Das Prinzip Hoffnung. Erster bis Dritter Band. (stw 3)

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Ernst Bloch Das Prinzip Hoffnung Erster Band [Klappentext] Ernst Bloch wurde am 8. Juli 1885 in Ludwigshafen geboren, studierte Philosophie und Physik und lebte zunächst als freier Schriftsteller in München, Bern und Berlin. 1933 emigrierte er in die Tschechoslowakei und 1938 in die USA. Von 1949 bis 1957 war er Ordinarius für Philosophie an der Universität Leipzig und seit 1961 an der Universität Tübingen. 1967 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buch- handels. Werke. Geist der Utopie, Thomas Münzer als Theologe der Revolution, Spuren, Erbschaft dieser Zeit, Subjekt-Objekt, Das Prinzip Hoffnung, Naturrecht und menschliche Würde, Verfremdungen, Tübinger Einleitung in die Philosophie. Als Ernst Blochs «Prinzip Hoffnung« 1959 im Suhrkamp Verlag erschien, war es schon, obwohl bis dahin noch nicht vollständig publiziert, ein berühmtes Werk. Heute ist die Wirkung vielleicht nicht mehr die eines Lauffeuers, aber sie reichttiefer: Das Antizipieren der Zukunft, das »Träumen nach vorwärts«, das in diesem Werk philo- sophisch demonstriert wird, hat nicht nur das wissenschaftliche Denken ungemein angeregt, sondern ist tief in das Lebensgefühl der heutigen Generation eingedrun- gen. / Geschrieben 1938-1947 in den USA durchgesehen 1953 und 1959 Suhrkamp taschenbuch wissenschaft 3 Dritte Auflage 26-35 Tausend 1976 / Meinem Sohn Jan Robert Bloch /

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  • Ernst Bloch

    Das Prinzip Hoffnung

    Erster Band

    [Klappentext]Ernst Bloch wurde am 8. Juli 1885 in Ludwigshafen geboren, studierte Philosophie und Physik und lebte zunchst als freier Schriftsteller in Mnchen, Bern und Berlin. 1933 emigrierte er in die Tschechoslowakei und 1938 in die USA. Von 1949 bis 1957 war er Ordinarius fr Philosophie an der Universitt Leipzig und seit 1961 an der Universitt Tbingen. 1967 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buch-handels. Werke. Geist der Utopie, Thomas Mnzer als Theologe der Revolution, Spuren, Erbschaft dieser Zeit, Subjekt-Objekt, Das Prinzip Hoffnung, Naturrecht und menschliche Wrde, Verfremdungen, Tbinger Einleitung in die Philosophie.Als Ernst Blochs Prinzip Hoffnung 1959 im Suhrkamp Verlag erschien, war es schon, obwohl bis dahin noch nicht vollstndig publiziert, ein berhmtes Werk. Heute ist die Wirkung vielleicht nicht mehr die eines Lauffeuers, aber sie reichttiefer: Das Antizipieren der Zukunft, das Trumen nach vorwrts, das in diesem Werk philo-sophisch demonstriert wird, hat nicht nur das wissenschaftliche Denken ungemein angeregt, sondern ist tief in das Lebensgefhl der heutigen Generation eingedrun-gen.

    /Geschrieben 1938-1947 in den USAdurchgesehen 1953 und 1959

    Suhrkamp taschenbuch wissenschaft 3Dritte Auflage 26-35 Tausend 1976/Meinem Sohn Jan Robert Bloch/

  • INHALTVorwort 21

    ERSTER TEIL (BERICHT) KLEINE TAGTRUME

    1. Wir fangen leer an 21

    2. Vieles schmeckt nach mehr 21

    3.Tglich ins Blaue hinein 21

    4.Versteck und schne Fremde 22Unter sich 22 - Daheim schon unterwegs 23

    5. Flucht und die Rckkehr des Siegers 24Ab zu Schiff 25 - Die funkelnde Schale 26

    6.Reifere Wnsche und ihre Bilder 30Die lahmen Gule 31 - Nacht der langen Messer 32 - Kurz vor Torschlu 33 - Erfindung eines neuen Vergngens 35 - Gelegenheit, freundlich zu sein 36

    7. Was im Alter zu wnschen brigbleibt 37Wein und Beutel 38 - Heraufbeschworene Jugend; Gegenwunsch: Ernte 38 - Abend und Haus 41

    8. Das Zeichen, das wendet 44

    ZWEITER TEIL (GRUNDLEGUNG) DAS ANTIZIPIERENDE BEWUSSTSEIN

    9. Was als Drngen vor sich geht 49

    10. Nacktes Streben und Wnschen, nicht gesttigt. 49

    11. Der Mensch als ziemlich umfngliches Triebwesen 52Der einzelne Leib 52 - Kein Trieb ohne Leib dahinter 52 - Die wechselnde Leidenschaft 54

    12. Verschiedene Auffassungen vom menschlichen Grundtrieb 55Der geschlechtliche Trieb 55 - Ichtrieb und Verdrngung 56 Verdrngung, Komplex, Unbewutes und die Sublimierung 59 Machttrieb, Rauschtrieb, Kollektiv-Unbewutes 63 - Eros und die Archetypen 67

    13.Die geschichtliche Begrenztheit aller Grundtriebe; verschiedene Lagen des Selbstinteresses; gefllte und Erwartungs-Affekte 71Der dringende Bedarf 71 - Verllichster Grundtrieb: Selbsterhaltung 72 - Geschichtlicher Wandel der Triebe, auch des Selbsterhaltungstriebs 74 - Gemtsbewegung und Selbstzustand, Appetitus der Erwartungsaffekte, vorzglich

  • der Hoffnung 77 - Selbsterweiterungstrieb nach vorwrts, ttige Erwartung 84

    14 Grundstzliche Unterscheidung der Tagtrume von den Nachttrumen. Versteckte und alte Wunscherfllung im Nachttraum, ausfabelnde und antizipierende in den Tagphantasien 86Neigung zum Traum 86 - Trume als Wunscherfllung 87 - Angsttraum und Wunscherfllung 91 - Eine Hauptsache: Der Tagtraum ist keine Vorstufe des nchtlichen Traums 96 - Erster und zweiter Charakter des Tagtraums: freie Fahrt, erhaltenes Ego 98 - Dritter Charakter des Tagtraums: Weltverbesserung 102 - Vierter Charakter des Tagtraums: Fahrt ans Ende 107 - Ineinander nchtlicher und tglicher Traumspiele, seine Auflsung 111 - Nochmals Neigung zum Traum: die Stimmung als Medium von Tagtrumen 116 - Nochmals die Erwartungsaffekte (Angst, Furcht, Schreck, Verzweiflung, Hoffnung, Zuversicht) und der Wachtraum 121

    15. Entdeckung des Noch-Nicht-Bewuten oder der Dmmerung nach Vorwrts. Noch-Nicht-Bewutes als neue Bewutseinsklasse und als Bewutseinsklasse des Neuen: Jugend, Zeitwende, Produktivitt. Begriff der utopischen Funktion, ihre Begegnung mit Interesse, Ideologie, Archetypen, Idealen, Allegorien-Symbolen

    129Die zweiRnder 129 - Doppelte Bedeutung des Vorbewuten 130 - Noch-Nicht-Bewutes in Jugend, Zeitwende, Produktivitt 132 Weiteres zur Produktivitt: ihre drei Stadien 138 - Unterschiede des Widerstands, den das Vergessene und das Noch-Nicht-Bewute der Erhellung entgegensetzen 144 - Epilog ber die Sperre, die den Begriff des Noch-Nicht-Bewuten so lange verhindert hat 149 - Die bewute und die gewute Ttigkeit im Noch-Nicht-Bewuten, utopische Funktion 161 - Weiter utopische Funktion: das Subjekt in ihr und der Gegenzug gegen das schlecht Vorhandene 167 - Berhrung der utopischen Funktion mit Interesse 171 - Begegnung der utopischen Funktion mit Ideologie 174 - Begegnung der utopischen Funktion mit Archetypen 181 - Begegnung der utopischen Funktion mit Idealen 189 - Begegnung der utopischen Funktion mit Allegorien-Symbolen 199

    16. Utopischer Bildrest in der Verwirklichung; gyptische und trojanische Helena204Trume wollen ziehen 204 - Nicht-Gengen und was darin stecken kann 205 - Erster Grund der Enttuschung: Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glck; zweiter Grund: Verselbstndigter Traum und die Sage der doppelten Helena 206 - Einwand gegen den ersten und zweiten Grund: Odyssee des Stilliegens 113 - Dritter Grund der utopischen Reisebilder: die Aporien der Verwirklichung 217

    17. Die Welt, worin utopische Phantasie ein Korrelat hat; reale Mglichkeit, die Kategorien Front, Novum, Ultimum und der Horizont

    224 Der Mensch ist nicht dicht 224 - Vieles in der Welt ist noch ungeschlossen 225 - Militanter Optimismus, die Kategorien Front, Novum, Ultimum 227 - Das nach Mglichkeit und das in Mglichkeit Seiende:, Klte- und Wrmestrom im Marxismus 235 - Knstlerischer Schein als sichtbarer Vor-Schein 242 - Falsche Autarkie; Vor-Schein als reales Fragment 250 - Es geht um den Realismus, alles Wirkliche hat einen Horizont 256

  • 18. Die Schichten der Kategorie Mglichkeit 258Das formal Mgliche 258 - Das sachlich-objektiv-Mgliche 259 Das sachhaft-objektgem Mgliche 264 - Das objektiv-real Mgliche 271 - Erinnerung: Logisch-statischer Kampf gegen das Mgliche 278 - Mglichkeit verwirklichen 284

    19. Weltvernderung oder die Elf Thesen von Marx ber Feuerbach288Zeit der Abfassung 289 - Frage der Gruppierung 293 - Erkenntnistheoretische Gruppe: Die Anschauung und Ttigkeit (Thesen 5, 1, 3) 295 - Anthropologisch-historische Gruppe: Die Selbstentfremdung und der wahre Materialismus (Thesen 4, 6, 7, 9, 10)304 - Theorie-Praxis-Gruppe: Beweis und Bewhrung (Thesen 2,8) 310 - Das Losungswort und sein Sinn (These 11) 319 Der archimedische Punkt; Wissen nicht nur auf Vergangenes, sondern wesentlich auf Heraufkommendes bezogen 328

    20. Zusammenfassung / Antizipatorische Beschaffenheit und ihre Pole:Dunkler Augenblick - Offene Adquatheit 334Puls und gelebtes Dunkel 334 - Platz fr mglichen Vormarsch 335 - Quell und Mndung: das Staunen als absolute Frage 336 - Nochmals: Dunkel des gelebten Augenblicks: Carpe diem 338 - Dunkel des gelebten Augenblicks, Fortsetzung: Vordergrund, schdlicher Raum, Melancholie der Erfllung, Selbstvermittlung 343-NochmaIs Staunen als absolute Frage, in Angst- wie Glcksgestalt; der schlechthin utopische Archetyp: hchstes Gut 350 - Das Nicht im Ursprung, das Noch-Nicht in der Geschichte, das Nichts oder aber das Alles am Ende 356 - Utopie kein dauernder Zustand; also doch: Carpe diem, aber als echtes an echter Gegenwart 364

    21. Tagtraum in entzckender Gestalt: Pamina oder das Bild als erotisches Versprechen 368Der zrtliche Morgen 368 - Wirkung durchs Portrt 369 - Nimbus um Begegnung, Verlobung 373 - Zuviel Bild, Rettung davor, Nimbus um die Ehe 375 - Hohes Paar, Corpus Christi oder kosmisch und christfrmig gewesene Utopie der Ehe 381 - Nach-Bild der Liebe 385

    22. Tagtraum in symbolischer Gestalt: Lade der Pandora;das gebliebene Gut 387

    DRITTER TEIL (BERGANG)WUNSCHBILDER IM SPIEGEL

    (AUSLAGE, MRCHEN, REISE, FILM, SCHAUBHNE)

    23. Sich schner machen, als man ist 395

    24. Was einem heute der Spiegel erzhlt 396Schlank sein 396 - Stark im Ducken 396

    25. Das neue Kleid, die beleuchtete Auslage 397Gut aufgebaut 398 - Licht der Reklame 400

    26. Schne Maske, Kukluxklan, die bunten Magazine 401

  • Die krummen Wege 402 - Erfolg durch Schrecken 403 - Erfolgsbcher, Geschichten aus Syrup 406

    27. Bessere Luftschlsser in Jahrmarkt und Zirkus, in Mrchen und Kolportage 409

    Mut des Klugen 411 - Tischleindeckdich, Geist der Lampe 412 Auf Flgeln des Gesanges, Herzliebchen, trag ich dich fort 415 - Fort nach den Fluren des Ganges, dort wei ich den schnsten Ort 418 - Sdsee in Jahrmarkt und Zirkus 421 - Das wilde Mrchen: als Kolportage 426

