Diabetes mellitus im Kindesalter - Kinder- und Jugendklinik · Einteilung der Diabetesformen...
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Definition des Diabetes mellitus
= Störung der Glukoseverwertung auf der Basis eines relativen oder absoluten Insulinmangels / mangelhafter Insulinwirkung
Ätiologie, Pathogenese und Einteilung aller
Diabetesformen
Pathogenese: gestörter Regelkreis
Blutglukosespiegel
Glukoseproduktion
Glukoseverbrauch
Blut-Insulinspiegel
Beta-Zelle (Inselzelle)
periphere Zelle
Glukose Insulinexkretion
Insulinrezeptoren Glukose-
Aufnahme
Signalübertragung
Signalübertragung
MODY
Diabetes m. Typ II
Diabetes m. Typ I
Einteilung der Diabetesformen
Diabetes-Form Pathogenese, weitere Unterteilung
Typ I-Diabetes (= typischer Diabetes im
Kindesalter!)
- autoimmunologisch bedingte
Zerstörung der Inselzellen
- idiopathische, nichtimmunologische
Form
Typ-II-Diabetes verminderte Insulinwirkung
(periphere Insulinresistenz)
+ gestörte Insulinbildung
(vor allem bei Adipositas!)
Einteilung der Diabetesformen (Forts.)
Spezifische Diabetes-Typen
Diabetes-Form Pathogenese, weitere Unterteilung
A genetische Defekte der beta-Zell-Funktion:
-"MODY" (maturity-onset diabetes in youth)
- mitochondrialer Diabetes
B genetische Defekte der Insulinwirkung =
Insulinrezeptormutationen:
- Leprechaunismus
- Rabson-Mendenhall
- lipoatropher Diabetes
- Insulinresistenz Typ A
Einteilung der Diabetesformen (Forts.)
Spezifische Diabetes-Typen (Forts.)
Diabetes-Form Pathogenese, weitere Unterteilung
C Erkrankungen des exokrinen Pankreas:
- CF-assoziierter Diabetes
- Hämochromatose, Hämosiderose
D Endokrinopathien
E medikamenten-/chemikalien-induzierter Diabetes
(Steroide, Hormone ...)
F Infektionen
G seltene immunologische Diabetesformen
H genetische Syndrome (evtl. mit Diabetes assoziiert):
Trisomie 21, Turner-Syndrom, Wolfram-Syndrom,
Prader-Willi-Syndrom etc.
Einteilung der Diabetesformen (Forts.)
Diabetes-Form Pathogenese, weitere Unterteilung
Schwangerschaftsdiabetes
Häufigkeit des Diabetes mellitus bei Kindern
1993 2003
Kinder < 5 Jahre
(Deutschland) 8,3 13,1
Kinder < 15 Jahre
(NRW) 13,6 17,5
Inzidenz des Diabetes mellitus Typ I
(pro 100 000 Personenjahre)
In industrialisierten Ländern stetige Zunahme der Häufigkeit
des Diabetes mellitus Typ I bei Kindern!
Häufigkeit des Diabetes mellitus bei Kindern
Inzidenz des Diabetes mellitus Typ I bei Kindern < 14 Jahren in
Deutschland
(pro 100 000 pro Jahr)
1987 1998 2006 2026
10 16 19,4 37,9
geschätzt
Häufigkeit des Diabetes mellitus bei Kindern
Inzidenz des Diabetes mellitus Typ II (in NRW)
(pro 100 000 Personenjahre)
2002 2003
Kinder 0 bis 4 Jahre 0 0
Kinder 5 bis 9 Jahre 0 0,10
Kinder 10 bis 14 Jahre 0,57 0,29
Jugendliche 15 bis 19 J. 0,41 0,30
In industrialisierten Ländern neuerdings Auftreten des Diabetes m. Typ II
bei Kindern (und Zunahme) durch Zunahme der Adipositas!
Pathogenese des Diabetes mellitus Typ I
Demaskierung von Autoantigenen (Glutamat-Dehydrogenase) auf den Inselzellen
Autoimmunreaktion
Entzündung der Inselzellen = "Insulitis"
wenn 90 % der Zellen zerstört: ausgeprägter Insulinmangel
Ketonkörperbildung, Elektrolyt- und Flüssigkeitsverluste
Symptome des Diabetes mellitus
genetische Prädisposition
zur autoimmunen Reaktion
gegen eigene Inselzellen
(HLA-B 8, -BW 15, -DR 3,
-DR 4)
Virus-Infektion;
chemische Noxen
Klinische Symptomatik
Beginn:
- oft schleichend
wenn nicht erkannt plötzliche schwere Dekompensation
Koma
- in 80 % „langsame Manifestation“:
= rechtzeitige Diagnose in Anfangsphase
- in 20 % „akute Manifestation“:
= stationäre Einweisung in schwerer Stoffwechsel-
dekompensation bzw. Koma
Symptome des Insulinmangels
- Polyurie (osmotisch) sekundäre Enuresis nocturna!
