Der Begriff Der Eudaimonia in Platons Philebos - D. Frede

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Der Begriff der "Eudaimonia" in Platons Philebos Author(s): Dorothea Frede Source: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 53, H. 3 (Jul. - Sep., 1999), pp. 329-354 Published by: Vittorio Klostermann GmbH Stable URL: http://www.jstor.org/stable/20484902 . Accessed: 18/12/2014 16:22 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Vittorio Klostermann GmbH is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Zeitschrift für philosophische Forschung. http://www.jstor.org This content downloaded from 192.167.204.6 on Thu, 18 Dec 2014 16:22:06 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Der Begriff der "Eudaimonia" in Platons PhilebosAuthor(s): Dorothea FredeSource: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 53, H. 3 (Jul. - Sep., 1999), pp. 329-354Published by: Vittorio Klostermann GmbHStable URL: http://www.jstor.org/stable/20484902 .

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Dorothea Frede, Hamburg

Der Begriffder eudaimonia in Platons Philebos

i. Die Suche nach der Gliickseligkeit: vom Phaidon zum Philebos

Jeder, der einigermaf3en mit Platons Dialogen vertraut ist, wird den Phi lebos unmittelbar mit dem Begriffder Lust assoziieren, waihrend sich nur sehr wenige bewugt sein diirften, dag3 sein eigentliches Ziel die Ermitt lung des Gilicks im menschlichen Leben ist. So erklirt Sokrates am An fang des Dialogs, seine und Philebos' Aufgabe bestehe darin (iid): ,,Dag jeder von uns beiden einen Zustand oder eine Verfassung der Seele nach zuweisen versucht, der allen Menschen zu einem giiicklichen Leben ver helfen kann (TOv f3Lov E&UMova T;tah XFLV).` Diese Vernachlassigung des eigentlichen Themas des Dialogs ist keineswegs neuen Datums, denn schon in der Antike lautete sein Untertitel ,Ober die Lust'.1 Die Tatsa che, dag3 das Gesprach mit der Frage beginnt, was das gliickliche Leben ausmacht, scheint unter dem Eindruck der ausfiihrlichen Diskussion der Lust ganz in Vergessenheit zu geraten. Diese Verdrangung durfte aber nur zum Teil darauf zuriickzufuihren sein, dag unser Erinnerungsverm6gen oft das Dramatische zuungunsten des Subtileren, aber weniger Dramati schen hervorhebt. Vielmehr diirfte dazu auch beitragen, dag3 unsere Er

wartungen an Platons Konzeption dessen, was das gliickliche Leben hier auf Erden ausmacht, ohnehin nicht sonderlich hoch sind. Obwohl Ver weise auf eudaimonia und Verwandtes hiiufig in seinen Texten zu finden sind, sind Platons Visionen von einem guten Leben nicht eben erhe bend.2 Das liegt nicht allein daran, daf seine griffigen Vergleiche unserer irdischen Existenz mit einem Leben im Gefangnis sich leichter einpragen als die langatmigen Schilderungen des guten Lebens in der Politeia. Viel

mehr diirfte den meisten Lesern auch die Lebensweise, die Platon ftir sei nen besten Staat vorsieht, nicht sonderlich verlockend erscheinen. Fur diesen Mangel an Enthusiasmus sind nicht nur das rigide Reglement des

1 So etwa im Katalog von Platons Werken bei Diogenes Laertius, 3, 58. Zur Ausgangs

frage im Philebos vgl. D. Frede, Piaton Philebos. ?bersetzung mit Kommentar. G?t

tingen 1997, vor allem 98-in. 2

Vgl. L. Brandwood, A Word-Index to Plato. Leeds 1976,403-404.

Zeitschrift fur philosophische Forschung, Band 53 (1999), 3

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kasernierten Lagerlebens fur die ,Wachhunde' und die eugenischen Prak tiken verantwortlich, sondern ebenso sehr die Begriffe von Gesundheit und Harmonie in der Seele, die Platon als hinreichende Garantie fur ein gliickliches Leben ansieht. ,,Das Seine tun und sich nicht in die Angele genheiten von anderen einmischen",3 scheint ein allzu karges Lebenspro gramm zu sein, und zwar auch in den Augen derjenigen unter uns, die das Privileg haben, selbst Philosophen zu sein.4 Gewif hat Platons ideale Gesellschaft ihre unbestreitbaren Vorteile. Sie garantiert ein Leben ohne Konflikte. Der Staat ist gegen Angriffe von aug3en ebenso geschiitzt wie gegen Buirgerkriege von innen. Das diirfte in den Augen vieler Griechen kein geringer Vorteil gewesen sein, die standig unter der Bedrohung leb ten, dag3 der nachste Krieg oder Buirgerkrieg ihren Tod oder sog;ar den

Untergang der ganzen Polis bedeuten konnte. Obwohl sich die Arbeits teilung und die Beschrankung auf die eigene Tatigkeit daher als vorteil haft fur alle erweisen, ist der Preis fUir diesen Vorteil hoch, und zwar nicht nur fur all die Berufstatigen des dritten Standes, die bei Platon keinerlei politische Rechte genieBen. Auch ganz allgemein gesehen will uns das platonische Konzept der Arbeitsteilung und Selbstbeschrinkung, nicht recht schmackhaft erscheinen. Denn auch wenn die meisten von uns nur

wenig Neigung haben diirften, sich in fremde Angelegenheiten einzumi schen, am allerwenigsten in die von Politikern, scheint es uns dochi wich tig, daf3 wir unseren Beruf frei aussuchen und andern kbnnen, falls wir das wiinschen. Persbnliche Freiheit ist ein hohes Gut, selbst wenn es die Freiheit bedeutet, Irrtumer zu begehen. Daher ist auch das Recht auf po litische Betatigung hoch zu schatzen, falls die Neigung dazu bestelht. Ne ben der sozialen Beschrankungen ist es iiberdies der AusschluBi a priori aller sozialen und kulturellen Neuerungen, der Platons Idealstaat und das Leben seiner Burger auf uns eher abschreckend wirken lal3t. Diese Polis

3 R. 433 a; 443d. Vgl. auch die Definition der Ungerechtigkeit als polypragmosyne und

allotriopragmosyne (444 b), d.h. w?rtlich als , Vieltuerei' und ,Fremdtuerei'. 4 Auch in der Literatur erfreut sich der Begriff des Gl?cks bei Piaton, im Unterschied

zu dem bei Aristoteles und bei den Philosophen des Hellenismus, keiner besonderen

Aufmerksamkeit. So ist es symptomatisch, da? dieser Frage kein eigenes Kapitel des

neuen Sammelbandes zur Politeia gewidmet ist (O. Hoffe, hrsg., Piaton, Politeia. Ber

lin 1997), sondern das Gl?ck des platonischen B?rgers nur nebenbei diskutiert wird.

Meist bleiben Fachleute unter sich, wenn es um die Frage geht, ob Piaton das tugend hafte Leben allein f?r das gl?ckliche h?lt und ob es sich als tragf?hig f?r eine Ethik er

weist, vgl. J. Annas, The Morality of Happiness. Oxford 1993, ; Politics and Ethics in

Plato's Republic. In: Hoffe (1997), 147-153; R. Kraut, Plato's Comparison of Just and

Unjust Lives. Ibid., 271-290.

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mag eine gut geolte Maschine sein, aber damit ersch6pfen sich ihre Vor teile. Selbst die Stellung eines Philosophenk6nigs oder einer -konigin duirfte uns nicht gerade mit Neid erfiullen. Denn sie fuihren ein karges Le ben intellektueller Selbstgenugsamkeit: Ihr gliicklichster Augenblick kommt, wenn sie im Alter von 50 Jahren nur noch sporadisch zur Regie rungstiitigkeit herangezogen werden und sich fast ganz auf die Philoso phie konzentrieren diirfen (R. 540a-b).

An diesem asketischen Lebensbild andert auch Platons Aufwertung der Lust im neunten Buch des Staates nicht viel, obwohl er dort die Lust nicht mehr als St6rung abtut, vor der sich die Philosophen in acht neh men sollten.5 Statt dessen unterscheidet er zwischen h6heren und niedri geren Arten von Lust. Die wahren Freuden sind nicht nur frei von Schmerz, sondern haben statt des blofg Scheinbaren und Unverliflichen das wahrhaft Seiende zum Gegenstand. Diese wahren Freuden des Philo sophen sind den niedrigeren angeblich so iiberlegen, dafg sie das Philoso phen-Leben 729 mal angenehmer als das des Tyrannen machen (587e). Auch dieses Rechenkunststiick diirfte aber wenig dazu angetan sein, uns das karge Leben der pflichtbewugten Philosophen in Platons Idealstaat schmackhaft zu machen. So recht griin will dieses Lebens goldner Baum nicht scheinen. Gegeniuber der platonischen Maxime der Selbstgeniig samkeit, die den Einzelnen dem Gesamtwohl unterordnet (R. 42ob 421C), wirkt etwa das Gliicksprinzip des Aristoteles, wonach das beste Le ben in der ungehinderten Ausiibung unserer besten Talente besteht, weit attraktiver, obwohl er, wie Platon, das philosophische Leben als das beste ansieht.6

Das Bild bei Platon hellt sich ein wenig auf, wenn wir uns dem Sym posion und dem Phaidros zuwenden. Beide Dialoge praisentieren das Er denleben in einem positiveren Licht, und das in zwei Hinsichten. Zum einen weisen sie einen Weg zur Verbesserung in diesem Leben, der nicht nur Philosophen vorbehalten ist, sondern - jedenfalls in gewissem Um fang - auch gew6hnlichen Menschen offen steht. Die Botschaft, die So krates von Diotima gelernt haben will, macht das ganz deutlich. Ihr zu folge sind Menschen Gesch6pfe zwischen dem Sterblichen und dem

Unsterblichen. Sie alle sind auf der Jagd nach Selbst-Erftillung und Selbst-Verbesserung, soweit ihnen das moglich ist (Smp. 205a ff.). Zum

5 Vgl. dazu etwa die Kritik an der Lust im Gorgias (494c-50oa) und bes. im Phaidon

(68e-69b). Einen kurzen ?berblick von Platons Behandlung der Lust in Platons Dia

logen enth?lt mein Kommentar zum Philebos (Frede 1997), 222-227. 6

Vgl. Nikomachische Ethik Buch 1 (i097b22-i098ai7) und 10 (ii77ai2-ii78a8).

