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Tina Hüttl, Chorinerstr. 7, 10119 Berlin, Tel. 030-48496287, [email protected] Alexander Meschnig, Emdenerstr. 32, 10551 Berlin, Tel. 030-3917171, [email protected] Der Verlust der kulturellen Hegemonie Gewerkschaften im Spiegel der Printmedien Studie im Auftrag der Hans-Bckler Stiftung September 2004 Projektnummer 2004-586-3

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Tina Hüttl, Chorinerstr. 7, 10119 Berlin, Tel. 030-48496287, [email protected]

Alexander Meschnig, Emdenerstr. 32, 10551 Berlin, Tel. 030-3917171, [email protected]

Der Verlust der kulturellen Hegemonie Gewerkschaften im Spiegel der Printmedien

Studie im Auftrag der Hans-Böckler Stiftung

September 2004

Projektnummer 2004-586-3

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Abkürzungsschlüssel der verwendeten Printmedien:

Tages- und Wochenzeitungen

Berliner Berliner Zeitung

BILD Bild Zeitung

Bams Bild am Sonntag

FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung

FR Frankfurter Rundschau

FTD Financial Times Deutschland

HB Handelsblatt

ND Neues Deutschland

StuttN Stuttgarter Nachrichten

StuttZ Stuttgarter Zeitung

SZ Süddeutsche Zeitung

Tages Tagesspiegel

taz die tageszeitung

Welt Die Welt

Wams Die Welt am Sonntag

WiWo Wirtschaftswoche

ZEIT Die Zeit

Magazine

Focus Focus

Spiegel Der Spiegel

Stern Der Stern

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Inhaltsverzeichnis

1. Ausgangslage ................................................................................................ 5

2. Fragestellung und Untersuchungsaufbau................................................... 9

2.1. Einleitung .............................................................................................. 9

2.2. Einstellungen und Medien..................................................................... 9

2.3. Auswahl ...............................................................................................12

2.4. Auswertungsmethode ..........................................................................14

3. Gewerkschaftliche Kernthemen in den Printmedien ................................ 17

3.1. Flächentarifvertrag und Tarifverhandlungen ........................................17

3.1.1. Argumentationsmuster der Kommentare ................................ 18 Hindernis im Wandel ................................................................................................... 19 Arbeitslosigkeit als Tarifeffekt...................................................................................... 20 Garant des sozialen Friedens ..................................................................................... 22 Flexibler als sein Ruf ................................................................................................... 23 3.1.2. Die Bewertung der Gewerkschaften ....................................... 25 Monopolisierung der Tarifverhandlungen.................................................................... 25 Gewerkschaft kontra Steuerzahler .............................................................................. 27 Tarifpartei - nicht mehr und nicht weniger................................................................... 28 Gewerkschaftliche Doppelmoral.................................................................................. 29

3.2. Kündigungsschutz................................................................................31

3.2.1. Argumentationsmuster der Kommentare ................................ 32 Mehr Jobs durch weniger Schutz ................................................................................ 33 Kein Beschäftigungswunder durch Lockerung............................................................ 34 Symbolthema für Gewerkschaften und Regierung ..................................................... 35 Leistungs- statt Sozialauswahl .................................................................................... 36 3.2.2. Die Bewertung der Gewerkschaften ....................................... 37 Neinsager der Nation .................................................................................................. 37 Geballte Meinungsmacht............................................................................................. 39 Sozialromantiker und Heilslehrer ................................................................................ 39

3.3. Arbeitszeitflexibilisierung......................................................................41

3.3.1. Argumentationsmuster der Kommentare ................................ 43 Freizeitweltmeister Deutschland ................................................................................. 43 Verkürzung aus Solidarität .......................................................................................... 45 Flexibilität ist Realität................................................................................................... 46 35-Stunden-Woche als ein hirnrissiges Beglückungsprogramm ................................ 47 3.3.2. Die Bewertung der Gewerkschaften ....................................... 48 Die Front der Besitzstandswahrer ............................................................................... 48 Neoliberale Verschwörung als Stammtisch-Rhetorik .................................................. 48 Lebensentwurf von gestern ......................................................................................... 50

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3.4. Querschnittsthema Arbeitslosigkeit ......................................................52 Sozial ist, was Arbeit schafft........................................................................................ 52 3.4.1. Gewerkschaften sind das Problem, nicht die Lösung ............. 53 Arbeitslosigkeit wegen zu hoher Löhne ...................................................................... 55 Arbeitslosigkeit aufgrund zu geringer Lohndifferenzen............................................... 56 3.4.2. Gewerkschaften wollen keine Lösung des Problems.............. 57

3.4.3. Gewerkschaften bieten nur veraltete und falsche Lösungen .. 58

3.4.4. Exkurs: Die Ausbildungsplatzabgabe ..................................... 59

4. Das mediale Bild der Gewerkschaften ....................................................... 63

4. 1. Interpretation der Ergebnisse...............................................................63

4.1.1. Häufigkeiten und Tendenzen .................................................. 63

4.1.2. Adressat.................................................................................. 66

4.1.3. Themensetzung ...................................................................... 67

4.2. Haupteinwände gegen Gewerkschaften ..............................................68

4.2.1. Repräsentationsproblem......................................................... 69

4.2.2. Realitätsproblem..................................................................... 71

4.2.3. Glaubwürdigkeitsproblem ....................................................... 73

4.2.4. Machtproblem ......................................................................... 75

4.3. Oppositionspaare .................................................................................77

4.4. Sprachanalyse .....................................................................................79

4.4.1. Attribute .................................................................................. 79

4.4.2. Metaphern............................................................................... 81

4.4.3. Headlines................................................................................ 83

5. Verhältnis von Medien und Gewerkschaften............................................. 85

5.1. Lob der Gewerkschaften ......................................................................85

5.2. Rolle der Gewerkschaften....................................................................88

5.3. Die Medien sind schuld! .......................................................................89

5.4. Schlussfolgerungen..............................................................................92

6. Zitierte Artikel (2003) und Literatur ............................................................ 97

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1. Ausgangslage

In den letzten Jahren lässt sich in den unterschiedlichsten Medien die Dominanz

eines �neoliberalen Diskurses� beobachten, der insbesondere gewerkschaftliche

Überzeugungen und Grundwerte als nicht mehr zeitgemäß und überholt erscheinen

lässt. Im Ringen um kulturelle Hegemonie und verbindliche gesellschaftliche

Grundwerte wird den Gewerkschaften eine fast durchgehend negative Rolle

zugeschrieben. Medial erscheinen sie vor allem als �Verweigerer� und �Blockierer�

von �notwendigen Reformen" der modernen Arbeitswelt. Die Gewerkschaften sind

heute in eine Defensivrolle gedrängt, aus der es ihnen nicht gelingt, sich zu befreien.

Das ist zumindest auf den ersten Blick die Ausgangslage gewerkschaftlicher Politik.

Folgt man den Überschriften und Titelzeilen der Printmedien in Deutschland wird die

Diagnose eines negativen Images in der über die Medien erzeugten öffentlichen

Wahrnehmung der Gewerkschaften vielfach bestätigt. Eine kleine Auswahl von Titeln

des Jahres 2003 soll an dieser Stelle zur Verdeutlichung genügen: �Neinsager der

Nation� (WiWo, 13.2.), �Lobby des Stillstands� (Spiegel, 5.5), �Flucht aus der

Wirklichkeit� (SZ, 8.5) oder �Reaktionäre von links� (Tages, 6.2). Andere Schlagzeilen

sahen die Gewerkschaften �Auf dem Weg ins Abseits� (SZ, 5.4) und manche

befürchteten, dass ganz Deutschland �Im Griff der Nein-Sager� (Focus, 17.3) den

Anschluss an die Wissensgesellschaft verpasse, ein �Blockierter Aufbruch� (FR,

10.2.) sei aufgrund der negativen Effekte gewerkschaftlicher Dogmen längst Realität.

Schließlich stellte das TV-Kulturmagazin polylux im Februar 2004 noch den

Zusammenhang zum internationalen Terrorismus her: Die Gewerkschaften wurden in

der Sendung schlicht als �Arbeitnehmer-Hamas� betitelt.

Der letzte Begriff verweist bereits auf einen der Hauptvorwürfe gegen

gewerkschaftliche Politik, die sich, so der Grundtenor, nur noch um klassische

Arbeitnehmer kümmere und das Gros der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten

sträflich vernachlässige. Am Augenscheinlichsten zeigt sich die Schwäche

gewerkschaftlicher Positionen denn auch in der medialen Debatte rund um die

Reformen des Arbeitsmarktes und die zukünftige Arbeitsgesellschaft. Vermittelt über

die Medien werden Gewerkschaften im wesentlichen als die Vertreter des

traditionellen Arbeitnehmers, dessen Arbeitszeit und -umfang, Lohn, Urlaub etc.

reguliert ist, in der Öffentlichkeit identifiziert. Demgegenüber machen sich die Medien

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zum Fürsprecher insbesondere von Arbeitslosen, die durchgängig als Opfer

verfehlter gewerkschaftlicher Arbeitsmarktpolitik vorgeführt werden.

Auch wenn durchaus in den internen Debatten und Grundsatzpositionen der

Gewerkschaften auf die Transformation der Arbeitsgesellschaft eingegangen wird

(siehe etwa: Zukunftsreport IG Metall, Grundsatzreferate in den Einzelgewerk-

schaften und des DGB), dringt davon wenig an die Öffentlichkeit. Das Image der

Gewerkschaften wird durch diese Studien in der öffentlichen Wahrnehmung kaum

berührt.

Entscheidend ist letztlich die Wirkmächtigkeit der vorgegebenen Bilder, die den

öffentlichen Diskurs bestimmen. Letzterer geht inzwischen von einer radikalen

Veränderung historisch tradierter Arbeitsformen aus. Zwar werden garantierte Löhne

und Arbeitszeiten, feste Stellenbeschreibungen und vorhersehbare Routineabläufe

nach wie vor existieren. Eine breite mediale Öffentlichkeit sieht aber schon heute

darin nur noch Marginalien und Modelle der Vergangenheit. So wird etwa das

Sicherheitsdenken (siehe etwa die Debatte um den Kündigungsschutz) längst als

Wunschdenken abgetan oder die Erosion stabiler Arbeitsverhältnisse als ein nicht

mehr aufhaltbarer Prozess im Zuge der Globalisierung betrachtet. Solche

Denkweisen und Werte sind zum gesellschaftlichen Mainstream geworden, der einen

bestimmten Automatismus nicht mehr weiter hinterfragt: Der Kündigungsschutz

verhindert die Schaffung neuer Arbeitsplätze, zeitliche Arbeitsregelungen sind in

einer globalen Konkurrenzökonomie überholt, Freiheit, Selbstständigkeit und

Eigenengagement werden von Gewerkschaften behindert, Arbeitslose bleiben

aufgrund überhöhter Lohnforderungen der Gewerkschaftsfunktionäre auf der Strecke

usw.

Eine vom Institut für Demoskopie in Allensbach im April 2003 durchgeführte

Imagestudie wollte von den Befragten wissen: �Sind die Gewerkschaften eher Motor

oder Bremser bei den anstehenden Reformen des Arbeitsmarktes?� Über die Hälfte

der Befragten, nämlich 52 Prozent, schätzten die Gewerkschaften als �Bremser� ein,

34 Prozent für neutral und lediglich 14 Prozent sahen sie als Motor für zukünftige

Reformen. (zit. in FAZ, 16.4.)

Die Frage bleibt, ob das durch die Meinungsforschungsinstitute regelmäßig

bestätigte negative Image der Gewerkschaften tatsächlich generalisiert werden darf?

Für unsere Studie maßgeblich ist die sich daran anschließende Frage, inwiefern die

Printmedien an dieser Bewertung beteiligt sind, indem sie voreingenommen über

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gewerkschaftliche Politik berichten. Ist der von den Medien ständig eingeforderte

�notwendige Reformbedarf� des Arbeitsmarktes und die tiefen Einschnitte in unser

Sozialsystem tatsächlich zum anerkannten Paradigma geworden, dem sich nur noch

die Gewerkschaften verweigern? Sind diese wesentlich in den 90er Jahren

entstandenen Denkmuster inzwischen gesellschaftlicher Konsens? Damit ist die

stillschweigende oder lautstarke Zustimmung zu Veränderungen gemeint, die als

quasi naturgesetzlich erscheinen und für die insbesondere das Schlagwort der

Globalisierung als unhinterfragbare Chiffre fungiert.1 Ohne großen Druck oder Zwang

finden - trotz zaghafter Proteste - gesellschaftliche Projekte, wie etwa die Agenda

2010, breite Zustimmung auch bei denjenigen, die davon früher oder später betroffen

sein werden - oder Mitglied in einer Gewerkschaft sind. So ergab eine Forsa-

Umfrage im Mai 2003, dass nur 29 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder den

Reformplänen der Regierung Schröder ablehnend gegenüberstehen. Dass die in der

Agenda 2010 für die Gewerkschaften größtenteils unannehmbaren Forderungen von

einer ursprünglichen Arbeiternehmerpartei und traditionellem Bündnispartner, der

SPD, ausgehen, macht die Sachlage noch um einiges schwieriger.2

Für die Herstellung von Hegemonie, also breiter öffentlicher Zustimmung ohne

Zwangsmittel, sind die Medien, neben den politischen Repräsentanten und ihren

entsprechenden Experten, der entscheidende Faktor. Die Gewerkschaften können

dem nur eine sehr geringe öffentliche Wirkung entgegensetzen. Prinzipiell gilt

außerdem dass die Massenmedien �kapitalistisch� funktionieren, indem sie ihre Ware

Information verkaufen müssen, was für die Gewerkschaften den Verdacht nährt,

dass Arbeitgeberpositionen damit von vornherein besser wegkommen. �Aus

historischen und aus ständig aktuellen Gründen sehen die Gewerkschaften in den

Massenmedien die Produzenten einer ihnen kritisch bis feindlich gegenüber-

stehenden politischen Öffentlichkeit. � Aber gleichzeitig machen sie die Erfahrung,

ein selbstverständlicher und gefragter Akteur für die Massenmedien zu sein.� (Arlt

1998, S. 119)

1 Ein anderer vielstrapazierter Begriff ist seit einiger Zeit � insbesondere auf der Ebene der sozialen

Sicherungssysteme - der demographische Faktor, gegen den es ebenfalls keine Argumente zu geben scheint und der quasi naturwüchsig alles Vorhandene zerstört.

2 Der 14. März 2003 gilt allgemein als �schwarzer Tag� der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Genau an diesem Tag verkündete Kanzler Schröder sein Reformprogramm Agenda 2010. Was diese Rede für das Verhältnis von Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung in der Zukunft bedeutet, lässt sich nicht vorhersagen. Eines ist aber sicher: die Verhältnisse sind komplizierter geworden.

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Die zunächst pauschale Auffassung einer Kennzeichnung von Gewerkschaften als

�Blockierer� und �Verhinderer� von Zukunftsentwürfen lässt sich bei genauerer

Untersuchung der Printmedien nicht durchgängig halten. Zwar kann man sicherlich

davon sprechen, dass den Gewerkschaften an sich eine negative Rolle

zugeschrieben wird. Als wichtiger Gesprächspartner werden sie aber durchaus für

unterschiedliche Themen (noch) ernst genommen. Für die Mehrheit der

kommentierenden Journalisten und Autoren sind die Gewerkschaften aber das

Problem und nicht die Lösung für die zukünftigen Fragen einer veränderten Lebens-

und Arbeitswelt. Dementsprechend negativ sind die entworfenen Bilder.

Das allgemein vorherrschende Image und die mit ihm assoziativ verknüpften Bilder

sind heute die entscheidenden Faktoren für eine erfolgreiche und hegemoniale

Politik. Dafür gilt es aber Antworten auf drängende Probleme zu finden, die nicht

allein in der Reproduktion vertrauter Muster bestehen können. �Auch wenn ihnen

(den Gewerkschaften; die Verf.) das neoliberale Gefasel von den angeblich

gewaltigen Strukturproblemen zu Recht auf die Nerven geht, müssen sie Stellung

beziehen zu Themen, die den Menschen auf den Nägeln brennen, wie die Renten-

und Gesundheitspolitik oder die Folgen der Globalisierung. Nein sagen zu dem, was

aus Berlin kommt, ist zu wenig. Vielmehr sind Alternativen gefragt, vielleicht sogar

Utopien...� (FR, 9.7.)

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2. Fragestellung und Untersuchungsaufbau

2.1. Einleitung

Die Gewerkschaften sind von ihrer historischen Entstehung als Arbeiterbewegung

genuin mit dem kapitalistischen Arbeitsverhältnis verwoben, dessen Konfliktpotenzial

nach wie vor im Mittelpunkt gewerkschaftlicher Politik steht. Der Fokus unserer

Studie richtet sich deshalb auf das Image der Gewerkschaften in der medialen

Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt. Anhand ausgewählter Kernthemen, die im

�Reformjahr� 2003 die Medien beschäftigten, wie etwa dem Flächentarifvertrag oder

dem Kündigungsschutz wird untersucht, wie Gewerkschaften in ihrem Verhältnis zur

modernen Arbeitsgesellschaft in den Printmedien dargestellt werden und zwar

zunächst unabhängig von der Frage, ob Realität und Bild tatsächlich überein-

stimmen.

Ziel unserer kleinen Studie ist es, anhand der Nachrichten-, Wirtschafts- und

Kulturseiten ausgewählter Tages- und Wochenzeitungen sowie Magazine eine

möglichst konkrete Deskription der Argumentationsmuster pro oder contra

Gewerkschaften in der Zukunftsdebatte um die Arbeitsgesellschaft zu erstellen. Mit

den ihnen medial zugeschriebenen Positionen müssen sich Gewerkschaften

auseinandersetzen, wenn sie nicht �objektiv� gegen alle recht haben wollen.

2.2. Einstellungen und Medien

�Groups can remain dominant only if they have the resources to reproduce their

dominance. This is not only true economically, but also socially, culturally and

especially ideologically." (Van Dijk, 1991, S. 32)

Im Informationszeitalter ist jede gesellschaftliche Gruppierung und Organisation auf

die Medien angewiesen, erst über sie können sie kommunizieren und konsensuale

Wirkung erzielen. Die Massenmedien im Allgemeinen und die Nachrichtenmedien im

Besonderen reflektieren unvermeidbar das Kräfteverhältnis zwischen den

verschiedenen gesellschaftlichen Interessensgruppen und spielen eine wichtige

Rolle bei dessen ständiger Reproduktion. Insbesondere zwischen den Vertretern der

Kapital- und Arbeitsseite bestehen nach wie vor Interessensgegensätze, auch wenn

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gerade die Medien diese Gegensätze heute relativieren und stattdessen den Aspekt

der gemeinsamen Interessen in den Vordergrund stellen3. Eine typische Aussage

lautet daher: "Wir leben in einer Zeit, in der es nicht mehr um Arbeit versus Kapital,

sondern um Arbeit versus Arbeitslosigkeit geht.�(Lothar Späth im HB 11. Juni).

Die Medien sind also keineswegs als neutrale Arenen zu charakterisieren, vielmehr

sind sie selbst Teil einer ideologischen Konfiguration. Auf sehr unterschiedliche

Weise können sie Partei ergreifen, am offensichtlichsten etwa:

durch die Gewährung oder Verweigerung des Zuganges zur Nachrichtenproduktion.

durch ihren Output und die Art und Weise der Berichterstattung.

Die Frage der Repräsentation von Gewerkschaften in den Informationsmedien

scheint uns � wie auch unsere Recherche nach Forschungsliteratur bestätigt - aus

der �akademischen Mode" gekommen. Im Focus der v.a. gewerkschaftsnahen

Forschung stehen heute hauptsächlich ökonomische Fragen, etwa nach der Zukunft

der Flächentarifverträge oder einer angemessenen Lohnpolitik. Wie jedoch

Gewerkschaften und ihre Positionen von den Medien wahrgenommen werden, ist

häufig nur von marginalen Interesse.

Wir hoffen, die Forschungslücke hinsichtlich der Beziehung zwischen Gewerk-

schaften und Medien ein Stück weit mit Inhalt zu füllen. Die These unserer Studie

lautet, dass die Gewerkschaften selbst die Wirkmächtigkeit ihres (negatives) Bildes

in der Öffentlichkeit unterschätzen und ihm zu wenig entgegensetzen. Doch gerade

in ökonomischen Umbruchszeiten, in denen soziale Errungenschaften zur

Disposition stehen, ist die Rolle der Medien wichtiger denn je.

Unumstritten ist seit den 70er Jahren4 die Agenda-Setting-Funktion der

Massenmedien. Von Seiten der Agenda-Setting-Forschung wurde die These

aufgegriffen, dass die Themen, die von den Medien als besonders wichtig erachtet

und entsprechend stark thematisiert werden, auch von der Bevölkerung als die

aktuell bedeutsamen Themen rezipiert werden.

3 Ein Ergebnis unserer Medienanalyse besteht darin, dass der Widerspruch von Kapital und Arbeit

heute von vielen Kommentatoren als aufgehoben betrachtet wird. Insbesondere für Unternehmen gälte: �Den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital, den die Funktionäre auf Tagungen und Kongressen gerne herbeireden, gibt es in den Betrieben längst nicht mehr.� (FAZ, 1.9.) Die tatsächlichen Veränderungen des Gegensatzes von Arbeit und Kapital in einer zunehmend immateriellen Wissensindustrie sollen an dieser Stelle aber nicht geleugnet werden.

4 Das Konzept der Agenda-Setting-Forschung wurde von McCombs und Shaw in ihrer Chapel-Hill-Studie entwickelt. Ziel dieser Studie war es, die Wirkung der Medien durch ihre Themenauswahl auf die Wähler und ihre Wahl bei der Präsidentschaftswahl in den USA im Jahre 1972 zu erforschen. (siehe: McCombs/Shaw 1972)

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Die Wirkungsforschung dagegen beschäftigt sich mit der Frage, mit welchem Erfolg

Massenmedien die Meinungsbildung in der Bevölkerung beeinflussen. Da in diesem

Prozess viele Faktoren beteiligt sind, ist es äußerst schwierig, den unmittelbaren

Einfluss von Presse und Rundfunk zu erfassen5. Die Wissenschaftlerin Elisabeth

Noelle-Neumann entwickelte das Konzept der �Schweigespirale": Bei strittigen

Themen finde sich der Einzelne stets auf einer von beiden Seiten. Stellt er fest, dass

er mit der herrschenden Meinung übereinstimmt, verbalisiere er sie laut und häufig.

Merkt er jedoch umgekehrt, dass seine Überzeugung an Boden verliert, wird er

immer unsicherer und schweigsamer. Diese verschiedenartigen Verhaltensweisen

beeinflussen ihrerseits die Häufigkeitsverteilung von Meinungen und führen mitunter

zu einem Meinungswandel beim unsicher gewordenen Einzelnen. Somit komme

durch die Tendenz zum Reden der einen und zum Schweigen der anderen ein

Prozess in Gang, der eine Meinung immer fester und fester als herrschende Meinung

etabliere. (vgl. Meyn 2001)

Betrachtet man die Daten zum derzeitigen Image der Gewerkschaften wird deutlich,

was sich im Sinne Noelle-Neumanns als herrschende Meinung etabliert hat. Die

Frage einer vom Institut für Demoskopie in Allensbach im April 2003 durchgeführten

Imagestudie lautete: �Wenn Sie das Wort Gewerkschaft hören � woran könnten Sie

da vor allem denken?� Die meisten Assoziationen waren mit negativen Begriffen

verbunden: Streik (90 Prozent), Funktionäre (78 Prozent), Macht (72 Prozent),

Tradition (68 Prozent), Bürokratie (59 Prozent), Blockade (56 Prozent), Unbeweglich

(45 Prozent). Weitaus seltener fielen positive Begriffe, am häufigsten wurden

genannt: Sozial (54 Prozent), Gerechtigkeit (36 Prozent), Reformen (36 Prozent) und

Modern (21 Prozent) (Umfragwerte u.a. zitiert in der FAZ, 16.4.)

Ein ähnlich düsteres Meinungsbild ergab die Forsa-Meinungsumfrage im August

2003. Drei Viertel aller Bundesbürger halten gewerkschaftliche Politik für veraltet (73

Prozent). Selbst unter den Gewerkschaftsmitgliedern scheint die Unterstützung für

Gewerkschaften und ihre Politik stark abgenommen zu haben: Nur die Hälfte der

5 Dass Medien mehr sind als der bloße Spiegel der Gesellschaft, darauf verweist Thomas Petersen,

Projektleiter beim Allensbacher Institut für Demoskopie: �Es gibt eine ganze Reihe von sehr deutlichen Hinweisen darauf, dass die Bevölkerung in ihrer Meinungsbildung in Bezug auf politische Fragen in sehr vielen Fällen dem Tenor der Berichterstattung nachfolgt.� Kombiniere man die Resultate von Inhaltsanalysen mit den Ergebnissen von Meinungsumfragen, zeige sich, �dass die Bildung der Bevölkerungsmeinung in ihrer Tendenz sehr eng den Inhalten der Massenmedien nachfolgt � und nicht etwa umgekehrt�. Die publizistische Forschung könne keinen einzigen Fall nennen, bei dem sich erst die Meinung der Bevölkerung verändert habe und dann die Medieninhalte.

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Mitglieder sehen Gewerkschaften noch positiv (2002 waren es noch 78 Prozent).

Zudem fordern 77 Prozent mehr Kompromissbereitschaft bei der Agenda 2010

(Polis-Umfrage Ende Mai 2003).

2.3. Auswahl

Die Datenbasis ist sehr umfangreich. Sie resultiert aus der Inhaltsanalyse der

Medienberichterstattung über Gewerkschaften sowie vier ausgewählten Themen, die

im Jahr 2003 von politischer Bedeutung waren und die öffentliche Diskussion

dominierten. Von den verschiedenen Medien wurden ausschließlich Printmedien

berücksichtigt.

Die Fokussierung auf den Bereich der Tages-, Wochenzeitungen und Magazine (und

hier ausschließlich auf Meinungsbeiträge) erfolgt v.a. aus dem Grund, da hier noch

Raum für differenzierte Stellungnahmen und Bewertungen gewerkschaftlicher Politik

zu finden sind - im Gegensatz etwa zum Fernsehen, das sich bei den Nachrichten

zumeist auf wesentlich kürzere Beiträge beschränken muss.

Folgende vier Themenschwerpunkte rund um das Arbeitsverhältnis, die eng mit

Gewerkschaften, deren Anliegen und Aufgaben verknüpft sind, wurden als

Gegenstand der Inhaltsanalyse ausgewählt: Artikel zu (Flächen-)Tarifverträgen bzw.

-verhandlungen, dem Kündigungsschutz, der Arbeitszeitflexibilisierung sowie zum

Querschnittsthema Arbeitslosigkeit. Ausgewählt wurden ferner auch sämtliche

Beiträge, die sich inhaltlich im wesentlichen mit Fragen der Zukunft, Krise oder

Spaltung von Gewerkschaften auseinandersetzen.

Der Untersuchungszeitraum der Inhaltsanalyse erstreckt sich vom 1. Januar 2003 bis

31. Dezember 2003.

Für die Ermittlung der thematisch relevanten Beiträge wurden die Nachrichten-,

Wirtschafts- und Feuilletonteile von insgesamt fünfzehn regionalen und

überregionalen Qualitätszeitungen, von zwei Wochenblättern und drei wöchentlichen

Magazinen (siehe Auflistung der Medien im Abkürzungsschlüssel zu Beginn)

ausgewertet. Ziel der sehr breit angelegten Auswahl ist es, ein möglichst großes

Spektrum von konservativen, bis hin zu eher links oder liberal eingestuften Medien

abzudecken. Zudem wurde die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands, die

Boulevardzeitung Bild, mit in die Analyse aufgenommen.

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Für die Inhaltsanalyse berücksichtigt wurden nach erster allgemeiner Durchsicht

ausschließlich meinungsbetonte Beiträge, also Kommentare, Leitartikel und

Debattenbeiträge von Journalisten sowie externen Experten, die in den jeweiligen

Medien veröffentlicht wurden. In den Wochenmagazinen ist das Genre des

Kommentars eher selten zu finden. Die hieraus gewählten längeren Beiträge sind

jedoch in der Regel an sich nicht meinungsneutral verfasst. (Eine Liste der zitierten

Kommentare ist im Literaturverzeichnis aufgeführt.)

Für die Recherche konnten wir auf den Pressespiegel, der täglich von der

Presseabteilung bei Verdi6 erstellt wird, zurückgreifen. Unsere Intention ging dahin,

den Pressespiegel als das zu lesen, was er ist: Ein Spiegel für das Spektrum der

verschiedenen Meinungen. Nach unserer Erfahrung wird in den meisten

Öffentlichkeitsabteilungen (nicht nur der Gewerkschaften) zwar sorgfältig ein

Pressespiegel erstellt, vielfach wird er aber nur unzureichend zur Analyse der

eigenen inhaltlichen Arbeit herangezogen. In Bezug auf das Verhältnis von

Gewerkschaften und Massenmedien allgemein schreibt der langjährige Presse-

sprecher des DGB, Hans-Jürgen Arlt:

�Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die massenmediale Öffentlichkeit: Er nimmt

es nicht so wichtig, hineinzukommen, und es ist ihm nicht wichtig, etwas

herauszulesen. Letzteres belegt der praktische Umgang mit dem Instrument

Pressespiegel. Er wird bestenfalls als Erfolgskontrolle der PR-Arbeit und als

Kontrolle der journalistischen Arbeit genutzt, nicht als Spiegel, in dem auch

eventuelle Vermittlungsschwierigkeiten der eigenen Politik zu sehen sind.� (Arlt 1998,

S. 227; Herv. die Verf.) Die Massenmedien dienen so �nicht als Orientierung für

eigenes Handeln, sondern als Folie, die es erlaubt, solche Öffentlichkeiten als

defizitär darzustellen, in welchen er (der Gewerkschaftsbund; die Verf.) sich schlecht

behandelt sieht.� (ebd., S. 228)

6 Die Presseabteilung von Verdi wertet täglich, bzw. am Tage ihres Erscheinens die Politik,

Wirtschaft- Feuilleton-, Kultur- und Sportseiten der genannten Medien aus. Eine Ausnahme bilden die Samstags- und Sonntagsausgaben der Tageszeitungen, die am Montag ausgewertet werden. Hauptkriterium für die Auswahl ist zunächst einmal der �Niederschlag" der Arbeit der Verdi-Pressestelle. Des weiteren sind alle Meldungen wichtig, die im weitesten Sinne mit den Gewerkschaften in Verbindung gebracht werden können. Dazu gehört in erster Linie die Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Aus Platzgründen können Meldungen über europäische und internationale Gewerkschaften, sowie Berichte zu den internationalen Arbeitsbeziehungen und zum komplexen Themenfeld der Globalisierung nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Die Auflage des Pressespiegels bewegt sich in der Größenordnung um 120 Exemplare und zirkuliert ausschließlich im Haus. An dieser Stelle nochmals unser Dank an die Presseabteilung von Verdi für die großzügige Überlassung des Auswertungsmaterials.

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Mit unserer Studie wollen wir anregen, dass die Gewerkschaften sich vermehrt mit

der medialen Kritik auseinandersetzen. Die �Medien-Krise� der Gewerkschaften

resultiert zum einen aus dem Vermittlungsproblem ihrer Inhalte. Zum zweiten

müssen Gewerkschaften jedoch auch anhand der Medien kritisch prüfen, ob ihre

Politik, ihre Werte und Überzeugungen noch konsens- und zukunftsfähig sind.

Die Ermittlung der thematisch relevanten Beiträge unterliegt nicht dem Anspruch auf

Vollständigkeit. Wichtiger als tatsächlich jeden Meinungsbeitrag zu erfassen, der im

Jahr 2003 zu Gewerkschaften an sich sowie den genannten Themenschwerpunkten

veröffentlicht wurde, erschien uns, eine möglichst große qualitative Auswahl zu

treffen.

Dabei erfolgte die Auswahl zunächst neutral und war stichwortgeleitet. Sämtliche

Meinungsbeiträge des Pressespiegels wurden gesichtet. Ausgewählt wurden zum

einen Beiträge, die sich als Gegenstand der Berichterstattung explizit mit Gewerk-

schaften und ihrer zukünftigen Rolle auseinandersetzen. Zum zweiten wurden

Beiträge herausgefiltert, die sich mit einem der bereits genannten vier Themen-

schwerpunkte, etwa Tarifverträge, Kündigungsschutz etc., beschäftigten. Ein zweites

Auswahlkriterium für diese Beiträge bestand ferner darin, dass die Themen dabei im

Bezug zu einer oder den Gewerkschaften an sich stehen mussten.

2.4. Auswertungsmethode

Die von uns getroffene Auswahl ist mit etwa insgesamt ca. 260 Meinungsbeiträgen

so groß, dass bei der qualitativen Auswertung die Tendenzen der Berichterstattung

erkennbar sind. Knapp die Hälfte der Beiträge beschäftigt sich mit Gewerkschaften

im allgemeinen. Etwa 140 Beiträge widmen sich den Gewerkschaften im

Zusammenhang mit einem der vier genannten Themenschwerpunkte.

Für die Inhaltsanalyse wurde folgendermaßen vorgegangen:

Für jeden Beitrag kann eine bestimmte Anzahl von Aussagen festgestellt werden.

Zum Beispiel erhält der Satz �Die Gewerkschaften blenden allerdings aus, dass sich

die ausländische Konkurrenz nicht nach deutschen Tarifverträgen richtet. Der

globalisierte Wettbewerb macht nicht Halt an den deutschen Grenzen." (StuttZ,

10.12.) zwei Aussagen:

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1) Die inhaltliche Aussage: der deutsche Tarifvertrag ist aufgrund des globalen

Wettbewerbs nicht mehr zu halten,

2) die bewertende Aussage: die Gewerkschaften verweigern sich dieser Tat-

sache/Realität.

Bei der Analyse der Meinungsbeiträge wird daher versucht, die inhaltliche Ebene der

Argumentation von der wertenden Beurteilung der Gewerkschaften getrennt zu

betrachten.

