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Die grossen Rorschacher Leinwand-Exporthäuser im 17. und 18. Jahrhundert Die Darstellung der zwischen 1641 und 1693 jährlich auf die Rorschacher Schau gebrachten Anzahl Tücher (Tabelle l), vornehmlich der Handelshäuser von Bayer und von Hoffmann, zeigt eine Hausse über 2000 Tücher zwischen 1665 und 1684. Das hängt mit den ewigen Kriegen des Jahrhunderts zusammen. Weil der Handel der beiden Häuser hauptsächlich über Venedig und Genua in den Mittelmeerraum ging, konnten ihm die Kriege im Norden und Westen der Schweiz – hier war das Hauptabsatzgebiet der Stadt St.Gallen – weniger schaden. Wir sehen aber deutlich, wie der Dreissigjährige Krieg, der Schweizerische Bauernkrieg und der Erste Villmerger Krieg, welche über die erste Jahrhunderthälfte hinaus die Wirtschaft unseres Landes beeinflussten, auch einen Tiefstand des Rorschacher Leinwandhandels verursachten. Wir müssen uns aber hüten, den Geschäftsumfang der beiden grossen 129

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Die grossenRorschacher Leinwand-Exporthäuserim 17. und 18. Jahrhundert

Die Darstellung der zwischen 1641 und 1693 jährlichauf die Rorschacher Schau gebrachten Anzahl Tücher(Tabelle l), vornehmlich der Handelshäuser von Bayer

und von Hoffmann, zeigt eine Hausse über 2000Tücher zwischen 1665 und 1684. Das hängt mit denewigen Kriegen des Jahrhunderts zusammen. Weil derHandel der beiden Häuser hauptsächlich über Venedigund Genua in den Mittelmeerraum ging, konnten ihmdie Kriege im Norden und Westen der Schweiz – hierwar das Hauptabsatzgebiet der Stadt St.Gallen –weniger schaden. Wir sehen aber deutlich, wie derDreissigjährige Krieg, der Schweizerische Bauernkriegund der Erste Villmerger Krieg, welche über die ersteJahrhunderthälfte hinaus die Wirtschaft unseres Landesbeeinflussten, auch einen Tiefstand des RorschacherLeinwandhandels verursachten. Wir müssen uns aberhüten, den Geschäftsumfang der beiden grossen

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Häuser nur von der Leinwandschau in Rorschach herbeurteilen zu wollen, aus zwei Gründen: erstenswurden, trotz Gebot, nicht alle gekauften Tücher aufunsere Schau gebracht, und zweitens handelten dieKaufherren noch mit anderen Waren.

Das 18. Jahrhundert war, was Kriege und Umbrücheanbelangt, nicht minder aufregend als sein Vorgänger.Auch hier können die Schwankungen im Ge-schäftsverlauf der Rorschacher Handelshäuser mitgeschichtlichen Ereignissen in Beziehung gebrachtwerden. Leider sind keine Dokumente wieKaufmannsbriefe, Frachtbriefe, Aufträge usw. mehrvorhanden, die über den Umfang des Handels und dasGeschäftsgebaren Aufschluss geben könnten. Um sowertvoller war es, aus den im Stiftsarchiv St.Gallen(unter E 1335 bis 1338) vorhandenen Rorschacher

Gewerberechnungen die Tabelle II zusammenstellenzu können. Sie enthält alle im Archiv greifbarenAbgaben in Gulden, welche die verschiedenen Firmenan die äbtische Gewerbeorganisation in Rorschachjährlich entrichten mussten. Von diesen Werten – essind Kaufmannsspesen am Versandort – könnenSchlüsse auf den Umsatz gezogen werden, wenn wirsie z. B. hypothetisch mit zehn Prozent annehmen.Natürlich kamen noch die Frachtspesen, Risiken undanderes hinzu. Immerhin muss der Umsatz bedeutendgewesen sein, wenn wir wissen, dass man damals für40 Gulden eine Kuh kaufen konnte. Tabelle IIbestätigt die schon bisher bekannte Blütezeit desRorschacher Leinwandgeschäftes zwischen 1760 und1780 oder 1782. Ihr wollen wir unsere besondereAufmerksamkeit schenken.

Tabelle I: Anzahl der zur Rorschacher Schau gebrachten Tücher. RMC 19681 Dezember.

