Capella Cornaro

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Berninis Cappella Cornaro Author(s): Rudolf Preimesberger Source: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 49 Bd., H. 2 (1986), pp. 190-219 Published by: Deutscher Kunstverlag GmbH Munchen Berlin Stable URL: http://www.jstor.org/stable/1482315 . Accessed: 23/01/2011 12:09 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of JSTOR's Terms and Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp. JSTOR's Terms and Conditions of Use provides, in part, that unless you have obtained prior permission, you may not download an entire issue of a journal or multiple copies of articles, and you may use content in the JSTOR archive only for your personal, non-commercial use. Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained at . http://www.jstor.org/action/showPublisher?publisherCode=dkgmb. . Each copy of any part of a JSTOR transmission must contain the same copyright notice that appears on the screen or printed page of such transmission. JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. Deutscher Kunstverlag GmbH Munchen Berlin is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Zeitschrift für Kunstgeschichte. http://www.jstor.org

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Berninis Cappella CornaroAuthor(s): Rudolf PreimesbergerSource: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 49 Bd., H. 2 (1986), pp. 190-219Published by: Deutscher Kunstverlag GmbH Munchen BerlinStable URL: http://www.jstor.org/stable/1482315 .Accessed: 23/01/2011 12:09

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Rudolf Preimesberger

Berninis Cappella Cornaro

Eine Bild-Wort-Synthese des siebzehnten Jahrhunderts? Zu Irving Lavins Bernini-Buch*

Ausgangspunkt des zweibandigen Werkes von Ir-

ving Lavin ist, wie der Titel erahnen lai3t, das be- kannte Dictum des Filippo Baldinucci, dafi Gian Lorenzo Bernini >der erste< gewesen sei, der >ver- sucht habe, die Architektur mit der Skulptur und Malerei dergestalt zu vereinen, dafi aus alien ein sch6nes Zusammengesetztes entstiinde<<. Es ist dieser Begriff eines >bel composto? der drei

Kunstgattungen, dem Lavin nicht allein im Titel, sondern auf mehr als zweihundert Seiten eines ma-

gistralen Textes den Rang und die Rolle eines

Schliisselbegriffs zuweist. Durch den Florentiner

Kunstgelehrten als Selbstaussage Berninis authen- tisch iiberliefert, bezeichne er das vor allem in den

Kapellenensembles manifeste neuartige Verhaltnis der Gattungen zueinander. Von Bernini theore- tisch reflektiert, mit spezifischem Inhalt erfiillt, ja die eigene Sicht der historischen Stellung enthal- tend, spiegle er seine seit der Ausstattung des Kup- pelraums von St. Peter immer deutlicher verwirk- lichte >unified conception< der drei Kiinste und damit eine Entwicklung, die in der Cappella Cor- naro ihren spektakularen Hohepunkt erreiche. Dem Nachweis dieser These hat Lavin sein opus magnum gewidmet. Nach ihrer Formulierung im Rahmen eines knappen theoriegeschichtlichen Ka-

pitels verfolgt er sie in einer Reihe glanzender auf die Cappella Cornaro hinfiihrender Werkanaly- sen. So erfahrt eingangs der Kuppelraum von St. Peter, dem er bereits I968 eine Monographie ge- widmet hat', eine seine konzeptuelle und anschau- liche Einheitlichkeit scharf akzentuierende Deu-

tung. Ein Hauptkapitel des ersten Teils ist der be- deutenden und bisher wohl zu wenig beachteten

Cappella Raymondi in S. Pietro in Montorio ge- widmet, an der in weitem ikonologischen Ausgriff vor allem das Moment religi6ser Funktionalitat

dargestellt wird. Lavin erweist erstmalig Bernini als den Entwerfer der Apsis von S. Maria in Via

Lata. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die bedeut- same Rolle der kleinen Cappella Pio in S. Agostino und der Confessio der Santa Francesca Romana in S. Maria Nova, macht den Hochaltar von S. Paolo in Bologna, das Relief der >Heimsuchung< in Sa- vona, das Narograbmal und das Epitaph fur Maria

Raggi in S. Maria sopra Minerva und schliefilich die ?Verit<< der Villa Borghese zum Gegenstand sorgfiltigster Analysen und gewinnt so die

Grundlagen fur Hauptteil und Ziel seines Buches: die umfassende Interpretation der Cappella Cor- naro in S. Maria della Vittoria, deren herausra-

gende Stellung in Berninis Gesamtwerk damit ein- mal mehr betont wird. Die Fiille der Einzelergeb- nisse kann hier nicht referiert werden. Fur die Be-

schaftigung mit Bernini und der kirchlichen Kunst des Seicento ist der Erkenntniszuwachs immens. In einer >Kunstgeschichte nach Generationen? ist Lavins Werk die bedeutendste Aufierung zum Thema seit Rudolf Wittkower und Hans Kauff- mann, dargeboten in einer literarischen Form, de- ren Qualitat auch dem deutschsprachigen Leser

einsichtig ist, versehen mit einem gewaltigen, durch aufierste Sorgfalt gekennzeichneten Scho- lium und einer abundanten Bebilderung, deren

Glanzpunkt die Neuaufnahmen der Cappella Cornaro durch Angelo Carletti darstellen - insge- samt eine intellektuelle wie publizistische Lei-

stung, fur deren Charakterisierung die epideikti- sche Rede die einzige angemessene literarische

Gattung zu sein scheint. Kann eine Wiirdigung, will sie diese vermeiden, in anderem bestehen als

*Irving Lavin, Bernini and the Unity of the Visual Arts, New York - London I980, The Pierpont Morgan Library - Oxford Univer- sity Press, Textband 255 Seiten, Tafelband 5 Farbtafeln, 294 Abbildungen.