Im jeweils ersten Teil unserer Texte zu den gewerkschaftlichen Kernthemen (Teil 3,

bis auf das Querschnittsthema Arbeitslosigkeit) werden zunächst die inhaltlichen

Argumente verschiedenen Oberkategorien zugeordnet. So werden beispielsweise

Aussagen in den Kommentaren, die sich auf die flexible Handhabung von

Flächentarifverträgen in Betrieben oder deren faktische Flexibilität beziehen, unter

dem Hauptargument: "Flächentarifverträge sind flexibler als ihr Ruf" untergeordnet

und dargestellt.7 Wir beabsichtigen damit, die gängigen Argumentationsmuster und

Konfliktlinien nachzuzeichnen, auf die Gewerkschaften inhaltlich antworten müssen.

In einem zweiten Schritt haben wir dann ausdrücklich auf Gewerkschaften bezogene

Aussagen untersucht. Auch diese werden wieder (wie bei den Hauptthemen) unter

verschiedene wertende Hauptaussagen subsummiert und dargestellt. Dabei lassen

sich in der Regel verschiedene Abstufungen der Werturteile über Gewerkschaften in

den Meinungsbeiträgen unterscheiden.

So finden sich bei den Beiträgen zu Flächentarifverträgen etwa eine große Anzahl

von Kommentaren, die das �Tarifkartell" gemeinsam als Flexibilitätshindernis für den

�Stillstand" verantwortlich machen, andere Kommentatoren sind in der Tendenz noch

kritischer und sehen eine �Alleinschuld" ausschließlich bei den Gewerkschaften.

Auf diese Weise können wir Pro- bzw. Contra-Haltung der Medien zu den einzelnen

Themen/Konflikten sowie zu den Gewerkschaften ermitteln. Es lässt sich ebenso

feststellen, inwieweit die verschiedenen Medien den jeweiligen Konflikt konsonant

oder kontrovers thematisieren.

Für die anschließende Einordnung und Interpretation der im Kapitel 3 gefundenen

Ergebnisse werden dann die Kommentare, die sich auf einem allgemeineren Level

mit Gewerkschaften beschäftigen, mit herangezogen (Kapitel 4). Diese sind

7 In einem Kommentar können sich demnach eine Vielzahl von inhaltlichen Aussagen finden, die

unter verschiedenen Oberargumenten aufgeführt werden. Bei der Auszählung der Häufigkeiten haben wir jeden Kommentar jedoch auf sein Hauptargument festgelegt und nur einmal gezählt.

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thematisch in drei Kategorien unterteilbar: Beinahe alle Artikel widmen sich der Krise,

Spaltung oder Zukunft von Gewerkschaften.8 Die hier vertretenen Meinungen der

Kommentatoren dienen dazu, die konkreten Ergebnisse der Studie zu den einzelnen

Themenfeldern wie Tarifverträge, Kündigungsschutz etc. zu präzisieren. Anhand von

ihnen kann geprüft werden, ob die Tendenzen und Wertungen der Berichterstattung

über gewerkschaftliche Kernthemen auch auf einer höheren Ebene der Abstraktion

verallgemeinerbar sind.

8 Ein großer Anteil der Medienberichterstattung über Gewerkschaften entfällt auf Personaldebatten,

die in dieser Studie nicht berücksichtigt werden. Jedoch wurden Artikel, die sich in personalisierter Form mit der Krise, Spaltung oder Zukunft der Gewerkschaften beschäftigt, mitausgewertet.

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3. Gewerkschaftliche Kernthemen in den Printmedien

3.1. Flächentarifvertrag und Tarifverhandlungen

Kalendarium der Ereignisse

Kommentare zu Tarifthemen stellen zahlenmäßig im Jahr 2003 den größten Teil in

den Printmedien dar. So findet sich in der FR eine Serie von insgesamt acht

Kommentaren die sich in ausgewogener Weise mit den gängigen Vorurteilen gegen

Tarifverträge beschäftigen. Insbesondere wird nicht nur in der FR betont, dass

bereits heute innerhalb des Tarifsystems ein breites Instrumentarium zu flexiblen

Lösungen für Betriebe existiert, dass vielfach angewendet wird.

Die Kündigung des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst durch das Land Berlin

im Januar zieht eine breite Diskussion über die Verantwortung der Gewerkschaften

für den Steuerzahler und Bürger nach sich, die als die eigentlichen Betroffenen

tariflicher Forderungen im öffentlichen Dienst vorgestellt werden. Während verdi und

das Land Berlin sich vor Gericht wieder finden droht auch das Land Bayern im März

mit dem Austritt aus der Tarifgemeinschaft. Im April beschließt schließlich Baden

Württemberg seinen Ausstieg. Im Juli kommt es in Berlin doch noch zu einer

Tarifeinigung (außer bei der Lehrergewerkschaft): die Tarifparteien einigen sich auf

weniger Arbeit und - sozial gestaffelt - weniger Lohn.

Den ganzen Sommer über gibt es in den Medien Diskussionen über Sinn und

Funktion von Flächentarifverträgen. Vielfach wird zur Verteidigung der Flächentarife

angeführt, dass sie flexibler als ihr Ruf sind. Stimmen, insbesondere der politischen

Opposition und der Wirtschaft, die für eine Abschaffung der Tarifautonomie plädieren

und für die Kanzler Schröder eine Zeit lang offen scheint, werden im September

durch ein Machtwort abgeschmettert: Schröder sichert den Gewerkschaften zu,

Abstand von der Idee gesetzlicher Tariföffnungen genommen zu haben. Dennoch

warnt Jürgen Peters beim Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober die SPD vor

einem Bruch mit den Gewerkschaften.

Bei der Tarifrunde der IG Metall im November fordert die Gewerkschaft vier Prozent

Lohnerhöhung während die Arbeitgeber längere Arbeitszeiten wollen. Zeitgleich

berät der Vermittlungsausschuss über eine gesetzliche Tariföffnung. Im Dezember

kommt es zu einem Kompromiss: die Tarifautonomie bleibt unangetastet, die CDU

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lenkt ein. Dennoch verstummen auch gegen Jahresende die Debatten um die

Abschaffung des Flächentarifvertrages nicht.

Meinungsspektrum im Zahlen

Flexibilität bei Flächentarifverträgen bereits vorhanden (18 Beiträge)

Flächentarifvertrag schafft Arbeitslosigkeit (6 Beiträge)

Kritik an Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften (5 Beiträge)

Politik muss Macht des Tarifkartells brechen (5 Beiträge)

Globaler Wandel trifft Branchen unterschiedlich (5 Beiträge)

Berlin und Kündigung Flächentarifvertrag (5 Beiträge)

Eindeutig pro Flächentarifvertrag (4 Beiträge)

Konzerne und Betriebsräte wollen Flächentarifvertrag behalten (4 Beiträge)

Zeitarbeit und Tarifvertrag (3 Beiträge)

3.1.1. Argumentationsmuster der Kommentare

Auf die Frage, welcher Argumentationslinie die Printmedien bezüglich Tarifverträgen

bzw. -verhandlungen folgen, gibt es unterschiedliche Antworten. Ein Analysekomplex

beschäftigt sich mit der allgemein konstatierten Transformation unserer Lebens- und

Arbeitswelt, die neuartige Konzepte auch für tarifliche Bündnisse erfordere. Während

ein Teil der Presse einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit

und Tarifverträgen herstellt und sie dementsprechend modifizieren oder, was

seltener gefordert wird, abschaffen will, weisen eine große Anzahl von Kommentaren

auf die bereits faktische Flexibilität der Flächentarifverträge hin und plädieren für eine

Beibehaltung der jetzigen Regelungen mit maximaler Ausnutzung ihrer Spielräume.

Der allgemeinste Nenner der gewerkschaftskritischen Kommentare stellt die explizite

Aufforderung an die Politik dar, jetzt doch endlich zu handeln, um Schlimmeres zu

vermeiden. Dabei werden die Arbeitgeberverbände fast mit den selben Worten wie

die Gewerkschaftsspitze kritisiert. Beide zusammen bilden für die überwiegende

Mehrheit der Presse ein �Tarifkartell,� das wie jedes andere Kartell zu negativen

Effekten � insbesondere für Arbeitslose � führe.

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Hindernis im Wandel

Ein Hauptargument in den Printmedien gegen Flächentarifverträge betrifft die viel

zitierte Transformation unserer Arbeitsgesellschaft. Die Wirtschafts- und Arbeitswelt

sei vielfältiger denn je, differenzierte und individualisierte Arbeitsbedingungen

erforderten neue Lösungen. Kollektive Regelungen seien angesichts unterschied-

licher Realitäten für Arbeitnehmer heute nicht mehr sinnvoll, so etwa die FR vom

10.12. Die neuen Bedingungen, die auch neue Antworten fordern, werden im

wesentlichen durch folgende Punkte gekennzeichnet:

1. wir befinden uns in einer Wirtschaftskrise.

2. es haben sich die Formen der Arbeit sehr differenziert, was allgemeine

Regelungen und historische Vorbilder obsolet mache. So schreibt etwa die

FTD vom 15.7. in einem Kommentar: �Während ihre (gemeint sind die

Gewerkschaften; die Verf.) Visionen immer noch die Modellrolle des Arbeiters

im Industriebetrieb umkreisen, der wirtschaftlich und politisch unmündig

erscheint, hat sich das wirtschaftliche und politische Umfeld gewaltig

gewandelt. (...) Die Mehrzahl der Arbeitnehmer unterliegt nicht mehr dem

traditionellen Arbeitszeitmodell, und ihre Bereitschaft zu streiken schwindet.�

3. es wird darauf verwiesen, dass die wirtschaftliche Lage in Branchen und

Regionen sich sehr unterschiedlich gestaltet. Standortbedingte und

einzelbetriebliche Realitäten fordern individuelle Lösungen. Insbesondere die

Mittelständler würden von Arbeitgeberverband und Gewerkschaften mit ihren

spezifischen Problemen nicht wahrgenommen. Der Fokus ihrer Tarifpolitik

richte sich immer noch nach den Prinzipien der Großkonzerne aus: �Die

branchenweit einheitlichen Konditionen, auf die sich Gewerkschaften und

Arbeitgeberverbände verständigen, orientieren sich viel zu oft an den großen

Konzernen und überfordern viele der mittelständischen Betriebe.� (Welt, 24.9.)

4. unter dem Schlagwort Globalisierung wird vielfach darauf hingewiesen, dass

die globale Konkurrenz von den Gewerkschaften in ihrer Tarifpolitik

systematisch ausgeblendet wird. Mit dem Fall nationaler Grenzen würden alle

Schranken der Beschränkung von Konkurrenz, dem Hauptziel von

Tarifverträgen, fallen. �Die Gewerkschaften blenden allerdings aus, dass sich

die ausländische Konkurrenz nicht nach deutschen Tarifverträgen richtet. Der

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globalisierte Wettbewerb macht nicht Halt an den deutschen Grenzen.

Tarifverträge schützen deshalb ebenso wenig vor Entlassungen wie noch so

gut gemeinte Kündigungsschutzgesetze.� (StuttZ, 10.12.) Und die SZ fasst die

Veränderungen knapp in einem Satz zusammen: �Tatsächlich ist der

Flächentarif unter Globalisierungsdruck geraten.� (SZ, 5.9.) und

5. es wird des Öfteren auch darauf verwiesen, dass der globale Wandel einzelne

Branchen und Unternehmen sehr unterschiedlich trifft (etwa: HB, 25.9., SZ,

5.9., taz, 16.8.) eine Individualisierung von Regelungen sei deshalb

unabdingbar um in einer stark ausdifferenzierten, globalen Wirtschaft zu

bestehen: �Dabei ist in einer immer stärker globalisierten Welt die

wirtschaftliche Entwicklung volatil, der heftige strukturelle Wandel trifft

Branchen und Betriebe ganz unterschiedlich. Doch der Flächentarif in seiner

bestehenden Form verhindert noch immer, dass Betriebe flexibel und

differenziert auf das wirtschaftliche Umfeld reagieren.� (HB, 25.9.)

Wenngleich massive Kritik an der �Starrheit� der Flächentarifverträge geäußert wird,

fällt doch auf, dass praktisch kein Kommentator sich zugleich von der Tarifautonomie

verabschieden will, wie das die FDP und eine Zeit lang auch die CDU gefordert

hatten. Die Tarifautonomie wird immer noch als integraler Bestandteil deutscher

Politik und Arbeitskultur verstanden. �Die Probleme können jedoch kein Grund sein,

um sich � wie Teile der Wirtschaft und Marktliberale es wünschen � von der

Tarifautonomie zu verabschieden. Dazu ist sie zu wertvoll.� (FR 10.12.)

Arbeitslosigkeit als Tarifeffekt

Ein direkter Zusammenhang zwischen der gewerkschaftlichen Tarifpolitik und der

hohen Anzahl Arbeitsloser wird in den Kommentaren verschiedener Medien

gezogen. Aber auch die Arbeitgeberverbände sehen sich mit dem Vorwurf einer

falschen Verhandlungspolitik konfrontiert. Schuld an der Arbeitslosigkeit hat das

�Tarifkartell�, ein Begriff der sofort negative Assoziationen auslöst, denn ein Kartell ist

per se wirtschaftsfeindlich, antiliberal und mit einer implizit kriminellen Aura

umgeben. Das Kartell aus Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, so mehrere

Kommentatoren, trage die Verantwortung für die momentane Misere auf dem

Arbeitsmarkt: �Mit dem unbeirrbaren Festhalten an Flächentarifverträgen sind die

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Lohnkosten in vielen Unternehmen so in die Höhe getrieben worden, dass den

Betrieben nichts übrig blieb, als sich in Personalabbau, in Entlassungen und

Frühverrentungen zu retten. Die enorme Arbeitslosigkeit ist der Preis für das Wirken

des Tarifkartells.� (Welt 10.7.) Ähnlich argumentiert die SZ: �Denn dass beide Lager

den Flächentarif zum Schaden der Arbeitslosen missbraucht haben, ist unbestritten:

Wer die Löhne erhöht, obwohl die Wirtschaftsleistung schrumpft, erhöht den Preis

eines Gutes, obwohl es weniger nachgefragt wird. Jeden Händler würde das direkt in

die Pleite führen.� (SZ, 4.12.)

Gefordert wird deshalb eine Abkehr vom starren Prinzip des Flächentarifs durch

unterschiedlichste Öffnungsklauseln. �Will man Beschäftigungschancen verbessern,

muss man die Protagonisten des Flächentarifs durch die Option abweichender

Regelungen unter Konkurrenzdruck setzen.� (HB, 8.9.)

Als Fürsprecher der Arbeitslosen fordern einige Kommentatoren Abweichungen im

Flächentarifvertrag zugunsten von Arbeitslosen und die Zustimmung der

Gewerkschaften für solche Maßnahmen. �Solche beschäftigungsorientierten

Abweichungen unter Beachtung der Tarifautonomie würden viele betriebliche

Bündnisse aus ihrer rechtlichen Grauzone herausholen und der Beschäftigungs-

sicherung beim Günstigkeitsvergleich den Vorrang geben, den sie angesichts von

vier Millionen Arbeitslosen haben müsste. Die Gewerkschaften sollten sich zu einem

solchen Reformkonsens zur Modernisierung des Tarifvertragsrechts nicht

verweigern.� (HB, 26.8.)

Mehrmals wird gefordert, dass die Arbeitsplatzsicherheit im Günstigkeitsprinzip9

verankert werden soll, um Entlassungen und Betriebsschließungen zu vermeiden.

�Der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände und die Union wollen,

dass künftig auch der Erhalt des Arbeitsplatzes als �günstiger� gilt. Wenn der

Betriebsrat zustimmt, soll der Lohn gesenkt oder die Arbeitszeit erhöht werden

können. Im Gegenzug verzichtet der Arbeitgeber auf Kündigungen oder schafft neue

Stellen. Die Gewerkschaften sollen kein Vetorecht bekommen.� (SZ, 24.9.) Das

Günstigkeitsprinzip spiele bis dato eine negative Rolle, in dem die darin enthaltenen

Regelungen Arbeitslosigkeit geradezu herbeiführen helfen. �Im Extremfall führt das

Günstigkeitsprinzip infolge der Rechtssprechung dazu, dass ein Job gleich ganz

9 Paragraf 3, Absatz 4 des Tarifvertragsgesetzes enthält das so genannte Günstigkeitsprinzip. Es

bedeutet, dass Abweichungen von Tarifverträgen nur dann zulässig sind, wenn sie entweder durch den Tarifvertrag gestattet oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers beinhalten.

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drauf geht, selbst wenn der Arbeitnehmer kürzer arbeiten und einen niedrigeren Lohn

akzeptieren würde.� (SZ, 26.9.)

Garant des sozialen Friedens

Trotz der massiven Kritik an den bestehenden tarifpolitischen Verhältnissen geht

kaum einer der Kommentatoren so weit, eine radikale Abschaffung des

Flächentarifvertrages zu fordern. Die Tatsache, dass auch viele Arbeitgeber in

Umfragen für die Beibehaltung des Flächentarifvertrages votieren, hat vielseitige

Gründe. Ein wesentliches Argument dafür ist für viele, dass der Faktor Arbeit

dadurch in Deutschland kalkulierbar bleibt. Der FTD-Kommentator Wolfgang

Münchau hält aber genau diese Auffassung für ein schockierendes und falsches

Argument. Arbeitgeber sollten sich, so seine Überzeugung, nicht erpressen lassen,

denn der Tarifvertrag sei eine Preisabsprache, also i.e. unlauterer Wettbewerb.

�Normalerweise verbieten wir Kartelle, ein Tarifvertrag aber ist die ultimative

Preisabsprache. Wie schön wäre es, wenn man das Bundeskartellamt auf die

Tarifparteien loslassen dürfte, statt diese Behörde dafür einzusetzen, überfällige

industrielle Umstrukturierungen zu blockieren.� (FTD, 22.7.) Münchau fordert am

Ende seines Beitrages die Unternehmen unmissverständlich dazu auf, aus den

Verbänden auszutreten.

Mit dieser Forderung steht er zwar nicht ganz alleine, die Meinung der Mehrheit der

Kommentatoren vertritt er aber damit bei weitem nicht. Insbesondere das Argument

des �sozialen Friedens� wird vielfach als Beleg für die Nützlichkeit von Tarifverträgen

angeführt: �Die Branchentarifverträge beschränken den Arbeitskostenwettbewerb in

Deutschland, nehmen den Unternehmen zeit- und kostenträchtige Tarifverhandlun-

gen ab, sichern den Betriebsfrieden und verhindern �Häuserkämpfe�. Sie geben den

Betrieben in der vernetzten Wirtschaft Planungs- und Liefersicherheiten.� (HB, 26.8.)

Dass die meisten großen Konzerne den Flächentarifvertrag behalten wollen

berichten etwa das HB (24.9.) und das Magazin der Spiegel (15.9.) unisono. Dieser

Wunsch ist sogar so groß, dass Vertreter der Industrie bei Kanzler Schröder dafür

votieren. �Die meisten großen Konzerne wollen am liebsten am Flächentarifvertrag

festhalten und wurden deshalb sogar im Kanzleramt vorstellig.� (HB, 24.9.) Stimmen

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Pro Flächentarif sind in unterschiedlichsten Printmedien immer wieder zu finden

(etwa: Berliner, 4.12., FR, 26.11., FR, 5.11., HB, 26.8.)10

Neben der Arbeitgeberseite wollen die meisten Betriebsräte den Flächentarif

ebenfalls behalten, so berichten zumindest einige Kommentatoren anhand

empirischer Daten. Eine Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaft-

lichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung ergab, dass 42 Prozent der

Betriebsräte eine �Verbetrieblichung der Tarifpolitik� für problematisch halten. Die taz

schreibt dazu: �Sie sehen sogar explizit einen Bedarf an �Rezentralisierung�: die

Hälfte der Betriebsräte wünschen sich eine stärkere Nutzung des Instruments der

Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifnormen.� (taz, 5.8.) Dieser Wunsch hat mit

dem Gefühl einer Überforderung zu tun, da eine genaue Einschätzung der

ökonomischen Lage von Seiten der Betriebsräte ja zur Voraussetzung eine präzise

Kenntnis der betriebswirtschaftlichen Kernzahlen ihres Betriebes als auch der

Gesamtbranche verlangt. Ein Wissen, über das nur die Tarifparteien wirklich

verfügen. ��Lieber weniger Einkommen aber dafür einen sicheren Arbeitsplatz� � das

kann im Einzelfall zutreffen. Aber nur die Tarifvertragsparteien können einigermaßen

sicher einschätzen, ob ein Unterschreiten der Tarifvertragsbedingungen notwendig

ist und den Beschäftigten nützt.� (FR, 26.11.)

Flexibler als sein Ruf

Einen breiten Raum nehmen Kommentare in unterschiedlichsten Printmedien ein, die

betonen, dass die geforderte Flexibilität bei den Tarifverträgen schon längst

Allgemeingut geworden ist. Nur einige wenige Stimmen dazu: �Wer heute noch die

Starrheit von Tarifverträgen kritisiert und unbekümmert mehr Flexibilität fordert, hat

vermutlich seit Jahren keines dieser Abkommen mehr gelesen.� (FR, 27.11.)

�Übertrieben sind außerdem Klagen, das Tarifsystem sei unflexibel. Wahr ist

vielmehr, dass die Gewerkschaften � mit wenigen, empörenden Ausnahmen � Not

leidenden Betrieben sehr wohl Abweichungen vom Tarifstandard erlauben.� (SZ,

10 Dass der Flächentarif auch in Europa kein Auslaufmodell ist, berichtet die FR vom 5.12. �In

Europa kann von einem Trend zu einer Dezentralisierung der Tarifvertragssysteme keine Rede sein� Ausnahme bleibt hier lediglich Großbritannien. Und �entgegen manchen Behauptungen schneiden Länder mit Flächentarifvertragssystemen in wirtschafts- und beschäftigungspolitischer Hinsicht keineswegs schlechter ab.� (ebd.)

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20.6.) Und der ansonsten sehr gewerkschaftskritische Spiegel fasst in einem Satz

zusammen: �Der Flächentarifvertrag ist besser als sein Ruf� (Spiegel, 15.9.)

Dass Gewerkschaften und Betriebsräte in vielen Fällen eine flexible und individuelle

Handhabung von Tarifverträgen zulassen, wird öfters positiv erwähnt. Die Flexibilität

bei Tarifverträgen sei längst schon vorhanden, insbesondere im Osten werde sie

nicht nur geduldet sondern auch aktiv von den Gewerkschaften unterstützt. �Es ist

nicht wahr, dass die Gewerkschaften Abweichungen von Tarifverträgen massiv und

systematisch boykottieren. Wahr ist, dass bereits in den vergangenen Jahren mehr

als ein Drittel aller Firmen � mit Zustimmung der Gewerkschaftssekretäre � von den

Standards der Tarifverträge abgewichen ist und eigene, unternehmensspezifische

Modelle entwickelt hat.� (Berliner, 5.12.; inhaltlich ähnlich argumentiert auch die ZEIT

vom 4.12.)

Als Instrumentarium für eine Öffnung starrer Tarifverträge werden mehrmals

Arbeitszeitkorridore vorgeschlagen. Dabei werden die Gewerkschaften selbst als die

Vertreter eines solchen Modells angeführt. �Die von Gesamtmetall geforderten

Arbeitszeitkorridore weisen den richtigen Weg: Je nach Situation des Betriebes

sollen Geschäftsführung und Betriebsrat nicht nur kürzere, sondern auch längere

Arbeitszeiten vereinbaren können.� (FAZ, 21.11.) Angesichts der realen Praxis

fordert das HB eine Transformation der Tarifverträge in flexible Instrumente, die der

betrieblichen Wirklichkeit näher kommen als die herrschenden Regelungen. �Die

Flucht durch solche Notausgänge (tarifliche Öffnungsklauseln und Härtefallrege-

lungen) würde überflüssig, wenn Branchentarifverträge von vornherein Entgelt- und

Arbeitszeitkorridore vorsähen.� (HB, 26.8.) Die Konsequenz daraus muss lauten:

�Flächentarifverträge müssen zu Rahmentarifverträgen mit Entgelt- und

Arbeitszeitkorridoren werden.� (HB, 14.10.)

In zehn Prozent der Fälle träfen Betriebsräte und Unternehmen auch

Vereinbarungen von denen die Gewerkschaft nichts erfahre, sie bewegten sich also

in der Grauzone der Illegalität.

Schlechter als die Betriebsräte vor Ort kommen ihre Pendants auf

Unternehmensseite weg: �Während die Arbeitgeber etwa jedes siebte beabsichtigte

Bündnis blockierten, haben die Betriebsräte nur ein Prozent platzen lassen.� (FR

29.11.) Insgesamt gehen viele Kommentatoren davon aus, das die Forderungen

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nach Öffnungsklauseln für Tarifverträge Scheingefechte sind, die Realität hat

individuelle Abweichungen längst schon zum Standard gemacht.11

Abschließend sei hier noch die WiWo (27.11.) zitiert, die im Streit um den

Flächentarifvertrag ein salomonisches Urteil spricht: �Das Schöne an der Diskussion

ist nicht nur, dass Rhetorik und Realität längst auseinander fallen, sondern dass alle

(mehr oder weniger) Recht haben: Die Tarifpartner sind flexibel und nicht flexibel

genug. Die Deutschen müssen länger arbeiten und kürzer treten können. Die

Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen muss mit Lohnkürzungen erhalten und die

Arbeit intelligenter verteilt werden.� (Herv. im Orig.)

3.1.2. Die Bewertung der Gewerkschaften

Monopolisierung der Tarifverhandlungen

Angesichts der Kritik an den Tarifparteien verwundert es nicht, wenn in den

Printmedien ein Akteur angerufen wird, der ansonsten selbst mit einem negativen

Image behaftet ist: die Politik. Von ihr erwarten viele einen �Imperativ des Handelns�,

um das festgefahrene Tarifkartell wieder in Bewegung zu bringen. Die

Arbeitgeberverbände werden in ihrer Rolle dabei fast genauso scharf kritisiert wie die

Gewerkschaften. Sogar den Begriff des Blockierers, ansonsten Synonym mit

Gewerkschaften gesetzt, muss die Arbeitgeberseite sich gefallen lassen: �Die

Sozialpartner schaffen es nicht, selbständig das Tarifsystem so zu modernisieren,

dass Betriebe und ihre Mitarbeiter flexibel auf Krisen reagieren können. Die

Blockierer auf beiden Seiten haben einen Kompromiss verhindert.� (SZ, 4.12.)

Vorgeworfen wird �beiden Seiten� eine Monopolisierung der Tarifverhandlungen ohne

Einbeziehung der betroffenen Instanzen. Der Funktionär als die negative Figur per se

wird als Verantwortlicher ausgemacht. �Aber beide, die Funktionäre von Arbeitgebern

und Gewerkschaften, wollen nicht, dass Betriebsräte und Betriebsleitungen über

Lohnhöhe und Arbeitszeit entscheiden. Selbst wenn eine Mehrheit der Beschäftigten

11 Auf die Tatsache, dass auch Arbeitsverhältnisse unter Tarif längst schon Realität in Deutschland

sind, verweist in populistischer Manier die Bild-Zeitung: �Doch zehntausend Arbeitnehmer in vielen Branchen werden von solchen Verhandlungen (Tarifverhandlungen) nichts haben. Sie schuften bereits jetzt unter Tarif, weil sie keinen besseren Job finden.� (BILD, 2.3.) Angeführt werden zwei Angestellte privater Wachfirmen die 4,12 bzw. 4,49 Euro Brutto pro Stunde verdienen. Wenngleich sich die BILD-Zeitung als die �Stimme des kleinen Mannes� stilisiert, trifft sie hier ein wichtiges Thema.

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es will! Die Funktionäre von Gewerkschaften und Arbeitgebern kommen mir so vor

wie zwei angeschlagene Boxer, die sich bis zum Gong umklammern. Damit ja keiner

umfällt. (BILD, 15.7.)12

Und das Handelsblatt konstatiert knapp: �Die Regelungsmacht des Kartells aus

Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden muss gebrochen werden.� (HB, 25.9.)

Einige Kommentatoren fordern: Wenn die Tarifparteien keine Lösung für die

Probleme des Arbeitsmarktes finden können, dann sollen sie de facto, nach einer

Fristsetzung, entmachtet werden. �Per Gesetz sollten Arbeitgeber und

Gewerkschaften ein Jahr bekommen, um sich in Tarifrunden doch auf

Öffnungsklauseln zu einigen. Anderenfalls muss ihnen aber das Vetorecht gegen

Lohnabschlüsse auf Betriebsebene automatisch entzogen werden.� (SZ, 4.12.)

Prinzipiell zielt die Forderung der überwiegenden Mehrheit der Kommentare darauf,

dass die Politik die Macht der Funktionäre brechen muss. Die FAZ fragt lediglich

noch rhetorisch: �Welche Anstöße braucht die Politik noch, um die Macht der

Funktionäre durch gesetzliche Öffnungsklauseln zu durchbrechen?� (FAZ 11.11.)

Immer wieder wird die Politik angerufen jetzt doch endlich zu handeln. Manchmal

fordern vereinzelte Stimmen auch, der Flächentarif selbst solle zur Disposition

stehen. �Die Politik sollte jetzt handeln. Es geht nicht darum, die vom Grundgesetz

geschützte Freiheit der Koalition zu beschneiden. Aber dem Flächentarif muss sein

monopolistisches Privileg genommen werden. Mit Öffnungsklauseln, die vom

Zustimmungswohl der Tarifparteien abhängen, ist es freilich nicht getan. Der

Flächentarif selbst muss sich dem Wettbewerb alternativer Lohnfindung stellen. Was

ist das für ein illiberales Land, in dem Belegschaften und Management durch

gesetzliches Verbot nicht über ihr Einkommen befinden dürfen? Dürften sie es, sie

hätten die Chance Beschäftigung auszubauen.� (FAZ, 31.10

Manche Kommentatoren verlangen eine generelle Änderung des Betriebsver-

fassungsgesetzes, damit die Unternehmen selbst ihre eigene Tarifpolitik gestalten

können. �Wenn Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände nicht in der Lage sind,

sich auf eine solche Flexibilisierung des Flächentarifvertrages zu verständigen, sollte

der Gesetzgeber das Tarifkartell aufbrechen und mit einer Änderung des

12 Der Autor des Kommentars ist wieder einmal Hans-Olaf Henkel der sich in der Attitüde des

Kritikers von Gewerkschaften aber insbesondere auch seiner ehemaligen Arbeitgeberfreunde zusehends gefällt. Denn für �fast genauso schädlich� wie die Gewerkschaften halte er die Arbeitgeberverbände. Beide seien �Bestandteil dieses Tarifkartells.� (zit. nach: ND vom 15.7.)

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Betriebsverfassungsgesetzes die Betriebe ermächtigen, ebenfalls Tarifpolitik zu

betreiben:� (Welt, 24.9.)

Ebenfalls gefordert wird, dass Freiräume für Arbeitgeber und Gewerkschaften in

puncto Arbeitszeit und Entlohnung an die Betriebe weitergegeben werden.

Vorschläge für generelle Öffnungsklauseln sollen dann als angenommen gelten,

wenn zwei Drittel der Belegschaft und der Betriebsrat zustimmen.

�Betriebsvereinbarungen über eine Abweichung vom Flächentarif sollten generell

möglich sein, sofern eine qualifizierte Mehrheit der Belegschaft dies für sinnvoll hält.�

(HB, 25.9.)13

Gewerkschaft kontra Steuerzahler

Ein spezielles Problem innerhalb der Kommentare zum Tarifsystem ist der

Öffentliche Dienst. Exemplarisch ist dafür die Berichterstattung über die Kündigung

des Flächentarifvertrages durch das Land Berlin. Überwiegend wird dieses Verhalten

begrüßt. Mit der Polarisierung von Arbeitnehmer und Steuerzahler (der letztendlich

der Leidtragende hoher Tariflöhne im Öffentlichen Dienst sei) wird der Konflikt

zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften auf ein gesellschaftlich hoch

aufgeladenes Terrain verschoben: der �arme Steuerzahler� wird, wie der Arbeitslose,

zum �Opfer� gewerkschaftlicher Politik und erhält in den Printmedien seine eigene

Lobby. Berlin gilt daher als Vorzeigefall, der anderen Ländern Mut machen soll.

�Berlin macht Ernst und steigt aus dem ruinösen Flächentarifvertrag aus. Ein

Beispiel, das den anderen öffentlichen Arbeitgebern dringend zur Nachahmung

empfohlen sei. Denn offenbar ist dies die einzige Möglichkeit, den Verdi-

Gewerkschaftsvorsitzenden Frank Bsirske noch daran zu hindern, die öffentlichen

Kassen und damit die Steuerzahler auszuplündern.� (FAZ, 8.1.)14 Gefordert werden

in diesem Zusammenhang dringende Reformen im öffentlichen Dienst: dazu gehören

ein Personalabbau in der klassischen Verwaltung, die Privatisierung öffentlicher

Dienstleistungen und die Abschaffung starrer Tarifstrukturen (siehe: ZEIT, 2.1.,

ähnlich FAZ, 8.1. oder Spiegel, 13.1.)

13 Was diese �qualifizierte Mehrheit� konkret bedeutet wird nicht genauer ausgeführt. 14 Berlin und die Kündigung des Flächentarifvertrages sind ein Dauerthema 2003. Die Einigung im

Tarifstreit auf weniger Geld und weniger Arbeit wird dann von allen Seiten begrüßt: �Nach dem Rezept� �weniger arbeiten ohne Lohnausgleich� sinken die Einkommen � sozial gestaffelt � netto

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Einige Kommentare empfehlen, in der Wirtschaftspolitik nicht die Versäumnisse der

Tarifpolitik zu wiederholen. Im Gegenteil soll die Wirtschaftspolitik sich aus den

Förderstrukturen weitgehend zurückziehen. �Schon gar nicht darf die staatliche

Wirtschaftspolitik als Reparaturbetrieb für tarifpolitisches Fehlverhalten herhalten,

etwa indem sie sich in Form einer Ausweitung der aktiven Arbeitsmarktpolitik in

Ostdeutschland in die Pflicht nehmen lässt, wie das insbesondere von

Gewerkschaftsseite verlangt wird.� (FAZ, 2.7.)

Vereinzelt fordern Kommentatoren auch eine Einschränkung des Streikrechts. Denn

in einem Arbeitskampf im öffentlichen Dienst stehen sich �Arbeitnehmer und

Steuerzahler� gegenüber (FAZ am S., 5.1.). Aufgabe der Politik sei es aber den

Bürger vor übertriebenen Forderungen und gesellschaftlichem Chaos (etwa vollen

Mülltonnen, Zusammenbrechen der Infrastruktur etc.) zu schützen.

