Der Letzte Astronom Im Land Der Tuareg
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Der letzte Astronomim Land der Tuareg
eine kurze Reisegeschichte
Wie zwei Touristen einen anderen Reisenden als Schamane
oder als weisen Beduinen einstufen, der den Bauern mit seiner Sternkunde beisteht und die korrekten Einhaltung der Aussaat-und Erntetermine überwacht. Und warum sie heimgefahrensind in der Gewissheit das sie soeben einen der letzteneinheimischen Astronomen aus dem Lande der Tuareg begegnet sind...
Abb. 1: Sonnenuntergang am Tor zur Wüste
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Drei Sternen-Astronomie
In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts arbeitete ichals jüngster Entwickler für ein nicht mehr existierendes, großesElektronikkonzern im Antennenlabor, wo man einst dieriesigen Schüsseln für die Bodenstationen der modernenKommunikationssatelliten entwarf. Zu meinen Aufgabengehörte die Berechnung aller nur denkbaren Fehlerquellen undder Antennenrauschtemperatur, die damals noch für dieDatenübertragung eine gewichtige Rolle spielte.
Zur Vermessung des Antennenrauschens benötigten wir damalsSterne wie zum Beispiel die kräftige Rauschquelle KassiopeiaA, ein Überbleibsels einer Supernova bei der Rektaszension23h und Deklination +58°. Eine weitere potentielle Quelle bildete Cygnus A, sofern sie mindestens 20° über dem Horizontsteht. Quellen unterhalb etwa 20° Elevation sind unbrauchbar,weil die Strahlungstemperatur des Bodens mit 300 Kelvin viel
zu stark ist. Eine recht schwache Rauschquelle bildet Taurus Aim Sternbild Stier (Krebsnebel) bei Rektaszension 5h undDeklination +21°.
Mit diesen Quellen konnten wird die Genauigkeit der Positionierung und das Rauschverhalten der Antenneüberprüfen. Mit Durchmessern zwischen 18 und 25 m warendie riesige Parabolspiegel anfällig für mechanischen
Belastungen, die Abweichungen von der idealen Paraboloid-Form verursachten. Zur Zusammensetzung einer lückenloseMessreihe benötigte man Signalquellen bei verschiedenenElevationswinkeln. Die Kennzahlen der wichtigstenRauschquellen bildete mein Grundwissen auf dem Gebiet der Astronomie. Es war sozusagen eine Drei Sternen-Astronomie.
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Das Tor zur Wüste
Im Frühling eines dieser Jahren unternahm ich mit meiner
jungen, kleinen Familie eine Rundreise in Tunesien, wobeineben der Küstenregion mit den maurischen, punischen undrömischen Sehenswürdigkeiten auch die Wüste im Süden desLandes mit ihren Oasen, die Ausläufer des Atlasgebirges unddie Salzseen auf dem Programm standen.
Es war auf dieser Reise von Tunis, über El Dijem, Sfax, Gabes,Matmata, und Gafsa, dass wir ganz in Süden das Tor zur Wüste
erreichten, das man wegen der Dünen der Sahara Douz nennt.Es ist ein winzige und verstaubte Oasenstadt, das nun wahrlichkeine große Geschichte vorweisen kann.
Douz mit Umgebung ist das Zentrum des zum Teil immer nochhalbnomadischen Mrazig -Stammes, die von den Beni Hilal abstammen sollen. Da die Regierung die Bevölkerung zur Sesshaftigkeit führt, reduziert sich die Zahl der Nomaden von
Jahr zu Jahr und wird man dort heute gar keinen Tuareg mehr antreffen. Früher war Douz jedoch ein wichtiger Haltepunktder Überland-Karawanenrouten. Der Wegfall des Karawanen-Betriebs wurde durch den Tourismus kompensiert. Pro Jahr werden in der Region von Douz 320.000 Übernachtungengezählt. Der Wüstentourismus schadet jedoch die Umweltwegen des exzessiven Wasserverbrauchs in den Oasen.
Im modernen Ortszentrum von Douz findet donnerstags der größte Wochenmarkt Südtunesiens statt, zu dem sesshafte undnomadische Käufer und Verkäufer aus der Umgebung,teilweise auch aus Algerien zusammenkommen. Früher zogensogar Tuareg aus Südalgerien mit ihren Karawanen zum Marktnach Douz. So war es auch nicht ungewöhnlich in diesem Ortkurz vor einem Donnerstag einen fremden Tuareg zu begegnen.
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"Touareg" im „Siebensterne-Hotel“
Unser Hotel in Douz war ein sogenanntes „Siebensterne-
Hotel“, das in einem schwarzen Zelt untergebracht war. Der Name bezog sich auf ein gutes Dutzend Löchern in denschwarzen Zeltbahnen, die den Beobachtern bei näheremHinsehen in jeder Richtung mindestens 7 Sterne bieten sollte.Uns störte die freigiebige Frischluftkultur keineswegs. Es war wirklich angenehm in diesem Riesenzelt.
