 1989. p. 136.6 Peter Berz: NomadischeGeopolitik. In: Gegner. BerlinFeb./März 2003. p. 12.

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zählen, die den Mongolen nicht tributpflich-tig wurden: West-, Mittel- und Südeuropa,Griechenland, Westanatolien, Vorder- undHinterindien.7

2. Wie ist also dieexplosionsartige Ausdeh-nung der mongolischenNomadenhorde möglichgeworden? Wie ist das ko-metenhafte Auftauchen derherrischen Mongolen zu er-klären?Deleuze/Guattari entwerfen das theoreti-sche Modell einer nomadischen Kriegs-maschine, die sich in einem glatten Raum(wie der zentralasiatischen Steppe) auf-baut, um schließlich die umliegenden, rei-cheren Agrarstaaten mit Raubzügen heim-zusuchen. Städte, Ackerland werden ver-wüstet, in Weideland verwandelt,deterritorialisiert.Es gibt aber auch ganz und gar praktischeabendländische Anschauungen, aus derZeit des Mongolensturms, als Europa inFurcht und Schrecken versetzt bangte, vonapokalyptischen Reitern überfallen undbestraft zu werden. Ich werde mich dabeiauf zwei Augenzeugenberichte stützen, aufdie Berichte zweier Franziskanermönche,die zu den damals vollkommen unbekann-ten Mongolen geschickt wurden:1245�47 gelangte Johannes Plano deCarpini als Gesandter des Papst InnozenzIV. zum Güjük Khan. Er schrieb darüber die

�Historia Mongalorum� oder �Die Kunde vonden Mongolen�. 1253�55 reiste Wilhelmvon Rubruk als Missionar in Diensten desKönig Ludwig dem Heiligen (Louis IX. vonFrankreich) zum Möngke Khan undverfasste seinen Bericht �Itinerarium� oder�Die Reise zum Großkhan Möngke�.

Schon unter Dschingis Khan hatten dieMongolen 1220 einen Erkundungsstreifzuggegen Russland unternommen. Im Jahr1240 rollten die Mongolen Russland dannrichtig auf: Am 6. Dez. 1240 wurde die da-malige Hauptstadt Kiev erobert und kom-plett zerstört.Carpini: �Nach dem Sieg über diese [dieTürken] zogen sie gegen Russland undrichteten dort große Verwüstungen an, zer-störten Städte und Burgen und töteten dieMenschen. Sie belagerten Kiev, die Haupt-stadt Russlands, nahmen es nach langerBelagerung ein und töteten die Einwohner.Als wir durch jenes Land reisten, fandenwir deshalb unzählige Schädel und Kno-chen toter Menschen über die Felder ver-streut. Denn es war eine sehr große undungeheuer dicht bevölkerte Stadt gewesen,die nun fast völlig vernichtet ist. Kaum 200Häuser stehen dort noch, und die Men-schen werden in tiefster Knechtschaft ge-halten.�8

Auf die Russlandunterwerfung folgte derFlankenangriff auf Ungarn: Am 9. April 1241wird in der Schlacht bei Liegnitz (nähe Bres-lau) in Schlesien der deutsche Herzog Hein-rich II. enthauptet. Auch am 11.4.1241 in

der Schlacht bei Mohi am Saho in Ungarnerfahren die christlichen Ritterheere einevernichtende Niederlage.9 Trotz der ver-heerenden Verwüstung seines Landeskann der ungarische König Béla IV. aberentkommen. Die Mongolen verfolgen ihn biszur Adria, geben jedoch auf, als er sich aufeine Insel flüchtet. Ungarn geriet somit nichtunter das Joch der Mongolen.

Das westliche Abendland wurde somit nichtzum ersten Mal, doch dafür um so bedroh-licher mit dem Einfall nomadischerInvasoren konfrontiert: Der Mongolensturmlöst panikartigen Schrecken aus.Die �Tartaren�, das ist der Name, den daschristliche Mittelalter für die Mongolenkennt, ziehen zwar unvermutet aus Ungarn,Schlesien und Polen wieder ab (ÖgödeiKhan war an seinem übermäßigen Alkohol-konsum gestorben), der traumatischeSchrecken sitzt aber tief. Die christlichenRitterheere wurden vernichtend geschla-gen, sie waren den �tartarischen� Reiter-scharen haushoch unterlegen, die Städtesamt ihrer Einwohner sind vernichtet. Dieritterlichen Tugenden vom ehrenhaftenSchwerter-Zweikampf sind von den distanz-wahrenden und pfeileschießenden Mongo-len einfach aufgehoben worden.Dazu kommt, dass man im mittelalterlichenAbendland eigentlich so gut wie nichts überdie �Tartaren� weiß, d.h. sie erscheinen alsübermächtige, blutrünstige, terroristische,unkontrollierbare Gewalt des Unbekannten,die wie eine Heuschreckenplage auftaucht

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und wieder abzieht. Der Name �Tartaren�heißt demnach soviel wie �Höllenschlund-leute�. -Wesen die dem Tartarus, also derUnterwelt, entkrochen sind.//:: Man hatte für das Auftreten der �Tartaren�kein Erklärungsmuster. Bestenfalls glaub-te man, die �Tartaren� seien zur Bestrafungder Sünden geschickt: Zeichen der nahenApokalypse, Zeichen des Weltunter-gangs.10