- Polydipsie
- Polyphagie
- Gewichtsabnahme
- Abgeschlagenheit
- selten Erbrechen
- Necrobiosis lipoidica
Diagnostik
Messung der Blutglukose (venöses Plasma, kapilläres Vollblut),
(evtl. auch Zufallsdiagnose durch Harnglukose DD renale Glukosurie)
1. Möglichkeit:
Gelegenheitsmessung mit Blutglukose > 11,1 µmol/l (> 200 mg/dl)
+ typische Symptomatik
2. Möglichkeit:
Bestimmung der Nüchternblutglukose (evtl. mehrfach)
3. Möglichkeit:
bei unklarer Situation:
Durchführung des oralen Glukosetoleranztests (oGTT)
Oraler Glukosetoleranztest oGTT
Vorbereitung:
mindestens 3 Tage lang kohlenhydratreiche Ernährung
Durchführung:
1. Nüchternwert Blutglukose
2. orale Gabe von Glukose 1,75 g/kg
KGW, maximal 75 g
3. Blutglukose nach 2 Stunden
Auswertung von kapillären
Blutglukosemessungen
Bewertung Nüchtern-
Blutglukose
[mmol/l]
oGTT:
Blutglukose nach 2 h
[mmol/l]
gesund < 6,4 < 7,8
gestörte Glukose-Toleranz 6,4 bis 6,7 6,7 bis 11,1
Diabetes mellitus > 6,7 > 11,1
Differentialdiagnose der erhöhten
Nüchternblutglukose
1. „inselzell-gesundes“ Kind:
- nach Steroidgabe
- unter Streß (Adrenalin!), z. B. Infekt
2. „gestörte Glukosetoleranz“
3. Diabetes mellitus in der Anfangsphase
Weitere Diagnostik
essentiell insbesondere bei schlechtem AZ oder Koma:
- Säuren-Basen-Status und Blutgasanalyse
- Ketone im Urin
- Elektrolyte, Osmolalität, Kreatinin, Harnstoff im Plasma
eventuell ergänzend:
- HbA1 oder HbA1c: glykosylierte Hämoglobinfraktion
in % des gesamten Hb = Langzeitindikatoren
- Fruktosamin oder glykosyliertes Albumin:
Kurzzeitindikatoren für Hyperglykämien
- Antikörper gegen Glutamat-Dehydrogenase ("GAD II")
- Insulin
- C-Peptid = Spaltprodukt von Proinsulin, zeigt Insulin-Restsekretion an
Therapie des Diabetes mellitus ohne Koma
- primärer Beginn mit Insulinsubstitution; stationär!
- engmaschige Blutglukose-Überwachung: "Blutglukosetagesprofil"
- Anpassung der Insulindosis an individuellen Bedarf
- Beginn der Remission abpassen: 10 bis 14 Tage!
- dann Übergang zu ambulanter Dauerbehandlung
„Honeymoon der Diabetiker“
Beachte:
vorübergehende Erholung der beta-Zellfunktion
bei Kindern!
= "REMISSION"
Verlauf des Insulinmangeldiabetes im Kindesalter
Manifestation im 11. Lebensjahr
6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Alter [a]
0
Fremdinsulinbedarf
Eigensekretion
Mehrbedarf
Insulin-AntikörperC-Peptid
C-Peptid
R.
Dauerbehandlung
5 Säulen:
1. Insulinsubstitution subcutan
2. geregelte Kost
3. Muskelarbeit
4. ausführliche und ständig wiederholte Schulung
5. psychologische Betreuung
Ziele der Behandlung
1. Vermeidung akuter Komplikationen:
schwere Hypoglykämien, Ketoazidosen
2. Reduktion der Häufigkeit diabetischer Folgeerkrankungen
(in den ersten 10 bis 20 Jahren):
diabetische Retinopathie, Nephropathie etc.
