Das Ende eines Prachtbaus - Thomas Hofmann eines Prachtbaus.pdf · 2017. 9. 11. · 12.000...

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Sa./So., 9./10. September 2017 36 Es war schier unfassbar, dass Wien binnen einer Stunde eines seiner Wahrzeichen verloren hat- te. „Die Rotunde niedergebrannt“, schrieb die „Illustrierte Kronen- zeitung“ und verglich den Brand mit dem des Justizpalastes: „Das größte Feuer seit 10 Jahren“. Die Betroffenheit der Wiener war groß. „Als gestern in den ersten Nachmittagsstunden der Schreck- ruf ‚Die Rotunde brennt!’ durch die Straßen von Wien gellte und von Mund zu Mund weitergege- ben wurde, da schien mit einem mal der großstädtische Verkehr zu stocken. Und manchem Wiener war es in dieser Stunde bitterweh ums Herz. Die Rotunde bedeutete ja den Aelteren unter uns ein Stück Jugend. Sie war eine Her- zenssache Wiens und der Wiener. Sie kam gleich nach dem Ste- phansturm. Ein Wahrzeichen Wiens. Und wer die Höhen des Kahlenberges erstiegen hatte, der hielt zuerst nach der Rotunde Ausschau, um sich nach ihr zu orientieren. Darum dachte man gestern erst in zweiter Linie an den gewiß ungemein großen Schaden.“ („Neue Freie Presse“). Was war geschehen? Am Frei- tag, den 17. September 1937, hatte um die Mittagszeit ein Arbeiter einen Brand bei Säule 17 der 32 tragenden Säulen in rund 20 Me- ter Höhe entdeckt. Um 12 Uhr 36 ging der Brandalarm bei der Wie- ner Berufsfeuerwehr ein, die schon um 12 Uhr 41 vor Ort war. Die Flammen suchten zwischen Blech und Stuckatur ihren Weg und loderten rasch bis zur Kuppel empor, um 12 Uhr 50 kam die Meldung „Großfeuer“. Um 13 Uhr 30 blies man zum Rückzug, drei Minuten später stürzte die größte Kuppel der Welt ein. Die Druck- welle trieb das Feuer in die umlie- genden Gebäudeteile, die nun um- so rascher den Flammen zum Op- fer fielen. An ein Löschen war nicht zu denken. Insgesamt, so re- cherchierte Alexander Markl, Offi- zier der Berufsfeuerwehr Wien, kamen inklusive der Brandwache, die bis zum Morgen des 18. Sep- tembers vor Ort blieb, 88 Feuer- wehrfahrzeuge, 14.000 Meter Schläuche und über 250 Mann zum Einsatz. Unklare Brandursache Bald tauchten Mutmaßungen über die Brandursache auf; Kurz- schluss, Sabotage oder Unvorsich- tigkeit wurden diskutiert. Kurz- schluss konnte ausgeschlossen werden, da der Strom für das Hauptgebäude abgedreht war. Ein Sabotageakt, sprich eine Brandle- gung, mit dem Ziel großen Scha- den anzurichten, wurde nicht an- genommen. Wer größtmöglichen Schaden gewollt hätte, würde wohl vor oder gar während der Herbstmesse den Brand gelegt ha- ben – so argumentierte man. 1937 dauerte die Wiener Herbstmesse von Sonntag, 5. Sep- tember, bis Sonntag, 12. Septem- ber 18 Uhr 30, sie war erstmals um einen Tag verlängert worden. Zu den Höhepunkten zählten die „Funkmesse“ der Radiofunkin- dustrie, der „Erfinderpavillon“ in der Rotunde erwies sich als Publi- kumsmagnet – die Aussteller zo- gen eine positive Bilanz. In den Tagen danach waren fast sämtli- che Exponate wieder geräumt worden, gegen Ende der Woche war die Rotunde so gut wie leer. Auch Unvorsichtigkeit als Brandursache wurde nicht weiter in Betracht gezogen, es fehlten die Indizien. Knapp drei Monate spä- ter lieferte Ing. M. F. Möller in der „Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Verei- nes“ (Heft 49/50) unter dem Titel „Der Brand der Wiener Rotunde und seine Lehren“ eine Analyse. Er folgert im Detail: „Das statische System der Zeltdächer, die die äu- ßere Form eines Kegelstumpfes haben, ist gekennzeichnet durch die Anordnung eines Zug- und ei- nes Druckringes, zwischen wel- chen sich