DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND · PDF fileDer Stellenwert des français...

98
OTTO-FRIEDRICH-UNIVERSITÄT BAMBERG FAKULTÄT GEISTES- UND KULTURWISSENSCHAFTEN DIDAKTIK DER ROMANISCHEN SPRACHEN UND LITERATUREN DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND PARLE IM FREMDSPRACHENUNTERRICHT Schriftliche Hausarbeit gemäß § 30 LPO I ___________________________________________________________________________ eingereicht am 31.03.2010 im WS 2009/2010 bei Prof. Dr. Christine Michler Akademische Direktorin der Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen von Anne Schwarz Lehramt an Gymnasien, Französisch und Latein 10. Fachsemester, Matrikelnummer: 1448522 Hornthalstraße 8, 96047 Bamberg Telephon: 0951/2097877 [email protected]

Transcript of DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND · PDF fileDer Stellenwert des français...

Page 1: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

OTTO-FRIEDRICH-UNIVERSITÄT BAMBERG FAKULTÄT GEISTES- UND KULTURWISSENSCHAFTEN

DIDAKTIK DER ROMANISCHEN SPRACHEN UND LITERATUREN

DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND PARLE

IM FREMDSPRACHENUNTERRICHT

Schriftliche Hausarbeit gemäß § 30 LPO I

___________________________________________________________________________

eingereicht am 31.03.2010 im WS 2009/2010 bei Prof. Dr. Christine Michler Akademische Direktorin der Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen von Anne Schwarz Lehramt an Gymnasien, Französisch und Latein 10. Fachsemester, Matrikelnummer: 1448522 Hornthalstraße 8, 96047 Bamberg Telephon: 0951/2097877 [email protected]

Page 2: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht _________________________________________________________________________________________________________________

Inhaltsverzeichnis

1 Hauptfragestellungen der Didaktik

2 Innersprachliche Diversität des Französischen

2.1 Mündliche und schriftliche Kommunikationsfähigkeit als Unterrichtsziele

2.2 Die Norm als Richtschnur

2.3 Varietäten und Register des Französischen

2.3.1 français standard

2.3.2 français cultivé ou soigné

2.3.3 français populaire

2.3.4 français familier

2.3.5 Sondersprachen: Argot, Verlan, Jugendsprache

2.4 Mündlichkeit und Schriftlichkeit

2.5 Charakteristika des français familier und parlé

2.5.1 Grammatik

2.5.2 Lexik und Semantik

2.5.3 Pragmatik

2.5.4 Aussprache

3 Quel français enseigner?

3.1 Historischer Abriss der Fremdsprachendidaktik

3.2 Fachprofil Französisch heute

3.3 Lehrpläne

3.4 Resümee der fachwissenschaftlichen Diskussion

3.4.1 Relevanz der Registervielfalt im Sprachunterricht

3.4.2 Die Norm als Maßstab zur Sanktionierung von Fehlern

3.4.3 Varietäten im deutschen und französischen Schulunterricht

3.4.4 Varietäten an der Hochschule

3.4.5 Auswahl der Lerninhalte

3.4.6 Überlegungen zur didaktischen Aufbereitung des français parlé

3.4.7 Fazit

Page 3: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht _________________________________________________________________________________________________________________

4 français familier und français parlé in den Lehrwerken für Französisch als zweite

Fremdsprache an bayerischen Gymnasien

4.1 Vorstellung der Lehrwerksreihen Découvertes und À plus!

4.1.1 Découvertes

4.1.2 À plus!

4.2 Anteil mündlicher und schriftlicher Sprachrealisierung im Lehrwerk

4.3 Systematische Vermittlung und Wiederholung von Redemitteln

4.4 Authentizität der Sprache

4.5 Audiolinguale Arbeitsmaterialien

4.6 mots familiers – umgangssprachlicher Wortschatz

4.6.1 Kennzeichnung von mots familiers in den Lehrwerken

4.6.1.1 À plus!: Liste des mots (lektionsbegleitend)

4.6.1.2 À plus!: petit dictionnaire allemand-français und

liste alphabétique des mots (alphabetisch)

4.6.1.3 Découvertes: Vocabulaire (lektionsbegleitend)

4.6.1.4 Découvertes: liste des mots und Wortliste (alphabetisch)

4.6.2 Vergleich von À plus! und Découvertes

4.6.3 Prozentualer Anteil der mots familiers am Gesamtwortschatz

4.7 Fazit

5 Unterrichtsgespräch in einer 11. Klasse zum Thema Registervielfalt im

Französischunterricht

5.1 Darstellung des Gesprächsverlaufes

5.2 Fazit

6 Zusammenfassung

7 Literaturverzeichnis

Page 4: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

3

1 Hauptfragestellungen der Didaktik

Ein Kernelement der Didaktik besteht darin, sich immer wieder mit folgenden Fragen zu

konfrontieren: Welche Inhalte sollen ausgewählt werden? Was soll dem Lerner vermittelt

werden? Wie soll diese Vermittlung stattfinden? Mit welchen Methoden? Nicht zuletzt

stellt sich auch die Frage: Wozu soll sich der Lerner mit den ausgewählten Inhalten

auseinandersetzen? Welche kurz-, mittel- und langfristigen Lernziele werden angestrebt?

Selbstverständlich wird sich der Fremdsprachenunterricht nicht damit zufrieden geben,

rein sprachliche Kompetenzen zu vermitteln. Auch wenn diese zweifellos im Mittelpunkt

stehen, werden sicherlich auch kulturelle, bzw. interkulturelle, historische, ökonomische

und andere Aspekte berücksichtigt.

Anders als beim ungesteuerten Spracherwerb (z.B. der Muttersprache), bei dem der

Lerner von Anfang an mit der Totalität aller sprachlichen Erscheinungen konfrontiert ist,

spielt beim gesteuerten Fremdsprachenlernen in der Schule (oder anderen Institutionen)

die Auswahl und Aufbereitung des Stoffes eine große Rolle. Der Lerner soll schrittweise an

die ihm fremde Sprache herangeführt werden und seinen Wissensschatz sukzessive

aufbauen und erweitern. Bei dieser Art der progressiven Vermittlung leisten gut

strukturierte Lehrwerke dem Lehrer eine wichtige Hilfe bei der Unterrichtsplanung und

ihre Zuhilfenahme ist aus dem heutigen Fremdsprachenunterricht nicht mehr

wegzudenken, mag auch der Unterricht ohne Schulbuch zum Teil in der Fachliteratur

diskutiert werden. Die im Laufe des Schuljahres zu behandelnden Themen werden in der

Regel durch das Lehrwerk vorgegeben, das natürlich auf den geltenden Lehrplan

abgestimmt sein muss, um überhaupt für den Schulunterricht zugelassen zu werden. Die

Abschaffung der 13. Jahrgangsstufe an bayerischen Gymnasien im Zuge der G8-Reform

machte eine Umverteilung des Stoffes auf die einzelnen Jahrgangsstufen und

dementsprechend die Erstellung neuer Lehrwerke erforderlich. Bevor dies geschehen

kann, sind die beteiligten Autoren gefordert, zunächst Antworten auf die eingangs

gestellten Fragen zu finden. Welche grammatischen Phänomene sollen aufgenommen

werden? Wie umfangreich darf der Wortschatz ausfallen? Durch welche Art von Übungen

kann das Lernen abwechslungsreich gestaltet werden? Diese und viele weitere Fragen gilt

es zu klären. Für das Fach Französisch lautet eine der vorrangigsten Fragen aber: Quel

français enseigner? Die Überlegung, welches Französisch zu unterrichten sei, wird den

Page 5: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

4

Laien sicherlich verwundern, setzt sie doch die Existenz mehrerer „Französische“ voraus.

Wer sich allerdings etwas näher mit der französischen Sprache befasst, wird schnell

feststellen, dass es tatsächlich mehrere Arten des Französischen gibt, die sich nicht

unerheblich voneinander unterscheiden. Dass beispielsweise ein Unterschied zwischen

geschriebenem und gesprochenem Sprachgebrauch besteht, wird jeder nachvollziehen

können; dies gilt schließlich für viele andere Sprachen gleichermaßen. Ebenso verhält es

sich mit regionalen oder soziokulturellen Abweichungen. Im Falle des Französischen ist

die Diskussion um sprachliche Varietäten und die verschiedenen Register besonders

lebendig und eng an den Begriff der Norm geknüpft.

In Anlehnung an dieses Charakteristikum des Französischen ist es Ziel dieser Arbeit, in

einem ersten theoretischen Teil die derzeit gebräuchlichen Termini zur Klassifizierung der

unterschiedlichen Ausprägungen des Französischen vorzustellen und sie, soweit dies

möglich ist, voneinander abzugrenzen. Dabei wird auch auf die problematische

Unterscheidung zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit eingegangen werden.

An die Darstellung der unterschiedlichen Ausprägungen des heutigen Französisch schließt

sich ein Resümee von Beiträgen aus didaktischen Zeitschriften, die der Frage nachgehen,

welches Französisch gelehrt werden soll.

Im dritten Abschnitt wird untersucht, ob und inwiefern sich die vorgestellten Varietäten

des Französischen in ihrer Vielfalt in den Lehrwerken tatsächlich niederschlagen.

Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Untersuchung des Wortschatzes hinsichtlich

umgangssprachlicher Vokabeln.

Zuletzt sollen Schüler und Lehrer selbst zu Wort kommen. Dazu wird ein im Rahmen

dieser Arbeit durchgeführtes Unterrichtsgespräch vorgestellt, das nach den Wünschen,

Vorlieben und Interessen der Schüler bezüglich des angebotenen Französischunterrichts

im Allgemeinen sowie der Beschäftigung mit unterschiedlichen Registern und Varietäten

im Besonderen fragt.

Page 6: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

5

2 Innersprachliche Diversität des Französischen

2.1 Mündliche und schriftliche Kommunikationsfähigkeit als Unterrichtsziele

Welche Lernziele verfolgt der Fremdsprachenunterricht heute?1 Den Einflüssen der

Soziolinguistik ist es zu verdanken, dass sich die Zielrichtung in den vergangenen

Jahrzehnten immer mehr auf die „Kommunikative Kompetenz“2 ausrichtete. Hierbei liegt

der Fokus darauf, den Lerner zu befähigen, sich in unterschiedlichen Situationen sowohl

verständlich zu machen, als auch an ihn gerichtete Äußerungen v.a. von Muttersprachlern

verstehen und darauf reagieren zu können. Kurz gesagt soll der Lerner die Kompetenz

erwerben, möglichst viele Situationen sprachlich zu meistern.3 Dabei ist korrektes,

fehlerfreies Sprechen, das dem eines Muttersprachlers möglichst nahe kommt, zwar

wünschenswert, aber nicht oberstes Gebot. Das Hauptkriterium ist vielmehr die

praktische Anwendung der gelernten sprachlichen Mittel.4 Wenn nun also die

Verständigung als wichtigstes Ziel des Fremdsprachenlernens feststeht, stellt sich als

nächstes die Frage, welche Art des Französischen am besten geeignet sei, die geforderten

Kompetenzen beim Schüler hervorzubringen. Denn dass gerade das Französische eine

große Bandbreite an sprachlichen Varietäten und unterschiedlichen Registern entfaltet,

ist bekannt und wird jedem schnell deutlich, der sich eine gewisse Zeit in Frankreich

aufgehalten hat, oder bei anderen Gelegenheiten mit authentischen Sprechsituationen

konfrontiert war.

In den folgenden Kapiteln sollen zunächst die verschiedenen Varietäten und Register des

Französischen und der in diesem Zusammenhang unverzichtbare Begriff der Norm

vorgestellt werden, bevor im Anschluss daran die Diskussion um die Frage „Quel français

enseigner?“ näher beleuchtet wird.

1 Hierzu sei auch auf Kapitel 3.2 Fachprofil Französisch heute verwiesen. 2 Königs 1983: 8. 3 Ebd.: 10. 4 Ebd.: 9f.

Page 7: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

6

2.2 Die Norm als Richtschnur

Keine Gesellschaft kommt ohne Normen aus. Sie regeln unser Verhalten oder versuchen

dies zumindest. Sie wollen Anhaltspunkte dafür geben, wie gesellschaftlich akzeptiertes

Verhalten auszusehen hat. Sie können auf „expliziten Vereinbarungen oder

stillschweigenden Übereinkünften“5 beruhen, oder schriftlich fixiert sein. Entweder sind

sie historisch gewachsen und haben sich im Laufe langer Zeitabschnitte herausgebildet

oder sie wurden von einer Autorität künstlich festgesetzt. Normen existieren in

sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens. Unterscheiden lassen sich technische, soziale,

ethische und nicht zuletzt sprachliche Normen. Gerade in der Linguistik blickt der Begriff

der Norm auf eine lange Diskussion zurück, an der sich viele namhafte Wissenschaftler

beteiligten, unter denen vor allem Saussure und Coseriu, und für die Didaktik Stourdzé zu

nennen sind.

Um den abstrakten Begriff der Norm verständlicher zu machen, seien zunächst zwei

Definitionen angeführt: Eine kürzere von Gadet und eine ausführlichere von Müller.

„Norme: effet de la standardisation qui incite à sacraliser la forme de langue préconisée comme la meilleure façon de parler et surtout d’écrire.“6 „Unter Norm (…) im Allgemeinen versteht man

a) eine Vorschrift, ein Richtmaß oder eine auf ein Urteil, das Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, gestützte Erwartung (bzw. ein Bündel von Vorschriften, Richtmaßen, derartigen Erwartungen), wie eine bestimmte Sache, ein Sachverhalt, ein Verhalten beschaffen sein soll;

b) eine Sache, einen Sachverhalt, ein Verhalten, die/der/das solchen Vorschriften, Richtmaßen oder Erwartungen entspricht, Vorschriften und Richtmaße, die etwas regeln, «normieren », sind normativ. Sachen, Sachverhalte und Verhaltensweisen, die ihnen oder der begründeten Erwartung entsprechen, sind normengerecht, normenkonform, normal; was ihnen widerspricht, ist normwidrig, anormal.“ 7

In Gadets stichwortartiger Definition der Norm kommt bereits zum Ausdruck, dass diese

noch immer eng mit der Vorstellung einer guten, reinen und schönen Sprache verbunden

ist. Streng genommen ist die Norm aber nur ein „Subregister neben den anderen

5 Königs 1983: 2. 6 Gadet 2007: 175. 7 Müller 1975: 216.

Page 8: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

7

Subregistern“8 und nicht per se besser oder schlechter als die anderen Register. Nach und

nach verbreitet sich diese Erkenntnis. Im Schulunterricht gilt die Norm aber noch immer

als Richtschnur und Maßstab für Fehlerkorrektur und Benotung. Sie dient, um Müllers

Definition aufzugreifen, zur Unterscheidung zwischen normenkonformen und damit als

richtig akzeptierten und normenwidrigen und damit als falsch deklarierten Formen. In der

Diskussion um die Frage, ob eine strikte Orientierung an einer (festgesetzten) Norm im

Schulunterricht angemessen und in einer pluralistischen Gesellschaft überhaupt noch

zeitgemäß ist, erscheint es unabdingbar sich zu vergegenwärtigen, dass tatsächlich

mehrere Normen existieren. Müller9 unterscheidet individuelle, soziale, statistische und

präskriptive Normen. Daneben nennt er auch eine relative und eine absolute Norm, auf

die hier allerdings nicht näher eingegangen werden soll. Krämer stellt darüber hinaus all

diesen Normen die diversen stilistischen Register des Französischen zur Seite.10 Der

Versuch, aus diesen Normen eine einzige Norm des Französischen schlechthin zu

synthetisieren, ist utopisch, auch oder gerade weil „individuelle, präskriptive und

statistische Norm ineinandergreifen und zugleich auseinanderfallen“11. Was ist nun aber

unter individueller, statistischer und präskriptiver Norm zu verstehen?

Die individuelle Norm variiert von Sprecher zu Sprecher, sie ist ein jeweils verschiedener

Idiolekt oder „usage personnel“12 jedes Einzelnen und steht der sozialen Norm

gegenüber, die synonym als kollektive oder Gemeinschaftsnorm bezeichnet wird.

Die statistische Norm fragt danach, was am häufigsten verwendet wird, also nach dem

Sprachgebrauch wie er realiter vorliegt, ohne die Frage zu berücksichtigen, wie er sein

soll. Die statistische Norm kann daher auch als Gebrauchs- oder Ist-Norm bezeichnet

werden und entspricht in etwa dem français commun, usuel, courant.13 Da dies die

gebräuchlichsten Register des Französischen sind, ließe sich hier die Forderung ableiten,

im Schulunterricht eben diese statistische Norm zu verwenden. Sie kommt dem real

vorherrschenden Sprachgebrauch am nächsten. Die Position der präskriptiven Norm als

alleiniges Bewertungskriterium wäre demnach zu überdenken, zumal sie stets ein

Konstrukt war.

8 Müller 1975: 220 und 224. 9 Ebd.: 223. 10 Krämer 1993: 228. 11 Müller 1975: 223. 12 Ebd.: 224. 13 Ebd.: 228.

Page 9: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

8

Im Unterschied zur statistischen Norm legt die präskriptive Idealnorm fest, wie etwas sein

soll, ohne dabei unbedingt zu berücksichtigen, wie es derzeit mehrheitlich ist. Dies gilt für

Aussprache- und Orthographieregeln, wie für die Verwendung von Anglizismen oder

bestimmter Modi (man denke an den immer seltener auftretenden subjonctif) – um nur

einige Beispiele zu nennen. Als präskriptive Norm gilt, was „durch normative Akte

reguliert und in einer Sprachgemeinschaft verbindlich erklärt“14 wurde. Müller geht der

Frage nach, wer diese Außensteuerung der Sprache lenkt.15 Was als verbindliche Norm zu

gelten hat, wird von Sprachwissenschaftlern (Grammatikern und Lexikographen),

Institutionen wie der Académie française, oder vom Staat selbst durch Gesetze

festgelegt.

Ohne Zweifel bringt es zahlreiche Vorteile, wenn innerhalb einer Sprachgemeinschaft klar

bestimmt werden kann, was als sprachlich richtig und falsch zu beurteilen ist und wenn

dies in anerkannten Nachschlagewerken, wie z.B. Le bon usage von Grevisse, für jeden zu

recherchieren ist. Die Festsetzung einer präskriptiven Norm ist allerdings nicht

problemlos. Denn bis die Diskussion um Normenkonformität eines bestimmten Ausdrucks

abgeschlossen ist, hat sich die Problematik längst weiterentwickelt oder ein ganz neues

Problem aufgetan. Die Festsetzung einer Norm hinkt der sprachlichen Realität

naturgemäß immer hinterher.16 Dieses Spannungsverhältnis zwischen sprachlichem Soll

und sprachlichem Ist bringt Müller auf den Punkt:

„Grundlage der präskriptiven Norm ist immer ein Sprachmodell, das sich von der Vergangenheit herleitet, ihr Ziel, die Gegenwart und Zukunft der Sprache zu korrigieren.“17

Welche konkreten Mittel der Académie française zur Verfügung stehen, um ihrem

staatlichen Auftrag der Sprachpflege nachzukommen, soll an dieser Stelle ausgespart

bleiben. Wichtiger für die Thematik dieser Arbeit, den Stellenwert der Umgangssprache

im Französischunterricht, ist die Problematisierung des Normbegriffs im 20. Jahrhundert,

die sich bereits im 19. Jahrhundert abzeichnete.18 Die Position der präskriptiven Norm ist

in den letzten Jahrzehnten ins Wanken geraten. Da sich ihre Legitimierung durch die

14 Müller 1975: 232. 15 Ebd.: 236-237. 16 „Die präskripitve Norm des Französischen ist (…) immer in gewissem Sinn veraltet.“ Ebd.: 239. 17 Ebd.: 240. 18 „Nach der Mitte des 19.Jahrhunderts (…) wird der Niedergang des Bon Usage von Philosophen und Literaten zunehmend beklagt.“ Thiele-Knobloch 1981: 159.

Page 10: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

9

Bindung an eine soziale Oberschicht und ein Bildungsbürgertum nur noch schwer aufrecht

erhalten lässt, muss verstärkt die statistische Norm in den Blick genommen werden, um

überhaupt eine präskriptive Norm formulieren zu können. Die Überlegung, wie

gesprochen und geschrieben werden soll, rückt näher an die Frage, wie die Mehrheit der

Frankophonen tatsächlich spricht und schreibt. Daher erscheint die Prognose, dass sich

die künstlich geschaffene oder zumindest vertiefte Kluft zwischen bon usage und usage,

zwischen Soll und Ist in Zukunft wieder schließen oder doch verringern wird, durchaus

glaubhaft.19

Dass der Normbegriff der Linguistik nicht eins zu eins auf die Didaktik des

Fremdsprachenunterrichts übertragbar ist, darauf verweist Königs in seiner Publikation

Normenaspekte des Fremdsprachenunterrichts. Er hält fest, der Begriff der Norm dürfe

nicht auf seine „linguistischen Aspekte“20 verkürzt werden, sondern müsse gezielt auf

seine Verwendung in der Fremdsprachendidaktik untersucht werden.

2.3 Varietäten und Register des Französischen21

Obwohl das Französische sicherlich eine der Sprachen ist, die am präzisesten normiert

sind, ist es dennoch nicht als „ein einziges System“22 zu begreifen, sondern als das

Zusammenspiel „aus vielen regional (diatopisch), soziokulturell (diastratisch) und

stilistisch (diaphasisch) unterschiedlichen Systemen“23. Angesichts dieser sprachlichen

Vielfalt stellt sich wiederum die Frage, ob sich der Fremdsprachenunterricht auf eines

dieser Systeme allein konzentrieren sollte, und wenn ja auf welches, oder ob jedes dieser

Systeme einbezogen werden muss. Zu den diatopischen Unterschieden, die im

Französischen ohnehin geringer ausfallen als beispielsweise im Deutschen, wo sich eine

unüberschaubare Zahl an regionalen Dialekten findet, die teilweise von Ort zu Ort

variieren können, bemerkt Thiele-Knobloch, dass „Dialekte und mundartliche Varietäten

19 Müller 1975: 243. 20 Königs 1983: 1. 21 Der Oberbegriff Varietät umfasst Dialekte (diatopisch), Soziolekte (diastratisch) und verschiedene stilistische Register (diaphasisch). 22 Geckeler/Dietrich 2003: 49. 23 Ebd.: 49.

Page 11: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

10

(…) natürlich und selbstverständlich für aktives Sprechen“24 eines Nicht-Muttersprachlers

ausscheiden. Sie begründet dies sehr überzeugend damit, dass selbst ein Muttersprachler

nicht ernsthaft versuchen würde, einen anderen Dialekt zu imitieren („ein Berliner z.B.

wird sich auch nicht plötzlich schwäbisch ausdrücken wollen (und können)“25). Die Grenze

zum Humoristischen und Komischen ist hier schnell überschritten, das legt auch die

Vielzahl an kabarettistischen Mundartparodien nahe.

Was diastratische Unterschiede angeht, so ist festzuhalten, dass diese aufgrund der

soziodemographischen Veränderungen heute nicht mehr so tief greifend sind, wie

vielleicht noch vor 50 Jahren.26 Sprachliche Phänomene, die ursprünglich nur in den sozial

benachteiligten Schichten zu finden waren, sind mittlerweile auch in andere Schichten

eingegangen. Wenn heute auch Akademiker Wörter aus dem français populaire oder

selbst aus dem Argot verwenden, bedeutet dies allerdings noch lange nicht, dass sie diese

situationsindifferent gebrauchen würden. Wenn schichtspezifische Differenzen im

Sprachgebrauch zunehmend verschwimmen, so sind diaphasische Unterschiede durchaus

von Bedeutung. Ihnen kommt die größte Relevanz in Bezug auf den

Fremdsprachenunterricht und seine Ziele zu. Denn dieser soll, wie bereits erwähnt, auf

eine Vielzahl an Situationen vorbereiten, und zwar sowohl auf solche, in denen immer

noch die präskriptive Norm als Richtschnur Gültigkeit besitzt (etwa die Abfassung einer

wissenschaftlichen Hausarbeit im Studium, oder eines commentaire personnel in der

gymnasialen Oberstufe), als auch auf Situationen, in denen nicht ausschließlich français

standard verwendet wird, sondern auch andere stilistische Register, wie z.B. français

familier. Da Auslandsreisen in den letzten Jahrzehnten immer leichter und

kostengünstiger wurden und sich daher für die Lerner häufiger die Möglichkeit ergibt, die

Fremdsprache im Land selbst anzuwenden, ist es durchaus hilfreich, auch

umgangssprachliche Register zu beherrschen.27 Nicht nur Reisen ermöglichen den

direkten Kontakt zu Muttersprachlern, sondern auch die modernen

Kommunikationsmittel, die ebenfalls kostengünstiger und vor allem wesentlich schneller

24 Thiele-Knobloch 1981: 166. 25 Ebd.: 166. 26 s. dazu 2.3.3 français populaire. 27 „Schüler und besonders Lehrerstudenten müssen mit umgangssprachlichen und dabei auch mit familiären Registern vertraut gemacht werden, denn ihre Kontakte sind im heutigen Europa und in der übrigen Welt glücklicherweise nicht mehr nur neutral oder formell.“ Thiele-Knobloch 1981: 161.

Page 12: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

11

français cultivé/soigné/ choisi/soutenu

---------------------------- NORME

---------------------------- français courant/

usuel/commun -----------------------------

français familier -----------------------------

français populaire -----------------------------

français vulgaire/ argotique

geworden sind. Doch auch in der medial schriftlichen Kommunikation28, wie z.B. im Chat

oder beim Email-Verkehr haben umgangssprachliche Formen längst Einzug gehalten,

worauf der Fremdsprachenlerner vorbereitet werden muss, wenn man den Anspruch

aufrechterhalten will, auf möglichst viele Situationen des täglichen Lebens vorzubereiten.

In den folgenden Kapiteln sollen die wichtigsten Register vorgestellt und in ihren

sprachlichen Eigenheiten charakterisiert werden. Als Orientierungs- und Ausgangspunkt

wird zunächst das français standard behandelt, dem sich

die stilistischen Abweichungen nach oben (français soigné

oder cultivé) und unten (français populaire und français

familier) anschließen. Von den unteren Registern wird

zuerst das français populaire erläutert, weil zwischen

letztgenanntem und français cultivé der größte Sprung

liegt, und es viele Phänomene hervorgebracht hat, die sich

heute auch im français familier finden, das im Anschluss

ausführlicher behandelt wird.29 Zuletzt wird ein kurzer

Exkurs über Sondersprachen (Jugendsprache, Argot,

Verlan) angefügt.

2.3.1 français standard

Eine Definition der unterschiedlichen Varietäten des Französischen läuft meist darauf

hinaus, sie in Abweichung vom Standard zu bestimmen, der sich wiederum am besten ex

negativo festsetzen lässt: „il (le standard) n’est ni le français régional, ni l’oral, ni le

populaire“30. Da derartige Zirkelschlüsse wenig ergiebig sind, erscheint ein weiteres

Ausgreifen und eine detailliertere Vorstellung der einzelnen Register sinnvoll.

Bevor in den folgenden Kapiteln auf die Begrifflichkeiten cultivé, courant, familier,

populaire etc. eingegangen wird, seien zunächst noch einige Worte zum Terminus

standard angeführt. Gadet beschreibt standard als künstliches Endprodukt eines

Regulierungsprozesses, der maßgeblich vom Staat oder anderen Institutionen, die über

28 s. dazu 2.4 Mündlichkeit und Schriftlichkeit. 29 Für nebenstehendes Schema vgl. Müller 1975: 184. 30 Gadet 2007: 114.

Page 13: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

12

ausreichend Autorität verfügen, gesteuert bzw. beeinflusst wird.31 Diesen Prozess, dessen

Ziel darin besteht, feste Sprachregeln herauszubilden, nennt sie standardisation.32

Standardisierung wiederum kann als „réduction de la variation“33 nach dem

Ausschlussprinzip verstanden werden, d.h. sie zielt darauf ab, nur eine bestimmte Form

als korrekt gelten zu lassen, wohingegen alle anderen Formen verworfen werden. Eine

strikte qualitative Unterteilung in stilistisch gute, gewollte gegenüber schlechten, zu

vermeidenden Ausdrucksformen wird heute heftig diskutiert. An die Stelle des

unverrückbaren Standards mit seinem Alleingültigkeitsanspruch tritt mehr und mehr die

Vorstellung einer Gleichwertigkeit der verschiedenen Varietäten. Die Annahme, es gebe

ein so genanntes gutes Französisch, das vor den Einflüssen des schlechten Französisch

geschützt werden müsse, wird abgelöst von der Ansicht, dass �anders’ nicht mit

�schlechter’ gleichzusetzen ist. Zudem entpuppt sich die Existenz eines

allgemeingültigen, universalen Standards als Mythos.34 Lange Zeit war man davon

ausgegangen, es gäbe so etwas wie eine Sprache in Reinform, die sich in

Nachschlagewerken wie Le bon usage festhalten ließe. Dabei vernachlässigte man die

Tatsache, dass jegliche Sprachproduktion stark situationsabhängig ist und für ein

Gespräch nicht dieselben Parameter gelten können wie für eine Doktorarbeit.35

2.3.2 français cultivé ou soigné

Im Prinzip entspricht français cultivé, das synonym auch als soigné, choisi, tenu oder

soutenu bezeichnet wird, ebenso wenig der Norm wie das français populaire, mit dem

Unterschied, dass letzteres eine Abweichung nach unten darstellt, das français cultivé im

Gegenzug jedoch noch über der Ebene der Norm angesiedelt und damit als qualitativ

höchste Stufe des Französischen angesehen wird.36 Müller weist darauf hin, dass diese

sehr gehobene Stilebene nur von einer Minderheit der Muttersprachler aktiv beherrscht

31 „Standard: produit des interventions délibérées d’un État sur la langue, ou standardisation“. Gadet 2007: 176. 32 „Standardisation: processus de fixation auquel est soumise dans certaines conditions historiques une variété jouissant de prestige, de l’écriture, utilisée dans les activités sociales valorisées (codification, élaboration, grammatisation).“ Ebd.: 176. 33 Ebd.: 114. 34 Ebd.: 114. 35 Ebd.: 114. 36 Müller 1975: 209.

Page 14: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

13

wird und ihre Anwendung auf bestimmte Situationen limitiert ist.37 Sich im Alltag des

français cultivé zu bedienen kann schnell „deplaziert“38 und übertrieben wirken. Ein

Nichtmuttersprachler kann also nicht nur durch einen allzu saloppen Sprachgebrauch

negativ herausstechen, sondern auch durch einen gekünstelten Stil auffallen. Hier stellt

sich erneut die Frage nach dem Stellenwert, der den unterschiedlichen Registern im

Fremdsprachenunterricht zuerkannt werden muss. Zweifellos hat français cultivé noch

immer seinen festen Platz in der Schule, z.B. im Lektüreunterricht der Oberstufe, wenn

Molière, Racine, La Fontaine und andere auteurs classiques gelesen werden. Dabei stoßen

die Lerner auf Formen und Vokabeln, die im täglichen Umgang gar nicht mehr oder nur

äußerst selten vorkommen. Vor allem bei antiquiertem Wortschatz wie ma bru, mamie

oder céans39 darf es nur darum gehen, dass die Schüler diesen verstehen, nicht jedoch

aktiv anwenden können.

