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1 Der Ursprung der Fledermäuse Reinhard Junker, Rosenbergweg 29, 72270 Baiersbronn Stand: 1. 8. 2011 in ähnlicher Form als Zweiteiler veröffentlicht in: Studium Integrale Journal 18 (2011), 17-25; 78-88 I n h a l t Faszination der Fledermäuse Echo-Bildsehen Systematik Entstehung des Flugapparats Fossilien Entwicklungsgenetik Kritische Anmerkungen Entstehung der Echoortung Morphologie und Fossilien Entwicklungsgenetik Phylogenetische Analysen „Flying-primate-Hypothese“ Neue Überraschung: Konvergenz der Echoortung? Konvergenzen und Selektionsdrücke Was ist eine Erklärung? Exploratives Verhalten als Erklärung? Kopplung Flug und Echoortung Wieviele Gene sind beteiligt? Dank Anmerkungen Literatur

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Der Ursprung der Fledermäuse

Reinhard Junker, Rosenbergweg 29, 72270 Baiersbronn

Stand: 1. 8. 2011

in ähnlicher Form als Zweiteiler veröffentlicht in:

Studium Integrale Journal 18 (2011), 17-25; 78-88

I n h a l t

Faszination der FledermäuseEcho-BildsehenSystematik

Entstehung des FlugapparatsFossilienEntwicklungsgenetikKritische Anmerkungen

Entstehung der EchoortungMorphologie und FossilienEntwicklungsgenetik

Phylogenetische Analysen„Flying-primate-Hypothese“Neue Überraschung: Konvergenz der Echoortung?

Konvergenzen und Selektionsdrücke

Was ist eine Erklärung?Exploratives Verhalten als Erklärung?Kopplung Flug und EchoortungWieviele Gene sind beteiligt?

DankAnmerkungenLiteratur

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Faszination der Fledermäuse

„Man hat den Eindruck, als habe die Natur beider Entwicklung der Fledermäuse so recht ausdem Vollen geschöpft, ihrer ‚Phantasie’ freienLauf gelassen und dabei die vielfältigsten undoft abenteuerlich anmutenden Formen hervor-gebracht.“ Mit diesem Satz drückt EISENTRAUT

(1968b, 120) seine Bewunderung für diese ei-gentümliche Tiergruppe aus. Thomas NAGEL

empfindet die Fledermäuse gar als „fundamen-tal fremde Form des Lebens“ (zit. in TEELING 2009,351). Besonders faszinieren das ausgefeilte Flug-vermögen und der Einsatz der Echoortung, aberauch die außerordentliche Vielfalt von teils gro-tesk wirkenden Gesichtsformen mit ihren viel-gestaltigen Nasenaufsätzen (denen einige Grup-pen ihre Namen verdanken wie z. B. die Hufei-sennasen) und den teils riesigen Ohren (vgl. Abb.2). „Keine andere Säugergruppe kann es in derVielfalt und Merkwürdigkeit der Gesichtsgestal-tung mit den Fledermäusen aufnehmen“ (EISEN-TRAUT 1968b, 120). Kein Zweifel: Fledermäusegehören zu den erstaunlichsten Geschöpfen undes wundert nicht, dass sie die Phantasie der Men-schen besonders angeregt haben.

Bemerkenswert ist auch die große Artenzahl.Mit etwa 1100 Arten in ca. 200 Gattungen und18 Familien bilden die Fledermäuse nach denNagetieren die zweitgrößte Säugetierordnung;etwa 20 % aller Säugerarten sind Fledermäuse.Fledermäuse sind weltweit verbreitet, am häu-figsten sind sie in den Tropen und Subtropenanzutreffen; einige Arten dringen aber auch bisin die arktische Zone vor. Sie gehören zu denökologisch und morphologisch vielseitigstenSäugetiergruppen, sind an verschiedenste Le-bensräume angepasst und spielen eine wichtigeRolle in den Ökosystemen (JONES et al. 2005,2243).

Echo-BildsehenFledermäuse setzen verschiedene Mechanismender Ultraschallerzeugung ein. Die Kleinfleder-mäuse (Microchiroptera), zu denen die meistenFledermäuse gehören, produzieren die Signaleim Kehlkopf. Die Flughunde (Megachiroptera)besitzen kein Echoortungssystem mit Ausnah-me der Gattung Rousettus, die ihre Laute mitZungenschnalzern produziert. Eine Art nutztmöglicherweise Flügelschläge zur Erzeugungvon Lauten (VESELKA et al. 2010, 939).

Die erzeugten Laute sind sehr unterschied-lich in der Ausprägung, Bandweite, Dauer, Puls-intervallen und Amplituden und stehen im Zu-sammenhang mit der Lebensumwelt der betref-fenden Arten. Einige Fledermäuse (Hufeisenna-sen, Blattnasen und Kinnblattfledermäuse) sto-ßen lange Laute mit konstanter Frequenz ausund können den Doppler-Effekt auswerten, in-dem sie die Geschwindigkeit ihres Flugs berück-sichtigen und die Frequenz ihrer Laute anpas-sen, so dass die eingehenden Laute mit einerbestimmten Frequenz ankommen („high-dutycycle echolocation“; TEELING 2009, 351; der dutycycle gibt das Verhältnis von Ruf und Rufpau-sen an). Manche Arten modulieren die Frequenzihrer Laute so, dass das Echo trotz Doppler-Ef-fekt konstant bleibt (SCHULLER & MOSS 2004, 3).

Der Ursprung der Fledermäuse

Fledermäuse faszinieren durch ihre außerordentlichen Flugkün-ste und ihre ausgeklügelten Fähigkeiten des Echo-Bildsehens.Fossil taucht diese zweitgrößte Säugerordnung in fertiger Formund großer Vielfalt auf. Hoffnungen auf die Aufklärung der Ent-stehung des Flugapparats und des Echoortungssystems werden indie vergleichende Entwicklungsgenetik gesetzt.

Reinhard Junker, Rosenbergweg 29, 72270 Baiersbronn

Abb. 1 Die Flughaut(Patagium) der Fleder-mäuse verläuft an einemgroßen Teil des Körpersentlang. (Wikipedia)

Dactylo-patagium

Plagiopatagium

Propatagium

Uropatagium

Calcar

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„Echo-Bildhören“ oder „Echoabbildung“ wärenadäquate Begriffe für ihre Fähigkeit. „Denn Fle-dermäuse unterscheiden auch Formen undOberflächenstrukturen und ‘erkennen’ damit diesie interessierenden Objekte ihrer Umwelt – wiez. B. Fruchtfresser die Bäume und die Früchte,von denen sie leben, oder tropische Blumenfle-dermäuse die verschiedenen, von ihnen ausge-beuteten, an den Besuch und die Bestäubungdurch Fledermäuse angepassten Blumen“ (DIETZ

et al. 2007, 34). „Offensichtlich ist das Gehirnder Fledermäuse imstande, aus den mithilfe derEchoortung erlangten Daten ein ebenso vollstän-diges und präzises Bild der raumzeitlichen Struk-tur der Umwelt aufzubauen, wie wir Menschenund viele anderen Wirbeltiere es mit Hilfe derAugen können. Wie das möglich ist, ist immernoch ein unverstandenes, informationstheoreti-sches und physiologisches Rätsel“ (DIETZ et al.2007, 35). In einer Nacht stößt eine Hufeisenna-se (Rhinolophus rouxii) bis zu ca. 400.000 Ortungs-laute aus (NEUWEILER 1993, 148)

Die von den Fledermäusen benutzten Techni-ken wie zum Beispiel der Einsatz von Breitband-Zwitschern zur Entfernungsmessung oder dieNutzung des Doppler-Effekts zur Bestimmungder relativen Geschwindigkeit haben Parallelenmit Methoden, die Ingenieure für kommerzielleund militärische Nutzung von Sonargeräten undRadar entwickelt haben (JONES & HOLDERIED 2007,905). Damit das Echo laut genug ist, müssen dieLaute in großer Lautstärke ausgestoßen werden,es werden über 130 dB erreicht, was für denMenschen bereits die Schmerzgrenze darstellt(DIETZ et al. 2007, 35).

Der Begriff „Echoortung“ bringt die Fähig-keiten der Fledermäuse nur unzureichend zumAusdruck. Denn Fledermäuse orten nicht nurGegenstände, sondern „ihre gesamte Orientie-rung in der Welt, nicht nur bei der Beutejagd,beruht auf ihrer Fähigkeit, die von ihren Rufenzurückkehrenden Echos zentralnervös zu verar-beiten und auszuwerten“ (DIETZ et al. 2007, 34).

Zusammenfassung

Mit etwa 1100 Arten in ca. 200 Gattungen und 18 Fami-lien sind die Fledermäuse nach den Nagetieren die zweit-größte Säugetierordnung und die einzige, zu der aktivflugfähige Arten gehören. Der überaus wendige Flug derFledermäuse fasziniert die Wissenschaftler ebenso wiedas ausgefeilte Echoortungssystem. Sowohl Flugfähig-keit als auch Echoortung sind bei den Fledermäusen unterden Wirbeltieren unübertroffen. Die Echoortung ist sogut ausgebildet, dass die Fledermäuse unter Einsatz vonUltraschall-Rufen mit ihren Ohren gleichsam sehen kön-nen (Echo-Bildsehen). Mit der Flugfähigkeit sind zahl-reiche Besonderheiten des Bauplans gekoppelt, die z.B. das Achsenskelett, den Schultergürtel, die seitlicheOrientierung der Hinterbeine und die kopfstehende, hän-gende Ruhestellung betreffen.

Klassisch wurden die Fledermäuse in Kleinfledermäu-se und Großfledermäuse unterteilt. Letztere werdenwegen der Kopfform vieler Vertreter auch als Flughundebezeichnet und sind bis auf eine Gattung nicht zur Echo-ortung befähigt. Aufgrund molekularer Analysen habensich die Kleinfledermäuse überraschenderweise als pa-raphyletisch herausgestellt (d. h. sie können nicht allevon einem gemeinsamen Vorfahren abgeleitet werden).Daher muss angenommen werden, dass die Fähigkeitdes Echo-Bildsehens zweimal unabhängig entstandenoder bei den Flughunden sekundär verlorengegangenist. Beide Deutungen sind evolutionstheoretisch sehr pro-blematisch.

Auch viele andere Merkmale sind unter den Fleder-mäusen so unsystematisch verteilt, dass vielfach mitKonvergenzen gerechnet werden muss, z. B. bei denDesigns der Rufe, die nicht in ein phylogenetisches Sche-ma gebracht werden können. Die Annahme gleichsinni-ger Selektionsdrücke ist hypothetisch und erklärt für

sich alleine nicht das Auftreten konvergenter Merkma-le.

Im Fossilbericht erscheinen die Fledermäuse ziem-lich unvermittelt im unteren Eozän in weiter geographi-scher Verbreitung und großer Vielfalt. Erst 2008 wurdeeine Fossile Gattung (Onychonycteris) entdeckt, derenMerkmale wahrscheinlich darauf hinweisen, dass � evo-lutionstheoretisch interpretiert � die Flugfähigkeit vorder Fähigkeit zur Echoortung entstanden ist.