I. Lavin, Bernini and the Crossing of Saint Peter's, New York I968.

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dem Versuch fortsetzender, erganzender und ab- weichender Interpretation, wie er durch Lavins

Leistung nun m6glich geworden ist? Nur einige Fragen k6nnen im folgenden beriihrt werden: das

begriffsgeschichtliche Problem des >bel com-

posto<<, das kunstgeschichtliche des Verhaltnisses der Gattungen, einige Deutungsprobleme, die die

Cappella Cornaro aufgibt, und schlieglich das Problem ihrer Gattungszugeh6rigkeit. Zu beto- nen bliebe, dag Lavins Text, die Frucht sehr langer Beschiftigung mit schwierigen Gegenstinden und ihrem historischen Umfeld, sehr viel mehr Grund-

lage und Voraussetzung als Gegenstand der Kritik ist.

I.

Zum ersten: Probleme diirfte die extensive Ver-

wendung des Begriffs >bel composto< bergen. La- vin iibersetzt ihn mit >a beautyful whole?, da er, Einheit wie Komplexitat eines aus verschiedenen Elementen Zusammengesetzten bezeichnend, kein modernes sprachliches Aquivalent zu besit- zen scheint. Bei Baldinucci begegnet er im Zusam-

menhang einer Charakteristik Berninis am Ende der >Vita<<: Der Meister, >ganz einmalig in seinen Kiinsten<, habe in hervorragendem Mafie die Kunst des >disegno< besessen. Dies zeigten klar seine Werke in Skulptur, Malerei und Architektur, die unzihligen Zeichnungen, vor allem aber seine Karikaturen. Es sei >allgemeine Ansicht, daf er der erste gewesen sei, der versucht habe, die Archi- tektur mit der Skulptur und der Malerei dergestalt zu vereinen, daf aus allen ein sch6nes Zusammen-

gesetztes entstiinde... << >> concetto molto univer- sale, ch'egli sia stato il primo, che abbia tentato di unire l'Architettura con la Scultura, e Pittura in tal modo, che di tutte si facesse un bel composto.. .2. Bedeutsamkeit und Problem des Begriffs im Zu-

sammenhang des Schreibens und Sprechens iiber Kunst k6nnen wahrscheinlich nicht ganz von sei- nen philosophischen, beziehungsweise popular- philosophischen Implikationen gel6st gesehen werden, wie sie zumindest dem Cinquecento noch klar bewufit gewesen sein miissen. Als aus dem

?compositum naturale ex materia et forma< ver- kiirzt hervorgegangene Formel3 bezeichnet ?com-

posto< urspriinglich nichts anderes als den Kern der aristotelischen Ontologie: die Vereinigung von Form und Materie im Naturding. Bei Vin- cenzo Danti ebenso wie in Benedetto Varchis be- riihmten ?Due lezzioni<< ist er deshalb ein gern verwendeter, ja unentbehrlicher Begriff. Dies um

so mehr, als der kunsttheoretische Gemeinplatz, dafi auch das Kunstwerk, so wie das Naturding, ein ?composto<< sei, da der Kiinstler analog dem Schaffen der Natur gleichfalls Form und Materie in seinem Werk verbinde, sich w6rtlich bis auf Aristoteles selbst zuriickverfolgen liefi. Denn die- ser hatte bekanntlich in einer beriihmten Stelle sei- ner >Metaphysik< die Begriffe von Form und Ma- terie gerade von der Betrachtung einer Statue, an der sich Gestalt und Material deutlich unterschei- den lassen, hergenommen und auf den natiirlichen

Korper iibertragen, wobei er allerdings auch den

Bearbeitungsprozefi miteinbezogen hatte, um das Verhaltnis von Potenz und Akt zu veranschauli- chen. Nicht ganz ohne Bedeutung kann auch das Auftreten des Begriffs >composto? in der zeitge- n6ssischen Bildtheorie, genauer gesagt in der teil- weise sehr lebhaft gefiihrten Diskussion um die Theorie der Imprese gewesen sein. Er bezeichnet dort den synthetisierenden Charakter dieser Gat-

tung: Gemil dem seit Paolo Giovio herrschenden

Anima-Corpus-Modell ist die Imprese ein >com-

posto<, in dem das Motto als >Seele< dem Bild als

>K6rper<< unlosbar verbunden ist. Es ist vor die- sem angedeuteten Hintergrund gesehen zumin- dest fraglich, ob Baldinucci den Begriff v6llig los-

gel6st von seiner traditionellen philosophischen Bedeutung verwenden konnte, fraglich auch, ob in seiner antithetisch wirkenden Formulierung des >unire l'Architettura con la Scultura, e Pittura in tal modo, che di tutte si facesse un bel com-

posto...<< mit ihrer spiirbaren Hervorhebung der

F. Baldinucci, Vita del Cavaliere Gio. Lorenzo Bernino, Florenz I682, Ed. A. Riegl, Wien 1912, 234.

3 D. Summers, Michelangelo and the Language of Art, Princeton I98I, 299f.

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Architektur die dem Begriff zumindest im i6.

Jahrhundert noch eindeutig inharente Form-Ma- terie-Problematik nachwirkt oder nicht: Die dem

?disegno< nahere, geistigere und deshalb traditio- nell h6her bewertete Architektur auf der Seite der Form, die beiden starker an das Naturvorbild ge- fesselten Kiinste der Skulptur und Malerei aber - auch dies traditionell - auf der Seite der Materie.

Fraglich ist deshalb auch, ob es in der Baldinucci- stelle vom ?bel composto? tatsachlich um die Ein- heit dreier gleichberechtigter Elemente geht.