2.3.3 français populaire

In einem Interview40 über den aktuellen Zustand des Französischen formulierte Claude

Duneton, der sich als Lehrer, Schriftsteller und Sprachhistoriker immer wieder mit

neueren und neuesten Tendenzen des Französischen auseinandersetzte, sehr pointiert:

„Je dois vous annoncer une chose: le français populaire n’existe plus“41. Er hält den

Terminus, der aus dem späten 19. Jahrhundert42 stammt, für nicht mehr zeitgemäß.43

Ursprünglich bezeichnet français populaire die Sprache des einfachen Volkes, der

Unterschicht, des Arbeitermilieus. Müller liefert eine sehr treffende Charakterisierung

dieses Registers:

„In der Gegenwart des 20. Jh.s ist das français populaire ein subsprachliches Register, das von der Masse der Franzosen getragen wird, die 1. im allgemeinen nur Volks- oder Mittelschulbildung besitzen, und/oder 2. die Sprache unreflektiert, unkontrolliert und nur für die Kommunikation des Augenblicks einsetzen, und/oder 3. sich keinen anderen Normen als den dem aktuellen Status

37 Müller 1975: 209. 38 Ebd.: 209. 39 Beispiele aus Molière: Le Tartuffe ou l’imposteur. 40 Das Interview wurde von Meißner durchgeführt, der im Folgenden daher als Autor der Quelle genannt wird. 41 Meißner 1999: 124. 42 Gadet 2007: 115. 43 „je me suis aperçu que l’appellation, je dirais classique, traditionnelle du français populaire n’a plus de raison d’être“. Meißner 1999: 123.

Page 15: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

14

der Subsprache selbst immanenten unterwerfen (brauchen), die sich als Erfahrungsregeln der Sprachpraxis im täglichen Umgang bewähren.“44

Als einer der ersten Linguisten, die sich systematisch mit dieser Varietät des

Französischen beschäftigten ist Henri Bauche zu nennen. In seiner 1920 erschienenen und

seitdem mehrmals wieder aufgelegten Publikation Le langage populaire. Grammaire,

syntaxe et dictionnaire du français tel qu’on le parle dans le peuple de Paris. Avec tous les

termes de l’argot usuel45 unternimmt er den Versuch, die lautlichen und lexikalischen

Besonderheiten festzuhalten.46 Der Zusatz tel qu’on le parle dans le peuple de Paris

verweist schon darauf, dass français populaire an eine bestimmte Gruppe von Sprechern

– eben das einfache Volk in Paris – gebunden und nicht mit français familier

gleichzusetzen ist, obwohl es gewiss Überschneidungen gibt. Duneton vertritt nun die

Ansicht, dass sich der ehemals treffende Ausdruck francais populaire im Zuge des

soziodemographischen Wandels überlebt habe, da er sowohl der sozialen als auch der

sprachlichen Realität von heute nicht mehr gerecht werde. Mit der Verlängerung der

Schulpflicht in den 50er Jahren – zunächst bis zum 14., dann bis zum 16. Lebensjahr seien

auch die Arbeiterkinder umfassender ins Bildungssystem einbezogen worden. Hatten

diese Kinder vorher die Schule in der Regel schon früh verlassen, um in die Lehre zu gehen

oder zum Unterhalt der Familie beizutragen, wurden sie nun wesentlich stärker und

länger von der normierten Sprache des Schulunterrichts geprägt und kamen mit dem

français populaire, wie es in den kleinen Handwerksbetrieben oder Fabriken gesprochen

wurde, viel weniger in Berührung.47 Wenn Duneton das français populaire für tot erklärt,

meint er damit das français populaire wie es zu der Zeit vorhanden war, als der Begriff

geprägt wurde. Er räumt allerdings ein, dass die sprachlichen Phänomene, die es

charakterisieren, nicht einfach verschwunden sind, sondern ins français familier über-

und darin aufgingen. Daher lohnt ein kurzer Blick auf die lexikalischen und

grammatikalischen Besonderheiten des français populaire. Auf eine ausführlichere

Beschreibung wird an dieser Stelle jedoch verzichtet, da sich viele typische Merkmale des

français populaire mit denen des français familier und parlé decken.48

44 Müller 1975: 195. 45 Bauche 1951. 46 Da technische Möglichkeiten wie Tonbandaufnahmen zu dieser Zeit noch nicht entwickelt oder viel zu kostspielig waren, handelt es sich hierbei in der Regel um schriftliche Transkriptionen mündlicher Aussagen. 47 Meißner 1999: 123. 48 S. dazu 2.5 Charakteristika des français familier und parlé und 2.3.4 français familier.

Page 16: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

15

Wer meint, français populaire sei sprachlich ärmer oder simpler als Standardfranzösisch,

der zieht vorschnelle Schlüsse. Français populaire kann aufgrund seiner zahlreichen

Hyperkorrektismen und seines reichen expressiven Vokabulars durchaus als ziemlich

komplex angesehen werden.49 Die festzustellende Vereinfachung des

Konjugationssystems hingegen darf als sehr ökonomisch betrachtet werden, da sie einer

reibungslosen Kommunikation keinesfalls abträglich ist, sondern sie sogar erleichtert, weil

die Sprecher nicht lange nach der richtigen Form zu suchen brauchen.50

Der große Nachteil des français populaire besteht allerdings darin, dass es als Sprache der

sozial schwächeren Klassen markiert ist, so dass jeder, der sich dieses Registers bedient,

Gefahr läuft, schnell als ungebildet zu gelten.51 Dadurch disqualifiziert sich français

populaire als pädagogische Leitlinie. Es ist klar, dass sich der Unterricht nicht allein an

dieser Art des Französischen ausrichten darf. Denn welcher Schüler möchte, wenn er

endlich ins Ausland fährt, um dort seine Sprachkenntnisse anzuwenden, nachdem er viel

Zeit und Mühe in das Erlernen der Fremdsprache investiert hat, als ungebildet, oder gar

frech und unhöflich abgestempelt werden, weil er sich in der Schule eine Art des

Sprechens angewöhnt hat, die im Land selbst nicht überall, d.h. nicht in allen Situationen

und nicht in allen Schichten akzeptiert ist.

2.3.4 français familier

Unter français familier ist, wie in der obigen Abbildung schematisch angedeutet, ein

Sprachregister zu verstehen, dass mit der Norm keinesfalls deckungsgleich ist, ihr jedoch

näher steht als das français populaire.52 Müller bezeichnet es sehr treffend als „das

Register der zwanglosen Unterhaltung in Familie, Beruf, Alltag, unter Bekannnten und

Nahestehenden, die sich des Französischen ohne Kontrolle, aber – im Gegensatz zu

Sprechern des français populaire – auch ohne gravierende Distanz zum „guten“, will

sagen regelkonformen Gebrauch bedienen“53. Français familier verfügt demnach über ein

breites Anwendungsspektrum und ist daher in Bezug auf didaktische Überlegungen

49 Kenemer 1982: 44. 50 Ebd.: 44. 51 Ebd.: 44. 52 Müller 1975: 204. 53 Ebd.: 204.

Page 17: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

16

besonders interessant, ist es doch eines der obersten Ziele des

Fremdsprachenunterrichts, den Schüler auf möglichst viele Gesprächssituationen adäquat

vorzubereiten.54 Da die meisten Schulbuchlektionen an Begebenheiten aus den oben

angeführten Bereichen Familie, Beruf und Alltag orientiert sind, scheint sich eine

Einbeziehung des français familier für den Schulunterricht anzubieten. Inwiefern es

tatsächlich in den derzeit gültigen und zugelassenen Lehrwerken Berücksichtigung findet,

soll in Teil 4 dieser Arbeit genauer untersucht werden. Français familier scheint für viele,

jedoch bei weitem nicht alle Gelegenheiten geeignet. Mag es für den privaten und

alltäglichen Gebrauch passend sein, empfiehlt sich bei offiziellen Anlässen oder dem

Schriftverkehr – gerade wenn es sich beim Adressaten um eine höher gestellte Person

handelt – eine stärkere Orientierung an der Norm.55 Diese Grundregel darf immer noch

ihren Anspruch auf Gültigkeit erheben, auch wenn heute selbst in Reden bei öffentlichen

Veranstaltungen Tendenzen in Richtung français familier oder populaire zu erkennen sind

und die Bindung an die Norm aufgelockert ist.

Français familier bewegt sich zwischen der Ebene der Norm und der des français

populaire und kann sich je nach Sprecher und Situation mehr der oberen oder unteren

Ebene zuneigen.56 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei der Überlegung,

welches Französisch den Schülern vermittelt werden soll, bzw. an welchem Register man

sich zu orientieren habe, unbedingt darauf zu achten sei, dass der Lerner sich mit den ihm

beigebrachten Sprachkenntnissen nicht unfreiwillig und unverschuldet blamiert, weil er

sich im Ton bzw. im Register vergriffen hat. Diese Gefahr ist bei français familier so gut

wie ausgeschaltet, da es nicht schichtspezifisch, sondern in allen Bevölkerungsteilen

akzeptiert ist.57

54 S. dazu 2.1 Mündliche und schriftliche Kommunikationsfähigkeit als Unterrichtsziele. 55 Müller 1975: 204. 56 „Von den unteren Subnormregistern aus gesehen, ist das français familier eine Art durch Erziehung und Sprachbewusstsein veredeltes français populaire, von den oberen Registern aus beurteilt, eine permissive Gebrauchsnorm der legeren Kommunikation.“ Müller 1975: 204. 57 Müller 197: 204f.

Page 18: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

17

2.3.5 Sondersprachen: Argot, Verlan, Jugendsprache

Nachdem die wichtigsten Register des Französischen vorgestellt wurden, wird nun noch

kurz auf Sondersprachen wie Argot, Verlan und Jugendsprache eingegangen, da auch

disie für den Schulunterricht interessant sein können.58 Das in Kapitel 2.3 abgebildete

Schema weist auf der untersten Stufe das français vulgaire oder argotique auf. Diese

Bezeichnungen werden häufig synonym verwendet, auch wenn sie nicht völlig

deckungsgleich sind. Wichtiger als die präzise Unterscheidung von vulgaire und argotique

ist jedoch die Abgrenzung dieses untersten Registers zu français populaire. Letzteres

wurde bereits definiert als die Sprache des einfachen Volkes, die zum einen Einflüsse aus

dem Argot aufnahm und zum anderen selbst auf das français familier abfärbte. Als

eigenständige Sprache hat Argot viel an Bedeutung verloren, seit es im 19. Jahrhundert

als Geheimsprache der Gauner und Kriminellen entwickelt wurde, um sich untereinander

verständigen zu können, ohne dass dabei Informationen an Außenstehende, d.h. nicht

Eingeweihte dringen konnten, selbst wenn diese mithörten. Kennzeichnend für français

vulgaire bzw. argotique ist eine Fülle an drastischen, in anderen Registern tabuisierten

Ausdrücken und Schimpfwörtern. Auch hier ist es ratsam, den Lerner darauf hinzuweisen,

wie diese Ausdrücke von Muttersprachlern aufgefasst werden und in welchem Grade sie

belastet sind. So wirkt beispielsweise Je m’en fiche! weniger schockierend als Je m’en

fous!. Gleichwohl ist es angebrachter dem Lerner Cela / Ça m’est égal an die Hand zu

geben.59

Als zweite Sondersprache sei an dieser Stelle das sogenannte Verlan angeführt, das sich

vom Standardfranzösisch primär durch seine Lexik unterscheidet. Sein Wortschatz

besteht aus Wörtern, die nach einem bestimmten Schema umgebaut wurden.

Vereinfacht erklärt wird ein Wort zuerst in seine einzelnen Silben zerlegt, diese dann

umgestellt und wieder zu einem neuen Wort zusammengesetzt. Dabei wird die

Aussprache des Wortes und nicht seine Orthographie zugrunde gelegt. Auch die

Bezeichnung Verlan selbst basiert auf dem Vertauschen von Silben. Sie kommt von

l’envers (len – vers ver – lan). Von Belang ist das Verlan, da einige Ausdrücke in das

58 Siehe dazu 5. Unterrichtsgespräch in einer 11.Klasse zum Thema Registervielfalt im Französischunterricht. 59 S. dazu 4.6 mots familiers – umgangssprachlicher Wortschatz.

Page 19: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

18

français familier übergegangen sind und von vielen Franzosen im Alltag verwendet

werden.60 Dazu einige Beispiele:

femme meuf flic (mot argotique) keuf arabe beur fête teuf

Jugendsprache ist für den Schulunterricht schon deshalb besonders interessant, da die

Fremdsprachenlerner meist im selben Alter sind wie die jugendlichen Muttersprachler,

die sich dieser Sondersprache bedienen und sie ständig weiter entwickeln. Daher soll ihr

an dieser Stelle mehr Platz eingeräumt werden als den anderen Sondersprachen.

Im Unterschied zu den Termini Argot und Verlan, scheint bei dem Begriff Jugendsprache

sofort klar zu sein, was darunter zu verstehen ist: Eben die Art und Weise zu sprechen,

wie sie unter Jugendlichen vorherrscht. Bei näherem Hinsehen tun sich jedoch mehrere

definitorische Schwierigkeiten auf, u.a. die Frage, welches Alter als Jugend gelten darf.

Zudem erscheint es problematisch, Jugendsprache allein oder hauptsächlich an das Alter

zu binden und andere Faktoren wie soziale Herkunft und Bildungsgrad zu

vernachlässigen.61

Zu allen Zeiten und in allen Kulturen versuchten Jugendliche sich einerseits von der hinter

ihnen liegenden Kindheit und andererseits von der Welt der Erwachsenen, in die sie noch

nicht vollständig eingetreten sind, abzugrenzen.62 Dies geschieht über Rituale (z.B.

spezielle Begrüßungsformen), die Kleidung, und auch über die Sprache. Da Jugendliche

schnell für Neuerungen aller Art zu begeistern sind und sie in vielen Bereichen flexibler

sind als Erwachsene, verwundert es nicht, dass auch die Jugendsprache in ständigem

Wandel begriffen ist. Trotz oder gerade wegen dieser Unstetigkeit wird ihr eine

Vorreiterrolle hinsichtlich des Sprachwandels attribuiert.63 Auch wenn Jugendsprache,

bzw. ihre Sprecher, bewusst neu und andersartig erscheinen will64 und durchaus

60 In der Jugendsprache finden sich noch mehr verlanisierte Worte als im français familier, das von allen Altersgruppen gesprochen wird. 61 „La dénomination même de « langue des jeunes » est problématique, car la catégorisation purement démographique dissimule une question sociale, voire ethnique.“ Gadet 2007: 120. 62 Ebd.: 120. 63 „la langue des jeunes soulève donc des questions, qui se présentent de façon paradoxale : on leur prête un rôle d’initiation des changements, alors que leurs façons de parler sont stigmatisées, particulièrement instables et en constant renouvellement“. Ebd.: 121. 64 „Les locuteurs, utilisateurs ou non de la langue des jeunes, ont le sentiment de quelque chose de massivement nouveau“. Ebd.: 125.

Page 20: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

19

innovatives Potential beinhaltet, trifft man bei genauerer Untersuchung der sprachlichen

Phänomene auf die selben Muster, die auch in anderen Varietäten, wie français populaire

oder familier auftreten: Entlehnung (z.B. bled aus dem Arabischen oder cool aus dem

Englischen), Verkürzungen (Apokopen wie biz für business, prof für professeur, ados für

adolescents und Aphäresen wie blème für problème, zic für musique), Doppelung von

Silben (z.B. zonzon für prison), oder Metonymien (z.B. casquette für contrôleur).65

Mit der Ausbreitung der neuen Medien erschloss sich der Jugendsprache, die früher v.a.

in der medial mündlichen Kommunikation verwendet wurde, ein neues Anwendungsfeld.

Viele Jugendliche schreiben in Emails, im Chat oder in SMS so, wie sie sprechen und

halten sich nicht an orthographische Regeln. Im Französischunterricht kann es sehr

motivierend wirken, den Schülern solche von Jugendlichen geschriebenen Texte,

vorzulegen und sie rätseln zu lassen, was sich hinter der vom Standard zum Teil stark

abweichenden Schreibung verbergen könnte.66 Dass diese Art Nachrichten zu verfassen

auf den privaten Bereich beschränkt ist und sich nicht für den Einsatz in der Schulaufgabe

eignet, werden die Schüler leicht einsehen, schließlich schreiben auch deutsche

Jugendliche an ihre Freunde anders als in einer benoteten Arbeit. Die Gefahr, die Schüler

könnten sich falsche, d.h. nicht dem Standard entsprechende Schreibweisen

angewöhnen, ist vergleichsweise gering und wird durch den positiven Effekt der

Motivation durch authentische Materialien aufgewogen.

Manchen Erwachsenen erscheint die Jugendsprache als verroht und verarmt.67 Doch

sollte man sich nicht sofort abschrecken lassen von dem härteren Umgangston, der unter

Jugendlichen herrscht.68 Zudem fungiert Sprache unter Jugendlichen auch als Ventil für

Aggressionen, die sich sonst in körperlicher Gewalt manifestieren könnten.69 Was den

Vorwurf der Spracharmut angeht, so stimmt es zwar, dass sich la langue des jeunes

lexikalisch auf das beschränkt, womit die Jugendlichen im Alltag zu tun haben, beachtet

man jedoch die Vielzahl an Synonymen, die häufig nebeneinander existieren, so gerät der

Vorwurf ins Wanken.70

65 Nicolas 2005: 51. 66 s. dazu 5. Unterrichtsgespräch in einer 11. Klasse zum Thema Registervielfalt im Französischunterricht. 67 Nicolas 2005: 52. 68 „les malentendus entre adultes et jeunes autour de l’usage de la langue: là où les premiers voient de la grossièreté et des incivilités, les jeunes revendiquent une façon propre de s’exprimer, sans particulière intention de choquer“. Gadet 2007: 127. 69 „les mots deviennent des armes“. Nicolas 2005: 52. 70 Ebd.: 52.

Page 21: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

20

Angesichts der starken Präsenz der Jugendsprache im Alltag der französischen

Muttersprachler in vielen Bereichen (Kommunikation unter Freunden, Musik, Fernsehen,

Zeitschriften), ist es gerechtfertigt und sinnvoll, ihr im Fremdsprachenunterricht einen

Platz71 neben dem français standard einzuräumen, das natürlich die Grundlage bleiben

muss.72

2.4 Mündlichkeit und Schriftlichkeit

Nachdem die verschiedenen stilistischen Varietäten und Register des Französischen kurz

vorgestellt wurden, bleibt nun zu klären, wo sich das so genannte français parlé situieren

lässt. Häufig werden die Termini français parlé und français familier nicht klar

voneinander abgegrenzt oder sogar miteinander vermischt. Dabei liegt auf der Hand, dass

die Art der Übermittlung (mündlich vs. schriftlich) nicht an das Niveau der sprachlichen

Äußerung gekoppelt ist.73 Spätestens seit Koch und Oesterreicher74 mit der Einführung

der Parameter medial (mündlich/phonisch vs. schriftlich/graphisch) und konzeptionell

(Nähe vs. Distanz) ein tragfähiges Unterscheidungssystem lieferten, fällt die

Unterscheidung leichter. Medial Schriftliches steht nicht automatisch stilistisch höher

oder ist immer qualitativ „besser“, d.h. grammatikalisch korrekter oder in der Wortwahl

ausgefeilter als medial mündlich vorgebrachte Äußerungen. Ein einleuchtendes Beispiel

hierzu: Man stelle dem medial schriftlichen Einkaufszettel oder der Notiz an einen Freund

den medial mündlichen Vortrag eines Universitäts-Professors oder eines

Nachrichtensprechers gegenüber. Neben dem Kriterium des Mediums gilt es eben auch

das der Konzeption zu beachten.

Dies trifft in verstärktem Maße für die Kommunikation unter Verwendung neuer

technischer Möglichkeiten wie Internet und Mobiltelefon zu. Sprachlicher Austausch im 71 s. dazu 3.3 Lehrpläne. 72 „il est fondamental que l’école et les enseignants acceptent de donner une place, à côté du français standard, à cette culture qui ne pourra que profiter d’une étude consciente et approfondie, guidée par des enseignants qui sauront montrer à leurs élèves la pauvreté et la richesse, la violence et le désespoir que recèle leur nouvelle langue, sans pourtant chercher à les démunir“. Nicolas 2005: 52. 73 „les habitudes courantes font qu’on identifie « français parlé » et « français familier ». Il est pourtant évident que le type de réalisation, écrite ou orale, n’a rien à voir, techniquement, avec le « niveau » de langue, et qu’on peut écrire du français que les puristes appellent « relâché », tout comme on peut oraliser du français académique“. Blanche-Benveniste 1983: 24. Und „Der mediale Aspekt (…) hat (…) nichts mit der sprachlichen Variation zu tun“. Kiesler 1995: 382. 74 Koch/Oesterreicher 1990: 5-16.

Page 22: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

21

Chat oder per SMS ist zwar klar medial schriftlich, aber konzeptionell (d.h. von der

gedanklichen Struktur her) sehr oft nähesprachlich. Daran zeigt sich, dass zwischen den

Parametern graphisch und distanzsprachlich bzw. phonisch und nähesprachlich zwar

Affinitäten bestehen, aber ebenso die Kombination graphisch und nähesprachlich bzw.

phonisch und distanzsprachlich möglich ist. Einige Beispiele dazu:

graphisch und distanzsprachlich: Aufsatz in einer wissenschaftlichen Zeitschrift phonisch und nähesprachlich: Gespräch unter Freunden graphisch und nähesprachlich: Email, Brief oder Notiz an einen Freund phonisch und distanzsprachlich: Rede vor einem Gremium Dennoch hält sich hartnäckig das Vorurteil langage parlé sei français familier

gleichzusetzen.75 Gesprochene Sprache besteht jedoch keinesfalls ausschließlich aus

umgangssprachlichen Elementen, auch wenn diese in ihr häufiger anzutreffen sind als in

der Schriftsprache. Lange Zeit galt français parlé als Synonym für minderwertiges

Französisch.76 Daraus lässt sich erklären, warum die Wissenschaft ihm zunächst wenig

Beachtung schenkte, wie Culioli 1983 in seinem Aufsatz Pourquoi le français parlé est-il si

peu étudié ? beklagt. Zu Beginn seiner wissenschaftlichen Forschungen wurde français

parlé allenfalls als Nebenaspekt bei Studien zum Begriff des Standards berücksichtigt.77

Mittlerweile habe sich die Lage vollständig gewandelt, wenn auch nicht unbedingt

gebessert, bemerkt Culioli weiter. Das Interesse der Linguistik an français parlé sei zwar

geweckt, es fehle aber noch immer an ernsthaften Studien.78 Nun sind seit der

Publikation des zitierten Aufsatzes gut 26 Jahre vergangen und auf dem

wissenschaftlichen Buchmarkt existiert eine Fülle an guten Werken über die gesprochene

Sprache. Im Rahmen dieser Zulassungsarbeit wird nicht versucht, diese vollständig

abzubilden, vielmehr soll aufgegriffen werden, was unter français parlé zu verstehen ist,

wodurch es sich auszeichnet und in welcher Form es auftritt, und der Fokus dann

verstärkt auf die Frage gerichtet werden, ob und inwiefern français parlé im heutigen

Fremdsprachenunterricht eine Rolle spielt.

75 Blanche-Benveniste 1983: 25. 76 „Le français parlé était du français mal tourné, qui tournait mal.“ Culioli 1983: 292. 77 Ebd.: 291. 78 Ebd.: 292.

Page 23: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

22

In unserem Kulturkreis werden schriftlich festgehaltene Texte traditionell höher bewertet

als mündlich überlieferte.79 Vieles, z.B. geschäftliche Zusagen, besitzt für uns erst volle

Gültigkeit, wenn wir es sprichwörtlich „schwarz auf weiß“ haben. Die Erfindung der Schrift

gilt uns als Grundvoraussetzung unserer Kultur im Allgemeinen und der Wissenschaft im

Besonderen. Daher erklärt sich die Tendenz auch im Schulalltag Schriftliches stärker zu

gewichten als Mündliches. Dies zeigt sich am deutlichsten in der Notengebung. Mündliche

Beiträge im Unterrichtsgespräch, die so genannten Mitarbeitsnoten, wurden zusammen

mit den �Abfragenoten’ und den Ergebnissen der Stegreifaufgaben zusammengefasst und

den schriftlich erzielten Noten der Schulaufgaben gegenübergestellt. Die Gesamtnote

errechnete sich im Verhältnis eins zu drei, wodurch die �schriftlichen Noten’ stärker

gewichtet wurden. Gerade für die kommunikative Ausrichtung des Sprachunterrichts

erscheint diese Konvention nachteilig und wurde daher überdacht. Die Aufwertung der

Mündlichkeit im Französischunterricht zeigt sich unter anderem daran, dass seit einiger

Zeit die Option, eine der Schulaufgaben in mündlicher Form abzuhalten, von immer mehr

Lehrkräften umgesetzt wird.

Tatsächlich handelt es sich beim so genannten �Schulfranzösisch’, das sich – wie der

Begriff schon erahnen lässt – der authentischen Sprache immer nur annähern kann, meist

um oralisierte Schriftsprache.80 Oft drücken sich Ausländer, die die Fremdsprache schon

gut beherrschen, sie jedoch bisher nicht im Land selbst gesprochen haben, viel gewählter

aus, als es ein Muttersprachler in dieser Situation tun würde. Das mag zum Teil an dem

Bemühen liegen, sich im Ausland höflich zu verhalten, aber auch daran, dass der

Sprachunterricht zum Großteil mit schriftlichen Materialien arbeitet und die so

erworbenen Sprachkenntnisse im Gespräch bisweilen hyperkorrekt wirken. Was nun aber

das français parlé kennzeichnet und welchen sprachlichen Besonderheiten man im

Gespräch mit Muttersprachlern begegnet, wird im folgenden Kapitel aufgezeigt.

79 „les textes importants sont des textes écrits, et, qui plus est, dans des langues de culture dont l’oralité a disparu; d’où le privilège accordé à la manipulation grammaticale, à la lecture et à la rédaction“. Culioli 1983: 294. 80„l’étude de la grammaire permet d’apprendre à écrire correctement (graphie; syntaxe), l’utilisation d’exemples écrits ne peut que renforcer l’apprentissage (analyse; dictée; rédaction). Le parlé ne sera alors que l’espace de liberté orale prévu par l’emploi du temps, ou sera de l’écrit oralisé (résumés appris par cœur; récitations).“ Ebd.: 295.

Page 24: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

23

2.5 Charakteristika des français familier und parlé

„Mit «français familier» wird ein qualitatives Register bezeichnet, das der Norm näher kommt als das français populaire. Es ist primär das Register der zwanglosen Unterhaltung in Familie, Beruf, Alltag, unter Bekannten und Nahestehenden, die sich des Französischen ohne Kontrolle, aber – im Gegensatz zu Sprechern des français populaire – auch ohne gravierende Distanz zum «guten» (= regelkonformen) Gebrauch bedienen. Man hat es überwiegend mit einem français parlé zu tun, das den sprachlichen Verkehr in einer Atmosphäre gewisser Vertraulichkeit und Nonchalance kennzeichnet, das daher nicht soziologisch gebunden ist, wenngleich es eher bei den oberen und den gebildeteren mittleren Schichten zu Hause ist, als bei den unteren.“81

Auch wenn français parlé nach dieser Definition nicht ganz dasselbe bedeutet wie

französische Umgangssprache, so sind doch die Überschneidungen ihrer spezifischen

Merkmale signifikant. Im Grunde genommen stellt das français parlé, wie bereits

erwähnt, keine Varietät, sondern „eine Modalität der Kommunikation“82 dar und ist

primär dadurch bestimmt, dass es gesprochen und nicht geschrieben ist. Unbestreitbar ist

jedoch, dass die gesprochene Sprache in den meisten Fällen Merkmale aufweist, die sich

auch für die Umgangssprache konstatieren lassen. Daher fragt Kiesler zu Recht „Français

parlé = französische Umgangssprache?“. Das Ergebnis seiner Arbeit liefert auf diese Frage

zwar eine Absage83, er räumt jedoch ein, dass sich die beiden Begriffe sehr nahe kommen.

Aus diesem Grunde darf ihm zufolge eine Liste der Merkmale des gesprochenen

Französisch, wie sie exemplarisch von Koch und Oesterreicher vorgestellt wurde, auch zur

Charakterisierung der Umgangssprache herangezogen werden. Seine Verwendung des

deutschen Begriffs Umgangssprache für die Untersuchung des Französischen muss

allerdings als problematisch angesehen werden, da sich zwangsläufig die Frage auftut,

welches Register (français familier, courant, populaire etc.) abdeckt, was im Deutschen

mit Umgangssprache gemeint ist. Kiesler ordnet Umgangssprache den „diaphasisch

bedingten Varietäten oder «Sprachstilen» bzw. Registern“84 zu. Umgangssprache ist also

situationsgebunden (diaphasisch) und nicht etwa schichtspezifisch (diastratisch) oder auf

eine Region beschränkt (diatopisch). Jeder Sprecher verfügt über eine Umgangssprache.

Es gibt daher nicht die eine Umgangssprache. Kiesler betont, „daß die Umgangssprache

81 Müller 1975: 204. 82 Kiesler 1995: 381. 83 „Zusammenfassend kann man die im Titel gestellte Frage eindeutig beantworten: das ‘gesprochene Französisch’ ist nicht die französische Umgangssprache.“ Ebd.: 400. 84 Ebd.: 381.

Page 25: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

24

gemeinsamer Besitz aller Mitglieder einer Sprachgemeinschaft“85 ist. Mit dieser kommt er

der Beschreibung des français familier sehr nahe. Hier liegt der Anknüpfungspunkt für

diese Arbeit, die Lehrwerke sowohl im Hinblick auf die Berücksichtigung von

gesprochenem Französisch (français parlé) als auch von français familier untersuchen will.

Eine strikte Trennung der beiden Termini erscheint im Hinblick auf den

Untersuchungsgegenstand weder möglich noch sinnvoll. Im Folgenden werden typische

grammatikalische und lexikalische Merkmale86 vorgestellt und mit Beispielen

veranschaulicht, die sowohl für français parlé als auch für français familier gelten.

In Anlehnung an Koch/Oesterreicher87 und Müller88 werden zunächst grammatische und

syntaktische, dann lexikalische und semantische Charakteristika sowie typische

Gesprächsphänomene wie Pausen behandelt und zuletzt auf Aspekte der Aussprache

Rücksicht genommen.

2.5.1 Grammatik

Untersucht man français parlé und français familier hinsichtlich ihrer Abweichungen vom

Standardfranzösischen, lässt sich generell feststellen, dass sich Neuerungen eher im

Lexikon ergeben denn in grammatischen Strukturen. Die Grammatik ist als System

beständiger und verhält sich starrer als die Lexik, was u.a. darauf zurückzuführen ist, dass

grammatische Formen, die vom Standard abweichen, schneller als Fehler gelten als

Variationen im Wortschatz.89 Diese werden ebenso wie Abwandlungen der Aussprache (s.

2.5.4) eher toleriert. Nichtsdestoweniger lassen sich eine Reihe von grammatischen

Besonderheiten für Umgangs- und gesprochene Sprache festhalten.

