Dialogische Autorität Der biblische Kanon aus Sicht der feministischen Theologie Ringvorlesung: Ein...
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Dialogische Autorität
Der biblische Kanon ausSicht der feministischen Theologie
Ringvorlesung: Ein Kanon ganz für uns allein? Prof. Dr. Ilse Müllner (Kassel)
www.ilsemuellner.at
1___ Infragestellung kanonischer Autorität2___ Kanon Begriff und Geschichte3___ Auslegung dem Kanon inhärent4___ Überschreitung der Kanongrenzen5___ Gemeinschaft und Macht6___ Dialogizität und Autorität
_Inhalt
1___ Infragestellung
kanonischer Autorität
_Infragestellung 1__
„… I do not believe that any man ever saw or talked with God, I do not believe that God inspired th Mosaic code, or told the historians what they say he did about woman …“
Elisabeth Cady Stanton 1895
„Der Satz: ‚eine Schrift ist kanonisch’ bedeutet zunächst nur: sie ist nachträglich von den maßgebenden Faktoren der Kirche des 2. bis 4. Jahrhunderts – vielleicht erst nach allerlei Schwankungen im Urteil – für kanonisch erklärt worden. Wer also den Begriff des Kanons als feststehend betrachtet, unterwirft sich damit der Autorität von Bischöfen und Theologen jener Jahrhunderte.“
William Wrede 1897
kanonischer Autorität
2___ Kanon
Begriff und Geschichte
• Kanon ► Schilfrohr ► Maßstab
• Bindung von Texten an Gemeinschaften
• Funktionen von Texten:– klassisch– heilig– kanonisch
• Kanon als festgeschriebener Text
Begriff
_Kanon2__
Begriff
_Kanon2__
Ihr sollt nichts hinzufügen zu dem Wort, das ich euch gebiete, und sollt nichts davon wegnehmen…
Dtn 4,2
Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.
Mt 5,17-19
• Judentum: Ta Na K o e e r b t a i u
i b m i m
• Christentum: Altes Testament +Neues Testament
Begriff
_Kanon2__
Tora »Gesetz«bere`šīt (Genesis)šemōt (Exodus)wajjiqra` (Levitikus)bemidbar (Numeri)debārīm (Deuteronomium)Nebiim »Propheten«Josua HoseaRichter Joel1 Samuel Amos2 Sarnuel Obadja1 Könige Jona2 Könige Micha
NahumJesaja HabakukJeremia ZefanjaEzechiel Haggai
SacharjaMaleachi
Ketubim »Schriften«Psalmen DanielIjob EsraSprichwörter NehemiaRut 1 ChronikHoheslied 2 ChronikKoheletKlageliederEster
TaNaK
► liturgisch
Begriff
_Kanon2__
Der PentateuchGenesisExodusLevitikusNumeriDeuteronomiumDie Bücher der GeschichteJosuaRichterRut1 Samuel2 Sarnuel1 Könige2 Könige1 Chronik2 ChronikEsraNehemia(Tobit)(Judit)Ester (+ Zusätze LXX)(1 Makk)(2 Makk)
Die Bücher der WeisheitIjobPsalmenSprichwörterKoheletHoheslied(Weisheit Salomos)(Jesus Sirach)Die Bücher der ProphetieJesajaJeremiaKlagelieder(Baruch) EzechielDaniel (+ Dan 13-14)HoseaJoelAmosObadjaJonaMichaNahumHabakukZefanjaHaggaiSacharjaMaleachi
Altes Testament
► geschichts-theologisch
Begriff
_Kanon2__
Geschichte
_Kanon2__
Kanonwerdung und Kanonschließungin Judentum und Christentum
etwa 400 v.u.Z.: Schließung der Tora
etwa 200 v.u.Z.: Tora + Prophetie
Erste ChristInnen lesen jüdische Schriften als Bibel
etwa 100 n.u.Z.: TaNaK
2. Jhdt: Markion ► Vorordnung des AT vor das NT
16. Jhdt: Reformation ► veritas hebraica
Tridentinum ► incl. griechische Schriften
3___ Auslegung
dem Kanon inhärent
dem Kanon inhärent
_Auslegung3__
