Cyan GUIDO KNOPP Hitler – Eine Bilanz

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Hitler – Eine Bilanz

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Buch

Guido Knopp zeichnet ein umfassendes Porträt jenes Mannes, der für dieschrecklichsten Erfahrungen des 20. Jahrhunderts steht und die Geschichtevieler Völker auf grausame Art geprägt hat. Bei der Suche nach den Wurzelnseiner Schreckensherrschaft lenkt der Autor den Blick sowohl auf den Poli-tiker als auch auf den Privatman Adolf Hitler. Das Buch präsentiert die Er-gebnisse jahrelanger Recherche, die unter Mitarbeit einer Gruppe internatio-nal angesehener Berater zusammengetragen wurden. Guido Knopp faßt daskomplexe Thema verständlich und gut lesbar zusammen, so daß es auch ge-eignet ist, jüngere Leser an die unvergeßlichen Geschehnisse der Vergangen-

heit heranzuführen.

Autor

Prof. Dr. Guido Knopp, geboren 1948, war nach dem GeschichststudiumRedakteur der »FAZ« und Auslandschef der »Welt am Sonntag«. Seit 1984leitet er die ZDF-Redaktion Zeitgeschichte und unterrichtet an einer deut-schen Hochschule Journalistik. Für seine Fernseh-Dokumentationen, dieauch in Buchform erschienen, hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten,

u.a. den Jakob-Kaiser-Preis und das Bundesverdienstkreuz.

Im Goldmann Verlag ist von Guido Knopp außerdem erschienen:

Hitler – Eine Bilanz (15352) . Hitlers Helfer I (12762)Hitlers Helfer II (15017) . Hitlers Krieger (15045) . Hitlers Kinder (15121)

Hitlers Frauen (15212) . Holocaust (15152) . Die SS (15252)Die Saat des Krieges (15037) . Kanzler (15067) . Top-Spione (12725)

Unser Jahrhundert (15044) . Vatikan (15007) . Die Gefangenen (15323)Sie wollten Hitler töten (15340)

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Guido Knopp

Hitler – Eine Bilanz

In Zusammenarbeit mit Stefan Braubruger, Christian Deick,

Rudolf Gültner, Peter Hartl, Jörg Müllner

Dokumentation:Sönke Neitzel, Ursula Nellessen,

Klaus Sondermann

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Umwelthinweis:

Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuchessind chlorfrei und umweltschonend.

Der Wilhelm Goldmann Verlag, München, ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH.

Einmalige Sonderausgabe Juli 2005Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH© 1995 by Siedler Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: Design Team MünchenUmschlagfoto: Visum/Dashuber (1348319)

Druck: Clausen & Bosse; LeckVerlagsnummer: 15352

KF . Herstellung: Sebastian StrohmaierMade in Germany

ISBN 3-442-15352-2www.goldmann-verlag.de

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Inhalt

Keine Angst vor Hitler 7

Der Verführer 31Guido Knopp/Peter Hartl

Der Privatmann 91Guido Knopp/ Stefan Brauburger

Der Diktator 161Guido Knopp/Christian Deick

Der Eroberer 209Guido Knopp/Rudolf Gültner

Der Verbrecher 267Guido Knopp/Jörg Müllner

In Sachen Hitler – 50 wichtige Bücher 317ausgewählt von Guido Knopp

Bildnachweis 320

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Keine Angst vor Hitler

Wer sich nur schaudernd abwendet, macht es sichzu leicht. . . . Er mag ein schreckliches historischesPhänomen gewesen sein, aber er war ein wichtigeshistorisches Phänomen, und wir können es unsnicht leisten, ihn unbeachtet zu lassen.

Hugh Trevor-Roper, 1961

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Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen.Über fünf Jahrzehnte nach dem Tode Hitlers ist es nicht mehr nötig,Angst vor ihm zu haben. Hitler ist durchschaut. Er kann uns nicht ge-fährlich werden.Noch nie ist ein Politiker in einem einzigen Jahrzehnt so geliebt und soverflucht worden wie er. Noch nie ist einer so total gescheitert. Alles,was er je gewollt hatte, mißlang. Alles, was er je erstrebt hatte, verkehrtesich ins Gegenteil. Er wollte der Retter Europas sein. Statt dessen wurdeer zum Folterknecht des Kontinents und fast zu seinem Henker. Erwollte von Europa aus die Welt beherrschen. Statt dessen wurde das ge-spaltene Europa 40 Jahre lang zum Mündel zweier fremder Super-mächte. Er wollte an der Spree die Welthauptstadt Germania bauen.Statt dessen wurde die zerbombte und geteilte Stadt zum Kampfplatzfür den Kalten Krieg. Er wollte die kommunistische Herrschaft zer-stören und ermöglichte es Stalin, sein Imperium bis zur Elbe auszu-dehnen. Er wollte die Juden Europas vernichten und trug mit dazu bei,daß ein starkes souveränes Israel entstand.Bis zum Fall der Mauer war die zweigeteilte Welt Europas eine späteRache Adolf Hitlers. Beide deutsche Staaten, seine Erben, mußten ander Nahtstelle der Blöcke atomare Geiseln ihrer Prinzipale sein. Ihr Ter-ritorium war das potentielle Schlachtfeld eines nuklearen Holocaust, indem die Deutschen sich im Massengrab vereint gefunden hätten.Das ist überwunden. Deutschland ist, ein Glück und eine Gnade derGeschichte, neuvereint und frei. Auch frei von Hitler?Nein, wir haben ihn nicht überwunden. Hitlers düsterer Schatten istnoch immer sichtbar. Nach wie vor ist er, ein Österreicher, weltweit derbekannteste Deutsche – immer noch vor Beckenbauer, Helmut Kohlund Boris Becker.Wir würden uns so gerne von ihm lösen, würden gerne ein »normales«Land sein. Doch wir werden immer wieder gnadenlos auf ihn zurück-geführt. Wir sind noch immer Hitlers Erben, ob wir wollen oder nicht.Wir werden ihn nicht los.