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Tabelle II: Jährliche Abgaben der Exporthäuser an die äbtische Rorschacher Gewerbweorganisation. RMC 1968/Dezember.

Die Kaufmannsfamilie von Bayer3

hatte in eben dieser Blütezeit Geschäftssitze inRorschach und Genua. Immer wieder rekrutierte sieaus den verschiedenen Linien ihres Geschlechts eigenejunge Leute für ihren ausgedehnten Exporthandel. Wirentnehmen der Tabelle II zuerst den Aufschwung undAbstieg des Handels der Brüder Bayer, dann dieEinzel-Unternehmen des Ignaz von Bayer (1696-1778)und seines Sohnes Georg Wendel (gest. 1778), desletzten Sprosses aus dem Untern Haus («Im Hof»),ohne Beginn und Ende der einzelnen Firmen genauangeben zu können. Die Firma Georg Wendel scheint1781 eingegangen zu sein. Von da an gab es offenbarnur noch das alte Hauptgeschäft «Erben von Bayer».

Es sind die Erben des einstigen GeschäftsleitersFerdinand (1633 bis 91). Er war der Enkel desGründers der Bayerschen Gesellschaft, Franz (geb.1518). Die Glanzzeit dieses Bayerschen Hauses liegtzwischen 1761 und 1778 mit einem relativenTiefpunkt zwischen 1773 und 1774, der sich vielleichtmit dem Bau der Fürstenlandstrasse durch Abt Bedamittelbar erklären lässt. Der Abt liess nämlich dieseStrasse von Staad bis Wil 1774-76 erstellen, um die

3 Vgl. auch R. G., Die RorschacherKaufmannsfamilie von Bayer, RNB 1972.

vielen Mittellosen der Alten Landschaft beim Bau zubeschäftigen. Daneben war die damals vielbewunderteStrasse auch als Schachzug gegen die bischöflichenStrassenpläne Konstanz-Zürich gedacht. Ausähnlichen Motiven wurde auch die RorschacherHafenanlage verbessert. Ein paar Jahre wirtschaftlicherDepression hat natürlich auch das Leinwandgeschäftgespürt.

Der Aufschwung und die Blütezeit des Leinwand-gewerbes und -handels erklärt sich aus folgendenÜberlegungen: mit den Mailänderkriegen endete daskriegerische Zeitalter der Eidgenossenschaft. DieReformationsmandate verboten die Reisläuferei. ImVerlauf des 17. Jahrhunderts flauten die Pestepidemienab und führten zu einer starken Bevölkerungszunahme,so dass die Landwirtschaft zur Ernährung undBeschäftigung der Leute immer weniger ausreichte.Viele Söhne aus kinderreichen Bauernfamilienergriffen einen handwerklichen Nebenberuf undwandten sich der Leinenweberei zu. Auch das kamvor: die Weber gingen zu den Bauern auf die Stör,arbeiteten dort gegen Stücklohn, oder sie woben dasvon den Bauern gelieferte Garn auf den eigenen

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Oberes Bayersches Haus (Rathaus), vor 1840. Aquarell von August von Bayer. Kunstmuseum St.Gallen.

Stühlen, oder sie besorgten auch Garne von denMärkten und woben auf eigene Rechnung. Von 1760bis 1765 erhöhten sich die Lebensmittelpreise undLöhne um 50 bis 100 Prozent.

Unter den Exporten der Bayer kommen vor: ganzwciss, gefärbt, zweimal abgebleicht, überseeisch (vonSüddeutschland!), meliert, Barchent (Baumwollfla-nell), Schnupftücher und Stauchen (Kopftücher).Das Pflichtenheft der weltlichen äbtischen Obervögtezu Rorschach enthielt die «Unterstützung derLeinwandindustrie». Der berühmte äbtischeStaatsmann Fidel von Thurn bekleidete dieses Amtzweimal: 1657-58 und 1695- 1719. Oft diente er denBayer und Hoffmann als Rechtsberater in ihrenGeschäften. Wichtige Schriftstücke des vonBayerschen Familien-Unternehmens unterzeichnetendie drei Prinzipale Franz Josef Ferdinand (1737-1800), sein Vetter Franz Josef Anton (1740-1820) unddessen Bruder Ferdinand Josef Albert (1742-1803).Als vierte kam manchmal noch die Unterschrift einesMitarbeiters oder Teilhabers hinzu. Das war zurBlütezeit Felix Joseph Wutterinis (1726-96), der mit