Aufgrund des Fehlens von Übergangsformen zwischenFledermäusen und anderen Säugetieren können aufgrundfossiler Funde und des Baus heutiger Fledermäuse keinenennenswerten Hinweise auf die Entstehung der Flug-fähigkeit und des Echoortungssystems gewonnen wer-den. Neuerdings erhofft man sich aber, aus genetischenUntersuchungen Rückschlüsse auf die Entstehungswei-se ziehen zu können. So wurden einige Regulationsgeneentdeckt, die eine wichtige Rolle bei der Regulation derGröße der Fingerglieder, der Ausbildung der Flughautund des Sonarsystems spielen und deren Ausfall größereAuswirkungen hat. Daher wird spekuliert, dass gering-fügige Änderungen von Regulationsgenen zu einersprunghaften Entstehung der Flügel und vielleicht auchdes Echoortungssystems beigetragen haben könnten.Solche Überlegungen erscheinen aber sehr voreilig an-gesichts der Tatsache, dass ein funktionierender Flug-apparat weit mehr benötigt als verlängerte Fingerglie-der und einen Ausfall des programmierten Zelltods zwi-schen den Fingern. Zum Flugapparat gehören zahlrei-che neue Muskeln, Bänder und eine spezielle Beschaf-fenheit der Flughaut, ein ganzes System von Flughäu-ten und vieles mehr, dessen sukzessives Entstehen un-plausibel erscheint. Entsprechendes gilt für das Echoor-tungssystem.

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Fledermäuse können mit ihremEcho-Bildsehen ein ebenso präzi-ses Bild der raumzeitlichen Struk-tur der Umwelt aufbauen, wie wirMenschen es mit Hilfe der Augenkönnen.

Welche Anforderung an ein Echo-Bildsehengestellt wird, sei beispielhaft am Problem derÜberlappung von Ruf und Echo kurz angespro-chen. Die Rufe müssen mit großer Lautstärkeausgestoßen werden, damit überhaupt ein aus-reichendes Echo über eine größere Entfernungzurückkommt. Das Echo darf aber nicht im„Lärm“ des Rufes untergehen. Dem begegneneinige Fledermäuse dadurch, dass die Rufe beimAnnähern an die Beute sukzessive kürzer undleiser werden, so dass Echo noch wahrnehmbarist und nicht im Ruf untergeht. Eine ganz phan-tastische Lösung dieses Problems wurde bei denHufeisennasen entdeckt: Sie sind für die Fre-quenz des Rufes schwerhörig, das Echo hat aberwegen des Doppler-Effekts eine andere Fre-

quenz, die die Fledermäuse gut hören (DIETZ etal. 2007, 39; Abb. 3).

SystematikDie Fledermäuse werden traditionell in Klein-fledermäuse (Mikrochiroptera, mit 17 heute le-benden Familien) und Flughunde (Megachirop-tera, 1 Familie) unterteilt (Tab. 1). Die meistenArten der Flughunde sind größer als die Artender Kleinfledermäuse; die Flughunde können biszu 1,5 kg schwer werden und bis zu 1,70 m Flü-gelspannweite besitzen (Gattung Pteropus). Da-gegen wiegt die kleinste Kleinfledermaus, dieHummelfledermaus (Craseonycteris thonglon-gyai), kaum 3 Gramm.

Während alle Kleinfledermäuse die Fähigkeitzur Echoortung bzw. zum Echo-Bildsehen (s. o.)besitzen, sind die Flughunde bis auf die GattungRousettus damit nicht ausgestattet. Viele mole-kulare Studien haben in neuerer Zeit ergeben,dass die Mikrochiroptera nicht monophyletischsind, was zu einer neuen Unterteilung in Yinp-terochiroptera und Yangochiroptera geführt hat(Näheres dazu im Abschnitt „PhylogenetischeAnalysen“ im zweiten Teil in der nächsten Aus-gabe).

Entstehung des Flugapparats

Die Fledermäuse bilden die einzige Gruppe un-ter den Säugetieren, die aktiv fliegen kann. DieMittelhand- und die Fingerknochen außer demDaumen sind verlängert und dienen als Gerüstfür die weitgehend oder völlig unbehaarte Flug-haut (Patagium, im Bereich der Finger als Dac-tylopatagium bezeichnet). Die Flughaut verläuftnach vorne von den ebenfalls verlängerten Arm-knochen weiter zum Hals (Protopatagium, Vor-derflughaut). Sie erstreckt sich weiter an der Kör-perseite entlang bis zu den Beinen (Plagiopata-gium, Seitenflughaut) und zwischen den Beinen(Uropatagium, Schwanzflughaut) (Abb. 1). ZumStützen und Spannen der Schwanzflughaut be-sitzen viele Arten eine besondere Knochenspan-ge, den Sporn (Calcar) an der Ferse.

Die Flughaut ist dünn, sehr elastisch, den-noch reißfest und von feinen Muskelfasern, ela-stischen Bändern, Nerven und Blutgefäßendurchzogen (Abb. 4). „Diese Blutgefäße zeigenein selbständiges, rhythmisches Pulsieren; da-durch ist die gleichmäßige Blutversorgung auchder entferntesten Teile der Flughaut gesichert“(EISENTRAUT 1968a, 89), außerdem wird dadurcheine schnelle Wundheilung ermöglicht. Für diesehr empfindliche Flughaut verwenden die Fle-dermäuse viel Zeit mit der Pflege. Die Flughautdarf nicht austrocknen und muss geschmeidiggehalten werden; die Fledermäuse reiben sie miteinem Drüsensekret aus der Mundfalte ein. Ihre

Abb. 2 Tafel aus ErnstHaeckels �Kunstformender Natur� 1904(Wikipedia)

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weichen und durch viele Muskeln justierbarenFlügel erlauben den Fledermäusen ein hervor-ragende Manövrierbarkeit und Wendigkeit (NEU-WEILER 1993, 27). Die Flügeloberfläche ist mittastempfindlichen Rezeptoren ausgestattet,sogenannte Merkel-Zellen, die es zwar auch beianderen Säugetieren gibt, bei den Fledermäu-sen aber noch ein feines Härchen im Zentrumbesitzen, wodurch sie noch empfindlicher sindund Informationen über Luftbewegungen imFlügelbereich sammeln können, um den Flugentsprechend anpassen zu können. WeitereRezeptoren bei Arten, die mit den Flügeln In-sekten fangen, können die Dehnung der Flug-membran ermitteln und dadurch Informationenüber den Beuteerwerb gewinnen.

Die Fingerknochen sind biegsam und sehrviel flexibler als bei anderen Säugetieren und imQuerschnitt abgeflacht. Angesichts der Leicht-bauweise besteht die Gefahr eines Durchschla-gens der dünnen Flughaut. Dies wird dadurchverhindert, dass die verlängerten Finger als„Spannsparren eingesetzt werden und die Flug-haut an der Körperwand und den Beinen festge-zurrt wird.“ Die Fledermäuse können die Wöl-bung ihrer Flügel verändern und auf diese Wei-se den Flugbewegungen anpassen (NEUWEILER

1993, 8). In der Ruhestellung werden die Flügelwie eine Ziehharmonika zusammengefaltet anden Körper angelegt und die Flughaut zieht sichzusammen und wird verkleinert.

Mit der Flugfähigkeit sind zahlreiche Beson-derheiten des Bauplans gekoppelt, die das Ach-senskelett, den Schultergürtel, die seitliche Ori-entierung der Hinterbeine und die kopfstehen-de, hängende Ruhestellung betreffen (GUNNELL

& SIMMONS 2005, 210). „Der besonderen Bean-spruchung der Vordergliedmaßen beim Fliegenentspricht die kräftig entwickelte Flugmuskula-tur und ein sehr fester Schultergürtel. Der großeBrustmuskel sitzt am verknöcherten Brustbeinan, das in der Mittellinie ähnlich wie bei denVögeln einen flachen Kamm hat. Das Schulter-gelenk ist ein kompliziert gebautes Kugelgelenk,das die rudernden Bewegungen des Flügels ge-stattet. Ellenbogen, Hand- und Fingergelenkesind Scharniergelenke, die zusammen mit derentsprechenden Muskulatur der ausgespanntenFlügelfläche festen Halt geben“ (EISENTRAUT

1968a, 89). „Fast alle Besonderheiten der Fle-dermäuse hängen in irgendeiner Weise mit ih-rer Fähigkeit zu fliegen zusammen“ (DIETZ et al.2007, 28).

Wenn man die Entstehungsweise des Flug-apparats aufklären möchte, muss man sich dievorgenannten Details und Zusammenhänge vorAugen halten. Die wichtigsten Indizien, die zurKlärung beitragen können, stammen aus der Pa-läontologie und der Vergleichenden Entwick-lungsgenetik.

FossilienÜber die Entstehung des Flugapparats gebenFossilien nahezu keine Auskunft. Die ältestenfossil überlieferten Fledermäuse erscheinenplötzlich und vielfältig im unteren Eozän (vorca. 52 Millionen Jahren nach radiometrischenDatierungen), so zum Beispiel Icaronycteris in-dex aus der Green-River-Formation in Wyoming(Abb. 5). Bei dieser Gattung wird lediglich einekleine Klaue auf dem Zeigefinger als Rest vonbodenlebenden Vorfahren interpretiert (SIMMONS

2008, 99), die Beinproportionen werden als et-was primitiver eingestuft als bei anderen Fle-dermäusen, die Finger besitzen rudimentäreEndphalangen und es fehlt ein Calcar (GUNNELL

& SIMMONS 2005, 214). SIMMONS (2008, 99) stelltdennoch fest: „Ironically, however, perhaps themost remarkable thing about Icaronycteris is justhow much this ancient beast resembles extantbats.“ Auch alle anderen untereozänen Formenwie Archaeonycteris (Abb. 6) oder Palaeochirop-teryx aus Europa besitzen bereits alle Kennzei-chen des aktiven Flugs (SEARS et al. 2006, 6581;GUNNELL & SIMMONS 2005, 209) und der Fleder-maus-Bauplan ist seit seinem fossilen Erschei-nen weitgehend konstant geblieben (NEUWEILER

2003, 249).

Abb. 3 Hörschwelleeiner Großen Hufeisen-nase (Rhinolophus ferru-mequinum). In der Verti-kalen ist angegeben, abwelcher Lautstärke (inDezibel) der Schall vonder Fledermaus wahrge-nommen werden kann.Bei 82-83 kHz ist einschmales Band großerEmpfindlichkeit. DieFledermäuse stoßen Rufein etwas geringererFrequenz aus, so dass beiAnnäherung an eineBeute aufgrund desDopplereffekts das Echodie Frequenz des emp-findlichsten Bereichstrifft. (Nach DIETZ et al.2007)

Abb. 4 Anordnung vonMuskeln und elastischenBändern bei der Rauhhaut-fledermaus Pipistrellusnathusii. (Nach KRAPP 2004)

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Aufgrund molekularer Daten werden großeLücken in der Fossilüberlieferung der meistenFledermauslinien vermutet. Von der mutmaßli-chen Zeit der Existenz der Linien der Fleder-mausfamilien sind durchschnittlich 73 % ohneFossilbeleg (TEELING et al. 2005, 583). TEELING etal. sehen darin einen möglichen Grund für dasFehlen von Übergangsformen.

Alle fossilen Formen besitzenbereits alle Kennzeichen desaktiven Flugs.

