Die Herbstzeitlose — Juwel der Wiesen

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68 | Pharm. Unserer Zeit | 33. Jahrgang 2004 | Nr. 1 FORUM | PFLANZENPORTRAIT | Die Herbstzeitlose – Juwel der Wiesen die Zeitlosen heute zumeist als eigene Pflanzenfamilie der Colchicaceae in- nerhalb der einkeimblättrigen Blüten- pflanzen geführt. Die Staubgefäße sind am Rande des Blütenschlunds ange- heftet, der dreifächrige Fruchtknoten liegt tief unter der Erde. Die Blüten sind proterogyn, also vorweiblich, so dass sich die Staubgefäße einer Blüte erst dann öffnen, wenn das Narben- gewebe der Griffel mit Pollen einer an- deren Pflanze belegt wurde, womit sehr wirkungsvoll eine Selbstbestäu- bung verhindert wird. Als Bestäuber können Bienen, Schmetterlinge und langrüsselige Fliegen fungieren, die den an der Basis der Staubgefäße ab- geschiedenen Nektar erreichen kön- nen. Um eine Befruchtung der Samen- anlagen in dem tief unter der Erde lie- genden Fruchtknoten zu bewerkstelli- gen, müssen die Pollenschläuche zu- nächst das Transmissionsgewebe, das von den Narben zu den Samenanlagen reicht und der Ernährung der Pollen- schläuche dient, durchdringen. Auf- grund der Länge der Blütenröhre dau- ert dieser Vorgang mehrere Monate, die Befruchtung findet mithin im Win- ter statt. Mit der Fruchtreife geht auch die Entwicklung der grundständigen, satt- grünen, breit lanzettlichen, bis zu 35cm langen und bis sieben Zentime- ter breiten Blätter einher, die im Som- mer erscheinen.Der durch Streckungs- wachstum verlängerte Fruchtstiel hebt die Kapsel über die Erdoberfläche, wo die Samen z.B. vom Wind ausgebreitet werden können. Eine größere Bedeu- tung für die Ausbreitung der Art wird aber sicher dem passiven Verschlep- pen durch Weidetiere zukommen, da die Samen bzw. ganzen Kapseln zu- sammen mit Erdanhaftungen in den Hufen von Rindern, Schafen und Zie- gen verfrachtet werden können. Die Bedeutung weidender Haustiere als effektive Ausbreitungsvektoren wird vor allem bei großen Weidearealen und der früher üblichen Wanderschäferei deutlich, so dass die Herbstzeitlose erst mit dem wirtschaftenden Menschen als Kulturfolger in unser Gebiet ge- langen konnte. Aufgrund der zeitlichen Trennung der Blüh- und Frucht- bzw.der vegeta- tiven Phase – ursprünglich eine An- passung an ein wintertrockenes Step- penklima – als Präadaptation an die Bewirtschaftung der verschiedenen Wiesen und Weidentypen, gelang der Art eine gute Einpassung in diesen an- thropogenen Lebensraum. Da sie in allen Teilen stark giftig ist,wird sie vom Weidevieh gemieden und dadurch mancherorts zum gefürchteten Wie- senwildkraut. Die außerordentlich starke Giftig- keit bedingt auch die volksheilkund- liche Nutzung. Unter den etwa 20 in der Pflanze vorkommenden Alkalo- iden ist das Colchicin das bekannteste, es kommt in den Samen in recht kon- stanter Menge von 0,3 bis 0,5 % vor.Of- fizinell verwendet wurden die Samen, aber auch die Knollen gegen Gicht und Gelenkrheumatismus, wobei im- mer wieder starke Nebenwirkungen wie Durchfall, Erbrechen etc. auftre- ten. Von großer Bedeutung war das Gift der Herbstzeitlose auch in der Pflanzenzüchtung: Da Colchicin als Hemmer der Kernspindelbildung die Teilung der Schwesterchromatiden verhindert,kommt es zu Polyploidisie- rung der Pflanzen, was je nach Poly- ploidiegrad mit einer entsprechenden Zunahme der Pflanzenmasse einher- geht. Auf diese Weise sind so wichtige Kulturpflanzen wie die Weizensorten aus ihren Stammarten hervorgegan- gen. Thomas Junghans, Bammental Die Gattung Col- chicum ist mit etwa 65 Arten von Europa über Nordafrika bis Zentralasien und Nordindien ver- breitet. Im Ge- gensatz zu den meisten anderen Vertretern dieser Sippe, bei denen Blätter und Blü- ten gleichzeitig auftreten,erschei- nen die Blüten der Herbstzeit- lose (Colchicum autumnale) zwischen August und Oktober, während die Blätter erst im darauf folgenden Jahr erscheinen. Die Herbstzeitlose findet man in ganz Eu- ropa, nördlich bis Dänemark und Süd- skandinavien,östlich bis Weißrussland und zur Ukraine, im Süden bis Nord- afrika. Die Art ist ein typisches Element der Wiesen, vor allem der Magerwie- sen und mageren Streuobstwiesen (sie- he Abb. 1), wobei sie frische, wechsel- feuchte und tiefgründige Lehmböden bevorzugt,die allerdings nicht zu nähr- stoffreich, vor allem nicht überdüngt sein dürfen. Aus den tief im Boden gelegenen Knollen entspringen als Seitentriebe der Knollenbasis die bis zu 25 cm ho- hen,weißlich bis blassrosa oder kräftig sattlila gefärbten Blüten. An der Spitze der langen und schmalen Blütenröhre entfalten sich die bis zu acht Zentime- tern langen und etwa anderthalb Zen- timeter breiten Blütenblätter, womit die Herbstzeitlose eine der großblü- tigsten Arten der einheimischen Flora ist (siehe Abb. 2). Die in Dreizahl vor- handenen Blütenorgane eines jeden Kreises – ein Fruchtblattkreis, zwei Staubgefäßkreise sowie die eine Peri- gonröhre bildenden, gleichgestalteten Kelch- und Kronblätter – deuten be- reits auf die Verwandtschaft mit den Liliengewächsen hin, jedoch werden ABB. 1 Herbst- zeitlosen in einer extensiv genutz- ten Streuobst- wiese im Oden- wald. Durch die hier in Form der Wanderschäferei durchgeführte Beweidung durch Schafe können die Ausbreitungs- einheiten der Pflanzen auch über größere Strecken ver- schleppt werden. > ABB. 2 Da die kräftig gelb ge- färbten Staubbeu- tel der großen Colchicum-Blüten sehr einfach zu- gänglich sind, können auch „Pollenräuber“ wie z.B. Schweb- fliegen unab- sichtlich eine Be- stäubung herbeiführen.