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anderen wird hier die korperliche Sch6nheit nicht langer nur als Storfak tor und Ablenkung angesehen, sondern sie dient als Anreiz und Wegbe reiter fur die Erkenntnis h6herer Sch6nheiten, auf einem Weg, der schlieg3lich zur Erkenntnis der Idee des Sch6nen fuhrt. Die Sch6nb.eit, so heift es im Phaidros, ist die einzige unter den Ideen, deren irdische Ab bilder uns anzieht (Phdr. 25od). Eros - als Liebe zum Schonen - darf auch dem K6rper gelten, solange er uns zum Hoheren und Besseren hin fuhrt. Die asketische und strikt rationalistische Lebenskonzeption des Phaidon und der Politeia scheint hier plotzlich durch ein Leben cler In spiration und Verzauberung ersetzt. So ist auch der inspirierte, vonI g6tt lichem Wahnsinn erfiillte Dichter dem niichternen Kollegen unendlich uiberlegen, der seine Verse nur nach Gebrauchsanweisung verfertigt (245a; 268c-e). Zwar ist zuzugeben, daE auch hier der Eros seine Aufwer tung nur der Tatsache verdankt, dag er die Seele zum Geistigen hinlenkt.

Dennoch stellt die padagogische Kraft des Eros eine echte Alternative zu dem engen und steilen Aufweg aus der Hohle in der Politeia durch philo sophisches Training dar, wie auch zur Reinigung der Seele von allen Ein fliuissen des Kbrpers, die der Phaidon als Befreiung vorsieht.7

Die Bedeutung dieser doch recht einschneidenden Veranderung in Platons Vorstellung vom gluicklichen Leben wird von vielen seiner Inter preten nicht recht gewuirdigt. Das mag zum Teil daran liegen, das das Symposion und der Phaidros als eine Domane der homines litterti von den Philosophen vernachlassigt werden, mit Ausnahme der Passage im Phaidros, die der dialektischen Methode gilt (265d-266c). Die Vernach lIssigung diirfte aber auch darin ihren Grund haben, dag3 man vielfach nicht bemerkt hat, daf; diese Veranderung den Weg bahnt zu der Kon zeption des guten, gluicklichen Lebens, das Platon im Philebos vertritt.

Allzu grog scheint der Abstand zwischen der Thematik der Werke aus Platons mittleren Jahren zur Problematik des Philebos. Denn auf den er sten Blick scheint er im Philebos ganz auf die gleichen Fragen konzen triert zu sein, die auch Gegenstand der anderen Spatdialoge sind. So fin den wir Hinweise auf die Kritik an der Ideenlehre im Parmenides, auf die Problematik der Entstehung falscher Urteile im Theaitet, auf die Frage von Wahrheit und Falschheit im Sophistes, auf die Anwendung der dia lektischen Methode im Politikos, wie auch auf die Prinzipien der Kosmo

7 Ob Platon die ?berzeugung von der ?berlegenheit der Inspiration teilt, die er Sokra

tes im Phaidros vortragen l??t, ist freilich umstritten, vgl. E. Heitsch. Piaton Phaidros.

?bersetzung und Kommentar. G?ttingen 1993, 91 f.

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logie im Timaios.8 Zudem laft die Hinwendung zur Dialektik am An fang des Philebos kaum eine echte Offenheit fur die Belange des gew6hn lichen Lebens erwarten. Denn kaum liegt die Frage auf dem Tisch, ob

Lust oder Wissen eher geeignet sind, ein gliickliches Leben zu garantie ren, sieht Sokrates sich zu der Erklarung bemuiiigt, dag daftir eine einge hende methodische Untersuchung erforderlich ist. Vor eine Entschei dung haben die Gotter erst einmal den Schweifu einer intrikaten Diskussion des Einen und Vielen gesetzt (I5a-2oa).

Verspricht dieser Anfang daher keine Beriicksichtigung der Leben sumstande normaler Menschen und deren Wuinsche, so scheint die Dis kussion freilich eine pragmatischere Wendung zu nehmen, wenn Sokra tes die Methodendiskussion plotzlich mit der Bemerkung als unnotig abtut, daf eine dialektische Behandlung der Frage von Lust und Wissen gar nicht nbtig ist, weil ihm pl6tzlich in Erinnerung gekommen ist, daE3 keiner der beiden Anwarter auf den Rang des hochsten Gutes fur sich ge nommen ein giiickliches Leben ausmachen kann (2ob). Vielmehr sei ei ne Mischung aus Lust und Wissen dem einen wie dem anderen Kandi daten allein vorzuziehen. Diese plotzliche Eingebung gibt der Diskussion eine neue Richtung.9 Anstelle der Verpflichtung, sich den Miihen einer dialektischen Aufteilung der Gattungen von Lust und Wissen zu unter ziehen, tritt jetzt die Frage, wie diese Mischung auszusehen hat und wel cher von beiden Kandidaten der wichtigere Bestandteil im guten Leben iSt (2ob-22e).

Auch nach dieser vielversprechenden Wendung ist das Studium des Dialogs kein reiner Spaziergang. Denn obwohl Sokrates auf lange Dicho tomien von Lust und Wissen verzichtet, dauert es noch sehr lang bis er seine gelungene Mischung aus Lust und Wissen prasentiert (6ib ff.). Vor her sind fur die Zuhorer wie auch fur Leser noch viele Schwierigkeiten zu meistern, die hier nicht ganz uibergangen werden konnen. Um die Natur der Mischung des guten Lebens aus Lust und Wissen zu erklaren, bedarf

8 Die Diskussion der Frage von Einheit und Vielheit in Phlb. I4d-i6a enth?lt deutliche

Anspielungen auf Prm. i29a-i3oa. Ebenso verweist die Erkl?rung der Urteilsfindung Phlb. 38a-39c auf Tht. i89e-i9oa und Sph. 263e-264a und der Gegensatz zwischen

Werden und Sein Phlb. 53c-55a aufTimaios 27a-29d. Mit demTimaios (35a-b; 43d;

73b-c) teilt der Philebos auch die Vorstellung, da? gute Dinge eine richtigen Mi

schung voraussetzen (Phlb. 25b-26d; 6icff).

9 Sokrates schreibt den Geistesblitz einem Traum zu - oder auch einer Lehre, die er im

Wachen geh?rt hat, an die er durch die Eingebung einer Gottheit erinnert sein will

dob).

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es einer Bestimmung dieser Bestandteile. Dazu fuihrt Sokrates zuniichst vier Seinsklassen ein: Grenze, Unbegrenztes, eine Mischung aus beidem und die Ursache der Mischung (23b-30c). Wie nicht anders zu erwarten, wird die Lust der Gattung des Unbegrenzten, das Wissen der Gattung der Ursache von Mischungen zugeschrieben (3Oa). Mit dieser Gattungs bestimmung ist zwar in gewisser Hinsicht ein Praijudiz fur die Bewertung von Lust und Wissen gegeben. Denn wie man Platon kennt, kann lJnbe grenztes kaum etwas sonderlich Gutes sein, waihrend zu erwarten ist, dag die Ursache, die fur das richtige Mag der Mischung sorgt, etwas Wertvol les darstellt. Aber auch diese Entscheidung ist nicht dazu angetan, das Be urteilungsverfahren zu verkiirzen. Denn Platon geht sehr ausfiihrlich auf die verschiedenen Arten von Lust und deren jeweilige Nachteile ein. Die se Diskussion nimmt volle 25 Stephanus-Seiten in Anspruch (3IC-55c),

wahrend die entsprechende Differenzierung der Kiinste und Wissen schaften es blog auf bescheidene vier Seiten bringt (55c-59d). Vor allem dieses Ungleichgewicht diirfte fur den Eindruck verantwortlich sein, das wahre Thema des Dialogs sei die Lust. Dieser Eindruck wird auch noch dadurch verstarkt, dag Platon sich sehr ausfiihrlich um Kriterien zur Be urteilung der Lust bemiiht und dabei nicht weniger als vier verschiedene

Arten von ,Falschheit' zu Tage f6rdert (36c-5oe). Zur Unterscheidung der verschiedenen Klassen von Wissen unternimmt er keine vergleichbaren Anstrengungen: er begnugt sich mit der Aufteilung in exakte Wissen schaften wie die Mathematik und weniger exakte Disziplinen wie die

Medizin. Neben MaB und Zahl stellen dabei auch die VerlaBlichkeit, Reinheit und Unveranderbarkeit der Gegenstande die Kriterien fur die Beurteilung (55e-57e).

Wenn Leser iiber all diesen Details leicht den Faden der Diskussion aus den Augen zu verlieren drohen, so behalt Sokrates das Ziel der Dis kussion sehr wohl im Visier. Am Ende stellt sich heraus, in welchem Um fang sich die beiden Rivalen um den Rang des zweith6chsten Gut-es fur die Mischung des guten Lebens qualifizieren: wahrend alle Arten von

Wissenschaften und Kiinsten fur das gute Leben notwendig sind, werden nur die guten und reinen Arten von Lust zugelassen (6id-64a). Das Re sultat aus diesem Vergleich faBt Sokrates in einer veritablen Gutertafel

mit klaren Rangunterschieden zusammen: Da die Stabilitat jeder Mi schung auf der Proportion und dem Mag ihrer Ingredienzien berulht, er

weist sich das richtige MaB als das hbchste Gut. Als zweites kommen die Dinge, die ein solches Mag enthalten, als drittes ihre Ursache, naimlich Vernunft und Einsicht. Die verschiedenen Wissenschaften kommen an

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vierter Stelle, und die reinen Formen von Lust nehmen die fuinfte und letzte Stelle auf der Giitertafel ein (66a-c). Mit dieser Einteilung endet der Dialog. Nicht nur Protarchos erklart seine Zufriedenheit mit dem Er gebnis, sondern auch Sokrates stimmt ihm mit einer abschliegenden Zu sammenfassung bei (67a): ,,Hat es sich also nicht an diesem Punkt der Diskussion ganz klar gezeigt, dag jede von beiden, Vernunft wie Lust, ihren Anspruch verliert, das Gute selbst zu sein, da es beiden an Selbstan digkeit fehlt und sie weder hinreichend noch voilkommen sind?"

