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Der vergessene Leib – Körpersprache und Körpersemantik im Umgang mit Schwerkranken, Sterbenden und Menschen im Wachkoma mit praktischen Übungen zur Selbsterfahrung PD Dr. med. Andreas Zieger www.a-zieger.de Abt. für Schwerst-Schädel-Hirngeschädigte Früh- und Weiterführende Rehabilitation Evangelisches Krankenhaus Oldenburg Dozent für Klinische Neurorehabilitation Gesundheits- und Klinische Psychologie Human- und Gesellschaftswissenschaften Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Fortbildungsseminar am Klinikum Bremen-Nord, 12.07.2006, 16:00-19:00 Uhr

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Der vergessene Leib –Körpersprache und Körpersemantik im Umgang mit Schwerkranken, Sterbenden und Menschen

im Wachkomamit praktischen Übungen zur Selbsterfahrung

PD Dr. med. Andreas Ziegerwww.a-zieger.de

Abt. für Schwerst-Schädel-Hirngeschädigte Früh- und Weiterführende Rehabilitation Evangelisches Krankenhaus Oldenburg

Dozent für Klinische NeurorehabilitationGesundheits - und Klinische PsychologieHuman- und GesellschaftswissenschaftenCarl von Ossietzky Universität Oldenburg

Fortbildungsseminar am Klinikum Bremen-Nord, 12.07.2006, 16:00-19:00 Uhr

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Die Krise der modernen Medizin ist keine finanzielle, sondern vor allem

eine geistige!(Hess und Hess-Cabalzar 2001)

Immer mehr Menschen sind mit der biotechnischen Orientierung in der Medizin unzufrieden und wenden sich alternativen

Heilverfahren einer „Menschenmedizin“ zu.

Überblick

I Basics zum LebensbegriffII Was haben Schwerkranke,

Sterbende und Menschen im Wachkoma gemeinsam?

III Autonomes Körperselbst –Körpersprache und Körpersemantik

IV Körpernahe Praxis (Dialogaufbau)V Fazit

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I Basics (1)

Leben ist • von Anfang an somatisch, psychisch und

sozial

Lebewesen • reagieren nicht einfach auf chemische

oder physikalische Reize, sondern• antworten auf innere und/oder äußere

Zeichen (Semion)

Zum Leben gehört Sterben, Auf- und Abbau, Werden und Vergehen, Geburt und Tod

Basics (2)

Jedes Lebewesen ist fähig, • sich selbst zu erregen (stimulieren,

aktivieren) und sich selbst zu organisieren• sich und seine Haltung veränderten

Umweltbedingungen anzupassen• sich selbst zu aktualisieren und

auszudrücken (Änderung des Tonus)• die Wirkungen seiner selbst (sich

bewegen, sich aktualisieren) durch körpernahes Wirken (Berührungen, Mit-Bewegungen) anderer zu spüren

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„Biomedizin“

Gerald Ulrich (1997): Die folgenschweren Wandlungen des Biologiebegriffs (1997):

• Trennung von res extensa (Körper) und res cogitans (Denken) seit Descartes

• Trennung von Leib, Seele und Geist (Aufklärung, Moderne)

• Leben als nur noch von außen Reizbares• Maschinenbild des Körpers =

biotechnisches Verständnis

„Körper“im biomedizinischen Verständnis

• Körper aus Organen zusammengesetzt• zielt auf Funktionstüchtigkeit (Normalität)• Funktionen können beobachtet und

gemessen werden• Körper haben (Objektstatus)• kann sich abnutzen, geschädigt und

irreparabel werden• kann „nutzlos“ und „wertlos“ werden

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Zum Beispiel:

Der „Apalliker“ als „Defizitfigur“ (Objekt)

• Augen geöffnet, kein Blickkontakt• Spontanatmung• SWR erschöpfungszeitl.• Reflexe/Automatismen • keine sinnvollen

Reaktionen auf Reize• keine absichtsvollen

Eigenaktivitäten

Terri Schiavo(2005)

Bewusst sein?