Bereits aus dem mittleren Eozän sind vieleFledermausarten überliefert, die modernen Fa-milien zugeordnet werden können (GUNNELL &SIMMONS 2005, 209, 217) und die ältesten fossilbekannten Fledermäuse überlappen zeitlich mitmodernen Familien (TEELING et al. 2005, 582).Einige fossile Familien können heutigen Grup-pen nicht zugeordnet werden. Die aus der welt-berühmten mitteleozänen Grube Messel beiDarmstadt bekannten sieben Fledermausartenbesaßen so unterschiedliche Flügelformen, „dassman sie den Flug- und Jagdbiotopen heutigerFledermausgesellschaften zuordnen kann. Auchdie Variationsbreite von verschiedenen aerody-namisch wichtigen Parametern wie Flügelform

und Flächenbelastung deckte bereits quantita-tiv die Variationsbreite heutiger Fledermäuse ab“(HABERSETZER et al. 2008, 246). Wie Icaronycterisbesaßen die Messelfossilien „nahezu alle einzig-artigen Merkmale heutiger Fledermäuse“ (GUN-NELL & SIMMONS 2005, 214).

Die Fledermäuse waren im Eozän auch geo-graphisch weit verbreitet, es sind Funde aus Eu-ropa, Nordamerika, Nordafrika, Indien und Au-stralien bekannt, die überall plötzlich auftauchen(GUNNELL & SIMMONS 2005, 216; SMITH et al. 2007,1003; TEELING et al. 2005, 582). Bis 1998 waren24 Gattungen aus dem Eozän bekannt (SIMMONS

& GEISLER 1998, 5), davon acht aus dem Untereo-zän; viele heutige Mikrochiropterenlinien kön-nen bis zum Mittel- und Obereozän verfolgtwerden (DENZINGER et al. 2004, 311). Der geogra-phische Ursprung der Fledermäuse ist unbekannt(SMITH et al. 2007, 1003), ebenso besteht Un-klarheit über die nächsten Verwandten der Fle-dermäuse (SIMMONS 2008, 103). SIMMONS (2005;2008, 101) spricht daher von einer „Big-bang-Evolution“, die auch durch Daten über DNA-Sequenzen gefordert werde. Dieses Phänomentritt auch bei anderen Säugetiergruppen auf.

Lediglich die erst vor wenigen Jahren ent-deckte fossile Gattung Onychonycteris („Krallen-Fledermaus“, Abb. 7) besaß Merkmale, die aufmögliche evolutive Vorfahren hinweisen könn-

Abb. 5 Icaronycteris index aus dem Eozän von Wyoming (Wikipe-dia)

Abb. 6 Archaeonycteris trigonodon aus der Grube Messel beiDarmstdt (Wikipedia)

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ten, nämlich Klauen an allen fünf Fingern sowierelativ kurze Vorderarme und relativ lange Hin-terfüße im Vergleich zu anderen Fledermäusen(SIMMONS et al. 2008). Dennoch besteht keinZweifel, dass auch Onychonycteris aktiv über lan-ge Strecken fliegen konnte, wie der robuste Kno-chen- und Gelenkaufbau des Flügelskeletts, derversteifte Brustkorb und ein breiter Brustbein-kiel (Ansatz für die kräftige Brustmuskulatur)zeigen. Eine zusätzliche Flughaut zwischen Hin-terbeinen und Schwanzwirbelsäule hat vielleichtden möglichen Nachteil kleiner Flügel ausgegli-chen. Dazu half ein langer Calcar, der oben er-wähnte Knochensporn, der die Hautmembrander Schwanzflughaut aufspannte. Ein solcherfehlt bei den phylogenetisch nahe stehendenGattung Icaronycteris und der Messeler GattungArchaeonycteris (HABERSETZER et al. 2008, 250;SIMMONS 2008, 100); in dieser Hinsicht ist Ony-chonycteris also eher „modern“. Unter den heutelebenden Fledermäusen besitzen die Maus-schwanz-Fledermäuse (Rhinopomatidae) ähn-lich kurze und breite Flügel wie Onychonycteris.Sie haben einen ungewöhnlichen Gleit-Flatter-Flug, indem sie den Schlagflug durch kurze Gleit-phasen unterbrechen (SIMMONS 2008, 100).

Auch Onychonycteris ist also eine voll ausge-bildete Fledermaus und ein „beträchtlicher Um-fang an evolutionären Veränderungen trenntOnychonycteris und andere Fledermäuse vonihren bodenlebenden Vorfahren“ (SIMMONS 2008,103). Onychonycteris ist denselben Schichtengefunden worden wie Icaronycteris (SIMMONS

2008, 100). In einer morphometrischen Analysekonnten SEARS et al. (2006) zeigen, dass die Fin-gerproportionen des 3.-5. Fingers seit Beginnder fossilen Überlieferung der Fledermäuse un-verändert sind – ein weiterer Befund, der einplötzliches Erscheinen in der Fossilüberlieferungder Fledermäuse belegt.

EntwicklungsgenetikFossilfunde geben also keine nennenswerte Aus-kunft über die Entstehung der Fledermausflü-gel. Im Zeitalter der Genomforschung und derEntwicklungsbiologie stehen aber weitere Er-kenntnisquellen zur Verfügung, aus denen manHinweise auf den Ursprung von Organen zu ent-nehmen versucht. Die Biologen suchen nachGenen, die für die Ausbildung der betreffendenOrgane benötigt werden. Dazu dienen Verglei-che entwicklungsgenetisch bedeutsamer Genevon Fledermäusen mit flügellosen Säugetierenund deren Manipulation durch Veränderungenihrer Einflussnahme auf die Entwicklungssteue-rung. Aus diesem Wissen werden dann theore-tische Szenarien einer evolutiven Entstehungabgeleitet bzw. spekulativ entworfen.

Im Falle des Fledermausflügels sind die Ge-netiker fündig geworden. Es wurden Gene iden-

tifiziert, die bei der Verlängerung der Fingerkno-chen und bei der Ausbildung der Flughaut eineRolle spielen. Die Ergebnisse werden nachfol-gend skizziert.

SEARS et al. (2006), WEATHERBEE et al. (2006)und SEARS (2008) berichten über die Identifizie-rung von Genen, die bei der Bildung der Flug-haut und der Flügelknochen beteiligt sind undschließen aus ihren Befunden, dass geringe Än-derungen in der Expression von Genen (also derNutzung ihrer Information) große Änderungenim Bau der Flügel verursacht haben könnten.Säugetiere, die im Erwachsenenzustand keineHaut zwischen den Fingern ausbilden, besitzensolche Häute im embryonalen Stadium, bevordurch programmierten Zelltod das Gewebe zwi-schen den Fingern zurückgebildet wird. Dabeispielt der BMP-Signalweg eine wichtige Rolleals Regulator. BMP-Gene sind in den Regionenzwischen den Fingern aktiv und verursachen denZelltod. Bei den Fledermäusen wird jedoch imGewebe zwischen den Fingern eine große Men-ge des Gens Gremlin exprimiert, ähnlich wie inden Füßen von Enten, was die Aktivität von BMPunterdrückt. Das alleine genügt jedoch nicht, umdas Gewebe zwischen den Fingern zu erhalten;es muss als zweiter Inhibitor der Fibroblast-Wachstumsfaktor fgf8 („fibroblast growth fac-tor“) dazukommen, damit das Flughautgewebeausgebildet wird (SEARS 2008, 7; WEATHERBEE etal. 2006; vgl. Abb. 8).

Abb. 7 Holotyp von Ony-chonycteris finneyi. Bal-ken: 1 cm. (Aus SIMMONS etal. 2008, © MacmillanPublishers Ltd., Abdruckmit freundlicher Genehmi-gung)

Calcar

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Es wurden außerdem Gene identifiziert, dieeinen Einfluss auf die Länge der Armknochenund der Finger haben. In der Embryonalentwick-lung bilden sich die Finger bei Fledermäusenund Mäusen zunächst in gleicher Größe undwerden bei den Fledermäusen dann im Laufeder Ontogenese (Individualentwicklung) verlän-gert. Bei den Fledermäusen erfolgt die Bildungder Knorpelzellen in den Extremitätenanlagengegenüber den Verhältnissen bei Mäusen be-schleunigt, so dass mehr Knorpelzellen pro Zeit-einheit gebildet werden (SEARS et al. 2006, 6585).Dabei sind viele molekulare Signalwege betei-ligt (SEARS 2008, 9); es wurden mehrere Geneidentifiziert, die bei der Reifung der Knorpelzel-len eine Rolle spielen (SEARS et al. 2006, 6581).Dem BMP-Signalweg kommt auch hier eine tra-gende Bedeutung zu, er erscheint im Vergleichzu anderen Organismen hier deutlich ausgepräg-ter, d. h. BMP wird vermehrt exprimiert. Auchdas Wirkungsareal von FGF8 in der Randleistean der Spitze der Extremitätenknospe (AER) istim Vergleich dreifach vergrößert, ein Phänomen,dessen Ursache vermutlich von anderen vorge-schalteten Genen erst ermöglicht wird. Der Zu-sammenhang mit der Verlängerung der Knochenist hier aber noch nicht gesichert und erfordertweitere Untersuchungen (SEARS 2008, 9).

Ein weiteres Erfordernis für den Flug ist dieVerringerung des Gewichts. So ist die Elle beiden Fledermäusen reduziert (vgl. Abb. 9). Dafürsind nach SEARS (2008, 10) mehrere Entwick-lungsprozesse in drei Schritten erforderlich: Bil-

dung und nachfolgender Verlust des Knorpels,eine geringere relative Rate der Verlängerungder Elle und Verschmelzung mit benachbartenSkelettelementen. Der Autor stellt weiter fest,dass geklärt werden müsse, ob weitere Mecha-nismen geltend gemacht werden müssen, umdie korrespondierenden Änderungen in denumgebenden Geweben wie Muskeln und Seh-nen zu ermöglichen, die für den aktiven Flugbenötigt werden (S. 11).

Als weitere gut mögliche Kandidaten für dieRegulation des Skelettwachstums diskutiertSEARS (2008, 11) den Einfluss der Hox-Gene; hiersind zur genaueren Klärung weitere Untersu-chungen erforderlich.

Kritische Anmerkungen

Die deutlich ausgeprägtere Wirkung des BMP-Signalwegs scheint also eine wichtige Voraus-setzung für die größere Länge der Finger derFledermäuse zu sein. SEARS (2008, 10) merkt an,dass es „nicht notwendigerweise der einzige“Mechanismus sei. Darüber hinaus ist die Längeder Finger nur ein Parameter, der für die Flug-tauglichkeit der Flügel angepasst werden muss.Denn auch die Form und die unterschiedlicheLänge der einzelnen Finger müssen passendausgebildet sein. Eingangs wurde auch erwähnt,dass die Fingerknochen besonders flexibel undabgeflacht sind, was offenbar für die Funktions-fähigkeit des Flügelgerüsts notwendig ist. DieEinschätzung von SEARS (2008), dass kleine Än-derungen in der Expression von Schlüsselgenenzu großen Änderungen im Bau der Knochen undder Membran führte, erscheint vor diesem Hin-tergrund viel zu optimistisch und verkürzt (vgl.Kastentext). Bisher wurden in Wirklichkeit nursehr wenige Voraussetzungen der ontogenetischenAusbildung des Flügels geklärt. Über phylogene-tische Mechanismen ist damit noch gar nichtsgesagt.