    28. Reiz der Reise, Antiquitt, Glck des Schauerromans 429Schne Fremde 430 - Fernwunsch und historisierendes Zimmer im neunzehnten Jahrhundert 435 - Aura antiker Mbel, Ruinenzauber, Museum 442 - Schlogarten und die Bauten Arkadiens 449 - Tolles Wetter, Apollo bei Nacht 453

    29. Wunschbild im Tanz, die Pantomime und das Filmland 456Neuer Tanz und alter 457 - Neuer Tanz als ehemals expressionistischer, Exotik 460 - Kulttanz, Derwische, seliger Reigen 462 - Die taubstumme und die bedeutende Pantomime 467 - Neuer Mimus durch die Kamera 471 - Traumfabrik im verrotteten und im transparenten Sinn 474

    30. Die Schaubhne, als paradigmatische Anstalt betrachtet, und die Entscheidung in ihr 478Der Vorhang geht auf 478 - Die Probe aufs Exempel 479 - Weiteres zur Probe aufs zu suchende Exempel 483 - Lektre, Sprachmimik und Szene 485 - Illusion, aufrichtiger Schein, moralische Anstalt 490 - Falsche und echte Aktualisierung 494 - Weitere echte Aktualisierung: Nicht Furcht und Mitleid, sondern Trotz und Hoffnung 497

    31. Verspottete und geballte Wunschbilder, freiwillig humoristische500Das Wrtchen Wenn 500 - Die neumodischen Dinge taugen alle nichts 501 - Le Nant; Un autre monde 502 - Die Vgel des Aristophanes und das Wolkenkuckucksheim 505 - Frhliche berbietung: Lukians Vera historia 507 - Freiwillig-humoristische Wunschbilder 509

    32. Happy-end, durchschaut und trotzdem verteidigt. 512

  • [Band 2]VIERTER TEIL (KONSTRUKTION)

    GRUNDRISSE EINER BESSEREN WELT(HEILKUNST, GESELLSCHAFTSSYSTEME, TECHNIK,

    ARCHITEKTUR, GEOGRAPHIE, PERSPEKTIVEIN KUNST UND WEISHEIT)

    33. Ein Trumer will immer noch mehr 523

    34. bung des Leibs, tout va bien 523

    35. Kampf um Gesundheit, die rztlichen Utopien 526Ein warmes Bett 526 - Irre und Mrchen 527 - Arznei und Planung 529 - Zgerung und Ziel im wirklichen leiblichen Umbau 536 - Malthus, Geburtenziffer, Nahrung 542 - Die Sorge des Arztes -545

    36. Freiheit und Ordnung, Abri der Sozialutopien 547I. Einfhrung / Ein schlichtes Mahl 547 - Die gebratenen Tauben 548 - Irrsinn und Kolportage auch hier 548 - New Moral Worlds am Horizont 551 - Utopien haben ihren Fahrplan 555II. Soziale Wunschbilder der Vergangenheit / Solon und die bescheidene Mitte 558 - Diogenes und die musterhaften Bettler 559 - Aristipp und die musterhaften Schmarotzer 560 - Platons Traum vom dorischen Staat 562 - Hellenistische Staatsmrchen, Sonneninsel des Jambulos 566 - Stoa und internationaler Weltstaat 569 - Bibel und Reich der Nchstenliebe 575 - Augustins Gottesstaat aus Wiedergeburt 582 - Joachim di Fiore, drittes Evangelium und sein Reich 590 -Thomas Morus oder die Utopie der sozialen Freiheit 598 - Gegenstck zu Morus: Campanellas Sonnenstaat oder die Utopie der sozialen Ordnung 607 - Sokratische Frage nach Freiheit und Ordnung, unter Bercksichtigung von Utopia und Civitas solis 614 - Fortgang: Sozialutopien und klassisches Naturrecht 621 - Aufgeklrtes Naturrecht an Stelle von Sozialutopien 629 - Fichtes geschlossener Handelsstaat oder Produktion und Tausch nach Vernunftrecht 637 - Fderative Utopien im neunzehnten Jahrhundert: Owen, Fourier 647 - Zentralistische Utopien im neunzehnten Jahrhundert: Cabet, Samt-Simon 654 - Individuelle Utopisten und die Anarchie: Stirner, Proudhon, Bakunin 662 -Proletarisches Luftschlo aus dem Vormrz: Weitling 670 - Ein Fazit: Schwche und Rang der rationalen Utopien 674 III. Projekte und Fortschritt zur Wissenschaft / Aktueller Rest: brgerliche Gruppenutopien 680 - Anfang, Programm der Jugendbewegung 683 - Kampf ums neue Weib, Programm der Frauenbewegung 687 - Altneuland, Programm des Zionismus 698 - Zukunftsromane und Gesamtutopien nach Marx: Bellamy, William Morris, Carlyle, Henry George 714 - Marxismus und konkrete Antizipation 723

    37. Wille und Natur, die technischen Utopien 729I.Magische Vergangenheit / Ins Elend gestrzt 730 - Feuer und neue Rstung 731 - Irrsinn und Aladins Mrchen 731 - Professor Mystos und die Erfindung 734 - Andres Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreutz anno 1459 740 - Nochmals Alchymie: mutatio specierum (Umwandlung der anorganischen Arten) und ihr Brutofen 746 - Ungeregelte Erfindungen und Propositiones im Barock 754 -

  • Bacons Ars inveniendi; Fortleben der Lullischen Kunst 758 - Nova Atlantis, das utopische Laboratorium 763,II. Nicht-euklidische Gegenwart und Zukunft, technisches Anschluproblem / Auch Plne mssen angetrieben werden 767 - Sptbrgerliche Drosselung der Technik, abgesehen von der militrischen 768 - Entorganisierung der Maschine, Atomenergie, nicht-euklidische Technik 771 - Subjekt, Rohstoffe, Gesetze und Anschlu in der Entorganisierung 778 - Elektron des menschlichen Subjekts, der Willenstechnik 788 - Mitproduktivitt eines mglichen Natursubjekts oder konkrete Allianztechnik 802 Technik ohne Vergewaltigung; konomische Krise und technischer Unfall 807 -, Gefesselter Riese, verschleierte Sphinx, technische Freiheit 813

    38. Bauten, die eine bessere Welt abbilden, architektoni[ni]sche Utopien819I. Figuren der alten Baukunst / Blick durchs Fenster 819 -Trume an der pompejanischen Wand 820 - Festschmuck und barocke Bhnenbauten 821 - Wunscharchitektur im Mrchen 827 - Wunscharchitektur in der Malerei 830 - Die Bauhtten oder architektonische Utopie bei der Ausfhrung 835 - gypten oder die Utopie Todeskristall, Gotik oder die Utopie Lehensbaum 844 - Weitere und einzelne Exempel von Leitraum in der alten Baukunst 850,II. Die Bebauung des Hohlraums / Neue Huser und wirkliche Klarheit 858 - Stadtplne, Idealstdte und nochmals wirkliche Klarheit: Durchdringung des Kristalls mit Flle 863

    39. Eldorado und Eden, die geographischen Utopien. 873Die ersten Lichter 873 - Erfinden und Entdecken; Eigenart der geographischen Hoffnung 874 - Wiederum Mrchen, Goldenes Vlies und Gral 880 - Phakeninsel, der schlimme Atlantik, Lage des irdischen Paradieses 884 - Meerfahrt St. Brendans, Reich des Priesterknigs Johannes; amerikanisches, asiatisches Paradies 892 - Kolumbus am Orinoko-Delta; Kuppel der Erde 904 - Sdland und die Utopie Thule 909 - Bessere Wohnsttten auf anderen Sternen; hic Rhodos 915 - Die Kopernikanische Beziehung, Baaders Zentralerde 918 - Geographische Verlngerungslinie in Nchternheit; der Fundus der Erde, mit Arbeit vermittelt 924

    40. Dargestellte Wunschlandschaft in Malerei, Oper, Dichtung 929Die bewegte Hand 930 - Blume und Teppich 930 - Stilleben aus Menschen 931 - Einschiffung nach Cythera 932 - Perspektive und groer Horizont bei van Eyck, Leonardo, Rembrandt 935 Stilleben, Cythera und weite Perspektive in der Dichtung: Heinse, Roman der Rose, Jean Paul 939 - Die Wunschlandschaft Perspektive in der sthetik; Rang der Kunststoffe nach Magabe ihrer Tiefen- und Hoffnungsdimension 945 - Maler des gebliebenen Sonntags, bei Seurat, Czanne, Gauguin; Giottos Legendenland 952 - Legendenland in der Dichtung: als himmlische Rose in Dantes Paradiso, als transzendentes Hochgebirge im Faust-Himmel 961 - Prunk, Elysium in Oper und Oratorium 969 - Berhrung des Interieurs und des Unbegrenzten im Geist der Musik: Kleists Ideallandschaft; Sixtinische Madonna 977

    41. Wunschlandschaft und Weisheit sub specie aeternitatis und des Prozesses982Die Suche nach dem Ma 982 - Das Eigentliche in Urstoff und Gesetz 984 - Kant und intelligibles Reich; Platon, Eros und die Wertpyramide 987 - Bruno und das unendliche Kunstwerk; Spinoza und die Welt als Kristall 993 - Augustin und Zielgeschichte; Leibniz und die Welt als Erhellungsproze 1000 -Der wachtbabende

  • Begriff oder das Eigentliche als Aufgabe 1011 - Zwei Wunschstze: Die lehrbare Tugend, der kategorische Imperativ 1016 - Der Satz des Anaximander oder Welt, die sich ins Gleiche stellt 1026 - Leichtheit in der Tiefe, Freudigkeit des Lichtwesens 1031

    42. Achtstundentag, Welt im Frieden, Freizeit und Mue 1039 Die Peitsche des Hungers 1040 - Aus den Kasematten der Bourgeoisie 1040 - Allerhand Milderung durch Wohltat 1045 - Brgerlicher Pazifismus und Friede 1048 - Technische Reife, Staatskapitalismus und Staatssozialismus; Oktoberrevolution 1053 - Tuschungen der Freizeit: Ertchtigung zum Betrieb 1062 - Gebliebene ltere Formen der Freizeit, verdorben, doch nicht hoffnungslos: Steckenpferd, Volksfest, Amphitheater 1065 - Die Umgebung der Freizeit: Utopisches Buen Retiro und Pastorale 1073 - Mue als unerlliches, erst halb erforschtes Ziel 1080

    [Band 3]FNFTER TEIL (IDENTITT)

    WUNSCHBILDER DES ERFLLTEN AUGENBLICKS(MORAL, MUSIK, TODESBILDER, RELIGION,MORGENLAND NATUR, HCHSTES GUT)

    43. Nicht im reinen mit sich 1089

    44. Haus und Schule leiten an 1090

    45. Leitbilder selber, um menschenhnlich zu werden 1093

    46. Leittafeln des gefhrlichen und des glcklichen Lebens 1097So manches offen 1097 - Zu warm gekleidet 1097 - Wilde, verwegene Jagd 1098 - Franzsisches Glck und Freude 1100 Abenteuer des Glcks 1101

    47. Leittafeln der Willenstempi und der Betrachtung, der Einsamkeit und der Freundschaft, des Individuums und der Gemeinschaft 1103Ein anstndiger Mensch 1103 - Fabios oder der zaudernde Tter 1104 - Sorel, Machiavelli oder Tatkraft und Glcksrad 1106 - Bruchproblem, Herkules am Scheideweg, Dionysos-ApolIo 1113 Vita aetiva, Vita contemplativa oder die Welt des erwhlten guten Teils 1119 - Doppellicht Einsamkeit und Freundschaft 1125 Doppellicht Individuum und Kollektiv 1134 - Rettung des Individuums durch Gemeinsamkeit 1139

    48. Der junge Goethe, Nicht-Entsagung, Ariel 1143Der Wunsch zu zerschlagen 1143 - Glck und Leid des Wertherschen 1144 - Die Forderung, Prometheus, Ur-Tasso 1146 - Intention der Erhabenheit, Faust-Gotik und Metamorphose 1152 - Ariel und die dichterische Phantasie 1158 -Das Dmonische und die sich sagende allegorisch-symbolische Verschlossenheit 1162 - Nur wer die Sehnsucht kennt: Mignon 1167 - Wnsche als Vorgefhle unserer Fhigkeiten 1172

    49. Leitfiguren der Grenzberschreitung; Faust und die Wette um den erfllten Augenblick 1175Kein nasses Stroh 1175 - Die Laute schlagen und die Glser leeren 1176 - Don Giovanni, alle Frauen und die Hochzeit 1180 - Faust, Makrokosmos,Verweile doch,

  • du bist so schn 1188 - Faust, Hegels Phnomenologie und das Ereignis 1194 - Odysseus starb nicht in Ithaka, er fuhr zur unbewohnten Welt 1201 - Hamlet, verschlossener Wille; Prospero, grundlose Freude 1206

    50.Leittafeln abstrakter und vermittelter Grenzberschreitung, angezeigt an Don Quichotte und Faust 1214Der grende Wille 1214 - Don Quichottes traurige Gestalt und goldene Illusion 1216 - Verwandtes: Unrecht und Recht Tassos gegen Antonio 1235 - Das Luziferisch-Prometheische und die Klangschicht 1238