die Radialsparren span- nen. [. . .] Wird nun die Festigkeit des Materials an einer Stelle des Zugringes zerstört, so beginnt der Zugring unter der Einwirkung dieser hohen Kräfte langsam aus- einanderzufließen, die Dachhaut reißt auf und die Kuppelmitte sinkt allmählich ab. Die Säulen, die die ganze Kuppelhalle zu tra- gen haben, neigen sich nach au- ßen und der ganze Bau stürzt in sich zusammen. Das Feuer ist nun bei der Rotunde tatsächlich bei einem der Tragpfeiler zum Ausbruch gekommen, so daß der Zugring von Beginn an unter dem Einfluß der hohen Brandtempera- turen stand.“ Weltausstellungs-Palast Wien wollte 1873 nicht nur mit der Weltausstellung per se, son- dern auch mit deren Architektur einen nachhaltigen Akzent set- zen. Wilhelm Freiherr von Schwarz-Senborn, der Generaldi- rektor der Wiener Ausstellung, hatte das Gebäude der Pariser Weltausstellung (1867) in schlech- ter Erinnerung, „es glich einem riesigen Gasometer“ und wollte für Wien nur das Beste, um „näm- lich der Monotonie zu entgehen.“ Im englischen Schiffsbauingeni- eur Scott Russell fand er den Mann, der die Vorlage zur Rotunde lieferte, die Ausführung lag in Händen des heimischen Architek- ten Carl Hasenauer. Schwarz-Sen- born war schon im Vorfeld begeis- tert: „Der hervorragende Mittelbau der Weltausstellungsgebäude ist eine grosse eiserne Rotunde, deren äusserer Durchmesser 107,83 m und deren Höhe 84,1 m beträgt. Auf 32 Säulen, von Blech und Win- keleisen zusammengesetzt, deren Grundfläche 3,048 m lang, 1,22 m breit und deren Höhe 24,384 m ist, ruht ein kegelförmiges Dach, eben- falls ganz von Eisen, das unter ei- nem Winkel von 31° bis zu einer Höhe von 48,2m ansteigt und durch einen Dachring von 30,9 m Durchmesser abgeschlossen wird.“ Nicht nur die Rotunde war größer, als alles Bisherige, auch das Aus- stellungsareal schlug alle Rekorde, es war fünf Mal größer, als jenes in Paris. Vom Tag des Vertragsabschlus- ses, am 17. Oktober 1871, bis zur Demontage der Gerüste am 8. März 1873 waren nur ein Jahr, vier Monate und 23 Tage vergan- gen. Zeit- und Kostendruck präg- ten den Bau der größten Kuppel der Welt, deren Spannweite mehr als doppelt so weit war wie die des Petersdoms in Rom. Die aus- führende Firma Harkort aus Duis- burg hatte den Auftrag zu Dum- pingpreisen übernommen und montierte, um Gerüstkosten zu sparen, die Kuppel zunächst am Boden. Am 8. Juni 1872 begann man sie zu heben, mit Holzsta- peln zu unterfangen, um die 32 eisernen Säulen einziehen zu können. Da es zunächst unmög- lich war, die zahlreichen Winden gleichmäßig zu betreiben, setzte Johann Caspar Harkort auf Musik. Mit dem Takt einer Militärkapelle, die in der Mitte der Rotunde „schneidige Militärmärsche spiel- te“, ging das ganze Unternehmen gleichmäßig vonstatten und konn- te am 29. August abgeschlossen werden. Die Mehrzweckhalle Bei der feierlichen Eröffnung der Weltausstellung am 1. Mai 1873 waren neben dem Kaiserpaar das Who is Who der in- und ausländi- schen Aristokratie und des Bür- gertums anwesend; insgesamt 12.000 Personen, doch die Rotun- de war keineswegs voll. Am 2. No- vember 1873 war die Exposition zu Ende, man zählte insgesamt 7.254.963 Besucher, 20 Millionen hatte man erwartet. Die Schau war nach massiven Überschrei- tungen der Baukosten damit end- gültig zum finanziellen Desaster geworden. Die meisten der Bauten wurden nachher abgerissen, die Rotunde – auch sie war zum Ab- riss bestimmt, für den aber die Mittel fehlten – blieb und wurde in den nächsten Dekaden vielfäl- tigst genutzt. Die Rotunde wird retrospektiv vor allem als Bau der Weltausstel- lung wahrgenommen. Kaum