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Beziehungsmedizin/phänomenologische Anthropologie:

Thomas Fuchs (2000): • Das Gehirn lässt sich ebenso wenig vom

Körper isolieren, wie das Bewusstsein von seiner Leiblichkeit

• Leiblichkeit ist Ausdruck der Verletzlichkeit (und Endlichkeit) unserer körperlichen Existenz, unseres Seins

• Selbstbewusstsein entfaltet sich auf der Grundlage des leiblichen Spürens (Wahrnehmens) und Sich-Bewegens

• Durch unseren Körper/Leib stehen wir von Anfang an in einer dialogischen Beziehung zur Welt noch bevor wir unser selbst bewusst werden (implizites Körperwissen)

• Leib und Person sind nicht voneinander zu trennen

• Menschsein ist in der Einheit von Leib und Person begründet und als „denkender Körper“ zu verstehen

• „Das Ich ist immer ein Körperliches“ (Freud)

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• Mitgefühl, Empathie („Affective tuning“)• Emotionale Mitbewegungen („Resonanz“)

• Nonverbale Kommunikation („Körpersprache“)

• Übertragung – Gegenübertragung

• Denken vom Anderen her („Theory of mind“)

Zwischenleibliche Kommunikation als existenzielle Grunderfahrung

„Spiegelneurone“

Implizites Körperwissen

„Körper-Leib“ im beziehungsmedizinischen Verständnis

• Subjektives Bezugssystem des Selbst• Körper sein: verletzlich, kränkbar und

vergänglich, funktionell, erotisch, sexuell, poetisch

• Schutz, Beziehung, (Mit-)Bewegung, Ausdruck (Zeichen), Selbstaktualisierung, Kommunikation, Dialog, Kooperation, Arbeit

• Sozialer Erfahrungsraum im Umgang mit anderen (implizites Körperwissen)

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Zum Beispiel: Wachkoma-Patient Beziehungsmedizinische Sichtweise

„Traumatisiert an Leib und Seele“ (Subjekt)

• Antwort auf einschädigendes Ereignis

• Zurücknahme auf das autonome Körper-selbst / Schutzhaltung

• Hochgradige Leib/Seele/Geist-Dissoziation• Spastische Haltung symbolisiert das

Trauma („Körpersemantik“)

Übung I

Wie/wann spüre ich meinen eigenen Körper?

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II Gemeinsamkeiten• Zurückgenommen auf das autonome

Körperselbst• Befinden sich in einer existenziellen

Extremsituation (Seinsweise)• Benötigen Sicherheit und Vertrauen• Sprechen nonverbal mit dem Körper: der

Körper symbolisiert das Erleben (Trauma, Schmerz, Schwäche, Abschied)

• „Natürliche“ emotionale Willensäußerungen• Sind auf verständnisvolle und empathische

andere Menschen angewiesen

Was ist diesen Menschen widerfahren?

• Haben ein schweres Stresstrauma, eine schwere Krankheit oder auch ein erfülltes Leben hinter sich

• Sind auf die „nackte“ Existenz zurückgeworfen, häufig „bewusstlos“

• Leben an unterschiedlichen Orten: Intensiv-/Normalstation im Krankenhaus, Frührehastation Palliativstation, Hospiz, Pflegeheim, zu Hause

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Unterschiede

• Schwerkranke sind nicht sterbend oder wachkomatös

• Sterbende sind oft schwerkrank, aber nicht wachkomatös

• Menschen im Wachkoma sind häufig schwerkrank und schwerstpflegebedürftig, aber nicht sterbend

Welche Bedürfnisse haben sie?

• Sicherheit und Vertrauen • keine Schmerzen zu haben• Kommunikation• Abwechslung• Aufrechtsein• Bewegung• nicht allein zu sein• Nähe, Zuwendung, Zärtlichkeit, Liebe• Identität, Autonomie, Spiegelung, Sinn

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Übung II

Wie fühlt sich „Sicherheit“ körperlich an?

Verkörperte Ohnmacht – auf beiden Seiten

Was bedeuten Übertragungsgefühle?

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„Spastische Haltung“

Körper im Schmerz?

„Verkrüppelte“ Füße

Welche Gefühle werden in uns ausgelöst?

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Ein solcher Anblick (wenn er nicht verdrängt wird)

löst Erinnerungen an eigene frühere traumatischeErfahrungen und Ängste vor Sterben und Tod aus:• „pathologisch“, „schrecklich“, „schmerzlich“

Übertragungsgefühle• „Grauenvoll“, „so möchte ich nicht leben“, „lohnt

nicht mehr“werden abgewehrt und auf den Patienten projiziert oder können reflektiert , d.h. gedanklichbearbeitet werden (oder im Gespräch mit anderen)

Übertragungsgefühle können nach Reflexionals Aufgabe zur Linderung von Leid, Förderungund Hilfestellung verstanden werden: • „Diesem Patienten geht es schlecht, er braucht

meine Hilfe!“ (Empathie)

Das eigene Ohnmachtsgefühl („Lähmung“) kannals Ausdruck der realen Hilflosigkeit („Lähmung“)des Patienten verstanden werden (weshalb auchich zuerst sprachlos bin oder wirke).