Auffällig ist die Reduzierung der Modi und Tempora, die nicht nur für das Französische,

sondern auch in anderen Sprachen zu beobachten ist. So fehlen passé simple und passé

antérieur nahezu komplett in der gesprochenen Sprache und an die Stelle des futur

simple tritt in den meisten Fällen das futur composé. Das Präsens fungiert als mündliches

85 Kiesler 1995: 359. 86 Ebd.: 375. 87 Koch/Oesterreicher 1990: 50-126 und 150- 165. 88 Müller 1975: 204-209. 89 „elle (la variation) est admise pour le lexique, tolérée dans le phonique (…) ; mais en grammaire, peu de divergence est acceptée, et si une forme n’est pas standard, elle est regardée comme une faute“. Gadet 2007: 114.

Page 26: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

25

Erzähltempus auch für Handlungen, die in der Vergangenheit liegen. Die Anwendung des

subjonctif wird stark eingeschränkt. Am häufigsten findet man ihn noch nach vouloir que,

seltener schon bei Verben und Ausdrücken des Gefühls, des Zweifels und der Negation (Je

veux qu’il vienne; aber: C’est embêtant qu’il est pas là; Je crois pas qu’il est là). Nach

Konjunktionen, die normalerweise den subjonctif erfordern (quoique, sans que, afin que),

wird stattdessen oft der indicatif gesetzt. Hinzu kommt, dass die Formen des subjonctif

imparfait vollständig eliminiert und durch den subjonctif présent, das conditionnel oder

das imparfait ersetzt werden.90 Erhalten hat sich der subjonctif (présent) vor allem noch

nach festen Wendungen wie il faut que, avant que.91 Auch im Deutschen besteht die

Tendenz den Indikativ dem Konjunktiv vorzuziehen, z.B. in der indirekten Rede. Dieses

schleichende Verschwinden des subjonctif ist keine völlig neue Erscheinung, sondern

wurde schon 1927 von Martinon beobachtet.92 Nicht nur der subjonctif ist auf dem

Rückzug. Blanche-Benveniste und Adam stellten bei der Untersuchung eines Textkorpus

mündlicher Äußerungen fest, dass ein Großteil der darin auftretenden Verben nur über

eine eingeschränkte Konjugation verfügt, also in der Praxis nicht mehr alle Formen

gebräuchlich sind.93

Bezüglich der Syntax sind eine Bevorzugung der Parataxe und die Unvollständigkeit von

Sätzen festzustellen. Intonations- und Est-ce que-Fragen sind häufiger anzutreffen als

Inversionsfragen.94 Weitere Merkmale sind die Nichtbeachtung des accord95 (Elle s’est

plaint. Elle s’y est mal pris. La boîte qu’il a ouvert. La lettre que j’ai écrit…). In dem

Bemühen um normkonformes Sprechen, kommt es mitunter zu Hyperkorrektismen, wie

Madame, je vous prends au sérieuse. Auch lassen sich Kongruenzschwächen beobachten,

wie z.B. tout le monde sont bien amusés96, oder die Verwendung von c’est… vor einem

Plural (C’est eux, statt ce sont eux…). Die mise en relief findet sich überhaupt recht häufig,

um „Spontaneität, Affekt, Emphase und Konturierung“97 auszudrücken:

90 Müller 1975: 201. 91 Kiesler 1995: 388. 92 „les formes d’imparfait et de plus-que-parfait du subjonctif…sont vraiment très rares dans la langue parlée actuelle, comme le notait déjà Martinon en 1927“. Blanche-Benveniste 1999: 88. 93 „pour une grande partie des verbes utilisés, la conjugaison est extrêmement réduite“. Ebd.: 88. 94 Müller 1975: 206. 95 Ebd.: 196. 96 Die Konjugation des Verbs richtet sich hier nicht nach den grammatischen Regeln (tout le monde = Singular), sondern nach dem Sinn (tout le monde = alle = mehrere Personen = Plural). 97 Müller 1975: 206.

Page 27: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

26

C’est moi qui ai fait ça. C’est de mon frère que je parle. C’est aujourd’hui qu’il est parti. C’est bien ça qu’il veut?

Die Auslassung des Verneinungspartikels ne in der Negation ist im ungezwungenen

Umgangston nahezu zum Normalfall geworden. Ne … pas wird zu pas verkürzt, ne…rien zu

rien, ne…jamais zu jamais. Hinzu kommt, dass in einem Satz oft nicht nur die Verneinung

verkürzt wird, sondern auch andere Satzelemente, wie z.B. Personalpronomen wegfallen

können. Hierzu einige Beispiele98:

Je vais pas au marché I(l) a rien dit Faut pas le dire Il vient jamais

Die Auslassung eines Personalpronomens tritt auch im Deutschen in Ausdrücken wie weiß

nich(t) vor. Ein Hinweis darauf kann den Schülern helfen, verkürzte Sätze wie connais pas,

chais pas (= je ne sais pas), chuis pas (= je ne suis pas) etc. besser zu verstehen und

eventuell sprachvergleichende Überlegungen anzustellen. Gleichwohl Personalpronomen

manchmal ausfallen, lässt sich auch die gegenteilige Tendenz beobachten, nämlich die

Verstärkung des Subjekts durch ein Personalmorphem99:

Moi je (ne) crois pas ton père il m’a dit les enfants ils sont partis cette chose-là elle (ne) me plaît pas ils ont raison, les gosses Jacqueline et moi on va se marier Nous on n’y peut rien

Dieses Wiederaufgreifen des Subjekts bzw. dessen Vorwegnahme fällt unter die

Segmentierungserscheinungen des français familier. Unterschieden werden dabei zwei

Modelle, nämlich die Verschiebung der Verbalgruppe nach links (le voisin, il est d’accord)

und die Verschiebung nach rechts (il est d’accord, le voisin).100 Die weitere Aufteilung in

Unterkategorien wie Segmentierung mit Substantiv, mit Pronomen etc. ist für die

Anwendbarkeit im Schulunterricht sicherlich zu detailliert. Es erscheint jedoch durchaus

angebracht, die Schüler auf diese Segmentierungserscheinungen und das mögliche

Auftreten einer Rhema-Thema-Abfolge hinzuweisen, wobei auf spezielle Terminologie

98 Müller 1975: 201. 99 Ebd.: 206. 100 Blasco-Dulbecco/Caddéo 2002: 41.

Page 28: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

27

verzichtet werden kann. Denkbar wären dazu Übungen in Form von Lückentexten, um zu

trainieren, welche Pronomen zu welchen Substantiven gehören:

__________, il est très vieux. Lui __________, je suis encore jeune. Moi

Viele Eigenheiten des français familier sind aus dem français populaire übernommen, wie

z.B. die Angabe eines Besitz- oder Zugehörigkeitsverhältnisses mit à anstelle von de (la

poupée à ma fille, les fils au boulanger, le chapeau à moi).101

2.5.2 Lexik und Semantik

Neben Unterschieden in der Aussprache und der Satzmelodie (auf die hier nicht weiter

eingegangen werden soll) weist vor allem die Wortwahl eine Äußerung als familier aus.102

Für viele Dinge, besonders für die des täglichen Lebens, gibt es im Französischen neben

den offiziellen Bezeichungen einen Parallelwortschatz. Als Beispiele seien nur einige

genannt:

voiture – bagnole agent – flic maison – baraqu livre – bouquin

Diese Doppelbezeichnungen103 kommen zu einem großen Teil aus dem Argot oder Verlan

und sind im Laufe der Zeit allmählich in den Sprachgebrauch breiterer

Bevölkerungsschichten eingedrungen. Mit ihrer zunehmenden Verbreitung ging eine

größere Akzeptanz einher.104 Teilweise sind sich die Sprecher gar nicht mehr bewusst,

dass es sich ursprünglich um Argot-Wörter handelte. Die Grenze zwischen français

argotique und français familier ist in diesem Bereich daher verschwommen.105 Müller fällt

in seiner Formulierung „Auch lexikalisch ist das français populaire von heute das

Französisch von morgen.“106 zwar etwas überspitzt aus, trifft aber im Kern die Sache.

101 Müller 1975: 196. 102 Gadet 2007: 119. 103 Teilweise erhält ein Gegenstand gleich eine ganze Reihe von synonymen Bezeichnungen, z.B. für voiture auch chiotte, tire, caisse, tacot, bagnole, auto… . Ebd.: 119. 104 „Die Aufwertung, die die unteren Register erfahren haben (…) betrifft im wesentlichen die Lexik.“ Müller 1975: 188. 105 Gadet 2007: 119. 106 Müller 1975: 204.

Page 29: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

28

Sprache befindet sich ständig im Wandel und der Lauf der Zeit hat gezeigt, dass Sprache

in den selteneren Fällen bewusst von oben, d.h. von Regierungen und Institutionen

geprägt wurde, sondern dass der Großteil der sprachlichen Veränderungen aus dem Volk

und dessen Umgangssprache kam – man denke nur an die Entwicklung der romanischen

Sprachen aus dem Vulgärlatein.107 Veränderungen im Lexikon sind nicht nur zahlenmäßig

häufiger als grammatische Veränderungen, erstere werden auch schneller in der

Gemeinschaft der Sprecher akzeptiert.

Der Wortschatz des Französischen Substandards füllt ganze Bände. Als Beispiel sei hier die

Publikation Richesses lexicales du français contemporain von Bernet/Rézeau kurz

vorgestellt. Sie ist im Prinzip ein Wörterbuch oder eine Phraseologie für

umgangssprachliche Ausdrücke und Wendungen. Der Eintrag zu einem Lemma gibt

zunächst eine kurze Bedeutungserklärung, dann wird jeweils ein Zitat aus der Literatur

(Nennung von Autor, Werk, Jahr, Seite) angeführt, in dem das entsprechende Wort

Verwendung findet, meist wird noch erwähnt, wann der Begriff zuerst belegt ist bzw.

wann er in Umlauf kam. Berücksichtigt werden nicht nur Worte, die nur im Substandard

vorkommen, sondern auch Wörter des Standardfranzösischen, die in der

Umgangssprache eine abweichende Bedeutung tragen. So bezeichnet das Wort citron im

Standard eine saure Südfrucht, ist im Substandard jedoch ein Synonym für cerveau,

intelligence, tête.108 Oft sind es nicht die Wörter an sich, die speziell umgangssprachlich

sind, sondern ihre Semantik, ihre Verwendung in einer bestimmten Bedeutung, die von

der Norm abweicht.

Ein Blick auf die Morphologie erscheint besonders lohnend, da sich eine ganze Reihe von

Wörtern, die in der Umgangssprache geläufig sind, durch bestimmte Wortbildungsmuster

erklären lassen. Generell gilt, dass das français parlé nach Kürze strebt. Eine der

wichtigsten Wortbildungsregeln ist daher die Apokope, bei der die letzte(n) Silbe(n) eines

Wortes gestrichen und nur der Wortstamm stehen gelassen wird, an den zum Teil wieder

ein Suffix oder einzelne Buchstaben angehängt werden. Hierzu einige Beispiele, die aus

Alltag der Franzosen nicht wegzudenken sind: un prof, les maths, bon aprèm, bon ap(p),

107 Diesen Vergleich zieht auch Müller: „Die Tendenz zum übertreibenden, bildhaften, handfesten, gesteigerten Ausdruck erinnert, ordnet man sie in den Rahmen der Geschichte des Französischen, an das Vulgärlatein. In der Tat verhalten sich français familier und français populaire – auch als primär nur gesprochene Register – zum heutigen Normfranzösisch wie das Vulgärlatein der nachchristlichen Ära zum damaligen schriftsprachlichen Latein.“ Müller 1975: 209. 108 Bernet/Rézeau 1995: 59.

Page 30: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

29

un ado, un gars, la fac. Im Deutschen gibt es ganz ähnliche Abkürzungen, die den

Muttersprachlern häufiger über die Lippen kommen als der Standardausdruck: Uni, Bib,

Ossi, Wessi, Demo. Noch häufiger als die soeben angeführten Beispiele trifft man auf ça

die Kurzform von cela oder die universal einsetzbaren „passe-partout-Wörter“109 truc und

machin.

Das Streben nach Kürze zeigt sich auch in zusammengezogenen Formen von

Personalpronomen und Verb, wobei hier der Bereich der Ausspracheregeln berührt wird,

auf den im nächsten Kapitel näher eingegangen wird. So wird je suis zu chui, je ne sais pas

zu chai pa. Neben Verkürzungen und Umbenennungen (z.B. bic für stylo bille, scotch für

film adhésif) lässt sich für français parlé und familier eine Vorliebe für übertreibende

Vokabeln (trop statt très, hyper-, super-), bildhafte oder expressiv-affektive Ausdrücke

(zut, mince) und Metaphern konstatieren.110 Diese erklärt sich durch die bereits

erwähnte Affektbetontheit der Umgangssprache.111 Einige Beispiele dazu:

Français familier: norme du français: Un temps atroce Un temps très mauvais C’est affolant C’est inquiétant, effrayant Un amour d’un chapeau Un très joli chapeau C’est criminel de jeter ce vin C’est déraisonnable… C’est un désastre C’est un malheur

Typisch ist des Weiteren die Doppelung der „Intensivadverbien“112 très und beaucoup (il

fait très très froid, il travaille beaucoup beaucoup) bzw. die Substitution von très durch

trop, die v.a. unter Jugendlichen gebräuchlich ist (C’est trop bien, C’est trop fort). Beim

Umgang mit umgangssprachlichen Elementen im Fremdsprachenunterricht sollte

beachtet werden, dass Nichtmuttersprachler oft nicht abschätzen können, wie stark

Kraftausdrücke wirken oder wie tabubelastet sie sind.113 Bei ihrer Verwendung ist daher

Vorsicht geboten.

109 Koch/Oesterreicher 1990: 104. 110 Müller 1975: 208. 111 „größere Lässigkeit und stärkere Affektbetontheit“ Lausberg 1982 zitiert nach Kiesler 1995: 384. 112 Müller 1975: 208. 113 Dretzke 2005: 50.

Page 31: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

30

2.5.3 Pragmatik

Ein charakteristisches Merkmal des français parlé ist außerdem das Auftreten von Pausen,

Versprechern und „Gesprächswörter(n)“114 oder régulateurs phatiques. Die Erforschung

von Gesprächspausen bildet einen eigenen Zweig der Linguistik, die Pausologie115.

Unterschieden werden erstens stille Pausen, die frei von jeglicher stimmlichen Äußerung,

ausgenommen Atmungsgeräuschen sind und zweitens durch kurze Morpheme gefüllte

Pausen.116 Als dritte Kategorie werden manchmal Zögerungszeichen wie das Dehnen von

Silben genannt.

Pausen haben mehrere Funktionen. Sie verlangsamen den Gesprächsverlauf und dienen

dazu, Zeit zu gewinnen (eh bien, eh ben, bon, alors, puis). Einige Gesprächswörter werden

bewusst gesetzt, um sich der Zustimmung oder der Aufmerksamkeit des Gegenübers bzw.

des Gesprächspartners zu versichern (non?, hm?, hein?, écoute, tu vois, vous voyez, tiens,

tenez). Daher werden sie auch Kontaktsignale genannt, da sie eine Verbindung zum

Gesprächspartner herzustellen suchen. Um im Gegenzug dem Gegenüber die eigene

Zustimmung anzudeuten, oder zu zeigen, dass man dem Gesagten folgt, wird oft oui,

ouais, hmhm, d’ac(cord) oder je vois eingestreut.117 Diese Kontaktsignale sind vor allem

auch in Telefonaten von Bedeutung, wo dies – anders als in einer face-to-face-Situation –

nicht über die Mimik und Gestik (Blicke, Lächeln, Kopfnicken, Stirnrunzeln, usw.)

signalisiert werden kann.118 Hinzu kommen Interjektionen, um Emotionen spontan

auszudrücken (ah, aie, oh là là, ouie, zut), Korrektursignale, um an die eigene Meinung

oder die des Gesprächpartners anzuknüpfen und das bereits Gesagte zu berichtigen, zu

erweitern oder abzuändern (enfin, bon, mais, en fait), sowie Abtönungspartikel (alors,

donc, quand même, vgl. im Deutschen fei, halt, ja, schon, wohl).

Typisch für die gesprochene Sprache sind auch Wortwiederholungen (les…les…voitures).

Da dies jedoch universal in allen Sprachen vorkommt, wird der Lerner automatisch auf

derartige Mittel zurückgreifen, um beim Sprechen Zeit zu gewinnen.

114 Koch/Oesterreicher 1990: 71. 115 Dretzke 2005: 49. 116 „La terminologie classique regroupe sous le terme de pauses les pauses silencieuses et les pauses remplies (en français l’item quasi-lexical euh), tandis qu’elle met dans une catégorie séparée les allongements d’hésitation.” Campione 2004: 185. 117 Chanet 2004: 84. 118 Ebd.: 84.

Page 32: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

31

Dretzke beleuchtet Phänomene des Sprechens aus didaktischer Perspektive. Seiner

Meinung nach sind Pausen und Versprecher normal und natürlich – sowohl beim

Muttersprachler als auch erst recht beim Nichtmuttersprachler. Pausen sollten dem

Lerner also zugestanden werden, sowohl indem der Lehrer sie setzt, als auch den Schüler

setzen lässt, das erste, um es ihm zu erleichtern, das Gehörte aufzunehmen, das zweite,

um ihm Zeit zu geben, gedanklich und sprachlich zu ordnen, was er sagen möchte. Gerade

bei mündlichen Prüfungen, so Dretzke, werde oft übersehen, dass sich geschriebene und

gesprochene Sprache unterscheiden und daher ein gewisses Maß an Pausen,

Versprechern, Wiederholungen und grammatischen Brüchen zugestanden werden muss.

Neben dem Aspekt des Zeitgewinnens und Zögerns haben Pausen weitere Funktionen: Sie

können – bewusst gesetzt – die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Wort, das vor oder

nach dieser Pause steht, richten.119

In Hinblick auf Sprache im Unterricht stellt Dretzke fest, dass „bei

Fremdsprachenlernenden gefüllte Pausen unterrepräsentiert sind“120. Er erwähnt auch,

dass es „unschön, fremd bzw. einfach falsch“121 klingt, deutsche Füllwörter in der

Fremdsprache einzusetzen. Daher stellt sich die Frage, wie dem Lerner passende

Füllwörter an die Hand gegeben werden können, um sich in der Fremdsprache frei und

natürlich auszudrücken. Er hört sie beim Lehrer, er hört sie in Hörverständnisübungen,

liest sie im Schulbuch, hört sie in Filmen, im Fernsehen, in Interviews. Natürlich muss

darauf geachtet werden, dass eine mündliche Äußerung nicht nur noch aus Füllwörtern

besteht.

2.5.4 Aussprache

Die bereits bei Syntax und Lexik angesprochene Tendenz des français familier und parlé

zur Kürze, macht sich auch hinsichtlich der Aussprache bemerkbar. So werden

Personalpronomen, v.a. unpersönliches il, häufig entweder ganz weggelassen, verkürzt

119 Dretzke 2005: 49. 120 Ebd.: 49. 121 Ebd.: 49.

Page 33: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

32

(il i) oder mit dem darauf folgenden Verb verschmolzen.122 Für diese „Prestoformen“123

seien hier einige Beispiele genannt:

tu sais tsais il n’y a pas de moyens iapamoyens je suis chui je ne le/la connais pas connais pas je ne comprends pas comprends pas

Des Weiteren werden im français familier weit weniger Liaisons eingehalten, als es die

Norm des Französischen vorgibt. So ist die lautliche Bindung nach trop sehr selten,

ebenso bei Formen der 2. Person Singular wie tu va(s) aller. Festzustellen ist außerdem,

das Ausfallen des e caduc.124 Kiesler vergleicht dazu im Deutschen die Abwandlung von

[�ha�b�n] über [�ha�bm] zu [�ha�m], oder von [�a�b�nt] zu [�a�(b)mt].125 Die Kurzform

ça kommt durch das Schwinden des [�] in cela zustande.126 Weitere Beispiele sind j(e)

vais, j(e) m(e) d(e)mand(e), m(on)sieur, p(eu)t-êt(re), j(e) t(e) l(e) rappell(e)rai.

3 Quel français enseigner?

3.1 Historischer Abriss der Fremdsprachendidaktik

Die Diskussion um Inhalte, Ziele und Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts ist so alt

wie er selbst. Daher zunächst ein schlaglichtartiger Rückblick über die didaktische

Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts:

Früher galt das Erlernen einer Sprache – egal ob Griechisch, Latein oder Französisch – als

Bestandteil einer umfassenden Bildung im Sinne des Humboldtschen Ideals.127

Sprachliches, historisches und literarisches Wissen hatten denselben Stellenwert und

wurden auf der Grundlage geschriebener Texte vermittelt. Die Vermittlung der

„modernen“ Fremdsprachen lehnte sich zunächst stark an den altsprachlichen Unterricht

der Fächer Latein und Griechisch an und übernahm von diesem die Grammatik-

122 Kiesler 1995: 388. 123 Ebd.: 389. 124 Müller 1975: 200. 125 Kiesler 1995: 387. 126 Ebd.: 387. 127 Meißner 1999: 157.

Page 34: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

33

Übersetzungs-Methode.128 Im Mittelpunkt stand dabei nicht die heute geforderte

Kommunikationskompetenz, sondern die Fähigkeit geschriebene Textdokumente lesen,

verstehen und interpretieren zu können. Bis ins 20. Jahrhundert lässt sich dieses

Ungleichgewicht zu Ungunsten des mündlichen Ausdrucks verfolgen. Im Laufe der Zeit

erwies sich diese Methode jedoch als unzureichend. Die Schüler sollten nicht nur im

Rezipieren und Übersetzen von Texten geschult werden, sondern auch eigenständig

sprachliche Äußerungen produzieren können, und zwar sowohl in schriftlicher, als auch in

mündlicher Form. Um diese Ziele besser zu erreichen führte Viëtor die so genannte

direkte Methode ein, die gesprochene Sprache im Vergleich zu früheren Lernkonzepten

wesentlich stärker betont.129 Damit setzte bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine

Tendenz ein, die sich im 20. Jahrhundert fort- und durchsetzen konnte.

Zahlreiche weitere didaktische Ansätze folgten, es würde jedoch zu weit führen sie im

Rahmen dieser Arbeit alle aufzuzählen. Daher seien nur einige herausgegriffen, ohne den

Wert der anderen Konzepte und Methoden schmälern zu wollen.

Eine große Neuerung stellte der Einsatz audiolingualer und später audiovisueller Medien

dar, der ab den 40er Jahren in Amerika und ab den 50er Jahren in Europa in Mode kam

und die Vermittlung authentischer Spracheindrücke wesentlich erleichterte.130 Aus den

neuen technischen Möglichkeiten ging in den 1970er Jahren das Sprachlabor hervor, das

die äußeren Rahmenbedingungen für den Pattern-Drill bereitstellte, der die Anwendung

grammatischer Strukturen erleichtern bzw. sprichwörtlich „einschleifen“ wollte, sich

dabei auf Erkenntnisse der Lernpsychologie stützt und die Automatisierung bestimmter

Sprachmuster zum Ziel hat. Schließlich erwies sich auch diese Methode als zu einseitig, da

der Schüler darauf konditioniert wird, bei bestimmten Signalwörtern die entsprechende

Zeit oder den richtigen Modus zu wählen, jedoch nicht dazu angeregt wird, sich

selbstständig zu äußern. Das kreative Potential der Schüler wurde damit nicht genutzt.

Mit der Kommunikativen Wende in den 1970er Jahren erfolgte eine Neuausrichtung auf

die anwendungsbezogene Sprechfertigkeit. Diese darf bis heute als eines der wichtigsten,

wenn nicht als das wichtigste Ziel des Fremdsprachenunterrichts überhaupt angesehen

werden.

128 Michel 2006: 75. 129 Ebd.: 75. 130 Ebd.: 100f.

Page 35: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

34

3.2 Fachprofil Französisch heute

Ein Blick in das Fachprofil131 Französisch verdeutlicht dies: Um die „Bedeutung des Fachs“

herauszustellen, wird als erster Punkt „die Kommunikation mit unserem Partnerland

Frankreich (…), unseren anderen französischsprachigen Nachbarn und der Frankophonie

in ihrer kulturellen Vielfalt“ genannt. Anschließend wird darauf verwiesen, dass

Französischkenntnisse das Erlernen anderer, vornehmlich romanischer Sprachen,

erheblich erleichtert. Erst als dritter Beweggrund für die Beschäftigung mit der

französischen Sprache wird die Auseinandersetzung mit dem reichen kulturellen Erbe

Europas angeführt, das von der französischen Kultur in Literatur, Philosophie,

Wissenschaft und Kunst maßgeblich mit beeinflusst und geprägt wurde. Lebendiger

Französischunterricht zeichnet sich dadurch aus, dass er sich nicht damit begnügt, an die

Errungenschaften der Vergangenheit zu erinnern, sondern auch aktuelle Entwicklungen

beleuchtet. Daher wird im Fachprofil Französisch auch die Auseinandersetzung mit

„Problemen gesellschaftlicher Randgruppen“ festgehalten - wobei man unweigerlich an

die Aufstände in den banlieues französischer Großstädte erinnert wird. Die Beschäftigung

mit der Sprache der Jugendlichen, die in diesen Vorstädten aufwachsen, kann dazu

beitragen, ihre schwierige Lebenssituation zu erhellen, da ihre Sorgen, Zweifel und Ängste

darin zum Ausdruck kommen.

Unter dem Stichwort „Ziele und Inhalte“ findet sich im Fachprofil eine explizite

Stellungnahme zur Relevanz unterschiedlicher Register im Fremdsprachenunterricht:

„Die von den Schülern produktiv zu erlernende sprachliche Ausgangsnorm ist das français standard. Zudem üben sie sich im Verstehen wichtiger sozialer und regionaler Varianten des Französischen.“

Die Einbeziehung von sprachlichen Registern, die vom Standard abweichen, wie z.B.

français familier und français parlé, erscheint auch für den Vergleich von „Gewohnheiten

im Bereich von Familie und Alltagsleben“ sinnvoll. Bei der Beschäftigung mit diesem

Aspekt soll explizit auch auf die „Pflege und Wertschätzung der eigenen Sprache“

(gemeint ist hier die französische Sprache) eingegangen werden. Hierbei bietet es sich an,

sich bewusst zu machen, dass es nicht nur das eine Französisch gibt, sondern mehrere

131 Die direkten Zitate in Abschnitt 3.2 sind alle dem Fachprofil entnommen: http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26370.

Page 36: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

35

Ausprägungen dieser Sprache. Bei dem Verweis auf unterschiedliche Varietäten wird ein

umsichtiger Lehrer darauf achten, dass den Schülern die Fremdsprache nicht noch

komplexer, schwieriger, ja unüberschaubar erscheinen wird. Um dem vorzubeugen, sollte

der Schüler nicht sofort mit der gesamten Bandbreite der sprachlichen Varietäten und

Register konfrontiert werden – die Auswahl der Lehrinhalte ist auch hier entscheidend.

Allerdings ist z.B. die Einführung einiger umgangssprachlicher Wörter, die eine hohe

Alltagsrelevanz aufweisen, denkbar und durchaus lohnend, vor allem zur Vorbereitung

auf die ebenfalls im Fachprofil angemerkten „Begegnungen mit Jugendlichen aus dem

Nachbarland“.

3.3 Lehrpläne

Eine der aufschlussreichsten Quellen, um mehr über die Ausrichtung und Gestaltung des

Unterrichts zu erfahren, sind die Lehrpläne132, in denen die in den einzelnen

Jahrgangsstufen zu behandelnden Themen festgeschrieben sind. Auch über die Relevanz

der verschiedenen Register finden sich hier einige Bemerkungen. Als Grundlage wird

immer wieder das français standard genannt. Für die 8. Jahrgangsstufe133 wird angestrebt

„bei Hör- und Hör-/Sehmaterial: einfache Texte im français standard aus vertrauten und

jugendrelevanten Themenbereichen (zu) verstehen“134. Die Schüler sollen allerdings auch

„einige spontansprachliche Redemittel und haufig gebrauchte Strukturen des français

parlé“135 kennen lernen. Unter dem Stichwort Sprachreflexion heißt es, die Schüler sollen

„weitere wichtige Unterschiede zwischen gesprochenem und geschriebenem Franzosisch

erkennen“136. Damit ist français parlé als Unterrichtsgegenstand eindeutig festgehalten,

ebenso die Beschäftigung mit „jugendspezifische(n) Medien, Jugendkultur und

Jugendsprache“137.

132 Entsprechend der Fokussierung des Analyseteils dieser Arbeit (Kapitel 4) auf Lehrwerke für Französisch als 2. Fremdsprache, werden für diesen Abschnitt ebenfalls die Lehrpläne für Französisch als 2. Fremdsprache zitiert. 133 Für die Jahrgangsstufe 6 sind im Lehrplan noch keine expliziten Hinweise auf français familier und parlé zu finden. 134 Lehrplan Jahrgangsstufe 8 (Französisch als Fs2) http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26499. 135 Ebd. 136 Ebd. 137 Ebd.

Page 37: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

36

Die schon in den Anfangsjahren begonnene Auseinandersetzung mit français familier und

parlé, sowie weiteren Varietäten und Registern, wird in der Oberstufe fortgeführt und

vertieft. Im Lehrplan der Jahrgangsstufe 11/12 werden im Bereich Sprachreflexion

folgende Fähigkeiten angestrebt:

• „adressaten- und situationsbedingte Unterschiede im Sprachgebrauch kennen“ 138

• „neuere Entwicklungen des Französischen kennen wie Neologismen, regionale Sprachentwicklungen, Jugendsprache“139

• „grammatische Strukturen und Lexik bestimmten Sprachniveaus bzw. Verwendungssituationen zuordnen“140

Richtschnur ist und bleibt die „Norm des français standard“141 , jedoch wird Wert darauf

gelegt, Französisch sowohl in seiner schriftlichen, als auch in seiner mündlichen Form zu

behandeln:

„Die Sprachreflexion macht den Schülern Erscheinungsformen und Gesetzmäßigkeiten bewusst, die zur Attraktivität und Lebendigkeit des gesprochenen und des geschriebenen Französisch beitragen.“142

Bezüglich der Hörverstehensübungen und der mündlichen Sprachproduktion finden sich

folgende Leitlinien:

„Die Schüler trainieren das Verstehen authentischer, nicht allein standardsprachiger Hör- und Hör-/Sehtexte unter zunehmend realitätsnahen Bedingungen. Ihre mündliche Ausdrucksfähigkeit zeichnet sich in wachsendem Maße durch idiomatischen, flüssigen und situationsangemessenen Sprachgebrauch aus.“143

Ein sogenannter situationsangemessener Sprachgebrauch setzt allerdings die bewusste

Kenntnis unterschiedlicher diaphasischer Varietäten voraus. Wenn in obigem Zitat betont

wird, dass die Schüler nicht nur mit standardsprachlichen Hörtexten in Berührung

kommen sollen, so werden dadurch u.a. auch Dialekte und Jugendsprache mit

eingeschlossen.

138 Lehrplan Jahrgangsstufe 11/12 (Französisch als Fs1, Fs2, Fs3) http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26499. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Ebd. 142 Ebd. 143 Ebd.