be- kannt sind die vielfältigsten, wenn auch oft nur kurzfristigen Nutzungen, die Stefan Konrath im Rahmen einer Diplomarbeit zu- sammengetragen hat: Die Rotun- de war nach wie vor die erste Ad- resse für Großausstellungen. Er- wähnt seien die „Internationale Elektrische Ausstellung“ (1883) oder die „Land- und Forstwirt- schafts-, Industrie- und Kunstaus- stellung“ (1890). Die gigantische Dimension des Baus bot auch ge- nug Raum, um den Kaiser gebüh- rend zu ehren, konkret 1898 mit der „Jubiläumsausstellung für Wissenschaft, Technik und Kunst“ zu seinem 50. Regierungs- jubiläum oder 1910 mit der „Inter- nationalen Jagdausstellung“ zu seinem 80. Geburtstag. Es ging auch tierisch zu, ab 1880 gab es wiederholt Pferdeaus- stellungen und Fiakerkonkurren- zen, auch ein Hunderennen ist dokumentiert. Der Spott blieb nicht aus. „Daß die einst der In- dustrie und Kunst gewidmete Ro- tunde jemals zur Roßtunde wer- den würde, das hätten wir nie ge- glaubt!“ (Kikeriki, 6. Mai 1883). Unvergessen ist die Welturauffüh- rung des „Fiakerliedes“ von Gus- tav Pick am 24. Mai 1885 durch Alexander Girardi. Der legendäre Zirkus Renz gastierte ebenso wie der Zirkus Wulff, oder der ameri- kanische Zirkus Barnum & Bailey im Rundbau. Auch der Deutsche Carl Hagenbeck zeigte die damals beliebten Tier- und Völkerschau- en gerne an dieser Adresse. 1884 sollen „Die Singhalesen“ in vier Wochen von 400.000 Menschen besucht worden sein. Briefe und Bienen Weitgehend unbekannt ist die Ro- tunde als Museum. Von 1891 bis 1914 war das Postmuseum, das dann ins Technische Museum übersiedelte, hier untergebracht. An dessen Stelle folgten die Expo- nate des größten Bienenzuchtmu- seums Europas, die 1937 den Flammen zum Opfer fielen. An Vielfalt sollte es nie man- geln. Im Rahmen eines „Monstre- Concertes“ spielten am 10. Mai 1891 vor 15.000 Besuchern die Wiener Militärkapellen in der Ro- tunde, Johann Strauß Sohn diri- gierte seinen Donauwalzer. Auch die legendäre Fürstin Metternich benutzte den Raum für ihre Cha- rity-Events, ein solcher war das „Secessionistische Dorf“, das man in der Rotunde 1899 errichtet hat- te, um Geld für die Wiener Ret- tungsgesellschaft zu sammeln. Vom 3. bis 11. Oktober 1903 hing ein 80 Meter langes Fou- caultsches Pendel von der Kuppel, um die Erdrotation zu demonst- rieren. Im Frühjahr 1921 wurde ein 24-Stunden-Radrennen ausge- tragen, wobei die Siegerdistanz unglaubliche 725,621 Kilometer betrug. Von 6. bis zum 17. Sep- tember 1912 fand hier der 23. Eu- charistische Kongress statt – die 15.000 Besucher hätten im Ste- fansdom nie Platz gefunden. Ab 1921 hatte die Wiener Messe die Rotunde entdeckt. Auch wenn nach dem Brand am 17. September der Ruf nach ei- nem neuen Gebäude, einem „Mes- se-, Ausstellungs- und Sportpa- last“, erschallte, so waren die Wiener im Herbst 1937 bald abge- lenkt, sahen sie doch einem ande- ren Großereignis, der Eröffnung der neu errichteten Reichsbrücke am 10. Oktober, entgegen. Das Ende eines Prachtbaus „ Abschied von der Rotunde“ nannte die „ Wiener Zeitung“ am 18. September 1937 ihren Bericht über die „entsetzliche Katastrophe“: Am Tag davor war ein Wiener Wahrzeichen komplett verbrannt. Von Thomas Hofmann Thomas Hofmann, geboren 1964, ist Leiter von Bibliothek, Verlag und Archiv der Geologischen Bun- desanstalt in Wien. 2017 erschien im Wiener Metroverlag das Buch Haie, Goethe und die Gurken. Zwei schräge Naturwissen- schaftler auf Expedition durch das heutige Wien , das er zusam- men mit Mathias Harzhauser ver- fasst hat. Rauchende Ruinen – das war alles, was von der Rotunde im Prater übrig blieb. Foto: Sammlung Hofmann