Diese einfache Erkenntnis meines Mitgefühlsermöglicht eine positive Gegenübertragung.

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↓Trauma 100% Fluktuation Unterstützte

Selbstbewegungen Selbständiges des Subjekts / Individuums

Leben

Rettungs- und Bifurkation Intensivmedizin t

Tod Koma Apallisches (Durchgangs-) Syndrom Remissionsstadien

Von Trauma und schwerer Krankheit gezeichnete Lebenslinie

Förderung vonSelbstaktualisierungund/oder Autonomie-Entwicklung: Hilfezum Leben, Hilfe zumSterben

Sterbend - Schwere Krankheit

StressTrauma

Koma als Schutzreaktion

Autonomes Körperkernselbst Zentralisation

Geburt

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Organismische Schutzreaktion(unwillkürlich)

1. SchreckreaktionZusammenzucken, Erstarren

Verstummen, „Totstellreaktion“2. Fliehen oder Kämpfen3. Zurücknahme (Zentralisation)

Schock, „Zusammenklappen“4. Kollaps, Tod

Bader-Johansson 2002

Was geht in diesem Menschen vor?

„Tetraspastische Haltung“ als Schultzhaltung und verkörpertes Trauma

Interpretation

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Übung III

Der Körper als Haus meiner Seele(Körper und Innerlichkeit)

NRZ Greifswald 1999

Inselförmig fragmentierte kortikale Residualaktivität im apallischen(?)

Syndrom/“Wachkoma“

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Schiff et al 1999/2002

Inselförmige kortikale Residualaktivität bei Patienten im Wachkoma (vegetative state)

Schmerzverarbeitung im Wachkoma!

Kassubek et al. 2003

AnterioresCingulum

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Inneres Wahrnehmen und Erlebenim Koma/Wachkoma

• „Ozeanisches Erleben“, „Ewigkeit“• Entgrenzungs-/Verschmelzungsgefühle• Innere Bilder, Träume, Albträume• Bizarres Körperselbstgefühl, ver-rückte

Körpereigenproportionen• Nahtoderleben: Tunnelerleben, Out of

body-Erfahrungen (OBE), Lichterwelten

Hannich & Dierkes 1996, Lawrence 1995,1997; Zieger 1998

Coma ImageryBizarres Körperselbsterleben

Johnson 1980

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Traumatische Körperpositionen

Johnson 1980

Neuropsychotraumatologische Modellierung vonKoma und Wachkoma

„Trauma“ traumatisierendes Ereignis

Physikalischer Impact↓ (Kaskade)

z.B. Kompression/Ödem(Mittelhirn, Hirnstamm)

↓↓Zurücknahme der Lebens-tätigkeit auf das autonome

Körperselbst (Selbst-abschliessung vom DU)

Psychischer Affekt↓

z.B. Schmerz, Bedrohung(Amygdala, Cingulum)

„keine Reaktion“bewusstlos

„Koma“↓

teilweise Remission(schwere leib-seelisch-geistige

Dissoziation)

„Schock“Zentralisation

↓ ↓ ↓

„Wachkoma“als Basis für Erholung/Remission/Reorganisation/Reintegration

Integriertes Neuropsychotraumatologisches

Verständnis (Denkmodell)

Stresstrauma

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III Autonomes Körperselbst Körpersprache + Körpersemantik

Vitale Grundrhythmen und PulsationenEinatmen

SystoleAnspannen

SchlafenStoffaufnahme

HungerLust

AusatmenDiastoleEntspannenWachenStoffabgabeSättigungUnlust

Vegetative Zeitgestalten und „Intelligenz“

Basale Kompetenzen

Vegetative Zeitgestalten und „Intelligenz“

Vitale Grundrhythmen und Pulsationen

„Sich öffnen“• Einatmen• Augen öffnen• Lippen bewegen• Mund öffnen• Körper entspannen• Erröten, Lächeln• Kopf zuwenden

„Sich schließen“• Ausatmen• Augen schließen• Lippen schmal machen• Mund schließen• Körper anspannen• Erblassen• Kopf wegdrehen

= analoge Zeichen einer frühen Reagibilität!