den Bayern assoziiert war. Als er 1795 infolgeLähmung die rechte Hand nicht mehr brauchen konnte,wurde Lorenz Salvini (1740-1804) zur Unterschriftbevollmächtigt. Salvini ist als Auf käufer italienischenGetreides während der Teuerung 1770/71 bekanntgeworden und als Erbauer des Amtshauses, dessen ersich nur noch 14 Jahre seines Lebens erfreuen konnte.Keines der grossen Handelshäuser hat sich so vielBoden im Gebiet von Rorschach und Rorschacherbergerworben wie die Bayer. Aber nach 1778 ging,unterbrochen durch einen Hochstand im Jahre 1786,der Bayersche Leinwandhandel langsam aber ständigzurück, hauptsächlich durch die Konkurrenz derBaumwolle. Dieses billige Gespinst wurde ja schon im17. Jahrhundert im Glarner- und Zürcherlandgesponnen und gewoben, während sich St.Gallen seitBeginn des 18. Jahrhunderts mehr und mehr aufBaumwollverarbeitung umstellte. Dazu kamen erhöhteSchutzzölle des Auslandes, herabgedrückte Preise undbald die Wirrnisse seit der Französischen Revolution(1789) und die Umsturzjahre der Jahrhundertwende.

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Die Kaufmannsfamilie von Hoffmann4

folgt im grossen ganzen der Bayerschen Umsatzkurve(Tabelle II). Wertmässig war ihr Geschäft geringer. Esmussten auch weniger Familienglieder aus denErträgnissen des Leinwand-Fernhandels leben als beiden Bayer. Im 18. Jahrhundert umfassten sie die dreiHäuser Caspar (1670-1722). Anton Sigmund (1707-80) und Marzell von Hoffmann (1725-80). Caspar

Bernhard erbaute das Untere Hoffmannsche Haus(Haus Brugger). Reich geworden, stiftete er mitseinem Vater Paul Franz den Hochaltar in derSt.Kolumbanskirche. Während Caspar den zweitenStock seines Hauses belegte, wohnte Anton Sigmund

im ersten. Er nahm sich Anna Franziska von Bayer zurFrau. Wie der Bayersche war auch der HoffmannscheBesitz beträchtlich. Die beiden Familien wurdenimmer neu verschwägert.

Joseph Marzell, mit M. Magdalene Constantia von

Albertis (1735-1806) vermählt, diente bei derSchweizergarde in Sizilien und in spanischenVerbänden. Er erwarb 1764 die zweite Hälfte vonSchloss Wiggen, nachdem die erste schon 1703 seinemGrossvater Johann Balthasar zugefallen war. Er ist esauch, der den 26 jährigen, jungverheirateten tüchtigenGeschäftsmann Benedikt Martignoni (1741-1828) ausMailand als Teilhaber aufnahm. Dieser hatte nachzweieinhalbjähriger kaufmännischer Lehre in einemGünzburger Handelshause seine ersten Sporen bei denvon Albertis in Staad während sieben Jahrenabverdient. Nach zehnjähriger Mitarbeit bei denHoffmann gründete Martignoni 1777 ein eigenesGeschäft, das er während 40 Jahren, zuerst mitgrossem Erfolg, führte (siehe Tabelle II). Joseph

Marzell von Hoffmann erwarb auch das Bürgerrechtder Stadt Luzern in der Hoffnung, dort eine grosse«Baumwolle und Indianne Fabriciererei» zu gründen.Der Gewinn versprechende Plan scheiterte am Mangelan geeigneten Arbeitskräften und Gebäuden. Wie dieBayer, anerbot er sich dem Abte bei der Hungersnot1770/71 für Fruchtkäufe in Italien. 1776 errichtete ereine Familienstiftung, das HoffmannscheFideikommiss, zugunsten des ältesten Nachkommen.

4 Vgl. auch R. G., Die Rorschacher FamilieHoffmann, RNB 1968.

5 Vgl. auch R.G., Die Rorschacher Kaufmannsfamilievon Albertis, RNB 1952.

Die Kaufmannsfamilie von Albertis5

verkörpert die dritte einflussreiche und von Erfolggekrönte Rorschacher Handelsschaft. Die zwei 1720in Rorschach eingetroffenen italienischen Kaufleuteliessen bald zwei jüngere Brüder nachkommen undbauten, zum Ärger und Erstaunen der eingesessenenFamilien, ein blühendes Leinwandgeschäft auf. Siewurden bald mit den Bayer und Hoffmannverschwägert, was ihr Ansehen im kleinen Rorschachhob. Infolge Misshelligkeiten mit dem Abte verlegtensie ihren Handel 1769 nach Arbon (vgl. Tabelle II).Erst die nächste Generation der Familie kehrte nachdem Umsturz 1805 wieder in die alte WahlheimatRorschach zurück.