SEARS (2008, 7) schränkt an anderer Stelleselbst ein, dass die Mechanismen, die für dieBildung der meisten Teile der Flughaut verant-wortlich sind, erst noch erforscht werden müs-sen. Schließlich können große Teile der Flug-haut nicht durch das Ausbleiben des program-

Abb. 8 SchematischeDarstellung der Unter-schiede der Gen-expression bei Mäusen(freie Zehen), bei Enten(Zehen mit Häuten) undbei Fledermäusen. HoheKonzentration des Bmp-Signalwegs verursachenZelltod zwischen denFingern. Bei den Entenwird dies durch dieAktivität von Gremlin(Gre) verhindert, bei denFledermäusen wirktaußerdem Fgf8 alsInhibitor. (NachWEATHERBEE et al. 2006)

Einige notwendige Voraussetzungen desFledermausflugs

� elastische, mit Muskeln und Bändern ausgestattete, reißfeste undreparierbare Flughaut

� Flughäute nicht nur zwischen den Fingern, sondern auch amKörper entlang

� biegsame, abgeflachte Fingerknochen� Form der Knochen für jeden Finger passend gestaltet� zusammenklappbare Flughaut� reduzierte Elle und weitere Gewichtsersparnisse� Spezielle Flugmuskeln und deren Koordination� Leichtbauweise des ganzen Skeletts� spezielle Fähigkeiten des Gehirns und des Verhaltens

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mierten Zelltods erklärt werden, von den beson-deren oben genannten unentbehrlichen Eigen-schaften der Flughaut ganz zu schweigen (s.Kastentext). So merken WEATHERBEE et al. (2006,15105) an, dass die molekularen Grundlagen derRegulation des Plagiopatagiums (Haut entlangdes Körpers) bei gleitenden Säugetieren unbe-kannt sei und dass dieses Gewebe bei den Fle-dermäusen auf eine ganz andere Weise gebildetwerde als das Chiropatagium (Fingerflughaut).Und was die Fingerknochen betrifft, so ist es mitderen Verlängerung alleine bei weitem nicht ge-tan. Erklärt werden müssen ja auch die spezi-fisch unterschiedlichen Längen der Fingerkno-chen, ihre Abflachung und ihre Flexibilität. Undauch all dies genügt bei weitem nicht, da beimFlug auch viele andere Organe und Gewebemitwirken. Diese Problematik wird im Abschnitt„Was ist eine Erklärung?“ im zweiten Teil desArtikels weiter vertieft werden.

Wir können kurz zusammenfassen:1. Es ist nur ein sehr kleiner Teil der geneti-

schen Grundlagen der Ontogenese der Flügel be-kannt. Mit der Identifizierung von Genen, die fürdie Ausprägung eines Organs notwendig sind,liegen Befunde zum Verständnis der ontogeneti-schen Entwicklung vor, die bei evolutionären Be-trachtungen berücksichtigt werden müssen.

2. Selbst wenn diese Grundlagen sehr vielweiter aufgeklärt wären, wüsste man noch nichtsüber den Modus und die Mechanismen einerevolutiven Entstehung im Verlauf der hypothe-tischen Stammesgeschichte, da man aus Mecha-nismen der Ontogenese nicht auf Abläufe wäh-rend der hypothetischen Phylogenese schließenkann.

3. Ebenso ungeklärt bleiben bei den disku-tierten spekulativen Erklärungsansätzen dieWechselbeziehungen zwischen den postuliertenontogenetischen Veränderungen im Verlauf derFledermausevolution und der sie bedingendenbzw. kanalisierenden Selektionsdrücke.

Entstehung der EchoortungWie eingangs bereits beschrieben, betreiben Fle-dermäuse nicht nur Echoortung, sondern sindzu einem „Echo-Bildsehen“ in der Lage. Aus denEchos der in Bandweite, Dauer, Pulsintervallenund Amplituden unterschiedlich erzeugten Lau-te wird ein regelrechtes Abbild der Umgebungerrechnet. Wenn man so will: Fledermäuse „se-hen“ mit den Ohren.

Über die Entstehung der Echoortung kannnoch weniger gesagt werden als über die Ent-stehung der Flügel. Man mag hierzu Szenarienund Selektionsdrücke plausibel machen können,die eine Entstehung dieser Fähigkeit begünsti-gen, doch dabei handelt es sich nur um eine not-wendige Bedingungen, denn Selektionsdrücke

sind nicht kreativ.Fossilfunde können insofern indirekte Hin-

weise geben, als anhand bestimmter morpholo-gischer Merkmale auf die Fähigkeit der Echoor-tung geschlossen werden kann. Und auch imFalle des Echoortungssystems gibt es Versuche,aufgrund genetischer Befunde auf die Entste-hungsweise zu schließen.

Morphologie und Fossilien

Drei Knochen im Schädelbereich echoortenderFledermäuse weisen charakteristische Unter-schiede gegenüber Säugetieren ohne Echoor-tungssystem auf. Zum einen ist bei ihnen dasStylohyale als langer, schlanker Knochen aus-gebildet, der die Schädelbasis mit einigen klei-nen Knochen verbindet, die zusammen denHyoid-Apparat bilden und die Halsmuskeln undden Kehlkopf unterstützen (Abb. 10). Bei denmeisten Fledermäusen ist das obere Ende des

Abb. 9 Skelett des inNordamerika beheimatetnMausohrs Myotis lucifugus.Balken: 1 cm. (Wikipedia)

Abb. 10 Die drei im Texterläuterten bei echoor-tenden Fledermäusenspeziell geformten Kno-chenelemente des Fleder-mausschädels. (NachSIMMONS 2008)

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Stylohyale verbreitert, was zur besseren Veran-kerung des Hyoid-Apparats im Schädel hilft (SIM-MONS 2008, 98). Das Stylohyale verbindet somitden Kehlkopf mit dem Ohr. Vermutlich hilft esbeim Vergleich ausgehender und eingehenderSignale bei der Echoortung (VESELKA et al. 2010,939).

Der zweite veränderte Knochen ist der Ham-mer (Malleus), das erste Element der drei Mit-telohrknöchelchen. Bei den Fledermäusen hater einen großen knolligen Fortsatz (= Orbicular-fortsatz), der zur Kontrolle der Vibration beiträgtund eine große Fläche für den Muskelansatzbietet (SIMMONS 2008, 98; HABERSETZER et al. 2008,249). Und schließlich ist die Schnecke (Coch-lea) im Innenohr relativ zu den anderen Schä-delstrukturen vergrößert, was eine Verbesserungder Wahrnehmung und Unterscheidung hoch-frequenter Laute ermöglicht.

Bei den im Eozän fossil erhaltenen Fleder-mäusen konnten die entsprechenden Struktu-ren nachgewiesen werden (VESELKA et al. 2010,940). Nur die bereits erwähnte Gattung Ony-chonycteris (Abb. 7) scheint eine Ausnahme zumachen. Der Kehlkopf ist zwar bei beiden Ex-emplaren nicht erhalten. Aber der Aufhängeap-parat des Kehlkopfes, eine Knochenspange, dieihn an der Schädelunterseite fixiert, ist nicht sostark entwickelt wie bei echoortenden Fleder-mäusen. Außerdem scheint der Orbicularfort-satz des Hammers nur schwach ausgebildet zusein, was ebenfalls gegen eine Echoortung mitUltraschalllauten spricht. Und in der Cochlea-größe zeigt Onychonycteris viel mehr Ähnlich-keit mit den nicht echoortenden Flughunden unddiese Gattung hat ein sehr kleines Innenohr (HAB-ERSETZER et al. 2008, 248f.).

Anfang 2010 veröffentlichten VESELKA et al.jedoch eine Studie von detaillierten computer-tomographischen 3D-Scans der inneren Anato-mie von 26 Fledermausarten und entdeckten,dass bei Tieren, die ihre Echoortung über denKehlkopf ausüben, das Stylohyale den Kehlkopfmit den Knochen in der Nähe des Trommelfellsverbindet. Es stellte sich heraus, das auch Ony-chonycteris über die Verbindung zwischen Kehl-kopf und den Knochen am Trommelfell verfügt.Die Forscher schließen daraus, dass Onychonyc-teris sich doch mit Echosignalen im Raum be-wegt hat. Dieser Schluss ist aber nicht gesichert,da nicht ausgeschlossen werden kann, dass dienachgewiesene Verbindung ein Erhaltungsarte-fakt ist. Onychonycteris wurde bislang als nichtechoortend angesehen, weil die vorderen En-den der Stylohyal-Knochen nicht verbreitertwaren, die Schnecke relativ klein war und derHammer nur einen kleinen Orbicularfortsatzhatte. Da ein vergrößerter Orbicularfortsatz auchbei nicht-echoortenden Säugetieren vorkommt,kann nach VESELKA et al. (2010, 941) aber nicht

geschlossen werden, dass dieses Merkmal über-haupt mit der Echoortung zusammenhängt.Zudem gebe es bei diesem Merkmal erheblicheVariation in der relativen und absoluten Größe.

SIMMONS et al. (2010) widersprechen der Deu-tung der Befunde durch VESELKA et al. und be-streiten, dass das Stylohyale den Kehlkopf unddie Knochen am Trommelfell verbindet. Sieweisen darauf hin, dass die Schnecke von O. fin-neyi aus dem Größenbereich bei heutigen echo-ortenden Fledermäusen herausfalle und denSchnecken von Fledermäusen gleiche, die kei-ne laryngeale Echoortung besitzen. Verbreite-rung und Abflachung des Stylohyale sei andersals bei Onychonycteris bei allen echoortenden Fle-dermausfamilien zu beobachten. VESELKA et al.(2010b) stimmen in ihrer Antwort insofern zu,als die schlechte fossile Erhaltung hier ein siche-res Urteil nicht ermöglicht. Weitere Untersu-chungen sind nötig, um hier zu mehr Klarheit zukommen, aber es scheint derzeit mehr dagegenals dafür zu sprechen, dass Onychonycteris dieFähigkeit zur Echoortung hatte.

Damit kann die alte Streitfrage nach der Rei-henfolge der Entstehung – Flugapparat oderEchoortung zuerst? – anhand von Fossilien vor-erst weiterhin nicht sicher beantwortet werden.Nach momentaner Kenntnis scheint Onychonyc-teris ein Echoortungssystem aber gefehlt zu ha-ben, womit – in Anbetracht der oben erwähntenäußerst lückenhaften Fossilüberlieferung – evo-lutionstheoretisch die Flug-zuerst-Hypothesebislang wahrscheinlicher erscheint.

EntwicklungsgenetikZwei Gene, die beim Echoortungssystem eineRolle spielen, sind bislang ermittelt worden:FoxP2 und Prestin. FoxP2 codiert einen Transkrip-tionsfaktor, der eine wichtige Rolle bei der Ent-wicklung der Strukturen für Lauterzeugung spielt(sogenanntes „Sprachgen“) und der daher auchfür die Echoortung eine Rolle spielen könnte(TEELING 2009, LI et al. 2007). Prestin wird beimHörvorgang benötigt und codiert für ein Trans-membran-Motorprotein, welches das elektrischvermittelte Bewegungsvermögen der äußerenHaarzellen in der Schnecke steuert und damitfür die Sensitivität der Schnecke im Säugerohrverantwortlich ist. Es scheint von besondererBedeutung für die Wahrnehmung höherer Fre-quenzen und für selektives Hören zu sein; bei-des ist für die Echoortung wichtig (TEELING 2009,353; LI et al. 2008, 13959).