Tarifpartei - nicht mehr und nicht weniger

Dass die Gewerkschaften im Kern Tarifparteien sind, wird in den Printmedien des

Öfteren ausgesprochen. Den Gewerkschaften wird damit ihr Platz in der Gesellschaft

zugewiesen. �Sie sollten sich künftig viel stärker auf ihr ureigenes Terrain

konzentrieren, anstatt sich in der Politik zu verhaspeln. Die Gewerkschaften sind

keine politischen Umverteilungsmaschinen. Sie sind Tarifparteien- nicht mehr und

nicht weniger. (Welt, 7.10., vgl. auch Berliner, 29.9.)15

Das gewerkschaftsfreundliche ND macht in diesem Zusammenhang in einem Artikel

vom 10.7. deutlich, dass die Gewerkschaften nur als starke Tarifparteien eine

gewichtige gesellschaftliche Stimme erhalten. Nach der �Niederlage� im Streik für die

35-Stunden-Woche im Osten und der Akzeptanz von Öffnungsklauseln bei den

Metallern als auch beim wenig erfolgreichen Streit mit dem Land Berlin schreibt der

Kommentator: �Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet � bei den deutschen

Gewerkschaften läuft alles schief. (ND 10.7.) Da bereits das Kerngeschäft der

Gewerkschaften, die Tarifpolitik, in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit versage,

zwischen vier und acht Prozent. Als Gegenleistung gibt es eine Beschäftigungsgarantie bis 2009. Das ist wahrlich neu im deutschen öffentlichen Dienst.� (Welt, 2.7.)

15 Die Debatte um die Auflösung des Flächentarifvertrages ist ein essentieller Angriff auf das gewerkschaftliche Selbstverständnis: �Verliert der Flächentarif aber mangels Masse oder mangels Realitätsbezug diese Funktion (Referenzmaßstab für viele Betriebe zu sein; die Verf.), so wird er alsbald auch kein Fundament mehr für eine auf die Gesamtbranche bezogene Gewerkschafts-arbeit abgeben.� (HB, 23.6.)

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bliebe politisch kaum mehr Kraft für andere Themen übrig. �Nur wenn sie (die

Gewerkschaften; die Verf.) tariflichen Erfolg haben, können sie ins gesellschaftliche

Gespräch eingreifen. Doch Erfolge im Kerngeschäft sind unmöglich, solange diese

Debatte aus Schimpftiraden gegen Arbeitnehmervertreter besteht.� (ND, 10.7.)

Gewerkschaftliche Doppelmoral

Ende Oktober schreibt das Handelsblatt stellvertretend für viele ähnlich lautende

Kommentare: �Die derzeit so große Kluft zwischen kompromisslosem politischem

Anspruch und schwer überschaubarer tarifpolitischer Realität ist einer der Gründe,

weshalb die Gewerkschaften so sehr an Anziehungskraft verlieren.� (HB, 23.10.).

Der Widerspruch zwischen einem tarifpolitischen Pragmatismus einerseits und der

fundamentalistischen Haltung in politischen Fragen andererseits mache

gewerkschaftliche Politik zunehmend unglaubwürdig. Gefordert wird eine �neue

Ehrlichkeit�, die endlich Schluss macht mit den offensichtlichen Widersprüchen ihrer

Haltung zu anstehenden Problemen:

�Die Gewerkschaften würden sich selbst einen Gefallen tun, wenn sie sich offensiv

zu ihrer flexiblen Praxis bekennen und daraus eine Strategie entwickeln würden. (...)

Zudem müssen qualitative Ziele wie Weiterbildung und Beschäftigungssicherheit

stärker in den Vordergrund treten. Es ist unglaubwürdig, wenn Gewerkschaften

einerseits in Tarifrunden lauthals mehr Geld fordern, und andererseits still und leise

mit ungezählten Betrieben Sonderregelungen vereinbaren, um Stellen zu erhalten.

Weil sie diese falsche Doppelstrategie jahrelang praktiziert haben, hat sich bei vielen

Bürgern der Eindruck festgesetzt, Gewerkschaften würden nichts gegen die Jobkrise

tun. Tatsächlich wurde viel getan. Allerdings haben Gewerkschaften keine klare

Strategie gegen Massenarbeitslosigkeit und die gesellschaftliche Ausgrenzung von

Jobsuchenden � ebenso wenig wie Arbeitgeber-Verbände und Politik.� (FR, 29.9.)

Ohne eigene Konzepte und Vorschläge werde die Gewerkschaft �nicht aus der Ecke

der Blockierer herausfinden.� (FAZ, 1.9.) Die neue Aufgabe der Gewerkschaften

müsse sich an den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und weniger an Standes-

interessen orientieren. �Die Gewerkschaften werden weiter gebraucht. Sie müssen

ihre Rolle aber neu definieren und sich Ziele suchen, die im Einklang mit

wirtschaftlicher Vernunft stehen. Dazu gehören die Rückkehr zu längeren und vor

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allem flexibleren Arbeitszeiten und niedrigere Mindestlöhne für gering Qualifizierte.�

(FTD, 15.7.)

Resümee

Das traditionelle Kerngeschäft der Gewerkschaften, die Tarifpolitik, findet in den

Printmedien breite Aufmerksamkeit. Neben personalisierten Beiträgen, bilden

tarifpolitische Kommentare den größten Teil der Auseinandersetzung mit den

Gewerkschaften. Drei Punkte lassen sich dabei festhalten:

Erstens werden die veränderten Realitäten einer globalisierten und

ausdifferenzierten Arbeitswelt den kollektiven und �nationalen� Lösungen der

Gewerkschaften gegenübergestellt. Der Flächentarifvertrag in seiner jetzigen Form

erscheint so als nicht mehr zeitgemäß. Zweitens macht sich die Presse, in

Abgrenzung zu einer als den reinen Mitgliederinteressen unterstellten wahrenden

gewerkschaftlichen Politik, zum Fürsprecher von Arbeitslosen und Steuerzahlern. Die

(angeblich) starren Tarifverträge werden als Hauptproblem für die Schaffung von

Arbeitsplätzen bzw. für die Verschuldung der Kommunen und Länder identifiziert.

Drittens werden Betriebsräte vor Ort und Gewerkschaftsfunktionäre gerne

gegeneinander ausgespielt. Während der Betriebsrat im Unternehmen vielfach als

kooperativ erscheint ist der Funktionär der sprichwörtliche Blockierer. Dass die

betriebliche Realität längst den Dogmatismus der Funktionäre absurd macht, ist ein

weit verbreitetes Argument. So wird durchaus zugestanden, dass der

Flächentarifvertrag flexibel gehandhabt wird. Die Rhetorik der Gewerkschaftsführung

sei aber nach wie vor von fundamentalistischen Haltungen geprägt. Eine

Abschaffung des Flächentarifvertrages wird nur von wenigen Kommentatoren

verlangt. Die in Deutschland vorherrschende Kompromisskultur und die Wahrung

des sozialen Friedens sind für viele ein starkes Argument für die Beibehaltung der

jetzigen Regelungen.

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3.2. Kündigungsschutz

Kalendarium der Ereignisse

Losgetreten wird die Debatte um den Kündigungsschutz im Januar des von Kanzler

Schröder angekündigten Reformjahres 2003 durch Wolfgang Clement. Eine

Lockerung des Kündigungsschutzes, so der Minister, würde vor allem in kleinen

Betrieben die Schwelle für Neueinstellungen senken. Bisher verhindere der enge

deutsche Kündigungsschutz die Schaffung neuer Arbeitsplätze insbesondere im

Mittelstand, da Betriebe bis zu fünf Mitarbeitern sich scheuten, aufgrund der dann

greifenden strafferen Kündigungsregelung mehr Leute einzustellen. Im Februar

signalisiert Verdi ihrerseits Bereitschaft, über eine Änderung des Kündigungs-

schutzes nachzudenken, was der Verdi-Vorsitzende Bsirske allerdings kurz darauf

widerruft.

Die Schwelle, von der an ein strafferer Kündigungsschutz gilt, war erst in der

vergangenen Legislaturperiode auf Druck der Gewerkschaften durch Clements

Vorgänger Walter Riester von zehn auf fünf Mitarbeiter herabgesetzt worden. Zur

Änderung des Kündigungsschutz-Rechts reicht jedoch eine Mehrheit im Bundestag

aus. Die Gewerkschaften befanden sich in der Defensive. Um ihr Image als

�Neinsager der Nation� (FTD, 27.2) nicht weiter zu befördern und stattdessen als

�konstruktive Gestalter" (ebd.) wahrgenommen zu werden, signalisierten die der

Lockerung ablehnend gegenüber stehenden Gewerkschaften jedoch letztlich

Gesprächsbereitschaft. Am Rosenmontag kam es im Bundeskanzleramt zu einem

Treffen zwischen DGB, Kanzler Schröder und den Spitzen der Arbeitgeberverbände.

Vor allem in den ersten beiden Monaten des Jahres werden in der Presse die

beinahe täglich wechselnden Reformkonzepte des Kündigungsschutzes

kommentiert. Clements Vorschlag ist zunächst, die derzeitige Schwelle von fünf auf

acht Mitarbeiter anzuheben und danach im Falle betriebsbedingter Kündigungen,

Abfindungszahlungen gesetzlich zu fixieren. Ebenfalls von ihm in die Diskussion

eingebracht wird die Einführung einer Gleitregelung. Immer wieder beschäftigt das

Thema Kündigungsschutz auch im Sommer die Medien. Folgendes Reformpaket

wird schließlich verabschiedet: Der gesetzliche Kündigungsschutz gilt künftig nur

noch für Betriebe mit mindestens elf Beschäftigten (bisher fünf). In kleineren

Betrieben sind nur die neu eingestellten Mitarbeiter vom Kündigungsschutz

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ausgenommen. Bis fünf Mitarbeiter gilt gar kein Kündigungsschutz. Für bereits

bestehende Arbeitsverhältnisse ändert sich nichts.

Meinungsspektrum in Zahlen

Reform Kündigungsschutz geht nicht weit genug (5 Beiträge)

Lockerung schafft mehr Jobs (4 Beiträge)

Lockerung schafft keine Jobs (3 Beiträge)

Symbolthema Kündigungsschutz (3 Beiträge)

Dänen sind bei flexiblen Kündigungsschutz Vorbild (2 Beiträge)

Sozialauswahl hemmt Leistungskraft der Betriebe (2 Beiträge)

Gesetzlich festgelegte Abfindungen (1 Beitrag)

Änderung Kündigungsschutz als Glaubwürdigkeitskrise der Regierung (1 Beitrag)

3.2.1. Argumentationsmuster der Kommentare

Die Reform des Kündigungsschutzes wird in den untersuchten Meinungsbeiträgen

unter verschiedenen Schwerpunkten diskutiert. Die große Mehrheit der Kommentare

befindet, dass der Kündigungsschutz die Neuschaffung von Arbeitsplätzen

verhindere und daher reformbedürftig sei. Er verteuere den Faktor Arbeit und

verursache hohe Lohnnebenkosten, die letztlich am Arbeitsmarkt als

Einstellungshindernis und Flexibilitätsbremse wirkten.

Generell beklagt eine Mehrheit, dass die von Minister Clement geplanten

Änderungen nicht tiefgreifend genug seien. Nur eine verschwindend geringe Zahl

von Kommentatoren steht der Reform des Kündigungsschutzes kritisch gegenüber

und sieht in einer Lockerung die Gefahr noch höherer Arbeitslosigkeit.

Ein zweiter großer Analysekomplex beschäftigt sich mit dem Kündigungsschutz als

Symbolthema für einerseits die Gewerkschaften und anderseits die Regierung, die

mit den Änderungen ihre Reformfähigkeit beweisen soll. Beinahe ohne Ausnahme

wird die politische Klasse aufgefordert, endlich zu handeln und Mut gegenüber den

Gewerkschaften zu zeigen. Einige Kommentare greifen das Thema unter juristischen

Aspekten auf. Sie verlangen gesetzlich festgelegte Abfindungen im Falle von

arbeitgeberseitigen Kündigungen. Auch die bisherigen Regelungen zur

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Sozialauswahl sollen nach Meinung vieler Stimmen reformiert werden. Als �Vorbild"

eines deregulierten Arbeitsmarktes mit niedriger Arbeitslosigkeit (fünf Prozent) und

lockeren Kündigungsschutzregelungen wird Dänemark genannt.

Mehr Jobs durch weniger Schutz

Bis auf drei Ausnahmen befürworten alle Kommentare die Lockerung des

Kündigungsschutzes. Eine ablehnende Haltung gegenüber der von Clement

angestoßenen Reform findet sich höchstens dahingehend, dass sie vielen

Journalisten und Experten nicht weit genug geht. Eine typische Forderung lautet, die

Reform des Kündigungsschutzes müsse in weitreichendere Reformen eingebettet

werden.

Die gängige Argumentationslinie der Medien in Bezug auf den Kündigungsschutz

lautet folgendermaßen: Wenn der Kündigungsschutz erst einmal gelockert sei, dann

stellten die Firmen mehr Leute ein, weil sie sie bei Bedarf auch leichter wieder los

würden. Folglich verhindere der starre Kündigungsschutz Beschäftigungszuwächse

und verursache Arbeitslosigkeit. Die Stoßrichtung dieser Argumentation bringt die

FTD vom 20.1. in ihrer Überschrift besonders prägnant auf den Punkt: �Mehr Jobs

durch weniger Schutz". Der Journalist Christoph Keese schreibt: �Der

Kündigungsschutz ist eine ernste Flexibilitätsbremse und Einstellungshindernis

ersten Ranges. Wer sich als Vorkämpfer für Bürokratieabbau geriert, ohne den

Kündigungsschutz anzutasten, macht sich lächerlich." (FTD, 20.1.)

Bei genauerer Analyse zeigt sich: Empirisch belegen können die

Flexibilisierungsbefürworter diese These nicht. Die Argumentation des

gewerkschaftskritischen FTD-Redakteurs Christoph Keese ist besonders gewagt, die

darin implizit enthaltene Wertung des Kündigungsschutzes ist jedoch durchaus nicht

singulär: Keese kommt zum Schluss, dass ein verminderter Kündigungsschutz

letztendlich auch mehr Sicherheit für die Beschäftigten bedeute: �Erlaubt man ihr

diese Flexibilität, schwankt die Beschäftigung mit der Konjunktur. Menschen verlieren

zwar hin und wieder ihren Job, finden aber schnell wieder einen neuen: Ihre

ökonomische Sicherheit steigt, weil sie nicht vom Wohl und Wehe eines einzelnen

Arbeitgebers abhängen. Behindert man die Flexibilität hingegen per

Kündigungsschutz, heuern Unternehmen so wenig neue Leute wie möglich an. Die

Abhängigkeit der Mitarbeiter von der Firma steigt." (FTD, 20.1.)

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Zwei Kommentare verweisen auf das �Vorbild Dänemark" (FR, 16.12.; Wams, 25.5.)

und werten die dortige Flexibilität als Beleg für die These eines Zusammenhanges

zwischen lockerem Kündigungsschutz und einer Belebung des Arbeitsmarktes:

�Obwohl jeder vierte Däne einmal pro Jahr ohne Job ist, liegt die Arbeitslosenquote

bei nur fünf Prozent." (Wams, 25.5.) Daher sieht die Wams in ihrer Überschrift die

�Kündigung als Chance�(ebd.) an.

Der einzig wirkliche Versuch zu belegen, welche Wirkung der Kündigungsschutz auf

die Schaffung von Arbeitsplätzen hat, wird in einem längeren Beitrag des

Arbeitsmarkexperten Günter Schmid unternommen, der in der FR vom 8. Juli

kommentiert (Abdruck aus WZB-Mitteilungen = Wissenschaftszentrum Berlin für

Sozialforschung). Im internationalen Vergleich gebe es keinen Hinweis für einen

signifikanten Zusammenhang zwischen Kündigungsschutzregeln und Höhe der

Arbeitslosigkeit oder Beschäftigung. Zwar beschleunige sich die Beschäftigungs-

dynamik ohne Kündigungsschutz, dies gelte aber sowohl für Einstellungen im Falle

eines Aufschwungs als auch für Entlassungen im Falle eines Abschwungs. Schmid

spricht sich gegen die Veränderung der Kündigungsschutzschwellen aus. Für

erfolgsversprechender hält er, die Sozialauswahl und Abfindungsregeln zu

reformieren.

Alle anderen Meinungsbeiträge, die für eine Lockerung des Kündigungsschutzes

plädieren, bewegen sich auf der Ebene von Behauptungen.

Kein Beschäftigungswunder durch Lockerung

Es gibt nur einige wenige Ausnahmen in 2003, die von der gängigen

Argumentationslinie abweichen. Auffallend ist, dass alle diese Kommentare in der FR

abgedruckt wurden. Dass Unternehmen durch eine Lockerung des

Kündigungsschutzes ihren Mitarbeitern leichter kündigen können und folglich in

Krisenzeiten Leute schneller entlassen werden und damit die Arbeitslosigkeit noch

gesteigert werden könnte, ist in der Presse in nur zwei Kommentaren zu lesen (FR,

26.2.; FR, 6.2.). So lässt die FR vom 6. Februar einen Gastkommentator

(Arbeitsrechtler) zu Wort kommen, der die These vertritt, mit der Lockerung des

Kündigungsschutzes steige die Arbeitslosigkeit. �Die Unternehmen könnten den

Einsatz der Arbeitskräfte noch besser an den jeweiligen Bedarf anpassen. Die

Erfahrungen von 1996 bis 1998, als die Erwerbslosenzahl trotz oder wegen der

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damaligen Deregulierung stieg, belegten dies." Noch ein weiteres Mal stellt sich die

FR gegen den üblichen Strom, allerdings mit einer anderen Schlagrichtung. Im

Kommentar vom 18. Januar empört sich der Autor darüber, dass Clement sich über

sein Wahlversprechen hinwegsetzt, die Schutzrechte der Arbeitnehmer zu wahren.

Am Ende hält der Autor die Reform des Kündigungsschutzes jedoch angesichts der

�chronischen Massenarbeitslosigkeit" für �legitim" (ebd.).

Ebenfalls etwas differenzierter argumentiert die SZ vom 1. März: �Die Lockerung wird

kein Beschäftigungswunder von heute auf morgen schaffen, sie wird die hohe

Arbeitslosigkeit nicht nennenswert drücken. (...) Wer das behauptet, schwindelt oder

kennt sich nicht aus." Die Argumentation zielt auf den Symbolwert des Themas ab.

Es gelte die Reformfähigkeit Deutschlands zu beweisen: �Die Reform wäre ein

wichtiges Signal an die Unternehmen. (...) Sie würde psychologische Barrieren

einreißen". Das Fazit lautet daher ähnlich wie in den anderen Kommentaren: �Also

mehr Jobs - aber später."

Symbolthema für Gewerkschaften und Regierung

Ein wichtiger Analysekomplex in den Kommentaren rückt den Symbolwert des

Themas Kündigungsschutz in den Mittelpunkt. �Die Gewerkschaften haben den

Kündigungsschutz zum Herzensanliegen hochstilisiert�, schreibt etwa die FTD vom

27. Februar. �Der Kündigungsschutz bleibt Reizthema der Republik�, lautet auch die

SZ-Unterzeile (21. 2.) zur Überschrift �Bloß nicht bewegen.�

Den Widerstand der Gewerkschaften gegen eine Änderung und ihre Drohung, das

Bündnis für Arbeit zu verlassen, führen beinahe alle Kommentatoren nicht auf

inhaltliche Bedenken zurück, sondern auf ein reines Machtgebaren und strategische

Überlegungen der Gewerkschaften: �Im Gegenzug bleiben die Gewerkschaftsbosse

mehrheitlich bei ihrer Blockade. Wer sich als erster bewegt, läuft schließlich auch

Gefahr, bei internen Machtkämpfen an Boden zu verlieren.� (SZ, 21.2.).

Aber auch für die Regierung wird der enorme Symbolwert des Gesetzes betont - hier

allerdings mit einer wohlwollenden Blickrichtung: �Die Wirtschaft macht daran fest, ob

die Regierung tatsächlich bereit ist, Hemmnisse für Unternehmer zu beseitigen."

(FTD, 27.2.). Minister Clement wird vor einem �Gesichtsverlust� gewarnt, �falls er

nicht Wort halte." (ebd.). Und die SZ vom 1. März schreibt: �Aber Clement muss hart

bleiben. Er hat wissentlich und willentlich ein Symbolthema aufgegriffen und

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vollmundig eine Reform angekündigt. Schreckt er am Ende zurück, wäre dies eine

politische Selbstenthauptung.�

Ebenfalls ersichtlich ist, dass für die Mehrzahl der Journalisten die von Clement

geplanten Änderungen nicht weit genug gehen. Im Zusammenhang mit dem Bündnis

für Arbeit schreibt die FTD (22.1.): �Wie klein das Karo (im Bündnis für Arbeit; die

Verf.) ist, zeigt der Kündigungsschutz, der als Maximalzumutung gilt, von der aus die

Konsenssuche erst beginnen soll." Weiter: �Deutschland leidet schon zu lange an

faulen Kompromissen. Gefragt sind kompromisslose Reformen, die in Besitzstände

einschneiden." Auch ein Kommentar im Tagesspiegel adressiert vor allem die

Gewerkschaften: �Clement muss den Gewerkschaftlern in der SPD klar machen,

dass er mit seinen Veränderungen erst am Anfang steht. Und dass es noch viel

schmerzhaftere Veränderungen geben muss, damit die Konjunktur wieder in Fahrt

kommt (...). Die Machtprobe mit den Gewerkschaften ist noch lange nicht zu Ende."

(Tages, 9.9.). Für die FTD vom 5. Mai mindert die Vorsicht beim �Einstieg in den

Ausstieg aus dem Kündigungsschutz" die Erfolgschancen. �Trotzdem ist der Plan

vernünftig." Und die FAZ vom 20. Januar schreibt: �Gedacht ist allenfalls an eine

leichte Lockerung der Schwelle, von der an Kündigungsschutz greift." Aber der

Schritt zeige �politischen Mut" vor allem gegen die Gewerkschaften.

Konstruktive Gegenvorschläge der Journalisten gehen dementsprechend

hauptsächlich in die Richtung, wie aus Clements Reförmchen eine ordentliche

Reform werden könnte: Ein Arbeitsrecht-Experte im Tagesspiegel schreibt

beispielhaft: �Nennenswerte Impulse für den Arbeitsmarkt könnten nur erwartet

werden, wenn der Beginn des Kündigungsschutzes von zwei auf sechs Jahre

Beschäftigungsdauer hinaus geschoben und der Schwellenwert auf 20 Arbeitnehmer

angehoben wird." (Tages, 12.8.)

Leistungs- statt Sozialauswahl

Viele Kommentare in den Printmedien widmen sich der geltenden Sozialauswahl bei

betriebsbedingten Kündigungen. Sie fordern unisono, diese gleich neu mit zu regeln.

�Es geht nicht an, dass Unternehmen in wirtschaftlicher Not sich zuerst von ihren

jungen Leistungsträgern trennen müssen", schreibt das HB vom 20. Februar und gibt

damit die Richtung der Kritik wider. Eine typische Forderung lautet daher: Die

Sozialauswahl müsse gelockert werden, an ihre Stelle ein rationelleres

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Abfindungssystem treten. Was bisher vor Gericht ausgehandelt wurde, solle in

Zukunft per Gesetz klar definiert sein.

Auch hier wird hauptsächlich aus Sicht der Unternehmen argumentiert. Sicherheit

wird nicht länger als erstrebenswertes Gut für die Arbeitsplätze von Arbeitnehmern

erachtet. Die Meinung der Mehrheit lautet: Die Arbeitgeber bräuchten mehr

Rechtssicherheit und Flexibilität, wenn es darum geht, junge Leistungsträger im

Unternehmen zu behalten. Auf die Spitze treibt es die SZ vom 1. März. Maßstab für

ein transparentes Abfindungssystem soll der ökonomische Wert der Mitarbeiter sein:

�Am Ende soll es dazu kommen, dass die Frage einer Kündigung nicht länger

vorrangig unter juristischen Gesichtspunkten behandelt, sondern nach ökonomischen

Zweckmäßigkeiten entschieden wird. Je enger die betriebliche Loyalität oder die

persönliche Schutzwürdigkeit des Mitarbeiters ist, desto höher wird die Abfindung zu

bemessen sein."

Häufig kommentieren die Medien auch das geltende Arbeitsrecht bzw. die

unübersichtliche Rechtslage bei arbeitgeberseitigen Kündigungen. Kritisiert wird die

Rechtssprechung, die die Trennung von Mitarbeitern für Arbeitgeber zum

�unkalkulierbaren Vabanquespiel macht (...) mit der hinlänglich bekannten Folge,

dass unbefristete Einstellungen immer seltener werden." (HB, 20.2.). Die gesetzliche

Festlegung der Höhe von Abfindungen bei arbeitgeberseitigen Kündigungen findet

bei allen Kommentaren große Zustimmung - auch bei den wenigen Kommentatoren

in der FR, die der Änderung des Schwellenwertes eher kritisch gegenüberstehen.

Nur wenn Abfindungen gesetzlich geregelt würden, könnte die Mehrzahl der

Kündigungsschutzprozesse überflüssig werden.

3.2.2. Die Bewertung der Gewerkschaften

Neinsager der Nation

Die üblichen Bezeichnungen für Gewerkschaften und ihre Funktionäre als

Verhinderer notwendiger Reformen finden sich auch beim Thema Kündigungsschutz

in fast allen Kommentaren. Hier nur eine kurze Zusammenstellung: �Neinsager der

Nation", �jahrelange Blockadepolitik", �Image der Betonköpfe zu Recht eingehandelt"

(alle FTD, 27.2.) oder �üblicher Abwehrreflex" (HB, 20.2.). Und die SZ prognostiziert

den Gewerkschaften: �Wer sich nicht bewegt, bleibt allein zurück" (SZ, 21.2.). Im

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Kontrast dazu attestieren die überwiegende Anzahl der Kommentare den Reformern

und insbesondere Minister Clement ein �bemerkenswertes Maß an Mut" (StuttZ,

18.1.).

Allerdings verweisen einige Beiträge der Printpresse in diesem Zusammenhang auch

auf die Zugeständnisse und Gesprächsbereitschaft der Gewerkschaften - sei es um

ihr Image als Neinsager loszuwerden oder schlicht aus ihrer Defensivposition heraus.

So schreibt etwa die FTD am 27. Februar: �Doch inzwischen ist der Reformdruck

gewaltig genug, um selbst Beton zu sprengen.� Interessant ist, dass die Kommentare

den Gewerkschaften stets dann Positives abgewinnen, wenn sie Schwäche zeigen

und Zweifel an ihren bisherigen Positionen äußern. In der Regel finden sich

unbestimmte (und nicht durch Zitate belegte) Formulierungen, die den

Gewerkschaften Unsicherheit bzw. eine Spaltung im eigenen Lager unterstellen: �Die

Zweifel im Gewerkschaftslager wachsen. Und mit ihnen die Bereitschaft, das

Problem noch mal neu zu überdenken", schreibt etwa das HB am 20. Februar.

Mit dem Blockierer-Image parallel geht der Vorwurf an die Gewerkschaften, gegen

die eigentliche Interessen ihrer Mitglieder zu handeln: �Die Gewerkschaften täten im

Interesse ihrer Klientel gut daran, den Vorstoß Clements nicht zu blockieren.� (HB,

20.2.). Die SZ vom 21. Februar schreibt: �Die Gewerkschaften entfremden durch ihr

Festhalten an der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen immer mehr

junge Menschen von ihnen." Nur ein Meinungsbeitrag (Berliner, 9.1.) zitiert Mitglieder

und Arbeitnehmer, die längere Arbeitszeiten und Gehaltskürzungen bzw. geringe

Lohnforderung hinnehmen wollen, wenn dafür der Kündigungsschutz bestehen

bleibe. Doch auch hier äußern die zitierten Arbeitnehmer das Gefühl, �von Verdi in

dieser Sache nicht unbedingt vertreten zu werden."

Die Stuttgarter Zeitung vom 18. Januar sieht zwar durch den Widerstand der

Gewerkschaften die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder vertreten, jedoch nicht

die der Arbeitslosen: �Dass die Gewerkschaften gegen Clements Absichtserklärung

in Sachen Kündigungsschutz mobil machen, ist so legitim wie erwartbar. Die

Gewerkschaften vertreten die Interessen ihrer Mitglieder, der Arbeitsplatzinhaber.

Die Arbeitslosen interessieren sie nur am Rande.�

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Geballte Meinungsmacht

Viele Kommentare prangern auch die (angebliche) Meinungsmacht der

Gewerkschaften an: Der Tagesspiegel vom 9. September kommentiert: �Deren (IG-

Metall, Verdi & Co) wichtigste Truppen sitzen in der Bundestagsfraktion der

Sozialdemokraten. Dort gehören immer noch zwei von drei Abgeordneten einer

Gewerkschaft an. So gelingt es ihnen weiterhin trefflich, Clements Vorhaben bei der

Lockerung des Kündigungsschutzes zu torpedieren�". Der FAZ-Kommentar vom 27.

September schließt: �Der Modernisierungskanzler und sein Superminister verbeugen

sich einmal mehr vor Peters, Bsirske & Co." Am deutlichsten formuliert wiederum

FTD-Redakteur Keese die Kritik an der �gewerkschaftlichen Meinungsmacht". Er

vertritt die These der �kalkulierten politischen Rückkopplung" - fast schon eine

Verschwörungstheorie: �Ein Minister macht einen mutigen Vorschlag, kurz darauf hat

der DGB seine Meinung fertig, droht dem Minister am Telefon und prustet seine

Position auf einer Pressekonferenz heraus. Wenig später treten die Demoskopen in

Aktion und fragen 1000 Bürger vor dem Abendbrot, ob sie gerne gekündigt werden.

Das klare Nein bestätigt die gewerkschaftliche Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion

in ihrer vorgefassten Meinung und der Vorschlag ist tot." (FTD, 20.1.). Keeses Fazit

lautet: �Gegen die Meinungsmacht der Gewerkschaften richtet die Bundesregierung

inzwischen kaum noch etwas aus." (ebd.)

Die gängigen Schlussfolgerungen seitens der Meinungsführer in den Medien lesen

sich daher im Sinne von Aufforderungen, keine Furcht vor Gewerkschaften zu haben

oder Mut zu beweisen. �Doch schon beim Kündigungsschutz reicht es nur zu

kosmetischen Änderungen (�) aus Furcht vor den Gewerkschaften". (FAZ, 27.9.).

Auch den Gewerkschaften wird Mut abgesprochen, hier allerdings der �Mut zur

Realität", wie die Überschrift des HB vom 20. Februar lautet. Die FAZ vom 20.

Januar verlangt von der Regierung den Kündigungsschutz zu ändern, �wollte sie

beweisen, dass die Bürger ihre Stimme ihnen und nicht dem deutschen

Gewerkschaftsbund gegeben haben".

Sozialromantiker und Heilslehrer

Immer wieder werden die Gewerkschaften auch mit der Vergangenheit assoziiert: So

endet der Kommentar des HB vom 20. Februar: �Oder sie (die Gewerkschaften; die

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Verf.) stellen sich mit ihrer Idealvorstellung einer Arbeitswelt, wie sie vor 20 Jahren

einmal bestand, vollends ins Abseits." Die Gewerkschaften werden als resistent

gegenüber der veränderten Lebens- und Arbeitswelt beschrieben, ihre Politik

orientiere sich nach wie vor am Arbeitnehmer des Industriezeitalters. Konsens nach

innen werde von ihnen durch externe Feindbilder konstruiert, die die moderne

Arbeitswelt bereitstelle.

Am auffallendsten ist jedoch, dass durchgehend alle Medien stellvertretend die Rolle

als Fürsprecher der Arbeitslosen übernehmen. bzw. der Unternehmen, nicht aber der

Beschäftigten. Beispielhaft argumentiert hier etwa die BILD (20.1.): �Es kann nicht

angehen, dass ein kleiner Handwerker den sechsten Mitarbeiter nie einstellt, weil er

bei Auftragsmangel alle Beschäftigten �durchhalten� müsste und damit den ganzen

Betrieb riskiert. Daher muss die starre 5er Grenze flexibler gemacht werden."

In dieser Logik werden die Gewerkschaften als Hauptschuldige für die hohe

Arbeitslosigkeit (die durch den Kündigungsschutz mitverursacht wird) genannt. Auch

hier tut sich an Heftigkeit der Anschuldigungen wieder die FTD hervor: �Einer der

Hauptgründe ist die geistige Erstarrung der Gewerkschaften, die ihre Suche nach

dem besten Weg zugunsten einer ideologischen Heilslehre aufgeben haben. Sie

verteidigen den Kündigungsschutz als absolute Größe, obwohl er Arbeitplätze

vernichtet, Wachstum bremst und den Einzelnen in einer Scheinsicherheit wiegt, die

nur solange besteht, bis sein Betrieb an den Rigiditäten scheitert und Konkurs

anmeldet." (FTD, 20.1.) So vernichtend ist das Urteil nicht in allen Medien, aber die

Richtung der Kritik an den Gewerkschaften ist doch ähnlich.

Resümee

Beim Thema Kündigungsschutz lässt sich eine ganz eindeutige Haltung der

Printpresse gegen die Gewerkschaften feststellen. Bis auf drei Ausnahmen

befürworten alle Kommentatoren eine Lockerung des Kündigungsschutzes. Der

Widerstand der Gewerkschaften gegen eine Änderung wird von ihnen heftig kritisiert.

Den Gewerkschaften wird beim Thema Kündigungsschutz klar die Rolle der

Blockierer und Modernisierungsverweigerer zugeschrieben. Zwischen den

Einzelgewerkschaften wird dabei nicht differenziert. Beinahe alle Kommentatoren

problematisieren eine Konfliktlinie, die zwischen den Gewerkschaften auf der einen

Seite und Minister Clement, den Unternehmern und den Arbeitslosen auf der

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anderen Seite verläuft. Die Kommentatoren machen sich in den allermeisten Fällen

die Perspektive der Arbeitslosen oder Unternehmer zu eigen. Am schwersten wiegt

der Vorwurf an Gewerkschaften, die Arbeitslosen auszugrenzen. Denn eine

überwiegende Mehrheit argumentiert, dass sich mit einer Lockerung des

Kündigungsschutzes mehr Arbeitsplätze schaffen ließen. Die These, Arbeitgeber

trauten sich mehr Leute einzustellen, da sie sie schneller wieder loswerden können,

wird jedoch nur in zwei Fällen begründet, aber selbst hier nur mit dem Verweis auf

die niedrigeren Arbeitslosenzahlen in Ländern mit liberalen Kündigungsschutzregeln.