Ende gut, alles gut, - so scheint es nach diesem kurzen Uberblick uiber den Verlauf des Gesprachs. Und warum sollte es sich dabei nicht auch in Platons Augen um ein gutes Ende handeln? Schlieflich hat er Sokrates selbst den Kompromig vorgeschlagen lassen, wonach das gute Leben ei ne Mischung aus Lust und Wissen sein soll; alle weiteren Uberlegungen dienen der Ausstaffierung dieses gemischten Lebens, insbesondere der sorgflltigen Auswahl der Liiste und der Etablierung entsprechender Kri terien. In der Tat diirfte dieses Ergebnis viele Leser mit einer gewissen Be friedigung erftillen, weil es bedeutet, dag Platon sich im Alter zu der Ein sicht durchgerungen hat, dag3 ein bigchen Freude und Vergniigen nicht nur nichts schadet, sondern nachgerade zu jedem Leben gehort, weil es ohne eine Beimischung von Lust niemandem als lebenswert erscheint. Denn nicht nur Protarchos scheint dieser Meinung zu sein, auch Sokra tes iugert keine Vorbehalte gegen das Ergebnis des Dialogs.10

Angesichts dieser Schlug3worte des Sokrates scheint es keinen Grund fur Zweifel zu geben, daf3 Platon uns im Philebos mit der Mischung von Lust und Wissen seine eigene Konzeption des gliicklichen Lebens prasen tiert. Abgesehen von gelegentlichen Witzworten, Zweideutigkeiten und selten auftretenden Spannungen zwischen den Partnern ist von Ironie

wenig zu merken. Gibt es also irgendwelche Grunde fur die Annahme, daf3 Platon Vorbehalte gegeniiber dem Kompromig hegt, den er Sokrates schliegen laft? Solche Grunde gibt es in der Tat, trotz des gerade gezeich neten Bildes von Harmonie und Eintracht. So muf3 schon allein die Tat sache verwundern, dag Platon ausgerechnet Sokrates zum Advokaten der Position bestellt, dag ein Leben der Vernunft nicht hinreicht, zumal die Lust des Geistes in der Konzeption des gemischten Lebens keine Rolle

10 Nicht Sokrates, sondern Protarchos verabschiedet sich mit der Ank?ndigung weiteren

Diskussionsbedarfs (66b): ?Da w?re nur noch eine Kleinigkeit ?brig, Sokrates. Du

wirst doch sicher nicht eher aufgeben als wir! Ich werde dich aber an das erinnern, was

noch aussteht."

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spielt, auf die Sokrates in der Politeia doch so viel Gewicht legt.lI Irn Phi lebos ist von philosophischen Freuden dagegen gar nicht die Rede. Es gibt aber noch weitere Zweifelsgriinde. Da ist zum einen die Pldtzlich keit von Sokrates' Kompromigbereitschaft, deren Gruinde er in einem ,,Traum oder vielleicht auch im Wachen" geh6rt haben will (20b1), und die fur ihn eine ordentliche dialektische Behandlung von Lust un(i Wis sen uiberfluissig machen. Zum anderen gibt die Definition der Lust selbst

Anlai zur Frage, warum Platon sie als einen notwendigen Bestandteil des Lebens ansehen soll. Drittens deutet Sokrates im Lauf der Diskussion immer wieder an, dagi ein Leben der Vernunft, ohne St6rungen durch

Lust und Schmerz, doch eigentlich das beste von allen ist. Ich wercle die se Bedenken, die eigentlich fur ein Festhalten Platons an seinem gewohn ten intellektuellen Purismus sprechen, der Reihe nach durchgehen und dann erklaren, aus welchen Griinden er dennoch einem gemischten Le ben der Vorzug gibt.12

2. Die Rechtfertigung des ,Kompromisses'

Welche Verdachtsmomente gibt es, dafi Sokrates dem Kompromifs nicht zustimmt, sondern ihn etwa nur aus taktischen Griinden vorschlagt? Da ist zunachst die Tatsache zu nennen, daf3 Sokrates damit jah die sorgsam erlauterte dialektische Methode fir iiberfluissig erklart. Es gibt in Platons Dialogen sonst kaum eine derartig dramatische Wende. Aus diesem Grund haben manche Kommentatoren die Diskussion der dialektischen Methode, dieses ,,Geschenk der G6tter" (i6c), fur einen blof3en Einschub gehalten, fur einen Exkurs zur Frage der diairesis, der nur in losern Zu sammenhang mit dem Rest des Dialogs steht. Wenn das aber der (Grund fur diese Ausfiihrungen ist, dann hat Platon sie aul3erordentlich schlecht in den Dialog integriert. Denn zunachst besteht er nachdriicklich auf der

1 * Zur Frage, warum Sokrates im Philebos im Gegensatz

zu den anderen Sp?tdialogen wieder als Gespr?chsfuhrer fungiert, vgl. D. Frede: The Hedonist's Conversion. The

Role of Socrates in the Philebus. In: Ch. Gill & M.M. McCabe, Form and Argument. Studies in Late Plato Cambridge 1995, 213-248. Eine Kurzfassung enth?lt Frede (1997),

Appendix I, Die Entstehungszeit des Dialogs und die ,Sokratische' Frage, 385-389. 12 Dieser Aufsatz stimmt in seinen Grundannahmen mit der Auffassung ?berein, die

auch meinem Kommentar zum Philebos zugrunde liegt. Er ist aber insofern ein letz

ter Nachtrag, als Bedenken gegen eine ,harmonische' Deutung des Dialogs als ganzem

dort nicht explizit zur Diskussion gestellt wurden.

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Notwendigkeit einer Bestimmung der Einheit und Vielheit auf jedem Wissensgebiet und hebt dies am Ende des angeblichen Exkurses auch nochmals hervor (igb): ,,Denn wenn wir so nicht mit jeder Einheit, Ahn lichkeit, Gleichheit und ihrem Gegenteil verfahren konnen, wie es die vorangegangenen Ausfuihrungen gezeigt haben, so diirfe sich keiner von uns jemals in irgendeiner Hinsicht als brauchbar erweisen." Unmittelbar darauf erkiart er eben dieses Vorgehen fur iiberfluissig. Dabei ware es Pla ton doch ein Leichtes gewesen, diese Inkonsequenz zu verschleiern, etwa

mit der Bemerkung: ,,Aber laf3t uns doch erst einmal folgendes uiberle gen", statt dieses Gottesgeschenk unvermittelt fur entbehrlich zu er klaren.

Wenn er aber mit Absicht den Richtungswechsel hervorhebt, was ist sein Motiv? Die Frage ist um so dringender, als in der nachfolgenden Dis kussion von der g6ttlichen Methode gleichwohl in gewissem Umfang Gebrauch macht wird. Sowohl in der ,vierfachen Einteilung alles Seien den' in Grenze, Unbegrenztes, ihre Mischung und deren Ursache als auch in der kritischen Musterung von Lust und Wissen finden sich rudi

mentare Anwendungen der diharetischen Methode. Es ist daher anzu nehmen, dag3 Platon gerade deswegen im voraus dargestellt hat, wie eine richtige Dihairesis aussehen miiute. So wird deutlich, dag wir hier keine

wissenschaftliche Behandlung des Gegenstandes im strengen Sinn vorge setzt bekommen, also nicht zu Experten in Sachen Lust und Wissen ge

macht werden sollen, sondern dag' die Klarung der Frage, um die es hier geht, dem Anspruch der Dialektik gar nicht gerecht werden will. Wie schon angedeutet, ware es eine sehr langwierige Aufgabe, samtliche Ar ten von Lust und Wissen methodisch durchzugehen und zu unterschei den. Es ist aber nicht allein die GroBe dieser Aufgabe, die Platon davor zuriickschrecken lagt, die notwendige ,Feldforschung' in Angriffzu neh

men. Er miigte namlich auch dann noch die Kriterien fur die Auswahl derjenigen Arten von Lust und Wissen festlegen, die fur das gute Leben notwendig sind. So ist die Abkurzung vorzuziehen, die sich um die Aus wahlkriterien bemiiht, und eben diesem Zweck dient die lange Diskus sion falscher Lust wie auch die knappe Dichotomie der Wissenschaften und Kiinste.

Hat Sokrates also sachliche Grunde fur seine Kehrtwendung gegen die Anwendung der g6ttlichen Methode, so stehen hinter seinem Kompro migvorschlag auch noch taktische Griinde: es gelingt ihm auf diese Wei se sehr friih, Protarchos der Partei der kompromiglosen Hedonisten ab spenstig zu machen. Denn bis zu diesem Punkt agiert dieser noch als

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Anwalt der philebischen Position. Daran hat auch seine Bereitschaft, sich den Miihen der Dialektik zu unterziehen, nichts geandert. Sokrates' tiraum artige Erinnerung, dafg weder Lust noch Wissen das hochste Gut dar stellt, lAt Protarchos bereitwillig auf den vorgeschlagenen ,Lackmus Test' eingehen, wonach das gute Leben drei Bedingungen erfillen muB: Es soll vollkommen, hinreichend und fur alle erstrebbar sein, die es ken nen. Die drei Kriterien erweisen sich als fatal fur die Position des unein geschrankten Hedonismus. In einem Mini-Elenchos weist Sokrates nach, dag ein Leben der Lust ohne jede Art von Wissen den drei Kriterien nicht geniigen kann. Es ist ein Leben ohne Wissen, daB man Lust emp findet, daB man sie je empfunden hat und ohne die M6glichkeit, sie sich fur die Zukunft zu sichern (2ia-d). Protarchos ist sofort iiberzeugt davon, daf3 dies ein Leben ware, wie es Muscheln und Quallen fuihren, das einen

Menschen aber nicht zufriedenstellen kann. Es ware somit weder voll kommen, noch hinreichend, noch auch fur alle erstrebbar.