TEELING diskutiert die Verteilung der Sequen-zen dieser Gene bei verschiedenen Arten mitder Fragestellung, ob daraus Rückschlüsse be-züglich einer einmaligen oder zweifachen Ent-stehung der Echoortung bei Fledermäusen ge-zogen werden können. Diese Frage ist aufgrund

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genetischer Daten in evolutionstheoretischerPerspektive nicht sicher entschieden. Die Ver-teilung der FoxP2-Varianten innerhalb der Fle-dermäuse gibt diesbezüglich keine klare Aus-kunft, ebensowenig wie die Verteilung von Pre-stin (TEELING 2009, 353); allerdings sind LI et al.(2008) der Auffassung, dass Prestin eine zwei-malige Entstehung begünstigt. Bemerkenswertist in diesem Zusammenhang, dass FoxP2 inner-halb der Säugetiere, Vögel und Reptilien hoch-konserviert ist, dagegen bei den Fledermäusenhochvariabel (LI et al. 2007, 1; Abb. 11); dieVerteilung der Gen-Ähnlichkeiten folgt also nichteinem phylogenetischen Schema (vgl. dazu Ab-schnitt „Konvergenzen und Selektionsdrücke“).Es stellte sich weiterhin heraus, dass die Sequen-zen des prestin-Proteins bei Zahnwalen undechoortenden Fledermäusen nahezu identischsind, so dass Wale und Fledermäuse in einemauf prestin-Daten basierenden Dendrogramm(Ähnlichkeitsbaum) als eine gemeinsame Grup-pe erscheinen, obwohl beide Gruppen unter denSäugetieren sonst überhaupt nicht näher ver-wandt sind (LI et al. 2010; LIU et al. 2010). Nachden DNA-Nukleotid-Sequenzdaten des Prestin-Gens gruppieren sich die Wale und Fledermäu-se dagegen weitgehend gemäß dem Arten-Stammbaum. Nur innerhalb der Fledermäusepassen auch die Nukleotid-Sequenzdaten nichtzu den sonst anerkannten Verwandtschaftsbe-ziehungen.

Wie erwähnt gibt es verschiedenste „Tech-niken“ der Echoortung. JONES & TEELING (2006,151-153) unterscheiden acht Kategorien der Ul-

traschall-Erzeugung bei den Fledermäusen. Die-se korrelieren durchaus mit den Sequenzunter-schieden von FoxP2 und Prestin. Aber die Ver-teilung dieser Unterschiede in einer phylogene-tischen Systematik führt zu widersprüchlichenResultaten und fordert wie die der realisiertenverschiedenen Echoortungs-Designs ein hohesMaß an konvergenter Evolution verschiedenerFormen der Echoortung. Die verschiedenen„Designs“ der Echoortung sind also nicht phy-logenetisch geordnet, auch nicht in ihren mole-kularen Korrelaten (JONES & HOLDERIED 2007, 905;JONES & TEELING 2006, 154; Abb. 12). Diese dop-pelte Konvergenz wird auf starke gleichsinnigeSelektionsdrücke zurückgeführt. So stellen JO-NES & TEELING (2006, 149) fest, dass bemerkens-werte akustische Besonderheiten wie die Kom-pensation des Doppler-Effekts, „Flüster“-Echo-ortung (Aussenden schwacher Laute) und Aus-sendung der Laute über die Nase aufgrund ihrerVerteilung im System der Fledermäuse mehr-fach konvergent entstanden sein müssen. Das„Ruf-Design“ sei hauptsächlich durch die Öko-logie geformt, wodurch phylogenetische Zwän-ge überspielt würden. Damit werde die Rekon-struktion der ursprünglichen Ruf-Typen proble-matisch (vgl. EICK et al. 2005, 1879).

JONES & HOLDERIED (2007, 909) erläutern die-se Situation anhand einiger Beispiele, etwa beider „high duty cycle-Echoortung“. Dabei han-delt es sich um die ausgeklügeltste Form biolo-gischer Echoortung – dem Gebrauch langer kon-stanter Frequenzsignale, die dur ch einen Breit-bandpuls beendet werden. Diese Form tritt un-

Abb. 11 Das Gen Prestinzeigt allgemein bei ver-schiedensten Säugetierenkaum Unterschiede (siehedeutsche Namen), dagegenenorme Unterschiede beiden Fledermäusen (kursivgesetzte lateinische Na-men).In Phylogenien, die aufdem Prestin-Gen beruhen,sind die Kleinfledermäuse �anders als bei anderen ge-netischen Studien � mono-phyletisch. Dieser Wider-spruch wird auf konvergen-te Evolution aufgrund glei-cher Selektionsdrücke inden beiden Untergruppenzurückgeführt, so dass dieFunktion die Phylogenese�überspielt� haben soll;vgl. dazu die Diskussion imAbschnitt �Konvergenzenund Selektionsdrücke�.(Nach LI et al. 2008)

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abhängig bei den Hufeisennasen (Rhinolophi-dae: Yinpterochiroptera) und den Kinnfaltenfle-dermäusen der Mormoopidae (Yangochiropte-ra) auf (vgl. Tab. 1).

LI et al. (2008) zeigten, dass in Phylogenien,die auf dem Prestin-Gen beruhen, die Kleinfle-dermäuse monophyletisch sind, entgegen einergroßen Zahl von genetischen Befunden, wonachdie Microchiroptera paraphyletisch sind, also zuzwei Untergruppen gehören, die nicht auf einengemeinsamen Vorfahren zurückgeführt werdenkönnen (vgl. Abschnitt „Phylogenetische Ana-lysen“). Dieser Widerspruch wird auf konver-gente Evolution aufgrund gleicher Selektions-drücke in den beiden Untergruppen zurückge-führt, so dass auch hier die Funktion die Phylo-genese „überspielt“ haben soll. (vgl. dazu dieDiskussion im Abschnitt „Konvergenzen undSelektionsdrücke“)

Die verschiedenen �Designs� derEchoortung sind nicht phylogene-tisch geordnet, auch nicht in ihrenmolekularen Korrelaten

Diese Befunde besagen aber nichts anderes,als dass aus der Verteilung der verschiedenenAusprägungen des Echoortungssystems keineverlässlichen und widerspruchsfreien Abstam-mungszusammenhänge ermittelt werden kön-nen. Dass ähnliche ökologische Faktoren mehr-fach zu denselben Echoortungs-Designs geführthaben, ist Spekulation. Klar ist nur, dass die Echo-ortungssysteme für die unterschiedlichen Le-

bensumwelten passend eingerichtet sind. Aller-dings kann die Plastizität der Laute auch inner-halb von Arten beträchtlich sein (JONES & HOL-DERIED 2007). Vielleicht liegt also wenigstens einTeil des Konvergenzpotentials in dieser Plasti-zität. Dann aber stellt sich die Frage nach demUrsprung dieser Plastizität. Die gegenwärtigenKenntnisse erlauben darauf keine naturwissen-schaftliche Antwort. Angesichts dieser Situati-on muss die Behauptung „Bat echolocation callsprovide remarkable examples of ‘good design’through evolution by natural selection“ (JONES

& HOLDERIED 2007, 905) als naturwissenschaft-lich bislang nicht gedeckte Vermutung bzw.Spekulation gewertet werden, die Züge einesGlaubensbekenntnisses trägt.

Während im Falle des Flugapparats einigeAutoren mit der Entdeckung einiger genetischerKorrelate ausdrücklich die Hoffnung verbinden,damit Schritte zur Erklärung der Entstehunggehen zu können, haben sich die Autoren, diesich mit den „Echoortungs-Genen“ befassen, sichdazu nach meiner Kenntnis nicht geäußert. Esist aber klar, dass die Entdeckung einzelner füreine Fähigkeit oder deren Entwicklung relevan-ter Gene an sich noch nichts über ihre Evolutionaussagt (siehe dazu die Diskussion im Abschnitt„Was ist eine Erklärung?“). TEELING (2009, 351)schreibt dazu, dass es schwierig sei, „Echoor-tungs-Gene“ überhaupt zu finden. Dies liege viel-leicht daran, dass Echoortung ein komplexesMerkmal sei, das nicht auf einem einzigen Ent-wicklungsweg oder einem einzelnen physiolo-gischen System beruhe. Um mit dem Kehlkopf

Abb. 12 Die Verteilung ver-schiedener Ruf-Designsechoortender Fledermäusefolgt nicht phylogenetischenBeziehungen. JONES & HOLDE-RIED (2007, 909) erläuterndiese Situation anhand eini-ger Beispiele, etwa bei der�high duty cycle-Echoor-tung�. Dabei handelt es sichum die ausgeklügeltste Formbiologischer Echoortung,dem Gebrauch langer kon-stanter Frequenzsignale, diedurch einen Breitbandpulsbeendet werden. Dabei wirdauf geniale Weise der Dopp-ler-Effekt ausgenutzt (vgl.Abb. 3 des ersten Teils).Diese Form der Echoortungtritt unabhängig bei denHufeisennasen (Rhinolophi-dae) und den Kinnfaltenfle-dermäusen (Mormoopidae)auf.Die Hufeisennasen werdenheute ausgerechnet zu denYinpterochiroptera (vgl.Tab. 1) gestellt und gehörensomit zur Schwestergruppeder Megachiroptera (Ptero-podidae), die kein Echoor-tungssystem haben, außerder Gattung Rousettus, dieaber nicht mit dem Kehl-kopf, sondern mit Zungen-schnalzen Laute erzeugt.(Nach JONES & TEELING 2006;vgl. Tab. 1).

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Echoortung betreiben zu können, müsse einOrganismus drei Fähigkeiten besitzen: 1. Erzeu-gung und Regelung eines hochfrequenten Rufs,2. Hören des hochfrequenten Echos und 3. In-terpretation der eingehenden Signale. LI et al.(2008, 13962) rechnen damit, dass beim Echo-ortungssystem viele hundert Gene beteiligt sind,weshalb man mit phylogenetischen Schlussfol-gerungen vorsichtig sein müsse.

Es ist wie beim Flugapparat offenkundig, dassdie Entstehung des Echoortungssystems nichtmit der Entdeckung einiger beteiligter Genegeklärt werden kann. Artikel, die sich der Frageder Entstehung des Echoortungssystems wid-men, handeln von vergleichenden Sequenzda-ten zur Ermittlung von Homologien und Kon-vergenzen (vgl. Abschnitt „PhylogenetischeAnalysen“) und diskutieren nicht Mechanismenund Erklärungen ihrer Entstehungsweise (z. B.JONES & TEELING 2006).

Ein besonders überraschendes Beispiel phy-logenetischer Systematik liefert die Einordnungdes Echoortungssystems der Hufeisennasen(Rhinolophidae). Diese Fledermausgruppe hatdas ausgefeilteste Echoortungssystem und nutztauf geniale Weise den Doppler-Effekt (vgl. Abb.9). Sie werden heute ausgerechnet zu den Yinp-terochiroptera gestellt und gehören somit zurSchwestergruppe der Megachiroptera (Pteropo-didae), die kein Echoortungssystem haben, au-ßer der Gattung Rousettus, die aber nicht mit demKehlkopf, sondern mit Zungenschnalzen Lauteerzeugt.

Phylogenetische Analysen

Über mehr als ein Jahrhundert waren die Mo-nophylie der Fledermäuse und ihre Unterteilungin Kleinfledermäuse (Microchiroptera) undFlughunde (Megachiroptera) unstrittig. DieFlughunde entsprechen im Körperbau in vieler-lei Hinsicht den Kleinfledermäusen, sie sind abermeist größer und erreichen eine Flügelspann-weite von bis zu 170 Zentimetern und eine Kopf-rumpflänge von bis zu 40 Zentimetern. Die mei-sten Flughunde haben keinen oder nur einen sehrkurzen Schwanz; die Schwanzflughaut ist ent-sprechend nur als schmaler Streifen entlang derHinterbeine ausgebildet. Außerdem haben diemeisten Arten eine Kralle am zweiten Finger,die bei den Fledermäusen sonst fehlt. Die Ge-sichter der Flughunde sind einfach gebaut, ohneNasenblätter und mit relativ kleinen Ohren. DieSchnauzen sind oft verlängert, was zu dem hun-deartige Aussehen und ihrem deutschen Namengeführt hat (Abb. 13). Die Flughunde besitzenbis auf wenige Ausnahmen kein Echoortungs-system. Sie ernähren sich von Früchten, Nektaroder Pollen, während die meisten anderen Fle-

dermäuse Insekten fressen. Sie können sehr gutsehen, während die Kleinfledermäuse sich be-sonders mit dem Echoortungssystem orientie-ren.