Giovanni de Albertis (1684-1754), verheiratet mitM. Helena von Bayer (1708-60), war der Begründerder Genueser Linie und des Rorschacher Geschäfts.Sein tüchtiger Bruder Andreas (1703-82) wurde inArbon bischöflich-konstanzischer Kommerzienrat undentwickelte hier in der Folge einen ausgedehntenLeinwandhandel neben den Häusern Eberz, Pingerli,Furtenbach, Scherer, Mayer und Kern, welcheFrankreich, Italien, Spanien, Preussen usw. mitthurgauischen Leinen belieferten. Die Albertisgründeten Zweigniederlassungen im westlichenMittelmeergebiet und darüber hinaus. IhreSpeditionsaufträge wurden von der Firma MathiasSulser & Co. in Azmoos übernommen, welche dieWare mit Saumtieren über den Schollberg und denSeptimer nach Italien beförderten.

Andreas' Bruder Carl Anton (1706-1819) wohnte inRorschach und ritt fast täglich ins Arboner Geschäft.Seine zwei Söhne Carl Joseph (1758-1833) und Aloys

(1765-1835), welche Schwestern der Familie von Wirz

à Rudenz heirateten, holten ihre kaufmännischeAusbildung im Arboner Kontor, um dann aber, wieerwähnt, nach Rorschach zurückzukehren, und zwar indas von der Witwe des Lorenz Salvini gekaufte ObereAlbertis-Haus, das heutige Amtshaus. Im oberenHause (Mariabergstrasse 19) waren die Kontore undim heutigen Hause Stürm (Mariabergstrasse 21) dieLagerräume. Die Rorschacher Linie der Albertisendigt in Tabelle II mit 1768 infolge derGeschäftsverlegung nach Arbon.

Natürlich gibt die Tabelle II keinen Aufschluss überdas gesamte Einkommen der drei Familiengesellschaf-ten. Sie kann es schon deshalb nicht, weil die Firmennicht nur mit Leinwand handelten. Aus den südlichenAbsatzgebieten führten sie Landeserzeugnisse ein, diesie mit Gewinn weiter verkauften. So verschafften dieBayer dem Kaiser Pulver und Salpeter zu Kriegszwek-ken, wie aus ihrem Adelsbrief hervorgeht.

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Wahrscheinlich beschafften sich alle Häuser, nebenden Rohmaterialien zur Leinwandherstellung, auchSeide, Samt, Bänder, Baumwollstoffe, wohlfeileTücher aus Mailand, schwere Damaste aus Lucca undfeine Rideaux, auch Flanell und Molleton. Danebenaber auch Gewürze, z.B. apulischen Safran zumWürzen von Suppe, Wein, Bier und Kuchen, fernerTafelöl, spanische Weine und Südfrüchte. In denBotegen, Ablagen oder Filialsitzen im Auslandwalteten Faktoren unserer Grosshandelshäuser. InRorschach dienten ihnen amtliche bestellte Feilträger,

auch Aufkäufer, Vertreter oder Makler. So verfügtendie Erben von Bayer vier Jahre lang über einenChirurgus Rothfuchs, dann über einen Joseph Rothund noch später über einen Johann Baumgartner, derihnen zwischen 1776 und 1787 ganz hübsche Gewinne– manchmal bis zur Hälfte der Einnahmen desHauptgeschäftes – hereinbrachte. Auch Franz Ignazund Wendel von Bayer beschäftigten jahrelang einenFranz Anton Waldmann und später einen BernhardHeer. Für Marzell Hoffmann & Co. arbeitete einJoseph Huchler mit gutem Erfolg. – Die ausländischenFaktoren, oft Italiener oder Spanier, gaben Bericht,welche Waren an ihrem Platze begehrt waren.