Deutlich zeigt sich eine Sonderrolle der FR, aus der alle der Änderung kritisch

gegenüberstehenden Beiträge stammen. Als Gegenpol zu der gewerkschafts-

freundlich eingestellten FR kristallisiert sich beim Thema Kündigungsschutz die FTD

heraus, die in ihren Kommentaren durch besonders harte Kritik an den

Gewerkschaften auffällt. Allgemein wird die Kritik an den Gewerkschaften mit einem

Appell an den Minister (oder die Regierung) verbunden, hart gegen ihre

Blockadepolitik durchzugreifen bzw. Mut zu beweisen.

Hinsichtlich der verschiedenen Reformmodelle ist sich die Printpresse allerdings

nicht ganz so einig. Welches Modell - also Veränderung des Schwellenwertes oder

Gleitregel - präferiert wird, ist sehr unterschiedlich. Es zeigt sich aber: selbst wenn

der überwiegenden Mehrheit die von Clement vorgeschlagenen Änderungen nicht

tiefgreifend genug sind, plädiert kein einziger Kommentator dafür, den

Kündigungsschutz ganz und gar abzuschaffen.

Auch die Festschreibung von gesetzlichen Abfindungen im Falle arbeitgeberseitigen

Kündigungen wird ohne Ausnahme befürwortet. Die bisherige Abfindungspraxis

transparenter zu gestalten und juristische Prozesse bei Kündigungen schneller

abzuwickeln, ist ein konsensuales Anliegen.

3.3. Arbeitszeitflexibilisierung

Kalendarium der Ereignisse

Zu Jahresbeginn berichtet die Presse fast täglich vom Widerstand der Gewerkschaft

Verdi gegen das Ladenschlussgesetz. Im Mai droht Verdi erstmals offen mit Streiks

im Einzelhandel, da keine Einigung im Tarifstreit erzielt werden konnte. Während der

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�Lange Samstag� vom Einzelhandel gefeiert wird, protestieren Verdi-Mitglieder gegen

die verlängerten Öffnungszeiten. Die Verdi-Kritik entzündet sich insbesondere an den

großen Discountern wie Lidl oder Aldi. Im Dezember des Jahres prüfen dann die

Verfassungsrichter das Ladenschlussgesetz. Positiv wird im Februar die Einigung

zwischen Gewerkschaftsvertretern und Arbeitgebern in den Tarifverhandlungen für

Zeitarbeit bewertet. Großen Raum nehmen im Mai und Juni die (zumeist negativen)

Kommentare zum Streik für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland und die

anschließende Niederlage der IG Metall und der daraus resultierende Führungsstreit

ein. Die Presse ist auch über den Wettbewerbsvorteil längerer Arbeitszeiten im

Osten einig. Gefordert wird von den Gewerkschaften eine flexiblere Haltung,

insbesondere auch deshalb, da in den allermeisten Betrieben bereits differenzierte

Arbeitszeiten ausgehandelt werden.

Der eigentliche Anlass für eine verstärkte Diskussion um eine Flexibilisierung der

betrieblichen Arbeitszeiten ist aber ein Vorschlag der CDU-Vorsitzenden Angela

Merkel im September des Jahres. Merkel fordert längere Arbeitszeiten, nur so könne

Deutschland im internationalen Wettbewerb bestehen. Während Teile der politischen

Klasse und Wirtschaftsvertreter eine Verlängerung der Arbeitszeiten ausrufen,

reagieren zumindest zwei deutsche Vorzeigeunternehmen in entgegengesetzter

Manier. Sowohl die Deutsche Telekom als auch das Unternehmen Opel kündigen an,

die Arbeitszeit (ohne Lohnausgleich) zu verkürzen, um drohende Entlassungen zu

vermeiden und kurzfristige Einsparungen zu erreichen. Dies löst eine breite

Diskussion um die Frage aus, was denn nun Jobs schaffe, Arbeitszeitverlängerung

oder -verkürzung? Ende des Jahres werden schließlich unterschiedliche Modelle der

„Lebensarbeitszeit“ und Lebensarbeitskonten in den Printmedien diskutiert

Meinungsspektrum in Zahlen

Für Arbeitszeitverlängerung (12 Beiträge)

Für Arbeitszeitverkürzung (8 Beiträge)

Flexibilität von Arbeitszeiten längst Realität (10 Beiträge)

Lohnflexibilität gefordert (4 Beiträge)

Flexible Ladenöffnungszeiten (5 Beiträge)

35-Stunden-Woche im Osten (6 Beiträge)

Arbeitszeitkorridore (3 Beiträge)

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3.3.1. Argumentationsmuster der Kommentare

Angefacht wird die Debatte rund um die Verlängerung bzw. Flexibilisierung der

Arbeitszeit neben politischen Vorgaben durch in den Medien lancierte Begriffe wie

�Freizeitweltmeister� oder �Urlaubsparadies Deutschland.� (beide BILD, 7.10.)

Insbesondere die BILD-Zeitung macht sich zumindest punktuell zum Motor einer

Bewegung, die in einer Arbeitszeitverlängerung die Lösung für die wirtschaftlichen

Probleme sieht: In einem Artikel mit dem Titel �10 bittere Wahrheiten über unser

Land�, heißt es unter Punkt 6 (Arbeitszeiten): �Die Deutschen sind Weltmeister bei

Urlaub und Freizeit. Das treibt die Lohnkosten zusätzlich hoch. Folge: immer mehr

Firmen verlagern Jobs ins Ausland. Die Wahrheit ist. Die Deutschen müssen länger

arbeiten, sonst können wir auf den Weltmärkten einpacken. BILD sagt: Tut endlich

was!" (BILD, 7.10.)16

Genauso häufig finden sich aber auch gegenteilige Kommentare, die für eine

Arbeitszeitverkürzung plädieren. Eine große Anzahl der Kommentatoren verweist

darüber hinaus auf die Tatsache, dass bereits die gegenwärtige Situation in den

Unternehmen sich durch vielfältige und flexible Lösungen in puncto Arbeitszeit

auszeichnet. Die Debatte um Arbeitszeitverlängerung oder -verkürzung sei folglich

eine Scheindebatte, die im wesentlichen um symbolische Werte und politischen

Einfluss geführt werde. Die Gewerkschaften stehen dabei auf der Seite derjenigen,

die in der Arbeitszeitverkürzung das richtige Signal für den Arbeitsmarkt sehen.

Freizeitweltmeister Deutschland

Drei Wochen nach dem die BILD-Zeitung für längere Arbeitszeiten appellierte,

schreibt der ehemalige BDI-Chef Hans-Olaf Henkel in einer BILD-Kolumne: �Wir

verlieren Arbeitsplätze, weil die deutsche Arbeitsstunde zu teuer ist. (...) Pro Jahr

arbeiten die Amerikaner 2000 Stunden, die Japaner 1900, die Holländer 1650. Die

16 Mit dieser Meinung scheint BILD aber nicht die Stimmung in der Bevölkerung zu treffen:

�Arbeitslose sollen neue Jobs finden, wenn Arbeitsplatzbesitzer länger arbeiten? Das können zwar die Experten erklären, verstehen die Deutschen aber nicht. Denn für 62 Prozent entstehen neue Stellen eher durch kürzere Arbeitszeiten, für 29 Prozent durch Mehrarbeit� (Welt, 5.12.)

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Deutschen mit Abstand am wenigsten: 1540! Statt durch weniger Lohn kann man die

deutsche Arbeit auch durch längere Arbeitszeiten billiger machen.� (BILD, 30.10.)17

Die Gewerkschaften sind implizit in der laufenden Diskussion als die Gruppe

identifiziert, die für Arbeitszeitverkürzung steht und dadurch die Schuld an der hohen

Arbeitslosigkeit mitträgt. �Man fragt sich, was eigentlich die Gewerkschaften seit

mehr als 25 Jahren dazu treibt, die Wochen- und Lebensarbeitszeit zu verkürzen und

damit Einkommen je Beschäftigten zu mindern, ohne dass dafür Arbeitslose Erwerb

und Verdienst finden.� (SZ, 23.5.)

Die ihnen zugeschriebenen Positionen werden im einzelnen kritisch unter die Lupe

genommen. Zunächst einmal, so der allgemeine Tenor, basiere die Argumentation

der Gewerkschaften auf ökonomischen Fehlern. So sei etwa das Argument der

niedrigen Lohnstückkosten in Deutschland genauer betrachtet, vollkommen falsch:

�Richtig ist auch, dass sich die Gewerkschaften in die Tasche lügen, wenn sie immer

nur darauf hinweisen, dass ja die Lohnstückkosten, also die Arbeitskosten unter

Berücksichtigung der Produktivität, in Deutschland nur mäßig oder gar nicht steigen.

In die Lohnstückkosten fließen abgebaute oder ausgewanderte Arbeitsplätze gar

nicht ein, die Statistik sieht also schöner aus als sie ist.� (SZ, 16.10.)

Um die Arbeitskosten, die von der Presse als Hauptproblem benannt werden, zu

senken, werden im wesentlichen drei Ziele genannt: Erstens der Abbau der

Lohnnebenkosten, zweitens eine maßvolle Lohnpolitik und drittens größere

Flexibilität für Branchen, Betriebe und einzelne Arbeitnehmer. Letztlich aber bleibt:

�Um das deutsche Lohnkostenproblem zu beheben, muss die Wochenarbeitszeit

angehoben werden.� (FAZ, 23.7.)

Als ökonomischen Denkfehler bezeichnen einige Kommentatoren das

Umverteilungskonzept der Gewerkschaften. Deren Vorstellung, dass es eine Art

festes Arbeitsvolumen gibt, dass nur umverteilt werden müsste, um Arbeitsplätze zu

schaffen, sei falsch. Der DGB-Vorsitzende Sommer hatte zu Jahresbeginn einen

Vorschlag gemacht, besser Qualifizierte sollten auf einen Teil ihrer Arbeitszeit

zugunsten Arbeitsloser verzichten. Dazu, so das Gegenargument, müssten aber

qualifizierte Kräfte gefunden werden, die die Arbeit überhaupt machen könnten, oft

eine Unmöglichkeit und als Forderung vollkommen wirklichkeitsfremd. �Deshalb geht

17 Dass die �Deutschen im europäischen Vergleich nicht weniger arbeiten wird in der ZEIT vom 25.9.

thematisiert: �die tatsächlichen Arbeitsstunden sind höher als die tarifvertraglich geregelten, nämlich 36,1 Stunden (in der EU: 35,5).�

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die Forderung der Gewerkschaften nach mehr Teilzeit bei Gutqualifizierten am

Thema vorbei.� (Welt, 17.1.)

Verkürzung aus Solidarität

Die Kommentare und Plädoyers für eine Verkürzung der Arbeitszeit sind in den

Printmedien ebenso reichlich vorhanden wie das Gegenkonzept einer Verlängerung.

Ihre Befürworter stammen, neben einzelnen Journalisten, meist aus gewerkschafts-

nahen Kreisen oder sympathisierenden Wissenschaftlern, die in verschiedenen

Kommentaren für eine Arbeitszeitverkürzung werben. Hier nur einige wenige

Stimmen dazu: �Es gibt keinen Grund für eine sachliche Tabuisierung von

Arbeitszeitverkürzung, sie birgt in sich ein Stück Solidarität, außerdem geht noch ein

Signal aus, das Politik und Wirtschaft wenig schätzen: Wachstum wird nicht

unbegrenzt gedacht.� (FR, 4.11.) �Die Forderung nach Arbeitszeitverlängerung

verstößt fundamental gegen das Ziel der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und

auch gegen die Generationengerechtigkeit� (taz, 25.1.), kommentiert Helmut

Spitzley, Professor für Arbeitswissenschaften in der taz. Die Arbeitszeitverlängerung

ist keine Lösung unserer Wirtschaftsprobleme, so der Tenor eines Artikel des Leiters

des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans Böckler

Stiftung: �Die gesamtwirtschaftliche Produktion würde zwar zulegen, sie wäre aber

allein ein Ergebnis der verlängerten Arbeitszeit. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die

durch die verlängerten Arbeitszeiten ausgeweitete Produktion nicht oder nur teilweise

auf eine entsprechende Binnennachfrage trifft.� (FR, 5.8.) Als einzige Ausnahme ist

hier die Angebotsseite mitproblematisiert, die von Arbeitgeberseite und neoliberalen

Denkern zumeist ausgeblendet wird. Dazu merkt auch die FTD vom 29.10. an:

�Solange die Konjunktur nicht in Schwung kommt, sind neue Arbeitsplätze durch

Mehrarbeit eine Illusion�.

Als Grund für die gesellschaftliche Akzeptanz der Debatte um die Verlängerung der

Arbeitszeiten wird vielfach kritisch angeführt, dass die Rede von

Arbeitszeitverlängerung strategisch besser ankommt als die von Lohnkürzungen.

�Die zusätzliche Arbeitszeit soll unbezahlt bleiben. Es handelt sich letztlich um

Lohnsenkung. (...) Dennoch ist, wie wir gesehen haben, Lohnsenkung per Mehrarbeit

derzeit fast schon populär. Die Ursache liegt im Standortdenken. Viele sehen im

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Dumping die einzige Chance, dass ausgerechnet ihr Betrieb, ihre Region oder gar

das ganze Land sich gegen Konkurrenz behaupten kann". (FR, 14.11.)18

Flexibilität ist Realität

Ein Großteil der Kommentare sind in Bezug auf die Frage Verlängerung oder

Verkürzung neutral, verweisen jedoch auf die betriebliche Wirklichkeit, in der die

Flexibilität von Arbeitszeiten schon längst Alltag ist. So hat die tarifliche Arbeitszeit

seit 1991 nur um zwei Prozent abgenommen, dagegen sind flexible Arbeitszeiten

sprunghaft angestiegen. In 78 Prozent der Betriebe existieren mittlerweile

Zeitkontenmodelle. Um Jobs zu erhalten hätten bereits Tausende Betriebe flexible

Zeiten eingeführt (vgl. FR, 1.11.) �Selbst das IW (das Institut für Wirtschaft; die Verf.)

gibt zu, dass die tariflichen Arbeitszeiten in Deutschland deutlich flexibler geworden

sind, ehemals starre Wochenpensen sind passe, heißt es in einer Studie. Es gehe

also weniger darum, die Arbeitszeit zu verlängern, als darum die Tarifverträge für

flexible Arbeitszeitmodelle zu öffnen.� (Welt, 7.10.) Der deutsche Arbeitsmarkt sei gar

nicht unflexibel, berichtet auch die FR vom 28.8.: deutsche Unternehmen können seit

langem befristet (max. 2 Jahre) Leute einstellen. Bei den unter 20 Jährigen hat jeder

Dritte einen befristeten Arbeitsplatz, bei den 20-24 Jährigen jeder Vierte. Die Anzahl

der Teilzeitbeschäftigten ist von 1991-2002 um 46 Prozent gestiegen, die Anzahl der

Vollzeitbeschäftigten im Gegensatz dazu um 14 Prozent gesunken. (vgl. FR, 28.8.)

Allgemein wird gefordert, die Arbeitszeiten durch Tarifparteien stärker zu

flexibilisieren und nicht lediglich Symbolthemen wie den arbeitsfreien Samstag oder

Sonntag in den Vordergrund zu stellen. Ideal wären Arbeitszeitkorridore zwischen 25

und 45 Stunden ohne Zuschläge (dafür Freizeit). Unter der Überschrift �Fairteilen�

entwickelt Walter Lochmann (Fachbereichsleiter bei Verdi Hessen ) in der FR (6.12.)

ein Vier-Phasen-Modell demographischer Lebensarbeitszeit. Nach der Ausbildung

bis zur Familiengründung sollten maximal 40 Stunden gearbeitet werden, in der

Familien- und Weiterbildungsphase dann maximal 30 Stunden, nach der

Familienphase wieder maximal 40 Stunden um schließlich fünf bis zehn Jahre vor

18 Auf die Angst vor Arbeitslosigkeit verweist auch ein Kommentar in der SZ: �Die deutschen

Unternehmer nutzen die Gunst der Stunde. Konjunkturflaute, Finanznot des Staates, Kürzungen und Personalabbau überall � die Menschen sind demütig geworden und fast schon dankbar für ihren Arbeitsplatz. Und die einst mächtigen Gewerkschaften sind in ihrem Bestreben, weiter die alten Schlachten zu schlagen, auf dem besten Weg zur Selbstenthauptung� (SZ, 18.9.)

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dem Renteneintritt individuelle Regelungen zu finden. Auch der VW-Personalchef

Hartz plädiert schon im September für ein neues Lebensarbeitskonzept (Die Welt,

7.10.) Am 19. September behaupten SZ und HB unisono: �Hartz geht in die richtige

Richtung!�

35-Stunden-Woche als ein hirnrissiges Beglückungsprogramm

Kein Thema hat den Gewerkschaften im vergangenen Jahr wohl mehr geschadet als

der gescheiterte Streik für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland. Noch im

Oktober verweist die Welt auf den innergewerkschaftlichen Schaden: �Das

Streikdebakel vom vergangenen Sommer ist noch lange nicht aufgearbeitet� (Welt,

14.10.) Die längeren und flexibler gehandhabten Arbeitszeiten im Osten werden von

der Presse fast durchgehend als ökonomisch sinnvoll und überlebenswichtig für die

Betriebe erachtet. Unterstellt wird, dass die IG Metall aus Prestigegründen einen

vollkommen aussichtslosen und schädlichen Arbeitskampf lieferte, ein �hirnrissiges

Beglückungsprogramm�.

�Deutschlands Gewerkschaftsgiganten laufen zu Höchstform auf. Gerade hat Verdi

alles dafür getan, den Personalabbau im öffentlichen Dienst weiter zu beschleunigen,

da macht sich die IG Metall auf, den Arbeitnehmern in den neuen Ländern den

letzten noch verbliebenen Wettbewerbsvorteil zu rauben. Als hätte die Gewerkschaft

aus den katastrophalen Folgen der übereilten Lohnangleichung in den neunziger

Jahren nichts gelernt, sollen nun auch noch die Arbeitszeiten gleichgemacht

werden". (FAZ, 14.1.) Weitere Stimmen lauten: �Die IG Metall setzt mit der

Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit einen wichtigen Standortvorteil der

neuen Bundesländer aufs Spiel, schwächt die Wettbewerbskraft der Ostbetriebe und

gefährdet Arbeitsplätze� (HB, 28.1.) �Löhne und Arbeitszeit im Osten müssen Schritt

mit der eigenen Produktivität halten, nicht mit Vergleichszahlen im Westen. Dass die

IG Metall das ignoriert und stattdessen Irrlehren verbreitet, schwächt ihren Stand als

ernst zu nehmender Gesprächspartner weiter.� (FTD, 23.6.)

Gefordert wird vielfach, dass die IG Metall den Streik abbrechen und gleichzeitig im

Westen die 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich wieder eingeführt werden soll,

nur dann könnte die Gewerkschaft �Hunderttausende Jobs retten und neu schaffen.�

(HB, 28.1.) Verlangt werden flexible Modelle für Arbeitszeitkorridore, da ansonsten

die Gewerkschaften noch mehr als bisher im Osten marginalisiert würden: �Die

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Gewerkschaften machen das mit, oder sie werden an die Wand gedrängt�, so

beispielhaft Andreas Winkler, Hauptgeschäftsführer der sächsischen Metall AG im

Focus (10.11.).

3.3.2. Die Bewertung der Gewerkschaften

Die Front der Besitzstandswahrer

Auch bei der Frage nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten haftet den

Gewerkschaften bei einem Teil der Presse das Image �Besitzstandswahrer� an, die

notwendige Prozesse und Veränderungen in Deutschland erfolgreich blockieren.

Wieder werden streng Reformer (das können bestimmte Politiker, Arbeitgeber oder

Experten sein) den Bewahrern (im wesentlichen Gewerkschaftsfunktionäre und die

SPD-Linke) gegenübergestellt. Auf den einfachsten Nenner bringt diese Dichotomie

die SZ in einem ansonsten ausgewogenen Kommentar zur Frage pro oder kontra

Arbeitszeitverlängerung. �Gegen diejenigen, die hier zu Lande in mehr Arbeit den

Weg zu mehr Beschäftigung und Wohlstand sehen, steht die Front der Bewahrer,

allen voran die Gewerkschaften.� (SZ, 5.11.) Obschon der Kommentator sich einer

Wertung bezüglich der ökonomischen Wirkung einer Arbeitszeitverlängerung enthält,

ist die Haltung gegenüber den Gewerkschaften, wie der Begriff Bewahrer suggeriert,

eindeutig negativ.

Am schwersten wiegt auch hier der Vorwurf eine Politik gegen Arbeitslose und eine

reine Klientelpolitik zu betreiben. Die mangelnde Flexibilität bei der

Arbeitszeitgestaltung wird als Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit und den Abbau

weiterer Arbeitsplätze verantwortlich gemacht. Der Schuldige dafür scheint aber

bereits gefunden wie ein polemischer Kommentar in der FAZ beweist: �Man müsse

die Arbeitszeit den Klauen des Marktes entreißen, fordert er (Klaus Zwickel; die

Verf.). Die Beschäftigten, die demnächst ihre Stelle verlieren werden, wissen

zumindest, wem sie das verdanken.� (FAZ, 14.1.)

Neoliberale Verschwörung als Stammtisch-Rhetorik

Ein typischer Vorwurf an die Gewerkschaften lautet, dass sie sich von ihrer eigenen

Basis entfernt haben. Der betriebliche Alltag funktioniere schon lange ganz anders

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als sich das die Funktionäre vorstellen würden. Als Negativrolle steht der Funktionär

im Kontrast zum �einsichtigen� Betriebsrat und den Arbeitnehmern vor Ort, die die

Rhetorik vom Klassenkampf längst aufgegeben haben. �Mit ihrer Mischung aus

moribunden Wirtschaftstheorien, Phantasien vom Endkampf gegen die neoliberale

Weltverschwörung und Widerstandsromantizismen aller Art entfernen sich die

Funktionäre immer weiter vom betrieblichen Alltag.� (HB, 21.5.) Als Hauptargument

gilt die Tatsache, dass die Realität in den Unternehmen schon wesentlich flexibler als

angenommen ist. Interessanterweise wird dieses Argument auch von den Medien

aufgegriffen, die ansonsten stets die starre und unflexible Situation auf dem

deutschen Arbeitsmarkt beklagen. Dieser Widerspruch wird aber nicht entkräftet oder

aufgelöst. So können die Gewerkschaften mit den immer gleichen Rezepten

identifiziert werden: �Statt in die längst fällige Debatte um neue Standards bei

Entlohnung und sozialer Bedürftigkeit qualifiziert einzugreifen, ergehen sich die

Gewerkschafter in Stammtisch-Rhetorik.� (Welt, 14.7.)

Häufig werden auch die Meinungen von Betriebsräten angeführt, die in Abgrenzung

zu den Gewerkschaftsfunktionären die �Stimme von unten� repräsentieren. So zitiert

etwa die Wams einen Betriebsrat zur Frage der 35-Stunden-Wochen in

Ostdeutschland: �Die wollen gar nicht streiken. Zu groß sei die Angst der Menschen

um ihren Arbeitsplatz, die Sorge, dass Betriebe ihre Standorte nach Osteuropa

verlagern. Die Gewerkschaftsfunktionäre, sagt ein Abgeordneter, müssten

aufpassen, dass sie sich nicht zu sehr von der Basis entfernten.� (Wams, 18.5.)

Auf der Suche nach Spaltungstendenzen und Widersprüchen innerhalb der

Arbeitnehmervertreter werden auch einzelne Gewerkschaften aufgrund ihrer

Flexibilität und Kompromissfähigkeit hervorgehoben. So wird, in Abgrenzung zur IG

Metall, etwa Verdi in punkto Flexibilität öfters in der Presse gelobt: Verdi mache, im

Gegensatz zur IG Metall, eine intelligente Politik. Beispielhaft sei hier etwa der

Beschäftigungspakt mit der Post (Zwei Tage Mehrarbeit und flexible Arbeitszeiten,

dafür eine Beschäftigungsgarantie bis 2008), berichtet die Welt vom 7. Juli. Auch die

FAZ lobt ausdrücklich Verdi (7.7.). Insbesondere die Reformfähigkeit von Verdi im

öffentlichen Dienst wird im Jahr 2003 mehrmals positiv erwähnt: �Es geht um eine

Revolution und die Gewerkschaften sind dabei. (...) Entgelte nach Leistung,

Arbeitszeitkonten, Führungsposten nur noch auf Zeit � und das ganze im öffentlichen

Dienst. Jede Woche treffen sich Arbeitsgruppen aus Vertretern der Gewerkschaft

Verdi und der Arbeitgeber, um die Konzepte weiter auszuarbeiten.� (SZ, 25.10.)

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Die innergewerkschaftlichen Konflikte und die Auseinandersetzungen zwischen den

Einzelgewerkschaften werden in der Presse genüsslich ausgebreitet, die hier

genügend Stoff für alle relevanten Themen findet. Eine �gute Gewerkschaft� ist stets

jene, die im Sinne von Wirtschaft und Arbeitgebern Politik macht.

Lebensentwurf von gestern

Ein letzter wichtiger Kritikpunkt in der Flexibilitätsdebatte ist die Überzeugung, dass

die Gewerkschaften bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten den veränderten

gesellschaftlichen Realitäten nicht genügend Rechnung tragen. Der Slogan vom 1.

Mai 1956 �Samstags gehört Vati mir!� sei zwar damals richtig gewesen, entspräche

aber nicht mehr den heutigen Lebensverhältnissen: �Fast 50 Jahre später kultivieren

diese Sozialromantik nur noch Kirchen und Gewerkschaften (...). Familienstrukturen

und Lebensentwürfe der Deutschen haben sich grundlegend gewandelt. Viele

Singles - und jeder dritte Haushalt wird hier zu Lande inzwischen von ihnen bewohnt

� würden durchaus eine mit Zulagen versehene Arbeit am Sonntag bevorzugen, falls

ihnen der Arbeitgeber unter der Woche einen Ausgleich gewährt.� (HB, 25.8.)

Auch die taz macht auf die veränderten Lebensbedingungen aufmerksam. Eine

Forderung wie die nach Vollbeschäftigung basiere auf bestimmten gesellschaftlichen

Grundwerten, insbesondere dem Ausschluss von Frauen, die heute nicht mehr als

selbstverständlich gelten können: �Die in der Rückschau idealisierte Vollbe-

schäftigung der Sechzigerjahre war eine Vollbeschäftigung für Männer, die darauf

beruhte, dass die Mütter zu Hause blieben. Vollbeschäftigung muss heute politisch

anders definiert werden. (...) Die Arbeitnehmerorganisationen haben bei Tariffor-

derungen immer noch den männlichen Alleinverdiener im Kopf, der ein halbes

Dutzend hungrige Mäuler ernähren und deshalb unbedingt einen Familienlohn nach

Hause bringen muss. Diesen Lebensentwurf mag es weiterhin geben, aber er kann

nicht alleiniger Maßstab der Normalität sein.� (taz, 29.7.)

Die Gewerkschaften werden hier mit den traditionellen Arbeits- und Lebensverhält-

nissen einer Industriegesellschaft gleich gesetzt. Für die Individualisierung und

Erosion von Arbeits- und Lebensbiografien hätten die Gewerkschaften aber kein

Konzept zur Verfügung. Ein Beitrag in der FR fasst diese Transformationen in Bezug

auf die Frage nach der Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten so zusammen:

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�Flexibilisierte Arbeitsverhältnisse und multilokale und individualisierte Haushalts-

und Familienformen kreieren eine Form und ein Ausmaß von Zeitstress, wie es noch

vor wenigen Jahren undenkbar war. Unter diesen Bedingungen müssen Zeitgestal-

tungen im örtlichen Nahbereich viel mehr als bisher unter dem Aspekt betrachtet

werden, ob sie dem sozialen Zusammenhalt, der Vereinbarkeit von Lebenssphären,

der Erhöhung der Lebensqualität dienlich sind. Unter diesem Aspekt müssen Arbeit

und Behördenzeiten ebenso betrachtet werden wie Schul-, Hort- und sonstige

Dienstleistungen oder Mobilitätszeiten � aber eben auch Ladenöffnungszeiten.�

Resümee

Im Gegensatz zu anderen Themen werden die Gewerkschaften in puncto

Arbeitszeitflexibilität nicht ausschließlich negativ bewertet. Vielfach wird die

praktische Flexibilität bei der Handhabe von Arbeitszeiten von Seiten der

Gewerkschaften und insbesondere der Betriebsräte betont. Diese relativ ausge-

wogene Beurteilung liegt v.a. daran, dass selbst unter Wirtschaftsexperten über die

verschiedenen Lager verteilt, Unklarheit über die Auswirkungen herrscht. Was denn

nun mehr Arbeit und Beschäftigung bringen soll (Verkürzung oder Verlängerung),

bleibt eine offene Frage. So versuchen Wirtschaftsexperten unterschiedlicher

Couleur sich in der Presse gegenseitig zu widerlegen, ohne jedoch überzeugende

Lösungen anbieten zu können. Die Gewerkschaften werden zwar für manche

Kommentatoren als �Bremser� flexibler Gestaltung angeführt, das aber zumeist in

Bezug auf die Forderung der 35-Stunden-Woche im Osten, die unisono als

ökonomischer Unsinn abgewertet wird. Auf der betrieblichen Ebene wird ihnen aber

eine �vernünftige� Rolle zugesprochen. Da es unzählige praktische Beispiele für

flexible Arbeitszeithandhabungen gibt, ist es hier kaum möglich das Gegenteil zu

behaupten ohne sich dem Vorwurf des Uninformierten auszusetzen.

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3.4. Querschnittsthema Arbeitslosigkeit

Sozial ist, was Arbeit schafft

Das Thema Arbeitslosigkeit liegt im Schnittpunkt von allen hier bisher verhandelten

Themen rund um Arbeit und Gewerkschaften. Denn letztendlich geht es bei allen

Reformvorhaben - sei es die Lockerung des Kündigungsschutzes oder die Reform

des Tarifrechts - um den Abbau der Arbeitslosigkeit. So werden etwa auch die

sozialen Einschnitte der Hartz-Kommission politisch als Agenda für mehr

Beschäftigung begründet. Ebenso sollte die Agenda 2010 für mehr Wachstum und

Beschäftigung und damit für eine Stabilität der sozialen Sicherungssysteme sorgen.

Die Thematisierung der Arbeitslosigkeit ist kein Resultat politischen Agenda-Settings.

Sie unterliegt nicht konjunkturellen Schwankungen (wenn man einmal von der

periodisch wiederkehrenden Veröffentlichung der neuen Zahlen aus Nürnberg

absieht, die in der Tagespresse kommentiert werden), sondern findet sich im ganzen

Jahr der Auswertung und bei allen untersuchten Themenschwerpunkten wieder. Die

Verringerung der Arbeitslosigkeit ist die Quintessenz und Legitimation aus allen

Reformvorhaben der noch immer dem Wachstum verpflichteten Arbeitsgesellschaft.

Nichts schwächt die Gewerkschaften so eklatant wie die Zahl von fast fünf Millionen

Arbeitslosen. Stellvertretend für die meisten Kommentare schreibt die Welt am 1.

Juli: �Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit und für Generationengerechtigkeit hat

oberste Priorität - nicht die Chimäre von der �sozialen Gerechtigkeit��

Populär ist die Forderung an die SPD, vor allem aber auch an die Gewerkschaften,

ihren Begriff von Gerechtigkeit angesichts der hohen Arbeitslosigkeit neu zu

überdenken. Auch im Gutachten des Sachverständigenrates zur gesamtwirtschaft-

lichen Entwicklung stehen die Gewerkschaften im Jahr 2003 im Ruf einen

beschäftigungsfeindlichen Kurs zu fahren. Wie jedoch beurteilt die Printpresse den

Anteil der Gewerkschaften an der hohen Arbeitslosigkeit? Werden sie als die allein

�Schuldigen für die Arbeitsmarktmisere� verantwortlich gemacht?. Die analysierten

Kommentare, die sich explizit mit Gewerkschaften und dem Problem der

Arbeitslosigkeit auseinandersetzen, sind zum überwiegenden Teil von folgenden drei

Haltungen gegenüber den Gewerkschaften geprägt:

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1. Gewerkschaften sind das Problem, nicht die Lösung

2. Gewerkschaften wollen keine Lösung des Problems

3. Gewerkschaften bieten nur veraltete und falsche Lösungen und

4. soll in einem kleinen Exkurs die Ausbildungsplatzabgabe genauer betrachtet

werden.

Der Exkurs widmet sich dem Sonderthema der Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen

bzw. der Lehrstellenlücke. Das aufgrund seiner Zukunftsdimension hoch symbolisch

aufgeladene Thema beschäftigte v.a. im Oktober 2003 die Medien.

3.4.1. Gewerkschaften sind das Problem, nicht die Lösung

Der überwiegende Anteil der Kommentare ist der Meinung, dass die Gewerkschaften

angesichts der hohen Arbeitslosigkeit �nicht die Lösung, sondern Teil des Problems"

sind, wie es die FAZ auf den einfachen Nenner bringt. Allerdings unterscheiden sich

die Kommentare im Maß ihrer Schuldzuweisungen und hinsichtlich ihrer

Begründungsschemata.

Ein kleinerer Anteil sieht in den Gewerkschaften lediglich eine von vielen Bremsen

bei der Belebung des Arbeitsmarktes und macht die Tarifparteien insgesamt - also

Arbeitgeber und -nehmervertreter - für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich. Als

weitere Bremser identifizieren die Kommentatoren häufig die Politik (die immer

wieder vor Lobbyisten einknickt), die SPD Linke (oft mit dem Verweis, wie hoch der

gewerkschaftliche Organisationsgrad unter ihnen ist) und das System Korporatismus

selbst. �Wenn es gelingt, den deutschen Korporatismus mit seinen Gewerkschaften,

Wirtschaftsverbänden und Kammern zu durchbrechen, wird auch die

Beschäftigungsschwelle von zwei Prozent Wirtschaftswachstum kein Dogma mehr

sein." (Tages, 31.7.)