    51. berschreitung und intensittsreichste Menschwelt in der Musik 1243Glck der Blinden 1243 - Die Nymphe Syrinx 1244 - Bizarrer Held und Nymphe: Symphonie fantastique 1246 - Menschlicher Ausdruck als unabtrennbar von Musik 1248 - Musik als Kanon und Gesetzwelt; Sphrenharmonie, humanere Leitsterne 1258 - Tonmalerei, nochmals Naturwerk, die Intensitt und Moralitt Musik 1270 - Der Hohlraum; Subjekt der Sonate und Fuge 1280 - Trauermarsch, Requiem, Kondukt hinter den Tod 1289 - Marseillaise und Augenblick in Fidelio 1295

    52. Selbst und Grablampe oder Hoffnungsbilder gegen die Macht der strksten Nicht-Utopie: den Tod 1297I. Einfhrung / Vom Sterben nicht reden 1298 - Utopien der Nacht, die auf dieser Welt keinen Morgen mehr hat 1299II. Religise Kontrapunkte aus Tod und Sieg / Vom Toten nur Gutes 1304 - Schatten und griechische Dmmerung 1306 - Bejahung der Wiederkehr; orphisches Rad 2308 - Elixiere der Seele und gnostische Himmelsreise 1312 - Der gyptische Himmel im Grab 1319 - Biblische Auferstehung und Apokalypse 1323 - Mohammedanischer Himmel, Strke des Fleischs, Zaubergarten 1333 - Lauter Ruhe sucht auch noch Befreiung vom Himmel, Wunschbild Nirwana 1336III. Aufgeklrte und romantische Euthanasien / Der Freigeist als Starkgeist 1343 - Jngling mit der umgekehrten Fackel und mit der neu entzndeten 1344 - Auflsung ins All, letale Rckkehr zur Natur 1350 - Gletscher, Erdmutter und Weltgeist 1355IV. Weitere skularisierte Gegenzge, Nihilismus, Haus der Menschheit / Immer noch Frbendes des Nichts 1360 - Vier Zeichen eines beliehenen Glaubens 1361-Die metaphorische Unsterblichkeit: im Werk 1366 - Der Tod als Meiel in der Tragdie 1372 - Verschwinden des letalen Nichts im sozialistischenBewutsein 1378 V. Lebenslust und Fragment in allen Dingen / Forschende Reise in den Tod 1384 - Der Augenblick als Nicht-Da-Sein; Exterritorialitt zum Tod 1385

    53. Wachsender Menscheinsatz ins religise Geheimnis, in Astralmythos, Exodus, Reich; Atheismus und die Utopie des Reichs 13921. Einfhrung / In guter Hand 1392 - Wiederum Irre, okkulter Pfad 1393 - Huptling und Zauberer; jede Religion hat Stifter 1399 - Ein Numinoses, auch im religisen Humanum 1405 II. Stifter, Frohbotschaften und Cur Deus homo / Der fremde Lehrer: Kadmos 1417 - Snger des rauschhaften Heils: Orpheus 1418 - Dichter apollinischer Gtter und ihres Beistands: Homer und Hesi0d; rmische Staatsgtter 1419 - Der unaufgeblhte Glaube an Prometheus und die tragische Liturgie: schylos 1427 - Fischmensch und Mondschreiber des Astralmythos: Oannes, Hermes Trismegistos-Thot 1432 - Frohbotschaft des irdisch-himmlischen Gleichgewichts und

  • des unscheinbaren Welttakts (Tao): Konfuzius, Lautse 1438 - Stifter, der zur Frohbotschaft bereits selber gehrt: Moses. sein Gott des Exodus 1450 - Moses oder das Bewutsein der Utopie in der Religion, der Religion in der Utopie 1456 - Kriegerischer Selbsteinsatz, gemengt mit Astrallicht: Zorosster, Mani 1464 Erlsender Selbsteinsatz, begrenzt auf Akosmos, bezogen auf Nirwana: Buddha 1474 - Stifter aus dem Geist Mosis und des Exodus, vllig zusammenfallend mit seiner Frohbotschaft: Jesus, Apokalypse, Reich 1482 - Jesus und der Vater; Paradiesschlange als Heiland; die drei Wunsch-Mysterien: Auferstehung, Himmelfahrt, Wiederkehr 1493 - Fanatismus und Ergebung in Allahs Willen: Mohammed 1504III. Der Kern der Erde als wirkliche Exterritorialitt / Die Strae des uns vorhandenen Wozu 1509 - Unabwendbares und wendbares Schicksal oder Kassandra und Jesajas 1511 - Gott als utopisch hypostasiertes Ideal des unbekannten Menschen; Feuerbach, Cur Deus homo nochmals 1515 - Rekurs auf Atheismus; Problem des Raums, in den der Gott hinein imaginiert und utopisiert wurde 1524 - Verweile-doch in religiser Schicht: Die Einheit des Nu in der Mystik 1534 - Wunder und Wunderbares: Augenblick als Fupunkt der Nike 1540

    54. Der letzte Wunschinhalt und das hchste Gut 1551Trieb und Speise 1551 - Drei Wnsche und der beste 1552 -Wertbilder als Abwandlungen des hchsten Guts; Cicero und die Philosophen 1555 - Verweile-doch und hchstes Gut, Problem eines Leitbildes im Weltproze 1562 - Nochmals Trieb und Speise oder Subjektivitt, Objektivitt der Gter, der Werte und des hchsten Guts 1566 - Schwebung und Strenge im Bezug aufs hchste Gut (Abendwind, Buddha-Statue, Reichsfigur) 1577 Zahl und Chiffer der Qualitten; Natursinn des hchsten Guts 1593

    55 Karl Marx und die Menschlichkeit: Stoff der Hoffnung 1602 Der rechte Schmied 1602 - Alle Verhltnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verchtliches Wesen ist 1604 - Skularisierung und die Kraft, auf die Fe zu stellen 1609 - Traum nach vorwrts, Nchternheit, Enthusiasmus und ihre Einheit 1616 - Gewiheit, unfertige Welt, Heimat 1622

  • /(1) VORWORT

    Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns?

    Viele fhlen sich nur als verwirrt. Der Boden wankt, sie wissen nicht warum und von was. Dieser ihr Zustand ist Angst, wird er bestimmter, so ist er Furcht.

    Einmal zog einer weit hinaus, das Frchten zu lernen. Das gelang in der eben vergangenen Zeit leichter und nher, diese Kunst ward entsetzlich beherrscht. Doch nun wird, die Urheber der Furcht abgerechnet, ein uns gemeres Gefhl fllig.

    Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. Hoffen, ber dem Frchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt. Der Affekt des Hoffens geht aus sich heraus, macht die Menschen weit, statt sie zu verengen, kann gar nicht genug von dem wissen, was sie inwendig gezielt macht, was ihnen auswendig verbndet sein mag. Die Arbeit dieses Affekts verlangt Menschen, die sich ins Werdende ttig hineinwerfen, zu dem sie selber gehren. Sie ertrgt kein Hundeleben, das sich ins Seiende nur passiv geworfen fhlt, in undurchschautes, gar jmmerlich anerkanntes. Die Arbeit gegen die Lebensangst und die Umtriebe der Furcht ist die gegen ihre Urheber, ihre groenteils sehr aufzeigbaren, und sie sucht in der Welt selber, was der Welt hilft; es ist findbar. Wie reich wurde allzeit davon getrumt, vom besseren Leben getrumt, das mglich wre. Das Leben aller Menschen ist von Tagtrumen durchzogen, darin ist ein Teil lediglich schale, auch entnervende Flucht, auch Beute fr Betrger, aber ein anderer Teil reizt auf, lt mit dem schlecht Vorhandenen sich nicht abfinden, lt eben nicht entsagen. Dieser andere Teil hat das Hoffen im Kern, und er ist lehrbar. Er kann aus dem ungeregelten Tagtraum wie aus dessen schlauem Mibrauch herausgeholt werden, ist ohne Dunst aktivierbar. Kein Mensch lebte je ohne Tagerume, es kommt aber darauf an, sie immer weiter zu kennen und dadurch unbetrglich, hilfreich, aufs Rechte gezielt zu halten. Mchten die Tagtrume noch voller werden, denn das bedeutet, da sie sich genau um den nchternen Blick bereichern; nicht im Sinn der /(2) Verstockung, sondern des Hellwerdens. Nicht im Sinn des blo betrachtendenVerstands, der die Dinge nimmt, wie sie gerade sind und stehen, sondern des beteiligten, der sie nimmt, wie sie gehen, also auch besser gehen knnen. Mchten die Tagtrume also wirklich voller werden, das ist, heller, unbeliebiger, bekannter, begriffener und mit dem Lauf der Dinge vermittelter. Damit der Weizen, der reifen will, befrdert und abgeholt werden kann.

    Denken heit berschreiten. So jedoch, da Vorhandenes nicht unterschlagen, nicht berschlagen wird. Weder in seiner Not, noch gar in der Bewegung aus ihr heraus. Weder in den Ursachen der Not, noch gar im Ansatz der Wende, der darin heranreift. Deshalb geht wirkliches berschreiten auch nie ins blo Luftleere eines Vor-uns, blo schwrmend, blo abstrakt ausmalend. Sondern es begreift das Neue als eines, das im bewegt Vorhandenen vermittelt ist, ob es gleich, um freigelegt zu werden, aufs uerste den Willen zu ihm verlangt. Wirkliches berschreiten kennt und aktiviert die in der Geschichte angelegte, dialektisch verlaufende Tendenz. Primr lebt jeder Mensch, indem er strebt, zuknftig, Vergangenes kommt erst spter, und echte Gegenwart ist fast berhaupt noch nicht da. Das Zuknftige enthlt das Gefrchtete oder das Erhoffte; der menschlichen Intention nach, also ohne Vereitlung, enthlt es nur das Erhoffte. Funktion und Inhalt der Hoffnung werden unaufhrlich erlebt, und sie wurden in

  • Zeiten aufsteigender Gesellschaft unaufhrlich bettigt und ausgebreitet. Einzig in Zeiten einer niedergehenden alten Gesellschaft, wie der heutigen im Westen, luft eine gewisse partielle und vergngliche Intention nur abwrts. Dann stellt sich bei denen, die aus dem Niedergang nicht herausfinden, Furcht vor die Hoffnung und gegen sie. Dann gibt sich Furcht als subjektivistische, Nihilismus als objektivistische Maske des Krisenphnomens: des erduldeten, aber nicht durchschauten, des beweinten, aber nicht gewendeten. Die Wendung ist auf dem brgerlichen Boden, gar in seinem gekommenen und bezogenen Abgrund, ohnehin unmglich, selbst dann, wenn sie, was keineswegs der Fall, gewollt wre. Ja das brgerliche Interesse mchte gerade jedes andere, ihm entgegengesetzte, in das eigene Scheitern hineinziehen; so macht es, um das neue Leben zu ermatten, die eigene Agonie scheinbar grundstzlich, scheinbar ontologisch. Die Ausweglosigkeit des brgerlichen Seins wird als die der menschlichen Situation berhaupt, des Seins schlechthin ausgedehnt. Auf die Dauer freilich vergebens: das brgerlich Leergewordene ist so /(3) ephemer wie die Klasse, die sich darin einzig noch ausspricht, und so haltungslos wie das Scheinsein der eigenen schlechten Unmittelbarkeit, dem sie verschworen ist. Die Hoffnungslosigkeit ist selber, im zeitlichen wie sachlichen Sinn, das Unaushaltbarste, das ganz und gar den menschlichen Bedrfnissen Unertrgliche. Weshalb sogar der Betrug, damit er wirkt, mit schmeichelhaft und verdorben erregter Hoffnung arbeiten mu. Weshalb gerade wieder die Hoffnung, doch mit Einsperrung auf bloe Inwendigkeit oder mit Vertrstung aufs Jenseits, von allen Kanzeln gepredigt wird. Weshalb selbst die letzten Miseren der westlichen Philosophie ihre Philosophie der Misere nicht mehr ohne Lombardierung eines bersteigens, berschreitens vorzubringen imstande sind. Das heit, nicht mehr anders, als da der Mensch wesenhaft von der Zukunft her bestimmt, jedoch mit dem zynisch-interessierten Bedeuten, dem aus der eigenen Klassenlage hypostasierten, da die Zukunft das Ladenschild der Nacht-Bar zur - Zukunftslosigkeit sei und die Bestimmung der Menschen das Nichts. Nun: mgen die Toten ihre Toten begraben; der beginnende Tag hrt noch in der Verzgerung, die ihm die berstndige Nacht zuzieht, auf anderes als auf das verwesend schwle, wesenlos nihelistische Grabgelute. Solange der Mensch im Argen liegt, sind privates wie ffentliches Dasein von Tagtrumen durchzogen; von Trumen eines besseren Lebens als des ihm bisher gewordenen. Im Unechten, wieviel mehr erst im Echten, ist jede menschliche Intention auf diesen Grund aufgetragen. Und noch wo der Grund, wie so oft bisher, bald voller Sandbnke, bald voller Chimren tuschen mag, kann er nur durch objektive Tendenz-, subjektive Intentionsforschung in einem denunziert und gegebenenfalls bereinigt werden. Corruptio optimi pessima: die schwindelhafte Hoffnung ist einer der grten beltter, auch Entnerver des Menschengeschlechts, die konkret echte sein ernstester Wohltter. Wissend-konkrete Hoffnung also bricht subjektiv am strksten in die Furcht ein, leitet objektiv am tchtigsten auf die urschliche Abstellung der Furcht-Inhalte hin. Mit der kundi-gen Unzufriedenheit zusammen, die zur Hoffnung gehrt, weil sie beide aus dem Nein zum Mangel entspringen.