Zur Förderung der lokalen Webereien hatte man uns zum
Abendessen in traditionellen Kleidern mit weißer Djellaba und bunt verziertem Turban gehüllt. Auch das war kein Problemund alsbald hatte ich vergessen, dass wir überhaupt solchexotischen Bekleidung trugen...
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Abb. 2: "Touareg" im „Siebensterne-Hotel“
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Abendspaziergang am Rand der Wüste
Und es war hier in der stillsten Abendstunden, dass ich nach
Sonnenuntergang einen Spaziergang in der Oase unternahm,während meine Frau es vorzog mit unserem Sohn im Hotel zu bleiben. Es war während dem Abendessen schlagartig völligdunkel geworden und so bewegte ich mich unter demmondlosen Himmel vorsichtig zum Stadtrand, auf einemSandpfad zwischen meterhohen Halmen, die vielleicht wieSchilfrohr oder eine Art Papyrus aussahen. das hier an denUfern eines Teiches oder auf sumpfigem Gelände wächst.
Die Nacht war glasklar und das Firmament himmlisch, wieSamt schwarzblau gefärbt, mit den Milchspritzern, welche dieHimmelsgöttin beim Stillen eines der jungen Helden verlorenhatte.
In der Finsternis wirkte die Luft unheimlich und windstill, undwährend meine Augen sich allmählich an die Dunkelheit
gewöhnten, vernahm ich plötzlich ein fremdes Rascheln. Esklang als ob ein winziges Spielzeug von einem Kind imSandkasten vergessen worden war und nun in den letztenZügen weiter ratterte bis die Feder die Spannung vollendsabgebaut hatte...
Vorsichtig spazierte ich weiter auf dem sich schlängelnden Wegzwischen dem hoch aufragenden, schwarzen Schilf. Dann sagich zwei Personen an einer kleinen Mauer mit einem Geräthantieren, das offensichtlich die Geräusche hervorrief. Beidewaren derart beschäftigt, dass sie mich gar nicht kommenhörten und sahen erst auf als ich bereits neben ihnen stand.
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„ Bon soir, monsieur y madame“,
begrüßte ich das Paar, das vielleicht als Ehepaar mittlerenAlters in einem der Touristenhotels untergebracht war. Siegrüßten auf Französisch zurück.
Das Gerät auf der Mauer war offensichtlich eine Kamera,womit man den Sternenhimmel bei absoluter Dunkelheitlängerer Zeit ablichten kann. Für diese Aufnahmen desnächtlichen Himmels benötigt man jedoch ein speziellesHilfsmittel. Die Sterne stehen von der Erde aus gesehen nichtstill. Da sich die Erde wie alle Planeten um seine eigene Achsedreht, verschiebt sich der Himmelsausschnitt fortwährend.Deshalb fotografiert man den Nachthimmel für wissenschaftliche Zwecke mit einer Nachführung, welche dieErdrotation kompensiert. Ohne eine solche Einrichtung würdenur der Polarstern im Norden annähernd als Fixsternabgebildet. Alle anderen Sterne werden als Kreisbögen umdiesem Zentrum herum abgebildet.
Das raschelnde Geräusch stammte nun von einemFederzuguhrwerk, womit die Kamera dem Sternenhimmelnachgeführt wurde1. Der Drehteller und das Getriebe stammtenaus eigener Fertigung und die Drehachse wurde mit einemPolsucher am Polarstern ausgerichtet wird.
Für solche Aufnahmen wählt man mondlose Nächte, weitabvon Großstädten mit dem vielen Kunstlicht und einer trüben
Atmosphäre. Nur deshalb waren die beide Touristen speziell zudiesem Tag den weiten Weg zum Wüstenrand gereist um dieseAufnahmen zu machen.
1 Auf der Webseite Nachtfotografie sind ähnliche Antriebssystemedokumentiert.
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Ich interessierte mich für ihre Maschine und erklärte, dass dieArbeiten mit Kassiopeia, Cygnus und Taurus einen wichtigenTeil meines Fachgebietes bilden.
Die Erwähnung dieser Gestirne elektrisierte das Forscherpaar und es entspann sich eine lebendige Diskussion über dieLeistungsgrenzen der Nachführung in der Nachtfotografie.Solche Systeme ermöglichen Belichtungszeiten zwischen etwa30 Minuten bei 28 mm Weitwinkelobjektiv und 5 Minuten bei200 mm Teleobjektiv.