?Composto? im Zusammenhang mit der Kunst Berninis ist nicht nur bei Baldinucci nachzuwei- sen. Lavin zitiert auch die parallele Stelle aus der

1713 gedruckten zweiten Biographie, der des Soh- nes Domenico Bernini, die er fur eine Variante des Baldinuccitexts hilt. Allein, bei genauerer Be-

trachtung erweist sich ihr Inhalt nicht allein als dif- ferenzierter, sondern als schlichtweg anders. Nicht ?der erste< wie bei Baldinucci, sondern nur ?unter den ersten, auch der vergangenen Jahrhun- derte< sei sein Vater gewesen, wenn er es >... ver- standen habe, die sch6nen Kiinste der Skulptur, Malerei und Architektur... zu vereinen...<< >Ci

giovi solamente il dire, esser concetto molto uni- versale, e da non potersi forse cosi facilmente ri-

provare, ch'egli sia stato fra' Primi, anche de' Se- coli trascorsi, che habbia saputo in modo unire as- sieme le belle Arti della Scultura, Pittura, & Archi- tettura...<<4. Ohne Behauptung seiner Erstmalig- keit wird Bernini also in einer Reihe mit den Uni- versalkiinstlern der Renaissance, vorab wohl Mi-

chelangelo, gesehen. Der hier sichtbar werdende Unterschied der beiden Texte vertieft sich aber ge- radezu zum Gegensatz, wenn nun auch Domenico den Begriff des >composto< anwendet, indem er fortfahrt, sein Vater habe >... die sch6nen Kiinste der Skulptur, Malerei und Architektur dergestalt zu vereinen gewufit, dafi er aus allen in sich ein be- wundernswertes Zusammengesetztes gebildet...< habe. Er >... habe sie alle in hervorragendem Maf3e besessen...<< und sei ?...zu dieser Vollkommen- heit durch unermiidliches Studium gelangt...<< >... in modo unire assieme le belle Arti della Scul- tura, Pittura, & Architettura, che di tutte ne habbia fatte in se un maraviglioso composto, e le habbia

tutte possedute in eminenza. Alla qual perfezione giunse per mezzo di un'indefesso studio...< Trotz der fast w6rtlichen Anklange an Baldi-

nucci, die die Annahme eines wie immer gearteten Zusammenhangs der Texte zwingend machen, ist hier von verschiedenen Dingen die Rede: Nicht in seinen Werken, sondern in seiner Person hat Ber- nini die drei Gattungen zu einem >composto< ver-

einigt. Anders als Baldinucci hangt Domenico Bernini also jenem fur das siebzehnte Jahrhundert haufiger nachzuweisenden Sprachgebrauch an, der mit dem Begriff die komplexe Verbindung ver- schiedener physischer, intellektueller, moralischer

Qualitaten, verschiedener Gefiihle oder Impulse in einer Person bezeichnet. Nahe an seinem

Sprachgebrauch wire etwa Michelangelo Buonar- roti der Jiingere mit seinen Zeilen: >Poiche grazia e virtute, in un composto / l'una nell'altra, in lui

splende...<5. Vom Verhaltnis der Architektur, Skulptur und Malerei in Hinblick auf ihre Ver-

wirklichung in einem einzigen Kunstwerk oder von einer neuen theoretischen Einheit der Gattun-

gen ist hier nicht die Rede. Der ?maraviglioso composto< meint ihre staunenswerte, aber histo- risch keineswegs erstmalige Vereinigung in der Person des besonders befahigten Kiinstlers, der sie allesamt ausiibt. Wie ist angesichts dieses Gegensatzes in der Ver-

wendung des Begriffs das Verhiltnis der beiden Texte zu verstehen? Bekanntlich ist Baldinuccis >Vita< 1682, die des Domenico Bernini erst I713 gedruckt worden. Lavin sieht die zeitliche Priori- tat und den h6heren Quellenwert deshalb unaus-

gesprochen auf der Seite der ersteren. Eigenarti- gerweise scheinen aber die Umstande der Entste-

hung sowie eine ganze Reihe von Besonderheiten der Textgestalt, die Cesare D'Onofrio untersucht hat6, fiir das Gegenteil zu sprechen. Baldinucci er-

hielt, als er im Friihjahr i681 von K6nigin Chri-

4 D. Bernini, Vita del Cavalier Gio. Lorenzo Bernino, Rom 1713, 32f.

5 Zit. nach S. Battaglia, Grande Dizionario della lingua italiana III, Turin I964, 426.

6 C. D'Onofrio, Priorita della biografia di Domenico Bernini su quella del Baldinucci, Palatino io (i966), 20Iff.

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stine in Rom mit der Abfassung einer Biographie des verstorbenen Bernini beauftragt wurde, schriftliches Material der Familie, das er mit sich fiihrte, als er im Friihsommer nach Florenz zu- riickkehrte, und das es ihm offenbar erm6glichte, den umfangreichen Text in der erstaunlich kurzen Zeit zwischen Anfang Juni und Oktober des Jah- res zu Papier zu bringen. D'Onofrios Hypothese, daf sich darunter ein Manuskript des damals zwei-

undzwanzigjihrigen Domenico Bernini befunden habe, griindet sich auf eine Reihe von Textverglei- chen, an denen deutlich wird, wie hiufig Baldi- nucci gerade diese Vorlage paraphrasierend ver- wendet zu haben scheint. Zwar laift der isolierte

Vergleich unserer beiden Stellen natiirlich nicht er- kennen, wer hier wen ausschreibt, doch erlaubt m. E. die Summe der Argumente D'Onofrios den Schluf, dafi es erst Baldinucci ist, der dem Dictum vom ?composto< der Gattungen einen ganz neuen Sinn gibt, indem er es von der Person auf Werke und Kunst Berninis iibertrigt.

Gewifi ist es verlockend sich vorzustellen, Ber- nini selbst habe von seiner Kunst gedacht, dafi sie ein die Gattungen integrierendes >schones Zusam-

mengesetztes< sei. Allein, das einprigsame und bis heute erfolgreiche Schema der Charakterisierung ist allem Anschein nach das Ergebnis der sinnver- kehrenden Paraphrasierung eines anderslautenden alteren Gemeinplatzes und wohl erst Baldinuccis

Schopfung. Daf es als eine Selbstinterpretation Berninis seine >unified conception?< der Kiinste

spiegle, laift sich genau genommen auf diesem

Wege wohl nicht zeigen. Es ist, nebenbei bemerkt, nicht ganz ohne Inter-

esse, die Epitheta beider Autoren miteinander zu

vergleichen. Domenico Bernini nennt den >com-

II.