Der Vorwurf an die Tarifparteien lautet zumeist, dass sie als Interessensgruppen in

aller Regel ihre Geschäfte zu Lasten der Arbeitslosen abschließen. Arbeitgeber

werden also nicht für Entlassungen und fehlende Neueinstellungen kritisiert, sondern

dafür, sich auf zu hohe Lohnforderungen einzulassen19. Die ZEIT vom 10. April

19 Auch die �Fünf Wirtschaftsweisen" werfen Arbeitgebern und Gewerkschaften in ihrem Gutachten

2003 vor, in den vergangenen fünf Jahren den Verteilungsspielraum, den die Zunahme der Arbeitsproduktivität eröffnet hat, �markant überzogen" zu haben. �Damit haben sie nicht nur den Arbeitslosen keine Chance geboten, neue Arbeitsplätze einzunehmen, sondern auch eine Vernichtung von Arbeitsplätzen bewirkt�, so die Ökonomen.

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schreibt dazu: �Arbeitgeber und Gewerkschaften (also Arbeitsplatzbesitzer)

vereinbaren, um des lieben Friedens willen, zu hohe Löhne (und lassen sich die

Tarife auch noch von der Regierung für allgemeinverbindlich erklären) - die

wegrationalisierten Arbeitskräfte liefern sie gemeinsam in Nürnberg ab.�

Rationalisierungen der Arbeitgeberseite werden in der Regel nicht in Frage gestellt.

Auch analysiert kein Meinungsbeitrag, der die Tarifverhandlungen zwischen

Arbeitgebern und Gewerkschaften zum Thema hat, inwieweit etwaige höhere

Lohnabschlüsse tatsächlichen Produktivitätszuwächsen in einzelnen Branchen

entsprechen. In diesem Typus von Kommentaren ist folglich zwar die Kritik an die

Tarifparteien, also Arbeitgeber und -nehmervertreter, gerichtet, die Forderungen,

etwas zu ändern, treffen meistens jedoch die Gewerkschaften allein oder

stellvertretend die Regierung, die die Macht der Gewerkschaften beschneiden soll.

Einen wesentlich größeren Anteil stellen die Kommentare, die in den

Gewerkschaften die Hauptverantwortlichen und bisweilen sogar Hauptverursacher

der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland sehen. Zumeist ist der Vorwurf ein

doppelter: Gewerkschaften werden nicht nur dafür verantwortlich gemacht,

Arbeitslosen keine Chancen zu eröffnen, sondern auch Arbeitsplätze zu vernichten.

Die negative Haltung der Printpresse gegenüber den Gewerkschaften zeigt sich bei

der Thematisierung der Arbeitslosigkeit vor allem darin, was in den Kommentaren

fehlt: Es findet keine Auseinandersetzung mit der Verantwortung der Industrie und

der Unternehmer statt, Arbeitsplätze zu schaffen (bzw. nicht abzubauen). Ebenso

werden Fusionen, Management-Fehler, Outsourcing-Praktiken und Rationali-

sierungen nicht thematisiert und in Frage gestellt. Im Gegenteil: Für den Abbau von

Arbeitsplätzen seitens der Unternehmen wird häufig Verständnis aufgebracht:

Angesichts der Forderung der IG Metall, die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland

einzuführen, schreibt der Kommentator in der Welt: �Da alle Unternehmen über einen

Kamm geschoren werden, trifft es wirtschaftlich Schwächere besonders hart. Ein

weiterer Abbau von Arbeitsplätzen ist unvermeidlich, die Lage der Arbeitnehmer

verschlechtert sich. (...) Das Treiben der Gewerkschaften, die wieder einmal gegen

alle ökonomische und soziale Vernunft handeln, muss ein Ende haben." (Welt, 24.6.)

Da die Logik zumeist davon ausgeht, dass Gewerkschaften die Verursacher und

Schuldigen an der hohen Arbeitslosigkeit sind, wird die moralische Last und der

Handlungsimperativ klar auf Seiten der Gewerkschaften verortet. Dass auch die

Stimmung der Leser angesichts immer neuer Horrornachrichten von Arbeitsämtern

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und Konjunkturforschern gegen die Gewerkschaften steht, suggeriert die

Kommentatorin in der taz vom 2 Juli, wenn sie schreibt: �Als unsichtbarer Dritter wird

sie (die Leserschaft; die Verf.) bei künftigen Tarifverhandlungen stets mit am Tisch

sitzen - und zwar auf Seiten der Arbeitgeber.�

Verbunden wird die Kritik an den Gewerkschaften oft mit Appellen an die Regierung,

den Kanzler oder den Wirtschaftsminister Clement, den �Ballast aus

Konsensgesellschaft, Gewerkschaften und Traditionslinken über Bord zu werfen."

(FAZ, 7.2.) Das HB macht die Kritik an den Gewerkschaften besonders deutlich:

�Nein, gleich muss der Tarif für alle sein, damit keine Ungerechtigkeit herrsche im

Lande. Es scheint als sei Wahlfreiheit die größte Bedrohung für die Gewerkschaften.

Das ist ökonomischer Totalitarismus schlimmster Prägung." (HB, 13.1.)

Arbeitslosigkeit wegen zu hoher Löhne

Hinsichtlich der Begründung, warum Gewerkschaften die Verantwortung für die hohe

Arbeitslosigkeit tragen, ist ein eindeutiger Trend auszumachen. Als Argumente

führen die analysierten Kommentare am häufigsten die hohen Lohnkosten (durch zu

hohe Tarifabschlüsse) bzw. die mangelnde (Lohn-)Flexibilität an. Die meisten

Kommentare beschreiben die Lohn- und Tarifpolitik der Gewerkschaften als

beschäftigungsfeindlich. Im Mittelpunkt der Kritik standen im Auswertungsjahr 2003

insbesondere die Lohnabschlüsse im öffentlichen Dienst und die IG-Metall Forderung

von vier Prozent in der Tarifrunde im November 200320. Gewerkschaften, so das

Argument, machten durch zu hohe Tarifforderungen bzw. -abschlüsse den Faktor

Arbeit zu teuer (vgl. etwa HB, 13.1.; SZ, 28.11.; Welt, 11.11.). Dahinter verbirgt sich

die These, dass nur bei hohem Beschäftigungsstand der Verteilungsspielraum

ausgeschöpft werden kann, in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit Gewerkschaften

dies aber nicht tun dürften. Als Konsequenz fordern die Kommentatoren daher eine

lohnpolitische Zurückhaltung.

Die konträr gegenüberstehende Kaufkrafttheorie des Lohnes wird entweder nicht

diskutiert oder als unwissenschaftlich bezeichnet. Ein Gastkommentator (Professor

für Volkswirtschaft) höhnt im FAZ-Standpunkt vom 25. November: �Ganz nach der

20 Besonders die Forderung der IG Metall wurde überwiegend als �überzogen" (SZ, 28.11.), sogar

als �markant überzogen (HB, 12.11.) bezeichnet angesichts des �bescheidenen Aufschwungs" (ebd.).

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Art des Baron von Münchhausen muss man bei Tariferhöhungen nur Mut zeigen, -

und schon zieht sich die Wirtschaft aus der Krise heraus. Einfältiger geht es nicht,

aber in den Köpfen der Gewerkschaftsfunktionäre ist offenbar viel Platz für solches

Denken." Und weiter: �Eine Gewerkschaft wie die IG-Metall (das gleiche gilt für Verdi)

will partout nicht akzeptieren, dass angesichts einer hohen Dauerarbeitslosigkeit eine

Tariflohnpolitik betrieben werden muss, die in der Grundlinie anders ausgerichtet ist,

als sie es bei einer Vollbeschäftigung sein könnte. (...) Wo aber bleiben die

Beschäftigungschancen der Arbeitssuchenden? Mit ihrer Tarifforderung gibt die IG

Metall die Antwort: Sie bleiben auf der Strecke."

Ein weiterer externer Kommentator (Professor für Volkswirtschaft) fordert in der Welt

vom 24. Juni sogar: �Die Gewerkschaften verhindern mit einer beschäftigungsfeind-

lichen Lohn- und Tarifpolitik, dass die Arbeitslosigkeit abgebaut wird. Für dieses

Verhalten müssen sie zur Kasse gebeten werden, wenn es darum geht, die von

ihnen mitverursachte Arbeitslosigkeit zu finanzieren. In Zukunft sollten deshalb die

Beiträge nicht nur durch Arbeitnehmer und Unternehmen aufgebracht werden, auch

die Gewerkschaften müssen ihren Beitrag leisten. Damit würden sie für ihr lohn- und

tarifpolitisches Handeln mehr als bisher haften."

Eng daran schließt sich die Argumentation, dass Gewerkschaften nicht nur durch

ihre zu hohen Tarifabschlüsse die Lohnkosten in die Höhe treiben, sondern dass sie

auch hohe Lohnnebenkosten verursachen, die nun der Schaffung von neuen Jobs

entgegenstehen. Stellvertretend für viele hier nur die Stimme der FTD: �Die

jahrzehntelange Gewerkschaftspolitik, Lohnersatzleistungen immer weiter in die

Höhe zu treiben und so die Arbeitslosen ruhig zu stellen, ist gescheitert. Geführt hat

das nur zu dramatisch hohen Lohnnebenkosten, die vor allem Geringqualifizierten

jede Chance auf einen neuen Job nehmen.� (FTD, 10.7.)

Arbeitslosigkeit aufgrund zu geringer Lohndifferenzen

Am zweithäufigsten sehen die Kommentatoren in der hohen Arbeitslosigkeit ein

Resultat der fehlenden Lohnflexibilität (für die ebenfalls die Gewerkschaften

verantwortlich gemacht werden). Die meisten Kommentare beziehen sich in ihrer

Argumentation dabei insbesondere auf den Ausbau eines Niedriglohnsektors: Die

Kritik an den Gewerkschaften lautet hier vor allem, sie würden mit ihrer Weigerung,

einer stärkeren Lohnspreizung zuzustimmen vor allem Geringqualifizierte und

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Langzeitarbeitslose ausgrenzen. So kommentiert das HB: �Solange die

Sozialabgaben auf dem derzeitigen Niveau verharren, und die Gewerkschaften sich

einer stärkeren Spreizung der Löhne verweigern, wird sich die Situation auf dem

Arbeitsmarkt nicht zum Positiven wenden." (HB, 15.8.) Und am 29. August schreibt

dieselbe Zeitung: �Die Gewerkschaften werden nur dann wieder als

Interessensvertretung akzeptiert, wenn sie endlich etwas gegen die wachsende

Arbeitslosigkeit tun. Das Grundgesetz weist ihnen dabei eine eindeutige Aufgabe zu:

die Lohnfindung. Aktuell heißt das für sie vor allem, den Exodus einfacherer Jobs ins

Ausland zu stoppen, indem sie niedrigere Löhne für Geringqualifizierte zulassen.

Werden die Gewerkschaften ihrer Verantwortung nicht bewusst, dürfen sie sich nicht

wundern, wenn ihnen die Politik schon bald das Mandat entzieht." (HB, 29.8.)

Einige wenige Kommentatoren weiten ihre Kritik an der zu geringen Flexibilität auch

generell auf andere Bereiche als den Lohn aus. Auch hier sind die Gewerkschaften

der Adressat: So schreibt der Tagesspiegel vom 31. Juli, dass der Arbeitsmarkt

insgesamt zu unflexibel ist. Er atme nicht und könne sich dem konjunkturellen Auf

und Ab nicht anpassen, �weil starre Tarifregeln, Kündigungsschutz, hohe

Einstiegslöhne und überflüssige Vorschriften verhindern, dass die Beschäftigung in

den Betrieben der Auftragslage schnell angepasst werden."

3.4.2. Gewerkschaften wollen keine Lösung des Problems

Ein weiterer Vorwurf, mit dem Gewerkschaften sich auseinandersetzen müssen,

lautet, sie seien an der Lösung des Arbeitslosigkeitsproblems nicht interessiert. Die

meisten Kommentare sind sich einig, dass Gewerkschaften ausschließlich die

Interessen ihrer arbeitenden Mitglieder vertreten. �Die Arbeitslosigkeit liegt dagegen

nicht in ihrem Blickfeld�, schreibt die ZEIT vom 9. Januar als eine von vielen. Am

deutlichsten beschreibt die FTD den Interessenskonflikt der Gewerkschaften

zwischen ihren Mitgliedern und Arbeitslosen: �Er (Jürgen Peters; die Verf..) sieht sich

ausschließlich als Anwalt seiner Mitglieder. Wer Beiträge zahlt, genießt Schutz. Wer

nicht dabei ist, darf nicht auf ihn zählen. Selten zuvor hat ein IG-Metall Chef den

Konflikt zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen so unmissverständlich auf den Punkt

gebracht: Die Gewerkschaften sind für Arbeitsplatzinhaber da, wer seine Arbeit

verliert, verliert auch seine Stimme.� (FTD, 14.7.)

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Einige Kommentatoren gehen sogar soweit, den Gewerkschaften ein bewusstes

Täuschungsmanöver an der Bevölkerung zu unterstellen. So schreibt die FTD: �Vor

allem hat die Bevölkerung erkannt, welche Mär die Behauptung ist, dass die

Gewerkschaften mit ihrem Widerstand gegen Reformen auf dem Arbeitsmarkt den

�armen Arbeitslosen� Gutes tun wollen." (FTD, 10.7.) Ähnlich auch die ZEIT:

�Jahrzehntelang war es den Gewerkschaften (wie den anderen Machtverbänden)

gelungen, ihre eigenen, eigensüchtigen Interessen ins Mäntelchen des Gemeinwohls

zu hüllen. (...) Irgendwie müssen die Leute erkannt haben, dass die Metaller in

Wahrheit für die Zerstörung weiterer Arbeitsplätze in Ostdeutschland streiken....�

(ZEIT, 3.7.)

3.4.3. Gewerkschaften bieten nur veraltete und falsche Lösungen

Mit dem Vorwurf an die Gewerkschaften, nicht an der Lösung interessiert zu sein,

geht parallel die Kritik an Gewerkschaftskonzepten zur Lösung des

Arbeitslosenproblems. Vorschläge seitens der Gewerkschaften, die auf eine

Umverteilung der Arbeit zielen, werden oft als nicht mehr zeitgemäße, veraltete

Lösungen bezeichnet oder als wissenschaftlich längst widerlegt und/oder falsch

dargestellt. Eine typische Haltung der Kommentatoren ist es, den Gewerkschaften

(meist in personalisierter Form: den Funktionären) Wirtschaftskompetenz und -

kenntnisse abzusprechen. Insgesamt setzen sich jedoch nur überraschend wenige

Kommentare mit gewerkschaftlichen Vorschlägen zur Lösung des Arbeitslosen-

problems auseinander.

Insbesondere Lösungsansätze, die in einer Umverteilung von Arbeit bestehen,

werden zumeist als �utopisch�, �von gestern�, oder �realitätsfern� (vgl. etwa FTD,

15.1.) abqualifiziert. Dabei wird die Theorie der begrenzten Menge an Arbeit21 dem

Gewerkschaftslager zugeschrieben und als ökonomisch falsch bezeichnet. Mit

�Sommers Welt" überschreibt die FTD vom 15. Januar ihren Kommentar zum

Vorschlag des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer, durch Teilzeitarbeit bzw.

Verkürzung mehr Arbeitsplätze zu schaffen. �Der Vorschlag wird wenig bewegen,

aber er sagt viel über das realitätsferne Weltbild der Gewerkschaftsführung. (...) Die

Tätigkeit von Fach- und Führungskräften ist zudem oft nur schwer teilbar." Und

weiter: �Sommers Pakt für Beschäftigung geht stattdessen von der Vorstellung aus,

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Arbeit - und Arbeitslosigkeit - könnten doch unter einer größeren Anzahl von

Menschen aufgeteilt werden. Alle könnten ein bisschen arbeiten, wenn alle auch ein

bisschen arbeitslos sind, sprich: sich zeitweise von ihrem Job zurückziehen. Eine

dynamische Wirtschaft, die neue Jobs schafft, kommt in diesem Modell nicht vor. Sie

wird auch zuverlässig verhindert." Kritisch dazu auch dieselbe Zeitung am 10 Juli:

�Auf dem Prüfstand ist auch das Gewerkschaftsmantra von der begrenzten Menge

an Arbeit, die nur umverteilt werden müsse, damit die Arbeitslosigkeit sinkt. Es liegt

dem Kampf um die 35-Stunden-Woche zu Grunde und wurde für alle sichtbar in

Ostdeutschland ad absurdum geführt. Selbst Metallarbeitern in den ostdeutschen

Bundesländern war klar, dass ein solcher Ansatz eher zum Jobverlust führt." (FTD,

10.7.)

3.4.4. Exkurs: Die Ausbildungsplatzabgabe

Angestoßen wurde eine erneute Debatte um eine gesetzlich verordnete

Zwangsabgabe, mit der ausbildungsunwillige Betriebe bestraft werden sollen, zuerst

durch Bundeskanzler Schröder, der in seiner Regierungserklärung vom März 2003

mit der Abgabe drohte. Später wurde die Diskussion erneut aufgenommen durch die

SPD-Fraktion und ihren damaligen Fraktionsführer Müntefering. Es handelte sich

dabei jedoch hauptsächlich um eine strategisch motivierte Offensive - es galt die

Partei-Linke und die Gewerkschaften vor dem Parteitag der SPD zu besänftigen. Die

Gewerkschaften fordern schon lange die Ausbildungsplatzabgabe. Wie kaum ein

anderes Thema ist der Lehrstellenmangel � geht es doch dabei um die Arbeitslosen

von morgen - mit emotionaler und symbolischer Wirkkraft besetzt.

Dennoch fanden die Gewerkschaften mit ihrer Forderung, Betriebe, die zu wenige

Lehrlinge ausbilden, mit einer Ausbildungsplatzabgabe zu belegen weitgehend keine

Verbündeten. Die mediale Berichterstattung über die Ausbildungsplatzabgabe ist ein

weiterer Beleg dafür, auf wie wenig Zustimmung gewerkschaftliche Vorschläge in

den Medien 2003 stoßen. Ein nicht geringer Teil der Kommentatoren schreiben die

Brisanz des Thema eher klein und sehen den Ruf der Gewerkschaften nach einer

Ausbildungsplatzabgabe als verfehlt an. �Die Gewerkschaften warnten vor einer

Lehrstellenkatastrophe. Ein halbes Jahr später ist dieses Horrorszenario

zusammengebrochen. Die Lehrstellenlücke ist auf 20 000 geschrumpft. 95 Prozent

21 Ein hierfür gern zitiertes Bild ist: Arbeit als Kuchen, der nur einmal verteilt werden kann.

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der Lehrstellenbewerber haben einen Ausbildungsplatz. Doch wer glaubt, damit sei

das Gespenst verschwunden, sieht sich getäuscht.� (Welt, 6.11.)

Die überwiegende Mehrheit in der Printpresse kommentiert jedoch die politisch

strategische Funktion der Ausbildungsabgabe und versteht sie als lästige

Konzession an die mächtigen Gewerkschaften. �Mit der Realität und den Problemen

auf dem Lehrstellenmarkt hat diese Politik nichts mehr zu tun. Gedacht war des

Kanzlers Drohung als Bonbon für die SPD-Linke und die Gewerkschaften, denen die

Agenda 2010 etliche Grausamkeiten zumutete. Diese Funktion hat sie auch heute

noch�. (Welt, 6.11.) Auch das HB sieht keinen Sinn in einer Abgabe, es sei denn den

des politischen Kuhhandels willen: �doch wenn er auf dem Parteitag seine Agenda

durchbringen will, muss er wohl oder übel den Preis an Linke und Gewerkschaften

zahlen, die sich damit eine jahrzehntelangen Traum erfüllen können.� (HB, 6.11.)

Laut FAZ vom 11. September würde sich die Situation auf dem Lehrstellenmarkt

durch eine Abgabe eher verschlechtern: �Ginge es nach dem Kanzler und seinem

Wirtschaftsminister wäre die Idee auch schon längst begraben. Denn beide wissen,

dass eine solche Abgabe die Lage auf de Lehrstellenmarkt noch verschlechtern

würde. (...) Dennoch könnte sich Schröder � um die vermeintliche �soziale Balance�

zu wahren - veranlasst fühlen, dem Drängen der Parteilinken und der Gewerkschaf-

ten auf eine Ausbildungsabgabe nachzukommen.�

Fast durchwegs werden die Gewerkschaften in dieser Debatte als unkooperativ und

interessengeleitet dargestellt. Das HB ist der Meinung, dass es Gewerkschafts-

vertretern vor allem darum geht, �per Ausbildungsplatzabgabe die Kontrolle über die

Berufsausbildung von den Unternehmen weg und hin zum Staat zu verlagern.� (HB,

10.10.) Ein ähnliches Motiv sieht auch die FAZ: �Denn eine Abgabe hätte -

abgesehen von den kontraproduktiven ökonomischen Wirkungen � vor allem einen

Effekt: Sie würde die Gewerkschaften von der Verantwortung befreien, aus eigener

Kraft für ein hinreichendes Lehrstellenangebot zu sorgen.� (FAZ, 11.9.)

In die Kritik geraten die Gewerkschaften auch wegen der Kurz-Ausbildungen.

Mehrere Kommentare beklagen die zu langen Ausbildungszeiten, für die die

Gewerkschaften plädieren. Auch hier sind sie wieder dem Vorwurf ausgesetzt, gegen

die Interessen der Betroffenen zu handeln und auf �stur zu stellen�, wie es das HB

vom 29. Juli (vgl. auch HB, 10.10.) formuliert. Dabei müsste es doch eigentlich laut

HB �im ideologisch aufgeladenen Kleinkrieg zwischen Gewerkschaften und

Arbeitgebern um die zweijährige Kurzausbildung� (...) �weit weniger um handfeste

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eigene Interessen� gehen �als um die Jugendlichen selbst.� (HB, 29.7.) Selbst eine

Schmalspurausbildung sei in diesen Zeiten besser als keine.

In eine ähnliche Richtung, aber noch einen Schritt weiter, geht die Kommentatorin

des HB vom 6. November, indem sie den Gewerkschaften indirekt selbst schuld für

die zu geringe Zahl an Ausbildungsplätzen gibt. Sie schreibt: �Auch die Tarifverträge

über die in einzelnen Branchen abschreckend hohen Lehrlingsvergütungen haben

die Arbeitgeber selbst unterschrieben.� (HB, 6.11.). Und die FTD fordert von den

Gewerkschaften statt �nutzloser Appelle�, dass �Lehrlinge auf einen Teil ihres

Gehalts verzichten dürfen. Die Lehrlingsgehälter und Prüfungsgebühren sind

angesichts der momentanen Konjunkturkrise zu hoch.� (FTD, 29.7.)

Im Gegensatz zu den Gewerkschaften wird die Wirtschaft in der Mehrzahl der

Kommentare als �kooperativ� dargestellt. �Anders als von Gewerkschaftlern

unterstellt, ist in den Unternehmen sowie bei den Industrie und Handelskammern

(IHK) und Handwerkskammern die Bereitschaft gewachsen, das System der dualen

Ausbildung einer Prüfung zu unterziehen. Erstmals deutet sich sogar ein gewisser

Wille der Wirtschaft an, kollektiv die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass alle

Schulabgänger ausgebildet werden.� (HB, 10.10.)

In der Diskussion um die Ausbildungslage stechen drei Kommentare hervor, die zwar

nicht die von den Gewerkschaften geforderte Ausbildungsumlage befürworten, doch

den Vorstoß der Gewerkschaften begrüßen und Handlungsbedarf anerkennen. Die

Berliner Zeitung vom 29. Januar leitet ihren Kommentar mit dem Satz ein: �Der

deutsche Gewerkschaftsbund hat Recht: Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt ist

besorgniserregend.� Allerdings folgt dem Lob sogleich die Kritik, dass es nicht weiter

hilft, den Arbeitgebern die alleinige Schuld in die Schuhe zu schieben, wie dies

Gewerkschaften tun würden. Sie müssten sich vielmehr �fragen lassen, ob sie nicht

selbst zur Lehrstellenmisere beigetragen haben�. Die SZ vom 9. Oktober sieht

ebenfalls ein �Drama der Lehrstellen� (Überschrift) und beschäftigt sich mit dem

Vorschlag des DGB, Ausbildungsplätze durch Umlage der Kosten auf alle

Unternehmen zu finanzieren. �Vieles spricht für eine solche Lösung�, pflichtet der

Kommentator den Gewerkschaften bei. �Weil Ausbildung für den einzelnen Betrieb

teuer sein kann, sollten sich alle an der Finanzierung beteiligen. Das wäre gerecht

und praktikabel.� Statt jedoch nach dem Gesetzgeber zu rufen, sollten die

Gewerkschaften lieber nach dem Vorbild am Bau mit den Arbeitgebern

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Branchenfonds zur Finanzierung der Ausbildung einrichten. Bemessungsgrundlage

für die Zahlungen der Betriebe könnte deren Wertschöpfung sein, so die SZ.

Einzig die FR vom 10. Oktober widmet einen längeren Meinungsbeitrag dem

Problem der fehlenden Qualität der Ausbildung, nicht nur den fehlenden Lehrstellen,

der von der Gastkommentatorin Ingrid Sehrbrock, Mitglied des Bundesvorstand des

DGB, verfasst wurde.

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4. Das mediale Bild der Gewerkschaften

4. 1. Interpretation der Ergebnisse

4.1.1. Häufigkeiten und Tendenzen

Zunächst gilt festzuhalten, dass kein Medium die Gewerkschaften als Gegenstand

der Kommentierung vollständig ignorieren kann. Im wesentlichen wird über

Gewerkschaften berichtet, wenn sie entweder schlagzeilenträchtige Meldungen

möglich machen (Streik, Machtmissbrauch) oder gesellschaftlich relevante Themen

auch die Gewerkschaften betreffen. Die Hälfte (etwa 120) aller von uns gefundenen

Meinungsbeiträge bezog sich auf die Gewerkschaften allgemein, im einzelnen

wurden zumeist deren momentane Krise oder Zukunft thematisiert. Die andere Hälfte

behandelte Gewerkschaften im Zusammenhang mit den von uns in Punkt 3

dargestellten Themenschwerpunkten.

Auf die Frage, wer denn nun am häufigsten über Gewerkschaften berichtet, lässt sich

folgende Einteilung machen. Häufig berichten die Frankfurter Rundschau, die

Financial Times Deutschland, Die Welt und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Eine

durchschnittliche Kommentierung finden wir in der ZEIT, dem Neuen Deutschland,

der Süddeutschen Zeitung, dem Tagesspiegel und der Berliner Zeitung. Am

wenigsten berichten die tageszeitung, die BILD, die Stuttgarter Zeitung und die

großen Magazine wie Focus, Spiegel, Stern oder die Wirtschaftswoche. Letztere

kommentieren und berichten v.a. über gewerkschaftliche Themen im Zusammen-

hang mit einem (unterstellten) Machtmissbrauch. Die zumeist sehr langen Artikel

gehen dabei äußerst scharf mit den Gewerkschaften ins Gericht und polemisieren

zum Teil gegen ihre Politik und ihren Einfluss.

Wenn man die Tendenz der herangezogenen Printmedien in fünf Stufen von Positiv

bis zu Negativ einteilt, kommt man zu folgender Kategorisierung: Ausschließlich

positiv berichtet kein einziges Printmedium, als einzige Zeitung überwiegend positiv

das Neue Deutschland. Relativ neutral ist die Frankfurter Rundschau (insbesondere

durch ihre häufigen Experten-Kommentare), die BILD-Zeitung22, der Tagesspiegel

22 Interessanterweise ist es die BILD-Zeitung, die öfters prekäre und unzumutbare

Arbeitsverhältnisse thematisiert. Als selbsternannte Stimme des �kleinen Mannes� oszilliert die BILD-Zeitung zwischen der Befürworterin einer harten ökonomischen Praxis und beklagt

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und die Berliner Zeitung. Überwiegend Negativ dagegen die Kommentare in Der

ZEIT, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung und auch der

tageszeitung. Ausschließlich negative Kommentare finden wir in: Financial Times

Deutschland, Spiegel, Handelsblatt, der Wirtschaftswoche und dem Focus.

Insbesondere eine nur flüchtige Übersicht der Titel der von uns etwa 260

untersuchten Artikel zeigt sofort die negative und vielfach polemische Haltung der

Presse gegenüber den Gewerkschaften.23

Manche Zeitschriften wie die Frankfurter Rundschau, die Süddeutsche Zeitung, die

tageszeitung, BILD, das Neue Deutschland oder das Handelsblatt lassen des öfteren

Experten kommentieren, vereinzelt auch Gewerkschafter oder gewerkschaftsnahe

Wissenschaftler (insbesondere Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung und

Neues Deutschland). Die Frankfurter Rundschau widmete 2003 eine achtteilige Serie

den �gängigen Vorurteilen� zu Tarifverträgen, die sehr differenzierte Beiträge von

Gastkommentatoren beinhaltete und in der Süddeutschen Zeitung wurde eine

mehrteilige Serie zum Kündigungsschutz abgedruckt.

Es fällt weiter auf, dass es keine speziell auf Gewerkschaftsthemen angesetzten

Kommentatoren innerhalb einer Zeitung zu geben scheint. Für die Printmedien hat

der ehemalige Pressesprecher des DGB, Hans-Jürgen Arlt, folgende Beobachtung

gemacht: �Hier sinkt zum einen die Zahl der kontinuierlichen Gewerkschafts-

beobachter, die Redaktionen selbst haben tendenziell nur noch Interesse an

punktuellen Kontakten, nämlich immer dann, wenn gewerkschaftliches Tun oder

Unterlassen schlagzeilenträchtig wird.� (Arlt 1998, S. 219) Auch wenn viele

verschiedene Kommentatoren in den jeweiligen Medien zu Wort kommen, lässt sich

dennoch festhalten, dass einige wenige Journalisten sehr häufig über

Gewerkschaftsthemen schreiben. Namen, die in der Auswertung immer wieder

auffielen, sind insbesondere: Christoph Keese (FTD), Nico Fickinger (FAZ), Robert

Jacobi, Jonas Viering (beide SZ) oder etwa Christoph Schilz (Welt)

Da die Printmedien über keine eigenen Ressorts verfügen, die sich mit den

Gewerkschaften auseinandersetzen, lässt sich eine Angliederung gewerkschaftlicher

Themen im wesentlichen an die Wirtschaftsredaktionen beobachten. Das Feld des

gleichzeitig aber auch ihre negativen Auswirkungen. Dass dies bisweilen in ein und derselben Ausgabe erfolgt, legt den Schluss nahe, dass BILD durch das Fehlen einer geschlossenen �Ideologie� definiert ist. Alle Themen haben prinzipiell Platz, sofern sie verkaufsfördernd (sprich emotionalisierend) wirken.

23 Siehe dazu die kleine Auflistung von Überschriften in Kap. 4.4. und die Literaturliste im Anhang.

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Kommentars ist so überwiegend den Wirtschaftsredakteuren überlassen worden. Als

Wirtschaftsthema �wird die Gewerkschaftspolitik, wie alle Politik, primär als

Kostenfaktor behandelt.� (Arlt 1998, S. 118) So bleibt im wesentlichen die Frage

bestehen, ob die von den Gewerkschaften forcierte Politik bereits die

�Schmerzgrenze� in Punkto Arbeitskosten für Unternehmen, Wirtschaft und

Gesellschaft überschritten hat. Die überwiegende Mehrheit der Presse antwortet

darauf mit einem Ja.

Was die von uns analysierten Themen betrifft, lassen sich durchaus Abstufungen in

der Bewertung finden. Während die Themen rund um den Flächentarifvertrag und die

Arbeitszeitflexibilität durchaus noch eine relativ ausgewogene Kommentierung

erfahren, werden sowohl die Themen Kündigungsschutz als auch Arbeitslosigkeit

fast ausschließlich negativ mit den Gewerkschaften verbunden. Diejenigen

Kommentare, die sich mit den Gewerkschaften an sich (Personal, Zukunft, Krise)

beschäftigen, sind darüber hinaus noch weitaus einheitlicher in ihrer negativen

Beurteilung.

Eine mögliche Ursache für die Ablehnung gewerkschaftlicher Politik und ihrer

Anliegen könnte in der Arbeitsrealität der Journalisten selbst begründet sein. In den

meisten Fällen arbeiten Redakteure und insbesondere freie Journalisten innerhalb

flexibler Verhältnisse. Wie bei allen �Symbolanalytikern24�(Reich 1997, S. 189ff.) ist

die Trennung von Arbeit und Freizeit tendenziell aufgehoben. Mit den Forderungen

der Gewerkschaften bezüglich der Arbeitszeiten und Arbeitsverhältnisse können sie

sich deshalb selten identifizieren25. Schon aus diesem persönlichen Grund halten sie

eine Arbeitnehmervertretung für veraltet und inadäquat.

24 Der zitierte Autor Robert Reich, Arbeitsminister der Regierung Clinton, unterscheidet drei

Hauptkategorien von Arbeit: routinemäßige Produktionsdienste, kundenbezogene Dienste und symbolanalytische Dienste. Für Menschen, deren Arbeit darin besteht, Symbole, also Sprache, Zeichen, Schrift oder Information zu �manipulieren�, findet Arbeit überall da statt, wo sich Menschen austauschen. Ob Mediendesigner, Rechtsanwälte, Journalisten oder Psychoanalytiker, für sie alle bedeutet Arbeit mehr als nur die individuelle Reproduktion über einen Arbeitslohn. Auch Jeremy Rifkin verwendet in seinem bekannten Buch Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft den Begriff des Symbolanalytikers für die Kennzeichnung der neuen Arbeitseliten.

25 Gerade einmal sechs Prozent der befragten Journalisten bekunden, sie verstünden das Gebaren der Gewerkschaften im Streit um die 35-Stunden-Woche. (siehe dazu FAZ, 1.7.)