3. Wer sind die �Tartaren�?Wie setzte sich das Bild derMongolen im Abendland zu-sammen? Mit welchen Vor-stellungen suchte Carpiniden Herrscher der �Tartaren�auf?Über Herkunft und Identität, Absichten undBedeutung der �Tartaren� setzte ein tiefesGrübeln und ein intensives Bedürfnis nachdirekter Erforschung ein. Die herkömmli-chen Quellen des Mittelalters - Überbleib-sel des antiken Wissens (Isidor/ Plinius),Chroniken, die Bibel, der Alexanderroman,oder andere Legenden wie die des Hl.Methodius11 - gaben keine konkreten Hin-weise zu den �Tartaren�.Überhaupt kann man im abendländischenMittelalter von einer wahren Stagnation desWissens sprechen. Trotz der Kreuzzüge imNahen Osten, trotz der Ausbreitung derdeutschen Hanse und dem Ausbau desOsthandels, der Christianisierung und Be-siedlung slawischer Gebiete gab es keinen

nennenswerten Zustrom neuer geographi-scher Informationen. Da sich die Kartendurch Kreuzzüge, Handel und Siedlungs-bewegungen kaum veränderten, waren siegeprägt von Anachronismen, und schlim-mer noch: sie verloren zudem an Niveau,das sie in der Antike ehemals hatten.12 DerRaumtheoretiker und Kriegsrechtler CarlSchmitt spricht deswegen von einer �jahr-hundertelangen Raumverdunklung� undeiner �Verlandung� des mittelalterlichenEuropas. - Begriffe, die den Zustand desAbendlandes, angesichts der angreifenden�Tartaren� im Dunkel tappend, bestensumschreiben mögen:Carl Schmitt: �Der Verfall des RömischenReiches, die Ausbreitung des Islam, dieEinbrüche der Araber und der Türken ha-ben eine jahrhundertelange Raum-verdunkelung und Verlandung Europasherbeigeführt. Die Abdrängung von derSee, der Mangel einer Flotte, die völligeTerritorialisierung sind für das frühe Mittel-alter und sein feudales System kennzeich-nend. [�] In einem Seereich hätten die Re-gierenden wahrscheinlich nicht so langelesens- und schreibensunkundig bleibenkönnen, wie in einem solchen rein territori-al, grundwirtschaftlichen Landkomplex.�13

Schmitt sieht die Ursachen dieserTerritorialisierung, die man mit Deleuze/Guattari als Reterritorialisierungsbewegungfassen könnte, in der Abkapselung Euro-pas vom Seehandel und überhaupt vomAustausch mit dem Rest der Welt. FürSchmitt setzt ein Kulturwandel des mittel-

alterlichen Abendlandes erst mit einerRaumerweiterung ein, die sich nicht nur inder Wiederaufnahme der Handelsbezie-hungen, sondern beispielsweise auch imBaustil der Gotik niederschlägt:�In der neuen, der gotischen Kunst, in Ar-chitektur, Plastik und Malerei überwindet einmächtiger Rhythmus der Bewegung denstatischen Raum der vorangehenden roma-nischen Kunst und setzt an seine Stelle eindynamisches Kräftefeld, einen Bewegungs-raum. [�] Das gotische Gewölbe ist einGefüge, in dem die Teile und Stücke sichgegenseitig durch ihre Schwere im Gleich-gewicht halten und tragen.�14

Den Einbruch des nomadischen�Bewegungsraumes� oder das �dynamischeKräftefeld�, das sich durch die Reibung vonsesshafter abendländischer Weltfremdheitund mongolischer Angrifflustigkeit entwik-kelte, behandelt Schmitt in seinen Überle-gungen vom sich wandelnden Mittelalternicht. Tatsächlich aber saugt der Sturm derNomaden die Europäer in den ominösenOsten nach Asien, er zieht sie �mit Deleuze/Guattari- in den Strudel des glatten, nicht-territorial geordneten Raumes der Steppe.

Der Name �Tartaren� wurde von den Ungarnübernommen, die ihrerseits damit einfallen-de nomadische Reiterhorden bezeichneten.Eigentlich müsste es aber Tataren heißen.Im westlichen Abendland klingt der Namebesonders eindrucksvoll, weil er an denTartarus, die Hölle, erinnert und so wurdendie einfallenden Mongolen vielfach mit den

7 Michael Weiers: Ge-schichte der Mongolen. In:Arne Eggebrecht (Hg.):Die Mongolen und ihrWeltreich. Hildesheim1989. p. 45ff.8 Felicitas Schmieder:Johannes von PlanoCarpini. Kunde von denMongolen. 1245-1247.Sigmaringen 1997. p. 73.9 Dies.: Europa und dieFremden. Sigmaringen1994. p. 10 ff.10 Felicitas Schmieder:Johannes von PlanoCarpini. Kunde von denMongolen. 1245-1247.Sigmaringen 1997. p. 7 ff.11 Axel Klopprogge: DasMongolenbild im Abend-land. In: StephanConermann und JanKusber (Hg.): Die Mongo-len in Asien und Europa.Kieler Werkstücke Reihe F:Beiträge zur osteuropäi-schen Geschichte. F.a.M.1997. p. 85 ff.12 a.a.O. p. 90.13 Carl Schmitt: Land undMeer. Köln 1981. p. 61-62.14 a.a.O. p. 63.