Wenn nun der Begriff des ?bel composto< nicht uiber jeden historischen Zweifel erhaben ist, wie hat dann Bernini vom Verhiltnis der Gattungen gedacht und gesprochen? Gewifi war er, wie Lavin in einem glinzenden Einleitungskapitel betont, kein >sculptor doctus< und bleibt der traditionelle, weitgehend topische Charakter vieler seiner kunsttheoretischen Aussagen zu betonen.

posto<? ?maraviglioso?, Baldinucci nur >bello?, eine Abschwachung, die - Zufall oder nicht - an eine analoge Unterscheidung Vasaris erinnert. In der Wahl des schwacheren Adjektivs wird be- zeichnenderweise dieselbe zuriickhaltende Beur-

teilung des geschichtlichen Rangs Berninis spiirbar wie in der Einleitung der >Vita<, in der Baldinucci dem positiven Urteil: >uomo nell'Arti della Pit- tura, Scoltura, e Architettura non pur grande, ma raro... < sofort das einschrinkende >secondo che<

folgen lai3t, indem er fortfahrt: ? ...und dem, um mit den glinzendsten und beruhmtesten antiken und neueren Meistern auf einer Stufe zu stehen, nur wenig mehr als das Zeitalter fehlte... < ... e a cui per andar di pari con gli antichi piu chiari, e piu rinomati maestri, e co' moderni, poco altro per av- ventura manco, che l'eta... 7. Was hier deutlich

genug anklingt, ist die bekannte Methode histori- scher Relativierung bei Vasari, >non semplice- mente ma, come s'usa dire secondo che< zu urtei- len, das heifit: bei der Beurteilung eines Kiinstlers neben den absoluten Mafistab der >perfetta re-

gola? den relativen der ?natura di quei tempi? tre- ten zu lassen, die Zeitsituation, die seinem Schaf- fen uniiberwindliche Grenzen setze8. Baldinuccis Bernini scheint in einen ihnlich begrenzten Rang zu riicken wie bei Vasari die Generation Brunelle- schis, die noch nicht im Besitz der >perfetta regola dell'arte< der Hochrenaissance ist, wihrend er dies nicht mehr wire. Im iibrigen ist dies eine Tendenz, die der Vergleich der beiden Texte durchgehend erkennen liefge, so etwa in der Korrektur der an-

stofligen Stelle Domenicos, sein Vater sei ?mi-

gliore degli antichi artisti< gewesen, die Baldinucci in ein sinnverkehrendes >migliore di altri artisti? verwandelt9.

Immerhin iiberliefert uns aber Domenico Bernini in anekdotischer Einkleidung ein Dictum seines Vaters, das wegen seiner subjektiv und handwerk-

7 Baldinucci, 8f. 8 E. Panofsky, Das erste Blatt aus dem ?Libro< Giorgio

Vasaris, in: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, K61n 1978, v. a. 225f. 9 S. o. Anm. 6.

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lich anmutenden sprachlichen Firbung wenn nicht

vollig authentisch, so doch nahe an Authentie sein konnte: >Das<, nimlich die unantike Behandlung des Marmors, sei ?der gr6flte Vorzug seines Mei-

fiels, mit dem er die Schwierigkeit iiberwunden habe, den Marmor biegsam zu machen wie Wachs, und es so verstanden zu haben, auf eine gewisse Weise Malerei und Skulptur zu verbinden.<< >Que- sto... esser il pregio maggiore del suo Scalpello, con cui vinto haveva la difficulta di render' il Marmo pieghevole come la cera, & haver con cio

saputo accoppiare in un certo modo insieme la Pit- tura, e la Scultura< ?. Handwerklicher Hinter-

grund, ja Werkstittenton scheinen spiirbar zu werden, wenn er fortfihrt, die antiken Bildhauer hatten ?vielleicht nicht das Herz gehabt, die Steine der Hand so dienstbar zu machen, wie wenn sie aus Pasta waren<. Zurecht betont Lavin, dafi hier die traditionelle

Unterscheidung der Bildhauerei >per forza di le- vare< von jener >per via di porre< aufgehoben und ein neues Medium skulpturalen Gestaltens be- nannt sei. Auffallend ist aber noch ein anderes: Bei dem in sich schon bemerkenswerten Versuch, seine Neuleistung gegeniiber den Bildhauern der Antike zu behaupten und die ?querelle< fir sich zu entscheiden, denkt Bernini in der alten elementa- ren Kategorie genuin bildhauerischer >>difficolta<<. Nichts anderes als die Uberwindung des Steins in seiner vollstandigen handwerklichen Beherr-

schung und mimetischen Anverwandlung durch den >magister lapidum viventium< ist in den Wor- ten vom ?Marmor wie Wachs<< und vom ?Stein, der der Hand wie Pasta gehorcht< ausgedriickt. Und ihr verbindet er das nicht minder elementare Cliche vom Antagonismus der beiden abbildenden Kiinste im >Paragone?, wenn er fortfahrt, dafg er diese dadurch >auf eine gewisse Weise zusammen-

gebracht< habe. Aus zwei Griinden diirfte es schwierig sein, aus

dieser und verwandten Aussagen auf eine ganz- heitliche Konzeption der bildenden Kiinste zu schliefien. Zum einen zeigt der Text klar, daf es die

Skulptur ist, die mit Qualititen der Malerei >auf eine gewisse Weise zusammengebracht< wird. Zum andern ist hier wie in anderen Bemerkungen

zum Verhiltnis der Kiinste die Architektur nicht mitreflektiert. Mit gutem Grund! Denn wihrend der >Paragone<< in seiner schriftlichen wie in seiner zu erschliefenden miindlichen Oberlieferung fir die antagonistische oder vers6hnliche Bewertung der Skulptur und Malerei auch eine Anzahl praxis- naher und jedem Kiinstler intellektuell zugangli- cher Argumente bot, standen fur deren Verhiltnis zur Baukunst allem Anschein nach vergleichbar elementare Cliches nicht in diesem Umfang zur

Verfiigung. Zwar hingen die drei >arti del disegno? unter diesem und einer Reihe anderer Begriffe theoretisch zusammen und kamen in der alten

Vorstellung anthropomorpher Architektur mit ih- rer Proportionsanalogie zwischen menschlichem