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4.1.2. Adressat

Wer ist nun der Hauptadressat, an den sich die Botschaft richten soll? Und für wen

wird überhaupt gesprochen? Wie schon in der Darstellung der Kernthemen mehrfach

betont, sind es insbesondere die Arbeitslosen und Steuerzahler, für die die Medien

sprechen wollen. Da jeder von uns heute potenziell arbeitslos werden kann und

(beinahe) alle Steuern zahlen, sind diese beiden Gruppen emotional am besten dazu

geeignet, inhaltliche Positionen zu begründen. Neben diesen beiden psychisch hoch

besetzten Gruppen sind es Unternehmer und Selbstständige, die für die Medien die

Leidtragenden gewerkschaftlicher Politik sind. Auch sie erhalten in den Medien einen

Fürsprecher und eine Lobby. Seltener nehmen die Printmedien auch die Perspektive

von Kindern und Jugendlichen ein, deren Zukunft meistens in düsteren Farben

gemalt wird. Die Printmedien wollen also für die �Schwächsten� sprechen.

Arbeitnehmer gehören eben nicht zu dieser Gruppe und werden ohne

Unterscheidung ihrer wirklichen Arbeitsverhältnisse als Starke definiert (siehe dazu

auch Punkt 4.3) .

Insbesondere Frauen und die große Zahl an prekär Beschäftigten kommen praktisch

nicht als Referenzfiguren in den Kommentaren vor. Ein weiteres Ergebnis ist: Wie die

Arbeitswelt real aussieht und für den Einzelnen aussehen kann wird nicht verhandelt.

Es ist zu vermuten, dass die sozialen Verschiebungen der neuen Arbeitswelt in den

Medien längst akzeptiert sind und als notwendige Effekte der Globalisierung

erscheinen. So wird über die tatsächlichen Arbeitsbedingungen von Arbeit-

nehmer/innen in Deutschland, die insbesondere für Frauen oftmals prekär sind,

nichts mitgeteilt. (Eine Ausnahme stellt höchstens das Neue Deutschland dar). Die

Akzeptanz der neoliberalen Theoreme und ihrer Logik wird nur selten hinterfragt und

wenn, dann im wesentlichen im Zusammenhang mit ökonomischen Zweifeln über

ihre Auswirkungen auf dem globalen Arbeitsmarkt. Nur einzelne externe

Kommentatoren (zumeist gewerkschaftsnahe) verweisen explizit auf die sozialen

Folgen einer hemmungslosen Durchsetzung ökonomischer Prinzipien. Zumindest

wird also Gegenstimmen, wenngleich sehr begrenzt, Raum gegeben.

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4.1.3. Themensetzung

Grundsätzlich folge die Pressedarstellungen über Gewerkschaften einer einfachen

Botschaft, schreibt Hans-Jürgen Arlt im Jahr 1998: �Als Information wird vermittelt,

dass die Gewerkschaft Arbeitnehmerinteressen entweder zu stark oder zu schwach

wahrnimmt und entsprechend Wirtschaftsinteressen zu wenig oder zu stark

berücksichtigt.� (Arlt 1998, S. 117) Letzteres Argument, die Gewerkschaften würden

ihre Politik zu sehr an wirtschaftlichen Interessen orientieren, lässt sich im

Untersuchungszeitraum 2003 in keinem einzigen Kommentar finden. In den letzten

fünf Jahren scheint sich also einiges zuungunsten der Gewerkschaften verschoben

zu haben.

Die in den Medien schließlich lancierten Themen sind im wesentlichen konjunktur-

abhängig und werden in den überwiegenden Fällen von der Tagespolitik und weniger

von Arbeitgeberseite, geschweige denn von den Gewerkschaften gesetzt. So wurde

z. B. die Debatte um den Kündigungsschutz durch den SPD-Minister Clement

ausgelöst. Auch die Arbeitszeitdebatte rückte erst durch Angela Merkels Forderung

nach längeren Arbeitszeiten in den Mittelpunkt des medialen Interesses. Seltener

schaffen die Wirtschaft oder einzelne Unternehmen Fakten (etwa Standortver-

lagerung), auf die die Politik reagieren muss.

Allgemein lässt sich folgendes Schema für die Themensetzung festhalten: einzelne

Politiker testen stellvertretend aus, was gesellschaftlich auf Akzeptanz stößt und was

nicht. Ist die Empörung zu groß, wird oftmals der Versuchsballon zurückgenommen

und später wieder ins Spiel gebracht. Auf eines können sich die Protagonisten

jedoch verlassen: Die Gewerkschaften reagieren zunächst mit einem reflexhaften

Nein und machen erst bei zu hohem öffentlichen Druck Abstriche und

Zugeständnisse. Selten jedoch setzen sie eigene Themen und wenn ja, werden sie

in der Öffentlichkeit praktisch nicht wahrgenommen. Als etwa der VW-Personalchef

Peter Hartz im September für ein neues Lebensarbeitskonzept (Welt, 7.10.) plädiert,

griff er einen Gedanken der Gewerkschaften auf. So hatte etwa der Verdi-

Fachbereichsleiter Walter Lochmann26 schon Monate zuvor in der FR denselben

Gedanken geäußert. Am 19. September behaupten SZ und HB unisono: �Hartz geht

in die richtige Richtung!� Im Gegensatz dazu fand Lochmanns Vorstoß keinen

26 Walter Lochmann ist der Leiter des Fachbereichs 5, Bildung, Wissenschaft und Forschung des

Verdi Landesbezirks Hessen.

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größeren medialen Widerhall. Dieser Einzelfall reflektiert eine allgemeine Tendenz

der Berichterstattung über Gewerkschaften: �Negative� Nachrichten, wie etwa Streiks

oder hohe Lohnforderungen, werden breit thematisiert, während über

gewerkschaftliche Initiativen, Kompromisse oder differenzierte Gegenvorschläge

kaum berichtet wird.

Soziokulturelle Themen sind entgegen unserer ursprünglichen Erwartung relativ

selten vorhanden und finden auch keinen Niederschlag in den Feuilletons der

Presse. Die Zukunft der Arbeitsgesellschaft und insbesondere die Identitäts-

problematik einer veränderten Arbeitskultur sind auf einzelne, zumeist sehr

reflektierte Beiträge, beschränkt. Daneben werden auch Themen wie

Selbständigkeit, neues Unternehmertum oder die im letzten Jahr vielzitierten Ich-AGs

ebenfalls erstaunlich selten aufgegriffen. Diese Lücke hängt sicherlich auch mit

unserer Auswahl zusammen, die Magazine wie etwa brand eins, das im Schnittpunkt

von Arbeit, Kultur und Lifestyle angesiedelt ist, nicht berücksichtigt, da sie keinen

direkten Bezug zu den Gewerkschaften herstellen. Für die Elite der heutigen

Arbeitsgesellschaft, die �Symbolanalytiker, kommen Gewerkschaften als spezielles

Thema nicht vor. Hier sind sie als Realität, mit der man sich auseinander setzen

müsste, eigentlich auch nicht mehr vorhanden.

4.2. Haupteinwände gegen Gewerkschaften

Aus der Medienanalyse ergeben sich einige allgemeine Argumentationsmuster, mit

denen Gewerkschaften sich auseinandersetzen müssen, wollen sie in Zukunft ihr

Image wieder verbessern. Insbesondere die Diskussion, dass es sich bei den

Gewerkschaften um eine �geheime Macht� innerhalb des Staates handele, die

Reformen auf dem Arbeitsmarkt verhindere, sind schwer zu widerlegen. Genau

deswegen gefährden sie jedoch das gewerkschaftliche Image. Da der Mangel an

Geheimnis in einer Demokratie stets Verschwörungstheorien begünstigt, werden

Bilder einer im Dunklen agierenden Kraft gerne akzeptiert.

Es lassen sich folgende vier Hauptvorwürfe an die Gewerkschaften von Seiten der

Kommentatoren unterscheiden: Erstens die mangelnde Repräsentation, zweitens die

Nicht-Anerkennung der Realitäten, drittens das Glaubwürdigkeitsdefizit und viertens

der Machtmissbrauch. Alle genannten Vorwürfe, mit Ausnahme der Realitätsver-

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leugnung sind nicht neu. Neu ist allerdings, dass alle Argumente gegen die

Gewerkschaften heute gleichzeitig erhoben werden und so in ihrer Massivität und

Häufigkeit auf ein verändertes Verhältnis der Presse zu den Gewerkschaften deuten.

4.2.1. Repräsentationsproblem

Wie jede Gruppe in der Gesellschaft, die im Namen aller (hier der Arbeitnehmer)

sprechen will, ziehen auch die Gewerkschaften den Vorwurf auf sich, nur eine kleine

(meist mit privilegiert gleichgesetzte)27 Minderheit zu vertreten. Die Masse der

Arbeitnehmer habe einem Edukationismus längst abgeschworen. Mit dieser

Begründung wird unmittelbar eine Interessensvertretung für Arbeitnehmer an sich

abgewertet. Die Idee einer kollektiven Repräsentation wird als ein Modell der

Vergangenheit vorgeführt: �Verdi riskiert, sich in eine gesellschaftliche Isolation zu

manövrieren. Es ist doch nicht so, dass die Gewerkschaften heute noch per se die

Mehrheit der Bevölkerung und auch nicht die Mehrheit der Arbeitnehmer vertreten.�

(Focus 9.6.)

Am schwersten aber wiegt das in der Presse meist genannte Argument, dass die

Gewerkschaften nur Arbeitsplatzbesitzer verträten. Arbeitslose schlössen sie

aufgrund ihrer Klientelpolitik sogar vom Arbeitsmarkt aus.28 �Ihre Funktionäre

vertraten einseitig die Interessen der abnehmenden Zahl der Arbeitsplatzbesitzer.

Sie sperrten die immer weiter steigende Zahl der Arbeitslosen einfach aus.� (Wams,

3.8.) Auf den Widerspruch zwischen Interessensvertretung und einer allgemeinen

Repräsentationsidee verweist ein Kommentar in der SZ: �Der scheinbar stichhaltigste

Vorwurf an die Bsirskes und Zwickels dieser Republik lautet, dass sie sich nur um die

Arbeitnehmer, nicht aber um die Arbeitslosen kümmern. (...) Als Interessensgruppen

27 Der Tagesspiegel vom 6. Februar kommentiert: �Wie kann man als Linker am Tag, an dem die

neue Arbeitslosenzahl von 4,6 Millionen bekannt gegeben wird, Arbeitslose, Arbeitnehmer und Rentner in einen Topf werfen? Wer Arbeit hat, ist heute privilegiert. Wer das Arbeitsleben hinter sich hat, erst recht. Die Rentner von heute gehören ganz überwiegend zur privilegierten Generation.�

28 Dass inzwischen sogar die FDP zu einer Arbeitslosenpartei geworden ist, zeigt die symbolische und gleichzeitig inhaltlich beliebige Bedeutung dieses Arguments. So argumentierte der sich durch massive Gewerkschaftsschelte 2003 in Szene setzende FDP-Chef Guido Westerwelle in einem Interview mit der BILD-Zeitung: �Ich lasse mich im Interesse der Arbeitslosen nicht beirren.� (in Bams, 2.3.) Die FDP auf dem Weg zu einer Massenpartei? Zumindest rhetorisch macht sie sich zum Anwalt der Arbeitslosen, d.h. konkret zum Anwalt der �Opfer� rot-grüner und gewerkschaftlicher Politik.

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vertreten sie ihre Mitglieder, und das sind vor allem Arbeitnehmer, nicht Arbeitslose.

Genau dieses Faktum führt die Gewerkschaften ins Dilemma. (SZ, 5.4.)

Die Gewerkschaften insgesamt stehen für eine Machtpolitik, die in den Augen vieler

Kommentatoren als erpresserisch erscheint, und zwar: �für Arbeitsplatzbesitzer

gegen Arbeitslose, für Rentner gegen die Jüngeren. Diese Linken und

Gewerkschafter schützen nicht die Schwachen, sie nehmen sie vielmehr als Geiseln,

um die Interessen Starker durchzusetzen�, kommentiert der Tagesspiegel unter der

Überschrift �Reaktionäre von Links�. (Tages, 6.2.)

Ähnlich argumentiert auch der Ökonom Wolfgang Franz in der WiWo: �Denn die

Gewerkschaften machten knallharte Klientelpolitik für Arbeitsplatzbesitzer � zu

Lasten der über vier Millionen Arbeitslosen.� (WiWo, 13.2.) Und die Berliner Zeitung

sieht nur eine klare Linie in der gewerkschaftlichen Politik: �Was auch immer die

Gewerkschaften forderten und verlangten, folgte stets einem Grundsatz: im Zweifel

zum Nutzen derjenigen, die (noch) einen Arbeitsplatz haben.� (Berliner, 6.3.)

Neben den Arbeitslosen sind es die Arbeitnehmer selbst, die als Argument gegen die

Repräsentationslogik aufgeführt werden. Die gewerkschaftliche Politik führe immer

mehr zu einer Abwendung ihrer Basis. �Was an der Basis für die Beschäftigten oft

eine Frage des Joberhalts ist, beurteilen die Funktionäre in den Zentralen nicht

selten nach dem Prinzip des System- und Machterhalts. (...) Dabei kennen mache

der fast 11.000 hauptamtlichen Gewerkschafter den Betriebsalltag nur vom

Zuschauen.� (Focus, 17.3.) Insbesondere die Diskussionen um die Agenda 2010

habe bewiesen, dass Basis- und Funktionärsinteressen längst auseinander fallen.

�Die Gewerkschaftsbasis hat sich verweigert, das hat zumindest bei einem Teil der

Spitzenfunktionäre zum Umdenken geführt. Denn platte Formeln, gegen alles und

jeden zu sein, verfangen auch bei vielen betroffenen Arbeitnehmern nicht mehr.�

(Berliner, 23.10.)29

Ein letztes Argument, warum der Repräsentationsanspruch der Gewerkschaften

heute obsolet sei, ist schließlich die Transformation der Arbeitswelt selbst. Als

wesentliches Merkmal moderner Wissensarbeit wird das Moment der Freiheit und

Individualität gesehen. �Freiheit lassen sie (die Gewerkschaften; die Verf.) nicht zu -

weder intern noch in der Volkswirtschaft", so die FTD vom 24. Februar.

29 Nur 37 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder sind einer Umfrage zufolge tatsächlich gegen die

Agenda 2010. 48 Prozent aber meinen, das Ausmaß der Veränderungen sei gerade richtig so � oder sogar, es brauche noch weiter gehende Maßnahmen. (Ergebnisse der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, zitiert nach SZ, 6.5.)

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Gewerkschaften mit ihrem Sicherheits- und Regulierungsdenken ignorierten vielfach

die Anliegen ihrer Mitglieder nach größerer Flexibilität und Selbstständigkeit. Ihre

Politik richte sich immer noch nach dem Industriearbeiter. Die FAZ sieht daher ein

gewerkschaftliches Interesse in der Wahrung der Verhältnisse: �Die Akzeptanz-

probleme der Gewerkschaften entspringen dem weit verbreiteten Eindruck, dass sie

� nicht auf der Ebene der Betriebsräte, aber auf der Funktionärsebene � den

Herausforderungen nicht ausreichend Rechnung tragen und sich aus Eigeninteresse

heraus zu Verteidigern des Status Quo machen und damit notwendige

Veränderungen erschweren.� (FAZ, 16.4.)

Aus einigen wenigen Kommentaren sind versöhnlichere Stimmen zu vernehmen. Sie

erkennen an, dass die Gewerkschaften einen äußerst schwierigen Spagat zwischen

einerseits Interessensvertretung und andererseits ihrem Anspruch Vertretung aller

Arbeitnehmer (und Arbeitsloser) zu sein, vollführen müssen. Gewerkschaften

stünden vor einem kaum zu lösenden Widerspruch und Dilemmata. Dass

Gewerkschaften deshalb nur noch einen kleinen Teil der Arbeitnehmer vertreten,

wird an und für sich nicht negativ für Gewerkschaften bewertet. Sie sollten jedoch

nicht weiter für alle sprechen und in ihrer praktischen Politik da Ausgrenzung

betreiben, wo sie Einheit forderten.

Tatsächlich ist die Kluft zwischen Mitglieder- und Arbeitsmarktstruktur in den letzten

Jahren gewachsen. Während der Anteil der Arbeiter auf dem Arbeitsmarkt bei 37

Prozent liegt, machen sie bei den Gewerkschaftsmitgliedern 64 Prozent aus.

Umgekehrt stellt sich das Verhältnis für Angestellte dar: hier sind lediglich 27 Prozent

Mitglieder einer Gewerkschaft, während sie auf dem Arbeitsmarkt 57 Prozent

repräsentieren. Gleiches gilt für Frauen und Jugendliche (Personen unter 25 Jahren),

die ebenfalls unterrepräsentiert sind. Der Eindruck, dass die Gewerkschaften im

wesentlichen eine Organisation für ältere, hauptsächlich männliche Arbeiter sind, ist

daher nicht unberechtigt (zur Mitgliederentwicklung vgl. Ebbinghaus 2003, S. 174-

204).

4.2.2. Realitätsproblem

Eine der meistverwendeten Figuren bei der Bewertung gewerkschaftlicher Politik ist

die Scheinwelt, in der sich hauptsächlich die Funktionäre bewegten. Diese

Scheinwelt kann zum einen die Vergangenheit sein (meist gleichgesetzt mit dem

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Industriezeitalter) oder zum anderen die Chimäre bestimmter sozialer Werte und

Überzeugungen. Gewerkschaftliche Politik sei geprägt von einem Abwehrreflex

gegenüber allem Neuen, das stets als bedrohlich empfunden wird. �Das Weltbild der

Gewerkschaften stammt noch aus den siebziger Jahren und ist vom Glauben an die

Globalsteuerung und an die Allmacht staatlicher Regulierung durchdrungen. (...) Die

zunehmende Individualisierung der Lebens- und Arbeitswelt nehmen sie als

Bedrohung kollektiver Vereinbarungen und nicht als Herausforderung wahr.� (FAZ,

24.10.)

Die Realität wird als Gegenbegriff zur einer idealistischen Haltung der

Gewerkschaften, die auf falschen theoretischen Annahmen basiere, angeführt. Mit

Realität sind vor allem die ökonomischen Sachzwänge gemeint, die neben einer

veränderten Politik auch neue Organisationsformen verlangten: �Verdi und die IG

Metall sind Funktionärsbewegungen, die sich standhaft der Realität verweigern und

sich mit ihren Kongressen endgültig ins Abseits manövriert haben. Statt neue

Alternativen und Protestformen zu entwickeln, kapitulieren sie vor der Lethargie der

eigenen Klientel. Die großen Gewerkschaften werden bald nur noch in der Tarifpolitik

ernst zu nehmende Akteure sein. Sie ignorieren ihre Mitglieder, und diese treten

einfach scharenweise aus." (FTD, 22.10.) Als Positivfolie werden gerne � selbst in

der konservativen Presse - globalisierungskritische Gruppen wie attac aufgeführt,

deren lose und vernetzte Organisationsstruktur der neuen Arbeits- und

Lebensrealität entspreche: �In Gruppen wie attac formiert sich derweil die AGO �

eine Außergewerkschaftliche Opposition, unbekümmert und noch nicht durch

Funktionärswirtschaft verkrustet.� (ebd.)

Der Vorwurf der Realitätsferne begegnet uns auf allen Ebenen der Bewertung

gewerkschaftlicher Politik. Am deutlichsten jedoch wird er in den Kommentaren zum

Streik um die 35-Stunden-Woche im Osten formuliert. Die IG Metall als Ganze, so

der Vorwurf, habe sich dabei von allen realen Bedingungen und vernünftigen

Lösungen verabschiedet. �Sie (die IG Metall; die Verf.) hat das Gespür für das

Notwendige und Machbare verloren. Dass ihr der Realitätssinn abhanden gekommen

ist, zeigte sich beim jüngsten Streik, als sie die Antipathie der Außenwelt unter- und

die eigene Stärke überschätzte.� (FR, 9.7.) Die Schlussfolgerung daraus kann nur

lauten: �(...) die IG Metall muss wie jetzt in der Tarifpolitik auch in der Gesellschafts-

politik endlich die Realitäten zur Kenntnis nehmen.� (FAZ, 30.6.)

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Die Kritik an der Realitätsferne wird jedoch auch relativiert. In beinahe allen Medien

finden sich Meinungsbeiträge, die klar zwischen einerseits der Rhetorik (zumeist der

Funktionäre)30 und der Praxis (zumeist der Betriebsräte) unterscheiden. Die Rhetorik

wird dabei stets als realitätsfern bezeichnet. In der Praxis, vor allem auf

Betriebsebene, wird den Gewerkschaften durchaus zugestanden, kompromissbereit

zu sein.

4.2.3. Glaubwürdigkeitsproblem

Die Gewerkschaftskrise ist vor allem auch eine Glaubwürdigkeitskrise. Diese zeigt

sich insbesondere in dem von den Medien aufgezeigtem Widerspruch zwischen

gewerkschaftlicher Rhetorik und realer Praxis. Am schwersten wiegen dabei all jene

Kommentare und Berichte, in denen die Gewerkschaften selbst als Arbeitgeber

vorgeführt werden.

Im Jahr 2003 sind mehrere, zumeist sehr polemische Beiträge zu finden, die

Gewerkschaften als Arbeitgeber portraitieren. Der Vorwurf lautet zumeist: �Die roten

Arbeitgeber� (Focus Money, 14.4.) gebärdeten sich wie die schlimmsten Kapitalisten

und nicht wie Arbeitnehmervertreter. Der Schaden für Gewerkschaften, die einen

Großteil ihrer Legitimation aus ihrem moralischen Vorsprung beziehen, ist enorm.

Indem die Medien die Widersprüche aufdecken, die sich aus der Doppelrolle als

einerseits Arbeitgeber und andererseits Arbeitnehmerinteressensvertretung ergeben,

diskreditieren sie Gewerkschaften nachhaltig als Vorbilder. Fast alle kritischen Beiträge stammen aus den großen Wochenmagazinen wie

Spiegel und Focus, nur vereinzelt auch aus Tageszeitungen. �Wenn�s ums eigene

Geld geht, wird die Gewerkschaft zum Kapitalisten�, titelten die Stuttgarter

Nachrichten. Und weiter: �Nach außen tönen und nach innen das Gegenteil tun � das

ist unglaubwürdig. Das erleben wir auch bei anderen Organisationen. Gewerk-

schaften sind schlechte Arbeitgeber. (...) Verdi ist kein Einzelfall. Ob Tarifautonomie,

Mitbestimmung oder Gleichstellung von Mann und Frau � immer wieder scheitern die

30 Stellvertretend hier die Stimme der Stuttgarter Zeitung vom 26. April: �Es sind die Sprüche

beispielsweise eines Jürgen Peters, der polarisiert, wo immer er sich von einer aufgeheizten Stimmung Vorteile erhofft. Mit Parolen wie �Millionen sind stärker als Millionäre� mobilisiert er die eigene Mitgliedschaft. In der Öffentlichkeit hält die überholte Rhetorik den Eindruck wach, dass die Gewerkschaften unfähig sind, an konstruktiven Lösungen mitzuarbeiten.�

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Gewerkschaften am eigenen Anspruch. Die Liste der Mitarbeiter, die ihre Rechtsan-

sprüche vor Gericht einklagen, ist ellenlang.� (StuttN, 28.3.)

Unter der Überschrift �Der rote Konzern� verweist auch Focus Money (14.4.) darauf,

dass die Arbeitsbedingungen in den Gewerkschaften katastrophal seien. �Schlechte

Bezahlung, die niedrigsten Lohnerhöhungen und ein besonders ruppiger Umgangs-

ton gegenüber den Mitarbeitern� (ebd.). Und der Spiegel berichtet unter der

Überschrift �Kapitalismus pur"31 im Wirtschaftsressort über ein DGB-Tochter-

Unternehmen, das �massenhaft Mitarbeiter� entlässt - �mit Methoden, die von den

Funktionären anderswo lautstark angeprangert würden.�(Spiegel, 13.10.) Einige

Tage später zieht die WiWo nach und listet auf, wo überall Gewerkschaften in

eigener Sache sich über ihre sonst verteidigten Grundsätze hinwegsetzen (WiWo,

16.10.): Kürzungen der betrieblichen Altersbezüge bei Verdi, Entlassungen beim

Berufsfortbildungswerk des DGB usw.

Gemeinsam ist all den Beiträgen, dass sie durchaus Verständnis für die

Stellenstreichungen, Lohnverzichte und Sparkonzepte der finanziell angeschlagenen

Organisationen äußern. Was die Kritiker erzürnt, ist der Widerspruch zwischen dem

Handeln im eigenen Haus und dem unverändert klassenkämpferischen Auftreten

gegenüber der Wirtschaft: �Nicht, dass die derzeit beim Deutschen Gewerkschafts-

bund (DGB), bei Verdi oder der IG Metall ablaufenden Effizienz- und Sparprogramme

betriebswirtschaftlich falsch wären, im Gegenteil�, so der Kommentar in der WiWo

vom 16. Oktober weiter. �Die aktuelle Entlassungswelle ist bedauerlich aber in

Krisenzeiten überall zu besichtigen.� (ebd.)

Auch das symbolisch hoch aufgeladene Ausbildungsplatzthema eignet sich als

günstige Plattform für die Medien, um die Doppelmoral der Funktionärsspitze zu

belegen. So berichtet der Focus vom 27. Oktober unter der Überschrift �Mit harter

Hand� über die niedrigen Ausbildungsquoten der Gewerkschaften: Die Ausbildungs-

quote in ihren eigenen Unternehmen betrage lediglich 0,8 Prozent. Im Bundesdurch-

schnitt seien aber immerhin rund 4,3 Prozent der Beschäftigten Lehrlinge. (ebd.) �Da

wirken natürlich die Rufe nach mehr Ausbildungsplätze für die meisten Beobachter

31 �Wie bei Schlecker� lautet die Überschrift eines weiteren Spiegel-Artikels im Januar 2003.

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äußerst unglaubwürdig." Das Resümee im Focus lautet: Die DGB- Gewerkschaften

trügen Mitschuld an der Verzweiflung Jugendlicher.32

Diese Glaubwürdigkeitskrise33 und die damit einher gehenden Kommunikations-

probleme nach außen sind für viele der Hauptgrund für den rapiden Rückgang der

Mitgliederzahlen seit den frühen 90er Jahren: �Aber die Arbeitnehmer-

Organisationen schleppen ihre Probleme schon lange mit � wie den Mitglieder-

schwund, gegen den man seit Jahren kein Rezept findet. Er ist Beleg dafür, dass

viele Arbeitnehmer eben keinen Sinn und Nutzen mehr in einer Mitgliedschaft sehen.

Vor allem seit dem Machtantritt von Rot-Grün können die Gewerkschaften offenbar

nicht mehr glaubhaft vermitteln, wofür sie eigentlich stehen.� (Berliner, 9.7.)

4.2.4. Machtproblem

Ein Dauerthema war die im Untersuchungszeitraum 2003 geführte Debatte um die

„Übermacht“ der deutschen Gewerkschaften. Die WiWo schreibt in einem großen

Beitrag mit dem Titel �Letztes Gefecht�: �In nahezu allen Gesellschaftsbereichen

haben sich Gewerkschafter an den Schlüsselstellen der Macht positioniert.� (WiWo,

13.2.) Wieder einmal sind es insbesondere die großen Wochenzeitungen und

Magazine, die das Thema Macht aufgreifen. So widmet der Focus unter der

Überschrift �Im Griff der Nein-Sager� einen mehrseitigen Artikel dem Machtdispositiv

der Gewerkschaften: �Mit einem Netz aus tausend kleinen Fäden überspannt die

durchorganisierte Interessensgruppe die Schaltzentralen der Republik.� (Focus,

17.3.) Diese Macht wird da besonders stark vorgestellt, wo sie im Geheimen arbeitet:

�Mal mit Protesten und Aktionen, am liebsten aber im Verborgenen beeinflussen die

Gewerkschaften schon im Vorfeld Gesetzesformulierungen.� (ebd.) Die enge

Verflechtung mit dem Staats- und Regierungsapparat thematisiert auch der Spiegel

(5.5.) unter dem Titel: �Lobby des Stillstandes�. Von den 251 SPD Abgeordneten

32 Focus spielt damit auf das aufrüttelnde Selbstmordvideo Verdis an, in dem sich junge Menschen

die Pulsadern aufschneiden, den Strick nehmen und ähnliches. Die Dienstleistungsgewerkschaft will damit auf die Ausbildungsmisere aufmerksam machen (siehe dazu ND, 28.10.).

33 Eine andere konkrete Glaubwürdigkeitskrise ist eng mit der Übernahme des Mannesman-Konzerns durch den britischen Mobilfunkgiganten Vodafone verknüpft. Der ehemalige IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel hatte die Millionenabfindungen für die Mannesman-Vorstände zwar nicht einfach �abgenickt�, sie aber stillschweigend (durch Stimmenthaltung) akzeptiert. Danach fanden sich nicht nur Zwickel, sondern die deutschen Gewerkschaften als Ganze, auf der Anklagebank wieder.

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seien 186 DGB-Mitglieder. Ausgehend von dieser Zahl wird auf die reale Macht der

Gewerkschaften geschlossen.

Die Rede von der �Gewerkschaftsrepublik Deutschland� findet sich in mehreren

Medien wieder. Mit dieser mehr an eine Verschwörungstheorie erinnernden

Bezeichnung geht die Forderung nach einer Entmachtung der Gewerkschaften

einher. Gerade weil sie in allen wichtigen Gremien notwendige Entwicklungen

behinderten, müsse sich das Land von ihrer Bürde befreien. �Deutschlands

Wohlstand wird zugrunde gehen, wenn wir die Gewerkschaftsfunktionäre nicht

entmachten,� kommentiert etwa der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle in der BILD

vom 2. März.

Mit dieser Aussage steht er nicht alleine. Machtmissbrauch ist einer der gängigsten

Vorwürfe. Zumeist ist er gekoppelt mit der These, dass die mächtigen Arbeitnehmer-

organisationen notwendige Arbeitsmarktreformen verhindern: �Sie (die Gewerkschaf-

ten; die Verf.) missbrauchen in Deutschland ihre Macht. (...) Es darf ihnen nicht

länger gelingen, die notwendigen wirtschaftlichen Reformen in Deutschland zu

blockieren. Wir müssen sie, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, auf ihre

ursprüngliche Rolle als Tarifpartner zurückdrängen.� (HB, 5.5.)

Obwohl die Medien einerseits die Machtposition der Gewerkschaften überzeichnen,

thematisieren sie andererseits doch gleichzeitig auch ständig deren Schwäche. Sie

wird hauptsächlich am Mitgliederschwund, fehlenden inhaltlichen Alternativen, dem

Scheitern bei Streiks, einer Identitätskrise und der Lethargie der eigenen Klientel

festgemacht. �Gegenwärtig vollzieht sich in einem bis vor kurzem undenkbar

gehaltenem Tempo eine Erosion gewerkschaftlicher Macht und Gestaltungskraft",

kommentiert die Welt. (Welt, 23 7.) Und der Tagesspiegel resümiert: �Sie sind nicht

so mächtig, wie ihre Feinde behaupten. Im Moment stehen die Gewerkschaften mit

dem Rücken zur Wand. Die öffentliche Meinung ist gegen sie, die Mitglieder laufen

ihnen davon, ihre Macht zerbröckelt." (Tages. 7.Juli)

Dass die Gewerkschaften zeitgleich als einerseits zu mächtig und andererseits in

ihrer Schwäche vorgeführt werden, bleibt als Widerspruch bestehen. Ungeklärt bleibt

auch, warum dies den Kommentatoren nicht auffällt. Dass legt den Schluss nahe,

dass die Presse, um das Schreckgespenst der mächtigen Gewerkschaften aufrecht

erhalten zu können, ihren Einfluss auf Regierung und Politik übertreiben.

Ein anderer Strang von Kommentaren thematisiert, dass die gewerkschaftlichen

Ansprüche mit den heutigen Bedingungen längst nicht mehr konform gehen.

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�Machtanspruch und Auftreten der Gewerkschaften, die sich unverdrossen als

Interessenvertreter aller Werktätigen und sozial Schwachen gerieren, stehen in

keinem Verhältnis zur Realität.� (WiWo, 13.2.)34 Interessanterweise sehen die

Medien die Schuld jedoch weniger bei den Gewerkschaften (denn sie müssen ja ihre

Interessen vertreten), als vielmehr bei der Politik, die ihnen eine zu große und

bedeutende Rolle zugesteht. �Nicht die Gewerkschaften sind das Problem, es ist ihre

Macht, Zwang auf die Gesellschaft auszuüben. Es ist die Macht, unter der Fassade

der Solidarität Geschäfte zu Lasten Dritter zu machen. Diese Macht rührt nicht so

sehr von der organisatorischen Stärke der Gewerkschaften her, sondern von den

Privilegien, die ihnen der Staat eingeräumt hat�, so die SZ besonders deutlich als

eine von vielen. (SZ, 19.7.)

Kritisch gegenüber dem Bild einer übergroßen Gewerkschaftsmacht ist als einzige

Zeitung das Neue Deutschland: �Vertreter der Kapitalseite, unterstützt von Politikern

(nicht nur der Unionsparteien) und Medienstrategen, betreiben derzeit eine groß

angelegte Offensive gegen ein Phantom � den �Gewerkschaftsstaat��. (ND, 4.1.)

Die überwiegende Mehrheit appelliert jedoch an den Staat, der Gewerkschaftsmacht

endlich gegenüberzutreten. Konkrete Beschneidungen der Einflussnahme wünschen

sich viele vor allem bei der Reform des Kündigungsschutzes und der Öffnung von

Tarifverträgen. Der Ruf nach einer vollkommenen Entmachtung der Gewerkschaften

ist aber nur ganz vereinzelt zu hören. 35

4.3. Oppositionspaare

Auch hinsichtlich der Frage, für oder gegen wen Gewerkschaften heute agieren, gibt

es große Übereinstimmungen. Als meistverwendete Rollenkonstellation wird der

Konflikt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitslosen vorgestellt. Am deutlichsten

beschreibt die FTD den Interessenskonflikt der Gewerkschaften zwischen ihren

34 Auch die FAZ (3.11.) kommentiert zur gewerkschaftlichen Kritik an der Agenda 2010: �Die

wirkliche Mitte der Gesellschaft weiß, daß es nicht um ��die größten Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse und Rechte seit dem Zweiten Weltkrieg� geht, wie die Redner behaupten, sondern um den Machterhalt der Gewerkschaften.�

35 In der ZEIT plädiert etwa eine Rechtsanwältin für die Abschaffung des Streikrechts, da sie darin Machtmissbrauch sieht: �Eine Gewerkschaft, die wie verdi für den öffentlichen Dienst 4,4 Prozent Lohnerhöhung mit massiven Streikdrohungen und Warnstreiks erzwingt, (...) eine solche Gewerkschaft ist nur noch Interessenvertreter einer einzigen Gruppe. Und ein Staat, der nachgibt, zeigt Angst vor einer verfassungsrechtlich nicht legitimierten Macht.� (ZEIT, 26.6.).)