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biblischen apokalyptischen Reitern gleich-gesetzt. Zu allem Überfluss ereignete sichim Jahr 1241 eine Sonnenfinsternis.15 Tat-sächlich stellt die Bibel eine schriftlicheQuelle für das Abendland dar, in welcherder Kontakt zwischen sesshafter und no-madischer Kultur konfliktreich dargestelltwird.Ich werde nun einige Quellen des abend-ländischen mittelalterlichen Wissens umnomadische Invasionen vorstellen.

3.1. Die BibelIn den alttestamentarischen Beschreibun-gen vom Fürsten Gog und seinem zerstö-rerischen Reitervolk Magog, wie sie in denProphezeiungen des Ezechiel zu findensind, sah man direkte Hinweise auf die be-drohliche Expansion der Mongolen alias�Tartaren�.AT, Die Prophezeiungen des Ezechiel vomEnde der Welt 38,416 :Um die Sünden des Volkes Israel zu be-strafen ruft Gott den Fürsten Gog auf, mitseinem Reiterheer über die Sünder herzu-fallen:38,4 �Siehe, ich will dich [Gog] herum-lenken, und will dir einen Zaum ins Maullegen, und will dich herausführen mit alledeinem Heer, Roß und Mann, die alle wohlgekleidet sind; und ihrer ist ein großerHaufe, die alle Tartschen und Schild undSchwert führen.�38,9 �Du wirst heraufziehen, und daherkommen mit großem Ungestüm und wirstsein wie eine Wolke, das Land zu bedek-

ken, du und alle dein Heer, und das großeVolk mit dir.�38,15 �So wirst du kommen aus deinem Ort,nämlich von den Enden gegen Mitternacht;du und ein groß Volk mit dir, alle zu Roß,ein großer Haufe und ein mächtiges Heer.�Ezechiel prophezeit große Zerstörungenvon Mauern und Wänden, so dass alles aufder Erde zittern wird. Schließlich wird Gogaber doch durch den HERRn blutrünstigabgewehrt.39,2-3 �Siehe, ich will dich herumlenken undlocken, und aus den Enden der Mitternachtbringen, und auf die Berge Israels bringenlassen und will dir den Bogen aus deinerlinken Hand schlagen, und deine Pfeile ausdeiner rechten Hand werfen.�Gott metzelt Magog ab und macht ein gro-ßes Schlachtopfer aus Rossen und Reitern,an dem die Gläubigen teilhaben sollen.//:: Wurden Gog mit Magog schon vom jü-dischen Geschichtsschreiber Josephus(1.Jh.n.Chr.) mit den Skythen gleichgesetzt,so dienten sie nun zur Klärung der ominö-sen �Tartaren�. Gott hatte Gog und Magog,Skythen wie �Tartaren� zur Bestrafung irdi-scher Sünden geschickt.17

3.2. Die AlexandersageAls weitere Quelle diente der sog.Alexanderroman, ein anonymer griechi-scher Roman, der die Sage des Alexanderdes Großen erzählt (4.Jh.n.Chr.) und derim Mittelalter sehr stark rezipiert wurde.Die Sage erzählt, Alexander der Großehabe bestimmte israelitische Stämme (dar-

unter auch Gog mit seinem Volk) hinter denkaspischen Bergen weggesperrt: Gott ließ2 Berge so nah zusammenrücken, dassAlexander den entstandenen Spalt mit ei-nem Tor verschließen konnte.Diese eisernen Tore, die sog. KaspischenPforten waren tatsächlich vorhanden undversperrten Engpässe in den KaspischenBergen, die als Grenze zwischen Asien undEuropa bekannt waren. Alexander führteauch mehrere Feldzüge gegen die herein-brechenden nomadischen Steppenvölkerund diese Wegsperranlagen dienten durch-aus dazu, unliebsame Völker von ihrenInvasionen abzuhalten.18

Den großen Reiz der Alexandersage mach-te natürlich der zu erwartende, endzeitlicheAusbruch der weggesperrten Völker ausden Bergen aus.Carpini: �Die Menschen, die in den Kaspi-schen Bergen eingeschlossen sind, began-nen � vermutlich, als sie den Lärm desHeeres [der Mongolen] hörten � die Bergezu durchbrechen. Als die Tartaren zehnJahre später zurückkehrten, fanden sie denBerg aufgebrochen. Doch als sie sich be-mühten, zu jenen Menschen vorzudringen,gelang es ihnen nicht, weil eine Wolke vorihnen lag, die sie in keiner Weise durch-dringen konnten, denn sie nahm, wenn mansich ihr näherte, sofort alle Sicht.�19

3.3. Die Offenbarungen des Hl.Pseudo-MethodiusHierbei handelt es sich um eine (typische)Mittelalter-Fälschung: Die anonymen Auf-