    Denken heit berschreiten. Freilich, das berschreiten fand bisher nicht allzu scharf sein Denken. Oder wenn es gefunden war, so waren zu viel schlechte Augen da, die die Sache nicht sahen. Fauler Ersatz, gngig-kopierende Stellvertretung, die Schweinsblase eines reaktionren, aber auch schematisierenden Zeitgeistes, sie verdrngten das /(4) Entdeckte. Im Bewutwerden des konkreten berschreitens bezeichnet Marx die Wende. Aber um sie her haften zh eingelebte Denkgewohnheiten an eine Welt ohne Front. Hier liegt nicht nur der Mensch, hier

  • liegt auch die Einsicht in seine Hoffnung im Argen. Das Intendieren ist nicht in seinem allemal antizipierenden Klang gehrt, die objektive Tendenz nicht in ihrer allemal antizipatorischen Mchtigkeit erkannt. Das Desiderium, die einzig ehrliche Eigenschaft aller Menschen, ist unerforscht. Das Noch-Nicht-Bewute, Noch-Nicht-Gewordene, obwohl es den Sinn aller Menschen und den Horizont alles Seins erfllt, ist nicht einmal als Wort, geschweige als Begriff durchgedrungen. Dies blhende Fragengebiet liegt in der bisherigen Philosophie fast sprachlos da. Trumen nach vorwrts, wie Lenin sagt, wurde nicht reflektiert, wurde nur mehr sporadisch gestreift, kam nicht zu dem ihm angemessenen Begriff. Erwarten und Erwartetes, im Subjekt hier, im Objekt dort, das Heraufziehende insgesamt hat bis zu Marx keinen Weltaspekt erregt, worin es Platz findet, gar zentralen. Das ungeheure utopische Vorkommen in der Welt ist explizite fast unerhellt. Von allen Seltsamkeiten des Nichtwissens ist diese eine der aufflligsten. M. Terentins Varro soll in seinem ersten Versuch einer lateinischen Grammatik das Futurum vergessen haben; philosophisch ist es bis heute noch nicht ganz adquat bemerkt. Das macht ein berwiegend statisches Denken nannte, ja verstand diese Beschaffenheit nicht, und immer wieder schliet es das ihm Gewordene fertig ab. Ist als betrachtendes Wissen per definitionem einzig eines von Betrachtbarem, nmlich der Vergangenheit, und ber dem Ungewordenen wlbt es abgeschlossene Forminhalte aus der Gewordenheit. Folgerichtig ist diese Welt, auch wo sie geschichtlich erfat wird, eine Welt der Wiederholung oder des groen Immer-Wieder; sie ist ein Palast der Verhngnisse, wie Leibniz das nannte, ohne es zu durchbrechen. Geschehen wird Geschichte, Erkenntnis Wiedererinnerung, Festlichkeit das Begehen eines Gewesenen. So hielten es alle bisherigen Philosophen, mit ihrer als fertig-seiend gesetzten Form, Idee oder Substanz, auch beim postulierenden Kant, selbst beim dialektischen Hegel. Das physische wie metaphysische Bedrfnis hat sich dadurch den Appetit verdorben, besonders wurden ihm die Wege nach der ausstehenden, gewi nicht nur buchmigen Sttigung verlegt. Die Hoffnung, mit ihrem positiven Korrelat: der noch unabgeschlossenen Daseinsbestimmtheit, ber jeder res finita, kommt derart in der Geschichte der Wissenschaften nicht vor, weder als psychisches noch als /(5) kosmisches Wesen und am wenigsten als Funktionr des nie Gewesenen, des mglich Neuen. Darum: besonders ausgedehnt ist in diesem Buch der Versuch gemacht, an die Hoffnung, als eine Weltstelle, die bewohnt ist wie das beste Kulturland und unerforscht wie die Antarktis, Philosophie zu bringen. Im Zusammenhang, dem kritischen, weiter durchgefhrten, mit dem Inhalt der bisher erschienenen Bcher des Autors, den Spuren, besonders dem Geist der Utopie, dem Thomas Mnzer, der Erbschaft dieser Zeit, dem Subjekt-Objekt. Sehnsucht, Erwartung, Hoffnung also brauchen ihre Hermeneutik die Dmmerung des Vor-uns verlangt ihren spezifischen Begriff, das Novum verlangt seinen Frontbegriff. Und all das im Dienst des Zwecks, da durch das vermittelte Reich der Mglichkeit endlich die Heerstralle zum notwendig Gemeinten kritisch gelegt werde, unabgebrochen orientiert bleibe. Docta spes, begriffene Hoffnung, erhellt so den Begriff eines Prinzips in der Welt, der diese nicht mehr verlt. Schon deshalb nicht, weil dieses Prinzip seit je in ihrem Proze darin war, philosophisch so lange ausgekreist. Indem es berhaupt keine bewute Herstellung der Geschichte gibt, auf deren tendenzkundigem Weg das Ziel nicht ebenso alles wre, ist der im guten Sinn des Worts: utopisch-prinzipielle Begriff, als der der Hoffnung und ihrer menschenwrdigen Inhalte, hier ein schlechthin zentraler. Ja, das damit Bezeichnete liegt dem adquat werdenden Bewutsein jeder Sache im Horizont, im aufgegangenen, weiter aufgehenden. Erwartung, Hoffnung, Intention auf noch

  • ungewordene Mglichkeit: das ist nicht nur ein Grundzug des menschlichen Bewutseins, sondern, konkret berichtigt und erfat, eine Grundbestimmung innerhalb der objektiven Wirklichkeit insgesamt. Es gibt seit Marx keine berhaupt mgliche Wahrheitsforschung und keinen Realismus der Entscheidung mehr, der die subjektiven und objektiven Hoffnungs-Inhalte der Welt wird umgehen knnen; es sei denn bei Strafe der Trivialitt oder der Sackgasse. Philosophie ,wird Gewissen des Morgen, Parteilichkeit fur die Zukunft, Wissen der Hoffnung haben, oder sie ,wird kein Wissen mehr haben. Und die neue Philosophie, wie sie durch Marx erffnet wurde, ist dasselbe wie die Philosophie des Neuen, dieses uns alle erwartenden, vernichtenden oder erfllenden Wesens. Ihr Bewutsein ist das Offene der Gefahr und des in seinen Bedingungen herbeizufhrenden Siegs. ihr Raum ist die objektiv-reale Mglichkeit innerhalb des Prozesses, in der Bahn des Gegenstands selbst, worin das von den Menschen radikal Intendierte /(6) noch nirgends besorgt, aber auch noch nirgends vereitelt ist. Ihr mit allen Krften zu betreibendes Anliegen bleibt das wahrhaft Hoffende im Subjekt, wahrhaft Erhoffbare im Objekt: Funktion und Inhalt dieses zentralen Dings fr uns gilt es zu erforschen.

    Das gute Neue ist niemals so ganz neu. Es wirkt weit ber die Tagtrume hinaus, von denen das Leben durchzogen, die gestaltende Kunst erfllt ist. Utopisch Gewolltes leitet smtliche Freiheitsbewegungen, und auch alle Christen kennen es in ihrer Art, mit schlafendem Gewissen oder mit Betroffenheit, aus den Exodus- und messianischen Partien der Bibel. Auch hat das Ineinander von Haben und Nicht-Haben, wie es die Sehnsucht, die Hoffnung ausmacht und den Trieb, nach Hause zu gelangen, in groer Philosophie immerhin gewhlt. Nicht nur im Platonischen Eros, auch in dem weittragenden Begriff der Aristotelischen Materie als der Mglichkeit zum Wesen, und im Leibnizschen Begriff der Tendenz. Unvermittelt wirkt Hoffnung in den Kantischen Postulaten des moralischen Bewutseins, welthaft vermittelt wirkt sie in der historischen Dialektik Hegels. Jedoch trotz all dieser Aufklrungs-Patrouillen und selbst Expeditionen in terram utopicam ist an ihnen allen ein Abgebrochenes, eben ein durch Betrachtung Abgebrochenes. Fast am strksten bei Hegel, der am weitesten ausgefahren war: das Gewesene berwltigt das Heraufkommende, die Sammlung der Gewordenheiten hindert vllig die Kategorien Zukunft, Front, Novum. Also konnte das utopische Prinzip nicht zum Durchbruch gelangen, weder in der archaisch-mythischen Welt, trotz Exodus aus ihr, noch in der urban-rationalistischen, trotz explosiver Dialektik. Der Grund hierzu bleibt allemal der, da sowohl die archaisch-mythische wie die urban-rationalistische Geistesart betrachtend-idealistisch ist, folglich als nur passiv-betrachtende eine gewordene Welt, eine abgeschlossene, voraussetzt, einschlielich der hinberprojizierten berwelt, in der sich Gewordenes widerspiegelt. Die Vollkommenheitsgtter hier, die Ideen oder Ideale dort sind in ihrem illusionren Sein genau so res finitae wie die sogenannten Tatsachen des Diesseits in ihrem empirischen Sein. Zukunft der echten, prozehaft offenen Art ist also jeder bloen Betrachtung verschlossen und fremd. Nur ein auf Verndern der Welt gerichtetes, das Verndern wollen informierendes Denken betrifft die Zukunft (den unabgeschlossenen Entstehungsraum vor uns) nicht als Verlegenheit und die Vergangenheit nicht als Bann. Entscheidend ist daher: nur Wissen als bewute Theorie-Praxis betrifft Werdendes und darin Entscheid- /(7) bares, betrachtendes Wissen dagegen kann sich per definitionem nur auf Gewordenes beziehen. Der unmittelbare Ausdruck dieses Zugs zum Gewesenen, Bezugs zum Gewordenen ist im Mythos das Sichversenken, ist der Drang zum Unvordenklichen, auch das bestndige bergewicht des eigentlich Heidnischen, nmlich des Astralmythischen,

  • als der festen Umwlbung alles Geschehens. Der methodische Ausdruck der gleichen Vergangenheitsbindung, Zukunftsfremdheit ist im Rationalismus die Platonische Anamnesis oder die Lehre, da alles Wissen lediglich Wiedererinnerung sei. Wiedererinnerung an die vor der Geburt geschauten Ideen, an rundum Urvergangenes oder geschichtslos Ewiges. Wonach Wesenheit schlechthin mit Ge-wesenheit zusammenfllt und die Eule der Minerva allemal erst nach einbrechender Dmmerung, wenn eine Gestalt des Lebens alt geworden, ihren Flug beginnt. Auch Hegels Dialektik, in ihrem letzthinnigen Kreis aus Kreisen, ist derart vom Phantom Anamnesis gehemmt und ins Antiquarium gebannt. Erst Marx setzte Statt dessen das Pathos des Vernderns, als den Beginn einer Theorie, die sich nicht auf Schauung und Auslegung resigniert. Die starren Scheidungen zwischen Zukunft und Vergangenheit strzen so selber ein, ungewordene Zukunft wird in der Vergangenheit sichtbar, gerchte und beerbte, vermittelte und erfllte Vergangenheit in der Zukunft. Isoliert gefate und so festgehaltene Vergangenheit ist eine bloe Warenkategorie, das ist ein verdinglichtes Factum ohne Bewutsein seines Fieri und seines fortlaufenden Prozesses. Wahre Handlung in der Gegenwart selber geschieht aber einzig in der Totalitt dieses rckwrts wie vorwrts unabgeschlossenen Prozesses, materialistische Dialektik wird das Instrument zur Beherrschung dieses Prozesses, zum vermittelt-beherrschten Novum. Dafr ist die Ratio des noch fortschrittlich gewesenen brgerlichen Zeitalters das nchste Erbe (minus der standortgebundenen Ideologie und der wachsenden Entleerung von Inhalten). Aber diese Ratio ist nicht das einzige Erbe, vielmehr, auch die vorhergehenden Gesellschaften und selbst mancher Mythos in ihnen (wieder minus bloer Ideologie und erst recht minus vorwissenschaftlich erhaltenem Aberglauben) geben einer Philosophie, die die brgerliche Erkenntnisschranke berwunden hat, gegebenenfalls fortschrittliches Erbmaterial ab, wenn auch, wie sich von selbst versteht, besonders aufzuklrendes, kritisch anzueignendes, umzufunktionierendes. Man denke etwa an die Rolle des Zwecks (Wohin, Wozu) in vorkapitalistischen Weltbildern oder auch an die Bedeutung der Qualitt in ihrem /(8) nicht-mechanischen Naturbegriff. Man denke an den Mvthos des Prometheus, den Marx den vornehmsten Heiligen im philosophischen Kalender nennt. Man denke an den Mythos vom Goldenen Zeitalter und an dessen Zukunfts-Verlegung im messianischen Bewutsein so vieler unterdrckter Klassen und Vlker. Die marxistische Philosophie als diejenige, welche sich endlich adquat zum Werden und zum Heraufkommenden verhlt, kennt auch die ganze Vergangenheit in schpferischer Breite, weil sie berhaupt keine Vergangenheit auer der noch lebendigen, noch nicht abgegoltenen kennt. Marxistische Philosophie ist die der Zukunft, also auch der Zukunft in der Vergangenheit: so ist sie, in diesem versammelten Frontbewutsein, lebendige, dem Geschehen vertraute, dem Novum verschworene Theorie-Praxis der begriffenen Tendenz. Und entscheidend bleibt: das Licht, in dessen Schein das prozehaft-unabgeschlossene Totum abgebildet und befrdert wird, heit docta spes, dialektisch-materialistisch begriffene Hoffnung. Das Grundthema der Philosophie, die bleibt und ist, indem sie wird, ist die noch ungewordene, noch ungelungene Heimat, wie sie im dialektisch-materialistischen Kampf des Neuen mit dem Alten sich herausbildet, heraufbildet.

