Die Elektronische Gesundheitskarte oder: Die praktischen Folgen einer ursprünglich guten Idee...

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Die Elektronische Gesundheitskarte oder: Die praktischen Folgen einer ursprünglich guten Idee Wilfried Deiß Hausarzt-Internist Siegen Stand 10/2006

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Die Elektronische Gesundheitskarte

oder:

Die praktischen Folgen einer ursprünglich guten Idee

Wilfried Deiß Hausarzt-Internist Siegen Stand 10/2006

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So soll sie aussehen: die eGK

• Sollte ursprünglich schon 2006 eingeführt werden, verschoben, aber weiter in Vorbereitung

• Die Mehrzahl der Patienten weiß noch nichts von den Planungen

• Wer etwas weiß, hält sie für einer verbesserte Version der bisherigen Versichertenkarte mit zusätzlichem Bild und Speicher

• TATSÄCHLICH GEHT ES UM EIN GIGANTISCHES NETZWERKPROJEKT MIT KOSTEN VON 1,5 bis 7 MILLIARDEN

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Das Kernstück der Telematik:

NICHT DIE KARTE

SONDERN MEGACOMPUTER (SERVER) + BUNDESWEITES NETZ

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Die Infobroschüre des Gesundheitsministeriums:

• Auf 40 Seiten nur Vorteile: Kosteneinsparungen, Bessere medizinische Versorgung, Verminderung von Risiken

• Keinerlei Nachteile oder Risiken genannt

• SELBST DIE ERFORDERLICHE ZENTRALE DATENSPEICHERUNG WIRD NICHT ERWÄHNT

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Kurze Information zu W. Deiß:

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Wohlmeinender Annahme: Es geht tatsächlich vorwiegend um Verbesserung der Kommunikation

im Gesundheitswesen

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Aktuelle Struktur der med. Kommunikation:

Hausarzt

Facharzt

Facharzt

Klinik

Apotheke

Krankenkasse

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eGK/ Telematik: Struktur der Kommunikation:

Hausarzt

Facharzt

Klinik

Apotheke

Krankenkasse

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Grundprinzip aktuell:

• Datenspeicherung dezentral im geschützten Raum der Arztpraxen

• Datenbasis beim Hausarzt

• Daten auf Wunsch beim Patient

• DIE KOMMUNIKATION IST EINE PUNKT-ZU-PUNKT-KOMMUNIKATION

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Grundprinzip eGK / Telematik

• Datenbasis wird vom geschützten Raum Arztpraxis in ein Computernetz mit Zentralen Servern verlagert

• MENSCH-ZU-COMPUTER-KOMMUNIKATION• Zwingend höherer Sicherheitsaufwand, auch

wegen Kollektivrisiko

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Ständiger potentieller Server-Zugriff für:

• 120.000 Arztpraxen• 60.000 Zahnarztpraxen

und Psychotherapiepraxen

• 3.000 Krankenhäuser

• 22.000 Apotheken• 300 Krankenkassen• und

Heilmittelerbringer

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Das technische Arsenal in der Arztpraxis:

• Internetzugang/ DSL flat• Konnektor• VPN-Zusatzgerät• Lesegerät für

Gesundheitskarte, in jedem Behandlungsraum

• Lesegerät für Heilberufeausweis

• Evt. Biometrie-Gerät für die „Komfort-Signatur“ per Fingerabdruck

• Geeignetes neuzeitliches PC-System

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Aus der Sicht der Patienten?• Ausführliche

Beschreibung im „Offenen Brief an Patientinnen und Patienten“

• Nur so viel: Routinetätigkeiten werden zu echten Herausforderungen, Beispiel eRezept, eSignatur, eÜberweisung, Medizinische Tätigkeiten ohne Anwesenheit des Patienten

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Datensicherheit?

• Sicherheit durch „Doppelschlüssel“ eGK + Arztausweis/Heilberufeausweis?

• Hacker?• backdoors?

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Wer profitiert von den Daten?

• Krankenkassen (Krankheitsprofile für den Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich)

• Gesundheitsministerium (Hoffnung auf vermehrte Kontrolle und Steuerung des Gesundheitswesens)

• Innenministerium (Unterstützung bei Terrorbekämpfung / Innere Sicherheit?)

• Arbeitsministerium (Kontrolle von Hartz IV-Empfängern?)

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Wer profitiert finanziell?