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Erst heute, nach Jahrzehnten, offenbart sich, daß das eigentliche Me-netekel seiner Herrschaft, eigentlicher Sündenfall des zwanzigsten Jahr-hunderts, nicht der Krieg mit seinen offenen Schrecken, sondern einverborgenes Verbrechen war. Auschwitz – die Erfahrung dessen, wasder Mensch dem Menschen antun kann:Vertilgung seinesgleichen, Massenmord nach Plan – mechanisch, sy-stematisch, gründlich. Der Krieg, so furchtbar er auch für die Zeitge-nossen war, tritt in der nüchternen historischen Betrachtung fast zurück.Er wirkt mitunter wie ein Mantel, unter dessen Hülle sich der Holo-caust verstecken und vollziehen konnte.Dieses düstere Erbe Hitlers lastet auf uns Deutschen: Es hat unserSelbstvertrauen nahezu zerstört.Wie können wir uns trauen, wenn wir ihn gewählt haben? Wie könnenwir uns trauen, wenn wir ihn umjubelt haben? Wie können wir unstrauen, wenn wir ihm in seinen Krieg gefolgt sind? Wie können wir unstrauen, wenn wir Auschwitz zugelassen haben?Hitlers Erbe: ein ängstlicher Konformismus der Demokratie. Nur wenner Glück hat, gilt der Außenseiter als Exzentriker.Hitlers Erbe: eine unerfüllte Sehnsucht, daß Gesellschaft auch Ge-meinschaft sein soll.Hitlers Erbe: eine eingeschränkte Fähigkeit, mit Gegenwart und Zu-kunft unbefangen umzugehen.Es ist, als sähen wir die Gegenwart zunächst im Rückspiegel der Nazi-zeit, als fühlten wir in uns die innere Verpflichtung, unser Antinazitumtagtäglich beweisen zu müssen – auch wenn es gar nicht nötig ist. Wirscheuen uns, Hochbegabte besonders zu fördern, weil wir fürchten,dies erinnere an Elitezüchtung à la Napola. Wir können nicht gelassenüber Sterbehilfe diskutieren, weil uns die Erinnerung an Hitlers mör-derische »Euthanasie« zum Schweigen bringt. Wir können uns nichtunbefangen um die Gentechnologie bemühen, weil uns Hitlers Ras-senwahn vom Herrenmenschentum im Nacken sitzt. Seit Hitlers Endedefinieren wir von vornherein als prinzipiell normal, was unter Hitlerandersherum geregelt war. Wir sind die Geiseln unserer Vergangenheit.Wenn wir mit dem deutschen Trauma Hitler fertigwerden wollen, müs-sen wir uns mit ihm auseinandersetzen. Denn ein Trauma ist er nur ge-worden, weil wir ihn verdrängen wollen. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen.Einhundertzwanzigtausend Schriften über Hitler gibt es mittlerweile,berufene und unberufene. Sie haben uns mit den letzten Einzelheiten

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seiner Untaten vertraut gemacht. Sie haben uns in die Abgründe seinesWesens geführt. Sie haben uns in die inneren Kammern seiner Seeleblicken lassen.Sie haben uns berichtet, daß er Pillen gegen Blähsucht einnahm, wanner Masern hatte, daß er, wenn gerade eine Front zusammenbrach, mehrKuchen aß als sonst. Für alle diese Einzelheiten sind wir den Autorendankbar.Doch je mehr wir über Hitler wissen, desto schwerer ist er zu erklären,desto mehr entzieht er sich. Zwischen dem in 50 Jahren angehäuftenWissen über Hitler und der allgemeinen Kenntnis über ihn liegt einetiefe Kluft.Das populäre Hitler-Bild zeigt einen Dämon, der von außen kam. Sofiel es leichter, mit ihm umzugehen. Wer kann sich gegen einen Teufelwehren, der sich als der weiße Ritter ausgibt? »Hitler war nicht ganznormal«, sagt ein sudetendeutscher Zeitzeuge in einem Gespräch. Wohlwahr, ein Dämon aber war er nicht. Er kam von außen, doch er fühltesich als ausgeschlossener Deutscher. Also mußte er auch Deutscherwerden – und er wurde deutscher als die meisten Deutschen. So sehrdeutsch, daß manche Deutsche Deutschsein immer noch als Last emp-finden.Die Bilanz in Sachen Hitler muß aus Deutschland kommen. Denn ob-wohl wir ihm in freien Wahlen nie die Mehrheit unserer Stimmengaben, haben wir ihm doch zur Macht verholfen. Und obwohl er wederfür den Krieg noch für den Judenmord je öffentlich die Zustimmungder Deutschen einverlangte und erhielt, haben wir beides zugelassen.Keiner nimmt uns Deutschen die Verantwortung dafür ab, daß wir denTeufel unterschätzt haben und ihn nicht losgeworden sind, bevor es zuMillionen Toten kam. Aber keiner kann die Welt um uns herum vonder Verantwortung befreien, diese Unterschätzung vielfach wiederholtzu haben. Vor 1938 gab man Hitler, was man Weimar noch verweigerthatte. Krieg und Holocaust – sie hätten sich vermeiden lassen, wennman Hitler nicht beschwichtigt, sondern ihm die Faust gezeigt hätte.Dieses Buch will eine Schneise durch den Dschungel unseres Wissensüber Hitler schlagen. Es ist keine weitere Biographie. Es erzählt von denfünf Ebenen der Existenz des Adolf Hitler, fünf neuralgische Befind-lichkeiten.Hitler als Verführer, als Privatmann, als Diktator, als Eroberer, als Ver-brecher. Niemand widerlegt den falschen Hitler, niemand offenbart denwahren Hitler besser als er selbst.