“Der heilige Text verlangt keine Deutung, sondern rituell geschützte Rezitation unter sorgfältiger Beobachtung der Vorschriften hinsichtlich Ort, Zeit, Reinheit usw. Ein kanonischer Text dagegen verkörpert die normativen und formativen Werte einer Gemeinschaft, die ‚Wahrheit’. Diese Texte wollen beherzigt, befolgt und in gelebte Wirklichkeit umgesetzt werden. Dafür bedarf es aber weniger der Rezitation als der Deutung.“
Jan Assmann
4___ Überschreitung
der Kanongrenzen
der Kanongrenzen
_Überschreitung4__
„to expand our historical-critical imagination and religious-communal vision.“
Elisabeth Schüssler Fiorenza
„Eine Gegenposition [zu den Pastoralbriefen und den Haustafeln], wie die Thekla-Erzählung sie als Möglichkeit alternativer Lebensformen und Gemeindestrukturen für Frauen im frühen Christentum entwirft, kommt nicht in den Blick, wenn die patriarchalen und von machtpolitischen Interessen geleiteten Selektionsprinzipien der Aten Kirche unreflektiert übernommen werden und das Forschungsinteresse an den Kanongrenzen endet.“
Beate Wehn
der Kanongrenzen
_Überschreitung4__
• historisch: selbstverständlich
• theologisch, ethisch …?
• „Schüsslerscher Vierschritt“:
•Hermeneutik des Verdachts
•Hermeneutik der Erinnerung
•Hermeneutik der Verkündigung
•Hermeneutik der kreativen Ritualisierung
5___ Gemeinschaft
und Macht
und Macht
_Gemeinschaft5__
„Bei der kanonisierten Wahrheit handelt es sich immer um eine Wahrheit-für-eine-Gruppe.“
Georg Steins
• machtförmige Realisierung des Verhältnisses von Text und Gemeinschaft
• Kanonisierung der Schriftwerdung inhärent
• ► keine Konstruktion einer idealen Ursprungszeit und -gemeinschaft, von der sich die
Kanonisierung als Abfall abheben ließe
und Macht
_Gemeinschaft5__
• Kanonisierung ist immer auch Ausschluss und Zensur
• Kanonisierung ist immer auch Sinnbegrenzung
• Kanonanalyse muss immer auch Machtanalyse sein:
Wer spricht (nicht)? Wem wird der Zugang zur Sprache verwehrt?
Wer schaut (nicht)? Wem wird der eigene Blick nicht zugestanden?
Wer handelt (nicht)? Wem wird die Handlungsfähigkeit genommen?
• Kanonische Auslegung enthält immer auch ein
affirmatives Moment
• Machtkritik muss sich auf Texte und Gemeinschaften
beziehen
6___ Dialogizität
und Autorität
und Autorität
_Dialogizität6__
„Where does the locus for determining canonical authority
truly lie – with the text, with the community or
between the two?”
J. Nissen
Dialogische Relationen prägen die Auslegung:
• Text – Text
• Text – Gemeinschaften
und Autorität
_Dialogizität6__
„Where does the locus for determining canonical authority
truly lie – with the text, with the community or
between the two?”
J. Nissen
Dialogische Relationen prägen die Auslegung:
• Text – Text
• Text – Gemeinschaften
und Autorität
_Dialogizität6__
Dialogizität
Unterschiedliche Stimmen werden nicht zu Gunsten einer
übergeordneten Stimme aufgehoben.
Z.B. 1. und 2. Schöpfungserzählung
Gen 1: Mensch männlich und weiblich + Gottebenbildlichkeit
Gen 2: Aus dem ungeschlechtlichen ’adam werden Mann und Frau
► Nebeneinanderstellen zweier Konzepte von
Geschlechterdifferenz
und Autorität
_Dialogizität6__
Dialogizität
Text – Text: z.B. 1. und 2. Schöpfungserzählung
Vielstimmigkeit der Gemeinschaften in
Analogie zur Vielstimmigkeit der Texte
und Autorität
_Dialogizität6__
1. Kanon: Bindung an konkrete Gemeinschaft
2. Kanonbegriff theologisch stark
3. Polyphonie des biblischen Kanons
4. Polyphonie der Auslegungen
5. Closed Canon – Open Text