Der Lotus – Heilige Pflanze mit Selbstreinigungseffekt

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der Schmutzpar- tikel kaum anhaf- ten und durch Re- gen rückstands- frei abgespült werden. Wegen ihres großen Stärkege- halts dienen die nüsschenartigen Teilfrüchte als Nahrungsmittel und werden z. B. in China roh ge- gessen oder zu Gebäck weiter- verarbeitet. Auch andere Pflanzenteile wie die Blätter oder das ebenfalls stär- kehaltige Rhizom werden z.B. als Gemüse genutzt. Systematisch stehen die Lotusblu- men- und die Seerosengewächse, ge- nauso wie die verwandten einhei- mischen Hahnenfußgewächse, an der Basis der zweikeimblättrigen Blüten- pflanzen. Dies zeigt sich deutlich im Bau der Blüten:Von außen nach innen folgen in unbestimmter, meist größe- rer Zahl die an einer verlängerten Blütenachse stehenden Blütenhüll- blätter und die Staubgefäße. Im Zen- trum der Blüte befindet sich der aus mehreren freien Karpellen bestehen- de Fruchtknoten. Durch weiteres Wachstum im Bereich der Blütenachse werden die einzelnen Fruchtblätter eingesenkt. Der an den Kopf einer Gießkanne erinnernde Fruchtknoten entwickelt sich so zu einer von zahl- reichen Hohlräumen durchsetzten, außerordentlich leichten Schwimm- frucht. Diese bricht nach Austrock- nung an einer Sollbruchstelle vom Blü- tenstängel ab und fällt ins Wasser, wo sie vom Wind und der Strömung aus- gebreitet wird. Da die einsamigen Teilfrüchte im Vergleich zum Rest der Frucht relativ schwer sind,„landet“ die Schwimmfrucht immer derart im Was- ser, dass die Nüsschen nach und nach ins Wasser entlassen werden (Abb. 2), wo sie aufgrund ihres Gewichtes rasch absinken, um am Gewässerboden neu auszukeimen. Thomas Junghans, Bammental Nr. 5 | 34. Jahrgang 2005 | Pharmazie in unserer Zeit | 433 | FORUM PFLANZENPORTRAIT | Der Lotus – Heilige Pflanze mit Selbstreinigungseffekt Die früher zu den Seerosengewächsen gestellte Lotusblume (Gattung Nelumbo) wird mit ihren weltweit nur zwei Arten heute zumeist in eine eigene Familie der Nelumbonaceae eingeordnet. schlafenden Vischnu eine Lotusblume, in deren sich nach und nach öffnender Blüte der Schöpfergott Brahma er- schien. Dieser Schöpfungsmythos versinnbildlicht somit die Geburt des Kosmos, wobei die ganze Pflanze seit- her als Symbol göttlicher Reinheit gilt. Dies ist aber nicht nur auf Schön- heit und Farbe der Blüten zurück- zuführen, sondern auch auf die Unbe- netzbarkeit der Blätter,die durch einen wachsartigen Überzug graugrün er- scheinen. Hierbei handelt es sich um Wachskristalle, die zusammen mit ei- ner Skulpturierung der Epidermis die mehrfach strukturierte Blattoberseite bedingen. Im Zuge der Evolution pflanzlicher Oberflächen wurde das Blatt der Lotusblume dahingehend optimiert, dass es durch eine Auflage- rung von Staub, Pollen, Bakterien oder Pilzsporen auf der Blattoberfläche nicht zum Ausfall lebensnotwendiger Vorgänge, wie der Photosynthese, kommt. Durch die mehrfache Struktu- rierung wird eine Superhydrophobie erreicht, bei der aufgrund der Rauig- keit die Kontaktfläche und damit die Adhäsionskraft zwischen Schmutzpar- tikel und Blattoberfläche stark ver- ringert wird. Mittels eines kurzen Re- genschauers reinigt sich das Blatt selbst, indem die sich aufgrund ihrer Oberflächenspannung zusammenzie- henden und abkugelnden Wassertrop- fen die aufsitzenden Partikel binden und abfließen lassen. Dieser erst in den letzten Jahren von einer Bonner Forschergruppe um den Botaniker Wilhelm Barthlott entdeckte „Lotus- Effekt“ konnte aus der Natur bereits in eine technische Anwendung über- tragen werden. Hierbei handelt es sich um eine Fassadenfarbe, die nach dem Verstreichen eine mikro- und na- nostrukturierte Oberfläche erzeugt, an Wie bei den nah verwandten Seerosen handelt es sich aber auch bei den Lotusblumengewächsen um mehrjäh- rige Sumpf- und Wasserpflanzen,deren schild- oder herzförmige, schwach trichterförmig vertiefte Blätter sich z.T. recht hoch über der Wasserober- fläche entfalten. Zur Versorgung der unter der Wasseroberfläche befindli- chen Pflanzenteile ist ein Belüftungs- system ausgebildet, das über Luftka- näle in den Blättern den Ein- und Aus- strom von Sauerstoff gewährleistet. Neben der gelb blühenden Ameri- kanischen Lotusblume (Nelumbo lu- tea) ist es vor allem die auf dem asia- tischen Kontinent und Australien be- heimatete, mit sehr großen rosa- bis reinweißfarbigen Blüten versehene In- dische Lotusblume (Nelumbo nuci- fera; siehe Abb. 1), deren mytholo- gisch-religiöse Bedeutung im Buddhis- mus der Bekanntheitsgrad der Gattung zu verdanken ist. Nach dem buddhis- tischen Glauben entwuchs dem Nabel des auf den Urwassern ausgestreckt ABB. 1 Die Indische Lotusblume (Nelumbo nucifera) am Randes eines Gewässers in der Nähe von Rendang auf Bali (Foto: B. und S. Camilotti). ABB. 2 Der Blick von unten auf die Frucht der Lotusblume zeigt die in ihren Vertie- fungen sitzenden, nussartigen, einsa- migen Teilfrüchte, die nach Freiset- zung der Frucht sukzessive ins Wasser entlassen werden können.