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Mitgliedern (Arbeitnehmern) und Arbeitslosen: �Gegen diese Deutung mag man

einwenden, dass auch Arbeitslose Mitglieder der IG-Metall sind, Peters folglich auch

sie als Mandanten verstehen muss. Doch das Argument sticht nicht. Schon nach

ihrer Zahl fallen Arbeitslose bei der IG Metall wenig ins Gewicht. Auch politisch kann

Peters nicht beide Gruppen gleichzeitig bedienen. Je härter eine Konjunktur- und

Strukturkrise ausfällt, desto weiter klaffen die Interessen der Besitzenden und der

Habenichtse auseinander. Die einen wollen bewahren, die anderen neu verteilen.

Beides auf einmal geht nicht. Peters muss sich entscheiden, und er ergreift schon

jetzt für die Besitzenden Partei. Sie stellen die Mehrheit der IG Metall, ihnen fühlt er

sich verpflichtet." (FTD, 14.4.; Herv. die Verf.)

Es scheint, als gäbe es heute eine neue Klasse von Kapitalisten: die Arbeitsplatz-

besitzer. In diesem Zusammenhang erscheinen Gewerkschaften medial als

�Besitzstandswahrer" und als �Partei der Privilegierten�. Entgegen ihrem ursprüng-

lichen Anliegen, die Schwächsten vor Ausbeutung zu schützen, erscheinen sie heute

als diejenigen, die die Starken bevorzugen. Arbeitnehmer werden in dieser

polemischen Argumentation nicht mehr als Lohnabhängige vorgestellt, sondern als

Besitzende oder Eigentümer. Diese sprachliche Figur kehrt den gewerkschaftlichen

Ausgangspunkt, ein starker Repräsentant der Lohnabhängigen zu sein, in ihr

Gegenteil um. Plötzlich erscheinen sie als Vertreter privilegierter Gruppen, die

Schwächere einfach ausgrenzen.

Ähnlich funktioniert das Schema Arbeitnehmer kontra Steuerzahler. Auch hier

werden die Gewerkschaften als �Plünderer� (der Staatskasse) und �Wegelagerer�

vorgestellt, die wiederum zu Gunsten einiger Privilegierter (hier meist Angestellte im

Öffentlichen Dienst) die Republik zu Grunde richten. Übrig bleibt die rhetorische

Frage, warum alle (i.e. die Steuerzahler) eigentlich unter der gewerkschaftlichen

Erpressungspolitik leiden sollen? Ist es da nicht berechtigt, ihre Macht und ihren

Einfluss zum Vorteil der Allgemeinheit zu beschneiden? Die Antwort darauf fällt in

den meisten Fällen eindeutig aus.36

Die Perspektive von Arbeitnehmer/innen nimmt die Presse ansonsten nur sehr selten

ein. Es gibt kaum Analysen der heutigen Arbeitsverhältnisse und keine

36 Darin zeigt sich eine Strategie der Medien, sich zum Sprachrohr vermeintlicher Opfer zu machen.

Generell kann in unserer Gesellschaft ein allgemeinen Hang zur Viktimisierung beobachtet werden. Darin reflektiert sich die moderne Sucht, Opfer zu sein, heute praktisch die Voraussetzung um gehört zu werden. Diese Stelle wird inzwischen von allen möglichen Gruppen

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Differenzierung einzelner Beschäftigungsniveaus. Es existiert fast ausschließlich der

Arbeitnehmer sans phrase. Gleiches gilt im übrigen auch für die vielzitierten 4,5

Millionen Arbeitslosen, die lediglich als statistische Größe gegen die Arbeitsplatz-

besitzer aufgeführt werden. Der Arbeitnehmer wird nur dann zur Anrufungsfigur (der

ökonomischen Vernunft) wenn er in Kontrast zum Gewerkschaftsfunktionär gestellt

wird. Genauso wird auch das Oppositionspaar Betriebsrat/Praktiker vs. Funktio-

när/Theoretiker eingeführt, wenn es darum geht, die gewerkschaftliche Politik zu

kritisieren37. Hier wird der Arbeitnehmer zum wichtigen Regulativ einer

�realitätsfernen Politik� und erscheint sprachlich nicht mehr als �Besitzender.�

Man könnte hier noch eine ganze Reihe von Oppositionspaaren aufzählen, mit

denen die Printmedien arbeiten und die in ihrer Gesamtheit das Bild der

Gewerkschaften bestimmen: So steht neben dem Arbeitnehmer der Rentner als

privilegierte Kategorie und wird gerne mit der Jugend oder den Kindern kontrastiert,

die auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft keine Chance mehr haben.

4.4. Sprachanalyse

4.4.1. Attribute

Neben den personifizierten Opponenten Arbeitnehmer und Arbeitslose bzw.

Steuerzahler gibt es eine andere Reihe von Begriffspaaren, die sich nicht auf die

Protagonisten selbst beziehen und die schon die Analyse der Kernthemen prägten:

Altes vs. Neues, Scheinwelt vs. Realität, Rhetorik vs. realer Praxis, Regulierung vs.

Dezentralisierung, Sicherheitsdenken vs. Autonomie der Akteure, oder Besitzstands-

wahrung vs. Verantwortung des Einzelnen. In allen Fällen werden die Gewerk-

schaften mit dem ersten, negativ konnotierten Begriff verbunden. Dasselbe gilt für

inhaltliche Zuschreibungen wie National vs. Global, Kollektiv vs. Individuell bzw.

Fundamentalistisch vs. Flexibel. Während die Gewerkschaften in ihrer Rolle als reine

Interessensvertretungen (ihrer Mitglieder) vorgeführt werden, kontrastieren die

Medien dies gleichzeitig mit der Forderung nach gesamtgesellschaftlichen Lösungen.

und Individuen besetzt. �Wenn es genügt, dass man sich Opfer nennt, um recht zu haben, werden sich alle darum schlagen, diese dankbare Position einzunehmen.� (Bruckner 1999, S. 151)

37 Ein weiteres, in den Medien öfters lanciertes Begriffspaar ergibt sich aus den Spannungen der Einzelgewerkschaften untereinander. Die Tendenz, �Blockierer/Traditionalisten� und �Reformer�

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Die Gewerkschaften werden uns als eine Partikularität vorgeführt, die dem

allgemeinen Interesse schadet.

Als Adjektive, die häufig in unmittelbaren Zusammenhang mit den Gewerkschaften

gestellt werden, fielen in der Auswertung folgende auf: unmodern, unflexibel, veraltet,

starr, knöchern, bürokratisch und rückwärtsgewandt. Insbesondere zum

Gegenbegriff des mit den Gewerkschaften identifizierten Industriezeitalters steht der

Begriff modern. Er wird unkritisch mit allen Veränderungen des Arbeitsmarktes und

sozialer Systeme gleichgesetzt und erscheint stets als Hoffnung für eine bessere

Zukunft. Die Gewerkschaften dagegen sind Anti-Modernität, sprich Katechonten, die

sich den notwendigen Veränderungen in den Weg stellen. Einzig das Neue

Deutschland verweist in einer (zu einfachen) Reduktion darauf, was die Metapher

modern im ökonomischen Kontext im wesentlichen bedeutet: �Was modernisieren

bedeuten soll, wird dabei vom großunternehmerischen Interesse her definiert. Weg

mit dem sozial-staatlichen Ballast, weg mit dem Tarifvertragssystem, weg mit der

Arbeitnehmermitbestimmung, weg mit kollektiven, solidarischen Systemen sozialer

Sicherung.� (ND, 4.1.)

Es zeigt sich: Positive Attribute, die mit den Gewerkschaften traditionell verbunden

sind, wie etwa gerecht oder sozial, werden entgegen der Erwartung nur selten

genannt. Meistens werden sie über bestimmte Konstellationen denunziert, etwa

wenn von der �Chimäre der sozialen Gerechtigkeit� (Welt, 1.7.) gesprochen wird.

Suggeriert wird vielfach, dass solche Begriffe heute ihre Bedeutung eingebüßt haben

und nur noch als falsch verstandene �Sentimentalitäten� in den Gewerkschaften

zirkulieren. Der bekannte Ausspruch des Wirtschaftsministers Wolfgang Clement:

�Sozial ist, was Arbeit schafft" kann hier als exemplarisches Beispiel dafür angeführt

werden, welche Bedeutung sozial heute erfährt.

Interessant ist abschließend auch die Frage, ob die Medien die Arbeitgeberseite auf

ihren Kommentarseiten wohlwollender als die Gewerkschaften behandeln. Eine

eindeutige Antwort kann aufgrund der eingeschränkten Datenauswahl nicht gegeben

werden. Zwar werden die Positionen und ökonomischen Lösungsvorschläge der

Arbeitgeberseite weitgehend übernommen. Aber als Organisation kommen sie fast

genauso schlecht weg wie die Gewerkschaften. Vielfach werden die beiden als

�Verbündete� betrachtet, die notwendige Reformen im trauten Einklang miteinander

intern und zwischen etwa der IG Metall und Verdi gegeneinander auszuspielen, lässt sich in einer Vielzahl von Kommentaren feststellen.

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verhindern. Diese Tatsache hat wohl in der allgemeinen Abneigung der Printmedien

und der Öffentlichkeit gegen Interessensvertretungen und Lobbyisten ihre Ursache.

4.4.2. Metaphern

Eine Reihe von Begriffen, die überdurchschnittlich oft im Zusammenhang mit einer

Bewertung gewerkschaftlicher Arbeit lanciert werden, sind im wesentlichen pejorativ.

Metaphern wie Gewerkschaftsboss, Bonze, Blockierer, Verhinderer, Lobby/Filz,

Verschwender, Verlierer oder Theoretiker haben keine andere Funktion als dem

Leser zu suggerieren, hier handle es sich um eine hoffnungslos in ideologischen

Netzen verfangene Organisation.

Der im Zusammenhang mit der gewerkschaftlichen Organisationsstruktur immer

wieder auftauchende Begriff des Gewerkschaftsbosses oder -bonzen (etwa Tages,

31.5.) zeigt sehr schön die Aversion der Presse, die formal richtigen Titel und Namen

für gewerkschaftliche Spitzenfunktionäre zu verwenden. Das erweckt den Eindruck,

die Vorsitzenden der Gewerkschaften seien nicht demokratisch gewählt und damit

als Sprecher und Repräsentanten der Arbeitnehmer nicht legitimiert. Dass gerade die

Antagonisten auf Seiten der Arbeitgeber, nämlich Manager oder Vorstände in der

Wirtschaft nie bzw. selten demokratisch gewählt werden, fällt unter den Tisch. Der

Bewertungsmaßstab der Printmedien für die Gewerkschaften ist hier wesentlich

strenger und selbstgerechter.

Ein (Negativ)Begriff hebt sich in der Berichterstattung von allen anderen noch

deutlich ab: das ist der Funktionär. So schreibt die Stuttgarter Zeitung stellvertretend:

�Der Funktionär ist hauptverantwortlich für die innere Zerrissenheit der

Gewerkschaften.� (StuttZ, 26.4.) Die Figur des Funktionärs vereinigt alle negativen

Eigenschaften in konzentrierter Form. Der Funktionär erinnert an kommunistische

Kader und theoretische Abgehobenheit, muss für realitätsferne Politik gerade stehen

und wird als der Hauptverantwortliche für das miserable Bild der Gewerkschaften in

der Öffentlichkeit identifiziert: �Dort werden die Gewerkschaften mehrheitlich als

letzte Bastion der Reformblockierer wahrgenommen, mit rivalisierenden, interessen-

egoistischen Betonköpfen an der Spitze. Und das ist nicht einmal ein allzu

übertriebenes Vorurteil. Weithin haben sich Funktionäre durchgesetzt, die die

Gewerkschaften als Gegenmacht und nicht als Gestaltungsmacht positioniert sehen

wollen, als eigentliche Opposition im Lande.� (Welt, 8.5.)

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Der Spiegel zitiert einen ehemaligen und (anonymen) IG-Metall-Funktionär: �In

Großbritannien hat Margaret Thatcher die Gewerkschaften zerschlagen. In

Deutschland besorgen wir das selber.� (Spiegel, 7.7.) Und der Stern fordert in einer

Ausgabe Mitte des Jahres in dramatischen Worten ein Vorgehen �frontal gegen die

Hybris, die Blindheit, die Rücksichtslosigkeit gewerkschaftlicher Funktionärsinteres-

sen, die das Land in Frost tauchen und Arbeit absterben lassen.� (Stern, 15.5.)

Selbst in wohlwollenden Kommentaren, die durchaus die realen Schwierigkeiten

gewerkschaftlicher Arbeit im globalen Wandel thematisieren und ihre Bereitschaft

Veränderungen zuzulassen betonen, erscheint am Ende das Schreckbild des

Funktionärs: �Wie umgehen mit Zeiten, in denen es wenig zu verteilen gibt? Wie sich

einstellen auf eine zunehmend ausdifferenzierte Arbeitswelt? Wie reagieren auf eine

globalisierte Wirtschaft, in der die Konkurrenz auch in den Billiglohnländern des

Ostens und Südens sitzt? Ganz im Gegensatz zur öffentlichen Meinung diskutiert die

IG Metall darüber schon lange. (...) Das Image des Bremsers und Blockierers, das ihr

anhängt, ist in seiner apodiktischen Ausschließlichkeit kaum berechtigt � schon gar

nicht dort, wo es darauf ankommt, in den Betrieben. Einerseits. Andererseits ist es

nicht die Arbeit der Betriebsräte, die das öffentliche Bild der Gewerkschaften prägt.

Das prägen die Funktionäre. (...) Dass diese Funktionäre die Ängste einer im gesell-

schaftlichen Umbruch verunsicherten Mitgliedschaft bedienen, macht die Sache

verständlich � aber nicht besser.� (ZEIT, 10.7.)

Die Metapher Rot, die uns öfter im Zusammenhang mit Gewerkschaften begegnet:

�Der rote Konzern", �Die roten Arbeitgeber� (Focus Money, 14.4) oder �Die rote

Lobby" (Focus, 17.3.) spielt noch mit den alten antikommunistischen Klischees.

Heraufbeschworen wird eine sozialistische Bedrohung, die abgewehrt werden muss,

wenn die notwendigen Reformen greifen sollen. Rot bedeutet Chaos und Arbeits-

losigkeit. An diesem Punkt erfüllen die Gewerkschaften tatsächlich eine primitive

Sündenbockrolle (�die Roten�), die für unterschiedlichste Probleme verantwortlich

gemacht werden kann. Das funktioniert nicht zuletzt auch deshalb so gut, weil die

Gewerkschaften in ihrer Programmatik immer noch die Vollbeschäftigung als Ziel

verfolgen und daran gemessen werden (wollen).

Neben dem Funktionär und der �roten Lobby� ist es das Bild der Industriegesell-

schaft, mit dem die Gewerkschaften gerne gleichgesetzt werden. Es vereinigt in sich

alle Metaphern der Rückständigkeit und des Alten. Die gegenwärtigen

Herausforderungen einer Kommunikations- und Informationsgesellschaft werden uns

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als unvereinbar mit den gewerkschaftlichen Grundwerten vorgeführt. Das, was die

Gewerkschaften einst stark gemacht habe, sei nun durch gesellschaftliche Prozesse

ins Gegenteil verkehrt worden.

�Strukturprinzipien wie Disziplin, Geschlossenheit, Hierarchie und Einheit haben die

Gewerkschaften des Industriezeitalters stark gemacht und prägen sie bis heute.

Gewerkschaften stehen für Regulierung, Sicherheitsdenken und Besitzstands-

wahrung. Der gesellschaftliche Diskurs kreist hingegen um die Dezentralisierung von

Strukturen, die Autonomie der Akteure und die Verantwortung des Einzelnen.� (taz,

26.7.) Insbesondere eine �mentale Barriere� verhindere eine adäquate Antwort auf

die gegenwärtigen Herausforderungen. �Groß geworden im Zeitalter der Industriali-

sierung und dem Denken dieser Epoche verpflichtet, kommen die Gewerkschaften

mit den Erfordernissen der Mediengesellschaft nur schwer klar." (Tages, 5.5.) Der

Spiegel spricht deshalb verächtlich von den Gewerkschaften als �Arbeiterfolklore.�

(Spiegel, 5.5.)

Insgesamt zeigt sich, dass die häufigsten Metaphern, mit denen die Gewerkschaften

in Zusammenhang gebracht werden, entweder eine bedrohliche (Rot, Funktionär =

Sozialismus) oder antimoderne Richtung (Industriegesellschaft, Hierarchie, Disziplin)

vorgeben. Aus beiden wird die Forderung nach einer Entmachtung oder zumindest

doch einer Begrenzung gewerkschaftlichen Einflusses abgeleitet.

4.4.3. Headlines

Eine negative Grundhaltung der Printmedien belegen allein die Überschriften der von

uns ausgewerteten Beiträge. Selbst wenn einzelne Artikel bei genauerem Lesen

nicht unbedingt einseitig über gewerkschaftliche Politik berichten und durchaus

verschiedene Argumente abwiegen, in den Titeln der Beiträge fällt oft schon eine

Entscheidung gegen die Gewerkschaften. Headlines wie �Wider die Erpressung�

(ZEIT, 9.1.), �Sommers Welt� (FTD, 15.1.), �Bloß nicht bewegen� (SZ, 21.2.) oder

�Das Ende der Nostalgie� (FTD, 27.2.) geben eine (vor)schnelle Orientierungshilfe für

den flüchtigen Leser, der dadurch sofort seine �mentalen Raster� abrufen kann.

Schlagzeilen und Titel aber bleiben im Gedächtnis und sind am schnellsten

reproduzierbar, wenn es darum geht, einzelne Handlungen zu bewerten.

Überschriften dienen dazu, die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich zu lenken. Sie

sind aber auch konzentrierte Aussagen, die mit wenigen Begriffen ein Schema für

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den Leser vorgeben, damit dieser einen Beitrag einordnen kann. Überschriften wie

etwa: �Die Flops der Funktionäre� (Spiegel, 30.6.), �Lobby des Stillstandes� (Spiegel,

5.5.), �Ein Betonkopf muss zurücktreten� (Bild, 5.7.), �Reaktionäre von Links� (Tages,

6.2.), �IG Schlafmützen (Bild 24.2.) oder einfach nur �Die Verlierer� (ZEIT, 17.12.)

machen sofort deutlich, wie die Gewerkschaften als gesellschaftliche Akteure

platziert werden.

Manche der Printmedien nehmen die Krise der Gewerkschaften zum Anlass, gleich

ihr generelles Bestehen in dicken Titellettern in Frage zu stellen: �Ende einer

Massenbewegung� (FTD, 22.10), �Mitglieder verzweifelt gesucht� (ZEIT, 28.8)

�Adieu, Gewerkschaft!� (Stern, 15.5.). Andere wiederum freuen sich ziemlich offen

über das Versagen gewerkschaftlicher Ansprüche: �Randalierer direkt ins Aus" - die

Unterzeile dazu lautet: �Wer Sozialreformen will, kann sich über den Amoklauf der

Gewerkschaften freuen: je heftiger sie protestieren, desto schneller verlieren sie an

Bedeutung" (FTD, 23.5.), �Die Selbst-Demontage� (Spiegel 7.7.) oder �Links liegen

gelassen - wie die Gewerkschaftsbosse ihre eigenen Leute verraten� (Tages, 31.5.).

Eine andere Schlagrichtung von Überschriften zielt hauptsächlich auf die

Leidtragenden der Gewerkschaftspolitik ab. Beispielhaft sind hier einige Überschrif-

ten von Kommentaren zur Tarifpolitik: �Für Arbeitnehmer, gegen Arbeitslose" (FTD,

14.4.) oder �Signal gegen neue Jobs" (Welt, 11.11.). Wer die Verursacher diese

Leidens sind, wird dann spätestens in der Unterzeile der Überschrift nachgeliefert,

häufig in personalisierter Form: �Die IG Metall-Forderung diskriminiert die

Arbeitssuchenden"; (FAZ, 25. 11.), �Peters richtet die Gewerkschaft auf Politik für die

eigene Klientel aus" (FTD, 14. 4.). Bisweilen wird auch mit dem Zeigefinger

argumentiert: �So schafft man keine Arbeit, Herr Sommer!� (Wams, 19. 1.)

Die negative Tendenz gipfelt in Überschriften, die selbst schon ein Abgesang auf die

Gewerkschaften sind. �Weltbeglückung mit Tarifpolitik�, lautet beispielsweise die

Schlagzeile in der FAZ (FAZ am Sonntag, 13.7.) mit folgender Unterzeile: �Sie war

der Traum aller Utopisten. Jetzt herrscht Agonie. Ein Nachruf auf die IG Metall�. Der

Artikel selbst beginnt mit den Worten: �Die IG Metall ist tot..."

Alle diese Beispiele, für die es weitaus mehr als die zitierten gibt, zeigen eindeutiger

als die Auswertung der gesamten Kommentare die Grundtendenz in der medialen

Berichterstattung: Im wesentlichen wird die gesellschaftliche Wahrnehmung der

Gewerkschaften von Negativschlagzeilen bestimmt.

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5. Verhältnis von Medien und Gewerkschaften

5.1. Lob der Gewerkschaften

Es stellt sich nach so vielen negativen Urteilen abschließend die Frage, wo und an

welchen Punkten die Gewerkschaften positiv bewertet werden und wie viel Lob sie

überhaupt �verdauen� können?38 Die Presseauswertung zeigt: rein positive Beiträge

sind sehr selten. Insgesamt finden sich über das Auswertungsjahr etwa fünf bis

sechs ausschließlich positive Verteidigungen, vier davon sind von Gastkommenta-

toren verfasst. In allen anderen Meinungsbeiträgen ist ein Lob der Gewerkschaften

eingebunden in Kritik.

Am 12. Mai veröffentlicht die SZ einen Kommentar des ehemaligen Arbeitsministers

Norbert Blüm (CDU) mit dem Titel �Lob der Gewerkschaften�. Die Unterzeile lautet

�Ein Plädoyer für den Hauptangeklagten� und deutet zu Recht an, wie einhellig das

Kräfteverhältnis zwischen Schelte und Lob in der Regel ist. �So schlecht wie die

Gewerkschaften gemacht werden, sind sie nicht�, verteidigt Blüm die

Arbeitnehmerorganisation und dekliniert deren positive Aspekte herunter: �Das

gewerkschaftliche Industrieverbandsprinzip mit einheitlichen Tarifverträgen

verhindert, dass die Hinterachsenmonteure das ganze Fließband lahm legen, wenn

ihnen ihr Tarifvertrag nicht gefällt.� (SZ, 12. 5.) Die Funktion als Friedensstifter (vgl.

Kap. 3.1. Flächentarifvertrag) wird tatsächlich auch von anderen Meinungsmachern

am häufigsten positiv erwähnt. �Wozu Gewerkschaften?�, fragt die Berliner Zeitung.

Auch hier nennt der Kommentator als Hauptargument: �Der Mainstream hat sein

Urteil längst gefällt: Betonkopf, Blockierer, Gewerkschafter � wie oft wird das heute in

den öffentlichen Debatten synonym gebraucht. Das ist unbedacht, sogar riskant.

Denn ohne funktionierende Interessensvertretung der Arbeitnehmer geriete der

soziale Friede in Gefahr.� (Berliner, 28. 6.)

38 Neben den Gewerkschaften ist es die Politik, die in den Medien gerne den �schwarzen Peter�

bekommt. Positiv erscheint �die Politik� fast ausschließlich in der Forderung gegen die Gewerkschaften vorzugehen oder sich zumindest nicht von ihnen instrumentalisieren zu lassen. Dennoch zieht - ähnlich wie die Gewerkschaften - die Politik der Vorwurf auf sich, sie verhindere durch unnötige Gesetze Selbständigkeit und Eigeninitiative. Die negative Fixierung der Medien und der Wirtschaft auf den Staat kann psychologisch als Autoritätsproblem gedeutet werden. Im Wunsch der Wirtschaft nach totaler Autonomie, einem Leben ohne den Zeigefinger und den Regeln der Erwachsenen (sprich des Staates), reflektiert sich ein Wertesystem, das ökonomisch gewendet, eine totale Freiheit propagiert. (vgl. dazu Meschnig und Stuhr 2001: www.revolution.de. Die Kultur der New Economy, insbesondere S. 107-117)

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Auch die eigentliche Aufgabe der Gewerkschaften, nämlich Arbeitnehmer vor

Ausbeutung zu schützen, indem sie die Konkurrenz begrenzen, sehen viele nach wie

vor als notwendig an. �Indes sollte niemand vergessen: Gäbe es keine Gewerkschaf-

ten, müssten sie erfunden werden. Denn unverändert gilt das ökonomische Gesetz:

wer händeringend Arbeit sucht, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist anfällig

gegen Ausbeutungsstrategien der Arbeitsnachfrager, also der Firmen. Vor allem

dann, wenn das Arbeitsangebot überreichlich ist." (Berliner, 28.7.)

Allerdings wird dieses Argument oft widersprüchlich verwendet. In ein und

demselben Kommentar wird gleichzeitig etwa die Öffnung von Flächentarifverträgen

(die ja eben diese Konkurrenz durch Herstellung von gleichen Bedingungen

beschränken) und die Lockerung des Kündigungsschutzes gefordert.

Es zeigt sich auch, dass eine positive Bestätigung in der Regel ökonomisch

begründet wird: Die Existenz der Gewerkschaften (wie schon beim Argument des

sozialen Friedens) wird in diesem Zusammenhang prinzipiell als wohlstandssteigernd

betrachtet. An erster Stelle wird dabei genannt, dass Gewerkschaften als Produktivi-

tätsstifter agieren. Stellvertretend hier ein Zitat Norbert Blüms: �Der viel gescholtene

Flächentarifvertrag beschränkt die Möglichkeit, durch Lohnunterbietung den

Konkurrenten auszuschalten. Kompensatorisch konzentriert sich der Wettbewerb so

auf Produktivität, Innovation, Qualität und Service.� (SZ, 12.5.; siehe auch: Welt,

24.1., mit Kommentarüberschrift: Die Produktivitätspeitscher) Des weiteren resultiert

aus dem Flächentarifvertrag, dass Arbeitnehmer nicht aufgrund von Lohnunterschie-

den häufig ihre Stellen wechseln. So verhinderten Gewerkschaften ökonomische

Ineffizienzen.

Gerade die Kommentare, die die wohlstandssteigernde Funktion von

Gewerkschaften in der Vergangenheit und Gegenwart loben, wollen die Macht der

Gewerkschaften jedoch gleichzeitig erheblich einschränken. Das Argument lautet:

Die Lohnsteigerungspolitik der Gewerkschaften schade in Zeiten knapper werdender

Arbeit den Schwächsten und produziere Arbeitslosigkeit. Ihre Existenz sei positiv, so

lange die �Gier� begrenzt bleibe. In Bezug auf die IG Metall schreibt die SZ: �...es

liegt an den Gewerkschaften (...) sich solidarischer, also bescheidener zu zeigen."

(SZ 12. 7.) Auch die SZ vom 19. Juli findet: �Die Lösung des gewerkschaftlichen

Problems heißt daher ganz einfach: Bescheidenheit."

Positiv erwähnt werden Gewerkschaften auch vor allem auf die Vergangenheit

bezogen und in ihrer heutigen Existenzform in Entwicklungsländern. So kommentiert

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etwa die SZ vom 5. April: �Die Gewerkschaften haben entscheidend dazu

beigetragen, dass in Deutschland (...) eine soziale Form der Marktwirtschaft

entstanden ist, die relativen Wohlstand für fast alle Bürger sichert. Die Arbeitnehmer

sind vor Willkür und Ausbeutung weitgehend geschützt.� (ähnlich Tages, 7.7.) Und

die SZ weiter mit Betonung der Vergangenheit: �Sie (die Gewerkschaften; die Verf.)

funktionierten als Helfer und Berater in fast allen Lebenslagen. Ihre moralische

Autorität bei Arbeitern und dann auch bei Angestellten verlieh ihnen Durchsetzungs-

macht, um gegen das - wirtschaftlich durchaus rationale � Gewinnstreben der

Unternehmen angemessenere Löhne und besserer Arbeitsbedingungen durchzu-

setzen.� (Herv.; die Verf.)

Ganz eindeutig lässt sich darüber hinaus sagen, dass die Gewerkschaften stets da

gelobt werden, wo sie einsichtig und kompromissbereit sind und die �ökonomischen

Notwendigkeiten� anerkennen. Positiv hervorgehoben werden insbesondere die

Flexibilität bei Verhandlungen (v. a. im Osten), die gewerkschaftliche Basis und

Betriebsräte, die oft � in Unterscheidung zum Funktionär - sehr positiv benannt

werden und einzelne Gewerkschaften wie etwa Verdi im Gegensatz zur IG Metall.

Lob wird vor allem an der betrieblichen Praxis geäußert, die in Kontrast zur sonstigen

Rhetorik gesetzt wird.

Ist dieses Lob also lediglich nur ein Hinweis für das Aufgeben einstiger

Überzeugungen? Und wer wird nicht gerne gelobt? Es ist auf jeden Fall ambivalent

zu betrachten, wenn die Medien sich positiv äußern, reflektiert dieses Lob doch auch

einen grundlegenden Konflikt in den Gewerkschaften selbst. Gelobt zu werden von

denen, die Gewerkschaften nur mehr als eine Art ADAC mit Mitgliederservice

positioniert sehen wollen, nicht als wesentliche Gestaltungsmacht oder bisweilen

sogar als Gegenmacht, hilft ihnen nicht wirklich weiter.

Gleichzeitig ist ausbleibendes Lob an sich noch kein Indiz für eine ablehnende

Grundhaltung gegen die Gewerkschaften. Vielmehr basiert die Funktionslogik des

Mediensystems im wesentlichen auf der (negativen) Zuspitzung von Konflikten,

zunächst unabhängig von einem eindeutigen politischem Interesse. Ebenso ist nach

dem Nachrichtenwert bemessen eine �schlechte Nachricht eine gute Nachricht�.

Gewerkschaften müssen ihren Umgang mit Lob bzw. Kritik daher grundlegend

überdenken. Sie müssen lernen, zumindest zwei Arten der Kritik zu unterscheiden:

Zum einen gibt es durchaus eine Kritik, die als Bestätigung der eigenen Position

dienen kann. Zum anderen muss jedoch Kritik, die auf tatsächliche Modernisierungs-

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defizite verweist, ernst genommen werden und bedarf einer inhaltlichen

Auseinandersetzung. Falsch ist es, jegliche Kritik abzuwehren und als (indirekte)

Bestätigung der eigenen Politik zu behandeln. Insgesamt muss es den

Gewerkschaften gelingen, die Kritik als auch die Vorschläge in den Medien als ein

Instrument zur Bewertung der eigenen Arbeit heranzuziehen.

5.2. Rolle der Gewerkschaften

Wie betrachten die Medien aber nun den zukünftigen Aktionsradius der

Gewerkschaften? Was wird ihnen (noch) zugestanden, und was schlagen die

Kommentatoren konkret vor?

Populär sind zum einen Forderungen, die darauf hinaus laufen, Gewerkschaften auf

ihr „ureigenes Terrain“, nämlich die Tarifpolitik zu reduzieren. Exemplarisch dazu ein

Kommentar in der Welt: �Am besten wäre es ohnehin, wenn sich die Gewerkschaften

als gesellschaftspolitische Akteure stärker als bisher zurücknehmen und sich auf ihre

Kernkompetenz besinnen: die Tarifpolitik.� (Welt, 1.7.)

Am zweithäufigsten findet sich das Argument, dass gewerkschaftliche Arbeit sich auf

die Ebene der Betriebe konzentrieren sollte: �Für die Gewerkschaften ist es Zeit, aus

der Krise Lehren zu ziehen. Natürlich werden sie weiter einen wichtigen Platz haben,

aber aus gesellschafts- und verteilungspolitischen Themen sollten sie sich ganz

zurückziehen. Wenn sie tatsächlich das Leben ihrer Mitglieder verbessern wollen,

müssen sie sich wieder auf die Arbeitsfelder ihrer Anfänge besinnen � und das sind

die Betriebe.� (FTD, 1.7.)

Eine Reihe von kritischen, aber gewerkschaftsnahen Kommentaren verweisen auf

Defizite in der Organisation selbst. In ihnen werden innerorganisatorische

Änderungen gefordert, um den Bedeutungsverlust aufzuhalten. Gefragt sind neue

Organisationsformen und Mitbestimmungsrechte. �Die Diskussion der gewerkschaft-

lichen Zukunft über die Ebene bloßer politischer Positionierungen hinaus auf die

Höhe der organisations- und gesellschaftstheoretischen Debatten zu führen,

bedeutet, nach den Funktionsbedingungen moderner Organisationen zu fragen.�

(FR, 8.4.) Im wesentlichen seien es fünf Punkte, die eine fortschrittliche Organisation

erfüllen müsse: Pluralität, Dezentralisierung, Mitbestimmung, Vernetzung, prozess-

und projektorientiertes Arbeiten. Nach Meinung des Gastkommentators in eben

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zitierter FR, Hans-Jürgen Arlt, seien diese Merkmale einer modernen Organisation

nicht erfüllt. Deshalb fordert er keine anderen, sondern �neue Gewerkschaften.�

(ebd.)

Des weiteren raten die Kommentatoren den Gewerkschaften „neue Themenfelder“

zu besetzen: Weiterbildung, Qualifikation, Kinderbetreuung, Verkehr, Kultur, Lebens-

qualität. Nicht alle Wünsche der heutigen Arbeitnehmern seien am Arbeitsplatz allein

festzumachen, vielmehr müsse ein Gesamtkonzept eines �guten Lebens� berück-

sichtigt werden. Hier werden Gewerkschaften als gestalterische und gesellschafts-

politische Akteure angerufen.