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Dieses Buch will nicht nur zeigen, was wir über Hitler heute wissen,sondern auch belegen, wie wir uns an ihn erinnern: 2 000 Interviews inallen Teilen Deutschlands und mit Deutschen jeden Alters geben Auf-schluß, daß wir mit dem lästigen Sujet A. H. nicht fertig sind – nochlange nicht.Auch deshalb braucht die Beschäftigung mit Hitler keinen Jahrestag.Sie ist in sich ein Akt politischer Kultur.Über Hitler schreiben ist riskant. Wer es wagt, muß sich rechtfertigen.Ihm wird mitunter vorgehalten, wer sich literarisch mit der UnpersonA. H. beschäftigt, diene damit nur postumer Nostalgie. Hitler-Analysesei im Grunde pseudowissenschaftlicher Personenkult. Legitim sei al-lenfalls Faschismus-Forschung.Da wird übersehen, daß die modische Gleichung »Nicht Männer ma-chen Geschichte, sondern sozioökonomische Strukturen« für Hitlernicht gilt. Erst machte die Geschichte ihn, dann machte er Geschichte.Das »Dritte Reich« war ohne ihn, das Zentrum böser Emotionen, man-nigfacher Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen, nicht denkbar. Ohneihn zerfiel der ganze Spuk. Er war der Super-Gau der deutschen Na-tionalgeschichte, ihre denkbar größte Katastrophe.Jacob Burckhardts Formel »Die Geschichte liebt es bisweilen, sich aufeinmal in einem Menschen zu verdichten, welchem hierauf die Welt ge-horcht« paßt zu keinem anderen besser als zu ihm. Im gleichen Sinneurteilen Joachim Fest (»In Hitlers Person hat ein einzelner noch einmalseine stupende Gewalt über den Geschichtsprozeß demonstriert«) undRudolf Augstein (»Hitler war der letzte Attentäter der Geschichte«).So bleibt uns gar nichts anderes übrig, als Karl Kraus (»Zu Hitler fälltmir nichts ein«) bei aller Reverenz zu widersprechen, denn zu Hitlersollte uns noch immer etwas einfallen. Hitler-Nostalgien siedeln aufdem Nährboden der Ignoranz. Faszinieren kann Hitler nur den, derwenig oder gar nichts von ihm weiß. Das beste Mittel gegen infektiöseHitleritis ist das Wissen über Hitler. Die beste Therapie ist Hitler selbst.Das private Leben dieses Mannes war belanglos, arm. Alles, was einMenschenleben ausmacht, was es adelt, fehlte: Bildung, Freundschaft,Liebe, Ehe. Zwar hat er ungeheuer viel gelesen, ja verschlungen, Mi-litärisches besonders. Aber was nicht in sein Weltbild paßt, nimmt ernicht wahr. Er ist der geborene Narziß.Nur was ihn interessiert, das gilt.Was ihn vor allem ausmacht, ist das Absolute und zugleich Verhuschte