15 Axel Klopprogge: DasMongolenbild im Abend-land. In: StephanConermann und Jan Kusber(Hg.): Die Mongolen inAsien und Europa. KielerWerkstücke Reihe F: Beiträ-ge zur osteuropäischenGeschichte. F.a.M. 1997. p.91.16 Martin Luther: Die Bibel.Nürnberg 1896.17 Axel Klopprogge: DasMongolenbild im Abend-land. In: StephanConermann und Jan Kusber(Hg.): Die Mongolen inAsien und Europa. KielerWerkstücke Reihe F: Beiträ-ge zur osteuropäischenGeschichte. F.a.M. 1997. p.85.18 Stichwort Caspiae Portaein: Allgemeine Encyklopädieder Wissenschaften undKünste. Leipzig 1883. in:Meyers Neues Konversati-onslexikon. Hilburghausen1863.Andrew R. Anderson:Alexander�s Gate, Gog andMagog and the InclosedNations. Cambridge,Massachusetts 1932. p. 15-16. Es handelt sich bei denCaspiae Portae um

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zeichnungen stammen aus dem 7.Jh.n.Chr.und stellen eine Vermischung und Ver-schmelzung der biblischen apokalyptischenProphezeiungen mit der Alexandersagedar.Nach den Offenbarungen des Hl.Methodius soll Alexander 22 Volksstämmeweggeschlossen haben (darunter natürlichGog und Magog), die beim Ende der Weltausbrechen, das Land Gottes verwüstenund zerstören werden, bis der Antichrist er-scheint und das jüngste Gericht über dieSünder gehalten wird.//:: Der Pseudo-Methodius und seine Of-fenbarungen gehörten im Mittelalter zu denerfolgreichsten Geschichten, wovon diezahlreichen Handschriften und Übersetzun-gen zeugen.20

3.4. Die Legende vom Priester-könig JohannesIrgendwo im wunderbaren Indien oder anden Rändern der Welt, jedenfalls ganz inder Nähe des Paradieses, imaginierte sichdas christliche Abendland einen mächtigenChristen-König, den Priester-König Johan-nes. In vermeintlichen Briefwechseln, diewiederum in Chroniken festgehalten undweiterabgeschrieben wurden21 , hatte die-ser Priesterkönig angekündigt, den christ-lichen Kreuzrittern bei ihrem Kampf gegenden Islam zur Hilfe zu kommen. Als nundie Nachricht von einem sich westlich ex-pandierenden Heer, also eigentlich dieNachricht von den China und Persien er-obernden Mongolen, nach Europa gelang-

te, identifizierte man das unbekannte Heermit dem des Priesterkönigs und glaubte andie göttliche Rettung.

Der offensichtliche Fälschungscharakterhat der Rezeption und der Autorität desBriefes keinen Abbruch getan22 : Im Mittel-alter gibt es keine Trennung von Realitätund Fiktionen, von Fakten und Fakes. Diemittelalterlichen Codes verlaufen zwischenFälschungen, Sagen, Märchen, Erwartungvon Wundern, Auferstehung und Unter-gang. Aufgeschriebenes ist eigentlich perse wahr. Eine Trennung zwischen der wirk-lichen Tatsache und der Fabel, zwischenWahrheit und Unwahrheit existiert schlech-terdings nicht. Die Matrix von der Rezepti-on des Fremden bzw. des Anderen läuftüber Ausgrenzung, Unterwerfung (Bsp.Juden, Moslems), Bewunderung, Hoffnungoder Übertragung ins Paradiesische.

Als schließlich Persien tatsächlich aus öst-licher Richtung angegriffen und erobertwird, blüht die Sage vom Priester-König erstrecht auf. Trotzdem Dschingis Khan derneue Herrscher ist, dringt sein Name ein-fach nicht bis zum Abendland durch, bzw.sein Name wird durch den des Priester Jo-hannes ersetzt. Die weitreichenden Folgendieser mittelalterlichen Verblendung lassensich an der Niederlage von Damietta able-sen. In ihrer misslichen Lage vertrauten dieKreuzritter an den Ufern des Nils beiDamietta auf die Rettung durch denPriesterkönig. Die Erfüllung der abendlän-

dischen Erwartung blieb natürlich aus, dennjenes Heer im Osten, das mongolischenämlich, war mit dem Sturm auf Bagdadim damaligen Chwarezm-Reich beschäftigt,der im Jahre 1258 zur endgültigen Einnah-me und Zerstörung der Stadt führte. We-gen ihrer völligen Überschätzung erlitten diechristlichen Kreuzritter eine katastrophaleNiederlage, bei der König Louis IX. gar inarabische Gefangenschaft geriet.23

Wachgerüttelt wird das Abendland erstdurch den grausamen Mongolensturm aufOsteuropa: Die Mongolen werden nichtmehr mit Priester Johannes, sondern mitden �Tartaren� erklärt. Trotzdem glaubtCarpini weiterhin an den Priesterkönig Jo-hannes, der quasi noch �hinter � den�Tartaren� herrschen könnte, um so mit denabendländischen Christen �Tartaren� wieMuselmanen im Zangengriff unterwerfen zukönnen. Das frühe Mittelalter stellte sichnämlich Indien (das Herrschaftsgebiet desKönigs Johannes) als das östlichste Landder Welt vor, dahinter wartete nurmehr derschreckliche Rand der Welt. Wie mulmigmuss es Wilhelm von Rubruk gewordensein, als er im Lager des Möngke-Khan vonindischen Gesandten erfährt, ihr Land lie-ge westlich vom Kerngebiet der Mongolen!Rubruk: �Als ich mich nach der Lage vonIndien erkundigte, deuteten sie [indischeGesandte] in westliche Richtung. Und die-se Gesandten sind dann mit mir zurückge-kehrt und drei Wochen lang immer nur nachWesten zu gereist.�24