Page 38: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

37

3.4 Resümee der fachwissenschaftlichen Diskussion

Das wachsende Interesse der Sprachwissenschaft am Substandard mündete ab 1968 in

die allmähliche Demokratisierung144 der Wörterbücher in Frankreich – Lexikographen

begannen nun auch umgangssprachliche Lexeme aufzunehmen. Für die fachdidaktische

Diskussion zur Frage, welches Französisch, das heißt welche(s) Register man unterrichten

solle, war dies ein signalgebender Schritt. Denn die Erstellung von Lehrwerken und

anderen Unterrichtsmaterialien, orientiert sich zwangsläufig immer am Inventar der

großen Wörterbücher. Im Folgenden wird die Debatte, die hauptsächlich in

sprachdidaktischen Zeitschriften geführt wurde, näher dargestellt und zusammengefasst.

Hauptaugenmerk liegt dabei auf folgenden Punkten:

• Authentizität als Anspruch

• Norm und Fehlersanktionierung

• Relevanz diatopischer, diastratischer und diaphasischer Varietäten

• Einbezug substandardsprachlicher/umgangssprachlicher Register

• Differenzierung produktiver und rezeptiver Fähigkeiten

• Verhältnis von mündlicher und schriftlicher Spracharbeit

• Kommunikationskompetenz als Zielsetzung des Unterrichts

3.4.1 Relevanz der Registervielfalt im Sprachunterricht

Die Frage danach, welchen Platz unterschiedliche Register des Französischen im

Fremdsprachenunterricht einnehmen, beantwortet Meißner mit folgender Einschätzung:

Der „Wunsch nach Lehrbarkeit der Zielsprache Französisch führt über die unumgängliche Diskriminierung sprachlicher Varietäten – Dialekte, Soziolekte, Idiolekte, markierte Stile – zur Erstellung eines pädagogisch-linguistischen Konstrukts, das in der sprachlichen Realität der Frankophonie keine Entsprechung besitzt und dessen Vorteil in der Übersichtlichkeit seiner einzelnen Elemente besteht“145.

Der Terminus Zielsprache kommt aus der Übersetzungstheorie. Die Didaktik versteht

darunter in der Regel eine bestimmte Fremdsprache. Abel verwendet den Begriff etwas 144 Meißner 1999: 158. 145 Meißner 1995: 4.

Page 39: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

38

anders und bezeichnet mit ihm „ein durch die Unterrichtsplanung geschaffenes

linguistisch-didaktisches Konstrukt“146. Damit drückt er aus, dass die Sprache im

Unterricht nie ganz der authentischen Sprache im Land selbst entspricht.

Früher orientierte sich der sogenannte bon usage am Sprachgebrauch des Hofes. Die

Werke der auteurs classiques waren normgebend. Heute gestaltet sich die sprachliche

Vielfalt des Französischen weit komplexer, denn „Französisch ,gehört’ nicht einer elitären,

topographisch oder soziologisch charakterisierbaren Gruppe“ 147. Es ist auch nicht auf

Frankreich allein beschränkt, sondern weltweit verbreitet. Es wird auf mehreren

Kontinenten gesprochen und ist in ganz unterschiedliche Kulturen eingegangen. Im

Gesamtgebiet der Frankophonie hat Französisch zahlreiche Aufgaben und durchaus

unterschiedliche Bedeutung, je nachdem, ob es als Mutter-, Schul- oder Amtssprache

etabliert ist. Es gibt demnach keine eindeutige Referenzgruppe (mehr), die den Standard

des Französischen eindeutig festlegen würde.

Meißner begnügt sich nicht damit, die Vielfalt des Französischen bloß festzustellen, er

leitet daraus die Forderung und den Anspruch ab, der Französischunterricht müsse sich

„mit frankophonen Sprachvarietäten auseinandersetzen“148. Er sieht die „didaktische

Relevanz der Umgangssprache und der in ihr lebenden Varietäten“149 schon durch den

Wunsch der Lerner begründet, „Frankophone verstehen und mit ihnen kommunizieren zu

können“150. Verstärkt wird die Bedeutung der Umgangssprache durch die Tatsache, dass

sie in den frankophonen Massenmedien, die mittlerweile weltweit und jederzeit abrufbar

sind, einen nicht geringen Anteil ausmacht. Bei intensiver Nutzung der

französischsprachigen medialen Angebote gleicht sich, so Meißner, das gesteuerte

Fremdsprachenlernen dem ungesteuerten Spracherwerb an, was er als durchaus positiv

wertet.151 Er schreibt der Sprache der Medien ein „hohes Maß an kommunikativer

Effizienz, an Verständlichkeit und Attraktivität“152 zu, da sich die Sprache der Medien an

ihrem Publikum orientiert und sich ständig aktualisiert.

Meißner geht in seinem Aufsatz Sprachliche Varietäten im Französischunterricht zunächst

auf die Rolle der Dialekte, dann der diastratischen und diaphasischen Varietäten ein,

146 Abel 1981: 7. 147 Meißner 1995: 4. 148 Ebd.: 4. 149 Ebd.: 5. 150 Ebd.: 5. 151 Ebd.: 5. 152 Ebd.: 5.

Page 40: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

39

wobei er zu Ersteren bemerkt: „Es versteht sich von selbst, dass jede Öffnung des

Unterrichts für zielsprachliche Dialektformen allein die rezeptiven Fertigkeiten betrifft,

vor allem das hörende Verstehen.“153

Auch Krämer154 und Abel155 schlagen für den Sprachunterricht eine Differenzierung von

passiver und aktiver Kompetenz vor. Bestimmte Register sollen also aktiv vom Schüler

produziert werden können, für andere Register genügt eine passive Beherrschung.

Krämer bewertet es als unnütz und gar gefährlich, Schüler und Studenten, die nicht

vorhaben, länger im Ausland zu leben, an eine aktive Beherrschung bestimmter Register

heranzuführen.156 Sie betont jedoch, dass es, um sich als Ausländer in Frankreich

inmitten der zahlreichen Register zurechtzufinden, unerlässlich ist, diese zunächst zu

kennen und sich auf sie einstellen zu können.157 Die Beschäftigung mit authentischen

Sprachmaterialien wie Filmen, Interviews, Chansons, bietet sich an, um über das

Hörverstehen zu einem Bewusstsein für die phonetischen, lexikalischen und syntaktischen

Unterschiede zwischen langue soignée und Alltagssprache zu gelangen.158 Zwar sieht

auch Krämer in einem Auslandsaufenthalt den besten Weg, um sich mit der

Umgangssprache vertraut zu machen, betont jedoch, dass der Spracherwerb noch

fruchtbarer ist, wenn der Lerner bereits vor seinem Auslandsaufenthalt theoretisch über

die Existenz verschiedener Register und deren zum Teil negativ konnotierten Anwendung

Bescheid weiß.159 In ihren Augen ist es wesentlich besser, ein Nichtmuttersprachler

verfügt über ein wenig markiertes Französisch, als dass er verschiedene Register

situationsunangemessen anwendet.160

Thiele-Knobloch gibt sich nicht damit zufrieden, Studenten nur rezeptiv im français

familier zu schulen und spricht sich dagegen aus, umgangssprachliche Formulierungen zu

verbieten.161

153 Meißner 1995: 5. 154 Krämer 1996: 166. 155 Abel 1981: 11. 156 „Il me semble inutile et même dangereux pour les élèves et étudiants non destinés à séjourner en France, de leur demander une compétence active de ces phénomènes.“ Krämer 1996: 166. 157 Ebd.: 166. 158 Ebd.: 166. 159 Ebd.: 166. 160 „Il vaut cent fois mieux qu’un jeune parle un français pauvre en marques diaphasiques et diastratiques plutôt qu’il ne les reproduise à tort et à travers.“ Ebd.: 166. 161 Thiele-Knobloch 1981: 160f und 166.

Page 41: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

40

3.4.2 Die Norm als Maßstab zur Sanktionierung von Fehlern

In seiner Monographie Normenaspekte im Fremdsprachenunterricht betont Königs, dass

ein Lerner nie den Kompetenzgrad eines Muttersprachlers erreichen wird und deshalb

auch nie dessen Bewusstsein für die Norm entwickeln kann.162 Der Fremdsprachenlehrer

ist daher bei der Beurteilung sprachlicher Richtigkeit von Schüleräußerungen auf die

Normsetzungen der Grammatiken angewiesen oder erhebt „seinen eigenen

Sprachgebrauch zur Norm im Fremdsprachenunterricht“163. Zwar hat die Orientierung an

der Norm zweifellos ihre Berechtigung, jedoch wird ein Unterricht, der sich allzu sehr an

die strikte Einhaltung normativer Grammatikregeln klammert, „den Lerner in der Ansicht

bestärken, sich nur bei vorhersehbarer Fehlerlosigkeit fremdsprachlich zu äußern; dies

wird ihm bei grammatisch bestimmten Übungstypen vergleichsweise leichter fallen als in

kommunikativ angelegten Übungen oder gar Rollenspielen. Spontane Äußerungen wird er

dort eher unterdrücken“164, was der angestrebten Kommunikationskompetenz eindeutig

zuwider läuft. Daher spricht sich Königs für einen „Unterricht als einen Ort möglichst

sanktionsfreier fremdsprachlicher Kommunikation“165 aus und plädiert „für einen am

lernenden Individuum orientierten Unterricht, in dem es nicht mehr um bloße

Beurteilung nach �richtig� oder �falsch� geht.“166

Dieser Forderung schließen sich auch andere Autoren an. Abel beklagt, dass „Lernphasen

mit einem verständlichen, aber systematisch inkorrekten Sprachgebrauch, wie wir sie aus

der Erlernung der Muttersprache kennen, (…) im Lehrgang nicht vorgesehen“167 sind.

Gesprochene und geschriebene Sprache eignet man sich nicht im selben Alter und nicht

mit denselben Mitteln an.168 Unsere Muttersprache ist die Sprache, die wir am besten

beherrschen und die am tiefsten in uns verankert ist. Ihr Erwerb verläuft in den ersten

162 Dass auch Muttersprachler nicht mit einem ausgeprägten Normenbewusstsein zur Welt kommen, sondern dieses im Laufe der sprachlichen Entwicklung erst erwerben, wird durch folgenden Ausschnitt aus einem Schulbuch (Déc. 2/2006: 121) veranschaulicht, wo ein kleines Kind (Manon) von seiner Mutter (Mme Carbonne) in seinem Sprachgebrauch korrigiert wird:

- Manon: Mais pourquoi qu’il traverse les Pyrénées? - Mme Carbonne : Comme tu parles mal, Manon! On dit: Pourquoi traverse-t-il les Pyrénées?

163 Königs 1983: 12. 164 Ebd.: 13. 165 Ebd.: 13. 166 Ebd.: 12. 167 Abel 1981: 9. 168 „La langue écrite n’est pas acquise au même âge ni avec les mêmes moyens que la langue orale. Après tout, on ne connaît pas de parents qui aient d’abord exigé de leurs enfants qu’ils parlent avec une prononciation et une syntaxe parfaites. Pour l’écrit, ce n’est pas pareil.“ François 1983: 18.

Page 42: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

41

Lebensjahren ausschließlich über mündliche Kommunikation, zu der erst wesentlich

später das Schreiben hinzukommt. Welche Eltern werden von ihren Kindern sofort

fehlerfreie Aussprache und Grammatik erwarten? Natürlich werden sie ihre Kinder von

Zeit zu Zeit auf Fehler hinweisen, gerade wenn sie bemerken, dass immer derselbe Fehler

gemacht wird. Für den Lernprozess wäre es jedoch hemmend und demotivierend, würde

das Kind bei jeder Ungenauigkeit ermahnt werden. In der Schule, wo stets versucht wird,

die Schüler zur Mitarbeit anzuregen, und im Sprachunterricht das Gleichgewicht zwischen

flüssigem und fehlerfreiem Sprechen angestrebt wird, muss der Lehrer ein Gespür dafür

entwickeln, wie stark, das heißt wie häufig er den Einzelnen auf sprachliche Mängel

hinweisen darf, ohne zu riskieren, ihn in seinem Sprechen aus Angst vor Fehlern zu

hemmen.

Eine sehr viel strengere, geradezu entgegen gesetzte Position vertritt Tinnefeld, der selbst

sehr geläufige und breit akzeptierte Wörter wie télé und ciné als Fehler in der

Schriftsprache wertet.169 Er plädiert für eine strikte Trennung von geschriebener und

gesprochener Sprache, wobei er beklagt, dass diese Unterscheidung von den Lernern

meist nur sehr nachlässig bis mangelhaft berücksichtigt wird, worin er eine Fehlerquelle

für den schriftlichen Gebrauch der Fremdsprache sieht. Der höhere Stellenwert, den

Tinnefeld der Schriftsprache zuschreibt kommt in seiner Einschätzung zum Ausdruck,

schriftliche Mitteilungen werden zukünftig durch die neuen Kommunikationstechniken

stark zunehmen.170 Zwar hat sich diese Hypothese bestätigt – tatsächlich werden heute

viele Informationen über Fax, Email, SMS verbreitet – jedoch trat damit nicht die von

Tinnefeld ebenfalls erwartete Rückkehr zur Schriftsprache ein. De facto präsentieren sich

gerade Email und SMS oft als medial schriftliche Realisierungen konzeptionell mündlicher

Nachrichten.171

Fest steht, dass in der Schule klar sein muss, was als Fehler gilt und was nicht. Wenn die

Schüler umgangssprachliche Begriffe lernen, sollen sie diese auch verwenden dürfen. Im

Lehrplan und im Fachprofil wird die eigenständige Beschäftigung mit der Sprache, auch

über den Schulunterricht hinaus befürwortet. Wenn der Schüler im Zuge einer solchen

freien, ungeleiteten Beschäftigung mit der Sprache unweigerlich auch auf français

familier oder populaire stößt, und das Aufgenommene im Unterricht verwendet, kann es

169 Tinnefeld 1999: 96. 170 Ebd.: 126. 171 Zur Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sei auf Kapitel 2.4 verwiesen.

Page 43: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

42

ihm passieren, dass er vom Lehrer korrigiert und auf die Norm hingewiesen wird.172 Dem

Schüler wird damit das Gefühl vermittelt, es sei wenig sinnvoll bzw. sogar

kontraproduktiv, sich eigenständig außerhalb der Schule mit der französischen Sprache zu

beschäftigen, sei es in Form von Musik, Zeitschriften, Filmen etc. oder durch persönlichen

Kontakt mit Muttersprachlern. Im schlimmsten Fall gilt dann: „Die psychologische

Konsequenz eines Ausschlusses der Umgangssprache ist vielmehr die Demotivation.“173

Eschmann fordert, dass im Schulunterricht auch Äußerungen anerkannt werden müssen,

die zwar nicht gelehrt wurden, aber trotzdem richtig sind. Dabei soll der Schüler auf die

Üblichkeit oder Angemessenheit der Formulierung hingewiesen werden, um ihm zu

ermöglichen, seinen Sprachgebrauch richtig einzuschätzen, jedoch ohne ihm dabei das

Gefühl zu vermitteln, einen Fehler gemacht zu haben.174 Auch Thiele-Knobloch betont die

motivierende, anregende Wirkung, die die Einbeziehung von familiären Registern in den

Sprachunterricht bietet.175

3.4.3 Varietäten im deutschen und französischen Schulunterricht

Woran kann sich der Fremdsprachenunterricht orientieren? Am Französischunterricht in

Frankreich, wie Abel176 empfiehlt? Das liegt nahe, Eschmann gibt jedoch zu bedenken,

dass der Vergleich hinkt. Zwar verfolgen der Französischunterricht in Frankreich und in

Deutschland beide das Ziel, die Schüler zu befähigen sich gut und angemessen

auszudrücken, doch die Ausgangslage der muttersprachlichen Schüler ist eine ganz

andere als die der deutschen Sprachlerner. Französische Schüler sind mit der

Umgangssprache bereits vertraut, flüssiges Sprechen stellt für sie kein Problem dar, sie

haben es längst vor Eintritt in die Schule erlernt. Die Herausforderung für sie besteht

darin, sich einen schriftsprachlichen Stil anzueignen, der in Wortschatz, Stilistik und

Grammatik der Norm entspricht. Daher erscheint es nur folgerichtig, wenn im

muttersprachlichen Unterricht Umgangssprache kein Unterrichtsgegenstand ist und

172 Eschmann 1993: 223. 173 Ebd.: 223. 174 Ebd.: 224. 175 Thiele-Knobloch 1981: 166. 176 Abel 1981: 11.

Page 44: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

43

vermieden wird.177 Anders verhält es sich bei den deutschen Schülern, die der

französischen Sprache erst im Schulunterricht, also einer recht künstlichen Situation,

begegnen. Um ihnen ein möglichst authentisches und umfassendes Bild der

Fremdsprache nahe zu bringen, ist es gerechtfertigt, auch Wörter, Wendungen und

Strukturen ins Lehrwerk aufzunehmen, die sich in französischen Schulbüchern nicht

finden würden, weil sie als umgangssprachlich und damit für den Schreibstil der Schüler

als wenig nutzbringend oder schädlich deklariert werden.178 Eschmann berichtet über die

Verwunderung französischer Lehrer angesichts der Sprache in deutschen

Französischlehrbüchern. Dieses Erstaunen bzw. diese sprachliche Divergenz zwischen

deutschen und französischen Lehrwerken erklärt sich für ihn ganz natürlich durch die

unterschiedlichen Voraussetzungen, die deutsche und französische Schüler hinsichtlich

des Französischen in die Schule mitbringen.179

Laut Eschmann wird in der Schule (in Frankreich) häufig ein künstliches Schulfranzösisch

gesprochen, das sich mit der Sprache, die außerhalb der Schule gesprochen wird, nicht

deckt.180 Außerhalb der Schule bedienen sich Lehrer wie Schüler der Umgangssprache, die

mittlerweile auch in den Medien immer präsenter ist und selbst von Politikern und

anderen in der Öffentlichkeit stehenden Personen zunehmend verwendet wird.181 Wenn

also Muttersprachler ganz selbstverständlich über mehrere Register verfügen, die sie

situationsspezifisch einsetzen, stellt sich die Frage, ob ein Lerner ebenfalls anstreben

sollte, mehrere Register zu beherrschen, oder sich nicht vielmehr damit zufrieden geben

sollte, dem Schüler ein einziges Sprachniveau zu vermitteln, um keine Verwirrung oder

Überforderung zu stiften. Zusätzlich ist dann zu entscheiden, welches Register für den

177„Der französische Schüler hat in seiner Muttersprache den Hintergrund der spontanen familiären Umgangssprache, die er schon kann. Sie ist nach den Regeln der normativen Grammatik und der Stilistik oft fehlerhaft und ungenau. Der französische Lehrer muß „gegensteuern“, er muß die Elemente der bewußten Sprache betonen, die für seine Ziele wesentlich sind. Spontanes Sprechen ist für seine Ziele unwesentlich, denn das kann der Schüler schon, dieser Teil der Sprache wird also nicht gelehrt.“ Eschmann 1993: 220. 178 Meißner sieht eine Erklärung für die lange Zeit vorherrschende Nichtbeachtung umgangssprachlicher Register wie des français populaire, darin, dass diese früher als „une sorte de langage bas et vilain“ (Meißner 1999: 157.) angesehen waren und sich damit von vornherein für den Schulunterricht disqualifiziert hatten. Den Streit zwischen Verteidigern der schriftsprachlichen Norm und liberaleren Tendenzen, die der gesprochenen Sprache mehr Einfluss einräumen wollten, interpretiert er als eine Art Klassenkampf zwischen bourgeoisie und peuple. 179 Eschmann 1993: 220. 180 Ebd.: 220. 181 Ebd.: 221.

Page 45: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

44

Unterricht verbindlich auszuwählen wäre.182 Am ehesten dürfte die Wahl auf das français

standard oder soigné fallen. Kenemer fordert, zuerst solle die Standardsprache erlernt

werden, da diese als „a ‘middle of the road’ language style“183 sicherlich in einer weitaus

größeren Zahl von Situationen als angemessen und akzeptiert gelte als stark markierte

Stile, ganz gleich ob diese in Richtung français soutenu oder français populaire von der

mittleren Stilebene abweichen. Abel schlägt eine „sprechbare Schriftsprache“184 als

Mittelweg vor, die sich aus Elementen konstituiert, die sowohl für den mündlichen als

auch den schriftlichen Gebrauch eignen. Dazu gibt er ein Beispiel aus dem Deutschen an:

nur gesprochen: er kriegt Besuch nur geschrieben: er empfängt Besuch gesprochen und geschrieben: er bekommt Besuch

Seiner Meinung nach ist die Spaltung zwischen gesprochenem und geschriebenem

Französisch nicht so extrem wie sie oft dargestellt wird.

Eschmann vertritt die Ansicht, eine Reduzierung und allzu starke Fokussierung auf ein

einziges Register stehe im Widerspruch zur im Lehrplan geforderten umfassenden

Kommunikationsfähigkeit.185 Um diese zu erreichen, bietet sich die Beschäftigung mit

authentischen Materialien an. Diese „verbieten aber die Festlegung auf irgendeine

besondere Varietät des Französischen, aus dem einfachen Grund, weil nicht mehr

vorausgesagt werden kann, mit welchem Französisch der Lernende konfrontiert wird.“186

182 „Der Glaube an ein einheitliches Französisch ist ein Irrglaube, er entspricht weitgehend nicht den Tatsachen. Jeder Lerner wird auf viele Varianten des Französischen treffen, die ihn zunächst einmal verwirren, und auf die er vorbereitet sein sollte.“ Eschmann 1993: 223. 183 Kenemer 1982: 44. 184 „Die empfohlene Entscheidung für die sprechbare Schriftsprache dient zudem einer größeren stilistischen Authentizität des Fremdsprachengebrauchs. Die Verwendung einer fremden Sprache ist, wie der Gebrauch der geschriebenen Sprache, meist durch ein relativ hohes Maß an Reflektiertheit gekennzeichnet. Zu den typischen Bedingungen des Fremdsprachengebrauchs hat die sprechbare Schriftsprache deshalb eine größere stilistische Affinität als etwa die sog. ungezwungene Umgangssprache.“ Abel 1981: 13. 185 Eschmann 1993: 222. 186 Ebd.: 222.

Page 46: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

45

3.4.4 Varietäten an der Hochschule

Auch Bufe/Dethloff bemängeln angesichts der Vielfalt des Französischen, dass am

Gymnasium dem Prinzip der Einsprachigkeit zu strikt gefolgt wird, woraus resultiert, dass

„nur eine Form, der code écrit, als die alleingültige ausgewählt und zur didaktischen Norm erhoben (wird). Die besonders für das Französische relevante Dichotomie „oral – écrit“ wird allenfalls künstlich aufrechterhalten, indem man das Mündliche zu einem sich im Rahmen des Lehrer-/Schülerverhältnisses bewegenden Klassenjargon stilisiert bzw. als Vehikel für die Exegese von Lektionen und Texten benutzt. Da die authentische Sprache weder in didaktischen Texten noch in Literaturbeispielen geboten werden kann, ist die gesprochene Sprache selten eigentlicher Gegenstand des Unterrichts.“187

Diese Kritik äußerten Bufe/Dethloff vor über 30 Jahren. Seitdem hat sich die

Unterrichtspraxis gewandelt. Die gesprochene Sprache ist präsenter geworden und

nimmt einen höheren Stellenwert ein, was sich z.B. daran zeigt, dass eine Schulaufgabe

auch in mündlicher, anstelle der konventionellen schriftlichen Form abgenommen

werden kann. Auch ist das Prinzip der absoluten Einsprachigkeit längst dem einer

aufgeklärten Einsprachigkeit gewichen, die versucht, das Wissen der Schüler aus anderen

Sprachen für das Erlernen der neuen Fremdsprache sinnvoll zu nutzen. Die Relevanz des

gesprochenen Französisch für den Schulunterricht generell zeigt sich auch daran, dass

Unterricht nicht als frontaler Lehrermonolog, sondern als Gespräch zwischen Schülern

und Lehrkraft konzipiert ist. Einen Aufbruch in diese Richtung bemerken auch schon

Bufe/Dethloff, wenn sie feststellen, dass die „in jüngster Zeit geführte spezielle Diskussion

über die Reihenfolge des Mündlichen und Schriftlichen in der Schule zeigt (…), daß die

fundamentale Rolle des Mündlichen nicht mehr in Frage gestellt wird.“188 Sie kritisieren

jedoch, dass im universitären Alltag, z.B. bei der Ausbildung künftiger Lehrkräfte, die

Gleichwertigkeit von gesprochener und geschriebener Sprache zwar fachwissenschaftlich

anerkannt ist, didaktisch in den Lehrveranstaltungen jedoch längst noch nicht zur

Zufriedenheit umgesetzt wurde.189 Sie wünschen sich, die Unverhältnismäßigkeit

zwischen dem Anteil schriftlicher gegenüber mündlicher Übungen an den Hochschulen

langfristig auszugleichen.

187 Bufe/Dethloff 1972: 2. 188 Ebd.: 2. 189 Ebd.: 2.

Page 47: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

46

Zum Gleichgewicht zwischen geschriebener und gesprochener Sprache äußert sich auch

Abel, der zusammenfassend drei alternative Herangehensweisen für den

Fremdsprachenunterricht nennt:

• Vorrang der gesprochenen Sprache, Vernachlässigung der geschriebenen Sprache.

„Diese Auffassung dominiert heute in der Theorie.“190

• Bevorzugung der geschriebenen Sprache, Vernachlässigung der gesprochenen

Sprache. „Dies ist die traditionelle Praxis des Fremdsprachenunterrichts,

besonders in der Leistungsmessung.“191

• Ausgewogene Vermittlung sowohl von gesprochener als auch geschriebener

Sprache. „Dies wird gegenwärtig in der Praxis des deutschen

Fremdsprachenunterrichts überwiegend versucht, wobei (…) Unterschiede

zwischen den beiden Ebenen nicht selten in unangemessener Weise verwischt

werden.“192

3.4.5 Auswahl der Lerninhalte

Für die Auswahl der sprachlichen Varietäten, die im Unterricht behandelt werden sollen,

stellen die „Interessen der Lernenden selbst bzw. ihre Nähe zu einer konkreten

diatopischen Varietät“193 das entscheidende Kriterium dar. Meißner illustriert dies mit

einem Fallbeispiel. Obwohl er der Behandlung dialektaler Varietäten im Schulunterricht

im Allgemeinen keine zentrale Rolle zuschreibt, rät er dazu, deutsche Schüler, die nahe

der französischen Grenze leben, mit den wichtigsten Besonderheiten der französischen

Sprache vertraut zu machen, wie sie vor Ort tatsächlich gesprochen wird.194 Vor allem im

Hinblick auf die viel gewünschten interkulturellen Begegnungen tritt die Relevanz der

Umgangssprache vor Augen.

Die diatopische Vielfalt ist in Deutschland, Spanien oder Italien gewiss größer als in

Frankreich, wo sich Abweichungen vom Standard vornehmlich diastratisch oder

190 Abel 1981: 13. 191 Ebd.: 13. 192 Ebd.: 13. 193 Meißner 1995: 6. 194„So ist es richtig, Aachener oder Dürener Schüler (…) mit signifikanten Eigenheiten des benachbarten Lütticher Dialekts bzw. des Wallonischen vertraut zu machen.“ Ebd.: 6.

Page 48: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

47

diaphasisch manifestieren. Meißner spricht von einer „gemeinsame(n)

Umgangssprache“195, die von allen Sprechern bis zum 14. Lebensjahr erworben wird.

Jeder französische Muttersprachler ist demnach mit „Registervarietäten des

gesprochenen Umgangsfranzösisch“196 vertraut. Meißner resümiert daher: „Wenn ein

Fremdsprachler nicht nur sprachsystematisch korrekt, sondern situationsadäquat

formulieren will, muß er mit diesem lexikalischen Segment vertraut sein“197. Dass

zwischen Deutschland und Frankreich ein breites Spektrum an Austauschprogrammen

und Partnerschaften besteht, die mit den Schulen zusammenarbeiten, ist ein deutliches

Plus zum Erlernen der Fremdsprache. Die Fähigkeit, Umgangssprache zu verstehen, ist

eine Hauptvoraussetzung dafür, die Austauschmöglichkeiten mit dem Nachbarland

effektiv nutzen zu können.

Nachdem er die Relevanz der Umgangssprache begründet hat, stellt sich Meißner die

Frage, was „aus dem Großregister der Umgangssprache didaktisch relevant“198 ist. Dazu

führt er das von ihm herausgebrachte Répertoire analytico-didactique du français parlé

essentiel an. Er räumt ein:

„Wie alle Wörterbücher hinkt also das Répertoire der Sprachwirklichkeit und ihrer unendlichen Kreativität hinterher. – Wer Sprachvarietäten zum Thema des Unterrichts machen will, braucht natürlich viel buntere Texte, die den Lernern zumindest einen Hauch von jenem Leben in den Straßen und Bussen, Schulen, Diskos usw. vermitteln, das solche Sprache zutage bringt.“199

Die Auswahl der Lerninhalte im Allgemeinen, sowie der sprachlichen Register im

Konkreten, hängt also davon ab, welche Situationen, in denen die Sprache zur

Anwendung kommen soll, erwartet werden. Allerdings kann der „zukünftige Gebrauch

der Fremdsprache durch die Schüler (…) nicht zuverlässig vorausgesagt und eingeübt

werden“200, wie Abel zu Bedenken gibt. Zwar besteht Einigkeit darüber, dass der

Schulunterricht auf die Bewältigung von Alltagssituationen vorbereiten will, soll „den

Schülern jedoch mehr vermittelt werden, so lassen sich, auch unter Berücksichtigung der

altersgemäßen Motivationslage, kaum Themen nennen, die mit unabweisbarer

Notwendigkeit behandelt werden müßten.“201 Dem ist entgegen zu halten, dass schon

195 Meißner 1995: 6. 196 Ebd.: 6. 197 Ebd.: 6. 198 Ebd.: 6. 199 Ebd.: 7. 200 Abel 1981: 9. 201 Ebd. : 9.

Page 49: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

48

viel erreicht ist, wenn es gelingt, dem Lerner alle sprachlichen Mittel mitzugeben, die er

braucht, um im Alltag zurechtzukommen. Wer ein gewisses Grundrepertoire beherrscht,

wird dieses auch auf andere Situationen übertragen können. Wer beispielsweise geübt

hat, eine Fahrkarte am Schalter zu kaufen, und dabei gelernt hat, wie man Uhrzeit und

Preis erfragt, die Anzahl der Tickets nennt und welche Höflichkeitsformen angeraten sind.

Wer dabei zusätzlich trainiert hat, die Antworten des Schalterbeamten zu verstehen, dem

wird es keine Schwierigkeiten bereiten, das Gelernte auf ähnliche Situationen, wie z.B.

den Kauf von Kinokarten, zu transferieren.