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seines Wesens – die forcierte Form, mit der er frühe Mißerfolge kom-pensiert. Die Fähigkeit zum konstruktiven Dialog mit anderen besitzter nicht. Widerspruch erträgt er anfangs kaum, am Ende gar nicht mehr.Auf Fotos sieht man ihn recht oft mit Kindern oder Hunden abgebil-det. Kinder und Hunde bleiben immer untergeordnet. Kinder undHunde stellen keinen intellektuellen Anspruch, Kinder und Hunde wi-dersprechen nicht. Am liebsten redet er mit Sekretärinnen, Chauffeu-ren, Adjutanten. Sein Wesen ist früh festgelegt, bleibt starr. Er haßt dasNeue. Er mißtraut der Abwechslung.Er aß immer das gleiche. Er trug immer das gleiche. Er wollte immergleich aussehen: »Denken Sie nur an die Pharaonen!« Er verlangte vonseiner Geliebten, daß sie immer gleich aussah. Er erzählte der Entou-rage immer die gleichen Geschichten.Frauen hat er unglücklich gemacht. Er hat sie nie geachtet. Einige be-gingen Selbstmord wegen ihm, andere versuchten es. Er wurde geliebt,doch lieben konnte er nicht. Er war nicht glücklos, aber glücksfeindlich.Er mochte Frauen, die ihm unterlegen waren: »Es gibt nichts Schöne-res, als sich ein junges Ding zu erziehen: Ein Mädchen mit achtzehn,zwanzig Jahren, das biegsam ist wie Wachs.«Er hatte Angst, sich einem anderen zu öffnen. Sich zu binden hieß fürihn auch, etwas von sich preiszugeben. Stets war da die stilisierteMaske, die gestelzte Pose, die uns in den frühen Fotos seines Fotogra-fen Hoffmann auffällt. Hitler ist genußunfähig, raucht nicht, trinkt nicht,kann sich nicht entspannen. Lust empfindet er vor allem in Begegnun-gen mit Massen. Eigentlich ein armer Teufel.Aber Mitleid mit ihm lohnt sich nicht. Er war ein kranker Schweine-hund, der seine Frustrationen kompensierte und dafür ein ganzes Volkmißbrauchte. Einen Sündenbock dafür zu finden, daß aus Hitler Hitlerwurde, ist versucht worden – mit mäßigem Erfolg. Wenn es nur gelänge,jenes eine Kindheitstrauma zu ermitteln, das uns alles weitere erklärt!Wenn es nur gelänge, jenen einen Juden ausfindig zu machen, der denUrgrund für den Holocaust geliefert hat!Die einfache Erklärung birgt verführerischen Reiz. In Sachen Hitleraber trägt sie nicht. Wir müssen uns die Mühe machen, das komplexeHitler-Mosaik selbst Stück für Stück zusammenzusetzen.Alles hängt miteinander zusammen. Der monomane Wüterich der spä-ten Kriegsjahre, der seine Generäle anschrie, weil sie seinen Idiotien wi-derstrebten, ist derselbe Mensch, der als Junge von seinem Vater ge-

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brochen wurde. Dieser unglückliche Mensch hat seine Frustrationenüberkompensiert.Als Junge hatte er sein Selbstvertrauen verloren. Als Mann lief er ihmhinterher. Er brauchte Erfolge, zuerst nur den Beifall der Massen, danndie Süße der Macht, am Ende den Rausch, Millionen Tote verursachtzu haben.Alles hängt miteinander zusammen. Warum hat er Frauen unglücklichgemacht? Er hat nie Nähe geben können, menschliches Interesse fürden anderen. Er hat Distanz gebraucht. Er hatte etwas zu verbergen.Am Anfang hat er Frauen einfach so verführt. Das konnte er. Unddann? Dann ließ er sie am ausgestreckten Arm verhungern. Maria Rei-ter wollte sich umbringen. Angelika Raubal tat es. Eva Braun hat eszweimal versucht.Sie haben es nicht ertragen können, daß sie für den »Wolf« nicht wich-tig waren, den Narziß, der sich nach den tröstenden Schalmeien seinerMutter sehnte, die ihn nach den Quälereien seines Vaters immer wie-der aufgerichtet hat. Frauen hatten ihm zu dienen, aber keine An-sprüche zu stellen. Anerzogen war ihm seine Neigung, sich zu überhe-ben: er, der insgeheim doch Größte. Wer so von sich denkt, fällt doppelttief, wenn Mißerfolg sich ballt.Sein Leben war bis 1920 ein einziger Mißerfolg. Er hat keine Schule zuEnde besucht; er wurde zweimal von der Wiener Kunstakademie ab-gewiesen; er hat keinen Beruf gelernt. Das hätte unsensiblere Gemüterals den jungen Hitler umgehauen. Der spätere Hitler kompensiert auchdie Verletzungen der Jugend, rächt sich an den Umständen, an denener oft gescheitert ist. Er tut es rücksichtslos, gelegentlich brutal.Vielleicht hat er zum erstenmal als Frontsoldat Erfolgserlebnisse ver-spürt. Doch ist es wirklich ein Erfolg, wenn man es gerade zum Ge-freiten bringt? Eigentlich waren auch die zwanziger Jahre, seine»Kampfzeit«, nicht besonders erfolgreich. Gewiß, er »konnte reden«,und das kostet er nach Kräften aus. Doch der Putsch von 1923 schei-tert, das Gefängnis ist Zäsur, der Wahlaufstieg ist kläglich. Erst 1930kommt der Durchbruch. Was macht ihn so besonders? Wie, um Him-mels willen, war es möglich, daß ein abgebrannter Außenseiter aus demInnviertel die Herrschaft über ein erfahrenes Kulturvolk gewinnen, esbinnen weniger Jahre zugrunde richten, Europa in Schutt und Aschelegen und ein Gebirge von Leichen hinterlassen konnte?Ein logisches Produkt der neueren deutschen Geschichte war er nicht.