Erst Rubruk ist tatsächlich und womöglich

verschiedene Bergpässe, dieje nach Blickwinkel variieren:Die römischen Quellenbeziehen sich natürlich aufeine �Ost-Angst�, wohingegenpersische Quellen eher eineAngst vor dem Nordenvermitteln. Im allgemeinenwerden aber die Pässe vonSirdara und Firouz Kouhsüdöstlich vom heutigenTeheran gemeint. LateinischeQuellen aus der Nero-Zeitlokalisieren die Pforten zudemim Kaukasus, obwohl, lautAnderson, Alexander derGroße niemals im Kaukasusgewesen ist. Als �Alexander-Tor � wird der Pass vonDerbend angesehen und wirdmit dem sog. �Eisernen Tor�von Damir-Kapi zusammen-gedacht.19 p. 67.20 Axel Klopprogge: DasMongolenbild im Abendland.In: Stephan Conermann undJan Kusber (Hg.): DieMongolen in Asien undEuropa. Kieler WerkstückeReihe F: Beiträge zur osteu-ropäischen Geschichte.F.a.M. 1997. p. 86.21 1141 findet sich der ersteNachweis für den Priester-könig in der Chronik desBischofs Otto von Freising.

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22 Axel Klopprogge: DasMongolenbild im Abendland.In: Stephan Conermann undJan Kusber (Hg.): Die Mon-golen in Asien und Europa.Kieler Werkstücke Reihe F:Beiträge zur osteuropäi-schen Geschichte. F.a.M.1997. p. 88 ff.Axel Klopprogge: Ursprungund Ausprägung des abend-ländischen Mongolenbildes im13.Jahrhundert. Wiesbaden1997.23 Peter Jackson: TheMission of Friar William ofRubruck. London 1990. p.35. Felicitas Schmieder:Europa und die Fremden.Sigmaringen 1994. p. 24.24 Hans D. Leicht: Wilhelmvon Rubruk: Reisen zumGroßkhan. Von Konstantino-pel nach Karakorum 1253-1255. Stuttgart 1984. p. 204.25 Marina Münkler: Erfah-rung des Fremden. DieBeschreibung Ostasiens inden Augenzeugenberichtendes 13. und 14. Jahrhun-derts. Berlin 2000.26 Felicitas Schmieder:Johannes von Plano Carpini.Kunde von den Mongolen.1245-1247. Sigmaringen1997. p. 17.

nicht nur wegen seiner Gabe zur nüchter-nen Betrachtung der geographischen Welt-verhältnisse in der Lage die Legende desChristenkönigs als Irrtum zu verabschieden.

4. Die päpstlichen und kö-niglichen GesandtschaftenAngesichts der schlimmen Verwüstungenentschließen sich die Machthaber des west-lichen Abendlandes, Gesandte zu den un-bekannten �Tartaren� zu schicken. DenSchreckensmärchen über die Tartaren sollauf diese Weise Paroli geboten werden. Einintensives Nachdenken über die �Tartaren�und die unbekannten Enden der Welt setztein.Papst Innozenz IV. schließlich leitet einegroße Wahrheitssuche ein, wenn er die�wahren� Tartaren auskundschaften lässt:Ab 1245 werden Gesandtschaften zu denTartaren geschickt, bestückt mit einemFragenkatalog, mit dem die Mönche dieInvasoren systematisch ausspionieren sol-len. Darin werden Fragen gestellt nach derHerkunft und Art des Glaubens, nach Sit-ten und Gebräuchen der �Tartaren�, ihrenLebensformen, ihrer Geschichte, nach ih-ren Absichten, letztendlich nach ihrer Krieg-führung und wie sie mit Fremden hinsicht-lich Verträgen und diplomatischer Kontakt-aufnahme umgehen. Die systematischeAnleitung durch den päpstlichen Fragen-katalog ermöglichte den abendländischenMönchen somit die Konfrontation und Er-

fahrung mit dem absolut Fremden und An-deren.25

Warum gerade der Papst?Im mittelalterlichen Europa war die Machtaufgeteilt zwischen dem deutschen Kaiser(Friedrich II., Sohn Barbarossas), dem fran-zösischen König (Ludwig der Heilige) unddem römischen Papst (Innozenz IV.). DerPapst beanspruchte dabei als weltlicherVertreter Gottes �de iure� die Aufsichtspflichtüber alle Menschen, d.h. über Christen undNicht-Christen. Der Papst sah sich quasials Hirte aller Menschen. Um seiner Hirten-tätigkeit aber nachkommen zu können,mussten die Menschen erst an ihn bzw. dasChristentum glauben. Deswegen sollte dieWelt zunächst christianisiert werden.26

//:: Die Gesandtschaften waren darum nichtnur zur Spionage, sondern auch zur Mis-sionierung gedacht. Die �Tartaren� aliasMongolen sollten zu Christen bekehrt wer-den, damit das Abendland mit ihnen ver-handeln hätte können.

Am erfolgreichsten war die Gesandtschaftdes Franziskaners Johannes von PlanoCarpini und seinem Gefährten und Dolmet-scher Benedikt von Polen. Ostern 1245brach Carpini in Lyon auf. Im Sommer 1246erreichte er das Lager des Güjük-Khan undwar bei dessen Wahl zum Großkhan an-wesend. Schließlich bekam er eine Audi-enz beim Khan. Im November 1247 kehrteer nach Lyon zurück.