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68 | Pharm. Unserer Zeit | 33. Jahrgang 2004 | Nr. 1

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P F L A N Z E N P O R T R A I T |Die Herbstzeitlose – Juwel der Wiesen

die Zeitlosen heute zumeist als eigenePflanzenfamilie der Colchicaceae in-nerhalb der einkeimblättrigen Blüten-pflanzen geführt.Die Staubgefäße sindam Rande des Blütenschlunds ange-heftet, der dreifächrige Fruchtknotenliegt tief unter der Erde. Die Blütensind proterogyn, also vorweiblich, sodass sich die Staubgefäße einer Blüteerst dann öffnen, wenn das Narben-gewebe der Griffel mit Pollen einer an-deren Pflanze belegt wurde, womitsehr wirkungsvoll eine Selbstbestäu-bung verhindert wird. Als Bestäuberkönnen Bienen, Schmetterlinge undlangrüsselige Fliegen fungieren, dieden an der Basis der Staubgefäße ab-geschiedenen Nektar erreichen kön-nen. Um eine Befruchtung der Samen-anlagen in dem tief unter der Erde lie-genden Fruchtknoten zu bewerkstelli-gen, müssen die Pollenschläuche zu-nächst das Transmissionsgewebe, dasvon den Narben zu den Samenanlagenreicht und der Ernährung der Pollen-schläuche dient, durchdringen. Auf-grund der Länge der Blütenröhre dau-ert dieser Vorgang mehrere Monate,die Befruchtung findet mithin im Win-ter statt.

Mit der Fruchtreife geht auch dieEntwicklung der grundständigen, satt-grünen, breit lanzettlichen, bis zu35cm langen und bis sieben Zentime-ter breiten Blätter einher, die im Som-mer erscheinen.Der durch Streckungs-wachstum verlängerte Fruchtstiel hebtdie Kapsel über die Erdoberfläche,wo

die Samen z.B. vom Wind ausgebreitetwerden können. Eine größere Bedeu-tung für die Ausbreitung der Art wirdaber sicher dem passiven Verschlep-pen durch Weidetiere zukommen, dadie Samen bzw. ganzen Kapseln zu-sammen mit Erdanhaftungen in denHufen von Rindern, Schafen und Zie-gen verfrachtet werden können. DieBedeutung weidender Haustiere als effektive Ausbreitungsvektoren wirdvor allem bei großen Weidearealen undder früher üblichen Wanderschäfereideutlich,so dass die Herbstzeitlose erstmit dem wirtschaftenden Menschenals Kulturfolger in unser Gebiet ge-langen konnte.