• Hardware- und Softwareindustrie

• Versicherungswirtschaft (bessere Beurteilbarkeit der Kunden durch Risikoklassen)

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Abwägung von Vor- und Nachteilen

• Bei weit überwiegenden Vorteilen müssten gewisse Risiken sogar in Kauf genommen werden

• Aber die Nutzen-Risiko-Abwägung ist negativ

• außerdem sind die potentiellen medizinischen Vorteile anders einfacher und preisgünstiger zu erreichen

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Selbst wenn technisch alles funktionieren

würde…..• Daten sind nur dann verfügbar, wenn sie

auch eingegeben sind• Auch das bisherige System hat seine

Schwächen nicht durch Post oder Fax, sondern wegen Berichten, die NICHT ODER NOCH NICHT GESCHRIEBEN sind

• Wer gibt ein? Wer gewichtet? Wer sortiert? Sonst DATENMÜLL

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eGK - These 1

• Der Titel "Elektronische Gesundheitskarte" ist eine Irreführung. In Wirklichkeit geht es nicht um die Karte, sondern der Kern des Projektes ist ein gigantisches, deutschlandweites Computernetzwerk-Projekt mit Zentralen Megaservern zur Patientendatenspeicherung

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eGK – These 2

• Es droht ein weiterer Vertrauensverlust ins Gesundheitswesen wegen der Gefährdung des Arztgeheimnisses durch die Verlagerung der Datenbasis von den Arztpraxen in Zentrale Großrechner

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eGK – These 3

• Das neue System ist vor allem und von Anfang an ein Wirtschaftsförderungsprogramm für die Computer- und Software-Industrie

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eGK – These 4

• In zweiter Linie ist das Projekt der Versuch eines Verwaltungskosten-Einsparprogrammes für Krankenkassen, in dem Verwaltungskosten insbesondere beim Umgang mit 700 Mio Rezepten pro Jahr verringert werden

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eGK – These 5

• Verbesserung des medizinischen Informationsflusses für Ärzte und Patienten voraussichtlich gering, Datenbestände unvollständig. Behinderung von Routinevorgängen im Medizinischen Alltag

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eGK – These 6

• Die erhofften Kosteneinsparungen für das Gesundheitswesen insgesamt sind reine Spekulation, im Gegenteil, es steht zu befürchten, dass sich die Gesamtkosten erhöhen werden.

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Bisherige Reaktionen der Ärzteschaft

• Aktuelles Telematikkonzept schneidet in der Abwägung Vorteilen gegenüber Nachteilen/ Risiken/ Kosten sehr ungünstig ab

• Beschlüsse des Dt. Ärztetages• „Anforderungen der

Leistungserbringer an die eGK“

• Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe lehnt die eGK-Pläne in der aktuellen Form ab

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Beispiel Information: Beschränkung auf das Wesentliche

• Unverändert am Wichtigsten: Persönlicher Kontakt, Gespräch, Untersuchung

• Zur Diskussion gestellt: „Patientenausweis“

• enthält Dauerdiagnosen und Unverträglichkeiten/ Allergien

• enthält aktuelle Liste von Dauermedikamenten und Bedarfsmedikamenten

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Alternativen: Informationsübermittlung

• Diagnosen und Medikamente auf Papier und/oder digital (Patientenchipkarte oder USB-Stick oder MiniCD)

• Sogar komplette Krankenakten können so dem Patienten zur Verfügung gestellt werden, Datenbasis beim Hausarzt

• Informationen mit Nicht-Notfalldringlichkeit per Elektronischer Kommunikation über Punkt-zu-Punkt-Kommunikation

• Zum Beispiel über D2D oder KV-SafeNet

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Sonstige dezentrale Alternativen:

• eCard-Foto zur Vermeidung von Missbrauch…..?

• ……..unsinnig aufwändig: denn jeder Mitbürger hat einen Personalausweis

• Kontrolle auf Medikamenten-Interaktionen im Server…..?

• ……..geht lokal im Praxisprogramm oder über z.B. USB-Stick des Patienten

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Was können wir tun?

• Ein demokratisches Votum entwickeln

• Wenn eine klare Mehrheit NEIN sagt, muss das Politik (und Wirtschaft) wissen, um ein milliardenteures Desaster zu vermeiden

• Telematikprojekt hat nur medizinischen Sinn, wenn eine große Mehrheit von Patienten und Ärzteschaft dafür ist

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Handlungsbedarf!

• Das Projekt hat 4 Stufen• Schon die Stufe 1

(Verwaltungsdatenabgleich) ERFORDERT DIE VOLLE HARDWARE

• Schon mit Stufe 2 (eRezept) lassen sich die wesentlichen Patienten-Risikoprofile erstellen

• Also bedeutet Stufe 1 und 2: kein medizinischer Nutzen, aber bereits alle Kosten, Nachteile und Missbrauchs-Risiken

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In Schlagzeilen

• NEIN ZU GLÄSERNEM PATIENT UND GLÄSERNEM ARZT

• NEIN ZU GELDVERSCHWENDUNG UND ÜBERWACHUNG

• NEIN ZUR BEHINDERUNG VON ALLTAGSARBEIT IM GESUNDHEITSWESEN

• NEIN ZUR UNTERORDNUNG DES GESUNDHEITSWESENS UNTER PROFITINTERESSEN UND KONTROLLINTERESSEN

• JA ZU EINFACHEREN UND RISIKOÄRMEREN MÖGLICHKEITEN ZUR VERBESSERUNG DER KOMMUNIKATION IM GESUNDHEITSWESEN

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Die entscheidende Frage:

• Kann sich die Demokratie gegen Profitgier und Kontrollwahn durchsetzen ?

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• BESSER VORHER NEIN SAGEN….

• …..ALS NACHHER KLAGEN

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