    Dem wird hier weiter ein Zeichen gesetzt. Ein Zeichen nach vorwrts, das berholen, nicht nachtraben lt. Seine Bedeutung heit Noch-Nicht, und es gilt, sich auf sie zu verstehen. Dem gem, was Lenin in einer allmhlich viel gelobten, doch nicht ebenso fleiig beherzigten Stelle bedeutet hat:

    >Wovon wir trumen mssen?< ich habe diese Worte niedergeschrieben

  • und bin erschrocken. Ich stellte mir vor, ich sitze auf einer >Vereinigungskonferenznahe< sie dem >Konkreten< stnden, und das sind die Vertreter der legalen Kritik und der nicht legalen Nachtragpolitik
  • Untersuchung des antizipierenden Bewutseins. Dieser Teil ist, aus Grnden, aus Grundlegung der Sache selber, in vielen seiner Partien keine mhelose Lektre, sondern von mhlich wachsender Schwierigkeit. Doch wird sie dem dadurch kundig werdenden, immer tiefer hineingefhrten Leser ebenso eine abnehmende. Auch erleichtert das Interesse des Gegenstands die Mhe seiner Aneignung, so wie das Licht droben zum Bergsteigen gehrt und das Bergsteigen zur ergiebigen Aussicht. Der Haupttrieb Hunger mu hier herausgearbeitet werden, wie er zur verneinten Entbehrung, also zum wichtigsten Erwartungsaffekt: Hoffnung weitergeht. Ein Hauptgeschft ist in diesem Teil die Entdeckung und unverwechselbare Notierung des Noch-Nicht-Bewuten. Das ist: eines relativ noch Unbewuten nach seiner anderen, vorwrts, nicht rckwrts gelegenen Seite. Nach der Seite eines heraufdmmernd Neuen, nie bisher bewut gewesenen, nicht etwa eines Vergessenen, als gewesen Erinnerbaren, verdrngt oder archaisch ins Unterbewutsein Gesunkenen. Von Leibnizens Entdeckung des Unterbewuten ber die romantische Psychologie der Nacht und Urvergangenheit bis zur Psycho-Analyse Freuds war bisher wesentlich nur die Dmmerung nach rckwrts bezeichnet und untersucht worden. Man glaubte entdeckt zu haben: alles Gegenwrtige ist mit Gedchtnis beladen, mit Vergangenheit im Keller des Nicht-Mehr-Bewuten. Man hat nicht entdeckt: es gibt im Gegenwrtigen, ja im Erinnerten selber einen Auftrieb und eine Abgebrochenheit, ein Brten und eine Vorwegnahme von Noch-Nicht-Gewordenem; und dieses Abgebrochen-Angebrochene geschieht nicht im Keller des Bewutseins, sondern an seiner Front. So geht es hier um die psychischen Vorgnge des Heraufkommens, wie sie vor allem fr die Jugend, fr Wendezeiten, fr die Abenteuer der Produktivitt so charakteristisch sind, fr alle Phnomene mithin, worin Ungewordenes steckt und sich artikulieren will. Das Antizipierende wirkt derart im Feld der Hoffnung; diese also wird nicht nur als Affekt genommen, als Gegensatz zur Furcht (denn auch die Furcht kann ja antizipieren), sondern wesentlicher als Richtungsakt kognitiver Art (und hier ist dann der (11) Gegensatz nicht Furcht, sondern Erinnerung). Die Vorstellung und Gedanken der so bezeichneten Zukunftsintention sind utopisch, das aber wieder nicht in einem engen, gar nur aufs Schlechte hin bestimmten Sinn dieses Worts (affekthaft unbesonnene Ausmalerei, Spielform abstrakter Art), sondern eben im neu vertretbaren Sinn des Traums nach vorwrts, der Antizipation berhaupt. Wobei also die Kategorie des Utopischen auer dem blichen, berechtigt abwertenden Sinn den anderen, keinesfalls notwendig abstrakten oder weltfremden, vielmehr zentral weltzugewandten besitzt: den natrlichen Gang der Ereignisse zu berholen. So verstanden ist das Thema dieses zweiten Teils die utopische Funktion und ihre Inhalte. Die Ausfhrung untersucht das Verhltnis dieser Funktion zur Ideologie, zu Archetypen, zu Idealen, zu Symbolen, zu den Kategorien Front und Novum, Nichts und Heimat, zum Urproblem des Jetzt und Hier. Hierbei mu, gegen allen schal-statischen Nihilismus, beherzigt werden: auch das Nichts ist eine utopische Kategorie, wenn auch eine extrem gegen-utopische. Weit davon entfernt, nichtend zugrunde zu liegen oder ein eben solcher Hintergrund zu sein (dergestalt, da der Tag des Seins zwischen zwei ausgemachten Nchten liege), ist das Nichts - genau so wie das positive Utopikum: die Heimat oder das Alles - lediglich als objektive Mglichkeit vorhanden. Es geht im Proze der Welt um, aber sitzt ihm nicht auf; beide: Nichts wie Alles - sind als utopische Charaktere, als drohende oder erfllende Resultatsbestimmungen in der Welt noch keineswegs entschieden. Und ebenso ist das Jetzt und Hier, dies immer wieder Anfangende in der Nhe, eine utopische Kategorie, ja die zentralste; ist sie

  • doch, zum Unterschied vom vernichtenden Umgang eines Nichts, vom aufleuchtenden eines Alles, noch nicht einmal in Zeit und Raum eingetreten. Vielmehr gren die Inhalte dieser unmittelbarsten Nhe noch gnzlich im Dunkel des gelebten Augenblicks als des wirklichen Weltknotens, Weltrtsels. Das utopische Bewutsein will weit hinaussehen, aber letzthin doch nur dazu, um das ganz nahe Dunkel des gerade gelebten Augenblicks zu durchdringen, worin alles Seiende so treibt wie sich verborgen ist. Mit anderen Worten: man braucht das strkste Fernrohr, das des geschliffenen utopischen Bewutseins, um gerade die nchste Nhe zu durchdringen. Als die unmittelbarste Unmittelbarkeit, in der der Kern des Sich-Befindens und Da-Seins noch liegt, in der zugleich der ganze Knoten des Weltgeheimnisses steckt. Das ist kein Geheimnis, das etwa nur fr den unzulnglichen Verstand /(12) bestnde, whrend die Sache an und fr sich selbst vllig klarer oder in sich ruhender Inhalt wre, sondern es ist jenes Realgeheimnis, das sich die Weltsache noch selber ist und zu dessen Lsung sie berhaupt im Proze und unterwegs ist. Das Noch-Nicht-Bewute im Menschen gehrt so durchaus zum Noch-Nicht-Gewordenen, Noch-Nicht-Herausgebrachten, Herausmanifestierten in der Welt. Noch-Nicht-Bewutes kommuniziert und wechselwirkt mit dem Noch-Nicht-Gewordenen, spezieller mit dem Heraufkommenden in Geschichte und Welt. Wobei die Untersuchung des antizipierenden Bewutseins grundstzlich dazu zu dienen hat, da die eigentlichen, nun folgenden Spiegelbilder, gar Abbildungen des erwnscht, des antizipiert besseren Lebens psychischmateriell verstndlich werden. Vom Antizipierenden also soll Kenntnis gewonnen werden, auf der Grundlage einer Ontologie des Noch-Nicht. Soviel hier ber den zweiten Teil, ber die darin begonnene subjekt-objekthafte Funktionsanalyse der Hoffnung.

    Zurck nun zu den einzelnen Wnschen, so tauchen wieder erst die bedenklichen auf. Statt der ungeregelten kleinen Wunschbilder des Berichts werden nun die brgerlich gegngelten, geleiteten sichtbar. Als derart geleitete knnen ihre Bilder auch niedergehalten und mibraucht werden, in Rosa und blutig. Der dritte Teil: bergang zeigt Wunschbilder im Spiegel, in einem verschnenden, der oft nur wiedergibt, wie die herrschende Klasse das von den Schwachen Gewnschte wnscht. Doch reinigt sich der Fall vllig, sobald der Spiegel vom Volk stammt, wie ganz sichtbar und wunderbar im Mrchen. Die gespiegelten, so oft genormten Wnsche erfllen im Buch diesen Teil; ihnen allen ist ein Trieb zum Bunten als vermeintlich oder echt Besserem gemeinsam. Reiz der Verkleidung, beleuchtete Auslage gehren hierher, aber dann die Mrchenwelt, die geschnte Ferne in der Reise, der Tanz, die Traumfabrik Film, das Exempel Theater. Dergleichen macht entweder besseres Leben vor, so in der Vergngungsindustrie, oder malt ein essentiell gezeigtes wirklich vor. Geht aber nun das Vormalen zum freien und gedachten Entwurf ber, dann erst befindet man sich unter den eigentlichen, nmlich den Plan- oder Grundri-Utopien. Sie erfllen den vierten Teil: Konstruktion, mit historisch reichem, nicht nur historisch bleibendem Inhalt. Er breitet sich aus in den rztlichen und den sozialen, den technischen, architektonischen und geographischen Utopien, in den Wunschlandschaften der Malerei und Dichtung. So treten die Wunschbilder der Gesundheit hervor, die fundamentalen der /(13) Gesellschaft ohne Not, die Wunder der Technik und die Luftschlsser in so viel vorhandenen der Architektur. Es erscheinen Eldorado-Eden in den geographischen Entdeckungsreisen, die Landschaften einer uns adquater gebildeten Umwelt in Malerei und Poesie, die Perspektiven eines berhaupt in Weisheit. Das alles ist voll berholungen, baut implizit oder explizit an der Strecke und dem Zielbild einer