Carpini gelangte bis zum Zentrum der un-bekannten Macht, übergab das päpstlicheGesandtschaftsschreiben an den Herrscherder �Tartaren� und erhielt eine Antwort vomGüjük Khan für den Papst. RömischerPapst und mongolischer Khan haben alsotatsächlich einmal miteinander kommuni-ziert, was ich außerordentlich spannend fin-de. Ich werde deswegen den Briefwechselkurz darlegen. Der Anspruch aufAuserwähltheit des mongolischen Imperi-ums, aber auch des christlichen Abendlan-des prallen hierbei aufeinander. Papst wieKhan sehen sich als irdische Allein-Reprä-sentanten eines göttlichen Willens undPlans an:

Der Brief des Papstes beginnt:�Der Bischof Innozenz, der Knecht derKnechte Gottes, an den König und das Volkder Tartaren�27

In seinem Brief ermahnt Innozenz IV. denHerrscher der �Tartaren�, das kriegerischeMorden einzustellen. Er weist ihn daraufhin, dass es ein Naturrecht gebe, dem alleMenschen der Erde unterlägen, das Mor-den und Überfälle verbiete und gegen die-ses Naturrecht habe der Herrscher der�Tartaren� verstoßen. Der Papst bittet fle-hentlich, darum die Invasionen einzustel-len, von einer Verfolgung der Christen ab-zusehen, er bittet um Frieden. Schließlichfordert er mit einem Verweis auf die StrafeGottes die Mongolen auf, ihre Sünden ein-zusehen, Busse zu tun und sich zum christ-lichen Glauben zu bekennen.

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Die Antwort des Güjük Khans beginnt:�Gottes Kraft, Güjük Khan, der Kaiser allerMenschen, an den großen Papst�28

Der Khan schreibt, er wäre der Sohn desHimmels und er würde dem Auftrage Got-tes folgen, sich die Welt von Ost nach WestUntertan zu machen und sie zu zerstören.Der Papst solle sich, wenn er sein Land undseine Leuten schützen wolle, persönlichzum Khan begeben, um sich zu unterwer-fen. Andernfalls würden die Mongolen denfernen Westen verwüsten.Zu den christlichen Bekehrungsversuchensowie zu dem Vorwurf, die Grausamkeiten

gegen Russland, Polen und Ungarn wür-den gegen irdisches Naturrecht verstoßen,schreibt der Khan schlicht: Das verstehenwir nicht. Und daran anschließend stellt erdie Annahme, dass gerade die Christen vonGott privilegiert würden, in Frage.Erstaunlich sind bei diesem Briefwechselnatürlich weniger die zu erwartenden christ-lichen Bekehrungsversuche, vielleichtschon eher das komplette Unverständnisder Mongolen für die herangetragenen Vor-würfe. Tatsächlich prallten hier aber die Al-lein-Vertretungsansprüche eines göttlichenPlanes zweier Hirten aufeinander. Papst

wie Khan sehen sich ja als auserwählteHirten einer irdischen Gemeinde oder ei-nes Volkes, nur verfährt der eine nach demModell der Sesshaftigkeit. Der Papst willseine Herde durch Hüten quasi im Sitzenvergrößern und verteidigt sein Glaubens-territorium z.b. in den Kreuzzügen durchdas Abschlachten der Muslime. Der Noma-de dagegen schröpft, unterjocht und dezi-miert herumziehend die Herden der ande-ren, um seine eigene besser durchbringenund formen zu können, um sich saftigenWeidegrund zu sichern. Carpini schreibtdazu:�Die Absicht der Tartaren ist es, sich dieganze Welt zu unterwerfen, [�] dazu ha-ben sie vom Kaiser den Auftrag [�]. Des-halb beginnt ihr Kaiser folgendermaßen sei-ne Briefe:�Gottes Kraft, Kaiser aller Men-schen�[�]. Deshalb schließen sie wie ge-sagt mit keinem Menschen Frieden, außerwenn er sich in ihre Hände begibt. Und weiles � außer der Christenheit � kein Land aufder Welt gibt, das sie fürchten, deshalb rü-sten sie zum Kampf gegen uns. [�] Dieserschon früher erwähnte Güyük Khan richte-te zusammen mit allen seinen Fürsten dasBanner gegen die Kirche Gottes und dasrömische Reich, gegen alle christlichenReiche und die Völker des Westens auf �es sei denn, sie würden doch noch befol-gen, was er dem Herrn Papst, den Mächti-gen und allen anderen christlichen Völkerndes Westens befiehlt.�29

27 Friedrich Risch: Johannde Plano Carpini. Geschich-te der Mongolen und Reise-bericht 1245-1247. Leipzig1930. p. 43-44.28 a.a.O. p. 47.29 Felicitas Schmieder:Johannes von PlanoCarpini. Kunde von denMongolen. 1245-1247.Sigmaringen 1997. p. 90.

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4.1 Carpini findet die Differenz Über die Begegnung mit den �Tartaren�/Mongolen hat Carpini einen Bericht ge-schrieben: Die �Historia Mongalorum�, wasnatürlich nicht den modernenGeschichtsbegriff meint, sondern eher aufden erzählerischen Erlebnischarakter desBerichts anspielt: �Historia� bezeichnet hiersoviel wie die �Geschichte mit den Mongo-len�, oder eben die �Kunde von den Mon-golen�.