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  • Sa./So., 9./10. September 201736Es war schier unfassbar, dassWien binnen einer Stunde einesseiner Wahrzeichen verloren hat-te. „Die Rotunde niedergebrannt“,schrieb die „Illustrierte Kronen-zeitung“ und verglich den Brandmit dem des Justizpalastes: „Dasgrößte Feuer seit 10 Jahren“. DieBetroffenheit der Wiener wargroß. „Als gestern in den erstenNachmittagsstunden der Schreck-ruf ‚Die Rotunde brennt!’ durchdie Straßen von Wien gellte undvon Mund zu Mund weitergege-ben wurde, da schien mit einemmal der großstädtische Verkehrzu stocken. Und manchem Wienerwar es in dieser Stunde bitterwehums Herz. Die Rotunde bedeuteteja den Aelteren unter uns einStück Jugend. Sie war eine Her-zenssache Wiens und der Wiener.Sie kam gleich nach dem Ste-phansturm. Ein WahrzeichenWiens. Und wer die Höhen desKahlenberges erstiegen hatte, derhielt zuerst nach der RotundeAusschau, um sich nach ihr zuorientieren. Darum dachte mangestern erst in zweiter Linie anden gewiß ungemein großenSchaden.“ („Neue Freie Presse“).

    Was war geschehen? Am Frei-tag, den 17. September 1937, hatteum die Mittagszeit ein Arbeitereinen Brand bei Säule 17 der 32tragenden Säulen in rund 20 Me-ter Höhe entdeckt. Um 12 Uhr 36ging der Brandalarm bei der Wie-ner Berufsfeuerwehr ein, dieschon um 12 Uhr 41 vor Ort war.Die Flammen suchten zwischenBlech und Stuckatur ihren Wegund loderten rasch bis zur Kuppelempor, um 12 Uhr 50 kam dieMeldung „Großfeuer“. Um 13 Uhr30 blies man zum Rückzug, dreiMinuten später stürzte die größteKuppel der Welt ein. Die Druck-welle trieb das Feuer in die umlie-genden Gebäudeteile, die nun um-so rascher den Flammen zum Op-fer fielen. An ein Löschen warnicht zu denken. Insgesamt, so re-cherchierte Alexander Markl, Offi-zier der Berufsfeuerwehr Wien,kamen inklusive der Brandwache,die bis zum Morgen des 18. Sep-tembers vor Ort blieb, 88 Feuer-wehrfahrzeuge, 14.000 MeterSchläuche und über 250 Mannzum Einsatz.

    Unklare BrandursacheBald tauchten Mutmaßungen überdie Brandursache auf; Kurz-schluss, Sabotage oder Unvorsich-tigkeit wurden diskutiert. Kurz-schluss konnte ausgeschlossenwerden, da der Strom für dasHauptgebäude abgedreht war. EinSabotageakt, sprich eine Brandle-gung, mit dem Ziel großen Scha-den anzurichten, wurde nicht an-genommen. Wer größtmöglichenSchaden gewollt hätte, würdewohl vor oder gar während derHerbstmesse den Brand gelegt ha-ben – so argumentierte man.

    1937 dauerte die WienerHerbstmesse von Sonntag, 5. Sep-tember, bis Sonntag, 12. Septem-ber 18 Uhr 30, sie war erstmalsum einen Tag verlängert worden.Zu den Höhepunkten zählten die„Funkmesse“ der Radiofunkin-dustrie, der „Erfinderpavillon“ inder Rotunde erwies sich als Publi-kumsmagnet – die Aussteller zo-gen eine positive Bilanz. In denTagen danach waren fast sämtli-che Exponate wieder geräumtworden, gegen Ende der Wochewar die Rotunde so gut wie leer.

    Auch Unvorsichtigkeit alsBrandursache wurde nicht weiterin Betracht gezogen, es fehlten dieIndizien. Knapp drei Monate spä-ter lieferte Ing. M. F. Möller in der„Zeitschrift des Österreichischen