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Von Luther über Bismarck führt kein gerader Weg zu Hitler, höchstenseine Zickzacklinie. Hitler steht in keiner deutschen Tradition, schon garnicht in der protestantisch-preußischen. Der Preuße Ludwig Beck, derihn ja stürzen wollte, meinte: »Dieser Mensch hat gar kein Vaterland.«Golo Mann, von Hitlers Schergen aus dem Vaterland vertrieben, mut-maßt, Hitler sei aus einem »Niemandsland« gekommen. So weit wol-len wir nicht gehen, denn aus Österreich kam er schon. Schön hat esSebastian Haffner formuliert: »Hitler kam für die Deutschen immervon weit her, erst eine Weile vom Himmel hoch, nachher dann, daßGott erbarm, aus den tiefsten Schlünden der Hölle.«Hitlers Reich war keine zwangsläufige Form eines deutschen Sonder-weges. Einen schicksalhaft vorherbestimmten Todespfad von Leuthenüber Langemarck nach Auschwitz gibt es nicht. So automatisch funk-tioniert in der Geschichte gar nichts. Das gilt auch für Hitlers Machter-greifung, die in Wahrheit eine Machterschleichung war. Obwohl esimmer eher möglich war, daß es so kommen konnte, hat es nicht sokommen müssen.Denn zwangsläufig scheitern mußte Weimar nicht. Eine andere inter-nationale Lage, eine andere ökonomische Entwicklung hätten es derRepublik erleichtert, ihre Bürden zu ertragen und sie nach und nachganz abzuwerfen. Versailles war objektiv nicht jenes Schanddiktat, alsdas es im geschlagenen Deutschen Reich empfunden wurde: Der ge-schmähte Friede von Versailles war eigentlich sogar ein milder Friedeangesichts der radikalen deutschen Kriegszielpläne und des rabiatenZwangsfriedens von Brest-Litowsk.Heute sagt sich das natürlich leicht.Für die Deutschen damals wirkten die Bedingungen der Sieger wie einSchock. Sie maßen Versailles an den klassischen, maßvollen Friedens-schlüssen des 19. Jahrhunderts und an den 14 Punkten des amerikani-schen Präsidenten Wilson – und empfanden diesen Frieden als Verrat,ja als verletzendes Diktat. Es waren weniger die materiellen Konditio-nen, die die Emotionen hochpeitschten, als die moralischen.Es waren nicht die Arbeitslosen, die mit ihren Wählerstimmen HitlersDurchbruch erst ermöglicht haben. Diese Stimmen gingen eher an dieLinksparteien, nicht zuletzt auch an die KPD. Dennoch war es die vonArbeitslosigkeit geprägte depressive Grundstimmung der Zeit, die Hit-ler nützte.Hätte es verhindert werden können? Jene, die ihn 1933 möglich mach-

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ten, trieben keine »sozioökonomischen Notwendigkeiten« oder irgend-welche dunklen Mächte, sondern nur eigene Schwäche, eigener Ehr-geiz, eigene Illusionen.Als er an die Macht kam, war sein Stern bereits im Sinken. Im No-vember 1932 hatte seine NSDAP bei den Reichstagswahlen über zweiMillionen Stimmen verloren. Zu Silvester waren sich die politischenOrakel nahezu einig: Die Gefahr sei nun vorüber. Doch dann wurde erKanzler. Es war tatsächlich seine letzte Chance. Und es war wahrhaftigkeine Machtergreifung, sondern eine Machterschleichung.Alle Aufpeitschung der Massen, aller rednerischer Aufruhr hätten Hit-ler nicht zur Macht verhelfen können. Die erhielt er erst durch das In-trigenspiel um einen altersmüden Präsidenten und durch das Versagenjener Kräfte, die die kranke Republik beschützen sollten.Denn trotz aller inneren Verzagtheit wären Weimars Machteliten starkgenug gewesen, um die Diktatur zu stoppen: die geschrumpften, abernoch vitalen demokratischen Parteien durch ein »Nein« zum Ermäch-tigungsgesetz; die Gewerkschaften durch eine Neuauflage jenes trium-phalen Generalstreiks, der den Kapp-Putsch 1920 gleich im Keim er-stickte; die Industrie durch finanzielle Renitenz; die Reichswehr durchdie Drohung, ihre Macht auch anzuwenden. Doch kaum einer wolltemehr so richtig. Man nahm Hitler hin wie ein Verhängnis.Die Armee besaß die Mittel, um dem Spuk eine Ende zu bereiten. Blie-ben sie nur deshalb in den Arsenalen, weil der Kanzler Hitler auf lega-lem Weg ernannt wurde? Das wollten manche Generäle später gerneglauben machen. Hitler wußte, wie er sie zu korrumpieren hatte: er ver-hieß verstärkte Rüstung und die Renaissance der alten Herrlichkeit.Natürlich war es schon ein starkes Stück, dem hergelaufenen Parvenüdas Steuer Bismarcks in die Hand zu geben! Doch Putsch kam nie inFrage: nicht weil preußisch-deutsche Generäle prinzipiell nicht meu-tern, sondern weil die jungen Offiziere, Unteroffiziere, Mannschaftender Reichswehr »hitlerhörig« waren.Natürlich schilderte der General von Hammerstein als Chef der Hee-resleitung seinem altersmüden Obersten Befehlshaber die dringlichstenBedenken gegen die Berufung Hitlers zum Regierungschef. Doch Hin-denburg ließ die Demarche dankend zu den Akten nehmen.Vierzehn Tage später spielte Hammerstein den Gastgeber für Hitler.Just in dessen Wohnung offenbarte der Gekürte seine Ziele vor den Ge-nerälen, die sie ohne Widerspruch zur Kenntnis nahmen: erst im Innern