Korper und Bauwerk, aus der sich folgern lief3, Bildhauer und Maler seien die besseren Architek- ten, sogar iiberein, doch wurde die Architektur al- lein schon in Auslegung ihres Namens als Grund- kunst wegen ihrer hoheren >imitazione<, gr6gieren ?utilit<< und >perfezione? per se h6her bewertet, so dafg es zu einem Wettstreit in der dem ?duello< zwischen Skulptur und Malerei vergleichbaren Weise nur in Ansitzen gekommen zu sein scheint. Es verwundert deshalb nicht, dafi auch noch Ber- ninis Ausspriiche zum ,Paragone< sich allein auf das Verhaltnis zwischen Skulptur und Malerei be- ziehen. Auf den ersten Blick wirken sie mehr als konven-

tionell: >Zur Frage des Rangs oder Wettstreits der Kiinste pflegte er sehr sch6ne Ausspriiche zu tun. Er sagte dazu, die Malerei iibertreffe die Skulptur insofern, als die Skulptur in mehreren Dimensio- nen zeige, was ist, wihrend die Malerei zeige, was nicht ist, nimlich Korperliches, wo kein Korper sei, und entfernt erscheinen lasse, was nicht ent- fernt sei...< ?In questo diceva esser superiore la Pittura alla Scultura, che la Scultura mostra quel, che e con piu dimensioni, la dove la Pittura mostra

quel, che non e, cioe il rilievo ove non e rilievo, e fa

parere lontano quel, che non e lontano...<<". Der bei Baldinucci iiberlieferte ?bellissimo detto< re-

produziert zunichst nichts anderes als den tradi-

o D. Bernini, I49. " Baldinucci, 239.

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tionsreichen und vieldeutigen Grundtopos der an-

tagonistischen Bewertung von Skulptur und Male- rei im >>Paragone<: Wahrend die Skulptur auf Grund ihrer Ausdehnung in drei Dimensionen >zeigt, was ist< und in der traditionellen Extension dieses Arguments daher Substanz, Wesen, ja Wahrheit bietet, besteht das alte Grundparadox der Malerei darin, ?erscheinen zu lassen, was nicht ist?, das beriihmte und vielbedachte ambivalente

Argument vom Schein, ja der Liige des sophisti- schen Malers, das zugleich seinen Vorrang gegen- iiber dem Bildhauer begriinden kann, da es seine

Fahigkeit, souveran wie der Dichter >ex nihilo? zur Existenz zu bringen, mit umschliefit. Zwar ist in der Baldinuccistelle der Vorrang des

Malers nur in der Bewaltigung der beriihmten Dis-

krepanz zwischen zweidimensionaler Bildflache und dreidimensionaler, verschieden distanzierter

Objektwelt begriindet, in seiner Fahigkeit, >... mostrare il rilievo ove non e rilievo, e far parere lontano quel, che non e lontano.. .<<, was zunachst, wie man schon gemeint hat"2, nach Praxisnahe und

zeitspezifischem Interesse an der Kunst der Tau-

schung, dem asthetischen Ideal des >inganno<, aussieht. Doch ist allein schon in der Gegeniiber- stellung des ?quel, che << und des >quel, che non e< der unausgesprochene traditionelle Kern des Ar-

guments spiirbar, dai3 namlich die mit den Mitteln des >disegno<, durch Verkiirzung und Perspektive - also durch die Wissenschaften der Mathematik und Geometrie - erzielte Tauschung im Gemalde das Produkt mentaler Tatigkeit des Malers sei und h6heres >ingenium? erfordere, als die an den phy- sischen Prozefi der Werkentstehung so stark gefes- selte ?fatica del corpo<< des Bildhauers, der nur

>zeigt, was schon ist<. Bekanntlich bestiinde nun in den ilteren antago-

nistischeren Formen des >Paragone< die topische Antwort des Bildhauers im polemischen Hinweis auf den scheinhaften Charakter der Malerei. Ganz anders als ihr liignerischer Widerpart bilde die

Skulptur Substanz - im doppelten Sinn physischer Ausdehnung wie im philosophischen Sinn von >Essenz<<. Der Philosophie verschwistert biete sie Wesen und Wahrheit. Man beriihrt etwas Wesent- liches an Berninis Auffassung von Skulptur mit der

Beobachtung, dafi dieses traditionelle Grundargu- ment von der physischen und philosophischen Wahrhaftigkeit der Skulptur bei ihm seinen positi- ven Sinn verloren hat, ja in sein Gegenteil verkehrt ist: >Quel, che e< zu bilden, ist fur ihn nicht der

Vorzug, sondern die Fessel der Skulptur. Auch sie soil >>quel, che non e< bilden und tauschen wie die Malerei, wie schon der nachste Absatz in Baldi- nuccis Text zeigt, in dem Bernini iiber das Halbre- lief kritisch ablehnend urteilt, es sei seiner Dreidi- mensionalitit wegen wenig kunstvoll, ?weil es scheint, was es ist, und nicht, was es nicht ist< .>. perche essendo quasi di tutto rilievo, parevano quello, che erano, e non quello, che non erano<<3. Ein theoretischer Vorrang der Malerei also, iiber-

raschend aus dem Mund eines Bildhauers? Das Dictum ist jedoch zweiteilig und das erste Argu- ment nur Vorbereitung eines zweiten, das - uibri-

gens ganz im Sinne der Spitform des >Paragone< - den Ausgleich bringt. Denn dem Vorzug der Ma- lerei, >quel, che non e<< zeigen zu k6nnen, steht als >>virtu<< der Skulptur ?eine gewisse gr6fiere Schwierigkeit in der Nachahmung< gegeniiber, ?die die Malerei nicht hat<, >... esser pero nel far

somigliare in Scultura una certa maggior difficolta, che non nella pittura...<. Und diese ?difficolt<< besteht, wie an einem Beispiel erliutert wird, in ih- rer Farblosigkeit, der Weifie des Marmors, >denn die Erfahrung zeige, dafi ein Mensch, der sein Ge- sicht weifi firbe, sich selbst nicht gleiche, und den- noch sei die Skulptur imstande, ihn in weifiem Marmor ahnlich erscheinen zu lassen...<< >...mo- strando l'esperienza, che l'uomo che s'imbianca il viso non somiglia se stesso, e pur la Scultura in bianco marmo arriva a farlo somigliante.. .<<4. Die Bedeutung der Textstelle besteht nicht darin,

dafi sie die Kenntnis optischer Experimente, wie sie schon von Leonardo und von Galilei her be- kannt sind, spiegelt. Was hier in kurzen Worten umrissen wird, ist nichts Geringeres als die expli- zite Begriindung des Ranges und des Eigenwerts bildhauerischer Mimesis gegeniiber der nur

12 A. Blunt, Gianlorenzo Bernini: Illusionism and Mysti- cism, Art History I (I978), 67ff.

I3 S. o. Anm. ii. I4 S. o. Anm. i.