Gute Kapitalverzinsungen erreichten die grossenHandelshäuser durch ihre Funktion als Marchands-Banquiers. Ohne die Kredite der Ferdinand von BayersErben von insgesamt 139000 Gulden wäre es AbtBeda nicht möglich gewesen, die Hungersnot von1770/71 zu lindern und den Bau der Fürstenlandstrasseund öffentlicher Gebäude zu unternehmen. Unter denHoffmannschen Schuldnern fanden wir zu Beginn des19. Jahrhunderts im Räume St.Gallen, Thurgau, Grau-bünden und Süddeutschland viele Einzelpersonen –unter ihnen auch Arzte, Amtspersonen und besondersviele Geschäftsleute (unter ihnen auch die Bayer undAlbertis), dann aber auch verschiedene Gemeindenund Spitalpflegschaften. Die Summen gingen im Ein-zelfall von 100 bis 20000 Gulden. Insgesamt waren dieHoffmann damals Gläubiger von 361820 Gulden. Siekonnten mit berechtigtem Stolz über die Haben-Seiteihrer Hauptbücher schreiben «Was wir sind».Fruchtlose Betreibungen und Fallimente trübtenselbstverständlich schon damals die Beziehungenzwischen Schuldnern und Gläubigern. Es ist gutmöglich, dass sich diese Guthaben nicht allein aufDarlehen, sondern auch auf ausstehende Zahlungen imLeinwandgeschäft bezogen.

Die weitgereisten Kaufleute mit ihremweltmännischen Wesen galten zu Hause als Beispieldes erfahrenen und unabhängigen Bürgers. Sehr vieleVertreter der genannten Handelshäuser wurdenäbtische Amtsleute, Räte und Richter, in derUmsturzzeit Munizipalräte, nach 1803 Gemeinderäte.In der äbtischen Epoche waren manche Inhabergeistlicher und weltlicher Würden in stift-sanktgallischen und fürstbischöflichen Diensten zuChur und Konstanz. Die körperlich Beweglicherenunter ihnen dienten in jüngeren Jahren als Offiziere inFremdendiensten. Sie erlebten auch auf diese Weiseein Stück Welt und wurden nach ihrer Entlassung undHeimkehr vom Abte oft zu Rittmeistern seinerLandesmiliz ernannt. Auch in der sanktgallischkantonalen Epoche wurden sie nicht selten, getragenvom Vertrauen ihrer Mitbürger, in öffentlicheStellungen berufen. Ihr solides Geschäftsgebaren, dasauf lauterer Gesinnung beruhte, verschaffte ihnenVertrauen und Achtung. Einige unter ihnen genossenhohes Ansehen und gewannen bedeutenden Einfluss.Ich denke dabei an Marzell Hoffmann (1809-88), densanktgallischen Landammann und ersten RorschacherNationalrat.6

Ihrer schönen Wahlheimat zeigten sie sicherkenntlich. Ihre Stiftungen beweisen, wie gerne sie anKirchen, Spitäler und Schulen, an Waisenkinder undHausarme von ihrem Reichtum weitergaben. Doch dasist alles versunken und halbvergessen. Von ihremLebensstil zeugen noch einige Herrensitze: die beidenHahnberg der Bayer, das Schlösschen Wiggen derHoffmann. Das Schlösschen Gründeck in Staad unddas Ebertsche Haus in Arbon erinnern an die Alberris.Im Kirchhof mahnen zwei Familiengräber an die hiervereinigten Bayer und Hoffmann.

Als freundliche Erinnerung blieben uns dieselbstbewusst erbauten stilvollen Bürgerhäuser mitihren bequemen Treppen und weiten Räumen, mitihren vergitterten Kontorfenstern, mit Mansarden,Walmdächern und Erkern. Dabei standen dieStallungen, Remisen und Kinderspielplätze. ImGeviert Hauptstrasse-Kirchplatz-Kirchstrasse-Maria-bergstrasse lag die Rorschacher «Visitenstube», in dersich nicht nur Geschäfte abwickelten, sondern auchKunst- und Musikpflege und gesellschaftlicheZusammenkünfte und Vergnügen beheimatet waren.