Die Tatsache, dag Sokrates gute taktische Grunde fur den Vorschlag einer KompromifBl6sung hat, k6nnte in der Tat darauf hindeuten, daB er selbst diese L6sung nicht ernst nimmt, sondern nur Protarchos eine gol dene Briicke bauen will. So muB auffallen, dag Sokrates das Voturn des Protarchos gegen ein Leben des Wissens ohne Lust kommentarlos hin nimmt (2id-e). Oberdies spricht dafiir auch die Beobachtung, daL die Vernunft in diesem Mini-Elenchos, wonach Lust ohne Wissen nichts taugt, eine ganz seltsame Rolle spielt. Denn die Vernunft fungiert zum einen als Trager der Lust, zum anderen als Beschaffer. Protarchos gerat hier deswegen in Sokrates' Fange, weil er das Wissen von der Lust: und die Kalkulation weiterer Liiste als unerlaBilich ansieht. Das Wissen wird in diesem Kompromif3vorschlag also im Dienst der Lust gewissermagen instrumentalisiert.13 Gerade dieses ,Dienstverhaltnis' spricht aber (lage gen, da3 Platon selbst hinter dieser Losung steht; denn wozu sollte er das

Wissen zur Magd der Lust degradieren, wenn nicht, um Protarchos zu uiberreden? Muf3 es also nicht verdachtig oder geradezu ominos erschei nen, wenn Sokrates den KompromiE ohne weiteres iibernimmt un(d ihn zur Basis der weiteren Bestimmung des guten Lebens macht?

Nun haben Argumente e silentio immer etwas Migliches an sich, so wohl wenn man sie fur- wie wie auch wenn man sie gegen eine bestimm te Annahme anftihrt. Sokrates k6nnte ja durchaus seine eigenen Griinde

!3 So lautet auch die Diagnose im Kommentar von J. C. B. Gosling, Plato, Philebus, Ox

ford 1975,184.

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Der Begriffder eudaimonia in Platos Philebos 339

dafiir haben, einem gemischten Leben den Vorzug zu geben, ohne des wegen auch die Griinde zu teilen, die seinem Partner die Sache schmack haft machen. Schlieglich kommt die Einigung auf ein gemischtes Leben in einem friihen Stadium der Diskussion zustande. Daher kann erst die Priifung der weiteren Entwicklung der Diskussion ergeben, ob und aus welchem Grund Sokrates selbst einem gemischten Leben den Vorzug gibt. Als nachstes ist daher der Begriff der Lust naiher in Augenschein zu nehmen, um zu sehen, warum Sokrates sie als erstrebenswertes Ingredi enz des guten Lebens behandelt - jedenfalls die Arten, die seine kritische Priifung bestehen.

3. Die Definition der Lust

Eine kurze Andeutung zu den Uberlegungen mug hier geniugen, auf grund derer Platon die Lust in die Gattung des Unbegrenzten einordnet, wfihrend er das Wissen zu den Ursachen guter Mischungen rechnet. Zum Unbegrenzten (apeiron) rechnet er alles, was nicht von sich aus eine be stimmtes Grenze (peras) oder einen Grad hat, wie etwa Warme und Kal te, Schnelligkeit und Langsamkeit, H6he und Tiefe (24a-25c). Solche

Qualitaten k6nnen verschiedene Grade annehmen und gleichwohl ihre Natur behalten. Auch viel oder wenig Warme ist immer Warme. Neh men solche unbegrenzten Dinge einen festen Grad an, dann verlieren sie ihre Variabilitat. Letzteres geschieht immer dann, wenn sie zu Elementen einer stabilen Mischung werden (25d-26d). Da Sokrates gutes Klima oder die Gesundheit als Beispiele solcher Mischungen nennt, scheint er von vorgegebenen Proportionen auszugehen: ein gesunder Korper enthalt immer ein bestimmtes Quantum an Warme und Kalte, an Fliissigem und Festem. Wissen und Vernunft fungieren als Ursachen (aitia:) soicher

Mischungen, weil jede Ordnung Vernunft voraussetzt (26e-3od). Weil die Lust aber von sich aus keinen bestimmten Grad hat, geh6rt sie zur Gattung des Unbegrenzten. Sie unterscheidet sich dadurch von anderen Mitgliedern dieser Gattung, als sie - zusammen mit ihrem Gegenteil, dem Schmerz - an Prozesse von Zerstorung und Wiederherstellung in le benden Organismen gebunden sind (3id): ,,Ich behaupte nun, dag bei der Aufl6sung des harmonischen Zustandes in den Lebewesen zugleich Schmerz entsteht [...]. Wenn sich dagegen ihr natiirlicher harmonischer Zustand wieder herstellt, so entsteht Lust".

Gefiihle wie Hunger und Durst sind zunachst Sokrates' bevorzugte

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340 Dorothea Frede

Beispiele (3We): ,,Der H'unger ist doch eine Art von Auflosung und Un lust. - Das Essen dagegen, als die entsprechende Fillung, ist eine Lust."

Bald danach wird diese Definition allerdings noch weiter modifiziert: Nicht jeder Prozess von Auflbsung und Wiederherstellung ist schmerz oder lustvoll, sondern nur hinreichend intensive, die auger dem Kbrper auch die Seele erschiittern. Prozesse, die von ihr unbemerkt ablaufen, sind weder lust- noch schmerzvoll (33d). Diese grundlegende Definition von Lust als wahrgenommene Wiederherstellung oder als ,Fillung eines

Mangels' wird im Rest des Dialogs nirgends in Frage gestellt. Es folgt le diglich eine lange Diskussion der verschiedenen Arten von Maingeln und ihren Wiederherstellungen. Diese Definition lau3t unschwer erkennen,

warum Sokrates der Lust gegeniuber eine ambivalente Haltung ein nimmt. Sie ist ein Phanomen mit einer guten und einer schlechten Seite. Die gute Seite ist, dag3 Lust der Wiederherstellung eines gesunden Gleichgewichts dient. Die schlechte Seite ist, dag sie eine Storung oder einen Mangel an eben diesem Gleichgewicht voraussetzt. Diese Anibiva lenz deutet schon seine Einleitung der langen Diskussion verschiedener

Arten von Lust an (32d): ,,[Es] wird die Lust betreffend klar werden, ob ihre ganze Gattung schatzenswert ist oder ob dies nicht vielmehr einer der anderen Gattungen gebiihrt, wahrend auf Lust und Unlust zutrifft, was auch fur Heiges und Kaltes und alles von der Art gilt, dag wvir sie namlich manchmal schatzen, manchmal aber auch nicht, weil sie zwar nicht fur sich genommen gut sind, aber doch einige sich auch als gut er weisen."

Die ,Kritik der Lust', die den Lbwenanteil der Diskussion ausniacht, dient nun dem Zweck, herauszuarbeiten, in welcher Hinsicht es Richtig keit und Falschheit bei den verschiedenen Arten von Lust gibt. Plat-on ist immer wieder fir die Redeweise von ,falscher Lust' kritisiert worden, zu

mal er diesen Ausdruck auch noch in verschiedenen Bedeutungen ver wendet. Mir scheint diese Kritik weitgehend verfehlt, wie ich andernorts darzulegen versucht habe. 14 Hier soll der Hinweis genuigen, daf Platons Diagnose der ,Falschheit' der Lust uns deswegen nicht zu beunruhigen braucht, weil er - Sprachgebrauch hin, Sprachgebrauch her - lediglich die verschiedenen Weisen aufdeckt, in der irgend etwas falsch an den ver schiedenen Arten von Liisten sein kann. Lust kann falsch sein, weil sie auf falschen Annahmen basiert, wie bei der beriihmten Milchmadchen

14 Eine ?bersicht ?ber die Sekund?rliteratur gibt mein Aufsatz Rumpelstiltskins Pleasu

res: True and False Pleasures in Plato's Philebus. Phronesis 30 (1985), 151-180.

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Der Begriffder eudaimonia in Platos Philebos 34I

rechnung. Lust kann in ihrem Ausmag; und Wert iiberschatzt werden, wie von Esau bei seinem Linsengericht. Lust kann falschlich mit Freiheit von Schmerz verwechselt werden. Und Lust kann unauflo6slich mit Schmerz vermischt sein, also ,unrein' sein. Die letzte Art halt Sokrates fuir besonders gefahrlich, weil diese ungesunden Mischungen durch ver meintliche Linderungsmittel nur weitere Nahrung erhalten. Seine komi sche Schilderung spricht fur sich, wie ein Liistling sich halb zu Tode kit zeln laift und diese Mischung aus Lust und Schmerz fur das beste halt, was ihm auf Erden widerfahren kann (47a-b). Wenn diese Schilderung uns vielleicht auch nicht davon iiberzeugen wird, dag/ sexuelle Lust ein morbider Zustand ist, so teilen wir doch wohl Sokrates' Uberzeugung, daf; die Kultivierung solcher Zustande nicht allein den Inhalt eines men schenwuirdigen Lebens ausmachen kann.