�Flying-primate-Hypothese�In der 1980er Jahren überraschte eine Forscher-gruppe um den Australier PETTIGREW die Wis-senschaftswelt mit der Hypothese, dass die Fle-dermäuse biphyletisch entstanden seien, alsozweimal unabhängig, ausgehend von nichtflie-genden Säugetieren (PETTIGREW 1986; PETTIGREW

et al. 1989). Zahlreiche Merkmale würden dieMegachiropteren mit den Primaten enger ver-binden als mit den Kleinfledermäusen. Vor al-lem ist die Gehirnorganisation der beiden Un-tergruppen sehr verschieden; die Merkmale des

Abb. 13 Flughunde.(© Claudia Paulussen -Fotolia.com [oben]; ©tagstiles.com - Fotolia.com[unten])

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Gehirns der Megachiropteren gleichen dagegendenen der Primaten und Flattermakis in zahlrei-chen Details, während diesbezüglich die Mikro-chiropteren anderen Säugetieren entsprechen.Die Autoren verweisen aber auch noch auf an-dere Merkmale, die die Flughunde mit den Pri-maten verbinden oder in denen sie sich von denKleinfledermäusen unterscheiden: den Bau desPenis, den Bau der Flügel und der Hinterextre-mitäten, einige immunologische und biochemi-sche Merkmale sowie Verhaltensmerkmale (vgl.auch PETTIGREW 1995; SIMMONS 1995, 27, 29).PETTIGREW et al. (1989, 491) präsentieren einelange Liste von Unterschieden zwischen denFlughunden und den Kleinfledermäusen einer-seits und von Gemeinsamkeiten von Flughun-den und Primaten andererseits. In einer späte-ren Publikation stellt PETTIGREW (1995) in einerTabelle 54 Unterschiede zusammen und bemän-gelt, dass diese Unterschiede von Verfechternder Monophylie der Fledermäuse nicht gewich-tet würden.

Danach wären die Primaten mit den Flatter-makis und den Flughunden als monophyletischzu betrachten („flying primates hypothesis“),während die Kleinfledermäuse konvergent ent-standen wären. Diese ungewöhnliche Konver-genz der zweimaligen unabhängigen des Flug-apparats nimmt PETTIGREW in Kauf und argumen-tiert, dass dafür Selektionsdrücke geltend ge-macht werden könnten, was im Falle der spezi-ellen Gehirnorganisation schwerer zu begrün-den sei.

Die „Flying-primate-Hypothese“ konnte sichjedoch nicht durchsetzen, vor allem weil die auf-kommenden molekularen Untersuchungen inaller Regel eine Monophylie der Fledermäuseklar unterstützten (z. B. ADKINS & HONEYCUTT

(1991); MINDELL et al. (1991); BAILEY et al. (1992);KIRSCH et al. (1995); MURPHY et al. (2001); SPRIN-GER et al. (2001). Aber auch viele morphologi-sche Merkmale sprechen für die Monophylie (vgl.z. B. BAKER et al. 1991, SIMMONS et al. 1991, THE-WISSEN & BABCOCK 1991) und SIMMONS et al. (1991,240) halten es für möglich, dass die Merkmaledes Gehirns, die die Großfledermäuse mit denPrimaten gemeinsam haben, bei den Kleinfle-dermäusen auch verlorengegangen sein können.

Gegen die Aussagekraft der molekularen Be-funde argumentierte PETTIGREW (1995) zunächstzwar, dass ein hoher AT-Gehalt* der DNA derFledermäuse eine Monophylie vortäusche, unddass dieser Befund besser durch Homoplasie inAnpassung an große Stoffwechselaktivität erklär-bar sei. Auch bei anderen metabolisch sehr ak-tiven Tieren sei der AT-Gehalt überdurchschnitt-lich hoch. Doch dieses Argument wurde von an-deren Autoren entkräftet (VAN DEN BUSSCHE et al.1998) und spielte mit zunehmender Anzahl vonUntersuchungen letztlich in der Diskussion kaumeine Rolle mehr.

Ohne eine große Anzahl tiefgrei-fender Konvergenzen ist einephylogenetische Systematik derFledermäuse nicht möglich.

Vor wenigen Jahren erhielt die Flying-pri-mate-Hypothese jedoch erneut Unterstützungdurch eine neurologische Studie (MASEKO et al.2007). Merkmale des Nervensystems, die nichtmit der Echoortung und dem Flugapparat zu-sammenhängen, verbinden die Flughunde er-neut mit den Primaten und nicht mit den Klein-fledermäusen. Wie auch immer die Merkmals-konstellationen bewertet werden: Ohne einegroße Anzahl tiefgreifender Konvergenzen isteine phylogenetische Systematik der Fledermäu-se nicht möglich.

Neue Überraschung: Konvergenz derEchoortung?Ein Großteil der molekularen Analysen führteaber zu einer anderen überraschenden Wendung:Die Kleinfledermäuse erwiesen sich als paraphy-letisch, d. h. sie können nicht auf einen gemein-samen Vorläufer zurückgeführt werden. Statt-dessen gruppieren einige Kleinfledermausfami-lien mit den Flughunden. Für diesen Zweig wur-de das Taxon Yinpterochiroptera eingeführt.Die verbleibenden Kleinfledermäuse werden alsYangochiroptera klassifiziert (vgl. Tab. 1; vgl.TEELING et al. 2000; TEELING et al. 2005; SPRINGER

et al. 2001). HUTCHEON & KIRSCH (2006) schlugeneine weitere Änderung des Systems der Fleder-mäuse vor: Sie unterteilen die Fledermäuse indie Unterordnungen Vespertilioniformes (Em-ballonuridae, Nycteridae, Yangochiroptera) undPteropodiformes (Craseonycteridae, Hipposi-deridae, Megadermatidae, Rhinolophidae, Rhi-nopomatidae und Pteropodidae).

Die neuen Klassifikationen haben zur Folge,dass entweder eine zweimalige unabhängige Ent-stehung des Echoortungssystems angenommenwerden muss oder dass die Flughunde die Fä-higkeit zur Echoortung verloren haben (SPRINGER

et al. 2001; EICK et al. 2005; JONES & HOLDERIED

2007; SIMMONS 2005; TEELING et al. 2000; TEELING

et al. 2005; TEELING 2009). Beide Möglichkeitensind mit großen evolutionstheoretischen Proble-men verbunden: Beim Echoortungssystem han-delt es sich um ein ungewöhnlich komplexesMerkmal, dessen mehrmalige evolutive Entste-hung mit vielfach ähnlichen Details noch schwe-rer verstehbar wäre als es eine einmalige Ent-stehung ohnehin schon ist. Aber auch ein se-kundärer Verlust ist problematisch. Es ist nichtnachvollziehbar, dass eine derartig nützlicheFähigkeit verloren gehen sollte (RAYNER 1991,184). Dazu kommt, dass wie bereits erwähnt dieMegachiropteren-Gattung Rousettus zur Echo-

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ortung mit Hilfe von Zungenschnalzen befähigtist. Wäre die laryngeale Echoortung also verlo-ren gegangen, müsste man annehmen, dass dieEchoortung danach mit anderer Technik erneuterworben wurde. Als Rückbildungsstadiumkommt das Echoortungssystem von Rousettuskaum in Frage, da diese Gattung unter den Mega-chiropteren zu den abgeleiteten Formen gehört(SPRINGER et al. 2001, 6246; JONES & TEELING 2006).Es gibt keinen Konsens darüber, welches derbeiden Szenarien aus evolutionstheoretischerSicht das wahrscheinlichere ist (LI et al. 2008,13959).

Die neuen Erkenntnisse aus den molekula-ren Analysen haben weitere evolutionstheore-tisch eher problematische Konsequenzen. Diefrüher angenommene enge phylogenetische Ver-bindung der Fledermäuse mit den Dermoptera(Flattermakis, Riesengleiter), also gleitendenSäugetieren (als Volitantia zusammengefasst;vgl. Tab. 2) kann nicht mehr aufrechterhaltenwerden. Während nach morphologischen Merk-malen die Fledermäuse bis gegen Ende des 20.Jahrhunderts zusammen mit den Dermoptera,Primaten und den Scandentia (Spitzhörnchen)sowie ausgestorbenen Gruppen zu den Archon-ta gestellt wurden, passen sie nach molekularenDaten zu den Laurasiatheria, zu denen Carni-voren, Schuppentiere, Cetartiodactyla (Paarhu-fer und Wale), Insektenfresser und Paarhufergehören (SPRINGER et al. 2001, 6421).1 Das wie-derum hat zur Folge, dass zahlreiche Merkmale,die früher als homolog eingestuft wurden undentsprechende Verwandtschaftsbeziehungen zuden Archonta begründeten, nun als konvergentbetrachtet werden müssen. Einmal mehr zeigtsich:

1. Morphologische und molekulare Datenkönnen weit auseinandergehende Verwandt-schaftsverhältnisse nahelegen und passen nichtohne Weiteres zusammen. So stellen EICK et al.(2005, 1869) Ungleichheit („disparity“) zwischenmolekularen und nichtmolekularen Phylogeni-en fest, und JONES & TEELING (2006, 149) schrei-ben von „radikal verschiedenen“ Verwandt-schaftsverhältnissen (vgl. Abb. 14).

2. Die Homologie von Merkmalen (also ihre„Qualität“ als „Verwandtschaftsanzeiger“) istnicht objektiv bestimmbar. Denn sonst könntedie Deutung von Merkmalen als Homologiennicht einfach in die Deutung als Konvergenzenumgewandelt werden. Auch die Unterscheidungzwischen „ursprünglich“ und „abgeleitet“ ist frag-würdig, wie TEELING et al. (2002, 1435) am Bei-spiel des Sehsinns feststellen: „In particular, theplacement of bats in Laurasiatheria rather thanArchonta may affect the polarity of charactersassociated with vision. The well developed vi-sual system in pteropodids, for example, is de-rived relative to most other laurasiatherians; in

contrast, the pteropodid visual system is primi-tive among bats if Archonta is monophyletic“(TEELING et al. 2002, 1435).

Konvergenzen undSelektionsdrücke

Die Konvergenzproblematik wurde verschie-dentlich bereits kommentiert. Hier soll diesesThema noch einmal kurz zusammenfassend dis-kutiert werden.

Evolutionstheoretisch war erwartet worden,dass ein derartig komplexes Merkmal wie dieEchoortung ein sicherer Hinweis auf gemeinsa-me Vorfahren ist (Homologie-Argument) und esnur einmal bei den Fledermäusen entstandensein sollte (SIMMONS 2005, 527). Nach dem der-zeitigen Kenntnisstand muss aber entweder einemindestens zweimalige unabhängige Entstehungder Echoortung angenommen werden oder aberdessen Verlust bei den Megachiropteren. Ange-sichts dieser überaus komplexen Fähigkeit, zuder vermutlich viele hundert Gene beitragen (LI

et al. 2008, 13962), wäre eine zweimalige unab-hängige Entstehung sehr unwahrscheinlich. Aberauch der Verlust dieser Fähigkeit ist sehr pro-blematisch, da mit dieser Fähigkeit über 20 ver-schiedene anatomische Spezialisierungen ge-koppelt sind, die bei den Megachiropteren nichtvorhanden sind und allesamt verlorengegangensein müssten (SIMMONS 2005, 527).