6 Vgl. Anm. 36, S. 99.

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Die kleinen Rorschacher Leinwand-geschäfte des 18. Jahrhunderts

Im dritten Viertel des Jahrhunderts derschweizerischen Untertanenerhebungen muss deräbtische Marktflecken am Bodensee ein massgeblicherHandelsplatz gewesen sein. Unter dem Einsatz und dergegenseitigen Konkurrenz der GrosshandelsfirmenBayer, Hoffmann und Albertis hatte sich der Umsatzauf der Rorschacher Leinwandschau zwischen demJahrhundertbeginn und 1768 verdoppelt. VomLeinwandgeschäft – seit 150 Jahren fest begründet –zogen auch kleinere und kleinste Firmen ihren Vorteil.Es waren sozusagen durchwegs alteingesesseneRorschacher Bürgerfamilien, die sich, im Schatten dergrossen Häuser, einschalteten und manchmal nachwenigen Jahren den Versuch wieder aufgaben. Mit dengeringen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen,bedeutete jeder Anfang ein Wagnis. Gegenüber denGrossfirmen fehlten ihnen die Erfahrung vonGenerationen, die Geschäftsbeziehungcn, besonders imfremdsprachigen Ausland, und die dortigen Filialen.Kein Wunder, dass manchmal nach kurzer Zeit einkleiner Unternehmer wieder in die Dienste einesgrösseren Hauses trat. Auch der Niedergang derLeinenindustrie wirkte sich bei diesen wenigerbegünstigten Firmen schlimmer aus. Auch der grosseBrand, der im Unterdorf zwischen 4 und 5 Uhr desl. Oktobers 1761 ausbrach, hatte an der Leinenindustriebeteiligte Rorschacher geschädigt, war er doch infolgeunvorsichtigen Lichtputzens «bey schwingen undhechlendem werch» entstanden.

Es gab in Rorschach elf kleinere und sieben kleinsteGeschäfte. Nehmen wir die letzteren voraus.

Johann Caspar Bürke war bis 1762 als Vertreter beiSigismund Hoffmann tätig, dann betrieb er drei Jahrelang (1763-1765) bis zu seinem Tode einen eigenenHandel mit sehr gutem Erfolg. Mehrere FamilienBürke lebten in Rorschach und brachten Offiziere,Zunftmeister und einen Ammann hervor. Der dreimalan die Spitze der Gemeinde gewählte Johann Balthasarwar Chirurg.

Joseph Anton Lindenmann beteiligte sich zwischen1778 und 1783 am Geschäft mit wechselndem Erfolg.

Franz Joseph Jungmann wartete von 1762 bis 1764auf einen guten Anfang und diente noch ein Jahr demDanielschen Handel als Aufkäufer.

Caspar Rennhas hatte von 1762 bis 1764 drei guteJahre, dann half er noch ein Jahr bei Bernhard Wald-

mann u. Cie., die über 1765 hinaus auch nicht vomFleck kamen.

Bernhard Frommenwiler hatte 1766 ein gutes Jahr,dann begann ein Rückgang innerhalb dreier Jahre.

Columban Boppart hielt trotz bald absteigendenZahlen von 1766 bis 1779 am längsten durch.

Nun zu den elf kleinen Firmen mit besserem Erfolg.Die Gesellschaft Caspar und Hoffmann, die gute

Geschäfte verzeichnete, löste sich Ende 1765 auf. Indiesem Jahr starb Johann Jakob Caspars Gattin, dieälteste Tochter des Carl Anton von Hoffmann, M .

Franziska (1694-1765).Der Sohn des aus Venetien eingewanderten

Materialisten (Kolonialwarenhändlers) GiacomoDanielis. Peter Anton Daniel (1730-1807) war von1760 bis 1781 im Leinwandgeschäft mit wechselndemGlück tätig. Er trat für Einführung der damalsumstrittenen Normalschule in Rorschach ein. Vonseinen zehn Söhnen und zehn Töchtern überlebten nurje drei das zarte Kindesalter. Offenbar führte auchPeter Anton das Kolonialwarengeschäft weiter.

Ähnlich erging es der Firma Johann Baumgartner

u. Cie., die 1760 beginnend, 1768 den Hochstanderreichte, um dann nach sechs Jahren auf denNullpunkt zu sinken.

Sebastian Graf (1717—1772) verzeichnetewährend sechs Jahren (1760-1765) gute Erfolge, danngab er es auf.

Peter Ignaz Hertenstein, Glied einer weitver-zweigten Rorschacher Familie, gehörte zu denNaturen, welche die Flinte nicht so schnell ins Kornwarfen: zwischen 1769 und 1787 erzielte er fastgleichbleibende gute Resultate.

Georg Wendelin Hertensteins Handel zeigtebefriedigende Umsätze während der neun Jahre 1766bis 1774.