Nach Platon sind solche krankhaften Mischungen von Lust und Schmerz nicht auf den K6rper beschrankt. Auch die Seele leidet unter ungesunden Erregungszustanden. Fur derartige Mischungen halt Platon etwa den Zorn, die Sehnsucht oder den Neid. Eine eingehende Analyse des Lachens in der Kom6die soll diesen Standpunkt plausibel machen. Das scheinbar so unschuldige Lachen, wenn man jemanden sich zum Narren machen sieht, deutet er als eine Art von Ubelwollen oder Scha denfreude. Da die Dummheit eigentlich ein Ungluick ist, sollten wir die Leute bemitleiden, die da vorgefuihrt werden und zu Schaden kommen, statt uns uiber sie zu amiisieren. Dag wir dennoch fur solche Freuden empfanglich sind, ist fur Platon ein Zeichen von tiefsitzendem Ressenti

ment gegen andere. Ein innerlich harmonisch geordneter Mensch lacht nicht uber solche Dinge. - Es kann hier keine Diskussion iiber die Frage gefuihrt werden, wie plausibel Platons Analyse der Emotionen ist. Das

Amusement der Athener als sie in Aristophanes' Wolken die angebliche Schule des Sokrates samt Inhalt in Flammen aufgehen sahen, diirfte Pla ton in seiner Auffassung bestatigt haben. Zwar mag die Freude an frem der Leute Pleiten, Pech und Pannen nicht alles sein, was die Komodie ausmacht, aber Platon legt hier doch den Finger auf einen wichtigen Fak tor. Die meisten unserer Freuden m6gen harmlos genug sein. Sie konnen aber auch tiefliegende Charakterfehler zu Tage fordern. - ,,Sage mir,

woruber du lachst, und ich sage dir, wer du bist." Mit dieser Entdeckung prasentiert Platon hier zum ersten Mal ein

neues Kriterium fur eine moralische Beurteilung bestimmter Arten von Lust und Unlust. In seinen fruiheren Dialogen hatte er bestimmte Arten von Lust blog3 ihrer negativen Konsequenzen wegen verurteilt: sie storen

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342 Dorothea Frede

den Geist, lenken ihn ab und stiften ihn zu allen m6glichen Obeltaten an. Im Philebos geht es dagegen um die innere Natur der Affekte. 'Platon hat offensichtlich erkannt, dag es sich dabei um ,intentionale Zustande' handelt, wie man heute sagen wiirde. Diese Diagnose trifft auf all (die Af fekte zu, die nicht nur ein Objekt, sondern auch einen Gehalthaben. Das ,Woruber' unserer Freude ist namlich nicht immer ein einfacher CGegen stand wie ein schmackhafter Apfel oder ein Glas Wein; vielmehr besteht das ,Objekt' oft in der Annahme bestimmter Sachverhalte. So freuen wir uns manchmal iiber die angebliche Tatsache, dag jemand uns ein teures Geschenk gemacht hat, daB wir im Lotto gewonnen haben, daf eim Arti kel von 25 Leuten zitiert wurde, etc. Nicht alle derartigen Freuden sind falsch, aber es besteht doch stets die Moglichkeit dazu. Das Geschenk entpuppt sich als billige Imitation, die Lottozahlen waren falsch und der

Artikel, der so viel Aufsehen erregt hat, stammt gar nicht von mir, son dern von einem anderen Menschen gleichen Namens. Es gibt unzaihlige Freuden dieser Art, die sich oft genug in Schmerz verwandeln, sobald man die Wahrheit erfahrt. ,,Zu friih gefreut", pflegen die lieben Nfach barn zu sagen. Sind solche Arten falscher Lust im Alltag moralischL gese hen meist harmlos genug, so sind es die der Schurken keineswegs. Sie zie len darauf ab, anderen zu schaden oder ihnen Schmerzen zu bereiten, und eben dies meint Platon mit der Schadenfreude in der Kom6die.

Die Diskussion von falscher im Sinne von moralisch verfehlte:r Lust muf3 hier abgebrochen werden. Es sollte lediglich gezeigt werden, welche Funktion die Lust in Platons Vorstellung von einem harmonisch ge mischten Leben hat und welch enge Grenzen er ihr setzt. Wie schon die kurze Charakterisierung der ,falschen' Lust zeigt, hat Platon neue Beur teilungskriterien entdeckt, die es erlauben, viele Arten von Lust fuir das gute Leben auszuschliefBen. Nur ein Dummkopf kann sich an Dingen er freuen, die gar nicht der Fall sind, und nur ein Schurke an solchen, die anderen schaden.

4. Das ungemischte Leben des reinen Denkens

Angesichts der Tatsache, daB die Lust so viele Fehlerhaftigkeiten aufweist und zudem grundsatzlich einen Mangel und eine St6rung des gesunden Gleichgewichts voraussetzt, erhebt sich die Frage, warum Sokrates uiber haupt bereit sein soll, dem gemischten Leben den Vorzug vor einemn Le ben reiner Geistigkeit zu geben. In der Tat gibt es mehrere Anzeichen,

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dag er das ungemischte Leben eigentlich vorzieht. So erwahnt er gleich zu Anfang der langen Diskussion von Lust und Schmerz die M6glichkeit eines ,dritten Zustandes'. Es ist der Zustand eines ungestorten Gleichge

wichtes (32e). ,,Wenn richtig ist, was wir sagten, dag bei solch einer Zer storung Schmerz entsteht, bei der Wiederherstellung aber Lust, wie sol len wir dann iiber den Zustand denken, in dem weder Zerstorung noch

Wiederherstellung stattfindet? [...] Empfindet nicht zu dem Zeitpunkt jedes Lebewesen ganz notwendigerweise weder Lust noch Schmerz, we der viel noch wenig?" DaB er diesen Zustand fur besonders gut halt, zeigt der weitere Zusatz, der auch bei Protarchos auf Zustimmung stogt (33b): ,,Und es ware vielleicht auch gar nicht abwegig, wenn sich dieses Leben als das gottahnlichste von allen erweisen sollte." Diese Passage ist nicht etwa die einzige, an der Sokrates auf einen neutralen Zustand verweist. So erwahnt er wenig spater, ein solcher Zustand sei durchaus m6glich, auch wenn wir keine G6tter sind (42e-43b). Er begriindet diese Annah

me mit einer Erwagung daruiber, was geschehen wiirde, wenn unser Kor per keinem Wechsel von Zerst6rung und Wiederherstellung unterwor fen waire. Auf Protarchos unwillige Gegenfrage, wie das denn zugehen sollte, verweist Sokrates darauf, dag diese Mbglichkeit durchaus besteht,

weil die meisten der standigen Veranderungen, die in uns stattfinden, von uns ganz unbemerkt bleiben; denn von den physiologischen Prozes sen, die ihren Organismus erhalten, merken die Menschen in der Regel gar nichts. Aus diesem Grund betrachtet Sokrates ein neutrales Leben ohne Lust und Schmerz durchaus als eine reale M6glichkeit und behaup tet, da$ eben diese M6glichkeit gewisse Leute dazu verfiihrt hat, die Lust

mit der Schmerzfreiheit zu verwechseln.15 Er halt das zwar fur einen Feh ler; das andert seiner Meinung nach aber nichts daran, dafg es diese Art von Leben gibt und daf3 man sie als gut, wenn auch nicht als lustvoll, an sehen kann. DaB ein ,drittes' ungemischtes Leben erstrebenswert ist, ver sichert Sokrates noch an einer dritten Stelle, namlich in der abschliefBen den Bewertung der ganzen Gattung der Lust (53c-55a), in der er feststellt, dal Lust immer ein Werdeprozefg, eine genesis, ist und als solcher dem Sein (ousia) unterlegen ist, zu dem er hinfiihrt. Die Tatsache, daB alles

Werden um des Seins willen geschieht und nicht umgekehrt, dient ihm zur abschliegenden Abwertung der Position von Hedonisten, fur die die

!5 ?ber die Identit?t der ,Lusthasser', die aus Aversion gegen die ?blichen Freuden ein

Leben der Schmerzfreiheit als besonders angenehm propagieren, besteht bisher keine

Einigkeit, vgl. Frede (1997), 267-274.

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Erfillung des Lebens in der Lust besteht (55a): ,,Also entscheidet sich der jenige fur Werden und Vergehen, der diese Wahl trifft, aber nicht fur je nes dritte Leben, in dem es weder Lust noch Unlust gibt, dafuir aber Ein sicht von hbchster Klarheit." Protarchos ist damit vollig einverstanden: ,,GroBer Unsinn kommt dabei heraus, wie es scheint, wenn uns jemand die Lust als das Gute hinstellt, Sokrates".

All diese Verweise auf eine ,neutrale' Lebensform, die frei von Lust und Schmerz ist, spricht fur den Verdacht, dag hier eine Art ,Subtext' vorliegt. Platon scheint da eine Spielkarte im Armel zu haben, die er zwar gelegentlich sehen laft, die er aber schlieglich in der Bestimmung des guten Lebens doch nicht ausspielt. Denn die Mischung, die er zum Schluf3 empfiehlt, ist eine Kombination aus allen Arten von Wissen mit den wahren und reinen Arten der Lust. Was erklart nun diese Vernach liissigung des ,dritten' Lebens von Schmerz- und Lustfreiheit? An jkeiner der entscheidenden Stellen ist eine Spur vofI Ironie zu entdecken, und es hat auch nicht den Anschein, als gehe Sokrates auf den KompromiB des gemischten Lebens nur Protarchos zu Gefallen ein. Denn der ist zwar willig genug, Sokrates in seiner Kritik an falschen Liisten zu folgen, will aber dennoch einem Leben ohne jede Lust nicht den Vorzug geben. So krates' letzte Worte deuten aber gar nicht darauf hin, daB er sich nuar um des lieben Friedens willen gefuigt hatte. Nirgends findet sich ein Hinweis darauf, daB das zusammengemischte gute Leben zwar gut genug fur Pro tarchos ist, nicht aber fur Sokrates und die anderen Anhanger der ,Muse der Philosophie', die Sokrates in seinem SchlufBwort als Zeugen gegen die ,vulgaren' Arten der Lust bemiiht (67b).

Nach Meinung mancher Kommentatoren ist Sokrates' Zufriedenheit mit dem Ergebnis damit zu erklaren, daB die ,wahren' Freuden im Phile bos gar nicht in der Wiederherstellung einer Harmonie oder irn Aus gleich fur einen Mangel bestehen. Nach dieser Interpretation trifft Pla tons Kritik, bei der Lust handle es sich bestenfalls um ein sekundares

Gut, auf die reinen Arten von Lust nicht zu, die Sokrates nach den ge mischten einfuhrt (5oe-53c)l6 DafB auger reinen Sinneseindrucken wie reinen Farben und Tone nur die Freuden des Geistes als wahre Freuden anerkannt werden, deuten diese Interpreten als ein Zeichen, daB ]'laton im Philebos in gewisser Hinsicht die aristotelische Konzeption der ener geia oder entelecheia schon vorweggenommen hat. Eine energeia ist kein

16 Au?er H.G. Gadamer, Platons Dialektische Ethik, Leipzig 1931, 159, vertritt auch

Hackforth (1945), 107 diese Auffassung.