Als weiteres generelles Lernziel nennt Abel, die Schüler gezielt darauf vorzubereiten, „die

Folgen der Begrenztheit ihrer Fremdsprachenkenntnisse zu bewältigen“202, das heißt,

ihnen Techniken an die Hand zu geben, mit deren Hilfe sie sich aushelfen können, wenn

sie zum Beispiel eine bestimmte Bezeichnung nicht kennen. Die Schüler sollen lernen,

Begriffe zu erfragen, Sachverhalte zu umschreiben oder zu paraphrasieren, um „die

Grenzen der eigenen Äußerungsfähigkeit in Bereiche hinein zu erweitern, für welche die

spezifischen Ausdrucksmittel der Fremdsprache nicht zur Verfügung stehen“203. Dazu

erscheint es sinnvoll, sich einige festgefügte Formeln einzuprägen (z.B. Comment est-

qu’on dit en français pour ….?), um bei Bedarf – das heißt, wenn man im Gespräch ins

Stocken gerät, weil man ein Wort nicht kennt – nicht noch länger überlegen zu müssen.204

Als weiteres Auswahlkriterium bietet sich die Frequenz an, das heißt, es muss aus

Wortschatz und Grammatik das gelernt werden, was am häufigsten vorkommt. Abel gibt

allerdings zu bedenken, „dass die häufigste Einheit oder Regel nicht identisch ist mit dem

am vielseitigsten einsetzbaren und insofern leistungsfähigsten Ausdrucksmittel“205 sein

muss. Vom Auswahlfaktor der Frequenz ist auch dann abzusehen, „wenn das häufigste

Ausdrucksmittel für die Schüler deutlich größere Lernschwierigkeiten enthält als

konkurrierende Ausdrucksmöglichkeiten.“206

Oberste Prämisse bleibt bei der Auswahl der Lerninhalte stets, dass die Zielsprache auf

die gegenwärtige Sprachpraxis ausgerichtet ist, das heißt „dem heutigen

202 Abel 1981: 10. 203 Ebd.: 10. 204 „Auch ein Vorrat weitgehend fixierter Rückfragen und Kommentierungsaufforderungen muß vermittelt werden.“ Ebd.: 10. 205 Ebd.: 14. 206 Ebd.: 14.

Page 50: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

49

Sprachgebrauch“207 zu entsprechen hat. Sprachliche Muster, Vokabeln und Grammatik-

regeln, die von Muttersprachlern nicht oder kaum noch aktiv verwendet werden, sind nur

am Rande für Fremdsprachenlerner relevant.208

3.4.6 Überlegungen zur didaktischen Aufbereitung des français parlé

Mit der Entscheidung zur Einbeziehung verschiedener Register in den Französisch-

unterricht ist es noch nicht getan. Im Anschluss daran tut sich die Frage nach der

didaktisch-methodischen Einbindung auf. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass

français parlé seine Legitimation als Unterrichtsgegenstand vor allem durch den Hinweis

auf die Anwendbarkeit bei interkulturellen Begegnungen und Auslandsaufenthalten hat.

Ein Schwerpunkt bei der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Registern des

Französischen liegt darauf, einschätzen zu können, in welcher Situation welches Register

angebracht ist.209

Gerade bei der Vermittlung umgangssprachlicher Ausdrücke muss deren „caractère

hautement idiomatique“210 beachtet werden. Daher ist es empfehlenswert, sich Vokabeln

nicht isoliert einzuprägen, sondern sie kontextualisiert in einer idiomatischen Wendung

zu lernen, um eine engere Verknüpfung zwischen Wortschatz und Situation zu erzeugen.

3.4.7 Fazit

Als Fazit aus den vorgestellten Beiträgen lässt sich festhalten, dass keiner der Autoren die

Einbeziehung unterschiedlicher Register des Französischen in den Schulunterricht

durchweg ablehnt, der Großteil der Autoren sie sogar befürwortet, jedoch nicht, ohne

davor zu warnen, das Französische für die Lerner noch komplexer erscheinen zu lassen als

es auf sie ohnehin schon wirkt. Aus diesem Grund wird häufig auf die Notwendigkeit

207 Abel 1981: 11. 208 „Nicht mehr gebräuchliche Einheiten und Regeln können allenfalls zum Verständnis bestimmter historischer Texte vermittelt werden.“ Ebd.: 11. 209 „Comment dit-on en français dans une situation donnée? Par conséquent, une didactique de la langue parlée doit enseigner une compétence linguistico-situationelle?“ Meißner 1999: 159. 210 Ebd.: 159.

Page 51: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

50

hingewiesen, den Schüler nicht nur mit Wortschatz – denn meist handelt es sich darum –

aus unterschiedlichen Registern in Kontakt zu bringen, sondern ihm auch ein Bewusstsein

dafür mitzugeben, in welchen Kreisen und in welchen Situationen er das Gelernte zum

Einsatz bringen kann, ohne unhöflich zu wirken oder bei seinem Gesprächspartner ein

Schmunzeln hervorzurufen. Das Gefühl für den Unterschied zwischen Umgangs- und

Schriftsprache wird den Schülern in ihrer Muttersprache meist klar sein und kann als

Ausgangsbasis für den Umgang mit situationsgebundenen Registern im Französischen

dienen. Denn auch wenn die Auseinandersetzung mit diatopischen, diastratischen und

diaphasischen Varietäten interessant und lohnend ist, bleibt die „von den Schülern

produktiv zu erlernende sprachliche Ausgangsnorm (…) das français standard.“211 Das

„Verstehen wichtiger sozialer und regionaler Varianten des Französischen“212 tritt

ergänzend hinzu. Dass die Behandlung von Umgangssprache auf Schüler sehr motivierend

wirkt, da der Unterricht damit ihrem eigenen alltäglichen Sprachgebrauch näher kommt

als die Schriftsprache, wird ebenfalls oft betont. Einige Autoren erinnern daran, man

dürfe als Lehrer nicht vergessen, dass Schüler sich in einem Lernprozess befinden und

Fehler in diesem einbegriffen sind. Um die Schüler zu freiem Sprechen zu ermuntern,

sollte die Lehrkraft deshalb nicht allzu streng auf die Fehlersuche fokussiert sein, sondern

den Unterricht als einen angstfreien und weitgehend sanktionsfreien Raum gestalten, in

dem der Schüler sein sprachliches Können ausprobieren kann. Grundsätzlich sollen die

Schüler dazu befähigt werden, „vielfältige mündliche und schriftliche Kommunikations-

situationen in Privatleben, Studium und Beruf sicher und flexibel in französischer Sprache

zu bewältigen“. Es liegt auf der Hand, dass unterschiedliche Situationen und

Sprechanlässe auch nach unterschiedlichem Sprachgebrauch verlangen. Den modernen

Französischunterricht streng auf das français standard zu begrenzen, wäre demnach

kurzsichtig. Auch wenn der Sprachunterricht ohne die Norm als Richtwert undenkbar

wäre, so lohnt es sich doch, über den Tellerrand hinauszublicken und auch sprachliche

Erscheinungen des Substandards mit einzubeziehen.

211 Fachprofil Französisch. 212 Ebd.

Page 52: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

51

4 français familier und français parlé in den Lehrwerken für Französisch als zweite

Fremdsprache an bayrischen Gymnasien

Die Kulturhoheit der Länder bedingt in Deutschland eine Vielfalt an Schulsystemen mit

unterschiedlichen Anforderungen, Schwerpunktsetzungen und Schulabschlüssen. Im

Rahmen dieser Arbeit ist daher zunächst eine topographische Begrenzung nötig: Die

Analyse soll sich auf das Bundesland Bayern beschränken. Doch auch mit dieser

Einschränkung bleibt noch ein weites Feld, denn Französisch wird in Bayern an mehreren

Schulformen, v.a. jedoch an Realschulen und Gymnasien unterrichtet. Selbstverständlich

wird die französische Sprache nicht nur in der Schule gelehrt und gelernt, sondern auch

an der Universität oder Volkshochschulen.

Zu der Eingrenzung auf das Bundesland Bayern kommt als zweite die Eingrenzung auf die

Schulform des Gymnasiums. Und selbst hier ist eine weitere Abstufung angezeigt. Der

Lehrplan für den Französischunterricht an Gymnasien differenziert nämlich zwischen

Französisch als erster, zweiter, dritter oder spätbeginnender Fremdsprache.

Dementsprechend bieten die Verlage unterschiedliche Lehrwerke an. Da es den Rahmen

dieser Arbeit sprengen würde, alle Bücher jeder Jahrgangsstufe zu analysieren, soll als

Mittelweg Französisch als 2. Fremdsprache (im G8 ab Klasse 6) ausgewählt werden. Zur

genaueren Untersuchung werden die Bücher des zweiten und vierten Lehrjahres

ausgewählt. Der zweite Band eignet sich für die Untersuchung der unterschiedlichen

Sprachregister besser als der erste, da bei Französisch als 2. Fremdsprache die

Progression deutlich langsamer verläuft als bei Französisch als 3. Fremdsprache und im

ersten Band daher noch vergleichsweise wenig Sprachmaterial zur Verfügung steht. Der

vierte Band bietet sich an, weil an manchen Gymnasien mittlerweile die Möglichkeit

besteht, die 2. Fremdsprache früher abzulegen, um mit einer neuen spätbeginnenden

Fremdsprache, oft ist dies z.B. Spanisch, einsetzen zu können.

4.1 Vorstellung der Lehrwerksreihen Découvertes und À plus!

Die Schulreform zum G8 erforderte im Rahmen der Streichung der 13. Jahrgangsstufe und

der daraus resultierenden Umverteilung der Lehrinhalte auf die einzelnen

Page 53: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

52

Jahrgangsstufen auch die Erstellung neuer Lehrwerke, die auf die veränderte Situation

abgestimmt sind. Nicht nur die bloße �Umschichtung’ des Stoffes war dabei zu

berücksichtigen, sondern gegebenenfalls auch die Tatsache, dass der Beginn der zweiten

und dritten Fremdsprache ein Jahr nach vorne gezogen wurde und sich die Lehrwerke

nun an etwas jüngere Kinder und Jugendliche richten. Außerdem bot die Schulreform und

die damit einhergehende Überarbeitung bzw. Neuerstellung der Schulbücher eine

ausgezeichnete Gelegenheit, das Lehrmaterial auf seine Aktualität hin zu prüfen und

gegebenenfalls auf den neuesten Stand zu bringen.

Die Zulassung einer Schulbuchreihe für den Unterricht an bayerischen Schulen ist an die

Voraussetzung geknüpft, dass diese auf die in den Lehrplänen festgehaltenen Inhalte

abgestimmt ist. Es sei an dieser Stelle betont, dass der Schulunterricht, zumindest in der

progressiven Phase, stark am Lehrwerk orientiert ist. Daher ist die Wahl desselben von

nicht zu unterschätzender Bedeutung für den Ablauf und die Ausrichtung des Unterrichts

sowie den Lernerfolg und nicht zuletzt die Motivation der Schüler. Einführend sollen

zunächst die derzeit sich auf dem Markt befindlichen und für den Einsatz an bayerischen

Gymnasien zugelassenen Lehrwerksreihen aus unterschiedlichen Verlagen kurz

vorgestellt werden. Es handelt sich hier um Découvertes aus dem Klett-Verlag und die bei

Cornelsen erschienene Lehrwerkreihe À plus!.

4.1.1 Découvertes

Für das reformierte achtstufige Gymnasium brachte der Klett-Verlag ab 2004 eine neue

Ausführung seiner bereits vorher bestehenden und bewährten Découvertes-Reihe heraus,

die für Französisch als zweite Fremdsprache konzipiert ist. Für den Einsatz für Französisch

als dritte Fremdsprache bietet Klett den Cours intensif, der die folgenden Bände umfasst:

Cours intensif 1, Cours intensif 2 und Cours intensif 3 Passerelle, der als Übergang von der

Spracherwerbsphase hin zur Vorbereitung auf die „Arbeitsweisen der Oberstufe“213

dienen soll.

Herzstück des Découvertes-Lehrwerks ist nach wie vor das Schülerbuch, in dessen

Zentrum eine Gruppe Jugendlicher steht, die in Paris leben. Die Schüler lernen die

213 http://www.klett.de/sixcms/list.php?page=titelfamilie&snv=4&ssnv=2&titelfamilie=Cours+intensif.

Page 54: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

53

Protagonisten im Verlauf der Lektionen immer besser kennen und erfahren Stück für

Stück mehr über deren Familienleben, ihren Schulalltag, ihre Freizeitaktivitäten, aber

auch ihre Probleme und Sorgen. Durch die lebendige Darstellung der Figuren sollen sich

die Schüler mit ihnen identifizieren können und motiviert werden, weiter zu lernen, um

dem Verlauf der Geschichte folgen zu können. Ganz nebenbei erhalten die Schüler mittels

der Dialoge und Lesetexte im Schulbuch landeskundliches Wissen und Einblick in die

französische Alltagskultur. Während der erste Band in Paris spielt, verlagert sich mit dem

Umzug einer Familie in Band 2 der Schauplatz der Handlungen vom Norden in den Süd-

Westen Frankreichs nach Toulouse in die Region Midi-Pyrénées. Bei dieser Gelegenheit

wird im Schulbuch bereits das Vorkommen unterschiedlicher französischer Dialekte und

damit einhergehender Verständigungsschwierigkeiten (selbst für Muttersprachler)

thematisiert. Band 3 lädt die Schüler zu einer Reise quer durch Frankreich mit den

Stationen Normandie, Bourgogne, Rhône-Alpes und Provence-Alpes-Côte d’Azur. Band 4

überschreitet die Grenzen Frankreichs und erweitert den Blick zunächst auf Europa, dann

auf die weltweite Frankophonie. Band 5 Passerelle dient, wie der Untertitel Passerelle

schon andeutet, zur Vorbereitung auf die Oberstufe bzw. als Abschlussband.

Das Schülerbuch ist in mehrere Leçons unterteilt, die wiederum in die Unterabschnitte

entrée, texte, pratique und album gegliedert sind. Entrée führt den Schüler an die neue

Lektion heran, die im Anschluss durch den texte und sich darauf beziehende Übungen

(pratique) durchgenommen und mit einem meist fakultativen album abgerundet wird.

Zusätzlich sind zwischen einzelnen Leçons von Zeit zu Zeit Wiederholungseinheiten

(plateau) eingefügt, die aber nicht zwingend behandelt werden müssen, was durch die

Spitzklammern angezeigt wird, die alle fakultativen Teile des Lehrbuchs markieren.

Einheiten, die nur in einigen Bundesländern verpflichtend sind, werden entsprechend

durch eckige Klammern gekennzeichnet. Das übersichtliche Inhaltsverzeichnis lässt mit

seiner Einteilung in die Spalten Kommunikation, Grammatik und Methoden deutlich

erkennen, in welchen Bereichen die Schüler ausgebildet werden sollen. Sie sollen nicht

nur grammatische Regeln beherrschen, sondern auch und vor allem kommunikative

Fähigkeiten erlangen, wozu ihnen unterschiedliche Methoden und Hilfsmittel an die Hand

gegeben werden sollen. Besonders zu erwähnen sind hier die stratégie-Einheiten, die für

die Schüler auch online abrufbar sind und die gelb hinterlegten on dit-Kästen, die

allerdings erst ab Découvertes 2 einsetzen.

Page 55: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

54

Grundpfeiler der Découvertes-Reihe sind eine klare Progression, die Vermittlung nicht nur

von sprachlichem Wissen, sondern auch von Lerntechniken („Lernen lernen“) und die

Vorbereitung auf die DELF-Prüfungen.214 Dies wird angestrebt durch kontextgebundenes

Lernen, einem Angebot an natürlichen Sprechanlässen, Lektionstexten mit spannender

Handlung, jugendorientierten Themen, der Bereitstellung und dem Einsatz von

Zusatzmaterialien (z.B. auf der Internetseite des Klett-Verlags) sowie einem Wechsel

zwischen Einschleifübungen und kreativen Aufgaben.

4.1.2 À plus!

Alternativ zu Découvertes kann für Französisch als zweite Fremdsprache auch mit der À

plus!-Reihe vom Cornelsen Verlag gearbeitet werden, die als Lehrgang für wahlweise vier

oder fünf Jahre angelegt ist. Band 1 bis 3 gibt es nur in einer Version. Im vierten Lernjahr

spaltet sich die À plus!-Reihe jedoch auf in einen cycle court und einen cycle long. À plus!

4 cycle court ist als Abschlussband konzipiert, der fünf Dossiers und einen

Methodenanhang (outils de travail, modèles de lettres, comment corriger ses fautes,

expressions utiles) umfasst. À plus! 4 cycle long enthält vier Dossiers und wird von einem

fünften Band gefolgt, der ebenfalls einen auf die Oberstufe vorbereitenden

Methodenanhang enthält, der sich weitgehend mit dem aus À plus! 4 cycle court deckt. In

den ersten drei Dossiers sind der vierte Band des cycle court und des cycle long allerdings

völlig identisch. Der cycle court ist vor allem geeignet, wenn Französisch nach dem vierten

Lernjahr, also nach der neunten Klasse abgelegt wird, um mit einer spätbeginnenden

Fremdsprache einzusetzen.

Als Lehrwerk für Französisch als dritte Fremdsprache ab Klasse 8 bietet der Cornelsen

Verlag À plus! Méthode intensive in drei Bänden.

Auch mit À plus! lernen die Schüler verschiedene Regionen und Städte in Frankreich

kennen. Der erste Band spielt in Lyon, der zweite in Nantes, in der Bretagne, im dritten

Band steht Paris im Mittelpunkt, bevor die Schüler mit dem Québec eine

214 http://www.klett.de/sixcms/list.php?page=titelfamilie&titelfamilie=D%E9couvertes&modul=konzeption.

Page 56: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

55

außereuropäische frankophone Region kennen lernen. Im vorletzten Band steht mit

Marseille der Süden Frankreichs im Zentrum, wobei die Schüler mit dem dort typischen

Akzent in Kontakt kommen. Der fünfte und letzte Band beschäftigt sich mit den Ländern

der Frankophonie weltweit, wobei der Schwerpunkt des Interesses auf Europa, Afrika

und der Insel Guadeloupe liegt.

Erklärtes Ziel von À plus! ist es, ein Stück Frankreich in den Unterricht zu bringen und den

Lernern Spaß an der französischen Sprache zu vermitteln.215 Um den deutschen Schülern

von Anfang an einen authentischen Eindruck vom Alltagsleben und der Jugendkultur im

Nachbarland zu vermitteln, treten im Lehrwerk eine Gruppe Schülerinnen und Schüler des

Collège Clémont Marot auf, mit denen sich die Sprachlerner identifizieren können. Das

Collège existiert tatsächlich in Lyon. Die gesellschaftliche Situation in Frankreich ist im

Lehrwerk auch insofern realistisch wiedergegeben, als die Protagonisten nicht nur

�typisch’ französische Namen wie Pierre, Valentin, Élodie und Pauline tragen, sondern

auch Vornamen aus anderen Kulturkreisen wie Tarik, Rachid oder Medhi. Frankreich wird

den Schülern damit von Anfang an als multikulturelle Nation präsentiert.

Der Schülerband ist in Unités216 gegliedert, diese wiederum sind in Approches, Séquences

und Repères unterteilt. Auf den Approches-Seiten wird der Schüler an die neue Lektion

thematisch herangeführt, meist geschieht dies mit Bildern und Photos, zu denen sich die

Schüler zum Einstieg ihre eigenen Gedanken machen sollen, manchmal dient ein Lied als

Einstieg. An den Approches-Teil schließen sich drei Séquences mit je einem Text und

dazugehörigen Übungen. Diese Aufteilung des Stoffes innerhalb der einzelnen Unités soll

verhindern, dass die Texte „überfrachtet“217 wirken und den Schüler durch ihre Länge

abschrecken. Durch drei kürzere statt einem längeren Text soll das Lesevergnügen

gesteigert werden. Am Ende jeder Unité finden sich die Repères, eine kurze

Grammatikzusammenfassung des neuen Stoffes inklusive kurzer Übungen, mit Hilfe derer

der Schüler selbst überprüfen kann, ob er den Stoff wirklich verstanden hat.

Die Prinzipien, die der Konzeption von À plus! zugrunde liegen, sind die Einteilung des

Stoffes in „verdauliche Portionen“218, die Vermittlung von Lernstrategien (Übungen hierzu

sind durch die Überschrift apprendre à apprendre gekennzeichnet), die Förderung

215 http://www.cornelsen.de/teachweb/1.c.38204.de?parentID=1.c.132770.de. 216 In Band 4 und 5 werden die Unités durch Dossiers ersetzt, die umfangreicher angelegt sind als die Unités, deren Aufbau jedoch im Wesentlichen beibehalten wird. 217 http://www.cornelsen.de/teachweb/1.c.38204.de?parentID=1.c.132770.de. 218 Ebd.

Page 57: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

56

selbstständiger Arbeitsweisen (z.B. Selbstkontrolle durch die Übungen auf den Repères-

Seiten) und die Ausbildung sowohl rezeptiver als auch produktiver Kompetenzen. So heißt

es auf der Internetseite des Verlags: „Das Lehrwerk bereitet den souveränen Umgang mit

anspruchsvollen Texten vor und schafft die Basis für die sichere Sprachverwendung auch

in komplexeren Anwendungsszenarien.“219 Um diese Ziele zu erreichen, finden sich

zahlreiche Hörverstehensübungen und ab dem zweiten Band auch authentische

Textdokumente mit landeskundlichen Inhalten.

Beide Lehrwerke – sowohl À plus! als auch Découvertes – bereiten systematisch auf die

DELF-Prüfungen (Diplôme d’Études en Langue Française) vor und regen dazu an, im

Rahmen dieser Vorbereitung ein Portfolio zu führen. Alle Übungen, mit denen gezielt für

das DELF trainiert werden kann, sind deutlich gekennzeichnet – in Découvertes mit einem

kleinen Delphin, in À plus! mit dem Kürzel DELF.

In beiden Lehrwerken findet sich am Ende jedes Bandes ein lektionsbegleitender

Vokabelteil, der dreispaltig angeordnet und zum Teil bunt bebildert ist. Hier finden sich

außerdem landeskundliche Anmerkungen, Merkhilfen, Lerntipps, Konjugationen

unregelmäßiger Verben, kleine Wiederholungseinheiten und Querverweise auf andere

Fremdsprachen eingestreut. Zusätzlich gibt es eine alphabetisch geordnete französisch-

deutsche und deutsch-französische liste des mots, die dem Schüler in den ersten

Lernjahren ein Wörterbuch ersetzen kann.

Neben den Schul- oder Schülerbüchern, die einem bei dem Begriff Lehrwerk

üblicherweise als erstes in den Sinn kommen, umfasst dieses mittlerweile noch zahlreiche

andere nützliche Materialien für die lebendige und abwechslungsreiche Gestaltung des

Unterrichts. Lehrer finden Anregungen und Hilfestellungen nicht nur im Lehrerbuch,

sondern auch in zusätzlichen Sammlungen von Übungsaufgaben. Auch vorgefertigte

Overhead-Folien sind eine Erleichterung. Grammatische Beihefte, Übungshefte (Cahiers

d’activités von Découvertes, Carnet d’activités von À plus!), Vokabeltrainer, etc.

unterstützen den Schüler im Unterricht und zu Hause beim Lernen. Nicht zuletzt sind die

Tonaufnahmen (CD) für den modernen Fremdsprachenunterricht unverzichtbar

geworden, um dem Schüler einen authentischen Eindruck der Sprache zu vermitteln.

219 http://www.cornelsen.de/teachweb/1.c.38204.de?parentID=1.c.132770.de.

Page 58: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

57

Die Untersuchung der Lehrwerke im Hinblick auf das Vorkommen des français parlé und

familier wird sich auf die Schülerbände konzentrieren. Eine Analyse der zusätzlichen

Übungshefte, Lerntrainer usw. wird nicht erfolgen, da diese auf das Lehrbuch, das immer

noch Kernstück des Lehrwerks darstellt, abgestimmt sind und somit keine

weiterführenden Erkenntnisse erwarten lassen.

4.2 Anteil mündlicher und schriftlicher Sprachrealisierung im Lehrwerk

Um den Stellenwert des français familier und parlé in den Lehrwerken bestimmen zu

können, lohnt ein Blick auf die Art der Übungen, anhand derer die Lerner ihre

Sprachkenntnisse erwerben, trainieren und vertiefen sollen. Zu unterscheiden sind

prinzipiell Übungen, die schriftlich gelöst werden und solche, bei denen die Schüler

tatsächlich Französisch sprechen müssen.

In A plus! bieten die Übungskategorien Comprendre et commenter, Jeu de rôle,

s’entraîner, sowie generell die meisten der Übungen, die mit den Symbolen für Gruppen

und Partnerarbeit gekennzeichnet sind, Aufforderung und Anregung zu mündlicher

Sprachproduktion. Zusätzlich werden systematisch Kommunikationsstrategien vermittelt.

So gibt Méthodes et stratégies: Comment se préparer à une discussion220 Anleitung zur

schrittweisen Vorbereitung eines Diskussionsbeitrages. Etwas später erklärt Méthodes et

stratégies: Comment préparer un exposé221, wie ein Referat aufgebaut und vorgetragen

werden soll.

Auch „Découvertes bietet den Schülerinnen und Schülern in zahlreichen Aktivitäten und

Übungen Möglichkeiten zu sprachlichem Handeln an.“222 Handlungsorientierter

Unterricht ist ein erklärtes Ziel des Lehrwerks. Die korrekte Aussprache und Intonation

wird u.a. in den Jeux de sons trainiert. Außerdem begegnen die Schüler im

Vokabelverzeichnis beider Lehrwerke auch der Lautschrift, die am Anfang jedoch

befremdlich wirken kann und daher einer kleinen Einführung oder Annäherung bedarf, da

220 A+ 4/2005 cc: 14. 221 Ebd.: 48. 222 Déc. 2 LB 2006: 3.

Page 59: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

58

sie sonst nicht effektiv genutzt werden kann.223 Auch in Découvertes wird den Schülern in

Stratégie: Notizen zu einem Text machen und mündlich vortragen224 und Stratégie: Einen

Text mündlich präsentieren225 Hilfestellung für kurze mündliche Vorträge wie Referate

gegeben.

Auch die Aufbereitung der Lektionstexte verstärkt den Eindruck einer starken Betonung

der Mündlichkeit im Lehrwerk. Gerade am Anfang des Lehrgangs finden sich statt

zusammenhängender Textpassagen viele Photostorys oder Bildergeschichten mit

Sprechblasen, die einen Dialogcharakter entstehen lassen. Zusätzlich bieten die CDs die

praktische Möglichkeit, die Dialoge tatsächlich zu hören statt sie nur zu lesen, womit man

dem Anspruch nach Authentizität ein Stück näher kommt.

4.3 Systematische Vermittlung und Wiederholung von Redemitteln

Um die zahlreichen mündlichen Übungsformen gut bestreiten zu können, muss den

Schülern selbstverständlich ein gewisses Repertoire an Redemitteln zur Verfügung

stehen. Gemeint sind damit nicht nur Einzelwörter, sondern vor allem auch feste

Wendungen und kurze vorformulierte Sätze, die die Schüler fast oder ganz auswendig

lernen, um sie dann ohne langes Nachdenken einsetzen zu können. Gerade in Übungen,

in denen es gilt, seine eigene Meinung darzustellen oder unterschiedliche Ansichten zu

einem Thema zu diskutieren, wo also die Gedanken bereits mit einem fachlichen Inhalt

beschäftigt sind, ist es äußerst hilfreich, sprachliche Überlegungen durch fest eingeprägte

Wendungen zu entlasten.

Beide Lehrwerke vermitteln und wiederholen auf die einzelnen Lektionen verteilt

systematisch solche Redemittel. In Découvertes lassen sich diese leicht finden, da sie in

gelb hinterlegten Kästen unter der Überschrift on dit…. präsentiert werden. Häufig, aber

nicht immer tritt eine zweite Überschrift hinzu, die umschreibt, wozu die aufgeführten

Wendungen und Wörter einzusetzen sind (Beispiel: „J’en ai marre! – So könnt ihr

223 In der Tat sieht bereits der Lehrplan der 6. Jahrgangsstufe (Französisch als Fs2) vor „die zum Vermeiden von Aussprachefehlern bedeutsamen Zeichen der internationalen Lautschrift verstehen“ zu lernen. http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26317. 224 Déc. 2/2006: 64. 225 Déc. 4/2007: 80.

Page 60: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

59

ausdrücken, wenn ihr euch über etwas beklagen wollt.“226) Ab dem vierten Band tritt

ergänzend die Angabe der relevanten Paragraphen hinzu, die auf das grammatische

Beiheft verweisen.

Der on dit…-Reihe aus Découvertes entspricht in À plus! am ehesten die Rubrik Qu’est-ce

qu’on dit, die sich immer zu Beginn der Repères-Seiten findet. Anders als bei Découvertes

finden sich hier keine spezifischen Überschriften. Der Inhalt ist in der Regel gemischt, das

heißt eine Qu’est-ce qu’on dit-Einheit enthält Sätze zu ganz unterschiedlichen Situationen

und Sprechanlässen (Beispiel: Sport treiben, Hilfe anbieten, Hunger oder Durst haben,

etwas bedauern, vor etwas warnen227). Die thematische Uneinheitlichkeit erklärt sich

dadurch, dass die Übung in den Repères-Teil eingebettet ist, und daher ein Querschnitt

durch alle drei Séquences gezogen wird. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zu

den on dit…-Kästen aus Découvertes, deren Hauptanliegen weniger die Wiederholung

einer konkreten Lektion ist, als vielmehr der sukzessive Aufbau eines Redemittel-

Repertoires für bestimmte Situationen. Die Qu’est-ce qu’on dit-Übung besteht aus einer

Gegenüberstellung von deutschen und französischen Sätzen. Zur Selbstkontrolle bietet es

sich an, die französische Hälfte abzudecken und ins Französische zu übersetzen. Während

bei Qu’est-ce qu’on dit stets mit ganzen Sätzen gearbeitet wird, finden sich in on dit…

häufig auch Einzelwörter und sehr knappe Formulierungen, allerdings ausnahmslos in der

Fremdsprache.

Beiden Lehrwerken gemeinsam ist, dass sowohl in Qu’est-ce qu’on dit als auch in on dit…

fast immer Ausdrücke des français familier vorkommen, was in der Natur der Sache liegt,

da die Redemittel schließlich auf die gesprochene Sprache, das français parlé,

ausgerichtet sind. Durch die Angabe der deutschen Entsprechung bei Qu’est-ce qu’on dit

kann die Muttersprache als Referenzpunkt herangezogen werden. Dies kann hilfreich

sein, um die Schüler für unterschiedliche stilistische Register zu sensibilisieren und ihnen

ein Gefühl dafür zu geben, dass die an dieser Stelle gelernten Redemittel zwar für den

mündlichen Gebrauch sehr gut zu gebrauchen sind, für einen schriftlichen Aufsatz

hingegen weit weniger. Der Schüler wird in einem Deutschaufsatz auch nicht schreiben:

„Das bringt’s einfach nicht.“ Wenn er diese Redensart mit dem französischen „C’est pas le

226 Déc. 2/2006: 60. 227 A+ 2/2005: 55.

Page 61: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

60

pied“228 zusammen speichert, wird ihm automatisch klar sein, dass er letzteres zwar im

Gespräch, aber nicht im commentaire personnel einsetzen darf.

Im Folgenden sind in einer stichpunktartigen Übersicht die Reihen Qu’est-ce qu’on dit

und on dit… jeweils aus den Büchern 2 und 4 aufgeführt.

on dit… Découvertes 2

• Bravo! – Neigungen, Abneigungen, Ärger, Ängste, Zweifel, Hoffnungen (S. 15)

• Ce n’est pas grave. – Freude, Erregung, Ablehnung, Bedauern, Trost (S. 28)

• J’en ai marre! – So könnt ihr ausdrücken, wenn ihr euch über etwas beklagen wollt.