Die Firma Lanter u. Cie., Rorschach und Genua,wies 1760 bis 1768 ausgezeichnete Erfolge auf. DerSeniorchef Dr. Joseph Anton Lanter (1740-1796)besass Schloss und Gut Karrersholz bei Tübach. SeinRorschacher Geschäftsführer Franz Wilhelm Lanter

entstammte offenbar einer andern Linie diesesweitverzweigten Geschlechts. Der Vater JosephAntons, gleichen Namens und ebenfalls schonLeinwandhändler, galt als der reichste Landmann desFürstenlandes.

Grosse Gewinne warf während zehn Jahren (1762bis 1771) der Rorschacher Leinwandhandel einesJohannes Mayer von Arbon ab.

Mit Franz Joseph Roth berühren wir eines derwichtigsten kleineren Geschäfte. Er erzielte von 1760bis 1769 einen stets gleichbleibenden Erfolg.

Die Firma Johann Roth u. de. bewegte sich inbescheidenerem Rahmen und löste sich 1764 auf.

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Hafen von Rorschach. Um 1865. Aquarell von Joseph Martignoni. Heimatmuseum Rorschach.

Caspar von der Trave trat 1769 nach vierjährigerBeteiligung vom Leinwandhandel zurück. Inhaber warsein Sohn Carl Bernhard de la Trave (1715-1777).

Die genannten Familien bewegten sich mit wenigenAusnahmen mehr am Rande des Leinwandgewerbesund -handels. Einige von ihnen hatten RorschacherHofammänner gestellt; es sind die Baumgartner, Graf,Hertenstein, Rennhas, Roth und Waldmann.

Vom Ausklang des RorschacherLeinwandhandels

Es drängt sich die Frage auf, weshalb die RorschacherExportfirmen der Bayer, Hoffmann und Albertis, dieauch Familienunternehmen waren, nicht weiterdauer-ten und nach 1800 ihre Tätigkeit einstellten. Wirglauben, dass einem Weiterbestand dieser Geschäfte

neben dem Aufkommen der Baumwolle, politischeEreignisse und geänderte Ansprüche der Kundschaft,auch personelle Gründe entgegenstanden.

Der Siegeszug der Baumwolle verdrängte ganzallmählich die reine Leinwandmanufaktur. Langebevor die ersten Maultiere, mit RorschacherLeinwandlegeln beladen, ihren Weg über die Alpennach Süden nahmen, war die Baumwolle alsmächtigste Rivalin der Leinwand in Spanien

erschienen. Zur Zeit Karls des Grossen (800) warenBaumwollspinnerei, -wcberei und -färberei in denReichen der Kalifen eingeführt. Im 10. Jahrhundertgab es sogar spanischen Anbau und bedeutendeBaumwollmanufakturen in Barcelona. Zwei Jahr-hunderte später verbreitete sich die Kenntnis derBaumwollverarbeitung in Sizilien, von wo sie imübrigen Italien Eingang fand. Abermals nach hundertJahren standen blühende Baumwollspinnereien und -webereien in Venedig, Mailand und Florenz.

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Ennetbirgische Kaufleute brachten mit den andernglauben, dass einem Weiterbestand dieser GeschäfteErzeugnissen baumwollene Tücher und bald daraufauch Baumwollgarne und rohe Baumwolle zu uns. InBasel lässt sich das Gespinst schon 1380 nachweisen,als ein teilweiser Ersatz für das Leinen, indem mandem leinenen Zettel einen baumwollenen Eintragbeifügte. In ganz Süddeutschland wurden solcheGewebe mit Schmutz bezeichnet. Später wurde ganzaus Baumwolle gewoben unter dem Namen Barchent.

Bei der Männerkleidung waren diese Stoffe, von meistgrauer Farbe, ihrer Stärke wegen für das Wamsbeliebt, während man für die Hosen eher Wollstoffbevorzugte. Neben Basel wurde auch Luzern durchseine Schürlitzweberei im 15. Jahrhundert bekannt.Für die Entwicklung der Zürcher Baumwollindustriewurden die eingewanderten Locarneser, aber auch diefranzösischen Flüchtlinge von Bedeutung, die seit1685 truppweise ihr Land verliessen, um bei ihrenreformierten Glaubensgenossen in andern Länderneine neue Heimat zu finden. Ihnen verdankt dieLimmatstadt die Einführung von Mousseline und

indienne. Andere Gegenden folgten: der reformierteAargau, der Kanton Bern mit Langenthal, dasGlarnerland. St.Gallen begann um 1730 mit derHerstellung von halbleinenem Barchent, der schonzehn Jahre später die baumwollene Druckkattune

folgten. Das führte anfangs der fünfziger Jahre zu denglatten und faconnierten Mousselines und zurErfindung der das Feld erobernden BaumwollStickerei.