  • vollkommeneren Welt, an durchgeformteren und wesenhafteren Erscheinungen, als sie empirisch bereits geworden sind. Viel beliebiges und abstraktes Fluchtwesen gibt es auch hier, doch die groen Kunstwerke zeigen wesentlich einen reell bezogenen Vor-Schein ihrer vollendetherausgebildeten Sache selbst. Wechselnd ist darin der Blick aufs vorgestaltete, aufs sthetisch-religis experimentierte Wesen, doch jeder Versuch dieser Art experimentiert ein berholendes, ein Vollkommenes, wie die Erde es noch nicht trgt. Der Blick darauf ist verschieden konkret, der jeweiligen Klassenschranke entsprechend, doch gehen die utopischen Grundziele des jeweiligen sogenannten Kunstwollens in den sogenannten Stilen, diese berschsse ber Ideologie, mit ihrer Gesellschaft nicht gleichfalls immer unter. gyptischer Bau ist das Werdenwollen wie Stein, mit Todeskristall als gemeinter Vollkommenheit; gotischer Bau ist das Werdenwollen wie der Weinstock Christi, mit dem Lebensbaum als gemeinter Vollkommenheit. Und so zeigt sich die gesamte Kunst mit Erscheinungen gefllt, die zu Vollkommenheitssymbolen, zu einem utopisch wesenhaften Ende getrieben werden. Allerdings war es bisher nur bei den Sozialutopien selbstverstndlich, da sie - utopisch sind: erstens, weil sie so heien, und zweitens, weil das Wort Wolkenkuckucksheim meist im Zusammenhang mit ihnen, und nicht nur mit den abstrakten unter ihnen, gebraucht worden ist. Wodurch, wie bemerkt, der Begriff Utopie sowohl ungem verengert, nmlich auf Staatsromane beschrnkt wurde, wie vor allem auch, durch die berwiegende Abstraktheit dieser Staatsromane, eben jene abstrakte Spielform erhielt, die erst der Fortschritt des Sozialismus von diesen Utopien zur Wissenschaft weggehoben, aufgehoben hat. Immerhin kam, mit allen Bedenklichkeiten, das Wort Utopie, das von Thomas Morus gebildete, wenn auch nicht der philosophisch weit umfangreichere Begriff Utopie hier vor. Hingegen wurde an anderen, etwa technischen Wunschbildern und Plnen wenig utopisch Bedenkenswertes bemerkt. Trotz Francis Bacons Nova Atlantis wurde in der Technik kein Grenzland mit eigenem Pionierstatus und eigenen, in die Natur gesetzten Hoff- /(14) nungsinhalten ausgezeichnet. Noch weniger sah man es in der Architektur, als in Bauten, die einen schneren Raum bilden, nachbilden, vorbilden. Und desgleichen blieb Utopisches erstaunlicherweise in den Situationen und Landschaften der Malerei und Poesie unentdeckt, in deren Verstiegenheiten wie besonders in deren weit hinein- und hinausschauenden Mglichkeits-Realismen. Und doch ist in allen diesen Sphren, inhaltlich abgewandelt, utopische Funktion am Werk, schwrmerisch in den geringeren Gebilden, przis und realistisch sui generis in den groen. Eben die Flle der menschlichen Phantasie, Samt ihrem Korrelat in der Welt (sobald Phantasie eine sachverstndig-konkrete wird), kann anders als durch utopische Funktion gar nicht erforscht und inventarisiert werden; sowenig wie sie ohne dialektischen Materialismus geprft werden kann. Der spezifische Vor-Schein, den Kunst zeigt, gleicht einem Laboratorium, worin Vorgnge, Figuren und Charaktere bis zu ihrem typisch-charakteristischen Ende getrieben werden, zu einem Abgrund oder einer Seligkeit des Endes; dieses jedem Kunstwerk eingeschriebene Wesentlichsehen von Charakteren und Situationen, das man nach seiner sinnflligsten Art das Shakespearesche, nach seiner terminisiertesten das Dantesche nennen kann, setzt die Mglichkeit ber der bereits vorhandenen Wirklichkeit voraus. Hier berall zielen prospektive Akte und Imaginationen, ziehen subjektive, doch gegebenenfalls auch objektive Traumstraen aus dem Gewordenen zu dem Gelungenen, zur symbolhaft umkreisten Gelungenheit. Dergestalt hat der Begriff des Noch-Nicht und der ausgestaltenden Intention daraufhin in den Sozialutopien nicht mehr sein einziges, gar erschpfendes Exempel; so wichtig auch die Sozialutopien, von allem anderen

  • abgesehen, fr die kritische Kenntnisnahme eines ausgefhrten Antizipierens geworden sind. Doch Utopisches auf die Thomas Morus Weise zu beschrnken oder auch nur schlechthin zu orientieren, das wre, als wollte man die Elektrizitt auf den Bernstein reduzieren, von dem sie ihren griechischen Namen hat und an dem sie zuerst bemerkt worden ist. Ja, Utopisches fllt mit dem Staatsroman so wenig zusammen, da die ganze Totalitt Philosophie notwendig wird (eine zuweilen fast vergessene Totalitt), um dem mit Utopie Bezeichneten inhaltlich gerecht zu werden. Daher die Breite der im Teil: Konstruktion versammelten Antizipationen, Wunschbilder, Hoffnungsinhalte. Daher - vor wie hinter den Staatsmrchen - die angegebene Notierung und Interpretation medizinischer, technischer, architektonischer, /(15) geographischer Utopien, auch der eigentlichen Wunsch-Landschaften in Malerei, Oper, Dichtung. Daher schlielich ist hier der Ort zur Darstellung der mannigfachen Hoffnungs-Landschaft und der spezifischen Perspektiven darauf im Eingedenken der philosophischen Weisheit. Das trotz berwiegendem Pathos des Gewesenen in den bisherigen Philosophien; - die fast stets intendierte Richtung: Erscheinung - Wesen zeigt trotzdem deutlich einen utopischen Pol. Die Reihe all dieser Ausgestaltungen, sozial, sthetisch, philosophisch Kultur des wahren Seins betreffend, endet sinngem, auf den immer entscheidenden Boden niedergehend, in den Fragen eines Lebens der erfllenden, von Ausbeutung befreiten Arbeit, aber auch eines Lebens jenseits der Arbeit, das ist im Wunschproblem der Mue.

    Der letzte Wille ist der, wahrhaft gegenwrtig zu sein. So da der gelebte Augenblick uns und wir ihm gehren und Verweile doch zu ihm gesagt werden knnte. Der Mensch will endlich als er selber in das Jetzt und Hier, will ohne Aufschub und Ferne in sein volles Leben. Der echte utopische Wille ist durchaus kein unendliches Streben, vielmehr: er will das blo Unmittelbare und derart so Unbesessene des Sich-Befindens und Da-Seins als endlich vermittelt, erhellt und erfllt, als glcklich-adquat erfllt. Das ist der utopische Grenzinhalt, der im Verweile doch, du bist so schn des Faustplans gedacht ist. Die objektiven Hoffnungsbilder der Konstruktion drngen so unweigerlich zu denen der erfllten Menschen selber und ihrer mit ihnen voll vermittelten Umwelt, also Heimat. Die Aufnahme dieser Intentionen versucht der fnfte, letzte Teil: Identitt. Es erscheinen als Versuche, menschenhnlich zu werden, die verschiedenen moralischen Leitbilder und die, so oft antithetischen, Leittafeln des rechten Lebens. Die gedichteten Figuren menschlicher Grenzberschreitung treten dann vor: Don Giovanni, Odysseus, Faust, dieser genau nach dem vollkommenen Augenblick unterwegs, in weltdurcherfahrender Utopie; Don Quichotte warnt und fordert, in Traum-Monomanie, Traum-Tiefe. Als Ruf und Zug sehr unmittelbarer, sehr fernhintreffender Ausdruckslinien geht die Musik auf, die Kunst der zum Singen und Tnen gebrachten strksten Intensitt, des utopischen Humanum in der Welt. Und dann: die Hoffnungsbilder gegen den Tod sind versammelt, gegen diesen hrtesten Gegenschlag zur Utopie; er ist deshalb ihr unvergebarer Erwecker. Er vorzglich ist ein Umgang jenes Nichts, das vom utopischen Zug ins Sein verschlungen wird; es gibt kein Werden und keinen Sieg, in /(16) welche die Vernichtung des Schlechten nicht aktiv verschlungen wird. Mythisch, gegen Tod und Schicksal, kulminieren all die Frohbotschaften, welche die Phantasie der Religion ausmachen, die vllig illusionren und die mit humanem Kern, letzthin bezogen auf Erlsung vom bel, auf Freiheit zum Reich.Es folgt, gerade was diesseitige Intention auf solche Heimatwerdung angeht, das Zukunftsproblem im tragenden, umfassenden Raum der Heimat: der Natur. Zentralpunkt hier berall bleibt das Problem des

  • Wnschenswerten schlechthin oder des hchsten Guts. Dessen Utopie des Einen Notwendigen, obgleich gerade sie noch so vllig in Ahnung steht wie das Gegenwrtigsein der Menschen selber, regiert alle brigen. Wren freilich nur erst die minder hohen Gter erreicht und zugnglich, auf dem Weg der abgeschafften gemeinen Not. Auf dem Weg, der zuvor zu den Schtzen fhrt, die von Rost und Motten gefressen werden, und dann erst zu denen, die verweilen. Dieser Weg ist und bleibt der des Sozialismus, er ist die Praxis der konkreten Utopie. Alles an den Hoffnungsbildern Nicht-Illusionre, Real-Mgliche geht zu Marx, arbeitet - wie immer jeweils variiert, situationsgem rationiert - in der sozialistischen Weltvernderung. Die Baukunst der Hoffnung wird dadurch wirklich eine an den Menschen, die sie bisher nur als Traum und hohen, auch allzu hohem Vor-Schein sahen, und eine an der neuen Erde. Die Trume vom besseren Leben, in ihnen war immer schon eine Glckswerdung erfragt, die erst der Marxismus erffnen kann. Dies gibt auch pdagogisch-inhaltlich einen neuen Zugang zu schpferischem Marxismus und von neuen Prmissen her, subjektiver und objektiver Art.

    Das so Gemeinte will hier breit bezeichnet sein. An Geringem wie Groem, tunlichst geprft, mit dem Willen, das Wirkliche darin freizusetzen. Damit nach Magabe der realen Mglichkeit das in realer Mglichkeit Seiende, real noch Ausstehende (alles andere ist Spreu des bloen Meinens und Narrenparadies) zum positiven Sein gerate. Dieses ist letzthin eine groe Einfachheit oder das Eine, was nottut. Eine Enzyklopdie der Hoffnungen enthlt fter Wiederholungen, doch nirgends berschneidungen, und was erstere angeht, so gilt hier Voltaires Satz, er werde sich so oft wiederholen, bis man ihn verstanden habe. Der Satz gilt desto mehr, als die Wiederholungen des Buchs tunlichst stets auf neuer Ebene geschehen, folglich unterdessen sowohl etwas erfahren haben, wie sie das identisch Gezielte immer neu erfahren lassen mgen. Die Richtung aufs Eine, was nottut, lebte auch in den /(17) bisherigen Philosophien; wie wren sie Sonst Liebe zur Weisheit gewesen? Und wie htte es sonst groe Philosophie gegeben, das ist, aufs Eigentliche, Wesenhafte unablssig und total bezogene? Wie gar materialistisch groe, mit der Fhigkeit zu wirklicher Abbildung des zusammenhngend Wesentlichen? Mit dem Grundzug auf Erklrung der Welt aus sich selbst (und der Gewiheit des Vertrauens, sie so erklren zu knnen), auf diesseitiges Glck (und der Gewiheit des Vertrauens, es zu finden)? Aber die bisherigen Freunde der Weisheit, auch die materialistischen, haben bis Marx das Eigentliche bereits als ontisch-vorhanden, ja als statisch-abgeschlossen gesetzt: vom Wasser des einfachen Thales bis zur An-und-fr-sich-Idee des absoluten Hegel. Es war letzthin immer wieder die Decke der Platonischen Anamnesis ber dem dialektisch-offenen Eros, welche die bisherige Philosophie einschlielich Hegels vom Ernst der Front und des Novum abgehalten, kontemplativantiquarisch abgeschlossen hat. So brach die Perspektive ab, so entspannte Erinnerung die Hoffnung. So kam die Hoffnung gerade auch an der Erinnerung nicht auf (an der Zukunft in der Vergangenheit). So kam die Erinnerung auch an der Hoffnung nicht auf (an der historisch vermittelten, Historie ausschttenden, konkreten Utopie). So schien man bereits hinter die Tendenz des Seins gekommen, das ist, hinter ihr angekommen zu sein. So schien der Realproze der Welt schon selber hinter sich gekommen, angekommen, stillgelegt zu sein. Das BiIdend-Abbildende des Wahren, Wirklichen ist aber nirgends so abbrechbar, als wre der in der Welt anhngige Proze bereits entschieden. Erst mit der Verabschiedung des geschlossen-statischen Seinsbegriffs geht die wirkliche Dimension der Hoffnung auf. Die Welt ist vielmehr voll Anlage zu etwas, Tendenz auf etwas, Latenz von etwas, und das so intendierte Etwas heit Erfllung des

  • Intendierenden. Heit eine uns adquatere Welt, ohne unwrdige Schmerzen, Angst, Selbstentfremdung, Nichts. Diese Tendenz aber steht im Flu als einem, der gerade das Novum vor sich hat. Das Wohin des Wirklichen zeigt erst im Novum seine grndlichste Gegenstandsbestimmtheit, und sie ruft den Menschen, an dem das Novum seine Arme hat. Marxistisches Wissen bedeutet: die schweren Vorgnge des Heraufkommens treten in Begriff und Praxis. Im Problemgebiet Novum liegt an sich selber die Flle noch weier Felder des Wissens; die Weltweisheit wird daran wieder jung und originr. Versteht sich das Sein aus seinem Woher, so daraus nur als einem ebenso tendenzhaften, noch unabgeschlossenen Wohin. Das /(18) Sein, das das Bewutsein bedingt, wie das Bewutsein, das das Sein bearbeitet, versteht sich letzthin nur aus dem und in dem, woher und wonach es tendiert. Wesen ist nicht Ge-wesenheit; kontrr: das Wesen der Welt liegt selber an der Front.

    //(19) ERSTER TEIL

    (Bericht)

    KLEINE TAGTRUME

    //(21)1 WIR FANGEN LEER AN

    Ich rege mich. Von frh auf sucht man. Ist ganz und gar begehrlich, schreit. Hat nicht, was man will.