Körperliche Grundbewegungen im zwischenleiblichen Dialog

Weitung Engung

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Körpersprachliche (intuitive) Zeichen für „Wohlbefinden“

• Entspannte „aufmerksame“ Körperhaltung• Ruhige Atmung• Entspannte Mimik (Augenbrauen, Stirn)• Augen leicht geöffnet (oder geschlossen)• Mund leicht geöffnet (oder geschlossen• Rosige Hautfarbe• Angedeutetes Lächeln

Körpersprachliche (intuitive) Zeichen für „Stress“ „Anstrengung“, „Unmut“

• Zunahme der „spastischen“ Körperhaltung mit Anziehen/Beugung der Arme

• Gepresste, unruhige „schwere“ Atmung• Rotes Gesicht mit Schweißperlen• Augen/Mund weit geöffnet (oder fest

verschlossen)• Angespannte Mimik mit Stirnfurche und

Unmutsreaktionen („Fremdeln“)

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KörpersemantischeÜbersetzungen

Pathosymptomatik als Indiz für• SpontanatmungSchwitzen

• Austausch mit der WeltLebensgrundrhythmus

• Geöffnete Augenleerer Blickkein Fixieren

• Erwacht Innenschau, hindurchblickenverlorenes, diffuses Objekt

• Beugespastik mit Faust-schluß, „Fetalhaltung“

• Selbstschutz, -kontaktnicht kommunikativ

• Primitive Reflexe undSchablonen

• ErbkoordinationenSelbstaktualisierung

„Lesen im Buch des Körpers“

Übung IV

Wie fühlt sich „spastische Haltung“ an?

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IV Praxis: KörpernaherDialogaufbau

• „Körpernahe Interaktionen und Handlungsdialoge unter Einbeziehung von Angehörigen“ (Zieger 1993)

• Die Wirkungen seiner selbst durch die Berührungen/Hände/(Mit-)Bewegungen anderer spüren

• Aufbau von Ja/Nein-Codes

• Emotionale Ansprechbarkeit auf Musik

Dialogaufbau - Prozessstruktur

1.

2.

AbbruchVerabreden und wiederkommen

Hinwendung

Begrüßung u. Orientierung

5.

4.Gestalten

des Dialogfeldes

3.

Verabschieden

Nähertreten u. Initialberührung

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Verarbeitung von Dialog-, Reiz- und Wahrnehmungsangeboten/Interventionen

Appetitive Phase„Hunger“

Konsumptorische PhaseVerdauung, Schlaf, Erholung

Dialog-/Reiz-Wahrnehmungsangebot

Inkorporationsphasebis zur „Sättigung“

Autonomes Körperselbst

(Individuum/Subjekt)

Wie kann ich für jemanden, der in „spastischer Haltung“ leben muss, Wohlbefinden erreichen?

Übung V

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Körpernahe dialogische „Attraktoren“

• Liebevoller Blick• Lächeln• Vertraute Stimme• Singen• Liebevolle Berührungen, Handauflegen

Halten, Streicheln, „Sprechende“ Hände• Frühe Körperhaltungen / Mitbewegungen:

Atmen, Wiegen, Schaukeln, Umarmen Liebkosen

Rolle der Angehörigen?

Angehörigen-induzierte „Beruhigung“ „Entspannung“ und „Aufmerksamkeit“

im EEG-Power-Spektrum bei Pat. KA

L front

R frontAngehörige

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Ereigniskorrelierte „mimische“ Reaktions-potentiale im frontalen EMG unter

dialogischer Intervention bei Pat. SF

Frontales EMG

k

Dialogische Intervention

„Blinzel, wenn Du mich hörst!“

A B AStandardreize

Standardreize

Ereigniskorrelierte ß-Aktivierung im EEG-Powerspektrum unter therapeutischer

Intervention bei Pat. KA

L

R

Interventionsereignisse

1 2 3

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Aufbau von Ja/Nein-Codes

Elementare Codes• Seufzen• Lidschlag • Augen schliessen• Kopf nicken• Daumen drücken• Hand drücken, heben• Bein beugen• Buzzer drücken