Die Verteilung der Echoortung kann folglichnicht als Wegweiser für stammesgeschichtlicheZusammenhänge dienen, sondern folgt anderenKriterien. Das gilt nicht nur für die Fähigkeit derEchoortung an sich, sondern auch für die ver-

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Ordnung Chiroptera - FledermäuseUnterordnung Megachiroptera - Flughunde

Familie Pteropodidae � FlughundeUnterordnung Microchiroptera - Kleinfledermäuse

Infraordnung YinochiropteraFamilie Craseonycteridae � HummelfledermäuseFamilie Rhinopomatidae � MausschwanzfledermäuseFamilie Megadermatidae � GroßblattnasenFamilie Rhinolophidae � HufeisennasenFamilie Hipposideridae � Rundblattnasen

Infraordnung YangochiropteraFamilie Emballonuridae � Glattnasen-FreischwänzeFamilie Nycteridae � SchlitznasenFamilie Mystacinidae � NeuseelandfledermäuseFamilie Noctilionidae � HasenmäulerFamilie Mormoopidae � KinnblattfledermäuseFamilie Phyllostomidae � BlattnasenFamilie Molossidae � BulldoggfledermäuseFamilie Vespertilionidae � GlattnasenFamilie Myzopodidae � HaftscheibenfledermäuseFamilie Thyropteridae � Amerikan. HaftscheibenfledermäuseFamilie Furipteridae � StummeldaumenFamilie Natalidae � Trichterohren

Tab. 1 Heutige Familiender Fledermäuse. Auf-grund zahlreicher moleku-larer Daten werden diebeiden �klassischen� Un-terordnungen aufgelöstund die Familien in Yinp-terochiroptera (Megachi-roptera + Yinochiroptera)und Yangochiroptera un-terteilt. Die Kleinfleder-mäuse (Microchiroptera)werden also getrennt. Esgibt teilweise bei ver-schiedenen Autoren Un-terschiede in der Zuord-nung der Familien. EinigeAutoren plädieren dafür,die beiden Gruppen alsPteropodiformes und Ves-pertilioniformes zu be-nennen. (Nach SIMMONS

1998, GUNNELL & SIMMONS

2005, SPRINGER et al. 2001,TEELING et al. 2002, JONES &TEELING 2006 und HUTCHEON

& KIRSCH 2006).

Yinptero-chiroptera

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schiedenen Ruf-Designs (vgl. Abschnitt „Entste-hung der Echoortung“). Dazu einige Beispiele:Nach EICK et al. (2005, 1869) ist die Verteilungverschiedener Echoortungsmodi „hochgradigkonvergent“. Das gilt für drei Merkmale des beider Echoortung eingesetzten Rufs: 1. „High-dutycycle“ (d. h. über 80% eines Rufzyklus bestehtaus Rufen) oder „low-duty cycle“ (weniger als20% eines Rufzyklus besteht aus Rufen), 2. hoheIntensität oder geringe Intensität des Aussen-dens des Rufs, 3. Aussendung über das Mauloder die Nase. Die high-duty cycle-Echoortungals die ausgeklügeltste Form (mit Kompensati-on des Doppler-Effekts) ist mindestens zweimalunabhängig entstanden, nämlich mindestenseinmal bei den Pteropodiformes und einmal inden Vespertilioniformes (JONES & HOLDERIED

2007, 909; EICK et al. 2005, 1879; JONES & TEE-LING 2006, 149). Echoortung mit geringer Inten-sität ist nach EICK et al. (2005, 1879) mindestenssechsmal unabhängig entstanden, vermutlichvon Vorläufern, die ihre Laute mit hoher Inten-sität abgegeben haben. Die Abgabe der Lautedurch die Nase soll diesen Autoren zufolge min-destens dreimal unabhängig entstanden sein.

Auch bei anderen Merkmalen muss verbrei-tet konvergente Entstehung angenommen wer-den. Beispielsweise müssen innerhalb der Ptero-podidae (Flughunde) anatomische Spezialisie-rungen für Pollen- und Nektar-Ernährung bis zufünfmal entstanden oder wieder verlorengegan-gen sein (KIRSCH et al. 1995, 396). EICK et al. (2005,1869) bewerteten 195 morphologische Merkma-le im Licht ihrer Kern-DNA-Phylogenie. Außer24 Merkmalen waren alle homoplastisch ver-teilt, d. h. es müssen Konvergenzen oder Rück-bildungen angenommen werden.

Das verbreitete Auftreten von Konvergen-zen, insbesondere bei den unterschiedlichen De-signs der Echoortung bedeutet, dass die Merk-malsverteilung ein Nachzeichnen der Phyloge-nese nicht erlaubt, wie von einigen Autoren aus-drücklich festgestellt wird. Stattdessen wird aufstarke Selektionsdrücke verwiesen, die das „phy-logenetische Signal“ übertönen (JONES & TEE-LING 2006, 149). Der Hinweis auf starke Selekti-onsdrücke fungiert hier aber nur als Platzhalterfür Nichtwissen. Denn nachweisbar bzw. nach-vollziehbar ist nur eine ökologische Anpassungder verschiedenen Echoortungs-Designs an dieLebensumgebung und die Beutetiere. Der Wegihrer Entstehung ist unbekannt. Selektionsdrük-ke an sich können keine neuen Designs erzeu-gen; der Selektion werden ohne nähere Begrün-dung gleichsam schöpferische Fähigkeiten zu-gesprochen.

Schließlich gibt es auch eine große Zahl vonKonvergenzen über die Fledermäuse hinaus. Dievon PETTIGREW (1986; 1995) und PETTIGREW et al.(1989) zusammengestellten Gemeinsamkeitenzwischen Megachiropteren und Primaten, diedie „Flying-Primate-Hypothese“ unterstützen,müssen als Konvergenzen interpretiert werden,wenn die Fledermäuse, wie durch zahlreiche ge-netische Studien begründet, monophyletischsind. Andernfalls müssten zahlreiche Merkmaledes Flugapparats konvergent entstanden sein.SPEAKMAN (2001, 122) bemerkt dazu: „WennKonvergenz der Flügelstrukturen der Mega- undMikrochiropteren unglaublich erscheinen, ist daskaum weniger der Fall bei den vorgeschlagenenKonvergenzen der Gehirnstrukturen bei Mega-chiropteren und Primaten. Und bevor die gene-tischen Ähnlichkeiten erforscht wurden, schriebRAYNER (1991, 185) noch: „So numerous and soclose are the similarities between megabats and

Abb. 14 Heutige phylogene-tische Position der Fleder-mäuse. Die frühere Gruppie-rung mit den Flattermakiskann aufgrund molekularerUnterschiede nicht mehr auf-rechterhalten werden. Somitmüssen viele gemeinsameMerkmale, die früher als ho-molog (und damit als abstam-mungsbedingt) gewertet wur-den, als zweifach unabhängigentstanden angenommenwerden (Konvergenz). Nähe-res im Text. (Nach SIMMONS

2008)

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primates that a close evolutionary relationshipbetween the two groups seems inescapable“(185).

Was ist eine Erklärung?

Es gibt eine Tendenz, interessante Entdeckun-gen überzubewerten. Man kann das beispielhaftan der Bewertung und Einordnung der Entdek-kung der bisher bekannten genetischen Grund-lagen der Flügelausbildung sehen. So schreibenSEARS et al. (2006, 6585): „Durch die Verknüp-fung einer einfachen Veränderung in einem ein-zigen Entwicklungspfad mit dramatisch verschie-denen Morphologien bieten wir eine möglicheErklärung, wie Fledermäuse einen aktiven Flugentwickeln konnten …“ Im Abschnitt „Entste-hung des Flugapparats“ wurde jedoch bereitsauf folgende beiden Punkte hingewiesen:1. Es ist nur ein sehr kleiner Teil der genetischenGrundlagen der Ontogenese der Flügel bekannt.

2. Selbst mit einer besseren Aufklärung derFaktoren der ontogenetischen Entwicklung könntedamit noch keine Aussage über die Phylogeneseund ihre Mechanismen gemacht werden.

Anders als in manchen populären Darstel-lungen, wo in einem Fall sogar von einer Aufklä-rung der Mechanismen der Flügelentstehung inder Evolution die Rede ist, sind die Autoren derOriginalarbeiten deutlich vorsichtiger. Es wur-de bereits SEARS (2008, 10) zitiert, dass die Ände-rung des BMP-Signalwegs „nicht notwendiger-weise der einzige“ Mechanismus sei und dassdiese Änderung (nur) eine Rolle spiele. SEARS et al.(2006, 6581) schreiben, dass ihre Resultate dar-auf hindeuten, dass eine Verstärkung des BMP-Signalwegs eine der hauptsächlichen Faktoren beider ontogenetischen Verlängerung der Vorder-extremitäten der Fledermäuse und ebenso mög-licherweise ein Schlüsselmechanismus in derVerlängerung im Laufe der Evolution sei. SEARS

(2008, 8) meint, die Kenntnis der Mechanismender Verlängerung „haben das Potential, zu ei-nem besseren Verständnis der Schritte zu füh-ren, die zur Evolution des aktiven Flugs geführthaben“ (SEARS 2008, 8; Hervorhebungen nichtim Original). Ähnlich werten sie Änderungen inder Expression der Hox-Gene in der Fledermaus-extremität im Vergleich zur Situation bei derMaus: Sie könnten zu Änderungen des Skelett-baus beitragen (SEARS 2008, 11).

Aber auch diese vorsichtigeren Formulierun-gen können nicht darüber hinwegtäuschen, dassSchritte zur Aufklärung der Ontogenese nochkeine Schritte zur Aufklärung der Mechanismenund des Verlaufs der Phylogenese sind. Denn zumeinen kann nicht davon ausgegangen werden,dass die hypothetische Phylogenese nach dem-selben Modus verläuft wie die Ontogenese – im

Gegenteil: Es ist eher anzunehmen, dass daswegen ganz anderer Rahmenbedingungen nichtder Fall ist. Dies führt in die grundsätzliche Fra-ge nach dem Zusammenhang von Ontogeneseund Phylogenese, die an dieser Stelle nicht auf-gerollt werden soll.

Zum anderen muss über mögliche Mechanis-men gesondert Rechenschaft abgegeben werden.Es genügt nicht, einfach nur beschreibend Ände-rungen in der Regulation von Genen zu konsta-tieren.

Dass mehr und mehr genetische Korrelatephänotypischer Unterschiede zwischen ver-schiedenen Arten oder höheren Taxa entdecktwerden, erweitert unsere Kenntnisse über dieZusammenhänge von Genotyp und Phänotyp,nicht mehr und nicht weniger. Dass es dieseKorrelate gibt, ist selbstverständlich, und dieEntdeckung einzelner für eine Fähigkeit notwen-diger Gene sagt an sich noch nichts über derenEvolution aus.