    2 VIELES SCHMECKT NACH MEHR

    Aber wir lernen auch zu warten. Denn was ein Kind wnscht, kommt selten rechtzeitig. Ja man wartet sogar auf das Wnschen selber, bis es deutlicher wird. Ein Kind greift nach allem, um zu finden, was es meint. Wirft alles wieder weg, ist ruhelos neugierig und wei nicht, worauf. Aber schon hier lebt das Frische, Andere, wovon man trumt. Knaben zerstren, was ihnen geschenkt wird, sie suchen nach mehr, packen es aus. Keiner knnte es nennen und hat es je erhalten. So rinnt das Unsere, ist noch nicht da.

    3 TGLICH INS BLAUE HINEIN

    Spter greift man tchtiger zu. Wnscht sich dorthin; wo es benannter hergeht. Das Kind will Schaffner werden oder Zuckerbcker. Sucht lange Fahrt, weit weg, jeden Tag Kuchen. Das sieht nach etwas Rechtem aus.

    Auch an Tieren trumt man sich gro. An kleinen besonders, sie ngstigen weniger, sie laufen in die Hand. Oder knnen mit Netzen gefangen werden, fernes Wnschen wird dadurch ttig. Der Zuckerbcker geht zum Jger ber, im merkwrdig gefllten Freien. Grn und blau luft die Eidechse, ein unfalich Buntes

  • fliegt als Schmetterling. Auch die Steine leben; sind hierbei nicht flchtig, mit ihnen lt sich spielen, sie spielen mit. Ich mag alles /(22) so, sagte ein Kind und meinte die Marmel, die weggerollt war, dann aber auf das Kind wartete. Spielen ist Verwandeln, obzwar im Sicheren, das wiederkehrt. Wunschgem verndert Spielen das Kind selbst, seine Freunde, all seine Dinge zu fremd vertrautem Vorrat, der Boden des Spielzimmers selber wird ein Wald voll wilder Tiere oder ein See, mit jedem Stuhl als Boot. Doch eben Angst bricht aus, luft das Gewohnte zu weit weg oder kehrt es nicht mhelos ins alte Gesicht wieder zurck. Sieh, der Knopf ist eine Hexe, rief ein spielendes Kind schreiend, rhrte den Knopf auch spter nicht mehr an. Er war nicht zu mehr geworden, als was das Kind gewnscht hatte, aber er war es auf zu lange geworden. Der husliche Stall darf sich noch nirgends zu weit in den Traum strecken. Er mu als Ort erhalten bleiben, den die Eidechse noch nicht beschdigt, der Schmetterling noch nicht bedroht. Von ihm her werden am liebsten also Fensterblicke gespielt und gesammelt, tief und kurz ins Andere hinein. Das bunte Tier ist selber ein buntes Fenster, dahinter liegt die gewnschte Ferne. Es ist bald nicht anders wie die Briefmarke, die von fremden Lndern erzhlt. Es ist die die Muschel, in der das Meer rauscht, wenn man sie nahe genug ans Ohr hlt. Der Junge zieht aus, sammelt berall ein zu ihm Hergeschicktes. Das mag zugleich Zeuge sein fr die Dinge, die zu sehen der Junge zu frh ins Bett mu. In seinem Blick auf einen farbigen Stein keimt schon viel, was er spter fr sich wnscht.

    4 VERSTECK UND SCHNE FREMDE

    Unter sich

    Dabei die Lust, selbst unsichtbar zu sein. Ein Winkel wird gesucht, er schtzt und verbirgt. Wohlig geht es in der Enge zu, deutlich aber lt in ihr sich tun, was man will. Eine Frau erzhlt: Ich wnschte mich unter den Schrank, dort wollte ich leben und mit dem Hund spielen. Ein Mann erzhlt: Wir bauten uns als Knaben einen Stand zwischen den sten, der von unten nicht gesehen werden konnte. Sa man oben, wurde gar noch die Leiter /(23) hochgezogen und jede Verbindung mit dem Boden unterbrochen, dann fhlten wir uns vollkommen glcklich. Darin malt sich das eigene Zimmer vor, das freie Leben, das kommt.

    Daheim schon unterwegs

    Der versteckte Knabe brennt auch, auf scheue Weise, durch. Er sucht das Weite, obwohl er sich einkapselt, er hat sich nur, whrend er ausreit, um und um mit Wand bewaffnet. Desto besser sogar, wenn das Versteck sich bewegt, das heit, wenn es aus Lebendigem besteht. Das ist hier: aus verfemten oder fremdartigen Menschen, mit denen man zieht, unter denen man nicht vermutet wird. Nicht immer setzen Schler alles hintan im Vergleich mit dem Bestreben, ihren Eltern und Lehrern Freude zu bereiten, doch die Eltern und Lehrer verstehen zuverlssig, zu betrben. Das Leid in der Schule kann widerlicher sein als spter irgendein anderes, das des Gefangenen ausgenommen. Daher der dem Gefangenen verwandte Wunsch, auszubrechen; da das Drauen noch undeutlich ist, wird es wunderlich. Eine Frau erzhlt: Ich wnschte mir als Mdchen stndig, da Einbrecher kmen. Denen wollte ich alles zeigen, Silber, Bargeld, Wsche, alles sollten sie mitnehmen, zum Dank dafr auch mich. Ein Mann erzhlt: Als ich zum erstenmal einen Dudelsack

  • hrte, lief ich ihm nach wie allem, was sonderbar ist. Aber ich kehrte nicht nach einigerWeile um, wie sonst bei den Merkwrdigkeiten, die auf der Strae ziehen, dem Scherenschleifer, der Heilsarmee und so fort, sondern ich folgte vor die Stadt hinaus, die Landstrae weiter, in die Drfer, die ich kannte, in die Drfer, die ich nicht kannte. Und es zog nicht nur der phantastische Mann, es verfhrte der sausende Geist, von dem ich glaubte, da er im Dudelsack stecke, und der ich schlielich selber wurde. So wird die Enge mit sieben oder acht Jahren weit, das Fremdeste trgt sich in ihr zu (wenn die Leiter vom Boden hochgezogen). Nur erst das Versteck freilich will hier verlegt werden, der Knabe in ihm reit mit Freunden nur unsichtbar aus. Verschleppt sich selbst auf schnaubendem Ro, mit wehender Feder in die Sicherheit des Abenteuers. Die Nacht steckt voll Schenken und Schlssern, in jedem sind Felle, Waffen, brausende Kaminfeuer, Mnner wie Bume, keine Uhr. /(24) Bezeichnend fr die gesprenkelte Lust am Versteck wirken zu dieser Zeit auch Zeichnungen auf Lschblttern im Schulheft. Eine stachlige Sicherheit wird aufs Papier gebracht, ein Haus, eine Stadt, eine Festung am Meer, mit Kanonen gespickt. Inseln sind ihr vorgelagert, sie weisen den Feind von der Seeseite ab; auf der Landseite aber liegt ein dreifacher Grtel von Forts. Diese bewachen die Strae, sie ist die einzige, die in die Traumfestung fhrt, und ist unterminiert. So ruht die Meerstadt, unsichtbar von Schule und Haus, unansprechbar, mit Augen wie im Schlummer. Doch eben: die Festung war nicht blo als uneinnehmbar gezeichnet, auch als machtvoll, als ausstrahlend; fernhin wirkt sie ber den Rand des Papiers, ins Unbekannte. Das eigene Leben war hoch oben durch Zinnen geschtzt und gerndert, sie konnten aber jederzeit bestiegen werden, zum Ausblick. Diese Verbindung von Enge und schner Fremde geht auch nachher nicht unter. Soll heien: das Wunschland ist von dieser Zeit her eine Insel.

    5 FLUCHT UND DIE RCKKEHR DES SIEGERS

    Trumt einer, so bleibt er niemals auf der Stelle stehen. Er bewegt sich fast beliebig von dem Ort oder Zustand weg, worin er sich gerade befindet. Ums dreizehnte Jahr wird das mitreisende Ich entdeckt, daher wachsen um diese Zeit die Trume vom besseren Leben besonders ppig. Sie bewegen den grenden Tag, berfliegen Schule und Haus, nehmen mit sich, was uns gut und teuer ist. Sind Vorreiter auf der Flucht und machen fr unsere deutlicher werdenden Wnsche ein erstes Quartier. Die Kunst wird gebt, sich ber das zu unterhalten, was man bis jetzt noch nicht erlebt hat. Auch der durchschnittliche Kopf erzhlt sich in dieser Zeit Geschichten vor, leichte Fabeln, worin es ihm wohlergeht. Er spinnt die Geschichten auf dem Schulweg aus oder auf dem Spaziergang mit Freunden, und immer steht der Erzhlende, wie auf einem gestellten Bild, in der Mitte. Ha gegen den Durchschnitt erfllt in dieser Zeit fast alle, auch wenn sie selber nicht weit vom Stamm gefallen sein sollten. Die junge Gans will sich verbessern, der junge Flegel spuckt auf huslichen Muff. /(25) Mdchen arbeiten an ihrem Vornamen herum wie an ihrer Frisur, sie machen ihn pikanter, als er ist, und erlangen dadurch den Start fr ein getrumtes Anderssein. Jnglinge treiben auf ein edleres Leben, als es gegebenenfalls der Vater fhrt, auf ungeheuerliche Taten zu. Das Glck wird versucht, es schmeckt verboten und macht alles neu.

    Ab zu Schiff

  • Nicht immer, mindestens nicht deutlich, arbeiten geschlechtliche Reize mit. Mdchen bewahren lange eine erworbene Scheu, Knaben ehren an sich selber eine gewisse trockene Khle. Oft verhindern Hochmut und Selbstverliebtheit, der Liebe einen besonders ausgetrumten Platz zu geben. Der Rechte oder die Rechte scheinen nicht da oder nur im eigenenGeschlecht zu sein, oft sind sie nicht einmal im Wnschen da. So wird das Luftschlo auf dieser Stufe selten zum Lustschlo, der Harem und die Traumfrau kommen erst spter. Auch erhalten sich in der trockenen Phantasie ziemlich lange infantile Bildungen; ihre Einsamkeit gerade erfllt das Fluchtmotiv. Eine Frau erzhlt von dieser Zeit: Ich wollte Malerin werden, trumte mich in ein orientalisches Schlo auf einem Berg, lebte dort allein mit meinem unehelichen Kind, das hatte ich von einem sehr distinguierten Mann. Ein Mann, nach seiner fnfzehnjhrigen Fabel befragt, erzhlt folgendes: Ich wollte aufs Meer und ersann mir dazu ein Kriegsschiff ohnegleichen. Es hie Argo, machte so viele Knoten die Stunde, da es an allen Ksten der Erde fast allgegenwrtig war. Ich war der Herr der Argo, mit dem Titel und Rang eines Frstadmirals, herrschte ber alle Kaiser und Knige, verteilte die Erdkarte neu, kraft der elektrischen Kanonen, setzte vor allem die geliebte Trkei wieder in ihre alten Grenzen ein. Einmal im Jahr kam die Flugnacht, das Schiff verlie das Wasser, landete auf dem hchsten Berg der Erde. Dort bewirtete ich meine Freunde, lie sie durch ein besonders gelegenes Fenster in die Zukunft sehen, bte die Geheimnisse des grnen Strahls. Dieser Strahl leuchtet kurz nach Untergang der Sonne auf dem Stillen Ozean; und ich wute ihn so zu handhaben, da man mit ihm alle untergegangenen Reiche erblicken konnte. Das sind noch brgerliche Aus- /(26) schweifungen juveniler Art; bei proletarischen Jugendlichen dieses Alters sind sie weit gedmpfter, auch bereits erzogener und reeller. Doch wenn hier die Inhalte auch nachgelassen haben, so phantastisch zu sein, ist der Zug zu ihnen ein mrchenhafter geblieben, scharf bers Gegebene hinaus. Klar, solche Fabeleien steigen nicht nur aus den Tiefen des Gemts, sondern ebenso aus Zeitungen, aus dem Abenteuerbuch und seinen herrlich lackierten Bildern. Aus Buden auf dem Jahrmarkt, wo Ketten rasseln und gesprengt werden, wo sich das Lied an den Abendstern singt und der Halbmond strahlt. Argo, Trkei und dergleichen kommen von daher, auch die roh- oder rauh-abenteuerliche Farbe, worin diese Gebilde strahlen. Das urtmliche Schiffsbild bezeichnet den Willen zur Ausreise, den Traum von fahrender Rache und exotischem Sieg. Argo (und das Auswechselbare, das fast jede individuelle Erfahrung an ihre Stelle setzen kann) ist eine Art Arche fr die hauptschlichsten Wnsche dieser Zeit: fr die Trumpfwnsche. Der Wille zerbricht das Haus, worin er sich langweilt und worin das Beste verboten ist. So baut er in der endlosen Geschichte sein Bergschlo an den Wolken oder die Ritterburg als Schiff.