Es mag auch hervorgehoben werden, dass imGegensatz zu Hanf und Flachs, die zum Bleichen dreibis vier Monate benötigten, die Baumwolle denVorteil bot, dass sie sich in ebensovielen Wochenbleichen licss. Zudem wurde auch die rohe, unreinePotasche durch reinere Chemikalien ersetzt. 1807wurden, trotz des Widerstandes des RorschacherGemeinderates, die klösterlichen Bleichegüter von derLiquidations-Kommission an Private veräussert.

Die Umsturzjahre im Gefolge der FranzösischenRevolution waren dem Leinwandhandel nichtsweniger als hold. Dann behinderten die Feldzüge desKorsen während anderthalb Jahrzehnten deneuropäischen Handel. Da konnten auch die inOberitalien und Spanien errichteten Filialen denAbsatz nicht mehr im Fluss halten. Die Kriegsjahreschränkten nicht nur die Bestellungen ein, sie liessenauch viele Guthaben verloren gehen.

Schädigend wirkten auch die Prohibitiv-Zollgesetz-gebung Josephs II. und das französische Edikt vomJahre 1781, welche die unserem Lande früher

gewährte Einfuhrfreiheit aufhoben und den Import derLeinwand derart belasteten, dass bald keine Gewinnemehr herausschauten.

Immer mehr spürte man auch in Rorschach dieKonkurrenz der schlesischen Leinwand, die wegenihres schönen Aussehens, der Leichtigkeit und desbilligen Preises sehr gesucht war. Damit wären wir beiden Ansprüchen der Kundschaft angelangt, die sichmehr und mehr den Baumwollgeweben in ihrenvielfältigen Formen zuwandte.

Bei der Familie von Bayer starb die Linie desUntern Hauses («Im Hof») 1788 aus. Sie hatte übervier Generationen hinweg unter Franz (geb. 1631),Matthäus Wendelin, Joseph Anton und Georg

Wendelin im Leinwandhandel Bedeutendes geleistet.Von den verschiedenen Zweigen des Obern Hauses(Rathaus), die der Handel begütert gemacht hatte,starben alle bis auf zwei sozusagen in der ersten Hälftedes 19. Jahrhunderts aus. Die zwei länger lebendenZweige änderten den Beruf. Johann Dagobert Wilhelm

(1813-64), betrieb in der alten Obervogtei (heuteSchweiz. Bankverein) ein damals vielgeschätztesKolonialwarengeschäft. Seine weiblichen Nach-kommen kamen für dessen Weiterführung nicht inBetracht. Der andere, jetzt auch ausgestorbene Zweigdes Kunstmalers August von Bayer (1803 bis 1875),lebte in Karlsruhe. Dessen letzte Sprossen begabensich nach Amerika.

Von den Hoffmann – die in Rorschach lebendenVertreter dieser Familie gaben seit Landammann

Joseph Marzell (III.), 1809-1888, ihr adeliges «von»auf – waren Joseph Marzell (II.), 1759-1839, und seineBrüder noch Kaufleute. Er selbst wandte sich immermehr der Politik zu. Der Leinwandhandel wurde nurnoch nebenbei betrieben.

Die Familie von Albertis hielt ihr Leinwandgeschäftam längsten durch, bis 1839 verschärfte Zolldekretezur verlustreichen Auflösung der ausländischenWarenlager zwangen.

Ein einst lohnender Verdienstzweig versank.Manche Söhne, Enkel und Urenkel der RorschacherGrosskaufleute fand man fortan kommunaler,kantonaler und eidgenössischer Politik mitLeidenschaft verpflichtet. Es zeugt aber für dieRührigkeit des Schaffens und Planens einestraditionsverbundenen Fritz von Albertis, 1835-89,dass er, 31 Jahre nach Schliessung der väterlichenKontore, die ersten zehn Handstickmaschinen in derWachsbleiche aufgestellt und damit die Brücke zurBaumwollverarbeitung unseres Heimatortesgeschlagen hat

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