Elaborierte Codes• ABC vorsprechen• ABC zeigen• Mimik, Gesten• Gebärden• PC-Taste

bedienen

Video-Beispiel für Buzzertraining

Patient DF, 47 Jahre altSchweres gedecktes SHT mit Hypoxieanfangs mehrwöchiges, tiefes Komadanach wachkomaartiges, apathisches Bild

Pflegerische Situation: „Willst Du mal raus aus dem Bett? Wenn ja, dann drück einmal drauf…!“

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Kommunikations-Modi

Nonverbal• analog

• mehrdeutig

• unsicher

• mitfühlend, empathisch

• intuitiv

Verbal

• digital

• eindeutig

• sicher

• weniger mitfühlend,empathisch

• rational

Umgang mit der Endlichkeit des Lebens:Angst vor Sterben und Tod und deren Verleugnung?

?Lineares Verständnis Rückbindung

Auch Wachkoma-Patienten sind sterblich

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„Sterben können in Würde“

• Förderung von Autonomie-Entwicklung: Wohlergehen, Patient als Subjekt/Akteur seines Sterbens

• Beachten der Willenserklärung des Patienten (ethisches Gebot)

• Dialogische Hilfestellung und Begleitung mit palliativen und hospizlichen Mitteln

• Dienstbare Andere sind unverzichtbar

Autonomie

• Willensautonomie (Wunsch nach Heilung)

• Essenzielle Autonomie (Wunsch nach Wohlergehen)

• „Salus non voluntas aegroti suprema lex“

• Nicht der Chirurg, sondern der Körper /Leib und die Zeit heilen die Wunden

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Autonomie bei „Nichteinwillligungsfähigen“

• Vorab erklärter Wille des Patienten• Mitteilungen der Angehörigen / Betreuer• Körpersprache des Patienten:

„Lebenswille“? „Lebenssatt“?• Reflektierte Übertragungsgefühle im

Behandlungsteam• Der Einzelne als Besonderes des

Allgemeinen

Autonome Funktionen bei „hirntot“ diagnostizierten Menschen:

• Wachstum von Haaren und Nägeln

• Spinale „Automatismen“: Greif-, Umklammerungs- und Schreitbewegungen

• Empfängnis / Fortsetzung /Austragung einer Schwangerschaft (bei künstlicher Beatmung)

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Wünsche von Sterbenden

• Keine Schmerzen / Ängste ertragen müssen

• Nicht zum abhängigen, würdelosen Objektgemacht werden

• Nicht abgeschoben werden

• Kontakt zu anderen Menschen

• Anderen nicht zur Last fallen

• Sich aussprechen können

• Die letzten Dinge regeln / erledigen können

Was tun?

• Essenzielle Autonomie vorWillensautonomie

• Förderung von Autonomie-Entwicklung- durch Willenserklärungen von Patienten- durch Sterbebeistand, d.h.

• Beziehungsmedizin mit Hilfe eineskörpernahen Dialogaufbaus im Sterben

• Statt „Todes- oder Tötungsverfügungen“:Palliativmedzin und hospizlicher Umgang

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Körpernaher Dialogaufbau

• Der Mensch ist „Anrede an die Welt“• Der Mensch wird am Du zum Ich • Wie kann Ich dem Anderen ein gutes Du

sein?• Hinwendung zum Anderen ist die

dialogische Grundbewegung• Sinnvolle Dialogangebote mit

„berührender“ Stimme und „sprechenden“ Händen

Wir können einem Sterbenden im Koma begleiten, indem wir

unseren Atem dem seinen anpassen ...

... ihn einfach nur durch das gemeinsame Atmen begleiten.

Daniela Tausch-Flammer: Die letzten Wochen und Tage.

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Menschen in veränderten Bewusstseinszuständen und Koma auf der Intensivstation

Kommunikation - Lebensprozessförderung - Therapie - spirituelle Begleitung - Forschung

Multiprofessionelles Forum Seelsorge- Medizin - Pflege - Psychologie - Therapie

www.traumland-intensivstation.de

Kongress

2005

2007

„Medizin ist eine Art und Weise, miteinander umzugehen.“

V.v. Weizsäcker 1947

V Fazit

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„Wir brauchen eine emotionale Medizin, eine verständnisvolle

körpernahe Praxis.“

(Zieger 2006)

In: Magazin „Menschen“ von Aktion Mensch3/2006, S. 93

„Die Schwachen und Kranken zu schützen ist die Würde der

Gesunden.“Dörner 2001

„Jede Gesellschaft hat die Medizin, die sie verdient!“

Geisler 2002