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Der Begriffder eudaimonia in Platos Philebos 345

Fillungs- oder Wiederherstellungsprozeg, sondern die Ausiibung einer Fahigkeit, die wir bereits in vollem Umfang besitzen. Nach Aristoteles findet kein ProzeI3 statt, wenn wir unsere Augen oder Ohren gebrauchen oder auch uber eine philosophische Wahrheit nachdenken. Wir aktuali sieren in diesem Fall lediglich unser Potential; eine Verainderung findet dabei nicht statt. Ausgebildete Musiker werden nicht jedesmal erst wieder zu Musikern, wenn sie ein Musikstiick spielen. Die Lust, die solche Akti vitaten begleitet, ist daher keine ,Wiederherstellungsfreude' im Sinne Platons; sie ist in sich vollkommen und durchaus vertraglich mit einem vollkommenen Gleichgewichtszustand in der Seele des Musikers.

Nun sei der Vorteil dieser aristotelischen Auffassung uber die Lust an der vollkommenen Ausuibung der eigenen Fahigkeiten nicht bestritten.

Man kann sie aber nicht in den Philebos hineinlesen. Zwei Griinde schliefen diese Moglichkeit aus. Zum einen bestreitet Sokrates ausdriick lich, dag das Leben der reinen Vernunft irgendeine Lust enthalt. Fur ihn ist mit der Ausiibung der reinen Kontemplation keine Lust verbunden und daher empfinden die Gotter auch keine (32d-33b).17 Zum anderen ist die Behauptung, dag Sokrates die reinen Freuden nicht als Prozesse ei ner Wiederherstellung behandelt, schlicht falsch. Ebenso falsch ist die

Annahme, dag ihnen keine Art von Mangel von Korper oder Seele zu grundeliegt. Der Text lkft keinen Zweifel daran, dag der Unterschied zwischen reinen und gemischten Liisten nur darin liegt, dag die reinen Freuden auf einem ungefhlten Mangel beruhen, auf einer anaisthetos en deia (5ib). Wie Sokrates schon gegenuiber den Herakliteern vermerkt hat, sind nicht alle Prozesse so intensiv, daB sie die Seele affizieren (43b). So gibt es in uns Mangelzustande, von denen wir nichts merken, und diese sind die Basis reiner Freuden: folglich sind diese angenehme Fiillungen eines ungeftihlten Mangels.

Dag auch die reinen und wahren Arten von Lust auf solchen Prozes sen beruhen, macht begreiflich, warum Platon im Philebos so wenig von intellektuellen Freuden spricht. Die einzige derartige Art von Lust, die er in den Katalog der reinen Freuden aufnimmt, ist die Freude am Lernen, nicht die am Wissen (5ie-52a): ,,Dann wollen wir noch die Lust am Ler nen hinzufugen, wenn wir denn der Auffassung sind, dag sie keinen

17 Wer alles hat, hat keinerlei Bedarf, wie Sokrates bereits im Dialog Lysis gegen die

Freundschaft zwischen guten Menschen einwendet (2i4e-2i5c). Aus diesem Grund

philosophieren auch laut Symposion 203e die G?tter nicht: sie sind schon im Besitz

der Weisheit.

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346 Dorothea Frede

Hunger nach Lernen enthalt, oder grundsatzlich der Hunger nach Er kenntnissen keine Schmerzen mit sich bringt." - Diese Zuriickhaltung, was die Moglichkeit hoherer Freuden des Geistes angeht, mug all dieje nigen iiberraschen, die noch den Lustkalkiil aus dem 9. Buch der Politeia im Gedachtnis haben. Dag Platon im Philebos nur noch von den be scheidenen Freuden des Lernens spricht, wirkt wie ein Verrat am Tri umph des Philosophen iiber den Rest der Welt. Platon hat aber gute Griinde fur seine Zuriickhaltung. Er will offensichtlich die Klarheit und Eindeutigkeit seiner Definition der Lust nicht in Gefahr bringen, ilndem er die Existenz von Freuden zugibt, die nicht in der Wiederherstellung eines Aquilibriums bestehen. Wollte er auch vollkommene Arten von Lust im Sinne der aristotelischen energeia zulassen, dann wiirde die Lust in zwei verschiedene Gattungen fallen, so daJ3 Platon sich gezwungen sahe - wie in der Politeia - die einen als echte, die anderen als Bastard Liiste zu bezeichnen (R. 587b). Eben das will er im Philebos offernsicht lich nicht. Aus diesem Grund macht er auch keine Ausnahme in seiner Schlufzusammenfassung iiber die Natur der Lust (53c): alle ihre Arten sind Werdeprozesse (genesis). Auch wenn das Resultat solcher Prozesse gut ist, ist der Prozess selbst doch nur ein sekundares Gut, ein Wieder herstellungsgut. Daher darf uns die Lust willkommen sein, wenn sie ei nen Heilungsprozesse anzeigt; sie ist aber nie ein Gut per se. Wie tins al len bewufBt ist, ist es zwar gut, im Krankheitsfall ein Heilmittel zu hiaben, aber besser war's man brauchte weder Arzt noch Arznei.

Dieses Resultat scheint uns nun aber erst recht in Verlegenheit zU brin gen, was unsere eigentliche Frage angeht. Denn es erklart nun keines wegs, warum Sokrates dem Ergebnis zustimmt, dagi das gemischte Leben das beste ist. Vielmehr wiirde es die Annahme stiitzen, dafi er nach wie vor das Leben des reinen Denkens fur das beste halt. Denn warum. sollte er einen Kompromig zugunsten eines blog sekundaren Gutes vorziehen?

Ob die Mangel nun gefiihlt oder ungefuihlt sind, Mangel bleibt doch Mangel. Diese Frage bringt uns nun zu unserem letzten Punkt, namlich der Erklarung des gemischten Lebens als des gliicklichen Lebens.

5. Die richtige Mischung

Der Beweggrund, der Sokrates dazu veranla$t, auf seinen intellektuellen Purismus zugunsten eines Kompromisses zu verzichten, ist nicht schwer zu finden. Die Losung des Ritsels liegt, kurz gesagt in folgendem: Sokra

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Der Begriffder eudaimonia in Platos Philebos 347

tes pladiert fur ein gemischtes Leben nicht etwa, weil es das beste aller denkbaren Zustande darstellt, sondern weil es das beste menschenmogli che Leben ist. Obwohl Platon diese Erklarung im Philebos nicht expressis verbis ausspricht, gibt es doch verschiedene Hinweise, dag er eben dieses

meint. Dazu sei nur nochmals auf die Stellen verwiesen, an denen Sokra tes bestatigt, daB Menschen immer den Prozessen von Auflosung und

Wiederherstellung unterworfen sind, selbst wenn sie davon nichts mer ken. Es ist bezeichnend, dafB er hier die Herakliteer nicht etwa widerlegt, sondern die Mbglichkeit eines standigen Flusses aller Dinge lediglich mit der Bemerkung ,geschenkt' abtut (43a). Sokrates halt es in diesem Zu sammenhang fur ausreichend, dag man von dem Flug in sich nichts zu

merken braucht. Damit ist aber die Fluglehre selbst durchaus nicht etwa widerlegt. Sie schadet blog nicht. Wichtiger noch: Sokrates macht ganz deutlich, dag der Zustand des nicht-Bemerkens des Flusses in uns nicht mit dem ungest6rten Zustand der Gotter zu verwechseln ist. Wenn die beiden Stellen vorhin in einem Atemzug als Zeugnisse fur ein drittes, neutrales Leben genannt wurden, so ist das jetzt zu modifizieren. Es ist zwischen zweierlei Arten von neutralem Leben zu unterscheiden: dem der G6tter, die keinem Flug unterliegen, und dem der Menschen, die - mit einigem Gliick - von dem standigen Zu- und Abflug, dem sie ausge setzt sind, nichts merken.

Ganz abgesehen davon, dag die Chancen gering sind, dag ein derart ungest6rter Zustand bei Menschen lang anhalt, hat Platon auch einen guten Grund, fur die Menschen ein gemischtes Leben einem neutralen Leben volliger Unbedurftigkeit vorzuziehen. Dieser Grund besteht dar in, daB3 die richtige Art von Lust in der Fullung der richtigen Art von Be darf besteht. Wie unschwer zu sehen ist, verstarkt die Lust das Bestreben nach Selbst-Vervollkommnung im Menschen, weil sie ihn dazu veran laBt, sich um die Beseitigung seiner Maingel zu kiimmern. Wenn aber so

wohl der K6rper als auch die Seele standigen Prozessen des Verfalls un terliegt, bedarf es auch standiger Wiederherstellungen. Menschen sind nach Platon keine gbttergleichen Wesen, denen die Zeit nichts anhaben kann. Daher sind angenehme ,Auffuillungen' nicht etwa zu meiden, son dern zu suchen, solange damit weder ungesunde Auf- und Erregungen noch Irrtiimer und Falschheiten verbunden sind. Naturlich sollte man die Lust nicht um ihrer selbst willen suchen, wohl aber um des Zustan des willen, zu dem sie hinfuihrt. Daher ware es falsch, sie als notwendiges Obel zu bezeichnen; sondern sie ist in der Tat ein sekundares Gut, wenn sie einen Ansporn zur Selbstvervollkommnung bietet. Und aus eben dem

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348 Dorothea Frede

Grund sind gewisse Arten von Lust fur Platon willkommene Bestandtei le des guten menschlichen Lebens.