    Die funkelnde Schale

    Dann erst melden sich s gewordene Lste, schumen sogleich. Die Liebe lt keinen allein ins getrumte Schlo oder auf die See. Einsamkeit wird nicht mehr gesucht und ausgefabelt, sondern ist unertrglich, sie ist das Unertrgliche des siebzehnjhrig beginnenden Lebens schlechthin. Wenn daher das wirklich richtige Mdchen zu lange ausbleibt, erscheint das Mdchen, das wir uns denken, ausdenken, irgendwo. Ungeheuerlich wird dann die Qual des Versumthabens: jedes Fest, woran man nicht teilnahm, bietet Platz fr ausgemalte Wunschbilder, und der Jngling glaubt, gerade am versumten Abend sei eines von ihnen auf die Erde

  • niedergestiegen. Nun ist es zu spt, ihm zu begegnen; denn das Mdchen, auch wenn man es finden sollte, kommt gegen die berstarke Malerei seines Bildes nicht auf. Doch auch bei glcklichen Begegnungen spielt die erotische Verzauberung, sie kleidet das Mdchen in ihren Traum. Die Strae oder Stadt, worin die /(27) Geliebte wohnt, vergoldet sich, wird zum Fest. Der Name der Geliebten strahlt auf die Steine, Ziegel und Gitter aus, ihr Haus liegt allemal unter unsichtbaren Palmen. Der eigenen Krfte ist man ungewi, weil ihrer zu viele sind und sie einander stren. Daher ist der junge Mensch meist hin und her gerissen zwischen uerster Niedergeschlagenheit (bis zu der Frage, ob man es berhaupt verdiene, auf der Welt zu sein) und ausgleichender berhebung. Verlegenheit und Frechheit hngen hier zusammen; der Jugendliche, der nicht zum Durchschnitt gehrt oder der ihn hat, fhlt sich als kleiner Gott, und da die anderen sich keine Mhe geben, ihn zu beweisen, tut er es selbst. Er will als Erster durchs Ziel, will bertreffen; das Ziel kann ein ganz uerliches sein, es steht fr ein unbekanntes. Was bei Kindern die feine Haut oder das Glck der langen Beine, der harten Muskeln war, das wird bei jungen Mdchen Stolz auf die sogenannten Herrenbekanntschaften, bei Jnglingen die Eitelkeit, mit dem schnsten Frulein der Stadt oder des Viertels gesehen zu werden. Tiefer geht das Unbestimmte oder seiner selbst Ungewisse, indem Verschmhtwerden niemals so bitter, Gewhltwerden (Platz an der Spitze) niemals so berschwenglich empfunden wird wie in der Puberttszeit. Die Jugend wird sich hier selbst zur Geiel oder zum Lorbeer, es gibt keine Mitte; jenseits der Einsamkeit, der so heftig geflohenen, gibt es nur Niederlage, die die Geltungsansprche, Zukunftsansprche widerlegt, oder Sieg, der sie beweist. Die Unreife an sich ist eine Einladung zum Auftrumpfen, dieses ist nicht leer wie in spteren Jahren, sondern eher vexatorisch, versucherisch zu sich selbst. Schwankt derart alles und will gestellt, festgestellt werden, so erst recht das Lebenslicht, das knftige Lebensbild, das von der Jugend erwartet wird. Gewi ist nur, da es keine Kleinigkeiten enthalten soll und da keine andere Jahreszeit darin gilt als der Frhling. Der junge Mensch qult sich mit dem Vorgenu dieser Zukunft, er will mit einem Mal die ganze herausfordern, auch mit Strmen, Leid, Ungewitter, sofern sie nur Leben ist, wirkliches, bisher nicht gewordenes. Und mit der eigenen Jugend fngt die Welt an: nichts ist einem Jngling merkwrdiger, als sich die Brautzeit seiner Eltern vorzustellen, und nichts vertrackter, als sich selbst im Alter vorzustellen, mit Kindern, die nun selber seine eigene Brautzeit /(28) haben und seinen eigenen - scheinbar unbertrefflichen - Frhling. In dieser Jugendzeit zeigt sich auch: eigentlich verbindend und Freundschaft stiftend ist nur die gemeinsame Erwartung einer gemeinsamen Zukunft; das eint so sachlich wie in spteren Jahren die Arbeitsgemeinschaft. Ist die gemeinsame Zukunft weggefallen, dann zieht von der Jugendfreundschaft (wenn sie nichts als solche war) der Lebensgeist ab; daher ist nichts schaler und gezwungener als das Wiedersehen frherer Schulkameraden nach langen Jahren. Sie sind wie die Lehrer geworden, wie die Erwachsenen von damals, wie alles, wogegen man sich verschworen hatte. Solche Reunion wirkt, als seien die jugendlichen Gesichter und Trume nicht blo, wie selbstverstndlich, verschwunden, sondern als seien sie verraten worden. Aus diesem ungemen Chok geht aber hervor, wieviel Hochtrieb und Rtlischwur, wieviel Bergluft ber richtigen Siebzehnjhrigen noch war und ist. Auch die Bergluft aber ist voller Ben, sie nimmt an dem hin und her jagenden Windwechsel des unbestimmtesten aller Lebensalter teil. Das auch intellektuell: nur wenige junge Menschen erfreuen sich einer jener unausweichlichen Begabungen, die den Beruf zur Berufung machen und so die Wahl ersparen. So viele junge Mdchen mchten zwar zum Film, fast jeder junge Mann hat eine Rosine im Kopf,

  • die auf dem Markt der blichen Berufe nicht gehandelt wird. Indes das sind mehr allgemeine Wnsche und Richtungen, sie werden zum Glck nicht lange weiterverfolgt, sie ermangeln des begabten Details. Ja auch dort, wo ein - in diesen Jahren hufiger - Drang zur produzierenden Aussage treibt, zur malenden, musikalischen oder schreibenden, berrascht es, da bei der Ausfhrung noch alles schrumpft. Jugendliche dieser Art kennen das: wie ein Feuer in einem brennt, wie die Kunst so nahe liegt, aber will man das Wesen fassen, so wird es trocken, ja schrumpft so, da nicht eine Seite damit zu fllen ist. Rede ist in dieser Zeit verbreitet und leicht, Schreibe schwer, und kommt sie zustande, so erscheint gerade dem berstrmenden die Frucht wie eine gedrrte Pflaume, verhutzelt und verkohlt. Bettina von Arnim, die das sagt, und die ihr Leben lang ber dies Jugendliche nicht hinauskam, hat daher meist Briefe zur Aussage gewhlt. Eine andere Form ist das Tagebuch, das nicht ohne Grund verschwiegen genannte oder als verschwie- /(29) gen mitgeteilte. Mancher Erwachsene hat an solchen Aufzeichnungen, wenn er sie gemacht hat, und wenn er sie eitel-treu erhalten hat, einen Pegel, um zu sehen, wie weit sein Wasserstand gesunken ist. Liebe, Schwermut, Bilderkeime und Denklarven, alles wird hier gefischt und bleibt im Anfang. Doch das Lebenslicht, nichts Abgestandenes enthaltend, glnzt vexatorisch, versucherisch zu sich selbst. So wirkt diese Zeit unglcklich und selig zugleich; das Frhlingsgefhl enthlt spter noch beides. Allgemein aber ist die Lust zum Mut, zu Farbe, Weite, Hhe; der rechte Jngling entsteht aus einem Willen, der in diesen Jahren immer noch ein ritterlicher ist. Daher der Traum von Abenteuern, die zu bestehen sind, von Schnheit, die entdeckt, von Gre, die erkmpft zu werden begehrt.

    Weil das eigene Leben noch weit liegt, wird jede Ferne verschnt. Der Wunsch reit nicht nur zu ihr hin, sondern er reit nun ohne Versteck in sie aus, desto heftiger, je enger die eigene Lage ist. Als Zeichen kann schon die Ferne gengen, die der abendliche Schnellzug in die kleinsten Stdte bringt, die Ferne der Hauptstadt, von der Provinz her gesehen. Auf diese Art bildet sich ein liederlich-khnes, fahrlssig-schnes Wunschbild aus, ohne Verwandte, weit fort von ihnen. Innen ist die ausgedehnte Seele, worin die Sehnsucht arbeitet, drauen ein getrumtes Stadtbild, das sie erfllen knnte. Wenn einer der strksten Wnsche der menschlichen Natur und einer, der am hufigsten verletzt wird, dieser ist, wichtig zu sein, so verbindet er sich berdies besonders stark mit dem Wunsch nach importanter Umgehung. Begabte Mdchen wnschen in diese durchzubrennen; Mnchen zog so an um 1900, Paris weit lnger. Hingerissen betritt der Student die groe Stadt, sie ist ihm auer dem sichtbaren Glanz mit lauter ungeduldigen Hoffnungen bevlkert. Hier glaubt er den Grund und Hintergrund zu einem endlich gemen Dasein zu haben; die Huser, die Pltze, die Bhnen wirken utopisch erleuchtet. Im Caf, an einem stolzen kleinen Tisch, sind die Auserwhlten versammelt, welche Verse schreiben, ein Himmel voller Bageigen wartet auf den, der sie spielt, an die Fenster klopft der Ruhm. Nicht erstaunlich, da mit dem Wunschbild des Triumphs auch jenes des Trumpfs wiederkehrt oder im erotischen Glanz mit eingeschlossen ist. War das Elternhaus nicht nur /(30) eng, sondern auch schlecht, dann ist die ausgemalte Heimkehr des Siegers eine besonders beliebte und trumerisch weit verbreitete Genugtuung, so berbietend, da sie den frheren Jammer fast als Folie begrt. Die berhmte Schauspielerin kehrt zurck, scheu stehen die Eltern und Nachbarn beiseite, leutselig verzeiht sie, was man ihr angetan. Der gedrckte Junge von damals kommt vierspnnig wieder, das schne reiche Mdchen zur Seite, das er sich als Frau erobert hat; er ist nun nicht mehr

  • unverstanden, kommt als Schlachtenlenker oder als groer Knstler, kommt auf jeden Fall mit beschmender Pracht. Sein ist die Prinzessin, anmutig, stolz und mild, mit Duft von hoch droben, und um sie wallt der silberne Reiseschleier, all das ist Liebchens gewonnene Herrlichkeit, all das wie Nizza daheim. Das sind besonders unreife Wunschtrume, doch sie finden sich heute noch im westlichen Glanzbild dieser Jahre enthalten. Begierig, kundig, eingedenk, teilhaftig, mchtig, voll, diese Worte regieren den Genitiv und die brgerlichen Jugendwnsche. Der oft berufene Silberstreif am brgerlichen Himmel wurde freilich zum Blutstreif; fr die Dummen oder Betubten hie der starke Mann ihrer selbst Hitler. Doch nie schien das Grau eines jungen Durchschnittsmanns ohne kaprizise Gestalten; der Wunsch selber legt sie in den Arm. In dieser Zeit, zwischen dem Mrz und Juni des Lebens, gibt es keine Pause, entweder Liebe fllt sie aus oder der Blick auf eine Art strmische Wrde.

    6 REIFERE WNSCHE UND IHRE BILDER

    Diese brauchen nicht weniger unruhig zu sein. Denn das Wnschen nimmt spterhin nicht ab, es verringert sich nur das Gewnschte. Der lter gewordene Trieb zielt nher, er kennt sich aus, er richtet sich diesseitig ein. Nicht aber, als nhme er dadurch das Leben hin, wie es ihm geworden ist; gerade das kleinbrgerlich Gewordene ist halb und schal. Wichtiges fehlt nach wie vor, also hrt der Traum nicht auf, sich in die Lcken einzusetzen. Wohl nimmt Geschlagenes ebenfalls Platz, oft senkt sich der Flug. Gemeines kommt hervor, das nicht mehr die glatten /(31) roten Backen hat, sondern ist ausgekocht. Aber der Trumende glaubt endlich erfahren zu haben, was das Leben ihm bieten sollte.

    Die lahmen Gule

    Zunchst geht sein Wunsch rckwrts, er macht etwas wieder gut. Der Traum malt aus, was wre, wenn eine Dummheit unterlassen, eine Klugheit nicht unterlassen worden wre. Die lahmen Gule und die guten Einflle kommen zuletzt; das ist der Treppenwitz. Er qult, weil er die Gelegenheit verpat hat, also wird das Versumte nachtrglich in der Einbildung gettigt, gesagt. Diese Einbildung ist reumtig und sehnschtig zugleich, die Reue macht sie zu einem Wunschtraum, der Vergangenes verbessert. Im Wunschtraum des Treppenwitzes werden Ohrfeigen ausgeteilt, zu denen der Trumende im Augenblick, wo sie fllig waren, nicht den Mut besa. Der Wunschtraum des Treppenwitzes macht Verluste gut, indem er bis zu jenem Zeitpunkt zurckgeht, wo es noch mglich war, sie zu vermeiden. Er kostet, mit bitterem Genu, Gewinne aus, die zuverlssig erzielt worden wren, wenn man rechtzeitig ins Geschft eingestiegen wre. Man hat die falsche Marke gesoffen - wie schn whlt man im Traum oder im Bericht, den man nicht nur anderen vormacht, die richtige. Oder die Quelle des Flulaufs, auf dem die Felle davongeschwommen sind, wird als Wasserhahn gedacht; man dreht i