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der Schmutzpar-tikel kaum anhaf-ten und durch Re-gen rückstands-frei abgespültwerden.

Wegen ihresgroßen Stärkege-halts dienen dienüsschenartigenTeilfrüchte alsNahrungsmittelund werden z. B.in China roh ge-gessen oder zuGebäck weiter-verarbeitet. Auch andere Pflanzenteilewie die Blätter oder das ebenfalls stär-kehaltige Rhizom werden z.B. alsGemüse genutzt.

Systematisch stehen die Lotusblu-men- und die Seerosengewächse, ge-nauso wie die verwandten einhei-mischen Hahnenfußgewächse, an derBasis der zweikeimblättrigen Blüten-pflanzen. Dies zeigt sich deutlich imBau der Blüten:Von außen nach innenfolgen in unbestimmter, meist größe-rer Zahl die an einer verlängertenBlütenachse stehenden Blütenhüll-blätter und die Staubgefäße. Im Zen-trum der Blüte befindet sich der ausmehreren freien Karpellen bestehen-de Fruchtknoten. Durch weiteresWachstum im Bereich der Blütenachsewerden die einzelnen Fruchtblättereingesenkt. Der an den Kopf einerGießkanne erinnernde Fruchtknotenentwickelt sich so zu einer von zahl-reichen Hohlräumen durchsetzten,außerordentlich leichten Schwimm-frucht. Diese bricht nach Austrock-nung an einer Sollbruchstelle vom Blü-tenstängel ab und fällt ins Wasser, wosie vom Wind und der Strömung aus-gebreitet wird. Da die einsamigenTeilfrüchte im Vergleich zum Rest derFrucht relativ schwer sind,„landet“ dieSchwimmfrucht immer derart im Was-ser, dass die Nüsschen nach und nachins Wasser entlassen werden (Abb. 2),wo sie aufgrund ihres Gewichtes raschabsinken, um am Gewässerboden neuauszukeimen.