Der Begriffder eudaimonia im Philebos ist somit auf dem Hintergrund der Lektion zu verstehen, die der friiher so lustfeindliche Sokrates bei Di otima im Symposion gelernt hat. Dazu sei nur die wichtigste Stelle zitiert, weil sie einen standigen Flug nicht nur fur den Korper, sondern auch fur die Seele begruindet (207d ff.): ,,Von dem einzelnen Lebewesen sagit man ja, daB es lebe und dasselbe sei, wie einer von Kindesbeinen an immer der selbe genannt wird, wenn er auch ein Greis geworden ist: er heift immer noch derselbe, obwohl er nie dasselbe an sich behalt, sondern immer ein neuer wird und Altes verliert - an Haaren, Fleisch, Knochen, Blut und dem ganzen Leibe. Und nicht nur am Korper allein, sondern auch an der Seele, die Angewohnheiten, Sitten, Meinungen, Begierden, Lust, UJnlust und Furcht - davon behalt niemand immer das gleiche, sondern das eine entsteht, das andere vergeht. Und viel seltsamer als dieses ist, daB auch die Erkenntnisse nicht nur teils entstehen, teils vergehen, und wir nie dliesel ben in bezug auf sie sind, sondern daB auch bei jeder einzelnen Erkennt nis so etwas geschieht. Denn was man Nachdenken nennt, bezielht sich auf eine vergehende Erkenntnis. Vergessen ist namlich das Vergehen einer Erkenntnis [...]. Und auf diese Weise wird alles Sterbliche erhalten, nicht so, dag es immer dasselbe ware, wie das Gottliche, sondern indem das

Vergehende und Veraltende ein anderes Neues von der Art zurUcklif3t, wie es selber war." - Die Frage kann hier nicht weiter verfolgt werden, wie die Verfolgung des Sch6nen und Gottlichen im Symposion und inm Phai dros dieser standigen Jagd nach Selbstvervollkommnung Rechnung tragt. Es diirfte jedoch deutlich sein, dal3 Platon im Symposion davon ausgeht, dag bei Menschen auch der scheinbar sichere Besitz des Wissens kein sta biler Zustand ist, sondern wie alles andere standigem ,Abflug' ausgesetzt ist und daher nach Erganzung durch Obung verlangt.

Was konnen wir aus all dem fur den Philebos machen? Wenn Platon das menschliche Leben als einen innerlich instabilen Zustand ansieht, dann ist klar, warum er sich fur ein gemischtes Leben und fur die Kulti vierung der richtigen Arten von Lust einsetzt. Er hat offensichtlich die Auffassung aufgegeben, dag ,Anasthesie' die beste Politik ist, - wenn das wirklich je seine Meinung war.18 Aus diesem Grund stimmt Sokrates im

18 Auch in sehr jenseitigen' Dialogen ist die Sinneswahrnehmung ein notwendiges Re

quisit f?r die T?tigkeit des Geistes (Phaidon 73C-75C). Vgl. dazu auch J. Szaif, Platons

Theorie der Wahrheit, Freiburg 1996, bes. 75-91; 168-182.

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Philebos auch den Verdrief3lichen nicht zu, den dyschereis, wenn sie in der Schmerzfreiheit den bestmoglichen Zustand sehen. Nicht nur haben sie den falschen Begriff von Lust; sie haben auch die falsche Konzeption des menschlichen Lebens, weil ein Leben in Untatigkeit die M6glichkeit der Selbst-Vervollkommnung vernachlassigt, zu der man durch die Lust am Lernen und an reinen Sinneseindriicken angespornt wird. Die angebahn te Ehe von Wissen und Lust in der Mischung am Ende des Dialogs stellt also keine unbehagliche Koexistenz dar, in der die Lust nur so lang will kommen ist, als sie sich wohlverhalt und die Vernunft nicht stort, wie es zunachst scheinen konnte (63c-d). Die Lust ist vielmehr deswegen will kommen, weil sie ein integraler Teil der Prozesse ist, die das menschliche Leben erhalten und bereichern, insbesondere wo es um den Erwerb und die Ausiibung von Tugend, Gesundheit und Wissen geht (63e-64a).

Wenn die ,Mischung' also eine Art von Konzession auf Platons Seite dar stellt, dann ist es keine Konzession an unverbesserliche Hedonisten, son dern eine Konzession an die condition humaine als solche. Im Unter schied zur gottlichen ist die menschliche Selbst-Geniigsamkeit, autarkeia, auf standige Nachbesserung angewiesen und daher sind die guten unter den Liisten ein notwendiges Ingredienz unseres Lebens.

Aus aihnlichen Griinden akzeptiert Sokrates auch die weniger genauen Arten des Wissens in der Mischung. Reine Wissenschaft ist nicht von der Art, daf3 sie uns die Probleme des Alltags losen hilft. Wie Sokrates aus fuihrt, wiirde ein Philosoph sich nachgerade lacherlich machen, wenn er beim Hausbau auf dem idealen Kreis oder auf ideal geraden Linien be stunde. Wir miissen mit Imperfektionen fertig werden und materielle In strumente beniitzen, wenn wir auch je nur unseren Weg nach Hause fin den wollen, wie Protarchos dazu anmerkt. Und so ist auch Raum fur die Freude an der Musik: wir brauchen auch die weniger reinen Kiinste, ,,wenn denn unsere Leben ein Leben sein soll" (62c).

Wenn aber die eigentliche Botschaft des Philebos darin bestehen soll, daf3 die Lust aus den genannten Grunden notwendig fur die Verfolgung eines gluicklichen Lebens ist, warum hat Platon diesen Sachverhalt nicht selbst deutlicher zum Ausdruck gebracht? Drei oder vier Satze hier und da hatten zu Verdeutlichung geniigt, daf3 er hier die gleiche Flug-Lehre fur die menschliche Natur voraussetzt, die er im Symposion vorgetragen hat. - Solche Hinweise wiirden nicht nur das Ergebnis des Dialogs ver standlicher machen, sondern auch unsere Bereitschaft verstarken, die lan gatmigen Ausfiihrungen iiber die Lust iiber uns ergehen zu lassen. - Mit dieser Frage sieht man sich freilich nicht nur beim Lesen des Philebos

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konfrontiert. Darin liegt vielmehr das standige Problem, das die Inter pretation von Platons Dialogen darstellt. Er scheint uns oft mit den Stuicken eines Puzzles zu konfrontieren und uns das Zusammensetzen selbst zu iuberlassen, ohne daf3 wir sicher sein k6nnen, auch nur alle Stucke vor uns zu haben. Der Grund fur dieses Vorgehen diirfte seine Oberzeugung sein, daB nur die Anregung zum Selbstdenken eine schrift liche Weitergabe philosophischer Gedanken rechtfertigt.19 Daher ver

meidet er es, seine Leser mit vollstandigen Theorien zu konfrontieren. Auf der anderen Seite sollten wir eingestehen, dag3 darin auch die Lust am Studium Platons besteht. Ware er weniger zuriickhaltend, gabe es nicht halb so viel zu tun und nicht halb so viel Freude am Knobeln. Wie schon Lessing bekennt, ist es vorzuziehen, die Wahrheit zu suchen, als sie zu be sitzen.

Im iibrigen ist anzumerken, daf3 Platon uns im Philebos jedenfalls fur seine Verhaltnisse sogar ausgesprochen viele Hinweise darauf gibt, daf3 die Natur der Lust als Werden und als Wiederherstellunganzusehen ist. Er betont die Wichtigkeit dieser Konzeption, wenn er die Lust als Wieder herstellungs des natiirlichen Gleichgewichtes durch vielerlei Synonyme zum Ausdruck bringt: ,Ruckgabe', ,Weg zur eigenen Natur, ,Wieder kehr'; ,Restauration' 20 Er unterstreicht die Bedeutung dieses Aspektes nochmals am Ende seiner Lustkritik mit seiner abschliefenden Di;agno se, daf3 alle Lust eine genesis ist. Eben diesen Gesichtspunkt unterstreicht er iuberdies bereits in seiner vierfachen Einteilung alles Seienden mit der Kennzeichnung der Klasse der Mischungen als ,genesis eis ousian' (27d-e). Dieser Ausdruck hat zu Irritationen bei Kommentatoren gefuihrt, die darin eine iuberfliusse Komplikation sehen und die Seltsamkeit der Aus drucksweise daher am liebsten herunterspielen wollen. So meint Hlack forth: ,,genesis eis ousian need mean no more than genesis alone."21 Nun ist zwar sicher richtig, daf es nicht mehr bedeuten mufl. Aber eine solche

Verharmlosung beseitigt manchmal den entscheidenden Clou. Der be steht in diesem Fall in der Ankundigung, da1 es Platon bei der Gattung der Mischung um Prozesse geht, die zu erfolgreichen, bzw. zu guten End produkten fuihren, die er hier als harmonisches Aquilibrium einer Mi schung aus Unbegrenztem und Grenze versteht.

Abgesehen von der Betonung des Aspektes der genesis gibt aber auch

19 Darin besteht der Sinn der vieldiskutierten ,Schriftkritik' im Phaidros (274b-278e). 20

3id-32b: out??ooic, el? qw?iv o?o?, ?vaxcbQTioi?. 42d, 46c: xaxaataai?. 21 R. Hackforth, Platos Examination of Pleasure, Cambridge 1945, 49 A. 2.

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Der Begriffder eudaimonia in Platos Philebos 35I

die augere Form des Dialogs wichtige Hinweise zu seiner Deutung, ins besondere die Tatsache, dafB Sokrates hier wieder als Gesprachsfiihrer auf tritt. Dieses Wiedererscheinen hat vielfach AnlaI3 zu Verwunderung ge geben, nachdem es einmal feststand, daB der Philebos eines der letzten

Werke Platons ist, vielleicht sogar das letzte, sieht man von den Nomoi ab. Eine naheliegende Begriindung fuir die Wiederkehr des Sokrates liegt in der Fragestellung; schliefBlich stellt die Rivalitat zwischen Lust und

Wissen ein altes Thema des Sokrates dar, das er hier zu einem versohnli chen Ende bringt. Wen anders als Sokrates hatte Platon mit dieser Ergan zung betrauen sollen, da sie zugleich eine Korrektur der Behandlung der Lust im 9. Buch der Politeia bedeutet? Dem ist noch hinzufiigen, dag3 sich fur die Empfehlung des gemischten Lebens auch nicht so leicht ei ner der Vertreter der anderen Schulen angeboten hatte: Weder einem Py thagoreer noch einem Eleaten wiirde die Rolle des Gesprachsfuihrers gut anstehen. Vielmehr ist es eine sokratische Aufgabe, an die Diskussion des Symposions wieder anzuknupfen und die Notwendigkeit einer standigen Selbstvervollkommnung zu betonen. Freilich haben wir es im Philebos in vieler Hinsicht mit einem recht anderen Sokrates zu tun als in den friiheren Dialogen, einschlieglich des Theaitet. Denn er fahrt das ganze

Arsenal der spateren platonischen Dialektik auf und bezieht iiberdies auch noch die Begriffe von Begrenzung und Unbegrenztheit mit ein, die Platon vermutlich erst einer naheren Bekanntschaft mit den Lehren der Pythagoreer seiner eigenen Zeit verdankt.22

Das Vorhaben des Dialogs selbst, eine Partei junger Leute von ihrer unreflektierten hedonistischen Position abzubringen, als deren Symbolfi gur Philebos selbst auftritt,23 ist jedoch zweifellos eine sokratische Aufga be. Und so ist es kein Zufall, daB wir hier mit Protarchos ein viel lebhaf teren und personlich engagierteren Partner vor uns haben als in den

22 Der Philebos ist der einzige Dialog, der Spuren der sogenannten ,ungeschriebenen Lehre' aufweist, auch wenn mit Grenze und Unbegrenztheit und mit der Betonung des richtigen Ma?es noch nicht die letzten Prinzipien der platonischen Metaphysik

gemeint sein k?nnen, auf die Aristoteles und sp?tere Zeugnisse verweisen. Vgl. dazu

die Zusammenstellung von K. Gaiser, Piatons ungeschriebene Lehre, Stuttgart 1968.