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»rücksichtslose Ausrottung« von Pazifismus und Marxismus, dann dieSchaffung einer »breiten Kampf- und Wehrbereitschaft« unter »straff-ster Staatsführung«, nach außen, vorsichtig agierend, erst nur Kampfgegen »das Unrecht von Versailles«, dann »mit gesammelter Kraft Er-oberung von neuem Lebensraum im Osten und dessen rücksichtsloseGermanisierung«. Sage niemand, Hitler hätte seine Ziele vor den Ge-nerälen zu verheimlichen versucht!Und die demokratischen Parteien? Alle unterwarfen sich der Diktaturund dankten ab, meist sang- und klanglos. Niemand zwang das Zen-trum, die Partei der deutschen Katholiken, dem Ermächtigungsgesetzdie notwendige Mehrheit zu verschaffen. Hitler führte sie auf nahezugroteske Weise hinters Licht. In den ersten Wochen nach der Machter-schleichung war die Front der deutschen Katholiken noch intakt. InSchlesien, Bayern und im Rheinland hatten ganze Regionen nicht Hit-ler gewählt, sondern Zentrum oder BVP. Die deutschen Bischöfe hat-ten den Nationalsozialismus verurteilt. Daß diese geschlossene Front soplötzlich aufbrach, hatte mehrere Gründe: die merkwürdige Aufbruch-stimmung, die das Land erfaßt hatte und Nationalgestimmte an das»Augusterlebnis« von 1914 erinnerte; die korrumpierende Wirkung des»Tages von Potsdam«; ein ominöser Brief, den Hitler dem Prälaten Kaasversprochen hatte und der niemals eintraf. Und vor allem auch dieRücksicht auf das Konkordat des Reiches mit dem Vatikan. Naiverwaren Katholiken nie als 1933.Und die SPD? Das mutige Nein der Reichstagsfraktion zum Ermäch-tigungsgesetz bleibt stets ein Ruhmesblatt der deutschen Sozialdemo-kratie. Doch warum mußte die Fraktion am 17. Mai 1933 Hitlers heuch-lerischer Friedensbotschaft an die Westmächte zustimmen? Zu einemZeitpunkt, als schon Tausende von SPD-Mitgliedern in den Lagernfestgehalten wurden? Hitler hat der SPD-Fraktion in dieser Sitzunghöhnisch zugeklatscht. Hätte es nicht gerade für die SPD noch Bünd-nismöglichkeiten zur Verteidigung der Weimarer Verfassung geben kön-nen? Etwa ein Aktionsbündnis aller demokratischen Kräfte, über dieParteigrenzen hinweg? Eine Kooperative mit der Reichswehr, wie sieHitlers Amtsvorgänger Schleicher in den letzten Tagen seiner Kanzler-schaft erstrebte? Oder gar, horribile dictu, die »Einheitsfront der Ar-beiterbewegung«, das Bündnis mit der schon verfolgten KPD, gewißdem kleineren Übel?Für die Handelnden von damals gab es viele Gründe, nicht zu handeln.

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»Wir dachten ja, es werde alles nicht so schlimm. Vielleicht dauert ja derganze Spuk nur ein paar Monate. Die Zeit muß eben überstanden wer-den. Und wenn irgendwas passiert – dann ist ja noch die Reichswehrda.« Doch für die Reichswehr war die Republik schon längst keinThema mehr.Hitler täuschte alle, und sie täuschten sich in ihm. Die Nationalkonser-vativen hielten ihn noch immer für den »Trommler«, den sie vor denKarren ihrer Herrschaft spannen konnten – bis er sie entmachtete. DieKommunisten sahen in ihm den Popanz der Konzerne, und an seinerStatt bekämpften sie mit Inbrunst die »Sozialfaschisten« von der SPD.Diese wiederum dachten, wer die Sozialistenhetze unter Bismarcküberstanden habe, brauche Hitler nicht zu fürchten. Katholiken warendankbar für das Konkordat, Protestanten für die Wiedereinführung desSchulgebets, und Preußen wähnten nach dem »Tag von Potsdam«, daßder Glockenklang der Garnisonkirche naturgemäß des neuen KanzlersWahlspruch sei: »Üb immer Treu und Redlichkeit!« Der aber dachtenicht daran. Mit Preußen hatte Hitler nichts im Sinn.Kaum einer hat sein Buch gelesen, in dem alles stand. Wir kennen kei-nen Deutschen, der es damals ernst nahm. Die Geschichte Hitlers istauch die Geschichte seiner Unterschätzung. »Mein Kampf« blieb bis zuHitlers Ende ein ungelesener Bestseller in Millionenauflage – obwohlauch viele Buchbesitzer daran mitwirkten, die Absicht des Autors zuverwirklichen. Während die als Feindbild ausgemachten Opfer starben,verstaubte die verräterische Schrift in den Regalen der Nation.1939 hat ein kritischer Historiker aus Oxford jenes autobiographischePamphlet nach Kräften durchgeackert.Das Ergebnis seiner Analyse legte er in einem dünnen Bändchen dar,das sieben Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkrieges erschien: »HerrHitler wird versuchen, die Juden in ihrer Gesamtheit loszuwerden undeinen Eroberungskrieg gegen Rußland zu führen.« Zwei Jahre späterwar es soweit. Der Mann hieß E.C.K. Ensor und hatte nichts anderesgetan, als »Mein Kampf« gründlich zu lesen.Hitlers Macht beruhte 1933 weder auf der Rückendeckung durch dieClique um den Präsidenten, die ihn engagiert hatte, noch auf der Mehr-heit aller Stimmen. Es gab noch immer eine Mehrheit, die ihn nicht ge-wählt hatte. Doch Hitlers Macht bestand aus seinem ganz persönlichenbrutalen Willen und vor allem aus der angestauten kraftvollen Dyna-mik, die nur er entfesselt hatte. Noch stand nicht die ganze Macht des