3. normale körperliche Entwicklung
4. normale psychosoziale Entwicklung
Biochemische Kriterien des
Behandlungserfolgs
1. Blutglukosewerte zwischen 4,4 und 10 mmol/l
2. Harnzuckerfreiheit oder Restglukosurie von < 55 mmol/d
3. Ketonkörperfreiheit
Therapie des Diabetes mellitus Typ II
- bei beginnenden / Schwachformen mit Insulinrestsekretion:
Diät unter Vermeidung schnell aufnehmbarer (=süßer) Kohlenhydrate
Therapie der Adipositas!: Gewichtsreduktion
- bei fortgeschrittenen Formen, aber vorhandener Insulinrestsekretion:
Medikamente: Förderung von Insulinausschüttung und Insulinwirkung
Diät
- bei versiegender Insulinrestsekretion:
Insulin + wie Typ I
Ketoazidose
Glykolyse Glukoneogenese
Insulinmangel
Enthemmung von
Lipolyse Proteinabbau
EZR: Glukose
IZR: Glukose
Acetyl-CoA
Wasseraustausch
IZR-Dehydratation
ATP
Störung der zellulären
Glukose-Aufnahme
osmotische Diurese
K -Verlust +
Na -Verlust +
Exsikkose Transminera- lisation
Koma
Coma diabeticum Pathogenese
Symptome
vor Eintreten des Komas:
- Durst
- Übelkeit
- Bauchschmerzen „akutes Abdomen“
- Obstipation
- Kopfschmerzen
- Lufthunger ( Ventilation bei Azidose)
- bei jungen Kindern oft dramatischer Verlauf!
Symptome
im Koma:
- getrübtes Sensorium bis Koma
- Zeichen der Dehydratation: Hautturgor, weiche Bulbi
- rote Wangen
- Kussmaulsche Atmung
= „Azidose-Atmung“ = hohe Amplitude, normale Frequenz
- Azetongeruch der Ausatemluft: obstartig, blumig
- hypovolämischer Schock:
Tachycardie, Blutdruck normal/niedrig
- verminderte Muskeleigenreflexe
- Fieber
Laborwerte
- metabolische Azidose (Ketoazidose):
z. B. pH = 7,23; BE = - 18 mmol/l; pCO2 = 2,7 kPa
- hohe Blutglukose: oft 30 - 40 mmol/l
- Ketone im Harn stark
- Natrium im Blut normal bis
- Kalium im Blut oft
Therapie
- Rehydratation, Schockbekämpfung
- Pufferung bei schwerer Azidose
- Insulin nach Azidose-Teilausgleich
- stündliche Blutglukose- und Elektrolytkontrollen
- Substitution von Kalium (Phosphat, Kalzium) im Verlauf
zu 1. Rehydratation
- isotone Elektrolytlösung i.v.
= „0,9 %-iges Kochsalz“ = 150 mmol/l Natrium,
Volumen = Defizit + Erhaltungsbedarf
- wenn Blutglukose auf 14 - 17 mmol/l abgefallen:
1/2-isotone Elektrolytlösung i.v. + 5% Glukose
- evtl. Katecholamine i.v.
zu 2. Pufferung
- Indikation:
erst ab pH < 7,00
und bei drohender Herzinsuffizienz
- Natriumbikarbonat 0,3-molar:
Volumen [ml] = BE [mmol/l] x KGW [kg]
langsam i.v.
- ACHTUNG: Gefahr eines Hirnödems!
zu 3. Insulinsubstitution
- intravenös! (subcutan: unberechenbare Wirkung)
- Dosis (Standard):
0,1 IE/kg/h als Dauerinfusion, kein Bolus
- Dosis bei kleinen Kindern / geringer Azidose:
0,05 IE/kg/h
zu 4./5. Laborkontrollen / Elektrolytsubstitution
- Blutglukose langsam senken!:
ca. 5 mmol/l pro Stunde
- anfangs Gefahr der Hyperkaliämie
- später Hypokaliämie durch Rückstrom in die Zellen und Diurese
Kaliumsubstitution
Komplikationen des Diabetes mellitus
Koma
Nebenwirkungen der Insulintherapie:
- hypoglykämische Anfälle DD Koma: sofort Glukose geben!
- Fettgewebshyperplasie /-hypoplasie
Prognose
generell günstig
- körperliche, geistige und sexuelle Entwicklung normal unter
sachgemäßer Behandlung
- „Mauriac-Syndrom“ heutzutage nicht mehr!
(Minderwuchs, Stammfettsucht, Leberverfettung, Cataracta)
aber: Folgeerkrankungen!
Brittle-Diabetes mit Leberglykogenose
vaskuläre Spätkomplikationen nicht zu verhindern
( Häufigkeit nach 10 – 20 J):
- diabetische Retinopathie
- diabetische Glomerulosklerose Kimmelstiel-Wilson
- diabetischer Fuß: Durchblutungsstörungen Gangrän
- etc.