(S. 60)

• Faisons les courses. (S. 72)

• A mon avis, … (S. 83)

• Demander et expliquer son chemin (S. 96)

• Chez le médecin (S. 100)

• Des situations différentes – Überraschung, Wahrscheinlichkeit,

Erlaubnis/Versprechen, Gleichgültigkeit (S. 127)

on dit… Découvertes 4

• Je veux et j’exige! – Forderung und Notwendigkeit; Wunsch, Bitte und Vorschlag ;

Gefühle und persönliche Wertung; Befürchtung (S. 16)

• Souhaiter et proposer quelque chose – souhaiter quelque chose, proposer quelque

chose (S. 26)

• Faire l’interprète – Quand on ne comprend pas bien…, D’autres phrases utiles… (S.

37)

• Discutons – Argumentieren, Diskutieren, Kritisieren / Schimpfen, Auffordern,

Reagieren, Trösten / Aufmuntern (S. 50)

• Les expressions idiomatiques (S. 72)

• Parlons des films. (S. 72)

• On dit: Au secours! (S. 78)

228 A+ 2/2005: 38.

Page 62: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

61

• Se présenter et parler de soi – identité, caractère : qualités /défauts, physique,

hobbies, travail, rêves/désir (S. 85)

Qu’est-ce qu’on dit? À plus! 2

• gemischte Themen (S. 21)

• gemischte Themen (S. 38)

• gemischte Themen, u.a. Wegbeschreibung (S. 55)

• gemischte Themen (S. 74)

• gemsichte Themen, u.a. Kleidung, eine Person beschreiben (S. 90)

• gemischte Themen (S. 105)

• Urlaub (S. 124)

• gemischte Themen, u.a. Ende eines Briefes an einen Freund/eine Freundin (S. 127)

Qu’est-ce qu’on dit? À plus! 4

• gemischte Themen (S. 24)

• Gefühle ausdrücken (S. 49)

• francais familier/code oral gegenüber français standard/code écrit (S. 68)

Mithilfe der on dit…-Kästen aus Découvertes erwirbt sich der Schüler nach und nach einen

Bestand an Redemitteln, um seine Gefühle und Meinungen ausdrücken zu können. Zu

lernen, wie man positive wie negative Emotionen mitteilen kann, hilft den Schülern, in

der neuen Sprache Fuß zu fassen und schneller reagieren zu können. Des weiteren bieten

die on dit…-Einheiten Hilfestellung für konkrete Situationen, wie z.B. sich vorstellen,

jemandem eine Person beschreiben, einkaufen gehen, nach dem Weg fragen oder den

Weg erklären, zum Arzt gehen und seine Beschwerden schildern, in Notfallsituationen um

Hilfe bitten, etc. In Découvertes 4 sind die on dit…-Kästen enger mit grammatischen

Inhalten verbunden. So gibt es eine Einheit, die den Subjonctif nach bestimmten

affektiven Ausdrücken zum Inhalt hat. Die Schüler prägen sich diese Ausdrücke in

Kombination mit dem neuen Modus wie Vokabeln ein und automatisieren diese. Ein

weiterer Aspekt ist die Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten im Gespräch durch

Page 63: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

62

Umschreibungen sowie das Kennenlernen von höflichen Formulierungen, um bei

Verständnisschwierigkeiten nachzufragen. Auch Redewendungen (poser un lapin, casser

les pieds, avoir un poil dans la main, ne pas être dans son assiette), die sich aufgrund ihres

idiomatischen Charakters nicht eins zu eins übersetzen lassen, sondern mit ihrem

fremdsprachlichen Pendant wie Vokabeln gelernt werden müssen, werden in der Rubrik

on dit… eingeführt bzw. wiederholt. Dabei dienen farbige Illustrationen als Merkhilfe.

Bemerkenswert ist die hohe Dichte an umgangssprachlichen Ausdrücken, die in fast jeder

on dit…- Einheit anzutreffen sind und mit dem Charakter dieser Übungsform

zusammenhängt, die ja auf mündliche Kommunikationssituationen vorbereiten will. Mit

der etwas unpräzisen Bezeichnung Umgangssprache ist hier gemeint, dass viele Sätze

oder Satzfragmente die Merkmale des français parlé aufweisen.229 Nur an einigen

wenigen Stellen findet sich explizit die Markierung (fam.), wenn die Lehrwerksautoren

dies für angebracht erachteten. So bei folgenden Stellen: La vache! Je m’en fous! La

barbe!230 Andere ebenfalls deutlich substandardsprachliche Wörter wie Beurk ! Zut! Bof!

C’est nul! sind zumindest in den on dit…-Kästen nicht explizit markiert.

Als zusätzliche Rede- bzw. Kommunikationsmittel, die zwar außerhalb der on dit…-Reihe

laufen, aber ebenfalls sehr alltagsrelevant sind, bietet Découvertes 4 die Stratégie-Übung

Communiquer «en silence», die sich mit Gestik und Mimik - beides wichtige

Informationsträger im Gespräch - beschäftigt.231 Auch optisch vergleichbar mit den on

dit…-Abschnitten ist in Découvertes 2 ein gelber Kasten mit drei Emoticons ☺ , der

Phrasen zum Ausdruck von Zustimmung, Gleichgültigkeit und Ablehnung

zusammenfasst.232 Auch hier sind mots familiers wie z.B. super, chic, génial, cool, euh,

bof… vertreten. Zuletzt sei die Auflistung von Arbeitsanweisungen bzw. Redemitteln zu

den Übungen im Buch und zu Klassenraumaktivitäten genannt, die sich ganz hinten im

Schülerbuch findet.

Auch in den Qu’est-ce qu’on dit?-Einheiten von À plus! finden sich zahlreiche expressions

familiers, wie z.B. moche, n’importe quoi, c’est pas le pied oder quoi? als Ausruf der

Verwunderung und Empörung, um nur einige zu nennen. Wie bei Découvertes sind diese

in der Regel nicht explizit als umgangssprachlich ausgewiesen. In Band 4 ist allerdings eine

229 Diese hier nochmals aufzuführen wäre redundant, da dies schon in Kapitel 2.5 erfolgte. 230 Alle drei Beispiele Déc.2/2006: 127. 231 Déc. 4/2007: 73. 232 Déc. 2/2006: 45.

Page 64: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

63

Qu’est-ce qu’on dit?-Einheit besonders hervorzuheben, in der français familier und

français standard in zwei Spalten einander gegenübergestellt werden, wodurch die

Unterschiede direkt thematisiert und das Bewusstsein der Schüler für stilistische Register

geschärft wird.233 Hier lernen die Schüler die typischen Merkmale des français familier

bzw. des code oral oder français parlé kennen:

• Das Wegfallen des Verneinungspartikels ne

• Die Verkürzung von tu es zu t’es

• Die Verkürzung von il y a zu y a

• Die grammatische Inkongruenz c’est + Substantiv im Plural

• Der segmentierte Satz mit Auslagerung von Subjekt und Objekt (z.B. Moi, je les ai

déjà oubliés, mes rêves. Statt: J’ai déjà oublié mes rêves.)

• Das Ersetzen von nous durch on

Die Gegenüberstellung von zwei stilistisch unterschiedlichen Ausdrücken, die aber das

selbe meinen (z.B. j’en ai marre – en avoir assez, les gamins – les enfants, causer – parler,

pas mal de temps – beaucoup de temps), lässt im Schüler das Bewusstsein dafür wachsen,

dass der selbe Sachverhalt mündlich anders verpackt wird als schriftlich. Am Ende der

Einheit findet sich das Verlan-Wort chelou für louche. Es wird an dieser Stelle auf die

Wortbildungsmuster des Verlan allerdings nicht eingegangen.

Außerhalb der Qu’est-ce qu’on dit?-Reihe werden dem Schüler noch an anderen Stellen

Redemittel zur Verfügung gestellt, so z.B. in Vocabulaire et expression in À plus! 4, wo

einige Formulierungen zum Umschreiben unbekannter Begriffe gesammelt sind (Cela veut

dire _____, C’est un autre mot pour ______, C’est le contraire de ______, C’est la même

chose que _______ ). Die Übung Apprendre à apprendre: Wie du Vokabeln umschreiben

kannst verfolgt dieselbe Absicht und greift die bereits eingeführten Formulierungen

wieder auf. Die Übung enthält auch das Wort truc, das von seinem standardsprachlichen

Äquivalent chose allerdings nicht unterschieden wird, was für die Zielsetzung der Übung

(in einem Gespräch nach Worten suchen) auch nicht unbedingt notwendig ist.

233 A+ 4/2007 cc: 68.

Page 65: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

64

4.4 Authentizität der Sprache

Authentizität ist eine der didaktisch-methodischen Leitlinien, denen sich Découvertes und

À plus! verpflichtet haben und die in den Lehrerbüchern zusammenfassend beschrieben

sind. Authentische Inhalte wie „Sehenswürdigkeiten (…), französische Feste und

Gebräuche, kulturelle und geographische Besonderheiten Frankreichs und Aspekte der

Civilisation quotidienne“234 sind die zentralen Themen der Lehrwerke. Es wird darauf Wert

gelegt, dass die Themen „für die Schüler/innen nachvollziehbar sind, an die eigene

Alltagswelt anknüpfen und zur Empathie anregen“235.

Erwähnenswert ist, dass im Lehrwerk selbst, integriert in einer Hörverstehensübung, eine

Reflexion über die Authentizität der Sprache, über Standard- und Umgangssprache

stattfindet. Diese erfolgt aus der Perspektive französischer Jugendlicher, die Deutsch als

Fremdsprache lernen und drei Monate im Ausland verbracht haben. Einer von ihnen

äußert sich wie folgt: „l’allemand qu’on apprend à l’école et l’allemand qu’on entend,

c’est assez différent, surtout les dialectes.“236 Diese Aussage, die über das Deutsche

getroffen wird, gilt im selben Maß auch für das Französische. Die Lehrwerke bewegen sich

stets zwischen der Notwendigkeit, die Sprache für die Lerner zu vereinfachen und dem

Anspruch der Authentizität der dargebotenen Materialien.

Die Vermittlung eines authentischen Eindrucks der französischen Sprache erfolgt zum

einen über den Einsatz von originalen oder leicht abgeänderten Textdokumenten wie

Gedichten, Auszügen aus Romanen und Erzählungen, Zeitungsartikeln, Blogs, Märchen,

Leserbriefen, Annoncen, Lebensläufen, Reiseberichten, Broschüren und Werbe-

materialien oder einzelnen Seiten aus einem BD.237 In À plus! finden sich Übungen, die

mit Originaldokumenten arbeiten, unter der Überschrift La France en direct.238 Neben

diesen schriftlichen Materialien ist der Rückgriff auf audio-visuelle Medien eine

hervorragende unkomplizierte Möglichkeit, die Schüler Muttersprachler hören zu lassen

und ihnen damit authentisches Französisch nahe zu bringen, zumal die meisten

Fremdsprachenlehrer keine Muttersprachler des Faches sind, das sie unterrichten.

234 Déc. 2 LB 2006: 4. 235 A+ 2 LB 2005: 9. 236 A+ 4/2007 cc: 45, ex. 9. 237 Vgl. A+ 4 LB 2008 cl: 10. 238 Hinsichtlich des Themenschwerpunktes dieser Arbeit ist folgende Übung besonders hervorzuheben: La France en direct: Le français familier. A+ 2/2006: 94.

Page 66: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

65

Hörverstehen und Hörsehverstehen sind mittlerweile fester Bestandteil des Unterrichts

und die Schüler begegnen vielfältigen Tondokumenten wie z.B. Sportkommentaren, dem

Wetterbericht, Chansons, Filmen usw. Im nächsten Kapitel sollen die Hör- und

Hörsehverstehensübungen aus Découvertes und À plus! genauer untersucht werden.

4.5 Audiolinguale Arbeitsmaterialien

Der Erwerb der Muttersprache ist an konkrete Situationen gebunden und spielt sich

hauptsächlich über das Hören ab. Daher ist es sehr effektiv für das Erlernen einer

Fremdsprache denselben Weg zu gehen, das heißt den Stoff situativ einzubinden, wie es

ja in den Lektionstexten versucht wird, und audiolinguale oder audiovisuelle Medien

einzusetzen, um einen authentischen Eindruck von der Sprache zu erhalten. Das

Bestreben des Fremdsprachenunterrichts ist es, den Lerner mit allen Dimensionen der

Sprache in Kontakt zu bringen und ihn in allen vier Dimensionen – Lesen, Schreiben,

Hören und Sprechen – zu schulen, wobei im Zuge der Intensivierung der internationalen

Kontakte der Kommunikation in mündlicher Form eine immer größere Rolle zukommt.

„Entsprechend müssen die mündlichen Fertigkeiten im Fremdsprachenunterricht

ausgebildet werden, damit die Kommunikation auch erfolgreich verlaufen kann.“239 Zur

Schulung dieser Kommunikationskompetenz bieten sich Hörverständnisübungen an. Zwar

fördern sie primär die rezeptiven Fähigkeiten, diese sind aber (mit)entscheidend für eine

möglichst reibungslose Verständigung. Denn wie kann ein funktionierendes Gespräch

entstehen, wie soll man seinem Gegenüber antworten, wenn man das Gesagte nicht

verstanden hat? Rezeptive Fähigkeiten bilden daher die Grundlage für einen Dialog.

Häufig werden sie als passive Beherrschung der Sprache betrachtet, obwohl verstehendes

Hören sehr wohl aktive kognitive Prozesse erfordert.

Die CDs, die begleitend zum Schülerband von den Verlagen Cornelsen und Klett

herausgegeben werden, bieten eine ausgezeichnete Möglichkeit, audiolinguale Medien in

den Unterricht einzubauen. In der Découvertes-Reihe gibt es eine Schüler-CD mit allen

Lektionstexten und eine Lehrer-CD, die die Hörverstehensübungen enthält. Bei À plus!

239 Thomalla 1994: 372.

Page 67: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

66

sind alle Materialien (Lektionstexte, Chansons, Hörverstehensübungen) auf einer Doppel-

CD untergebracht.

Die Hörverstehensübungen sind recht gleichmäßig auf die Lektionen verteilt, Übungen

zum Hörsehverstehen sind hingegen deutlich seltener. Ein Grund dafür mag der

technische Mehraufwand sein, denn es sind längst noch nicht alle Klassenzimmer mit

Fernseher oder Beamer ausgestattet. Möchte der Lehrer einen Filmausschnitt zeigen,

müssen die notwendigen Geräte immer erst ins Klassenzimmer gebracht werden. Dass im

Lehrwerk weniger Material für die Arbeit mit Filmdokumenten vorgegeben ist, bietet dem

Lehrer mehr Freiheit, selbst geeignete und vor allem auch aktuelle Materialien

auszuwählen. Eines der wenigen Beispiele für den Einsatz von Filmen ist das Module: Les

choristes in Découvertes 4, das gleich auf mehrere Unterrichtseinheiten angelegt ist und

auf dem gleichnamigen Kinofilm aus dem Jahr 2004 aufbaut.

Eine Analyse der Aufgabenstellung ergab ein breites Spektrum an Übungsaufgaben, die zu

einer abwechslungsreichen Gestaltung der Hörverstehensübungen beitragen. Meist wird

ein einmaliges Hören nicht ausreichen, damit die Schüler das Gehörte sofort verstehen.

Die Aufgabenstellung in den Lehrwerken berücksichtigt dies, indem sie ein mehrmaliges

Hören vorschlägt und für jedes Hören einzelne Aufgaben nennt.

Als Vorentlastung wird manchmal angeregt, dass sich die Lerner vor dem ersten Hören

z.B. anhand von Bildern oder Zeichnungen überlegen, worum es gehen könnte.240

Beim ersten Abspielen wird von den Schülern meist nur ein ungefähres Verstehen

verlangt. Sie sollen z.B. erfassen können, welche Situation dargestellt wird (z.B. Passanten

auf der Straße werden nach dem Weg gefragt), oder wie viele Personen sprechen. Ab

dem zweiten Durchgang werden dann Fragen zum Inhalt gestellt, anhand derer der

Hörtext tiefer durchdrungen wird (z.B. Wohin wollen die Personen?). Das Beantworten

solcher Verständnisfragen241 ist wohl der Klassiker unter den Hörverstehensaufgaben.

Daneben gibt es jedoch eine ganze Reihe weiterer Übungsaufgaben, wie multiple-choice-

Tests242 oder vrai-ou-faux-Tests243. Andere Aufgaben konzentrieren sich darauf, dass der

Schüler Tempora (passé composé vs. futur composé)244 und Modi (z.B. futur simple vs.

240 Déc. 2/2006: 73, ex. 8. 241 Ebd.: 38, ex. 2. 242 Ebd.: 84, ex. 7. 243 A+ 2/2005: 72, ex. 2 oder Déc. 2/2006: 18, ex. 10. 244 A+ 2/2005: 29, ex. 3.

Page 68: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

67

conditionell)245 besser differenzieren kann. Auch in ihrem Schwierigkeitsgrad

unterscheiden sich die Aufgaben. So ist es relativ leicht, das Gehörte einer Bilderfolge

zuzuordnen oder Bilder nach dem Gehörten in die richtige Reihenfolge zu bringen.246

Anspruchsvoller ist es dagegen, zuerst die wichtigsten mots-clés zu notieren247, um

anschließend das Gehörte nachzuerzählen248 oder vorgegebene Satzanfänge zu Ende zu

führen249. Im Sinne der aufgeklärten Einsprachigkeit wird der Gebrauch der

Muttersprache nicht völlig ausgeklammert, so sollen die Schüler auch lernen, ein

französisches Interview auf Deutsch zusammenfassen.250 Häufig werden die genannten

Aufgaben in einer Hörverstehensübung auch kombiniert bzw. auf mehrere Etappen

verteilt. Zusätzliche Anleitung zum Umgang mit Hörverstehensübungen bietet eine

Stratégie-Einheit, die den Schülern Tipps gibt, wie sie die gehörten Texte leichter erfassen

können.251

Auf den CDs finden sich nicht nur Hörverstehensübungen, sondern auch alle

Lektionstexte. In den vertonten Fassungen der Lektionstexte kommt deren

Dialogcharakter noch besser zum Tragen. Typische Merkmale der gesprochenen Sprache,

die in der gedruckten Fassung nur angedeutet werden können (z.B. bon…, ben…, Pausen,

Zögern, Stimmmelodie), wirken in der Hörfassung realistischer. Das Sprechtempo ist

sowohl in den Lektionstexten als auch in den Hörverstehensübungen deutlich gedrosselt,

steigert sich aber im Verlauf des mehrbändigen Lehrgangs. Um dem Anspruch der

Authentizität gerecht zu werden, kommen selbstverständlich Muttersprachler zu Wort,

um die Texte zu sprechen. Außerdem tragen Hintergrundgeräusche (Straßenlärm,

Gespräche oder Musik im Hintergrund) dazu bei, die Situation realistischer wirken zu

lassen. Eine Vielfalt an Textsorten und Gesprächssituationen sorgt für Abwechslung. Es

finden sich Wetteransagen, Sportkommentare252, Durchsagen am Bahnsteig, Nachrichten

auf Anrufbeantwortern, Radiointerviews etc. Der überwiegende Teil ist in Dialogform

präsentiert, darunter auch Telefongespräche.

245 A+ 4/2007 cc: 12, ex. 3. 246 A+ 2/2005: 34, ex. 6 oder Déc. 2/2006:73, ex. 8. 247 A+ 4/2007: 17: ex. 7. 248 Déc. 2/2006: 27, ex. 5. 249 Ebd.: 62, ex. 10. 250 A+ 4/2007 cc: 26, ex. 1. 251 Déc. 2/2006: 86. 252 A+ 4/2007 cc: 60, ex. 4.

Page 69: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

68

Typische Merkmale des français parlé wie Satzsegmentierung, die Verwendung von

pronoms tonique (moi, je…) und marqueurs/régulateurs phoniques finden sich in den

Hörverständnisübungen in noch stärkerem Ausmaß als in den vertonten Lektionstexten.

Die Verwendung des futur composé ist häufiger als die des futur simple (Ça va être super

génial!253), ebenso verhält es sich bei der Intonationsfrage gegenüber der Inversionsfrage,

die erst in Découvertes 2, Leçon 9 eingeführt wird. Das Zusammenziehen von Formen wie

tu as zu t’as, das in der französischen Umgangssprache sehr häufig ist, tritt dagegen

selten auf. Von den zahlreichen umgangssprachlichen Formulierungen und Phrasen, die in

den Hörverstehensübungen und den vertonten Lektionstexten vorkommen, seien hier

nur einige wenige Beispiele genannt, da eine komplette Auflistung zu lang wäre. Es sei an

dieser Stelle außerdem auf das nächste Kapitel (4.6 mots familiers – umgangssprachlicher

Wortschatz) verwiesen, wo noch viele weitere Beispiele gegeben werden.

- Déc. 2/2006: 11: Bon, viens, on y va!; Chut! - Déc. 2/2006: 23: C’est nul, ici! - Déc. 2/2006: 24: Tiens, là… - Déc. 2/2006: 36: Euh, …oui, mais…. - Déc. 2/2006: 43: Ça te dit? - Déc. 2/2006: 80: Tu parles!; Zut, ça a coupé! - Déc. 2/2006: 98: Aïe! statt dt.: Aua! - Déc. 4/2007: 26: Oui, alors, j’ai 16 ans…; plein de trucs; on rigole comme des fous - Déc. 4/2007: 50: Pas l’temps; J’te casse la figure - Déc. 4/2007: 50: quel sale mec - A+ 2/2005: 18: Oh, là, là! - A+ 2/2005: 30: Ouais! - A+ 2/2005: 44: C’est nul! - A+ 2/2005: 68: Je n’aime pas trop ça - A+ 2/2005: 84: C’est cool! - A+ 2/2005: 87: ça tombe bien; C’est la cata!; Je n’ai plus de fric pour le ciné.; la pub; ben,… ; Eh…vous savez quoi?; N’importe quoi! - A+ 4/2007: 15: plein de choses; ben moi, si seulement je ne…. ; n’importe quoi; en fait,….; C’est vraiment nul!; elle est super forte; les intellos - A+ 4/2007: 21: il a un talent fou; la musique, C’est vraiment sa passion! - A+ 4/2007: 58: les minots; les gamins; chouette; travailler comme un fou - A+ 4/2007: 70: la bouffe; cool

Der Einsatz audiolingualer Medien eignet sich auch ausgezeichnet dazu, im Unterricht

Akzente und regionale Besonderheiten vorzustellen. Zwar sind in Frankreich Dialekte weit

253 Déc. 2/2006: 68.

Page 70: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

69

weniger verbreitet als in Deutschland, dennoch gibt es regionale Variationen in der

Aussprache, vor allem im Nord-Süd-Vergleich. Daher legen sowohl À plus! als auch

Découvertes einen Schwerpunkt auf den accent du sud, wie er im Südwesten Frankreichs,

z.B. in Toulouse oder Marseille gesprochen wird und sich durch eine abweichende

Aussprache der Nasallaute (bien ähnlich wie bieng; vraiment wie vraimang), das

Mitsprechen des sonst stummen [�] , sowie ein offeneres [�]: auszeichnet.254

Nicht nur Dialekte innerhalb des Hexagons werden berücksichtigt, hinzu kommen

regionale Besonderheiten anderer europäischer frankophoner Länder (Luxemburg,

Belgien, Schweiz). Die Hörverstehensübung Je vous fais septante bises255 in Découvertes 2

befasst sich mit der Mehrsprachigkeit dieser Länder und Besonderheiten im Zahlsystem

(septante statt soixante-dix, huitante statt quatre-vingt, nonante statt quatre-vingt-dix).

Zusätzlich wirft À plus! auch einen Blick auf andere Sprachen, die auf französischem

Boden gepflegt werden, wie das Bretonische, das mit einigen Wörtern repräsentiert ist

(breizh = bretonisch, ar peulvan = le menhir, ar grampouezenn = la crêpe; ar vamm = la

mère; an tad = le père; Kenavo! = Au revoir!).256

Interessant ist, dass in den Hörverstehensübungen zwar meistens, aber nicht

ausschließlich Muttersprachler des Französischen auftreten. In Découvertes 2 werden in

einem Interview auch deutsche Touristen befragt, die in fließendem Französisch mit kaum

wahrnehmbarem Akzent antworten und damit als positives Vorbild für die Schüler

fungieren.257 Bei einem Telefongespräch zwischen einem französischen Mädchen und

dessen deutscher Austauschpartnerin ist ein stärkerer Akzent zu hören. Grammatische

Fehler begeht die deutsche Sprecherin auch in dieser Übung nicht, aber sie findet

manchmal das richtige Wort nicht sofort und muss bei ihrer französischen

Austauschpartnerin nachfragen. Durch den Ablauf des Gesprächs lernen die Schüler, dass

die Kommunikation auch funktioniert, wenn sie nicht alle Wörter kennen und dass sie sich

trauen können, in Frankreich anzurufen, auch wenn sie noch nicht perfekt Französisch

sprechen.

254 Siehe dazu folgende Hörverstehensübung: Déc. 2/2006: 27, ex. 5. Ecouter: repas de quartier; Aufgabe b: Ecrivez trois mots prononcés différemment (anders ausgesprochen) à Paris et à Toulouse. Sowie folgende Tondokumente: Déc. 2/2006: 68: Einheimische aus Toulouse: une marchande, M. et Mme Chapuis und A+ 4/2007: 70: mehrere Einheimische aus Marseille mit starkem Akzent. 255 Déc. 2/2006: 125. 256 A+ 2/2005: 96 und 110. 257 Déc. 2/2006: 101, ex. 6.

Page 71: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

70

4.6 mots familiers – umgangssprachlicher Wortschatz

Ein Französischlehrwerk umfasst im Durchschnitt 2000 bis 3500 Lexeme, die der Lerner in

den ersten drei Lehrjahren aufnehmen muss.258 Welche Vokabeln ins Lehrwerk

aufgenommen werden, richtet sich nach Kriterien wie Häufigkeit, Verbreitung,

Einsetzbarkeit etc. Die Auswahl der in die Schulbücher aufgenommenen Lexeme

orientiert sich an Wörterbüchern (z.B. LaWUF – Langenscheidts Wörterbuch der

Umgangssprache Französisch. Wörterbuch des unkonventionellen Französisch oder

Répertoire anlaytico-didactique du français parlé essentiel). In der Regel wird sich

umgangssprachliches Sprachmaterial, so man es denn einsetzen möchte, in die progressiv

aufeinander folgenden Kapitel einfügen müssen. Meißner plädiert dafür, français parlé

von Anfang an im Unterricht zu berücksichtigen.259 Er bemerkt außerdem, dass français

parlé gerade für den Fall des Französischunterrichts in der Grundschule, der ja meist einer

spielerischen Einführung gleich kommt, eine zentrale Rolle spielt, da hier weitgehend auf

geschriebene Sprache verzichtet wird.

Eine lexikalische Analyse des Cours de Base – eines der gebräuchlichsten Lehrwerke im

Schulunterricht der 1980er Jahre – ergab, dass der Kernwortschatz des français parlé –

gemeint ist ein Wortschatz, der der Norm nicht entspricht, aber eine hohe Frequenz

aufweist (je m’en fous, ras-le-bol, ah bon, aye…) – kaum im Lehrwerke vertreten war.260

Davon ausgehend ist die Kritik zahlreicher Autoren, die sich zu diesem Thema geäußert

haben, verständlich, das in den Schulen gelehrte Französisch befähige nicht zu der

geforderten kommunikativen Kompetenz, da es zu stark an die Schriftsprache, den code

écrit, angelehnt sei und den alltäglichen Sprachgebrauch zu wenig berücksichtige. Das

Fehlen bestimmter umgangssprachlicher Ausdrücke (je m’en fous, bôf, tiens, eh ben…)

erklärt Meißner mit der Ansicht der Lehrwerksautoren, diese seien für ein Schulbuch,

dessen Zielgruppe Kinder sind, nicht geeignet.261 Er beklagt, dass auch Ende der 90er

Jahre in den Lehrwerken „les réalités multiples du français parlé, ses facettes diatopiques,

diastratiques et diaphasiques, ses variétés et ses normes prescrites“262 nur unzureichend

abgebildet werden, obwohl sie Teil der französischen Alltagskultur sind. Eine Ursache für

258 Meißner 1999: 160. 259 „Le français parlé (…) doit apparaître dès le début du curriculum“ Ebd.: 161. 260 Ebd.: 156. 261 Ebd.: 156. 262 Ebd.: 156.

Page 72: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

71

die Unterrepräsentation von umgangssprachlichem Vokabular in deutschen

Französischlehrwerken sieht Meißner darin, dass man in français populaire lange sowohl

in Deutschland als auch in Frankreich nichts als eine grobe und niedere Sprachvarietät

sah. Die Debatte um verschiedene Register und die Norm des Französischen scheint sich,

laut Meißner, zum Teil mit einer Art Klassenkampf vermischt zu haben: Die einen

bestehen auf der puristischen Einhaltung einer „norme plutôt bourgeoise“263, die anderen

fordern mehr Raum für die Sprache des Volkes („le langage du peuple“264).

Die Auswahl des Wortschatzes ist in den Lehrerhandbüchern kommentiert: „Die

Vermittlung des Wortschatzes erfolgt nach thematischen Schwerpunkten und gemäß den

Erfordernissen motivierender Lektionstexte. Die Auswahl orientiert sich dabei an der

Häufigkeit und Nützlichkeit der Wendungen.“265 Entscheidendes Kriterium ist also die

Frequenz und die Anwendbarkeit und nicht etwa die Zugehörigkeit eines Wortes zum

Register des français standard oder der präskriptiven Norm der Schriftsprache. Mit

anderen Worten: Wenn ein umgangssprachlicher Begriff, z.B. truc, aufgrund seiner hohen

Frequenz im Alltag durchaus nützlich ist, rechtfertigt das seine Aufnahme ins Lehrwerk.

Die Lehrwerke unterscheiden, wie dies in der didaktischen Diskussion gefordert wird,

zwischen einem „produktiven (aktiven) Lernwortschatz“266 und einem „rezeptiven

(passiven) Wortschatz“.267 Der aktiv zu beherrschende Wortschatz wird in den

obligatorischen Lektionen vermittelt, Wortschatz, der nur zum Verständnis dient,

begegnet den Schülern vor allem in optionalen Lehrwerksteilen.

Der Vokabelteil von Découvertes und À plus!, der sich jeweils am Ende des Lehrbuchs

befindet, umfasst einen lektionsbegleitenden und einen alphabetisch geordneten Teil.

Ersterer ist dreispaltig – Französisch, Deutsch, Beispielsatz oder Worterklärung –

gegliedert. Dort finden sich Illustrationen, Hilfen zur Konjugation sowie ab und an

landeskundliche Informationen eingestreut.268 Der alphabetische Teil – liste des mots

bzw. petit dictionnaire überschrieben, ist einmal deutsch-französisch, einmal französisch-

deutsch aufgebaut und kann wie ein Wörterbuch benutzt werden. Im Folgenden soll

untersucht werden, ob Wörter oder Redewendungen des français familier und parlé in

263 Meißner 1999: 157. 264 Ebd.: 157. 265 Déc.2 LB 2006: 6. 266 Ebd.: 6. 267 Ebd.: 6. 268 Bei Découvertes sind diese Kästen mit En France betitelt.

Page 73: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

72

den beiden Lehrwerksreihen vorkommen und vor allem inwiefern diese kenntlich

gemacht werden. Berücksichtigt werden dabei sowohl der lektionsbegleitende, als auch

der alphabetisch geordnete Vokabelteil.