Dank dem päpstlichen Fragenkatalog liestsich Carpinis Bericht locker als ethnogra-phische Studie über die �Tartaren�, die zwarauch mit den für das Mittelalter charakteri-stischen Monster- und Wundergeschichtenaufwarten kann, größtenteils aber sehr sy-stematisch und möglichst neutral von derAndersartigkeit der Tartaren berichtet. Tat-sächlich besteht der Bericht zur Hälfte auseinem Spionageteil, in dem es um die Ge-schichte der �Mongal�, um ihreWelteroberungs- und Europapläne geht, indem es um die Kriegführung der Tartarenund um eine daraus abgeleitete militärischeAbwehr der �Tartaren� geht. Dabei vergisstman aber leicht den eigentlichen Hinter-grund Carpinis:Carpini wurde nicht geschickt, die Mongo-len, sondern die Tartaren auszukundschaf-ten!Auf seiner Reise wird ihm der Unterschiedzwischen den �Tartaren�, dem abendländi-schen Bild der Mongolen, und den �Mongal�,der faktischen Realität, mit ihren ganz ei-

genen Legenden, bewusst. Man kann be-haupten, dass Carpini irgendwo auf seinerReise die Differenz entdeckt hat, was sichim Beginn seines Berichts ausdrückt:�Incipit Historia Mongalorum quos nos Tar-taros appellamus.�30 Zu deutsch: �Hiermitbeginnt die Geschichte der Mongal, die wirTartaren nennen�. Carpini trennt die beidenBegriffe in seinem Bericht säuberlich. So-mit erkennt man, dass Carpinis Gesandt-schaft in zwei Richtungen verlief: Hinzumusste sie den �Tartaren� das Abendlanderklären und zurück musste sie den ver-stockten Abendländern, die im anachroni-stischen Wust aus Fabeln, Fakes und Fak-ten feststeckten, die totale Andersartigkeitder Mongolen erklären! Denn die �Tartaren�alias �Mongal� sind komplett anders als �alleanderen Menschen� (Carpini), d.h. als al-les, was man bisher in Europa oder im Na-hen Osten über fremde Lebensweisen er-fahren konnte.

4.2. Bei Rubruk verdrängen diegesehenen Tatsachen die gehör-ten Legenden.Bei Carpini trifft man auf die für das Mittel-alter typische Melange aus Fabeln, Faktenund Fakes. Er beweist seine �Tartaren-Wahrheit� damit, dass er sie selbst gese-hen oder von anderen Zeugen gehört habe.Bei Rubruk dagegen verdrängen die gese-henen Tatsachen die gehörten Legenden:Wilhelm von Rubruk wurde vom französi-schen König nicht als Gesandter, sondernals Missionar zu den Mongolen geschickt.

Er kannte den Bericht Carpinis und konntesomit auf dessen Erfahrungen aufbauen.Im Gegensatz zu Carpini glaubt Wilhelmvon Rubruk nur das, was er oder glaubwür-dige Zeugen gesehen haben. Der Legen-de vom Priester Johannes sowie denMonstergeschichten kann er nurmehr mitskeptischer Ungläubigkeit begegnen:Zum Priesterkönig Johannes: �Seine Un-tertanen nannten ihn König Johannes underzählten von ihm zehnmal mehr, als derWahrheit entsprach. So machen es näm-lich die Nestorianer, die aus jenen Gebie-ten kommen. [�] So ging auch von diesemKönig Johannes ein großer Ruf aus. Als ichaber durch seine Weidegebiete zog, wusstekein Mensch etwas über ihn, abgesehenvon wenigen Nestorianern.�31

Zu den Monster- und Wundergeschichten:�Ich erkundigte mich nach jenen Ungeheu-ern oder seltsamen Menschen, von denenIsidor und Solinus berichten: Man sagte mir,dass man niemals so etwas gesehen habe.Es wäre auch verwunderlich, wenn die Er-zählung zuträfe. [�] Man wollte mir auchals wahr berichten, dass jenseits von Cathaieine Provinz liege, wenn sie ein Mensch,gleich welchen Alters, betrete, so behalteer dieses Alter bei. Aber ich kann diese Din-ge nicht glauben.�32

Selbst antike geographische Angaben fin-det er nicht bestätigt. Rubruk schreibt aneiner Stelle tatsächlich: �Es stimmt nicht,was Isidor sagt�!33

Rubruks geographische Angaben zu sei-nem Reiseweg sind sehr genau und wei-

30 P. Daffinà, C. Leonardiet al.: Giovanni di Pian diCarpine: Storia dei Mongoli.Spoleto 1989. p. 227.31 Hans D. Leicht: Wilhelmvon Rubruk: Reisen zumGroßkhan. Von Konstantino-pel nach Karakorum 1253-1255. Stuttgart 1984. p. 82.32 a.a.O. p. 156.33 �Es stimmt nicht, wasIsidor sagt, dass es [dasKaspische Meer] ein zumOzean gehörender Meerbu-sen sei; denn es hängtnirgends mit einem Ozeanzusammen , sondern wirdauf allen Seiten vom Landeingefasst.� a.a.O. p. 88.34 Peter Jackson: TheMission of Friar William ofRubruck. London 1990. p.36.35 Gilles Deleuze, FélixGuattari: Kapitalismus undSchizophrenie. 1000 Pla-teaus. Berlin 1992. p. 496.