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Staates hinter ihm – doch schon die ungestümste Leidenschaft, der ra-dikalste Massenwille, das fanatischste Bekennen. Das war seine Macht– das Kapital, mit dem er wucherte.Heute kommt es vielen nahezu unfaßbar vor, daß Hitler Massen faszi-nieren konnte. Waren unsere Väter und Mütter, unsere Großväter undGroßmütter blind und taub?Gute Form vorausgesetzt, war er imstande, willfährige Massen erst inTrance zu versetzen, dann in kollektiven Rausch. Das war sein erstesund für lange Zeit auch einziges Kapital. Er übertrug den Haß, der inihm wütete, auf andere. Sein wölfischer Instinkt erkannte, wo er sie ambesten packen konnte. Wolf wollte er genannt werden, nicht Adolf.Wolfsburg hieß der Standort seines Autowerkes, Wolfsschanze seinHauptquartier.Er schrie heraus, was viele vage fühlten. Er konnte mit Worten Luft-schlösser bauen. Er konnte den Menschen das geben, was sie am mei-sten vermißten: den Glauben daran, daß ihre eigenen Gefühle, Ängste,Zweifel überhaupt nicht klein und spießig waren, sondern groß undwichtig – Mosaiksteine des »Volksgeistes«.Sich der von ihm entfachten Hysterie zu entziehen oder zu widersetzen,schafften wenige. Nur einzelne durchschauten ihn. Den Massen aberschien er regelrecht zu suggerieren, jedes seiner Worte sei authentisch,echt und wahr. Was ihn so glaubhaft machte, war die inbrünstige Ener-gie, die er verstrahlte. Er vermittelte den Eindruck, daß er an dasglaubte, was er sagte.Die Gefühle, die er ansprach, mußte er nicht schaffen, denn es gab sieschon. Sie waren da, oft unbewußt, und warteten darauf, geweckt zuwerden. Joachim Fest hat diesen Explosivstoff überzeugend als »diegroße Angst« beschrieben: Angst vor Deklassierung, Arbeitslosigkeit,dem Bolschewismus, Angst vor all dem Neuen, Ungewohnten, Unge-wollten, das nach dem Zusammenbruch des Jahres 1918 kam.Hitler war der rechte Mann, um diese Ängste auszubeuten, denn erbrachte sie selbst mit: die Angst des Deutsch-Österreichers vor derÜberfremdung, die Angst des Absteigers vor der modernen Technik,die Angst des Kleinstädters vor Großstadt-Zivilisation. Und über allemstand die Angstvision vor dem verderbenbringenden, blutschänderi-schen Judentum. All die Ströme nationaler Frustration, aus denen Hit-ler schöpfte, die er reflektierte und verstärkte, mündeten in dem Ver-langen, daß es nach der Schande des Zusammenbruchs zu einemnationalen Neuanfang zu kommen habe.

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Die Hoffnung, auf die Hitler baute, war die Sehnsucht nach der »Volks-gemeinschaft«, nach dem wollüstigen Rausch der Augusttage 1914, fürviele die begeisterndste Erinnerung in ihrem Leben. Angst und Sehn-sucht – beide Grundgefühle richteten sich bald auf Hitler, weil er sieselbst spiegelte. Er begrüßte, wie uns eine Augenzeugin heute schildert,den Ausbruch des Krieges 1914 mit Tränen der Freude und beweinteden Zusammenbruch mit Tränen der Wut.Solche Emotionen hatten zwar die Nationalkonservativen, die ihn en-gagieren wollten, auch. Doch sie verkörperten allein das alte Reich, dasman gehabt hatte und kannte – auch in seinen Schattenseiten. Hitleraber schien das Neue zu verkörpern, und das machte ihn so anziehend.Er versprach die Rettung, bot sich als der Starke Mann an, der den»Saustall Republik« ausräuchern würde. Die verquere Sehnsucht nachdem »deutschen Messias« – sie wurzelt in der Volkssage, die das Motivdes Retters aus der Not parat hält, und gipfelt in berühmten Versen Ste-fan Georges, der 1921 eine Krise prophezeite, die »Den einzigen derhilft den Mann gebiert« und dem auch gleich empfahl, was er zu leistenhatte:

Der sprengt die KettenFegt auf TrümmerstättenDie Ordnung, geißelt die Verlaufenen heim . . .Er führt durch Sturm und grausige SignaleDes Frührots seiner treuen Schar zum WerkDes wachen Tags und pflanzt das Neue Reich.