Zur Mathematisierung von Piatons Philosophie vgl. auch M. Burnyeat, Platonism

and Mathematics. A Prelude to Discussion. In A. Graeser (Hrsg.): Mathematics and

Metaphysics in Aristotle, Bern 1987, 213-240. 23 Der Philebos ist der einzige Dialog, dessen Titelperson nach wenigen S?tzen ausschei

det und das Gespr?ch einem Stellvertreter ?berl??t. Piaton will mit diesem fr?hen

R?ckzug vermutlich signalisieren, da? Philebos in seiner Unwilligkeit, andere M?g lichkeiten auch nur zu erw?gen (i2b-c), als dialogunf?hig einzustufen ist.

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anderen Spatdialogen nach dem Theaitet. Das soll nicht heigen, dafE Pro tarchos Sokrates in allen Stiicken zu folgen vermag. Wir finden irnmer

wieder Anzeichen, dag er sich uiberfordert fiihlt (I7a; Ige-20a; 2id; 53c-e). Die eigentliche Botschaft des Dialogs, dag3 nur eine Mischung aus; Lust und Wissen das Leben lebenswert macht, kommt aber durchaus bei ihm an, und so gelingt es Sokrates schrittweise, aus einem Philebaner einen Sokratiker zu machen. Diese Bekehrung im einzelnen nachzuzeichnen ist hier nicht der Ort. Der erste Schritt ist mit seiner Einsicht getan, da-1 die Lust kein einheitliches Phanomen ist, sondern eine Vielfalt von Arten enthalt (I5c). Der - methodisch gesehen - letzte wichtige Schritt besteht in seinem Bekenntnis, die Lust als ein Werden konne nicht das Gute selbst sein (55a). Damit scheidet die unmodifizierte hedonistische IPositi on endgiiltig aus; von diesem Punkt an dreht sich das Gesprach, nach der Differenzierung der Arten von Kiinsten und Wissenschaften, um:l die richtige Zusammenmischung des guten Lebens und um die Einstulfung der Giiter in der ,Preisverleihung', mit welcher der Dialog sein EncLe fin det.

Sokrates selbst hat also keineswegs die Position aufgegeben, dafS die Erkenntnis die entscheidende Komponente der richtigen Lebensfiihrung ist. Da er jedoch sieht, da3 der Mensch nicht vom Wissen allein leben kann und ihr Besitz ihm auch nicht sicher ist, empfiehlt er eine ausgewo gene Mischung aus Lust und Wissen als den Zustand der Seele, der ein gliickliches Leben garantiert. Das zu zeigen ist alles, was der Dialog sich zum Ziel genommen hat, und dieses Ziel erreicht er auch. Ober diese for male Anzeige der Zusammensetzung des guten Lebens und seiner [ngre dienzien geht die Diskussion freilich nicht hinaus. Sie beschrankt si,ch zu dem ganz auf den individuellen Seelenzustand und auf die Bedingungen, die jeder einzelne fur sich zu erfillen hat, um einen m6glichst guten Zu stand zu erreichen, wie es der Aufgabenstellung am Anfang des Dialogs entspricht (iid). Soziale und politische Fragen bleiben hier - in einer fur Platon sonst ganz untypischen Weise - ausgespart. Wenn wir wissen wol len, welche Vorstellungen Platon im Alter von einer Gesellschaft hegt, die fur das gute Leben notwendig ist, so miissen wir uns die Nomoi vorneh

men, denn auch dort spielen Lust und Schmerz eine wichtige Rolle. Die se Frage kann hier jedoch nicht angeschnitten werden.

Schlieglich darf nach der positiven Bewertung von Platons Konzep tion des gemischten Lebens noch ein Wort der Kritik nicht fehlen. Seine

Theorie der Lust hat gewisse Nachteile, die bereits in dem kurze:n Ver gleich mit der aristotelischen Konzeption der Lust als Teil einer ungrehin

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derten natiirlichen energeia zum Vorschein gekommen sind. Platons Be schrankung der Lust auf die Wiederherstellung des Gleichgewichtes oder auf den Ausgleich fur einen Mangel versagt vor der Tatsache, daf; wir oft das am meisten geniegen, was wir am besten konnen. Die Behautptung scheint wenig iiberzeugend, wir fiillten dabei jeweils einen ungeftihlten

Mangel auf. So wiirde ein Meister-Pianist sich vermutlich sehr wundern, wenn wir ihm begreiflich machen wollten, er erfreue sich nicht an der Beethoven-Sonate als soicher, sondern an der Wiederherstellung seines gestorten inneren Gleichgewichtes! Das gleiche gilt fur angenehme Sin neswahrnehmungen. Fur all diese Falle jeweils einen ungefuihlten Man gel zu hypostasieren, ware eine klare petitio principii. Schon eine kurze Reflexion auf die Aktivitaten, die wir am liebsten tun, mug zu Unbeha gen angesichts der platonischen Erklarung fiihren, da$ die Freude an der Sache nur auf der Wiederherstellung eines harmonischen Gleichgewich tes beruht.

Auf der anderen Seite darf nicht uibersehen werden, daf3 Platons Theo rie von der Erftillung auch gewisse Vorteile im Vergleich zur aristoteli schen energeia hat. So bietet sie eine bessere Erklarung daftir, dag; wir uns nie sehr lang an ein und der selben Sache erfreuen konnen. Aristoteles' Erklarung, dag dieses Phanomen auf eine Ermuidung im buchstablichen Sinn oder auf eine Uberlagerung einer Aktivitat durch eine andere, noch attraktivere, zuriickzufuihren ist, erweist sich als unbefriedigend.24 Pla tons Theorie ist in dieser Hinsicht plausibler: wenn der Bedarf erfillt ist, erfreut der ProzeS nicht mehr; vielmehr st6rt die Uberfille das natuirli che Gleichgewicht, wie etwa im Fall des Oberessens. Zudem kann Platon die seltsame Unrast besser erkldren, welche die meisten Menschen kenn zeichnet. Es ist sattsam bekannt, daS die Freude an den eigenen Errun genschaften nie lange wahrt. Das gilt fur Philosophen und andere Wis senschaftler ebenso wie fur die meisten anderen Beschaftigungen. Die Freude liegt im Finden, nicht im Haben von Erkenntnissen, im L6sen von Problemen, nicht im Uberdenken des Gelosten. Nicht nur das: so wie eine Aufgabe erledigt ist, brauchen wir eine neue. Es mag zwar sein, dagi diese Unfahigkeit uns unseres Besitzes und unserer Errungenschaf ten zu erfreuen, ohne sofort nach Neuem zu greifen, ein Laster und keine

Tugend ist. Darin liegt aber eine weitere Bestatigung von Platons Grun dannahme uiber das Wesen der Lust: wir sind auch innerlich immer in ei nem Flufl begriffen, suchen nach anderem, Neuem. Diese Tatsache erin

24 Vgl. Nikomachische Ethik H54b20-3i.

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nert an den ,damonischen Jager', als welcher der Mensch im Symposion charakterisiert wird, der zwischen dem G6ttlichen und dem Sterblichen steht: es ist der menschlichen Natur nicht gegeben, vollkommen zu sein.

Und daher bedeutet fur Menschen Rasten nichts als Rosten. Aus diesem Grunde wuirde Platon wohl auch bestreiten, dagB wir uns ohne einen Mangel an unseren Sinneseindriicken erfreuen und ohne Mangel Musik und Kunst geniegen. Er wiirde darauf bestehen, dag das, was wir als Ak tualisierung des Potentials im Sinne des Aristoteles bezeichnen, nichts anderes ist als die Erfillung eines Mangels, und dag das auch fur den Kiinstler gilt, der seine Beethoven-Sonate spielt. Wir bemerken den kon stant entstehenden Mangel nicht, solange wir ihn stets wieder ausglei chen. Wenn wir aber ein Talent eine Weile haben rosten lassen, dann

wird der Verlust fiihlbar. Ist er wieder ausgeglichen, dann hort die Freude an der Wiedergewinnung auf und wir sehen uns genotigt, aufzuhbren.

Mit diesem Stichwort sei auch die Diskussion von Platons Konzeption des gliicklichen gemischten Leben beendet. Es sollte hier lediglich plausi bel gemacht werden, daf3 der Sokrates, den Platon im Philebos wiecder als Gesprachsfiihrer auftreten lal3t, von alten Grundiiberzeugungen nicht abgeruckt ist. Der Kompromigvorschlag aus dem Philebos ist genau das, was sein Name sagt. Es ist freilich kein Kompromif ad hominem, um die jungen Leute trotz ihrer hedonistischen Neigungen fur die sokratische Sache zu gewinnen, sondern ein Kompromig zugunsten der - notwendi gerweise stets unvollkommenen - menschlichen Natur.

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