    Ingenieur- und Architekten-Verei-nes“ (Heft 49/50) unter dem Titel„Der Brand der Wiener Rotundeund seine Lehren“ eine Analyse.Er folgert im Detail: „Das statischeSystem der Zeltdächer, die die äu-ßere Form eines Kegelstumpfeshaben, ist gekennzeichnet durchdie Anordnung eines Zug- und ei-nes Druckringes, zwischen wel-chen sich die Radialsparren span-nen. [. . .] Wird nun die Festigkeitdes Materials an einer Stelle desZugringes zerstört, so beginnt derZugring unter der Einwirkungdieser hohen Kräfte langsam aus-einanderzufließen, die Dachhautreißt auf und die Kuppelmittesinkt allmählich ab. Die Säulen,die die ganze Kuppelhalle zu tra-gen haben, neigen sich nach au-ßen und der ganze Bau stürzt insich zusammen. Das Feuer istnun bei der Rotunde tatsächlichbei einem der Tragpfeiler zumAusbruch gekommen, so daß derZugring von Beginn an unter demEinfluß der hohen Brandtempera-turen stand.“

    Weltausstellungs-PalastWien wollte 1873 nicht nur mitder Weltausstellung per se, son-dern auch mit deren Architektureinen nachhaltigen Akzent set-zen. Wilhelm Freiherr vonSchwarz-Senborn, der Generaldi-rektor der Wiener Ausstellung,hatte das Gebäude der PariserWeltausstellung (1867) in schlech-ter Erinnerung, „es glich einemriesigen Gasometer“ und wolltefür Wien nur das Beste, um „näm-lich der Monotonie zu entgehen.“Im englischen Schiffsbauingeni-

    eur Scott Russell fand er denMann, der die Vorlage zur Rotundelieferte, die Ausführung lag inHänden des heimischen Architek-ten Carl Hasenauer. Schwarz-Sen-born war schon im Vorfeld begeis-tert: „Der hervorragende Mittelbauder Weltausstellungsgebäude isteine grosse eiserne Rotunde, derenäusserer Durchmesser 107,83 mund deren Höhe 84,1 m beträgt.Auf 32 Säulen, von Blech und Win-keleisen zusammengesetzt, derenGrundfläche 3,048 m lang, 1,22 mbreit und deren Höhe 24,384 m ist,ruht ein kegelförmiges Dach, eben-falls ganz von Eisen, das unter ei-nem Winkel von 31° bis zu einerHöhe von 48,2m ansteigt unddurch einen Dachring von 30,9 mDurchmesser abgeschlossen wird.“Nicht nur die Rotunde war größer,als alles Bisherige, auch das Aus-stellungsareal schlug alle Rekorde,es war fünf Mal größer, als jenes inParis.

    Vom Tag des Vertragsabschlus-ses, am 17. Oktober 1871, bis zurDemontage der Gerüste am 8.März 1873 waren nur ein Jahr,vier Monate und 23 Tage vergan-gen. Zeit- und Kostendruck präg-ten den Bau der größten Kuppelder Welt, deren Spannweite mehrals doppelt so weit war wie diedes Petersdoms in Rom. Die aus-führende Firma Harkort aus Duis-burg hatte den Auftrag zu Dum-pingpreisen übernommen undmontierte, um Gerüstkosten zusparen, die Kuppel zunächst amBoden. Am 8. Juni 1872 begannman sie zu heben, mit Holzsta-peln zu unterfangen, um die 32eisernen Säulen einziehen zukönnen. Da es zunächst unmög-

    lich war, die zahlreichen Windengleichmäßig zu betreiben, setzteJohann Caspar Harkort auf Musik.Mit dem Takt einer Militärkapelle,die in der Mitte der Rotunde„schneidige Militärmärsche spiel-te“, ging das ganze Unternehmengleichmäßig vonstatten und konn-te am 29. August abgeschlossenwerden.

    Die MehrzweckhalleBei der feierlichen Eröffnung derWeltausstellung am 1. Mai 1873waren neben dem Kaiserpaar dasWho is Who der in- und ausländi-schen Aristokratie und des Bür-gertums anwesend; insgesamt12.000 Personen, doch die Rotun-de war keineswegs voll. Am 2. No-vember 1873 war die Expositionzu Ende, man zählte insgesamt7.254.963 Besucher, 20 Millionenhatte man erwartet. Die Schauwar nach massiven Überschrei-tungen der Baukosten damit end-gültig zum finanziellen Desastergeworden. Die meisten der Bautenwurden nachher abgerissen, dieRotunde – auch sie war zum Ab-riss bestimmt, für den aber dieMittel fehlten – blieb und wurdein den nächsten Dekaden vielfäl-tigst genutzt.