Hinsichtlich der ersten Frage lässt sich eindeutig bestimmen, dass français familier und

français parlé durchaus in den Lehrwerken vertreten sind, was vor allem für die

Tonaufnahmen der Lehrer- und Schüler-CDs gilt und was der Dialogcharakter der

Lektionstexte sowie der große Anteil an mündlichen Übungsformen auch nahe legen. Die

Analyse der Redemittel in den Rubriken on dit… und Qu’est-ce qu’on dit hat außerdem

bereits eine hohe Dichte an Ausdrücken des français familier aufgezeigt. Kann man daher

von Registervielfalt im Lehrwerk sprechen? Im Lehrerbuch von Découvertes heißt es dazu:

„Sprachlich orientiert sich das Lehrwerk am français standard. Gelegentlich werden

Registerunterschiede zum français familier und zur Jugendsprache thematisiert.“269 Im

Lehrerbuch von À plus! werden zur Registerwahl keine Angaben gemacht. Wie aus

obigem Zitat schon ersichtlich wird, sind keineswegs alle Register vertreten.

Ausgangspunkt ist und bleibt das français standard, daneben werden mit français familier

und der Jugendsprache zwei Substandardregister erwähnt. Andere Register, wie das

français vulgaire und populaire werden weitgehend ausgeklammert bzw. nicht explizit

erwähnt. Tatsächlich finden sich diese im Gegensatz zu den Dialekten nicht im

Lehrwerk270. Verlan und Jugendsprache treten stellenweise auf.271 Chat- und SMS-

Sprache272 mit ihren Kürzeln und Symbolen kommen nicht vor, obwohl sie einen nicht zu

vernachlässigenden Anteil an den Kommunikationsgewohnheiten der französischen

Jugendlichen haben. Sehr gehobene Stilebenen, wie français littéraire/soigné/cherché

haben einen vergleichsweise geringen Anteil.

Zur Verteilung auf die einzelnen Schuljahre und Lektionen lässt sich sagen, dass français

familier und parlé von Anfang an in nahezu allen Lektionen beinhaltet ist. Eine Ausnahme

bilden die Lektionen, die sich mit geschichtlichen oder politischen Themen befassen, da

269 Déc.2 LB 2006: 5. 270 Einschränkend sei hier angemerkt, dass das français populaire einen großen Einfluss auf das français familier hatte und für manche Wörter und Phänomene nicht klar bestimmt werden kann, ob sie populaire oder familier sind. 271 z.B. A+ 4/2007 cc: 64. 272 In Déc. 2/2006: 84, ex. 9. findet sich ein Beispiel für SMS-Sprache (A KL EUR TU VIENS CHE MOI? JE T’M. BIZ. MA), das allerdings mehr illustrierenden Charakter hat, da es in der Themenstellung der Übung nicht direkt aufgegriffen wird.

Page 74: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

73

hier – anders als im überwiegenden Teil des Lehrbuches – nicht der Alltag der

Jugendlichen im Zentrum steht. Die meisten mots familiers sind thematisch den

Bereichen Schule, Familie, Alltagsleben zuzuordnen oder sind mit bestimmten

Sprechanlässen, z.B. seine Gefühle ausdrücken, verbunden.

4.6.1 Kennzeichnung von mots familiers in den Lehrwerken

Wenn also feststeht, dass français familier und parlé Bestandteil der Lehrwerke sind,

bleibt noch die Frage zu klären, inwiefern diese Register gekennzeichnet werden, um dem

Schüler anzuzeigen, dass hier eine Abweichung vom Standard vorliegt. Eine gute

Möglichkeit, um vom Standard abweichende Wörter und Wendungen anzuzeigen, ist ihre

Kenntlichmachung durch den Zusatz fam. für familier. In den folgenden Kapiteln werden

sowohl der lektionsbegleitende, als auch der alphabetisch geordnete Vokabelteil der

beiden Lehrwerke hinsichtlich einer Markierung umgangssprachlicher oder

nichtstandardsprachlicher Wörter untersucht.

4.6.1.1 À plus!: Liste des mots

Zwar wird die eben beschriebene Methode im lektionsbegleitenden Vokabelteil von À

plus!273 umgesetzt, allerdings nicht einheitlich durchgehalten. Nicht alle mots familiers

werden auch als solche ausgewiesen, wie die Auswahl der nachfolgenden Beispiele

verdeutlicht. Obwohl traîner, bavarder und causer ebenso sehr als familier einzuordnen

sind wie bouger oder ringard, findet sich bei ihnen nicht der Zusatz fam. .

se bouger fam. – sich bewegen, aktiv werden274 trainer – herumtrödeln le self fam. – hier : die Schulkantine bavarder – schwatzen, plaudern, quatschen pas mal de fam. – hier: ziemlich viel, ganz schön viel

causer – sich unterhalten, plaudern le boulot fam. – die Arbeit, der Job

ringard adj. fam. – altmodisch

273 Zugrundegelegt wurde für den lektionsbegleitenden Teil À plus! 4 cycle court. 274 Das Schriftbild der Beispiele ist an das Vokabelverzeichnis der Lehrwerke angelehnt.

Page 75: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

74

Im Verlauf der Dossiers lernen die Schüler auch eine Reihe idiomatischer (Rede-)

Wendungen kennen. Viele dieser Phrasen sind umgangssprachlich, sie werden jedoch nur

zum Teil mit dem Zusatz fam. versehen, wobei kein System erkennbar wird.

avoir le cafard – deprimiert sein donner un coup de pouce à qn – jdm helfen, jdm zur Hand gehen C’est la galère fam. = Das ist der Horror ! Ça vaut le coup. fam. – Das lohnt sich ! en avoir marre (de qn/qc) fam. – die Nase voll haben (von jdm/etw.), es satt haben le coup de foudre – Liebe auf den ersten Blick C’est une tête. – Er/Sie ist ein Überflieger. Ça fait clown. – Das ist lächerlich.

4.6.1.2 À plus!: petit dictionnaire allemand-français und liste alphabétique des mots

Im deutsch-französischen Teil erfolgt der Hinweis auf den umgangssprachlichen Charakter

des Wortes ebenfalls durch die Markierung fam. und es wird – soweit vorhanden – auch

die standardsprachliche Alternative angegeben. Die Reihenfolge ist nicht festgelegt, d.h.

manchmal wird das mot familier vor, manchmal nach dem Standardwort gedruckt. Einige

Beispiele dazu:

Comic la bédé fam. ou: la bande dessinéee ou : la BD cool cool m./f. adj. fam. Ferienlager la colo fam. ou: la colonie de vacances Fernseher la télé fam. ou: la télévision Junge le garçon ; le type fam. Jugendliche/r l’ado m./f. fam. ou: l’adolescent/e ; le/la jeune Kino le cinéma ou: le ciné fam. Klassenarbeit l’interro fam. ou: l’interrogation f. Mann l’homme m. ; le type fam.

Einige wenige Wörter (z.B. Mathe les maths f.pl.), die bereits im Deutschen abgekürzt

angegeben sind, werden nicht als familier gekennzeichnet, obwohl sie genau genommen

ebenfalls in dieses Register gehören.

Selbiges gilt auch für Wendungen aus der gesprochenen Sprache. Die Autoren des

Lehrwerks vertrauen wohl darauf, dass die Schüler den Ausdruck im Deutschen eindeutig

als umgangssprachlich sehen und diese Einordnung auf das Französische übertragen

können, denn sie verzichten auf den Zusatz fam.

Page 76: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

75

Ach, komm! Allez! Ach, lass doch! Laisse tomber! Bis später! À plus!275 Das ist blöd! C’est nul! Das kannst du vergessen! C’est pas le pied! Das passt ja! Ça tombe bien! dummes Zeug! n’importe quoi! Na und? Et alors? O je! Oh, là, là! Zeig her! Fais voir!

Auch Pausenzeichen, die typisch für das français parlé sind, werden aufgeführt:

äh Füllwort am Satzanfang ben

Generell lässt sich feststellen, dass die Kennzeichnung fam. nicht konsequent

durchgehalten wird, was an folgendem Beispiel deutlich wird:

Ding le truc fam. Dingsbums Machinchose; Dingsda Machinchose

Zwar ist davon auszugehen, dass einem deutschen Sprachlerner klar sein wird, dass

Dingsbums umgangssprachlich ist, und dass er daraus schließen wird, Machinchose sei

ebenfalls einem Substandardregister zuzuordnen, dies ist allerdings kein Grund, auf den

Zusatz fam. zu verzichten, zumal die Übertragung �deutsches Wort = umgangssprachlich

französisches Wort = familier’ kein stringentes Schema bildet.

Dieselbe Inkonsequenz bei der Markierung umgangssprachlicher Wörter und

Wendungen, die für den deutsch-französischen Teil zu vermerken ist, lässt sich auch für

den französisch-deutschen Teil konstatieren. Wie unsystematisch, ja geradezu unlogisch

die Kennzeichnung erfolgt, zeigt sich beispielsweise daran, dass die Abschiedsformel

À plus! fam. – Bis später!

im vierten Band durch fam. gekennzeichnet wird, in Band 2 aber nicht. Wenig schlüssig

erscheint auch, dass die Aufforderung Allez hop! nicht gekennzeichnet wird, Allez!

hingegen schon.

Allez hop! Los! Allez! fam. Ach komm!

275 Eigentlich: À plus tard!

Page 77: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

76

4.6.1.3 Découvertes: Vocabulaire

Im lektionsbegleitenden Wortschatz von Découvertes276 setzt man ebenfalls auf die

Kennzeichnung durch (fam.), zusätzlich ist auf der deutschen Seite der Vermerk (ugs.) zu

finden, der bei À plus! nicht gesetzt wird. Ebenso wenig wie in der Cornelsen-Reihe ist bei

der Klett-Reihe die Kennzeichnung durchgängig eingehalten. Es ist nicht einsichtig, warum

die Adjektive chic und branché nicht auch, wie ringard, als (fam.) ausgewiesen werden,

oder warum bei la colle in der Bedeutung das Nachsitzen auf den Zusatz (fam.) verzichtet

wird, gerade weil das Wort doch wohl häufiger in der Standardbedeutung der Kleber

vorkommt.

la colle – das Nachsitzen s’habiller chic/branché(e) – sich schick/topmodern anziehen/kleiden ringard/ringarde (fam.) – altmodisch In Découvertes finden sich auch eine ganze Reihe an Anglizismen und Internationalismen,

die die Schüler größtenteils sofort verstehen, weil sie auch im Deutschen gebräuchlich

sind. Der Vollständigkeit halber sind diese jedoch trotzdem im Vokabelteil angeführt,

wobei in manchen Fällen (z.B. Babysitting, Job) weder ein französisches noch ein

deutsches Pendant für den Anglizismus angegeben wird. Die Bezeichnung baba ist zwar

kein echter Anglizismus, passt jedoch trotzdem in diese Reihe, da auch die längere

Variante baba cool sehr gebräuchlich ist. Die deutsche Übersetzung ein Alternativler/eine

Alternativlerin ist unglücklich gewählt, da in der Umgangssprache weit weniger verbreitet

als das Wort Hippie, das sich auch in manchen deutsch-französischen Wörterbüchern als

Entsprechung findet. Warum gerade hier ein deutscher Ausdruck gesucht wurde, ist

rätselhaft, zumal sich an anderer Stelle deutsche Entsprechungen ebenso sehr anbieten

würden, wie z.B. Babysitting – Kinderbetreuung.

look – das Aussehen, der Look, die Aufmachung un baba/une baba – ein Alternativler/eine Alternativlerin une girly – ein Girlie le shopping – der Einkaufsbummel le baby-sitting – das Babysitting un job (fam.) – ein Job (ugs.) surfer = faire du surf – surfen

276 Zugrunde gelegt ist hier Déc. 4/2007.

Page 78: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

77

Wenn mots familiers in einer Leçon neu eingeführt werden, findet sich im dazugehörigen

Vokabelteil häufig die Angabe des synonymen Standardwortes. Die Anknüpfung an

bereits bekannte gleichbedeutende Wörter kann das Einspeichern der neuen Wörter

erleichtern und gleichzeitig das Bewusstsein für unterschiedliche stilistische Register

schulen.

des fringues (f.,pl.) (fam.) = des vêtements – Klamotten (ugs.) un truc (fam.) = une chose – ein Ding, eine Sache un boulot (fam.) = un travail, un job (fam.) – ein Job (ugs.) bosser (fam.) = travailler dur – schuften (ugs.) un exo (fam.) = un exercice – eine Übung; (hier) eine (Haus-)Aufgabe (ugs.)

Zum Teil wird statt des mot familier der längere Standardausdruck zuerst angegeben, es

erfolgt dann aber der Hinweis auf die im Alltag häufiger anzutreffende Abkürzung.

un pull-over Abk. un pull – ein Pullover un curriculum vitae Abk. un CV – ein Lebenslauf un frigidaire Abk. un frigo – ein Kühlschrank

Wie À plus! so macht auch Découvertes die Schüler mit vielen festen Wendungen und

Redensarten bekannt. Auch hier ist die Kennzeichnung lückenhaft. Der Ausdruck

N’importe quoi! wird in Frankreich von erwachsenen Sprechern oft als unhöflich

empfunden, die Setzung (fam.) wäre daher sinnvoll. Der Ausruf Chapeau! hingegen ist mit

(fam.) gekennzeichnet, obwohl er gesellschaftlich weitaus akzeptierter ist. Auch für die

Wendung Ça y est! böte sich der Hinweis (fam.) an. Zwar wirkt sie nicht unhöflich, ist aber

primär im mündlichen Sprachgebrauch anzutreffen und würde in der Schriftsprache

deplaziert wirken.

Chapeau! (fam.) – Hut ab! Alle Achtung! (ugs.) Ça y est! – Das wär’s!, Geschafft! N’importe quoi! – So ein Quatsch! s’en faire – sich Sorgen machen casser la figure (fam.) – jdm. die Visage polieren (ugs.) schon vulgär

avoir un poil dans la main (fam.) – auf der faulen Haut liegen (ugs.) casser les pieds à qn (fam.) – jdm. auf den Wecker fallen (ugs.) poser un lapin à qn (fam.) – jdn. versetzen (ugs.) ne pas être dans son assiette (fam.) – nicht auf dem Damm sein (ugs.) une poule mouillée (fam.) – ein Angsthase (ugs.) Die Uneinheitlichkeit der Markierung kann bei den Schülern für Verwirrung sorgen, wenn

z.B. für eine französische expression familière im Deutschen sowohl eine

umgangssprachliche Redensart, als auch eine standardsprachliche Übersetzung

Page 79: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

78

angegeben wird, wie bei tomber dans les pommes (fam.) – aus den Socken kippen (ugs.);

in Ohnmacht fallen277.

Eingebettet in den lektionsbegleitenden Vokabelteil findet sich im vierten Band ein

Révisions-Kasten, der sich der langue des jeunes besonders annimmt. Er ist vergleichbar

mit der Qu’est-ce qu’on dit?-Einheit aus dem vierten Band von À plus!, die auf einer

Gegenüberstellung von français familier/code oral und français standard/code écrit

basiert.278 Dieser Révisions-Kasten beginnt mit einer kurzen Einleitung, in der darauf

hingewiesen wir, dass bestimmte Wörter „fast nur von Jugendlichen benutzt werden,

während Erwachsene dafür andere Begriffe verwenden“279. Als Beispiele werden un pote

– un copain, les fringues – les vêtements, dingue – fou und un boulot – un travail

aufgezählt. Danach ist der Révisions-Kasten dreispaltig aufgebaut: In der ersten Spalte

wird ein Merkmal der Jugendsprache genannt, in der zweiten mit einem Beispiel gestützt

und in der dritten zum Vergleich die Entsprechung der Erwachsenen- bzw.

Standardsprache genannt. Ein Großteil der Besonderheiten, die hier als charakteristisch

für die Sprache von Jugendlichen genannt werden, lässt sich ebenso für français familier

oder parlé konstatieren.

• Das Verschlucken von Vokalen

• Das Wegfallen des Verneinungspartikels ne

• Das Abkürzen von Wörtern

• Die Verwendung von Anglizismen

• Das Vertauschen einzelner Silben (Verlan)

• Die Verwendung von „Mode“-Wörtern wie hyper, cool, …

4.6.1.4 Découvertes: liste des mots und Wortliste

Selbstverständlich findet sich auch im alphabetisch geordneten Vokabelteil an vielen

Stellen die Kennzeichnung (fam.), jedoch wieder nicht bei allen Ausdrücken, die diese

277 Klarer wäre es, für in Ohnmacht fallen, ohnmächtig werden auch s’évanouir mit einzuführen. 278 A+ 4/ 2007 cc: 68. 279 Déc. 4/2007: 135.

Page 80: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

79

verdient hätten.280 Die Inkonsequenz der Kenntlichmachung zeigt sich z.B. daran, dass

une bise mit (fam.) versehen wir, un bisou jedoch nicht, obwohl bisou mindestens

genauso umgangssprachlich ist wie bise. Warum bei der Wendung faire la bise à qn - jdn.

mit Wangenkuss begrüßen/verabschieden die deutsche Seite mit dem Hinweis (ugs.)

versehen ist, darf man zu Recht fragen, denn die Formulierung ist keineswegs

umgangssprachlich, ebensowenig wie das Wort Kuss, das als Entsprechung für bise

angegeben wird, wo doch Bussi dem französischen mot familier näher kommen würde.

une bise (fam.) ein Kuss (ugs.) faire la bise à qn jdn. mit Wangenkuss begrüßen, jdn. mit Wangenkuss verabschieden (ugs.) un bisou ein Küsschen

Unverständlich ist auch, dass Oma als umgangssprachlich markiert wird, Mutti aber nicht.

maman (f.) Mama, Mutti mamie (f.) (fam.) Oma (ugs.) Wenig einleuchtend ist der Umstand, dass bisweilen im Französischen nur der

Standardausdruck (manifestation) genannt wird, im Deutschen allerdings auch eine

umgangssprachliche Abkürzung (Demo). Zumal wenn wie im untenstehenden Beispiel die

französische Abkürzung (manif) ebenfalls gebräuchlich ist und nach demselben

Wortbildungsmuster (Weglassen der letzten Silben) entsteht wie das Deutsche.

une manifestation eine Demonstration, eine Demo (ugs.) Warum für Demo der Zusatz (ugs.) gesetzt wird und für photo – Foto nicht, bleibt unklar,

da es sich doch in beiden Fällen um eine Abkürzung handelt.

une photo ein Foto une photographie eine Fotografie Unter allen Wörtern und Ausdrücken, die in Découvertes mit (fam.) markiert sind, finden

sich viele, die Sondersprachen wie dem Argot, Verlan oder der Jugendsprache

zuzurechnen sind. Natürlich sind die Grenzen zwischen langage familier und diesen

Sondersprachen fließend. Die Auswahl an Verlan-Wörtern im Lehrwerk ist sehr begrenzt

und beschränkt sich auf Ausdrücke, die in der täglichen Umgangssprache stark verbreitet

sind, wie die verlanisierten Formen von homme und arabe:

280 In diesem Abschnitt wird hauptsächlich auf die Wörter und Ausdrücke eingegangen, die im lektionsbegleitenden Teil noch nicht angesprochen wurden, weil sie beispielsweise schon vor Band 4 durchgenommen wurden.

Page 81: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

80

un mec (fam.) ein Kerl (ugs.), un beurre/une beur(ette) (fam.) ein „Beur“/eine „Beur“ (ugs.)

Typische Argot-Ausdrücke finden sich ebenso selten.

un baratineur/une baratineuse (fam.) ein Schwätzer, eine Quasselstrippe (ugs.) draguer qn (fam.) jdn. anbaggern, jdn. anmachen (ugs.) Stärker repräsentiert ist die Jugendsprache, was sich durch die starke Ausrichtung der

Lehrwerke an der Zielgruppe Schüler quasi von selbst erklärt. Nicht immer sind die

französischen Begriffe nur ins Deutsche übersetzt, zum Teil wird auf Anglizismen

zurückgegriffen, die sich im deutschen Sprachraum etabliert haben. Wie im Falle von

branché, für das sich allerdings auch das deutsche Adjektiv angesagt anböte.

branché/branchée (fam.) „in“, „up to date“ (ugs.) Der starke Einfluss der englischen Sprache macht sich aber auch auf französischer Seite

bemerkbar, etwa in folgendem Ausdruck, der sich vom englischen Substantiv flash - Blitz

herleitet und in der französischen Wendung coup de foudre eine sinngemäße

Entsprechung hat.

flasher sur qn (fam.) auf jdn./etw. abfahren (ugs.) Daneben finden sich eine Reihe Adjektive, die vor allem von Jugendlichen gebraucht

werden. Hierbei sticht einmal mehr die Unregelmäßigkeit der Kennzeichnung durch (fam.)

bzw. (ugs.) ins Auge. So fehlt die Markierung z.B. bei chouette völlig, bei gothique nur auf

französischer Seite. Canon ist als invariables Adjektiv nur einmal abgedruckt, obwohl alle

anderen invariablen Formen doppelt angeführt werden.281

canon (inv.) (fam.) abgefahren (ugs.) chouette/chouette nett, toll dingue/dingue (fam.) bekloppt (ugs.) gothique/gothique „gothic“, grufti (ugs.) Als typisches Merkmal des français parlé bzw. der gesprochenen Sprache im Allgemeinen

wurden neben Wortwiederholungen, segmentierten Sätzen, Übertreibungen etc. auch

das Setzen von Pausen genannt.282 Es wurde zwischen leeren und gefüllten Pausen

unterschieden und darauf hingewiesen, dass diese Pausen in jeder Sprache anders

ausgefüllt werden. Die untenstehende Liste bietet eine Auswahl an Ausdrücken und 281 Sieh auch folgendes Beispiel: chic/chic (inv.) schick. 282 Siehe dazu Kapitel 2.5 Charakteristika des français familier und parlé.

Page 82: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

81

Ausrufen aus der Découvertes-Wortschatzliste, die typischerweise nur in mündlichen

Kommunikationssituationen verwendet werden. Dass an einigen Stellen (z.B. Bof!) der

Hinweis (fam.) bzw. (ugs.) nur in einer Sprache gesetzt wird, zeugt angesichts der

Häufigkeit solcher Fälle nicht gerade von großer Sorgfalt. Über die Höflichkeit bestimmter

Floskeln ist zu diskutieren. So ist die Nachfrage Comment? – (Wie) bitte? dem

Gesprächspartner gegenüber deutlich respektvoller als das hier angebotene Quoi? –

Was?, ohne zu gehoben für den Einsatz in Alltagssituationen zu sein.

Ah bon? Ach ja?, Wirklich? Beurk! (fam.) Igitt! (ugs.) Bof! Na ja!, Ach! (ugs.) Ça alors! Na sowas! Ça y est! Das wär’s!, Geschafft! euh… äh… (Ausdruck des Zögerns) Chut! Pst! hop schwupp Hein? (fam.) Wie? (ugs.) …, hein? …ja?, …nicht wahr? Ouf! Uff! Quoi? Was?

Die Frage nach der Angemessenheit bestimmter Ausdrücke stellt sich auch an anderer

Stelle. Die Beispiele, die sich für Schimpfwörter und stark expressive Ausdrücke finden

ließen, waren alle markiert.

La vache! (fam.) Donnerwetter! (ugs.) Zut! (fam.) Mist! (ugs.) crade/crade (fam.) – versifft (ugs.)

Je m’en fous (fam.) Das ist mir schnuppe! (ugs.) Jedoch ist die Einordnung einiger Ausdrücke wie Je m’en fous oder crade ins registre

familier kritisch zu sehen, da sie im Grunde schon dem français vulgaire zuneigen. Die

Verwendung des Kürzels (fam.) sowohl bei harmlosen, allgemein akzeptierten Wörtern

(z.B. Salut!, les maths, une bise) als auch bei tabuisierten Ausdrücken wie Je m’en fous! ist

äußerst problematisch, da der Lerner sich dadurch nicht bewusst wird, wie schockierend

es wirken kann, wenn er solche Ausdrücke verwendet. Eventuell kann er durch eine

adäquate deutsche Übersetzung abschätzen, wie stark das französische Wort wirkt. So ist

das deutsche Adjektiv versifft schon vulgär, als umgangssprachliche Alternative wäre

schmuddelig passender. Wenn allerdings ein sexuell konnotierter Ausdruck wie Je m’en

fous! mit einem harmlosen Das ist mir schnuppe! übersetzt wird, ist dies weit

Page 83: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

82

untertrieben und für den Schüler eher irreführend, denn eine wirkliche Hilfe. Zweifelsfrei

sind auch Schimpfwörter und tabuisierte Ausdrücke Teil der Alltags- und

Umgangssprache, ob daraus allerdings ohne Einschränkung ihre Eignung für die

Vermittlung im Fremdsprachenunterricht abgeleitet werden darf, sei an dieser Stelle

dahingestellt.

4.6.2 Vergleich von À plus! und Découvertes

Bei einem Vergleich von Découvertes mit À plus! wird deutlich, dass die beiden Lehrwerke

hinsichtlich der Einführung und Kennzeichnung von mots familiers – wie zu erwarten –

nicht deckungsgleich sind. In À plus! fand sich beispielsweise bei dem Lemma adolescent

auch die abgekürzte Form ado, die in Découvertes nicht aufgeführt wird, obwohl sie in

Frankreich sehr gebräuchlich ist und den Schüler keinen zusätzlichen Lernaufwand

bereiten würde. Die Abkürzung les maths wird in À plus! nicht als familier markiert, in

Découvertes hingegen schon.

4.6.3 Prozentualer Anteil der mots familiers am Gesamtwortschatz

Der prozentuale Anteil der mots familiers am Gesamtwortschatz ist aus mehreren

Gründen äußerst schwierig zu ermitteln. Zum einen ergibt sich ein Problem hinsichtlich

der Gesamtmenge der Vokabeln, die man für die Berechnung zu Grunde legen könnte, da

in beiden Lehrwerken zwischen fakultativem und obligatorischem Wortschatz

unterschieden wird. Gerade in den nicht verpflichtenden Einheiten, ist mit mots familiers

zu rechnen, da diese oft auf authentischen Texten oder Chansons basieren. Außerdem sei

an die Aufspaltung von À plus! in cycle court und cycle long erinnert. Es müsste daher

zunächst festgelegt werden, welcher Band als abschließender Stand des Wortschatzes

gelten soll. Diese Schwierigkeiten wären jedoch noch relativ einfach zu lösen im Vergleich

zu dem zweiten Problem, das einer Prozentangabe der mots familiers entgegensteht. Im

Zuge der Vorstellung der einzelnen Varietäten und Register des Französischen in Kapitel

2.3 wurde bereits darauf hingewiesen, wie strittig die Frage ist, was als français standard

Page 84: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

83

gelten dürfe, und dass die Übergänge zwischen den einzelnen stilistischen Registern

(vulgaire, populaire, familier, courant, standard, soigné, littéraire) häufig fließend sind.

Jedoch kann der Substandard – zu dem das français familier und mit Einschränkung auch

das français parlé zählen – nur in Abgrenzung zu einer festgelegten Norm bestimmt

werden. Zuletzt ließe eine prozentuale Angabe allein noch keine endgültige Entscheidung

über den Stellenwert des français familier und français parlé in den Lehrwerken zu, da

dieser nicht nur vom Vorhandensein umgangssprachlicher Wörter abhängig gemacht

werden kann, sondern auch vom Auftreten besonderer grammatischer Strukturen und

anderer Merkmale, die für die gesprochene Sprache typisch sind (z.B. segmentierter Satz,

Ellipsen, Pausen, Dehnung, Übertreibung, Redundanz…).

4.7 Fazit

„Die Vermittlung eines authentischen, an realen Kommunikationssituationen orientierten

Französisch ist Ziel des Lehrwerks“283. Dieses Zitat darf wohl als Leitgedanke beider

untersuchter Lehrwerke gelten. Doch wird dieses Ziel auch erreicht? Die Analyse der

Reihen Découvertes und À plus! lässt als Antwort ein �Ja – soweit dies möglich ist’ zu.

Denn natürlich wird das progressive Sprachlernen mittels eines Lehrwerks im

Schulunterricht nie dem ungesteuerten und gleichzeitig umfassenderen Spracherwerb im

Mutterland gleichkommen.

Dennoch können beide Lehrwerke ihren Anspruch auf Authentizität und

Alltagstauglichkeit aufrecht erhalten, indem sie der mündlichen Kommunikation einen

hohen Stellenwert einräumen und sich dabei nicht strikt an die präskriptive Norm

klammern, sondern auch dem français familier und parlé einen nicht unbedeutenden

Platz zugestehen. Die Ausrichtung auf die Förderung kommunikativer Kompetenzen zeigt

sich an dem hohen Anteil mündlicher Übungsformen, vielen Hörtexten mit

Originalsprechern und der systematischen Vermittlung von Redemitteln, die dem Lerner

an die Hand gegeben werden, um in vielfältigen Kommunikationssituationen spontan und

angemessen reagieren zu können.

283 Déc.2 LB 2006: 3.

Page 85: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

84

Selbstverständlich ist und bleibt das français standard die Basis für die Sprache, die

gelehrt wird. Um jedoch ein realistisches und aktuelles Bild der französischen Sprache zu

vermitteln, darf sich der Schulunterricht nicht auf das français standard beschränken.

Daher werden unterschiedliche diatopische, diastratische und diaphasische Varietäten

und stilistische Register mit einbezogen. Dabei nehmen français courant, familier und

parlé eine wichtige Stellung ein. Literarische Sprache findet sich ebenso wie extreme

Jugendsprache oder Vulgärausdrücke vergleichsweise selten. Als regionale Ausprägung

des Französischen ist in Découvertes und À plus! vor allem der accent du sud

berücksichtigt, der für Toulouse und Marseille typisch ist.

In der didaktischen Sekundärliteratur wird immer wieder unterstrichen, dass es nicht

damit getan ist, den Sprachlerner einfach mit verschiedenen Registern in Kontakt zu

bringen, sondern dass dieser auch dafür sensibilisiert werden muss, in welchen

Situationen er welche Register anwenden kann. Ein Bewusstsein für stilistische

Unterschiede ist daher nötig. In den vorliegenden Lehrwerken wird versucht dies zu

erreichen, indem man Ausdrücke und Einzelwörter, die vom Standard abweichen,

kennzeichnet. Dafür werden die Kürzel fam. für familier und ugs. für umgangssprachlich

verwendet.284 Dieses Vorgehen darf als guter Ansatz gewertet werden, weist jedoch

leider einige Mängel auf, die hauptsächlich auf Lückenhaftigkeit und Unregelmäßigkeit

der Kennzeichnung zurückgeführt werden können. Oft findet sich die Markierung fam.

bzw. ugs. nur in einer Sprache, oder entweder nur im lektionsbegleitenden oder im

alphabetisch geordneten Vokabelteil. Problematisch ist auch, dass die Lehrwerke das

Kürzel fam. als Markierung für durchaus unterschiedliche Register285 einsetzen und nicht

weiter differenzieren.

Kurz gesagt: Es ist gut und sinnvoll, dass in den Lehrwerken verschiedene Register

berücksichtigt werden, denn nur so kann ein authentisches und lebendiges Bild des

heutigen Französisch vermittelt werden. Die Umsetzung kann jedoch noch verbessert

werden, z.B. durch die Behebung der aufgezeigten Mängel in der Kennzeichnung von

mots et expressions familiers. Nur so kann es gelingen, den Schülern ein Bewusstsein für

stilistische Unterschiede schon von Anfang an zu vermitteln.