Aufgrund der zeitlichen Trennungder Blüh- und Frucht- bzw. der vegeta-tiven Phase – ursprünglich eine An-passung an ein wintertrockenes Step-penklima – als Präadaptation an dieBewirtschaftung der verschiedenenWiesen und Weidentypen, gelang derArt eine gute Einpassung in diesen an-thropogenen Lebensraum. Da sie in allen Teilen stark giftig ist,wird sie vomWeidevieh gemieden und dadurchmancherorts zum gefürchteten Wie-senwildkraut.

Die außerordentlich starke Giftig-keit bedingt auch die volksheilkund-liche Nutzung. Unter den etwa 20 inder Pflanze vorkommenden Alkalo-iden ist das Colchicin das bekannteste,es kommt in den Samen in recht kon-stanter Menge von 0,3 bis 0,5 % vor.Of-fizinell verwendet wurden die Samen,aber auch die Knollen gegen Gichtund Gelenkrheumatismus, wobei im-mer wieder starke Nebenwirkungenwie Durchfall, Erbrechen etc. auftre-ten. Von großer Bedeutung war dasGift der Herbstzeitlose auch in derPflanzenzüchtung: Da Colchicin alsHemmer der Kernspindelbildung dieTeilung der Schwesterchromatidenverhindert,kommt es zu Polyploidisie-rung der Pflanzen, was je nach Poly-ploidiegrad mit einer entsprechendenZunahme der Pflanzenmasse einher-geht. Auf diese Weise sind so wichtigeKulturpflanzen wie die Weizensortenaus ihren Stammarten hervorgegan-gen.

Thomas Junghans, Bammental

Die Gattung Col-chicum ist mitetwa 65 Artenvon Europa überNordafrika bisZentralasien undNordindien ver-breitet. Im Ge-gensatz zu denmeisten anderenVertretern dieserSippe, bei denenBlätter und Blü-ten gleichzeitigauftreten,erschei-nen die Blütender Herbstzeit-lose (Colchicum

autumnale) zwischen August undOktober, während die Blätter erst imdarauf folgenden Jahr erscheinen. DieHerbstzeitlose findet man in ganz Eu-ropa, nördlich bis Dänemark und Süd-skandinavien,östlich bis Weißrusslandund zur Ukraine, im Süden bis Nord-afrika.Die Art ist ein typisches Elementder Wiesen, vor allem der Magerwie-sen und mageren Streuobstwiesen (sie-he Abb. 1), wobei sie frische, wechsel-feuchte und tiefgründige Lehmbödenbevorzugt,die allerdings nicht zu nähr-stoffreich, vor allem nicht überdüngtsein dürfen.

Aus den tief im Boden gelegenenKnollen entspringen als Seitentriebeder Knollenbasis die bis zu 25 cm ho-hen,weißlich bis blassrosa oder kräftigsattlila gefärbten Blüten. An der Spitzeder langen und schmalen Blütenröhreentfalten sich die bis zu acht Zentime-tern langen und etwa anderthalb Zen-timeter breiten Blütenblätter, womitdie Herbstzeitlose eine der großblü-tigsten Arten der einheimischen Floraist (siehe Abb. 2). Die in Dreizahl vor-handenen Blütenorgane eines jedenKreises – ein Fruchtblattkreis, zweiStaubgefäßkreise sowie die eine Peri-gonröhre bildenden, gleichgestaltetenKelch- und Kronblätter – deuten be-reits auf die Verwandtschaft mit denLiliengewächsen hin, jedoch werden

A B B . 1 Herbst-zeitlosen in einerextensiv genutz-ten Streuobst-wiese im Oden-wald. Durch diehier in Form derWanderschäfereidurchgeführteBeweidung durchSchafe könnendie Ausbreitungs-einheiten derPflanzen auchüber größereStrecken ver-schleppt werden.

> A B B . 2 Da diekräftig gelb ge-färbten Staubbeu-tel der großenColchicum-Blütensehr einfach zu-gänglich sind,können auch „Pollenräuber“wie z.B. Schweb-fliegen unab-sichtlich eine Be-stäubung herbeiführen.