Einige Details zu den ungeklärtenVerwandtschaftsverhältnissen

Aufgrund vieler morphologischer und molekularer Studien ist die Mono-phylie der Fledermäuse heute unbestritten, aber es besteht beträchtlicheUnsicherheit bezüglich der Verwandtschaft mit anderen Säugerordnungen(GUNNELL & SIMMONS 2005, 210). Unterschiedliche Datensätze sprechen fürverschiedene Schwestergruppen-Verhältnisse zwischen Fledermäusen undanderen Säugetieren, ein Konsens konnte nicht erreicht werden. Aufgrundmorphologischer Daten gehören die Fledermäuse zu den Archonta (zu-sammen mit Flattermakis, den Primaten und den Spitzhörnchen); nachmanchen Studien sind die Fledermäuse und die Flattermakis Schwester-gruppen (als Volitantia zusammengefasst). Molekulare Daten aus überzwei Dutzend Studien sprechen jedoch deutlich gegen diese Verwandt-schaftsbeziehungen (GUNNELL & SIMMONS 2005, 210). Vielmehr müssen dieFledermäuse zu dem Laurasiatheria gestellt werden und in dieser Gruppeentweder als Schwestergruppe oder basales Mitglieder der Cetferungula-tae oder als Schwestergruppe der Insektenfresser (Eulipotyphla) (vgl. Tab.2).

Dazu einige Zitate:�There remains considerable uncertainty in both subordinal and super-

familial classifications within bats, where both morphological and molecu-lar data conflict, and different molecular data sets provide varying sup-port� (TEELING et al. 2005, 581).

�Within Chiroptera, morphology supports the monophyly of living micro-bats, all of which possess complex laryngeal echolocation systems. RecentDNA studies disagree with morphology and suggest that microbats areparaphyletic, with megadermatid (Macroderma, Megaderma) and rhino-lophid (Rhinolophus, Hipposideros) representatives of the superfamily Rhi-nolophoidea associating with megabats instead of with other microbats;The name Yinpterochiroptera is suggested for this clade (�). This result isostensibly contradicted by other molecular studies. Murphy et al. includeda nycterid (Nycteris) rhinolophoid in their study and found robust supportfor microbat monophyly. Liu et al. recovered microbat paraphyly in theirmolecular supertree, but with emballonurids rather than rhinolophoids asthe sister-taxon to megabats� (TEELING et al. 2002, 1431).

�Morphological evidence does not agree with molecular evidence. Ne-vertheless, the Yinpterochiroptera hypothesis is not without support frommorphology� (TEELING et al. 2002, 1435).

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Exploratives Verhalten als Erklärung?Die Aufdeckung einzelner für die Entwicklungvon Organsystemen notwendiger Gene ist füreine phylogenetische Erklärung aus einem wei-teren Grund nicht zielführend: Wie gezeigt wer-den für einen funktionierenden Flugapparat nichtnur die Flughaut und verlängerte Fingerknochen,sondern noch zahlreiche weitere Bestandteileund passende Eigenschaften benötigt, die min-destens zu einem größeren Teil Hand in Handverändert oder gar neu erworben werden müs-sen. In diesem Zusammenhang wird manchmalin Anlehnung an KISCHNER & GERHART (2005) ar-gumentiert, dass mit der Verlängerung der Flug-haut und der Fingerknochen aufgrund des ex-plorativen Verhaltens von Geweben gleichsamautomatisch auch Muskelgewebe, Nervensträn-ge und Blutgefäße sich zugleich und passendverändern würden.

Exploratives („erforschendes“, auf Signaleantwortendes) Verhalten von Gewebe ist in derTat aus der Ontogenese bekannt. Gemeint sindMechanismen, welche Variation erzeugen, dieweitgehend zufällig und sehr wenig determiniertsind, die aber durch äußere Signale in bestimm-te Richtungen gesteuert werden (KIRSCHNER &GERHART 2005, 144f.). Explorative Systeme sind„antwortend“, d. h. sie reagieren auf äußere Si-gnale. Als Beispiele besprechen die Autoren u.a. das Wachstum des Zellskeletts, das Muskel-wachstum, das Nervensystem und die Bildungdes Blutgefäßsystems. So kann sich das Nerven-system mit wenigen Regeln selbst konstruieren.Das Wachstum erfolgt gemäß weniger Regeln;die genaue Ausprägung wird durch Randbedin-

gungen gesteuert. Sind die Randbedingungenverschieden, resultiert ein anderes Ergebnis desWachstums. KIRSCHNER & GERHART (2005) spe-kulieren nun, dass durch Abwandlung der Rah-menbedingungen, in denen das explorative Ver-halten von Gewebewachstum verläuft, Evoluti-on kanalisiert voranschreiten könne und dieEntstehung von Neuem in der Evolution erleich-tert werde. Man könnte sagen: Die Variabilitätund Selektion explorativer Prozesse in der On-togenese werden in der Phylogenese „kopiert“.Die Idee ist beispielsweise, dass ein veränderterKnochenbau automatisch auch Veränderungender explorativ wachsenden Muskeln, Nerven undBlutgefäße zur Folge hat, so dass eine synorga-nisierte Evolution ablaufen könnte.

Doch dieser Ansatz bringt keine Lösung fürdie Frage nach der evolutiven Entstehung desFlugapparats der Fledermäuse und zwar schonaus dem einfachen Grund, dass viele Teile die-ses Apparats Eigenschaften aufweisen, die mitexplorativem Verhalten gar nicht in Verbindunggebracht werden können, etwa die Elastizität derFingerknochen, ihr spezieller Bau, die Elastizi-tät der Flughaut, die Flughäute außerhalb desFingerbereichs und vieles mehr. Einige Muskelnder Flughaut kommen nur bei den Fledermäu-sen vor, sie sorgen dafür, dass „die elastischeFlughaut über dem ausgestreckten Tragflächen-gerüst gespannt bleibt“ (NEUWEILER 1993, 9). Die-se Muskeln mussten gleichsam neu erfundenwerden und ihre Entstehung ist in keiner Weisedurch exploratives Verhalten erklärbar. Insge-samt sind 17 Muskeln an der Flügelbewegungbeteiligt, von denen die meisten für die Kontrol-le der Flügelstellung benötigt werden (NEUWEI-LER 1993, 11; Abb. 15). „Armgelenke und Hand-wurzel sind ebenfalls an die Erfordernisse desFliegens angepaßt“ und auch das Schulterblattist in die Flügelbewegungen einbezogen (NEU-WEILER 1993, 9). Alle diese und weitere Konstruk-tionsdetails haben mit explorativem Verhaltennichts zu tun.

Explorative Wachstumsvorgänge könntenvielleicht einige Randdetails evolutiver Abwand-lungen (leichter) verständlich machen, die ent-scheidende Frage ist aber: Wie werden neueMuskelstränge, neue Ansatzstellen usw. geschaf-fen? Das explorative Verhalten erscheint eherals vorgeplantes Verhalten, das den Lebewesendie nötige Flexibilität während der Ontogeneseverleiht. Dass es evolutiv nutzbar sein könnte,ist nur eine vage Hoffnung.2

Kopplung Flug und EchoortungEin weiterer Aspekt ist wichtig: Die Echoortungund der Flug sind physiologisch (biomechanisch)miteinander gekoppelt. Fledermäuse geben ihreLaute ab, wenn im Flug der Brustmuskel amstärksten beansprucht wird und der Brustkorb

Abb. 15 Aktivitätspha-sen (verschieden ge-färbte Balken) derFlugschlagmuskelnwährend eines Schlag-zyklus bei langsamemFlug. rot: Abschlagmus-keln, gelb: Aufschlag-muskeln, blau: Bifunk-tionale Muskeln, dieauch die Flügelstellungkontrollieren(Nach NEUWEILER 1993)

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zusammengedrückt ist (RAYNER 1991, 173). Beimkräftigen Ausatmen während des Flugs kann amenergieeffizientesten ein Ruf mit maximalerEnergie ausgestoßen werden. Ein genügend lau-ter Ruf scheint nur möglich zu sein, wenn dasTier seine Flügel bewegt (RAYNER 1991, 174/176).Ebenfalls gleichzeitig müssen die Tiere in derLage sein, während des Flugs die via Echoor-tung eingehenden Informationen über mutmaß-liche Beute zu interpretieren, um blitzschnell zuentscheiden, ob es sich lohnt, die Beute zu fan-gen. Flug, Echoortung und Jagdverhalten sindalso gekoppelt (RAYNER 1991, 181). Das muss beiallen Überlegungen zur Entstehung von Flug undEchoortung bei Fledermäusen bedacht werden.RAYNER (1991, 174) mahnt, dass nahezu jedeFacette der Anpassung der Kleinfledermäuse mitFlug und Echoortung zusammenhängt, weshalbUntersuchungen dieser Anpassungen einen gro-ßen Bereich der gesamten Biologie der Fleder-mäuse berücksichtigen müsse. Der Forschermüsse sich jederzeit bewusst sein, dass es mög-licherweise verborgene Begleiterscheinungendes untersuchten Systems gibt und sich vorVereinfachungen hüten.

Wieviele Gene sind beteiligt?Schließlich ist noch zu bedenken, dass es mitt-lerweile eine Reihe von Studien gibt, die zeigen,dass an der Entwicklung und für die Funktionvon Organsystemen eine sehr große Anzahl vonGenen notwendig ist. Beispielhaft sei eine Ar-beit von SCHNORRER et al. (2010) erwähnt, durchdie gezeigt wurde, dass 2785 Gene für die Mus-kelentwicklung und Muskelfunktion beim Insek-tenflug benötigt werden. Es ist kaum anzuneh-men, dass die Situation bei den Fledermäusensehr viel anders ist.3 Auch vor diesem Hinter-grund erweisen sich einfache Vorstellungen übergroße funktionale (!) Veränderungen infolge klei-ner Änderungen im Erbgut als vollkommen un-realistisch.

Ohne eine sehr viel genauere Kenntnis dermolekulargenetischen und ontogenetischenGrundlagen des Flugapparats können keine se-riösen phylogenetischen Hypothesen entwickeltwerden. Das bisher vorhandene Wissen genügtjedoch um zu begründen, dass alle verfügbarenevolutionstheoretischen Ansätze sich bis heuteals höchst spekulativ, unplausibel und wider-sprüchlich erwiesen haben.

DankDr. Henrik ULLRICH und Dr. Sven NAMSOR danke ichfür wertvolle Hinweise.

Anmerkungen1 Eine enge phylogenetische Beziehung zwischen den

Dermoptera und den Fledermäusen hätte zudem be-deutet, dass die Flughunde primitiv innerhalb der Fle-

dermäuse sein müssten. Das aber passt nicht zum Fos-silbericht, denn die ältesten Fledermäuse sind Klein-fledermäuse. „If Dermoptera and Chiroptera share amost recent common ancestor, the megabat conditi-on must be primitive within Chiroptera. However, thisis not apparent from the fossil record. The oldest knownbat fossil (50 million years old), Icaronycteris index, is amicrobat“ (TEELING et al. 2002, 1435).

2 Dass die Autoren hierzu mehr versprechen als sie hal-ten können, meinen auch die Rezensenten CHARLES-WORTH und ERWIN: „Kirschner and Gerhart do not pre-sent any detailed examples of how the properties ofdevelopmental systems have actually contributed tothe evolution of a major evolutionary novelty“(CHARLESWORTH 2005). „But with its sometimes troub-ling limitations, the book falls short of the major newtheory that the authors promise in their introduction“(ERWIN 2005).

3 Da viele der bei Drosophila nachgewiesenen Gene auchbeim Menschen vorkommen und dort wahrscheinlichebenfalls für eine normale Muskelfunktion benötigtwerden, könnte die Studie auch Bedeutung für das Ver-ständnis der Genfunktionen der Muskulatur von Wir-beltieren haben und Einsichten für die Behandlung vonMuskelerkrankungen ermöglichen.

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