284 Der Zusatz ugs. in der Spalte mit den deutschen Vokabeln findet sich nur in Découvertes. 285 So wird z.B. Salut! und Je m’en fous! beides mit fam. versehen, obwohl zweiteres eher vulgaire als familier ist.

Page 86: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

85

5 Unterrichtsgespräch in einer 11. Klasse zum Thema Registervielfalt im

Französischunterricht

5.1 Darstellung des Gesprächsverlaufes

Im Rahmen dieser Arbeit wurde am 19.03.2010 am naturwissenschaftlich-

technologischen und sprachlichen Kaspar-Zeuß-Gymnasium in Kronach ein 45-minütiges

Unterrichtsgespräch mit Französischlernern in der Oberstufe geführt. Ziel dessen war es,

mehr darüber zu erfahren, was Schüler, die bereits seit mehreren Jahren Französisch

lernen, über die Themen mündliche Arbeitsformen im Unterricht, Einsatz authentischer

Materialien, français familier, Verlan, Argot und Jugendsprache als Unterrichtsgegenstand

im Besonderen, sowie den Unterrichtsverlauf und ihre Motivation, sich mit der

französischen Sprache zu beschäftigen, im Allgemeinen zu sagen haben. Die Schüler sind

der erste Jahrgang des G8 und damit zwischen 16 und 18 Jahren alt. Insgesamt nahmen

15 Schüler am Gespräch teil, davon 14 Mädchen und ein Junge. Vier Schüler hatten in der

progressiven Phase vor der Oberstufe mit der Découvertes-Reihe gearbeitet, die anderen

mit Cours Intensif.

Nach einer kurzen Vorstellung des Themas der vorliegenden Arbeit wurden die Schüler als

erstes danach gefragt, aus welchen Gründen sie Französisch als Unterrichtsfach gewählt

hatten. Eine Schülerin meinte, sie fände die Sprache schön, eine weitere begründete ihre

Wahl damit, dass man Französisch – anders als Latein – wenigstens sprechen könne.

Einige Schüler hatten sich für Französisch entschieden, weil ihnen die Alternative

(Chemie) weniger zugesagt habe.

Als zweites sollten die Schüler Situationen und Gelegenheiten außerhalb des

Französischunterrichts nennen, bei denen sie ihre Französischkenntnisse einsetzen

konnten. Eine Schülerin berichtete, dass in Spielfilmen – ihr Beispiel war Illuminati –

manchmal französische Sätze vorkommen, diese aber immer untertitelt seien. Von

mehreren Schülern wurden Aufenthalte in Frankreich als Gelegenheit genannt,

Französisch aktiv zu nutzen, sowie das Berufsleben. Alle waren sich darin einig, dass das

Sprechen die wichtigste Kompetenz darstelle, danach käme ihrer Ansicht nach das

verstehende Hören.

Page 87: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

86

Die Frage, ob sie schon einmal Kontakt zu Muttersprachlern hatten, wurde mit einem

einstimmigen Ja beantwortet. Bis auf eine Person waren alle schon in Frankreich, viele im

Rahmen einer Klassenfahrt nach Paris, andere auch bei anderen außerschulischen

Gelegenheiten, wie Reisen, die von einer Städtepartnerschaft organisiert wurden.

Danach gefragt, ob es schwierig war, sich mit den Muttersprachlern zu verständigen,

meinten die Schüler, das hinge sehr vom Sprechtempo des Gesprächspartners ab. Die

Frage, ob sie den Eindruck hätten, die „realen“ Franzosen würden so sprechen wie die

Figuren im Schulbuch, verneinten die Schüler entschieden und erklärten, dass die

Franzosen, mit denen sie sich unterhalten hätten, viele Endungen und Silben

verschluckten.

Als nächstes sollten sich die Schüler dazu äußern, ob der Französischunterricht sie ihrer

Meinung nach gut darauf vorbereite, Gespräche auf Französisch zu führen. Hierauf wurde

berichtet, dass der überwiegende Teil des Unterrichts mündlich ablaufe, was alle Schüler

als positiv empfanden und als gute Vorbereitung für Gesprächssituationen werteten. Alle

betonten, dass mündliche Kompetenzen für sie wichtiger seien als schriftliche. Durch

Übungsformen wie monologue minute und jeux de rôle fühlten sich die Schüler gut darauf

vorbereitet, Französisch zu sprechen.

Die Möglichkeit eine Schulaufgabe auch mündlich abzuleisten, wurde von allen Schülern

als positiv bewertet. In der neunten Klasse sei dies bereits einmal durchgeführt worden.

Im nächsten Jahr, in der 12. Jahrgangsstufe, werde noch eine mündliche Klausur auf sie

zukommen. Die mündliche Prüfungsform wurde vor allem deshalb befürwortet, weil die

Noten deutlich besser ausfielen. Die Schüler lobten, dass die mündliche Schulaufgabe im

Unterricht gezielt vorbereitet worden sei, z.B. durch jeux de rôle und monologue minute,

die dann auch Teil der Prüfung gewesen seien. Als hilfreich wurde auch empfunden, dass

die Partner für das Rollenspiel bereits im Vorfeld festgelegt wurden und sich zum Üben

außerhalb des Unterrichts treffen konnten.

Hinsichtlich der Unterschiede zwischen Schriftsprache und gesprochener Sprache

erzählten mehrere Schüler, dass in von ihnen angefertigten Texten häufig bestimmte

Ausdrücke als umgangssprachlich unterringelt würden. Als einziges Beispiel wurde von

einer Schülerin comme ça genannt, woraufhin andere ihr beipflichteten. Um weitere

Beispiele gebeten, entgegneten mehrere Schüler, sie könnten keine nennen, da sie sich

die Korrekturen der Lehrkraft kaum ansehen würden.

Page 88: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

87

Auf die Aufforderung, Wörter und Ausdrücke zu nennen, die sie in Frankreich oder im

Kontakt mit Muttersprachlern gelernt hätten, fielen den Schülern als erstes

Schimpfwörter und vulgäre Ausdrücke wie Putain!, Nique ta mère! und Ta gueule! ein. Ein

Schüler erzählte, sie hätten in der 6. Klasse im Unterricht das Wort saloppe gelernt. Als

der Klasse drei Beispiele (Zut!, N’ importe quoi!, Je m’en fous!) genannt wurden, die in

den untersuchten Lehrwerken zu finden sind, erklärten sie, Zut! sei ihnen bereits aus dem

ersten Lernjahr bekannt. N’ importe quoi kannten nur einige durch einen Aufenthalt in

Frankreich. Je m’en fous war nur einem Schüler bekannt und zwar in der Bedeutung Ist

mir egal! – einer ebenso verharmlosenden Übersetzung wie das in Découvertes

angebotene Ist mir schnuppe!.

Von Registern des Französischen hatte kein einziger Schüler bisher gehört. Den Begriff

français familier kannten jedoch alle aus dem Vokabelverzeichnis und der dort

gebräuchlichen Abkürzung fam., die die Schüler als Entsprechung zu umgangssprachlich

identifizierten. Zum Stichwort Dialekte in Frankreich meinten die Schüler, es gäbe dort

viele Dialekte. Sie nannten daraufhin an erster Stelle Bretonisch, und eine für den Norden

Frankreichs typische Aussprache, die sich durch viele Zischlaute auszeichnet und ihnen

aus dem Film „Bienvenue chez les Chtis“ bekannt sei, den sie im Unterricht gesehen

hätten. Eine Schülerin vermutete, dass in Frankreich überall anders gesprochen werde,

weil das in Deutschland genauso sei. Die Schüler erzählten, dass sie eine Tonaufnahme

eines in einer ehemaligen französischen Kolonie lebenden Sprechers kaum verstanden

hätten, da seine Aussprache so ungewohnt gewesen sei. Auf die Frage, ob ihnen der

accent du sud oder accent du midi bekannt sei, meinten alle, diesen nie gehört zu haben.

Zum Thema Umgangssprache im Fremdsprachenunterricht äußerten sich alle Schüler

positiv und vertraten die Ansicht, dass ihnen Umgangssprache von größerem Nutzen sei.

Auf die Frage, ob sie schon einmal mit französischen Jugendlichen im Chat, per SMS oder

Email geschrieben hätten, erwähnten die Schüler das Chat Roulette und dass ihnen die

vielen Abkürzungen, sowie Ungenauigkeiten bzw. Fehler im Zeitengebrauch und der

Orthographie der Franzosen aufgefallen sei. Der Kontakt sei nach dem Austausch noch

eine Zeit lang weitergeführt worden und dann eingeschlafen, was vor allem an den noch

nicht so weit fortgeschrittenen Sprachkenntnissen in den Anfangsjahren des Unterrichts

gelegen habe.

Page 89: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

88

Als per Overhead-Folie einige Beispiele286 für die oben angesprochenen Abkürzungen

gezeigt wurden, wie sie von französischen Jugendlichen in SMS verwendet werden, wurde

es in der Klasse merklich ruhiger und die Schüler versuchten eifrig die „verschlüsselten“

Sätze zu entziffern.

Slt cv? Keske tu fé? Tu vi1 2m1? Biz CT bi1 IR. G f1. C ki ce mec a ta droite? Chepa. PQ? Sui en RV bizness. Sui oQP.

Bjr, tu vi1 pr l’APro? Yaskifo! ChpE pa, chui kc et nrv. G tro boC. C l’enfR. Alro 2m1. On va o 6né. Tok? Yes, mè ava n va o resto. Dak. RV a 6h o kfé ki è 2van le trom.

Ca va etr 5pa! bap! A+

Schon nach einigen Sekunden wurden die ersten Lösungen gemurmelt. Einige Sätze, vor

allem aus dem ersten Block, wurden sofort richtig enträtselt, andere fielen den Befragten

deutlich schwerer. Großes Erstaunen rief hervor, dass durch nur sieben Buchstaben

(Yaskifo!) ein ganzer Satz (Il y a tout ce qu’il faut! – Es ist alles da, was wir brauchen!)

ausgedrückt werden kann. Obwohl die Schüler die Beispiele aus dem ersten Block sehr

schnell auflösten, und man daraus hätte vermuten können, dass ihnen das Prinzip

Großbuchstaben isoliert, also als Silbe auszusprechen klar sei, war dies nicht der Fall. Dies

zeigte sich daran, dass Abkürzungen im zweiten Block wie APro, chpE pa, enfR deutlich

schwieriger für die Schüler waren. Auf den Hinweis, Großbuchstaben sollten gesondert

ausgesprochen werden, merkte eine Schülerin an, sie hätten das Alphabet nie gelernt.

Das Wort mec war den Schülern bekannt, die Termini Verlan und Argot jedoch nicht.

Nachdem ihnen das Wortbildungsmuster des Verlan anhand des Beispiels

trom = Verlan von mé–tro tro-me trom

erklärt worden war, gaben die Schüler an, dass sie das Prinzip bereits kennen gelernt

hätten, nicht jedoch die Bezeichnung Verlan. Auf die Bitte hin, dieses Prinzip auf das Wort

femme anzuwenden, rief eine Schülerin sofort die Lösung meuf in die Runde, fügte aber

hinzu, dass sie das nur geraten hätte und das Wort ihr unbekannt sei.

286 Beispiele aus: Nicolas 2004: 368. Giessen/Kraus 2005: 24 und 25. Wessin 2002: 22.

Page 90: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

89

Zuletzt sollten sich die Schüler noch dazu äußern, wie sie im Allgemeinen mit ihrem

Schulbuch zufrieden seien. In der Klasse wird Horizons aus dem Klett-Verlag verwendet.

Die Schüler berichteten aber, dass sie meist nicht mit den im Buch vorgeschlagenen

Materialien arbeiteten, sondern mit Texten, die die Lehrerin für sie kopierte. Mehrere

Schüler kritisierten, dass es ihnen lieber wäre, durchgängig mit einem Buch zu arbeiten,

anstatt einzelne Blätter zu bekommen. Sie begründeten dies damit, dass es schwierig sei,

in der �Zettelwirtschaft’ Ordnung zu halten und sie sich leichter orientieren könnten,

wenn sie ein Buch hätten, das von vorne nach hinten durchgearbeitet würde. Auf die

Entgegnung, ob sie es nicht motivierend und interessant fänden, dass die Lehrkraft

aktuelles Originalmaterial für sie aussuchte, meinten die Schüler, dass es sich bei den

kopierten Texten meist nicht um aktuelle Artikel handelte, sondern um Texte aus anderen

Schulbüchern. Alle Schüler empfanden den Wechsel von der Lehrwerksreihe (Découvertes

bzw. Cours Intensif) aus der Progressionsphase hin zu originalen Materialien, die in der

Oberstufe eingesetzt werden, als zu abrupt. Das Hauptproblem bei der Arbeit mit

Originaltexten sei, dass viele Wörter unbekannt seien und das sehr frustrierend wirke. Sie

monierten auch, dass die meisten Texte politischen oder geschichtlichen Inhaltes seien

und sie diese Themen nicht interessierten. Auf die Frage, welche Themen sie lieber

behandeln würden, nannten die Schüler Musik und Film.

5.2 Fazit

Positiv herauszustellen ist, dass bis auf eine Ausnahme alle Schüler der Klasse schon in

Frankreich waren und dort auch tatsächlich Kontakt zu Muttersprachlern hatten, der

sogar nach dem Auslandsbesuch einige Zeit fortbestand. Alle Schüler betrachteten

kommunikative Kompetenzen als zentrales Unterrichtsziel, das sie in der Schule durch

den großen Anteil mündlicher Arbeitsformen gut umgesetzt sahen. Die Erfahrung, eine

Schulaufgabe mündlich abzuleisten, wurde durchweg als angenehm und erfolgreich

beschrieben und die Vorbereitung darauf als effizient und zielorientiert gelobt.

Bei den Lernern war ein Bewusstsein dafür zu erkennen, dass die Sprache, die in der

Schule vermittelt wird, nur einen Teilaspekt der französischen Sprachrealität abbildet,

bzw. sogar von dieser abweicht. Mit den Termini Register, Verlan, Argot waren die

Page 91: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

90

Schüler nicht vertraut, die Bezeichnung français familier kannten hingegen alle aus dem

Vokabelverzeichnis. Als die Schüler sich zum Thema Dialekte in Frankreich äußern sollten,

zeigten sich einige Fehleinschätzungen, die sich auf Analogieschlüsse von der deutschen

auf die französische Sprachrealität zurückführen lassen. Die Schüler nahmen

fälschlicherweise an, dass diatopische Varietäten in Frankreich ebenso ausgeprägt seien

wie in Deutschland. Das Bretonische, das eine eigene Sprache ist, wurde von einem

Schüler für einen französischen Dialekt gehalten. Er stieß mit dieser Äußerung auf

keinerlei Kritik bei seinen Mitschülern, was die Vermutung nahe legt, dass diese seine

Einschätzung teilten. Der accent du sud, der sowohl in Découvertes, als auch in À plus! als

dialektale Ausprägung des Französischen in verhältnismäßig vielen Hörtexten vertreten

ist, war den Schülern kein Begriff.

Zum Einsatz von Originaltexten im Unterricht, wie er vor allem in der Oberstufe praktiziert

wird, sprach sich die Klasse kritisch aus, da die von der Lehrkraft ausgewählten Texte zum

einen aufgrund der hohe Zahl unbekannter Vokabeln zu schwierig seien und zum anderen

die Interessen der Jugendlichen verfehlen würden. Die Arbeit mit authentischen

Materialien wurde von Schülerseite daher oft als frustrierend empfunden.

Eine deutlich positivere Einstellung war zu bemerken, als die Schüler nach ihrem Interesse

für die französische Umgangssprache befragt wurden, was sich auch daran zeigte, mit

welch großem Eifer sich die Schüler mit den Beispielen für SMS-Sprache beschäftigten.

6 Zusammenfassung

Der Aufbau dieser Arbeit, deren Ziel es war, den Stellenwert des français familier und

parlé im heutigen Französischunterricht zu untersuchen, orientiert sich an drei Leitfragen:

Erstens, welche �Französische’ gibt es? Zweitens, welches Französisch soll gelehrt

werden? Und drittens, welches Französisch wird tatsächlich gelehrt?

Zur Beantwortung dieser Fragen, wurden zunächst die verschiedenen Ausprägungen der

französischen Sprache beschrieben. Dabei zeigte sich Französisch als komplexes

Sprachsystem mit verschiedenen diatopischen, diastratischen und diaphasischen

Varietäten, sowie unterschiedlichen Registern von vulgaire über familier und courant bis

zu littéraire/soigné/cultivé. Angesichts dieser Vielfalt wird deutlich, wie schwierig es ist,

Page 92: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

91

einen verbindlichen Standard festzulegen. Daher wurde auch auf die Problematik der

Sprachnormierung eingegangen.

Im Anschluss wurde die didaktische Diskussion zum Thema Quel français enseigner?

näher beleuchtet. Die Frage danach, welche der oben angesprochenen Varietäten und

Register für den Schulunterricht geeignet und relevant seien, wurde von der Mehrheit der

in dieser Arbeit zitierten Autoren dahingehend beantwortet, dass das français standard

als Ausgangsbasis für den Schulunterricht fungieren solle, andere Varietäten und Register

jedoch nicht völlig ausgeklammert werden dürften, wenn dem Lerner ein authentisches

Bild des heutigen Französisch vermittelt werden soll.

Inwiefern diese Maxime in den derzeit gebräuchlichen G8-Lehrwerken Découvertes und À

plus! tatsächlich umgesetzt wurde, zeigte Kapitel 4 auf. Dabei wurde eine Ausrichtung auf

die Förderung kommunikativer Kompetenzen erkennbar. Eine Vielzahl an mündlichen

Übungsformen und die Arbeit mit audiolingualen Medien sollen den Schüler darauf

vorbereiten, in Gesprächssituationen schnell und angemessen reagieren zu können.

Diesem Zweck dient auch die systematische Vermittlung von Redemitteln, die auch

umgangssprachliche Ausdrücke und Wendungen einschließen. Insgesamt haben français

familier und parlé in den analysierten Lehrwerken einen nicht geringen Stellenwert, da sie

in fast ausnahmslos jeder Lektion, von Beginn des Lehrgangs an, vertreten sind. Im

Hinblick darauf, dass im Zentrum des heutigen Fremdsprachenunterricht die Ausbildung

kommunikativer Kompetenzen steht, ist dies zu begrüßen. Anlass zu Kritik gibt allerdings

die Inkonsequenz der Kenntlichmachung umgangssprachlicher Wörter und Wendungen.

Diese ist jedoch mitentscheidend dafür, dass der Schüler für stilistische Unterschiede

sensibilisiert wird und in ihm ein Bewusstsein dafür reift, in welchen Situationen er sich

welches Registers bedienen kann.

In einem Unterrichtsgespräch, das in einer 11. Klasse durchgeführt wurde, finden sich die

Ergebnisse aus Teil 3 und 4 dieser Arbeit bestätigt. Es wurde deutlich, dass

kommunikative Kompetenzen nicht nur von Didaktikern als zentrales Unterrichtsziel

festgeschrieben sind, sondern auch von den Schülern als überaus wichtig angesehen

werden. Hieraus erklärt sich das Interesse und die Begeisterung der Jugendlichen, sich mit

Phänomenen der Umgangssprache, sowie verschiedenen Varietäten und Registern des

Französischen, wie z.B. der Jugendsprache zu beschäftigen. Die in Teil 4 als unzureichend

kritisierte Kennzeichnung der vom Standard abweichenden Wörter und Ausdrücke,

Page 93: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht ______________________________________________________________________________________________________________

92

spiegelt sich bei den Lernern in einem wenig ausgeprägten Bewusstsein für Begriffe wie

Register, Dialekt und Sprache wieder. Hier besteht also noch Verbesserungsbedarf.

Insgesamt darf die stärkere Berücksichtigung des français familier und parlé in den neuen

G8-Lehrwerken als wichtiger Schritt gesehen werden hin zu einem Unterricht, der sich an

den Bedürfnissen und Interessen der jugendlichen Lerner orientiert und es damit

versteht, sie für die französische Sprache zu begeistern.

Page 94: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht _________________________________________________________________________________________________________________

93

7 Literaturverzeichnis

Primärliteratur

A+ 1/2004: Bächle, Hans; Gregor, Gertraud; Héloury, Michèle; Schenk, Sylvie: À plus! 1

Französisch für Gymnasien. Berlin 2004.

A+ 2/2005: Bächle, Hans; Gregor, Gertraud; Jorißen, Catherine; Schenk, Sylvie: À plus! 2 Französisch für Gymnasien. Berlin 2005.

A+ 3/2006: Gregor, Gertraud; Jorißen, Catherine; Schenk, Sylvie: À plus! 3 Französisch für Gymnasien. Berlin 2006.

A+ 4/2007 cc: Gregor, Gertraud; Jorißen, Catherine; Schenk, Sylvie: À plus! 4 cycle court Französisch für Gymnasien. Berlin 2007.

A+ 4/2007 cl: Bächle, Hans; Héloury, Michèle: À plus! 4 cycle long Französisch für Gymnasien. Berlin 2007.

A+ 5/2008 cl: Bächle, Hans; Héloury, Michèle: À plus! 5 cycle long Französisch für Gymnasien. Berlin 2008.

A+ 2 LB 2005: Wieners, Daniela: À plus! 2 Französisch für Gymnasien. Handreichungen für den Unterricht mit Kopiervorlagen. Berlin 2005.

A+ 4 LB 2008 cl: Wieners, Daniela: À plus! 4 cycle long Französisch für Gymnasien. Handreichungen für den Unterricht mit Kopiervorlagen. Berlin 2008.

Déc. 1/2004: Bruckmayer, Birgit; Darras, Isabelle; Koesten, Léo; Mühlmann, Inge; Nieweler, Andreas; Prudent, Sabine: Découvertes 1 für den schulischen Französischunterricht. Stuttgart 2004.

Déc. 2/2006: Alamargot, Gérard; Bruckmayer, Birgit; Darras, Isabelle; Koesten, Léo; Kunert, Dieter; Mühlmann, Inge; Nieweler, Andreas; Prudent, Sabine: Découvertes 2 für den schulischen Französischunterricht. Stuttgart 2006.

Déc. 3/2006: Alamargot, Gérard; Bruckmayer, Birgit; Darras, Isabelle; Koesten, Léo; Kunert, Dieter; Mühlmann, Inge; Nieweler, Andreas; Prudent, Sabine: Découvertes 3 für den schulischen Französischunterricht. Stuttgart 2006.

Déc. 4/2007: Alamargot, Gérard; Bruckmayer, Birgit; Darras, Isabelle; Koesten, Léo; Kunert, Dieter; Mühlmann, Inge; Nieweler, Andreas; Prudent, Sabine: Découvertes 4 für den schulischen Französischunterricht. Stuttgart 2007.

Déc. 5/2008: Alamargot, Gérard; Bruckmayer, Birgit; Darras, Isabelle; Koesten, Léo; Kunert, Dieter; Mühlmann, Inge; Nieweler, Andreas; Prudent, Sabine: Découvertes 5 für den schulischen Französischunterricht. Stuttgart 2008.

Page 95: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht _________________________________________________________________________________________________________________

94

Déc. 2 LB 2006: Mühlmann, Inge; Nieweler, Andreas; Rellecke, Ute; Schmidt, Antje; Spengler, Wolfgang: Découvertes 2. Lehrerbuch. Stuttgart 2006.

Déc. 4 LB 2007: Ebertz, Mirja; Günther, Britta; Heddrich, Corinna; Rellecke, Ute: Découvertes 4. Lehrerbuch. Stuttgart 2007.

Sekundärliteratur

Abel 1981: Abel, Fritz: Die Zielsprache des Unterrichts. In: Schieben-Lange, Brigitte (Hrsg.): Logos semantikos. Studia linguistica in honorem Eugenio Coseriu. 1921-1981. Vol. V. Geschichte und Architektur der Sprachen. Berlin 1981. 7-18.

Bauche 1951: Bauche, Henri: Le langage populaire. Grammaire, syntaxe et dictionnaire du français tel qu’on le parle dans le peuple avec tous les termes d’argot usuel. Paris 1951. Bernet/Rézeau 1995: Bernet, Charles; Rézeau, Pierre (direction): Richesses lexicales du français contemporain. Institut national de la langue française. Publications du trésor général des langues et parlers français équipe usages et marges du français. Nancy 1995. Blasco-Dulbecco/Caddéo 2002: Blasco-Dulbecco, Mylène; Caddéo, Sandrine: Détachement et linéarité. In: Recherches sur le français parlé. Nº 17. Aix-en- Provence 2002. 41-54.

Blanche-Benveniste 1983: Blanche-Benveniste, Claire: L’importance du „français parlé » pour la description du « français tout court » In: G.A.R.S. (Groupe Aixois de Recherches en Syntaxe): Recherches sur le français parlé. Nº5. Aix-en-Provence 1983 23-45. Blanche-Benveniste 1999: Blanche-Benveniste, Claire; Adam, Jean-Pierre: La conjugaison

des verbes: virtuelle, attestée, défective. In: Recherches sur le français parlé. Nº 15. Aix-en-Provence 1999. 87-112.

Bufe/Dethloff 1972: Bufe, Wolfgang; Dethloff, Uwe: Zur Integration der gesprochenen

Sprache in den Fremdsprachenunterricht der Hochschule. Das Hörverstehen am Beispiel des Französischen. Arbeitskreis für Hochschuldidaktik. Hochschuldidaktische Materialien Nr. 35. Hamburg 1972.

Campione 2004: Campione, Estelle: Études des interactions entre pauses silencieuses et pauses remplies en français parlé. In: Recherches sur le français parlé. Autour du corpus de référence du français parlé. Nº18. Aix-en-Provence 2004. 185-200.

Page 96: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht _________________________________________________________________________________________________________________

95

Chanet 2004: Chanet, Catherine: Fréquence des marqueurs discursifs en français parlé: quelques problèmes de méthodologie. In: Recherches sur le français parlé. Autour du corpus de référence du français parlé. Nº18. Aix-en-Provence 2004. 83-107. Culioli 1983: Culioli, Antoine: Pourquoi le français parlé est-il si peu étudié? In: G.A.R.S. (Groupe Aixois de Recherches en Syntaxe): Recherches sur le français parlé. Nº5. Aix- en-Provence 1983. 291-300. Dretzke 2005: Dretzke, Burkhard: Natürliche Phänomene beim Sprechen – Pausen und Versprecher. In: PRAXIS Fremdsprachenunterricht 5/2005. 49-50. François 1983: François, Frédéric (Hrsg.): J’cause français, non? A.P.R.E.F. (Association pour

la recherche et l’expérimentation sur le fonctionnement du français). Paris 1983. Gadet 2007: Gadet, Françoise: La variation sociale en français. Paris 2007. Geckeler/Dietrich 2003: Geckeler, Horst; Dietrich, Wolf: Einführung in die französische Sprachwissenschaft. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. 3., überarbeitete Auflage. Berlin 2003. Giessen/Kraus 2005: Giessen, Hans W.; Kraus, Alexander: Le ouèbe, le mél, le chatche…Die Chatsprache kennen lernen und verwenden. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 76/2005. 22-28. Kenemer 1982: Kenemer, Virginia Lynn: Le „français populaire“ and french as a second language: a comparative study of language simplification. Centre international de recherche sur le bilinguisme. International Center for Research on Bilingualism. Québec 1982. Kiesler 1995: Kiesler, Reinhard: Français parlé = französische Umgangssprache? In: Zeitschrift für Romanische Philologie 111/1995. 375-406. Koch/Oesterreicher 1990: Koch, Peter; Oesterreicher, Wulf: Gesprochene Sprache in der Romania: Französisch, Italienisch, Spanisch. Tübingen 1990. Königs 1983: Königs, Frank G.: Normenaspekte im Fremdsprachenunterricht. Ein konzeptorientierter Beitrag zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen 1983. ( = Tübinger Beiträge zur Linguistik 222, hg. von Gunter Narr) Krämer 1993: Krämer, Martine: La norme prescriptive en France, une impasse? In: französisch heute 3/1993. 228-235.

Krämer 1996: Krämer, Martine: Français standard, français populaire, français familier et français parlé: Quel français enseigner? In: französisch heute 3/1996. 159-167.

Meißner 1995: Meißner, Franz-Joseph: Sprachliche Varietäten im Französischunterricht. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 2/1995. 4-8.

Page 97: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht _________________________________________________________________________________________________________________

96

Meißner 1999: Meißner, Franz-Joseph: Entre l’argot et la tchatche – Où en est-on en français parlé? Entretien avec Claude Duneton. In: französisch heute 2/1999. 120- 131.

Meißner 1999: Meißner, Franz-Joseph: Vers l’intégration de la langue parlée dans l’enseignement du FLE. In: französisch heute 2/1999. 155-165.

Michel 2006: Michel, Andreas: Die Didaktik des Französischen, Spanischen und Italienischen in Deutschland einst und heute. Hamburg 2006. Müller 1975: Müller, Bodo: Das Französische der Gegenwart. Varietäten, Strukturen, Tendenzen. Heidelberg 1975. Nicolas 2004: Nicolas, Isabelle: Comment dire? Ce frC en SMS, c Gen! Le français en SMS, c’est géant! In: PRAXIS Fremdsprachenunterricht 5/2004. 368-369. Nicolas 2005: Nicolas, Isabelle: La tchatche des banlieues, reflet de la fracture sociale. In: PRAXIS Fremdsprachenunterricht 5/2005. 51-52. Thiele-Knobloch 1981: Thiele-Knobloch, Gisela: Umgangssprachliche Varietäten und Register im Hochschulunterricht. In: Kotschi, Thomas (Hrsg.): Beiträge zur Linguistik des Französischen. 154. Tübingen 1981. Thomalla 1994: Thomalla, Anne: Ausspracheschulung im Fremdsprachenunterricht. In: französisch heute 3/1994. 372-377. Tinnefeld 1999: Tinnefeld, Thomas: Mängel in der Unterscheidung zwischen geschriebener und gesprochener Sprache im Deutschen als Fehlerursache beim schriftlichen Fremdsprachengebrauch. Aachen 1999.

Wessin 2002: Wessin, Susan: Parlez-vous SMS? In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 4+5/2002. 21-23.

Internetquellen

Cornelsen-Verlag (aufgerufen am 28.03.2010)

http://www.cornelsen.de

http://www.cornelsen.de/teachweb/1.c.38204.de?parentID=1.c.132770.de

Klett-Verlag (aufgerufen am 28.03.2010)

http://www.klett.de

Page 98: DER STELLENWERT DES FRANCAIS FAMILIER UND  · PDF fileDer Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht

Der Stellenwert des français familier und parlé im Fremdsprachenunterricht _________________________________________________________________________________________________________________

97

http://www.klett.de/sixcms/list.php?page=titelfamilie&titelfamilie=D%E9couvertes&modul=

konzeption

http://www.klett.de/sixcms/list.php?page=titelfamilie&snv=4&ssnv=2&titelfamilie=Cours+in

tensif

Fachprofil Französisch (aufgerufen am 27.03.2010)

http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26370

Lehrpläne (aufgerufen am 28.03.2010)

• Jahrgangsstufe 6 (Französisch als Fs2)

http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26317

• Jahrgangsstufe 8 (Französisch als Fs2)

http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26278

• Jahrgangsstufe 11/12 (Französisch als Fs1, Fs2, Fs3)

http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26499