Natürlich gab es bei den Völkischen nur einen, der sich als »der Mann«gebärdete. Er hatte nicht sofort die Chuzpe, die es brauchte, um sich alsden kommenden politischen Messias auszugeben. Erst wollte er, be-scheiden, wie er war, nur »Trommler« sein für einen Größeren. Dochmit dem Hochverrats-Prozeß nach seinem Putsch erkannte er: Da warkein »Größerer« da, für den er trommeln konnte, als er selbst, der»Führer«.Und so leitet sich der pseudoreligiöse Anstrich, den er seinen Auftrit-ten mitunter gab, auch aus dem Anspruch ab, er sei der Messias, derErlösung bringen würde. Der Messias, den das Volk erwartet hatte.Hitler sah, im Gegensatz zu Stalin, im Personenkult um sich kein not-wendiges Übel für den Machterhalt. Er glaubt selbst daran. Leiden-

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schaftlichster Verkünder Hitlers, inbrünstigster Jünger seines Kults warHitler selbst: »Das ist das Wunder unserer Zeit – daß ihr mich gefun-den habt.«Zwischen Hitler und den Deutschen gab es lange eine Teilidentität derZiele. Der Einmarsch ins Rheinland, die Einverleibung Österreichs, dieBesetzung des Sudetenlandes wurde von den meisten Zeitgenossen en-thusiastisch akklamiert. Ja, solche Blumenkriege waren populär. DieDeutschen außerhalb der Grenzen »heim ins Reich« zu holen, ohneKrieg, das »Unrecht von Versailles« zu tilgen – konnte man dagegensein? Mehr wollte man ja nicht. Und viele dachten, daß auch Hitlernicht mehr wollte. Doch da gab es ein enormes Mißverständnis. Hitlerdachte, daß die Deutschen ihm durch dick und dünn schon folgen wür-den, wohin immer er sie führte. Und das taten sie zwar auch, doch dieBegeisterung war eher lau. Denn weder während der Sudetenkrise 1938noch bei Kriegsbeginn im Sommer 1939 jubelten die Massen, als Hit-ler eine Division der Wehrmacht feldmarschmäßig durch Berlin mar-schieren ließ. Im Gegenteil: Die Menschen kehrten dem Geschehenschweigend und bedrückt den Rücken. Da war kein Augusterlebnismehr. Er verschwieg den Deutschen, was er eigentlich im Sinne hatte:die Eroberung von Osteuropa und die Ausrottung der Juden. Er belogsie, nicht nur darin. Niemals hat er sich getraut, die beiden bösen Zieleseines Lebens öffentlich zu proklamieren. Er erging sich allenfalls in dü-steren Andeutungen. So täuschte er die Deutschen, und sie ließen sichnur allzugerne von ihm täuschen.Denn sie wollten ihm so gerne glauben – und selbst wenn die Schat-tenseiten des Regimes, die kleinen Widrigkeiten und die großenSchrecken, einmal überwogen, wähnten viele, Hitler wisse nichtsdavon. Er könne sich ja schließlich nicht um alles kümmern. Es gabDeutsche, die die Diktatur zwar fürchteten, doch den Diktator liebten.Nichts beschreibt das Mißverständnis zwischen Hitler und den Deut-schen besser als der populärste Spruch der Nazizeit: »Wenn das derFührer wüßte!«Ob nach all dem Rausch der Blumenkriege freilich wirklich eine über-wältigende Mehrheit aller Deutschen hinter ihm stand, muß trotz allerPropagandabilder offen bleiben. Im Spektrum der politischen ParteienDeutschlands kurz vor Hitlers Machterschleichung kam die NSDAPauf etwa 35 Prozent der Wählerstimmen. Die Kommunisten lagen beirund 15 Prozent, die Sozialdemokraten bei etwa 20 Prozent, das Zen-

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Guido Knopp

Hitler - Eine Bilanz

Taschenbuch, Broschur, 320 Seiten, 12,5 x 18,3 cm100 s/w AbbildungenISBN: 978-3-442-15352-7

Goldmann

Erscheinungstermin: Mai 2005

Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich 2005 zum sechzigsten Mal. Guido Knopp ziehtBilanz und zeichnet ein facettenreiches Porträt von Adolf Hitler - dem Diktator und demPrivatmann. Waren die Deutschen ihm, dem Verführer hilflos augeliefert, oder fiel seineIdeologie auf fruchtbaren Boden? Sorgfältig recherchiert und spannend geschrieben. Gibt einen ausgezeichneten Überblick über bekannte und unbekannte Fakten zur Person Hitlers,seiner Politik, seinen Verbrechen und den Wurzeln seiner Schreckensherrschaft. Guido Knopp hat dieses komplexe Thema verständlich und gut lesbar zusammengefasst. Bestens geeignet, auch jüngere Leser an die unvergesslichen Geschehnisse der Vergangenheitheranzuführen.