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scheinbar iiberlegenen Mimesis der Malerei. Denn deren traditionelles Argument im Wettstreit mit der Skulptur, dafi sie nicht allein mehr als diese, nimlich die gesamte Natur, nachahmen k6nne, sondern dies durch das Medium der Farbe auch vollkommener verm6chte, dafi zu ihrer >universa- lit<< also noch die gr6fiere >perfezione< der Mittel trate, ist hier bemerkenswerterweise nicht etwa entkraftet, sondern in sein Gegenteil, in ein Argu- ment fur die Skulptur gewendet. Gerade die feh- lende ?perfezione? des Mediums, der scheinbare Nachteil der Farblosigkeit, bildet jene >gewisse gr6oiere Schwierigkeit, die die Malerei nicht hat<<, und die - dies der unausgesprochene Kern des Ar-

guments - zu meistern vom Bildhauer gr6oferes >ingenium? verlangt, soil er zum selben Ziel gelan- gen wie der Maler. Dai3 die hier gebotene theoretische Begriindung

des Eigenwerts der Skulptur aus der gattungsspe- zifischen >difficolt<< des Farbmangels originell sei, ist wohl zu viel vermutet. Gleichwohl ist es

schwierig, ihre Herkunft exakt zu benennen, da die Geschichte der positiven Bewertung der Farb-

losigkeit der Skulptur, die zumindest bis zur Apo- logie des Phidias bei Dion Chrysostomos zuriick- reichen diirfte, schwer zu iiberblicken ist. Ganz

generell gesprochen liegen die Urspriinge des Ar-

guments, es sei ?bewundernswerter, ohne den buhlerischen Reiz der Farben das zu leisten, was

Apelles mit Hilfe derselben geleistet habe<'5, in der Tradition der kritischen Beurteilung der Farbe, neben der Kritik am Augentrug des >ri- lievo<< wohl der zweite Hauptbestandteil jener Ge- schichte der kritischen Beurteilung, ja Ablehnung der Malerei, die in einem breiten, mit der Malerei- kritik Platons einsetzenden Oberlieferungsstrom in das Kunstgesprach der Renaissance miindet und dort in den verschiedensten Auspragungen, wie der antagonistischen Bewertung von Skulptur und Malerei, >disegno< und >colore<, Michelangelos und Raffaels, toskanischer und venezianischer Malerei usw. erkennbar bleibt. Der so vielfaltig ausgeformte Grundgedanke, dafi die nur dem

Auge erkennbare Farbe besonders scheinhaft und

triigerisch, dafi sie nicht Substanz, sondern Akzi- dens, dafi sie nur >ornatus? und - bis hin zum >>co-

lorum lenocinium< - besonders sinnlich sei, ist ohne Zweifel die mittelbare Voraussetzung fur Berninis Dictum, dai die Skulptur ohne sie, ja ge- rade ohne sie zum Ziel gelange. Die unmittelbare Voraussetzung hingegen laift

sich nur vermuten: In seinem nach Rom gesandten >Paragone<<-Brief des Jahres I6I212 widerlegt Ga- lileo Galilei das traditionelle Streitmotiv des Bild- hauers, dagi die Natur den Menschen als Skulptur und nicht als Gemalde gebildet habe, mit dem Hinweis darauf, daf sie ihn ebenso male wie mo-

delliere, und kehrt es in ein Argument gegen die

Skulptur. Denn nichts Bewundernswertes liege darin, >die Bildhauerin Natur in Bildhauerei nach- zuahmen und das Dreidimensionale in drei Di- mensionen darzustellen<. H6chst kunstvoll sei

demgegeniiber die Mimesis der Malerei, die drei Dimensionen in ihrem Gegenteil, der Flache, dar- stelle. Denn >je weiter voneinander entfernt

Darstellungsgegenstand und Darstellungsmittel<< seien, umso bewundernswerter sei die mimetische

Leistung: >Perciocche quanto piu i mezzi, co'

quali si imita, son lontani dalle cose da imitarsi, tanto piu l'imitazione e maravigliosa...<<. So be-

griindeten gerade der Abstand, ja Gegensatz zwi- schen Gegenstand und kinstlerischem Medium den besonderen Rang schauspielerischer und mu- sikalischer Mimesis, > ...per usar quelli un mezzo diversissimo et un modo di rappresentare in tutto differente dalle azioni rappresentate<<'7. Fast scheint es, als setze Berninis Argument genau hier

ein, so, als ware sein Dictum nichts anderes als die Extension der Galileistelle, wenn er der darin her-

vorgehobenen ?difficolta<< der Malerei, drei Di- mensionen vermittels ihres flichigen Gegenteils darzustellen, nun die gattungsspezifische Schwie-

rigkeit der Skulptur, >die die Malerei nicht hat<<, die farbige Natur durch ihr Gegenteil, den weifien Marmor, nachzuahmen, entgegensetzt.

Man mag hier einen Zusammenhang sehen oder

i5 Eramus von Rotterdam, in: H. Rupprich, Durer. Schriftlicher Nachlafi I, Berlin 1956, 297.

i6 E. Panofsky, Galileo as a Critic of the Arts, Den Haag I954.

'7 Galileo Galilei, in: P. Barocchi, Scritti d'arte del Cin- quecento I, Mailand-Neapel I97I, 707ff.