Thomas Junghans, Bammental

Nr. 5 | 34. Jahrgang 2005 | Pharmazie in unserer Zeit | 433

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P F L A N Z E N P O R T R A I T |Der Lotus – Heilige Pflanze mit Selbstreinigungseffekt

Die früher zu den Seerosengewächsen gestellte Lotusblume (GattungNelumbo) wird mit ihren weltweit nur zwei Arten heute zumeist in eineeigene Familie der Nelumbonaceae eingeordnet.

schlafenden Vischnu eine Lotusblume,in deren sich nach und nach öffnenderBlüte der Schöpfergott Brahma er-schien. Dieser Schöpfungsmythosversinnbildlicht somit die Geburt desKosmos, wobei die ganze Pflanze seit-her als Symbol göttlicher Reinheit gilt.

Dies ist aber nicht nur auf Schön-heit und Farbe der Blüten zurück-zuführen, sondern auch auf die Unbe-netzbarkeit der Blätter,die durch einenwachsartigen Überzug graugrün er-scheinen. Hierbei handelt es sich umWachskristalle, die zusammen mit ei-ner Skulpturierung der Epidermis diemehrfach strukturierte Blattoberseitebedingen. Im Zuge der Evolutionpflanzlicher Oberflächen wurde dasBlatt der Lotusblume dahingehendoptimiert, dass es durch eine Auflage-rung von Staub,Pollen,Bakterien oderPilzsporen auf der Blattoberflächenicht zum Ausfall lebensnotwendigerVorgänge, wie der Photosynthese,kommt. Durch die mehrfache Struktu-rierung wird eine Superhydrophobieerreicht, bei der aufgrund der Rauig-keit die Kontaktfläche und damit dieAdhäsionskraft zwischen Schmutzpar-tikel und Blattoberfläche stark ver-ringert wird. Mittels eines kurzen Re-genschauers reinigt sich das Blattselbst, indem die sich aufgrund ihrerOberflächenspannung zusammenzie-henden und abkugelnden Wassertrop-fen die aufsitzenden Partikel bindenund abfließen lassen. Dieser erst inden letzten Jahren von einer BonnerForschergruppe um den BotanikerWilhelm Barthlott entdeckte „Lotus-Effekt“ konnte aus der Natur bereitsin eine technische Anwendung über-tragen werden. Hierbei handelt essich um eine Fassadenfarbe, die nachdem Verstreichen eine mikro- und na-nostrukturierte Oberfläche erzeugt,an

Wie bei den nah verwandten Seerosenhandelt es sich aber auch bei denLotusblumengewächsen um mehrjäh-rige Sumpf- und Wasserpflanzen,derenschild- oder herzförmige, schwachtrichterförmig vertiefte Blätter sich z.T. recht hoch über der Wasserober-fläche entfalten. Zur Versorgung derunter der Wasseroberfläche befindli-chen Pflanzenteile ist ein Belüftungs-system ausgebildet, das über Luftka-näle in den Blättern den Ein- und Aus-strom von Sauerstoff gewährleistet.

Neben der gelb blühenden Ameri-kanischen Lotusblume (Nelumbo lu-tea) ist es vor allem die auf dem asia-tischen Kontinent und Australien be-heimatete, mit sehr großen rosa- bisreinweißfarbigen Blüten versehene In-dische Lotusblume (Nelumbo nuci-fera; siehe Abb. 1), deren mytholo-gisch-religiöse Bedeutung im Buddhis-mus der Bekanntheitsgrad der Gattungzu verdanken ist. Nach dem buddhis-tischen Glauben entwuchs dem Nabeldes auf den Urwassern ausgestreckt

A B B . 1 Die Indische Lotusblume(Nelumbo nucifera) am Randes einesGewässers in der Nähe von Rendang aufBali (Foto: B. und S. Camilotti).

A B B . 2 Der Blick von unten aufdie Frucht derLotusblume zeigtdie in ihren Vertie-fungen sitzenden,nussartigen, einsa-migen Teilfrüchte,die nach Freiset-zung der Fruchtsukzessive insWasser entlassenwerden können.