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Der Abschied vom letzten Schamanen
Nach einer intensiven Diskussion über Kassiopeia, Cygnus undTaurus wechselten wir das Thema und nahmen den auffälligenOrion unter der Lupe, der in Mitteleuropa am Abendhimmel bis April zu sehen ist und einen mythischen Himmelsjäger darstellen soll. Das auffällige Sternbild von altertümlichenVölkern verschiedenste Bedeutungen zugeschrieben. Amwichtigsten war wohl die Festlegung der bedeutsamenErntezeiten, die ich mir während dem Geschichtsunterricht als
alte Bauernregeln gemerkt hatte:„ Die Dreschzeit kommt mit dem Riesen Orion“.
denn der Orion ist unsichtbar von April bis Juli und erst danach begann daheim die Drescharbeit.
Und auch anderes fiel mit wieder ein. Wenn das SternbildSkorpion im Osten aufgeht, muss Orion den Himmel im
Westen verlassen. Dadurch stehen die beiden Kontrahentenniemals zusammen am Himmel. Und zum Morgenletzt desOrions beginnt die Feldarbeit:
„Wenn die Pleiaden vor dem gewaltigen Riesen Orion
fliehen dann bebaue bedachtsam das Feld, wie ich dir
gebiete“.
Meine Weisheiten und mein Wissen imponierte das
französische Paar und sie sprachen ihre Verwunderung aus,dass man in dieser abgelegenen Oase noch soviel von demalten astronomischen Wissen erhalten habe!
Daraufhin war ich erst mal einige Sekunden sprachlos....
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Keineswegs war ich mit bewusst gewesen, dass ich immer noch die Djellaba und den bunt verziertem Turban trug.Offensichtlich war es auch zu dunkel mich als Westeuropäer zu
erkennen. Mein Französisch klang bestimmt auch ziemlichholprig, aber für einen waschechten Tuareg sicherlichakzeptabel.
Die beide Touristen betrachteten mich gewiss als einenEinheimischen, der als Schamane oder weiser Beduine denlokalen Bauern mit seiner Sternkunde beisteht und diekorrekten Einhaltung der Aussaat und Erntetermine überwacht.
Das war zu schön um wahr zu sein. Natürlich hätte ich sie jetztaufklären können, dass ich ein westeuropäischer Techniker wäre und meine Weisheiten zum Orion nur der ungenauenDetails einer fernen Schulstunde entstammten. Ihnen jedoch zusagen, dass sie sich täuschten und ich gar kein Afrikaner sei, brachte ich dann doch nicht übers Herz. Es würde ihnen auchunnötigerweise in ihrem Stolz verletzen...
Es wäre doch besser das Paar in der Gewissheit zurückreisenzu lassen, dass man in der Wüstenstadt Douz noch das alteGeheimwissen der astronomischen Himmelsuhr hütet, die auchdann noch funktioniert, wenn das gesamte Öl verheizt wordenist und die Überlebenden wieder wie die Beduinen in der Wüste zurechtkommen müssen. So ließ ich das französischePaar in der Wahn meines Wissens, verabschiedete mich höflich
auf Französisch und verfolgte stolz und mit aufrechtem Gangmeinen Weg.
Ich bin mir auch sicher, dass die beide Augenpaare sich nachmeinem Abschied noch eine ganze Weile völlig erstauntverfolgt haben müssen - in der Gewissheit das sie soeben einender letzten einheimischen Astronomen aus dem Lande der Tuareg verabschiedet hatten...
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Appendix: Die Sternbilder
Kassiopeia ist in Mitteleuropa ganzjährig sichtbar. Die Region
der Kassiopeia ist sehr sternreich, da sich die Milchstraße durch das Sternbild zieht. Mehrere offene Sternhaufen könnenhier beobachtet werden.
Der Schwan (lateinisch Cygnus) ist ein Sternbild nördlich desHimmelsäquators. Der Schwan ist ein auffälliges Sternbild amSommer- und Herbsthimmel. Durch den Schwan zieht sich dashelle Band der Milchstraße, weshalb das Sternbild reich an
interessanten Sternen und nebligen Objekten ist.Der Stier (lateinisch Taurus, astronomisches Zeichen: ) ist ein♉ Sternbild der Ekliptik. Der Stier steht nördlich des auffälligenOrion am Himmel. Der auffällige rötliche Stern Aldebaranstellt das Auge des Stieres dar. Der Stier kann vom Herbst biszum Frühjahr beobachtet werden.
Der Orion ist ein Sternbild auf dem Himmelsäquator. Der
Orion liegt zwischen dem Fluss Eridanus und dem Einhorn auf dem Himmelsäquator. Er ist in Mitteleuropa etwa von August(Morgenhimmel) bis April (Abendhimmel) zu sehen, auf der Südhalbkugel in höheren Breitengraden etwa von Juli bis Mai.
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