I96

Page 9: Capella Cornaro

nicht - er wire historisch nicht ganz unwahr- scheinlich - eines diirfte die Textstelle Baldinuccis mit hinlinglicher Klarheit zeigen: die iiberragende Rolle der praxisnahen Kategorie bildhauerischer >difficolta<< fur Berninis Denken. Der Begriff, seit dem spaten Quattrocento von wachsender theore- tischer Bedeutung, wenn auch kaum scharf umris-

sen, ist hier in einem seinen Urspriingen nahen Sinn gebraucht: Das Erreichen eines Ziels mit

knappsten selbstbeschrinkten Mitteln ist gemeint, >weil virtu nach der Meinung der Philosophen sich im Schwierigen erweist< - der traditionelle, Ber- nini wohl kaum mehr voll bewugte Zusammen-

hang zwischen Skulptur und Philosophie'8. Die Stelle zeigt aber auch ein Zweites: Wenn hier

die >difficolt<< der einen Gattung der der anderen

entgegengesetzt ist, dann ist das Ziel kein anderes als die theoretische Begriindung der Gleichrangig- keit der Skulptur mit der Malerei. Immer noch ist das Verfahren das des Wettstreits und der antago- nistischen Bewertung, immer noch ein >Para-

gone<<! Eine organische Gesamtvorstellung vom

Zusammenhang aller drei Kiinste oder die Idee ei- ner neuen theoretischen Einheit wird jedoch nicht erkennbar. Starker noch als es das theoriege- schichtliche Eingangskapitel Lavins mit der These vom >bel composto< der Gattungen vermuten

liefe, scheinen Berninis Vorstellungen an die tra- ditionellen Cliches bildhauerischer ?difficolta? und antagonistischer Bewertung von Skulptur und Malerei im >Paragone< gefesselt. Trigt dies zum Verstindnis seines Gesamtwerks,

trigt es zum Verstindnis der von Lavin so glanz- voll untersuchten Kapellenensembles bei? Gewifi ist es im Verhiltnis von Theorie und Praxis nicht

so, dafi die erstere die letztere begrunde und be-

wirke, sondern eher so, dag der Kiinstler an den li- terarisch vorgeformten Begriffen partizipiert, in ihnen denkt und spricht, daf sie zum Element sei- ner Intention werden und so vermittelt in seine Praxis eingehen k6nnen'9. Unter den Begriffen der italienischen Kunsttheorie sind die ineinander ver- schrankten Motive bildhauerischer >difficolt<< und des >Paragone< mit der Malerei wohl die ele- mentarsten, der Tatigkeit und Lebenswirklichkeit des Bildhauers am nichsten und insofern wohl am

ehesten fahig, zwischen Theorie, Intention und Praxis zu vermitteln. Kein Zufall, dati gerade sie schon in Berninis Friihwerk an mehreren Stellen mit derartiger Klarheit erkennbar sind, dag man in ihnen einen der wichtigsten begrifflichen Aspekte im Prozeg seiner Stilbildung sehen kann. Was an- ders als die erklarte Absicht eines >Paragone? mit der Malerei ist zu erschliegen, wenn das friihe Vir- tuosenstiick des >Laurentius iiber den Flammen?20 nicht statuarisch, sondern nach Art eines plasti- schen Gemildes konzipiert ist? Wie anders denn als eine selbstgestellte, auf die >meraviglia, des Kunstkenners zielende >difficulte vaincue? sollte die Transposition eines Motivs der Malerei in das Medium der Steinskulptur zu verstehen sein? Und ist es nicht eine klare Amplifikation dieser

>Schwierigkeit des Gattungswechsels<, wenn eine

topische >difficolt<< der Malerei, die nur sie be-

wiltigen kann, die Darstellung des Feuers, hier in Marmor gemeistert ist? Kaum etwas anderes als die anschauliche Umsetzung des Theorems vom Abstand, ja Widerspruch zwischen der ?cosa da imitare<< und dem >mezzo di imitazione< kann ge- meint sein, eine Demonstration schwierigster bild- hauerischer Mimesis, die der der Malerei nicht nachsteht, sondern sie iibertrifft. Dieselbe von ?difficolt<< und >Paragone< motivierte Technik bildhauerischer ?invenzione< wird in einem zwei- ten Friihwerk, dem >Heiligen Sebastian<< fiir Maf- feo Barberini21, erkennbar, wenn eine Erfindung der Malerei um 600, der bewufitlos hingesunkene Martyrer zwischen Tod und Leben, zur Aufgabe der Skulptur gemacht ist. Das erstaunlichste Bei-

spiel in dieser Hinsicht bietet aber wohl die

Gruppe >Apoll und Daphne<<2. Denn in ihr ist in einer geradezu emphatischen Ausweitung des >difficolt<<- und Wettstreitmotivs das poetische Thema schlechthin, nimlich das wesenhaft suk- zessive Thema der Metamorphose, das nicht nur einen Wechsel des Orts - Flucht und Verfolgung-,

x8 Summers, I77ff. I9 Summers, 7f. 20 R. Wittkower, Gian Lorenzo Bernini, London I966,

Nr. 3. 21 Wittkower, Nr. 4. 22 Wittkower, Nr. 8.

I97

Page 10: Capella Cornaro

nicht nur einen Wechsel der Affekte - Liebesbe-

gehren und Enttiuschung Apolls -, sondern sogar einen Wechsel der Gestalt enthalt, im widerstre- benden Medium des Marmors gemeistert. Nur schwer kann man sich des Eindrucks erweh-

ren, dafi dies alles in komplexerer Form auch den von Lavin untersuchten Gegenstanden inharent ist; dafi3 difficolt<< und >Paragone? und die in ih- nen vorgepragte Reflektion iiber den Eigenwert

und das Wesen der Skulptur auch die Kapellenen- sembles Berninis in ihrer Gestalt mitbestimmt ha- ben; dafi sie als seine Intention in diesen jeweils mehr oder minder deutlich erkennbar sind und als zusitzliche Momente der Interpretation neben das von Lavin so meisterhaft gezeigte Moment religio- ser Funktionalitat und religi6sen Ausdrucks treten k6nnen.