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sen auf einen neuen Umgang mit demFremden hin. Dieser Zugang zum abstrak-ten Sehen von Geographie ermöglicht dannauch im weiteren Verlauf des Jahrhundertsdas Lesen von Karten. Die mittelalterliche�Verlandung� Westeuropas wird gestört.Schließlich wurden die geographischenBeschreibungen Rubruks vom Franziska-ner Roger Bacon in sein �Opus Magnum�übernommen und standen auf diese Wei-se weiterer Quotierung zur Verfügung.34

Fazit:Durch die Mongolenexpansion trennt das�Meer� der Steppe nicht mehr Europa undAsien. Vielmehr werden die Abendländerin den weiten Strudel der �Kommunikations-maschine Tartaren� hineingezogen: DerMongolensturm bewirkt also eine Öffnungzur Wahrheitssuche, die sich auch enormauf das geographische Selbstverständnisdes Abendlandes auswirkt. Carpinis Ge-sandtschaft entdeckte die tatsächliche Rea-lität der �Mongal� und darüber hinaus denUnterschied zwischen dem abendländi-schen Bild von den Mongolen (�Tartaren�)und jener mongolischen Wirklichkeit. DasErkennen der Differenz wird somit beiCarpini zur Grundlage eines abendländi-schen Wahrheitskonzepts. Trotzdem bau-en seine Beschreibungen von den Mongo-len noch auf oral bezeugten Geschichten.Bereits Wilhelm von Rubruk fügt diesemabendländischen Erkunden der Wahrheiteinen entscheidenden Aspekt hinzu, wenner den gehörten Erzählungen anderer nicht

mehr vertraut und sich nurmehr auf dasGesehene als Quelle der tatsächlichenWirklichkeit verlässt. Noch vor dem GroßenZeitalter des Sehens, noch vor dem Erfin-den der Zentralperspektive bedient er sichdes Grundpfeilers abendländischer Er-kenntnis: dem Sehen. Noch vor der Ent-deckung Amerikas wurde Europa alsodurch den deterritorialisierenden Wirbel dernomadischen Mongolen über die Enden derdamals bekannten Welt hinausgezogenund dadurch mit dem praktischen Erstellenvon einem Wirklichkeits- und Wahrheits-konzept konfrontiert.

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Literatur:Andrew R. Anderson: Alexander�s Gate, Gogand Magog and the Inclosed Nations.Cambridge, Massachusetts 1932.Peter Berz: Nomadische Geopolitik. In: Gegner(Zeitschrift). Berlin Feb./März 2003.P. Daffinà, C. Leonardi et al.: Giovanni di Piandi Carpine: Storia dei Mongoli. Spoleto 1989.Gilles Deleuze, Félix Guattari: Kapitalismus undSchizophrenie. 1000 Plateaus. Berlin 1992.Arne Eggebrecht (Hg.): Die Mongolen und ihrWeltreich. Hildesheim 1989.Michael de Ferdinandy: Tschingis Khan. DerEinbruch des Steppenmenschen. Hamburg1958.Erich Haenisch: Die Geheime Geschichte derMongolen. Aus einer mongolischen Niederschriftdes Jahres 1240 von der Insel Kode�s amKeluren Fluß. Leipzig 1948.(2.Aufl.)Walther Heissig u. Claudius C. Müller (Hg.):Die Mongolen. Innsbruck/ F.a.M. 1989.

Peter Jackson: The Mission of Friar William ofRubruck. London 1990.Friedrich A. Kittler: Von Städtern und Noma-den. Vortrag Humboldt-Uni Berlin 2002.Axel Klopprogge: Das Mongolenbild im Abend-land. In: Stephan Conermann und Jan Kusber(Hg.): Die Mongolen in Asien und Europa. KielerWerkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäi-schen Geschichte. F.a.M. 1997.Axel Klopprogge: Ursprung und Ausprägungdes abendländischen Mongolenbildes im13.Jahrhundert. Wiesbaden 1997.Hans D. Leicht: Wilhelm von Rubruk: Reisenzum Großkhan. Von Konstantinopel nachKarakorum 1253-1255. Stuttgart 1984.Martin Luther: Die Bibel. Nürnberg 1896.Marina Münkler: Erfahrung des Fremden. DieBeschreibung Ostasiens in den Augenzeugen-berichten des 13. und 14. Jahrhunderts. Berlin2000.Stephen Neill: Geschichte der christlichen Mis-sionen. Erlangen 1990. (2.Aufl.)Reinhold Neumann-Holtz: Dschingis Khan.Reinbek bei Hamburg 2000.(4.Aufl.)Friedrich Risch: Johann de Plano Carpini. Ge-schichte der Mongolen und Reisebericht 1245-1247. Leipzig 1930.Felicitas Schmieder: Johannes von PlanoCarpini. Kunde von den Mongolen. 1245-1247.Sigmaringen 1997.Dies.: Europa und die Fremden. Sigmaringen1994.Carl Schmitt: Land und Meer. Köln 1981.Manfred Taube (Hg.): Geheime Geschichte derMongolen. Leipzig / Weimar 1989.Michael Weiers: Die Mongolen. Darmstadt 1986.