Angesichts der großen Vielfalt von Vorschlägen seitens der Medien wird klar: Die

Herausforderung für Gewerkschaften besteht darin, den schwierigen Spagat

zwischen Bewahren und Verändern zu bewältigen. Gewerkschaften können nicht

gleichzeitig Interessenspolitik für ihre Mitglieder machen und alle von Außen an sie

herangetragenen und vehement eingeforderten Veränderungen bedienen.39 Die

Gewerkschaften sind so zwischen Scylla und Charybdis gefangen und sie können

faktisch in der momentanen Situation kaum etwas richtig machen, aber sehr vieles

falsch.

5.3. Die Medien sind schuld!

Den Gewerkschaften zu Hilfe kommen auch einige wenige Kommentare, die sich

kritisch mit der in der Öffentlichkeit und in den Medien populären

Gewerkschaftsschelte beschäftigen: �In den 70er Jahren war für bestimmte Leute der

Kapitalismus an allem schuld. (...) Heute sind es die Gewerkschaften. Die

Gewerkschaften sind die Buh-Organisationen für alles, was nach weit verbreiteter

Ansicht falsch läuft in diesem Land. Zu viel Bürokratie? Zu hohe Steuern? Zu wenig

Arbeitsplätze? Unbezahlbare Handwerker? Faule Lehrer? Die Gewerkschaften sind

39 Das Dilemma, in dem sich Gewerkschaften befinden, ist vielen bewusst: So fordert etwa die

Berliner Zeitung eine Öffnung der Gewerkschaften gegenüber der Agenda 2010, schreibt aber im selben Kommentar: �Allerdings muss man zugeben, dass es für einen Interessensverband, der sich dem Ausbau des Sozialstaates verschrieben hat, unattraktiv ist, soziale Einschnitte mitzutragen." (Berliner, 28.6.) Auch der Tagesspiegel (7.7.) schreibt: �Wer den Gewerkschaften vorwirft, dass sie Besitzstände verteidigen, der kann mit der gleichen Logik Unternehmer dafür anklagen, dass sie Gewinne machen möchten. Man kann einem Hund nicht vorwerfen, dass er keine Katze ist."

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schuld. Gewerkschaften sind zur Zeit etwa so populär wie Atomkraftwerksbetreiber in

den 80er Jahren.� (Tages, 7. 7.)

Auch die Stuttgarter Zeitung vom 26. April reflektiert nicht ohne Selbstkritik: �Munter

werden Feindbilder errichtet: Während die Arbeitgeber die Zeiten des Klassen-

kampfes zurückkehren sehen, haben die Gewerkschaften das neoliberale

Krebsgeschwür ausgemacht. (...) In der Reformdiskussion kennt die Öffentlichkeit

momentan nur Gut und Böse. An dieser Schwarzmalerei haben manche Medien

einen Anteil. Mit Lust an der Zuspitzung greifen sie wüste Drohungen oder harsche

Proteste beider Seiten auf und verzichten auf die Wiedergabe moderater

Stellungnahmen. Zwischentöne sind in der Debatte selten zu hören, weil sie weniger

plakativ erscheinen. (...) Einmütig haben die politischen Magazine gegen den

vermeintlichen Gewerkschaftsstaat Stellung bezogen." (Siehe die Beispiele in: HB

14. 11., Focus 17.3.)

Doch sei hier gleich vorweg gesagt: Den Gewerkschaften hilft es wenig, sich von den

Medien unverstanden zu fühlen und sie als Schuldige für ihre Probleme

auszumachen. Diesen weit verbreiteten gewerkschaftlichen Reflex kritisiert die

zitierte Stuttgarter Zeitung (26. 4.) ebenso wie die Rolle der Medien: �Kaum eine

Versammlung, in der Gewerkschafter nicht mit dem Finger auf �die Kommentatoren�

zeigen.�

Richtig ist auf jeden Fall, dass unsere Auswertung die anfängliche These der

negativen Voreingenommenheit der Medien gegen Gewerkschaften bestätigt. Als die

wichtigsten Ergebnisse unserer Studie können in diesem Zusammenhang genannt

werden:

• Die Medienlandschaft ist auf Polarisierung getrimmt. Ein eindeutiges Beispiel

dafür ist etwa die Dichotomie der �reformoffenen Betriebsräte" gegen die

�sturen Gewerkschaftsfunktionäre".

• Im öffentlichen Diskurs dominieren Reformvorschläge und Themen, die

gewerkschaftlichen Anliegen und Überzeugungen entgegengerichtet sind.

• Die Politik und bisweilen die Arbeitgeberseite setzen Themen und lancieren

Thesen, die von den Medien aufgegriffen werden. Erst anschließend

reagieren die Gewerkschaften � zumeist mit einem kategorischen Nein -

darauf. Fortschrittliche gewerkschaftliche bzw. gewerkschaftsnahe Themen

werden von den Medien weitgehend ignoriert.

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• Sichtbar werden Gewerkschaften in den Medien v.a. da, wo sie gegen

Reformvorschläge und Veränderungen sind. Eine Profilierung in der Presse

erreichen die Gewerkschaften also fast nur mit Negativbotschaften.

• Die Printmedien bieten wenig Raum, komplexe Sachverhalte und Argumente

darzustellen. Sie vereinfachen und verknappen.

• Die Wiederholung einfacher und negativer Botschaften vor allem in den

Überschriften der Kommentare nimmt den Charakter einer Kampagne gegen

die Gewerkschaften an.

• Medien versuchen, Themen zu emotionalisieren. Arbeitslose und

Steuerzahler, Sparen und Einschränken sind psychisch hoch besetzt. Im

Gegensatz dazu erreichen die ebenfalls emotionalisierten Botschaften der

Gewerkschaften kaum jemanden.

Selbst wenn man all diese gegenläufigen Tendenzen berücksichtigt, machen

Gewerkschaften es sich aber zu einfach, wenn sie vor allem den Medien die Schuld

an ihrem negativen Image in der Öffentlichkeit geben. Manche Gewerkschafter

sprechen gar von einem �Gewerkschaftsbeschimpfungsjournalismus" (siehe FAZ

24.2.)40. Stattdessen sollten Gewerkschaften mehr Elan darauf verwenden, wie sie

die Medien für ihre Zwecke/Sache nutzen und auf welchen Gebieten sie sie als

Verbündete gewinnen können. Denn die Medien spiegeln auch das Bild wider, dass

Gewerkschaften von sich vermitteln. So schreibt etwa Jupp Legrand, Vorstand der IG

Metall, in einem Kommentar in der FR kritisch dazu: �Die mangelnde öffentliche

Resonanz hängt keinesfalls mit der gewerkschaftsskeptischen Medienlandschaft

zusammen, die seit Herbst 2002 zu beobachten ist. Grund ist vielmehr, dass die

meisten ihrer Überlegungen weder als glaubwürdige noch als umsetzbare

Alternativen zu kommunizieren sind.� (FR, 25.8.)

Abgesehen vom Beitrag der Presse bleiben doch wesentliche Defizite - und zwar

sowohl inhaltliche als auch kommunikative - der Gewerkschaften selbst bestehen:

�Sie haben nun Mühe zu erklären, warum sie für die Sache der Benachteiligten in

dieser Gesellschaft eintreten, ohne gleich als Blockierer dastehen zu wollen. Und sie

beklagen sich bitter über die Medien, deren Kommentare mehrheitlich

40 Auch in ihrem 60-seitigen Bericht über den gescheiterten Streik für die 35-Stunden-Woche kommt

die IG Metall zum Ergebnis, dass die �von Woche zu Woche ungünstiger und unerbittlicher im Ton" gewordene Medienberichterstattung ihren Teil zum Scheitern beigetragen habe. (FR, 26.8.)

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gewerkschaftsfeindlich ausfallen würden, sind aber nicht in der Lage, ihre Flexibilität

auf dem Feld der Tarifpolitik positiv darzustellen.� (StuttZ, 19.3.) Auch die

gewerkschaftsfreundlich gesinnte Jungle World kommentiert angesichts des

gescheiterten Streiks für die 35-Stunden-Woche: �Schuld war auch nicht die extrem

gewerkschaftsfeindliche Berichterstattung. Wie kann es denn sein, dass eine

millionenstarke Organisation wegen ein paar hässlicher Kommentare in der

Süddeutschen Zeitung oder der FAZ kuscht, Blätter, die wohl kaum von ihrer Klientel

gelesen werden? Seit wann wird der Arbeitskampf von seiner Bewertung in den

bürgerlichen Medien abhängig gemacht? Das zu behaupten, wäre in der Tat zu kurz

gegriffen. Aber in einer Abhängigkeit befindet sich der Kampf allemal." (Jungle World,

Nr. 42/2003)

5.4. Schlussfolgerungen

Das Thema, dass unserer Auswertung zufolge den Gewerkschaften am meisten

schadet, ist die Arbeitslosigkeit. Sie ist das mächtigste Argument aller Kritiker und

führt zu den weitgehendsten Forderungen nach einer Begrenzung gewerkschaft-

lichen Einflusses. Da Gewerkschaften in den Printmedien ausschließlich als

Arbeitnehmervertreter vorgestellt werden, die im wesentlichen darauf bedacht sind

�Privilegien� zu erhalten, sind alle negativen Folgen arbeitsmarktpolitischer Vorgaben

in ihrer Essenz mit den Gewerkschaften verbunden.

Gewerkschaften müssen daher das emotional hoch angesiedelte Thema der

Arbeitslosigkeit vermehrt ins Zentrum ihrer politischen Arbeit rücken. Strategisch

muss es ihnen gelingen, in der Öffentlichkeit als derjenige Akteur wahrgenommen zu

werden, der glaubwürdig für die Interessen der Arbeitssuchenden eintritt.41 �Ohne

eine strategische Perspektive im Umgang mit dem Phänomen der Massenarbeits-

losigkeit laufen die Gewerkschaften Gefahr, aus der ihnen zugeschriebenen

�Sündenbockrolle" nicht mehr herauszukommen. So können die �Neoliberalen" die

Gewerkschaften vor sich her treiben, um die Misere auf dem Arbeitsmarkt und die

Schwierigkeiten beim Umbau des Sozialstaates gewerkschaftlicher Politik

anzulasten." (Schroeder 2004, S. 28f.)

41 Trotz der Tatsache, dass allein in der IG Metall 300.000 Mitglieder arbeitslos gemeldet sind,

werden sie ausschließlich als Organisation von Arbeitnehmern wahrgenommen.

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Glaubwürdig bleiben sie dabei nur, wenn sie konstruktiv und offensiv mit den

Widersprüchen umgehen, die sich aus dem Vertretungsanspruch einer Vielzahl von

Arbeitnehmerverhältnissen und andererseits der wachsenden Zahl von Arbeitslosen

ergeben. Diese Konflikte dürfen nicht länger verschwiegen, sondern sollten vielmehr

explizit von Gewerkschaften thematisiert werden.

Als Ausgangspunkt müssen sie dazu eine differenzierte Debatte um Arbeitslosigkeit

innerhalb ihrer Organisation und in der Öffentlichkeit führen. Nicht jeder der 4,5

Millionen statistisch erfassten arbeitslos Gemeldeten ist tatsächlich Arbeits-

suchender. Ebenso gibt es eine große Anzahl von Arbeitsverhältnissen, die nicht im

klassischen Schema Arbeitsplatzbesitzer � Arbeitsloser aufgehen (etwa

Schwarzarbeiter, geringfügig Beschäftigte, arbeitssuchende, aber nicht arbeitslos

gemeldete Akademiker nach Studium, Selbstständige etc.) Diese Vielfalt von

Lebens- und Arbeits(losigkeits)biografien verlangen nach individuellen Lösungen, die

von Gewerkschaften auch als Chance, nicht nur als Zumutung begriffen werden

können. Dazu wäre es notwendig, dass innerhalb der Gewerkschaften mehr

Gestaltungsfreiheit zugelassen wird, wie Arbeit in Zukunft gedacht werden kann.

Ein weiterer Punkt, bei dem Gewerkschaften schlecht abschneiden, ist der Vorwurf

der ökonomischen Inkompetenz. Gefordert wird vielfach: �statt der moralischen Keule

des vermeintlich Sozialen müssen sie ökonomische Begründungen liefern." (FAZ,

19.3) Auch wenn die �Moralkeule� in einem anderen Zusammenhang für Aufsehen

gesorgt hat (man erinnere sich an Martin Walsers Auschwitz-Rede), der Vorwurf

bleibt bestehen und lautet konkret: da Gewerkschaften keine inhaltlichen Argumente

zu bieten haben, ziehen sie sich auf eine moralische Position zurück, auf der sie

nicht mehr angreifbar sind. Das erweckt öfters den Eindruck, Gewerkschaften hätten

sachlich nichts für die Debatte beizutragen und könnten die Argumente der

Gegenseite auch nicht widerlegen.

Ein weiteres Grundproblem der Gewerkschaften, das die Medien vielfach

kommentieren, ist die fehlende Themensetzung und die programmatische

Ratlosigkeit, was die Zukunft unserer Gesellschaft anbelangt. Die Rede von den

�Neinsagern der Nation� kommt nicht von ungefähr. In der öffentlichen

Wahrnehmung sind die Gewerkschaften vor allem und ausschließlich dagegen. Ihr

Image wird davon bestimmt. Sie müssten aber hin zu einer Strategie des Ja, aber

kommen und vermehrt positive Aspekte des gesellschaftlichen Wandels vermitteln,

ohne die sozialen Folgen aus den Augen zu verlieren. Gewerkschaften werden stets

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mit Lustfeindlichkeit verbunden, appellieren an Ängste, wo vielleicht auch Chancen

sind. Durchgehend zeigen alle Initiativen (siehe etwa Verdi gegen die Agenda 2010)

negative Aspekte der sozialen Wirklichkeit. Die Kampagne des DGB im Februar

2003 hatte den Slogan: �Gegen eine neoliberale Wirtschaftspolitik.� Ein anderes

Beispiel von Schwarzmalerei ist die Debatte rund um den Wert Solidarität, dessen

Ende von Gewerkschaftern häufig beklagt wird. Tatsächlich ist solidarisches

Verhalten nach wie vor aktuell, das beweisen Bewegungen wie attac oder die

gestiegene Sensibilität für Themen des Verbraucherschutzes oder der Ökologie. Nur

haben sich lebensweltliche Zusammenhänge und die Formen der Organisation von

Solidarität verändert.

Was ferner vermisst wird, sind eigene Konzepte, die über alte und bekannte

Vorschläge hinausgehen. Ein Erklärungsgrund dafür liegt auch in der immanenten

Struktur der Organisation, innerhalb derer durchaus errungene Modernisierungs-

gewinne als Traditionsverluste verbucht werden. Die durchaus auch von der Presse

honorierten konkreten Ergebnisse einzelner Verhandlungen auf Betriebsebene

werden im wesentlichen durch einen rhetorischen Konfrontationskurs verdeckt, der

der Wirklichkeit nicht entspricht. Zu Recht wird also auf die Glaubwürdigkeit der

Gewerkschaften verwiesen, die anders handeln als sie reden. Sie haben eine

reagierende und zu defensive Kommunikationshaltung, der es nicht gelingt, die

positiven Seiten ihrer täglichen Arbeit als Erfolg zu verkaufen.42

Vermisst wird zurecht ein Zukunftsentwurf, der den neuen Verhältnissen (die man

jetzt gut oder schlecht finden kann) gerecht wird, ohne zugleich alle sozialen

Errungenschaften über Bord zu werfen. Nötig wären Gewerkschaften, die sich mit

eigenen Initiativen in die Diskussion über den Weg aus der Krise einmischen.

Es zeigt sich aber auch: da wo derartige Initiativen und Vorschläge vorhanden sind,

werden sie in der Öffentlichkeit oft zu wenig wahrgenommen. Beispiele für

gewerkschaftliche Projekte, Reformen und Vorschläge gibt es genügend: Was ist aus

der Zukunftsdebatte der IG Metall (Zukunftsreport 2001) geworden, deren

differenzierte Ergebnisse kaum einen Niederschlag in der öffentlichen Diskussion

und in der Tagespresse fanden? Was ist etwa aus der 2003 vom DGB angekün-

digten Initiative �Pro soziale Verantwortung� geworden? Wo liest man, dass

42 Es muss hier angemerkt werden, dass die konkreten Erfolge gewerkschaftlicher Arbeit vermutlich

weitaus häufiger in der regionalen und lokalen Berichterstattung der Printmedien (weniger in den von uns ausgewerteten überregionalen Zeitschriften) zu finden sind.

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Gewerkschaften sich um Mobbing-Opfer kümmern, Arbeitslosentreffs organisieren,

sich bei Karstadt für sozial korrekt produzierte Textilien einsetzen, sich für verfolgte

Kollegen aus Kolumbien stark machen oder für Rechte der Mitarbeiter des Metro-

Konzerns, die in der Türkei beschäftigt sind, kämpfen? Alle diese Beispiele aus der

Realität zeigen, dass die tatsächliche und konkrete Arbeit der Gewerkschaften an

vielfachen regionalen, nationalen und internationalen Brennpunkten nicht wahrge-

nommen wird. Selbst wenn man die Tendenz der Medien zu Personalisierungen und

schlagzeilenträchtigen Meldungen berücksichtigt � das Problem der (positiven)

Vermittlung der eigenen Arbeit ist damit nicht vom Tisch.

Es bedarf also auch einer verbesserten Medienstrategie zur Vermittlung ihrer Inhalte.

Die Gewerkschaften haben sich noch nicht klar genug gemacht, wie Medien in einer

Informationsgesellschaft funktionieren. Sie pflegen eine binnenorientierte Kommuni-

kation und führen zu häufig Insider-Debatten. Sie kommunizieren mit sich selbst und

unterlassen es, über ihre Arbeit in der Gesellschaft zu berichten. Die Kommunikation

ist insgesamt mehr auf die Organisation abgestellt und weniger nach außen

ausgerichtet.

Die gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit wiederum muss sich zur täglichen Arbeit

der Journalisten aktiver verhalten und auf die massenmedialen Anforderungen und

Beziehungsangebote reagieren. In einer Befragung der Pressestellen der IG Metall

und der ÖTV auf Bundes- und Landesbezirksebene kommt Thomas Neukirchen zu

folgendem Schluss: �Unerklärlich hoch ist die Anzahl der fehlenden Angaben bei der

Frage nach der Häufigkeit von Redaktionsbesuchen: Über die Hälfte der Befragten

machen keine Angaben. Andererseits fehlen nur vier Angaben bei der Frage nach

der Häufigkeit von Einladungen an Journalisten. (...) Die Bedeutung der

Hintergrundgespräche wurde von den Pressesprechern sehr hoch eingeschätzt.

Lediglich ein gutes Viertel der Befragten gab jedoch an, diese Hintergrundgespräche

überwiegend aktiv zu suchen.� (Neukirchen, zit. in Arlt 1998, S. 218, Fn. 13.)

Ohne genauer auf die innerorganisatorische Kommunikation einzugehen, die nicht

Gegenstand unserer Studie ist, fällt auf, dass die in den Medien gemachten Vorwürfe

und Kommentare selten zum Gegenstand der gewerkschaftlichen Diskussion

werden. Die negative Grundhaltung der Medien scheint im Gegenteil oft als

Bestätigung der eigenen Position. Gegen alle recht zu haben, stärkt zwar den

psychischen Binnenraum der Organisation, vermag aber nicht mehr externe

Informationen aufzunehmen. Wollen Gewerkschaften jedoch in Zukunft wieder

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kulturellen Einfluss und Hegemonie gewinnen, müssen sie stärker mit der

Gesellschaft auf Tuchfühlung gehen. Es fehlen innerhalb der Gewerkschaften

Diskussionen, die nicht von vornherein entlang eng definierter Grenzen, sondern

ergebnisoffen geführt werden. Dass dabei liebgewordene Dogmen und Überzeugun-

gen zum Gegenstand der Diskussion werden, ist vielleicht schmerzhaft aber

notwendig.

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6. Zitierte Artikel (2003) und Literatur

Datum Medium Autor/en Titel 02.01. ZEIT Tobias Pusch Streikverbot für die Gewerkschaft

verdi 04.01. ND Arno Klönne Angriff auf Sozialstaat 05.01. FAZ a.S: Bettina Bonde Geld oder Arbeit 06.01. Spiegel Michael Sauga Wie bei Schlecker 08.01. FAZ hig Nachahmer gesucht 09.01. ZEIT Helmut Schmid Wider die Erpressung 09.01. Berliner Steffen Gassel u.a. Drei Prozent � was bringt das

denn? 13.01. HB Thomas Knip Zum Kampf 13.01. Spiegel Wolfgang Bayer u.a. Sieger auf verlorenem Posten 14.01. FAZ nf Die Gleichmacher 15.01. FTD - Sommers Welt 17.01. Welt Christoph Schiltz Die Wirtschaft fordert längerer

Arbeitszeiten 18.01. StuttZ Peter Christ Neues vom Superminister 18.01. FR Thomas Gerstenkamp Erste Verbindung: Connex 19.01. Wams Kai Sanders So schafft man keine Arbeit, Herr

Sommer 20.01. BILD. Paul C. Martin Leichter kündigen? 20.01. FAZ - Die Gelegenheit 20.01. FTD Christoph Keese Mehr Jobs durch weniger Schutz 22.01. FTD - Bündnis gegen Reform 24.01. Welt Detlef Gürtler Die Produktivitätspeitscher 25.01. taz Helmut Spitzley Gastkommentar 28.01 HB Rainer Nahrendorf Tarifpolitische Torheiten der Ost IG-

Metall 06.02. FR Wolfgang Däubler Nötige Hürden gegen Willkür 06.02. Tages Bernd Ulrich Reaktionäre von Links 07.02. FAZ Hans D. Barbier Von Hartz zu Clement 10.02. FR Wolfgang Storz Blockierter Aufbruch 13.02. WiWo Sven Afkrippe u.a. Letztes Gefecht 20.02. HB Helmut Harschild Mut zur Realität 21.02. SZ Robert Jacobi Bloß nicht bewegen 24.02. FAZ Michael Hanfeld Panorama 24.02. BILD Peter Gauweiler IG Schlafmützen 24.02. FTD Christoph Keese Brüder, zur Sonne, zur Freiheit! 26.02. FR rt Wörterbuch: Kündigen 27.02. FTD Anton Notz u.a. Das Ende der Nostalgie 01.03. SZ Marc Beise Das Recht auf Kündigung 02.03. BILD Guido Westerwelle Wir brauchen eine Maggie Thatcher02.03. BILD - Ich arbeite für vier Euro die Stunde 06.03 Berliner Hendrik Mumsberg Schuld und Unschuld der Gewerk-

schaften

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Datum Medium Autor/en Titel 17.03. Focus F. Borst u.a. Im Griff der Neinsager 19.03. FAZ nf Artiger Applaus 19.03. StuttZ Matthias Schiermeyer Der Protest muss noch wachsen 28.03. StuttN Markus Brauer Verdi mal anders 05.04. SZ Robert Jacobi Auf dem Weg ins Abseits 08.04. FR Hans-Jürgen Arlt Nur ein neuer Vorstand oder eine

neue IG Metall? 10.04. ZEIT Robert Leicht Berliner Machtprobe 14.04. Focus

Money Peter Bloed Der rote Konzern

14.04 FTD Christoph Keese Für Arbeitnehmer, gegen Arbeits-lose

16.04. FAZ Renate Köcher Machtprobe 26.04. StuttZ Matthias Schiermeyer Alle Funktionäre stehen still � alle? 05.05. Tages Klaus Wieking Nein zum Nein-Sprech 05.05. HB Bernd Zieseman Machtprobe 05.05. FTD Christoph Keese Was bringt der Kündigungsschutz? 05.05. Spiegel Nina Hacker u.a. Lobby des Stillstandes 06.05. SZ Jonas Viering Zu laut gebrüllt 08.05. Welt Mathias Zschalgen Der gefesselte Riese 08.05. SZ Robert Jacobi Flucht aus der Wirklichkeit 12.05. SZ Norbert Blüm Lob der Gewerkschaften 15.05. Stern Hans Ulrich Jörgens Adieu, Gewerkschaften! 21.05. HB Bernd Ziesemer Irrsinn mit Methode 23.05. FTD Margaret Hechel Randalierer direkt ins Aus 23.05. SZ Joachim Starbatty Gewerkschaft verliert an Glaub-

würdigkeit 25.05. Wams Markus Albers Kündigung als Chance 31.05. Tages Stephan Lebert Links liegen gelassen 09.06. Focus Krista Sager Ein gefährliches Manöver 11.06. HB Lothar Späth Schluss mit dem Klassenkampf 20.06. SZ Jonas Viering Flächentarif � die Friedensformel 24.06. Welt Norbert Berthold Handlung und Haftung 26.06. ZEIT Gisela Wild Wenn Streik zum Krieg wird 28.06. Berliner Hendrik Munsberg Wozu Gewerkschaften? 30.06. Spiegel Henning Krumveg Die Flops der Funktionäre 30.06. FAZ Nico Fickinger Kapitulation und Neuanfang 01.07. FTD A. Notz u.a. Auf Biegen und Brechen 01.07. Welt Uwe Müller Die Gewerkschaften sind nicht

geschwächt 01.07. FAZ mika In medias res 02.07. Welt Joachim Stoltenberg Das Signal aus Berlin 02.07. FAZ ink Zeit gegen Geld 03.07. ZEIT - Wir müssen uns öffnen 05.07. BILD Peter Boenisch Ein Betonkopf muss zurücktreten 07.07. Spiegel Michael Sauga Die Selbstdemontage 07.07. Tages Harald Martenstein Brüder mehr Sonne 07.07. FAZ nuf Mit Augenmaß 08.07. FR Günther Schmid Anpassung an moderne Zeiten

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Datum Medium Autor/en Titel 09.07. Berliner Matthias Loke Paralysierte Gewerkschaft 09.07. FR Mario Müller Mut zur Alternative 10.07. FTD Margaret Hechel Zurück an die Werkbank 10.07. ND Velten Schäfer Schwarzer Sommer 10.07. Welt Ulrich Clauss Gewerkschaftsgewurstel 10.07. ZEIT Christian Tenbrock Innovative Gewerkschaft 12.07. SZ Martin Reim Nützliche Plagegeister 13.07. FAZ Rainer Hank Weltbeglückung mit Tarifpolitik 14.07. Welt U. Clauss Dienst ist Dienst 15.07. ND - Henkel macht auch Bosse madig 15.07. BILD Hans-Olaf Henkel Bis einer umfällt 15.07. FTD Klaus Zimmermann Flexibler, Offener, Bescheidener 19.07. SZ Nikolaus Piper Die Grenzen der Solidarität 22.07 FTD Wolfgang Münchau Kandidat Peters 23.07. Welt Uwe Müller Zurück nach vorne, Gewerkschafter23.07. FAZ Hans-Werner Sinn Wieder 42 Stunden arbeiten 26.07. taz Jupp Legrand Zwischen Morgen und Grauen 28.07. Berliner Mathias Loke u.a. Gewerkschaft will Mindestlohn 29.07. FTD - Nutzlose Appelle 29.07. HB bag Ideologischer Kleinkrieg 29.07. taz Thomas Gerstenkamp Die Liebe zur Arbeit 31.07. Tages Dieter Fockenbrock Arbeit muss wachsen 03.08. Wams Otto Graf Lambsdorff Willkommen im 21. Jahrhundert 05.08. FR Hartmut Seifert Eine Verlängerung der Arbeitszeit

führt nicht zu mehr Beschäftigung 05.08 taz Marcus Schwarzbach Räte als Retter 12.08. Tages Jobst Hubertus Bauer Kündigungsschutz am Arbeitsmarkt

vorbei 15.08. HB Helmut Hauschild Das vergeigte Jobwunder 16.08. taz Thilo Knott Nieder mit dem Tarifkartell 25.08. FR Jupp Legrand Die IG Metall muss ihre Fenster

aufstoßen 25.08. HB cs Ladenschluss-heilige Kuh Sonntag 26.08. FR Ulrike Füssel Das Umfeld, die Medien und

Zwickel waren schuld 26.08. HB Rainer Nahrendorf In der Defensive 28.08. ZEIT Christian Tenbrock Mitglieder verzweifelt gesucht 28.08. FR Peter Bofinger Der deutsche Arbeitsmarkt ist

keineswegs unflexibel 29.08. HB Helmut Hauschild Hardliner oder Reformer 01.09. FAZ Nico Fickinger Der Denkzettel 05.09. SZ Jonas Viering Wozu noch Gewerkschaften? 08.09. HB Dietrich Creutzburg Mehr Freiheit schafft Arbeit 09.09. Tages Carsten Brönstrup Clement gegen die Gewerkschaften11.09. FAZ Nico Fickinger Am Ende der Geduld 15.09. Spiegel Jan Berg u.a. Angst vor Anarchie 18.09. SZ Marc Beise Mehr arbeiten, weniger klagen 19.09. HB - Hartz stößt neue Arbeitszeit-

Debatte an

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Datum Medium Autor/en Titel 19.09. SZ Jonas Viering Noch ein Hartz 24.09. HB ruf Kakofonie 24.09. Welt Dorothea Siems Die Betriebe brauchen mehr

Freiheiten 24.09. SZ Robert Jacobi Was günstiger ist 25.09 ZEIT Susanne Gaschke Die Sozifresser 25.09. HB Norbert Bechthold Wider das Kartell 26.09. SZ Robert Jacobi Angst vorm Kanzler 27.09. FAZ nf Die Verbeugung 29.09. Berliner Matthias Loke Des Kanzlers Rückzieher 29.09. FR rt Strategiedefizit 07.10. BILD - 10 bittere Wahrheiten über unser

Land 07.10. Welt Peter Hahne Die Deutschen sind nicht faul 09.10. SZ jv Drama der Lehrstellen 10.10. FR Ingrid Sehrbrock Eklatante Lücken und Schwächen 10.10. HB Donata Riedel Dazugelernt 13.10. Spiegel Janko Tietz Kapitalismus pur 14.10. Welt Christoph Schiltz Ab in die neue Zeit 14.10 HB Rainer Nahrendorf Wortbrüchig 16.10. WiWo Bert Losse Für die Kirche 16.10. SZ N. Piper Der richtige Lohn 22.10. FTD - Ende einer Massenbewegung 23.10. Berliner Matthias Loke Der heiße Herbst der Gewerk-

schaften fällt aus 23.10. HB D. Creutzburg In der Wagenburg 24.10. FAZ Nico Fickinger Gewerkschaften in der Identitäts-

krise 25.10. SZ - Gewerkschaft als Reformpartner 27.10. Focus Herbert Weber Mit harter Hand 28.10. ND Thomas Strohschneider Angemessen überzogen 29.10. FTD - 24 Stunden 30.10. BILD Hans-Olaf Henkel Unsere Arbeit ist zu teuer 31.10. FAZ ank Die Lohnzahl 01.11. FR Eva Roth Kürzungen landauf, landab 04.11. FR Wolfgang Storz Störende Einfälle 05.11. SZ Nina Bovensiepen u.a. Wem die Stunde schlägt 05.11. FR Detlef Hensche Keine Gewerkschaft beharrt in der

Not auf Tarifeinhaltung 06.11. HB Barbara Gillmann Die Würfel sind gefallen 06.11. Welt Stefan von Borstel Geld für ein Gespenst 10.11. Focus Verena Köttker u.a. Für ein paar Stunden mehr 11.11. Welt Stefan von Borstel Signal gegen Jobs 11.11. FAZ nf Funktionärsmacht 12.11. HB tri Sachverständige kritisieren Tarif-

parteien 14.11. HB - Verdi-Staat Deutschland 14.11. FR Georg Fülberth Die Sache mit dem Lohndumping 21.11. FAZ nf Auf bessere Zeiten

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Datum Medium Autor/en Titel 25.11. FAZ Jürgen B. Donges Tarifpolitik wieder auf falschem

Gleis 26.11. FR Heide Pfarr Gerade in der Krise brauchen Be-

schäftigte den Schutz des Tarif-rechts

27.11. FR Rainhard Bispinck Tariföffnung ist längst üblich 27.11. WiWo Dieter Schnaas Hoffen auf mehr Arbeit 28.11. SZ Nikolaus Piper Vier Prozent in der Krise 28.11. Berliner Matthias Loke Maßarbeit in der Metall-Runde 29.11. FR Peter Grottian Sich selbst eine Arbeit geben 04.12. ZEIT W. Gehrmann u.a. Flexible Funktionäre 04.12. Berliner Thorsten Knuf Merkel, Merz und die Lohndrücker 04.12. SZ Robert Jacobi Trauriges Geständnis 05.12. Welt Klaus-P. Schöppner Die Deutschen sind bereit, weniger

zu arbeiten für weniger Geld 05.12. Berliner Christian Bommarius Die gelbe Gefahr 05.12. FR Thorsten Schulten Der Flächentarifvertrag ist kein

Auslaufmodell in Europa 06.12. FR Walter Lochmann Arbeit fair teilen 10.12. StuttZ Peter Christ Beweglichkeit rettet Stellen 10.12. FR Wolfgang Storz Die Tarifparteien scheuen sich

Neuland zu betreten 16.12. FR Ulrich Walwei u.a. Und der Arbeitsmarkt bewegt sich 17.12. ZEIT Christian Tenbrock Die Verlierer

Weitere Literatur:

Arlt, Hans-Jürgen (1998): Kommunikation, Öffentlichkeit, Öffentlichkeitsarbeit. PR

von gestern, PR von morgen � Das Beispiel Gewerkschaften, Opladen/Wiesbaden

Bruckner, Pascal (1991): Ich leide, also bin ich. Die Krankheit der Moderne, Berlin

Ebbinghaus, Bernhard (2003): Die Mitgliederentwicklung deutscher Gewerkschaf-

ten im historischen und internationalen Vergleich, in: Schroeder, Wolfgang und

Wessels, Bernd (Hrsg.): Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundes-

republik Deutschland, Wiesbaden, S. 174-204

McCombs, Maxwell und Shaw, Donald (1972): The Agenda-Setting Function of

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Meschnig, Alexander und Stuhr, Mathias (2001): www.revolution.de. Die Kultur

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Meyn, Hermann (2001): Massenmedien in Deutschland, UVK Medien, Konstanz

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Schroeder, Wolfgang (2004): Gewerkschaften im Übergang. In: Mittelweg 36,

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Klopotek, Felix (2003): IG System und Co. KG, in: Jungle World, Nr. 42, 8. Oktober

Reich, Robert B. (1997): Die neue Weltwirtschaft. Das Ende der nationalen Ökono-

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