    Die Rotunde wird retrospektivvor allem als Bau der Weltausstel-lung wahrgenommen. Kaum be-kannt sind die vielfältigsten,wenn auch oft nur kurzfristigenNutzungen, die Stefan Konrath imRahmen einer Diplomarbeit zu-sammengetragen hat: Die Rotun-de war nach wie vor die erste Ad-resse für Großausstellungen. Er-wähnt seien die „Internationale

    Elektrische Ausstellung“ (1883)oder die „Land- und Forstwirt-schafts-, Industrie- und Kunstaus-stellung“ (1890). Die gigantischeDimension des Baus bot auch ge-nug Raum, um den Kaiser gebüh-rend zu ehren, konkret 1898 mitder „Jubiläumsausstellung fürWissenschaft, Technik undKunst“ zu seinem 50. Regierungs-jubiläum oder 1910 mit der „Inter-nationalen Jagdausstellung“ zuseinem 80. Geburtstag.

    Es ging auch tierisch zu, ab1880 gab es wiederholt Pferdeaus-stellungen und Fiakerkonkurren-zen, auch ein Hunderennen istdokumentiert. Der Spott bliebnicht aus. „Daß die einst der In-dustrie und Kunst gewidmete Ro-tunde jemals zur Roßtunde wer-den würde, das hätten wir nie ge-glaubt!“ (Kikeriki, 6. Mai 1883).Unvergessen ist die Welturauffüh-rung des „Fiakerliedes“ von Gus-tav Pick am 24. Mai 1885 durchAlexander Girardi. Der legendäreZirkus Renz gastierte ebenso wieder Zirkus Wulff, oder der ameri-kanische Zirkus Barnum & Baileyim Rundbau. Auch der DeutscheCarl Hagenbeck zeigte die damalsbeliebten Tier- und Völkerschau-en gerne an dieser Adresse. 1884sollen „Die Singhalesen“ in vierWochen von 400.000 Menschenbesucht worden sein.

    Briefe und BienenWeitgehend unbekannt ist die Ro-tunde als Museum. Von 1891 bis1914 war das Postmuseum, dasdann ins Technische Museumübersiedelte, hier untergebracht.An dessen Stelle folgten die Expo-nate des größten Bienenzuchtmu-seums Europas, die 1937 denFlammen zum Opfer fielen.

    An Vielfalt sollte es nie man-geln. Im Rahmen eines „Monstre-Concertes“ spielten am 10. Mai1891 vor 15.000 Besuchern dieWiener Militärkapellen in der Ro-tunde, Johann Strauß Sohn diri-gierte seinen Donauwalzer. Auchdie legendäre Fürstin Metternichbenutzte den Raum für ihre Cha-rity-Events, ein solcher war das„Secessionistische Dorf“, das manin der Rotunde 1899 errichtet hat-te, um Geld für die Wiener Ret-tungsgesellschaft zu sammeln.

    Vom 3. bis 11. Oktober 1903hing ein 80 Meter langes Fou-caultsches Pendel von der Kuppel,um die Erdrotation zu demonst-rieren. Im Frühjahr 1921 wurdeein 24-Stunden-Radrennen ausge-tragen, wobei die Siegerdistanzunglaubliche 725,621 Kilometerbetrug. Von 6. bis zum 17. Sep-tember 1912 fand hier der 23. Eu-charistische Kongress statt – die15.000 Besucher hätten im Ste-fansdom nie Platz gefunden. Ab1921 hatte die Wiener Messe dieRotunde entdeckt.

    Auch wenn nach dem Brandam 17. September der Ruf nach ei-nem neuen Gebäude, einem „Mes-se-, Ausstellungs- und Sportpa-last“, erschallte, so waren dieWiener im Herbst 1937 bald abge-lenkt, sahen sie doch einem ande-ren Großereignis, der Eröffnungder neu errichteten Reichsbrückeam 10. Oktober, entgegen.

    Das Ende einesPrachtbaus

    „Abschied von der Rotunde“ nannte die „WienerZeitung“ am 18. September 1937 ihren Bericht über

    die „entsetzliche Katastrophe“: Am Tag davor war einWiener Wahrzeichen komplett verbrannt.

    Von Thomas Hofmann

    Thomas Hofmann, geboren 1964,ist Leiter von Bibliothek, Verlagund Archiv der Geologischen Bun-desanstalt in Wien. 2017 erschienim Wiener Metroverlag das BuchHaie, Goethe und die Gurken.Zwei schräge Naturwissen-schaftler auf Expedition durchdas heutige Wien , das er zusam-men mit Mathias Harzhauser ver-fasst hat.

    Rauchende Ruinen – das war alles, was von der Rotunde im Prater übrig blieb. Foto: Sammlung Hofmann