III.

Lavin skizziert die Vor- und Entstehungsge- schichte der Cappella Cornaro (Abb. I) mit der fur ihn charakteristischen Beherrschung des histori- schen Umfelds. Bekanntlich stiftet in die seit 1621 in S. Maria della Vittoria umbenannte Kirche der unbeschuhten Karmeliter in Rom der veneziani- sche Kardinal Federico Cornaro, ein Sohn des Do-

gen Giovanni, im Jahr 1647 eine Kapelle. Er be- stimmt sie zu seiner Grablege, errichtet Kapla- neien fur den Mefidienst und weiht sie der Griin- derin des Reformzweigs des Ordens, der Heiligen Theresia von Avila. Cornaro, seit 1626 Kardinal, war Patriarch von Venedig gewesen, von 1644 bis zu seinem Tod I653 jedoch Kurienkardinal. Die

Beziehungen zu den unbeschuhten Karmelitern

reichen, wie Lavin zeigt, in seine venezianische Zeit zuriick. Als Mitglied der Kardinalskongrega- tion >De propaganda fide< ist er dem Missionsin- stitut von S. Maria della Vittoria verbunden. Die Tatsache der Stiftung erklirt sich so. Ihre Gr6f3e und kiinstlerisch aufwendige Form hingegen wa- ren nur m6glich, weil die Kirche von den die Aus-

stattung beschrinkenden Ordenskonstitutionen

ausgenommen war. Archivalien zur Ausfiihrungs- geschichte der Kapelle fehlen. Da Lavin, ein gro- fer Kenner und erfolgreicher Entdecker romi- scher Quellen, sie nicht ausfindig gemacht hat, liegt die Annahme nahe, daIf es sie tatsichlich nicht mehr gibt. Notgedrungen bleibt so die Rolle des

Auftraggebers im Planungsprozefi undeutlich und der beteiligte Personenkreis praktisch unbekannt. Von umso gr6gierem Interesse ist deshalb Lavins

Entdeckung einer vom Prior und Konvent unter- zeichneten Dankesadresse an den Kardinal nach

Vollendung der Kapelle. Dieses erste Zeugnis der

Rezeption laft nicht allein Schliisse auf den Ver- standnishorizont des unmittelbar betroffenen Per- sonenkreises, sondern auch auf die der Stiftung zu-

grundeliegenden Intentionen des Kardinals zu. Gewif ist dem Text zufolge die pers6nliche Devo- tion gegeniiber der erst 1622 kanonisierten Heili-

gen ein wichtiger Grund gewesen. Allein, >um in seiner Devotion nicht allein zu sein<, habe Cor- naro die sechs iibrigen Kardinale, die seine Familie

hervorgebracht habe, >eingeladen, so dafi sich nun ihnlich wie um den verklirten Christus auf dem

Berg Tabor sieben Bewunderer um die verklirte

Heilige Theresia auf dem Gipfel des Quirinal< scharten. In der Tat ist der Stifter, der in Halbfigur als einziger aus dem rechten Epitaph dem sich Na- hernden frontal entgegenblickt, umgeben und be-

gleitet von den iibrigen Kardinalen der Familie aus den letzten hundertfiinfzig Jahren. Ein Sonderfall

dynastischer Reprisentation eines Venezianers auf r6mischem Boden: Das Verdienst der Familie Cornaro um die Kirche wird in Gestalt der sieben Kardinale, die sie ihr geschenkt hat, gezeigt. Wie sehr ad usum der r6mischen kurialen Offentlich- keit diese dynastische Selbstdarstellung in einer Ordenskirche in der Nihe der papstlichen Resi- denz auf dem Quirinal ist, zeigt der einzige Laie, der in sprechender Position, namlich hinter den Kardinalen sichtbar wird. Denn von ihm, dem Do-

gen Giovanni, sagt der Text sinngemai3, dafi er ei- nerseits als leiblicher Vater, anderseits aber durch seine Resignation von der Dogenwiirde, die nach venezianischem Brauch das Kardinalat Federico Cornaros erst erm6glichte, diesen gleichsam zwei-

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Page 11: Capella Cornaro

i. Cappella Cornaro, S. Maria della Vittoria, Gemalde des 8. Jahrhun- derts, Schwerin, Staatliches Museum

mal der Kirche geschenkt habe und deshalb hier

dargestellt sei. Bernini hat die vorgefundene architektonische

Struktur, das hohe, aber verhaltnismafiig seichte linke Querschiff der Kirche, durch eine Reihe von

Eingriffen in eine Grabkapelle verwandelt. Lavin unterzieht sie einer ebenso eingehenden wie glan- zenden Untersuchung. Als erster hat er die ver- wendeten, z.T. sehr kostspieligen Steinsorten ein- zeln bestimmt und damit den Blick auf einen hau-

fig vernachlassigten Aspekt der romischen Barock-

architektur gelenkt: auf die Geschichte und das Problem ihrer Farbigkeit. Ein einziges Detail kann, wenn ich recht sehe, das wahrhaft seltene

Privileg fur sich beanspruchen, seiner durchdrin-

genden Analyse entgangen zu sein: Bernini hat - ein bezeichnender Fall architektonischen >Deco- rums< - den vorhandenen Riesenpilastern die ei- ner Grabkapelle angemessene Ordnung vorge- blendet, schwarze Marmorverkleidungen in der Gestalt von Hermenpilastern. Der entscheidende

Eingriff ist jedoch die Einfiigung einer die drei

199

Page 12: Capella Cornaro

Winde gliedernden kleinen Ordnung. Aus ihr ist die Altararchitektur entwickelt. In einem weit aus-

greifenden Exkurs bis zuriick zur Tradition der

gotischen Figurennische skizziert Lavin die Vor-

aussetzungen und diskutiert die ovaloide Kurvatur in ihrem Verhaltnis zu Borromini. Bernini - dies der vereinfacht wiedergegebene Schlufi - fiigt hier zwei disparate Elemente, Adikula und Rotunde, zu einer neuen komplexen Struktur zusammen. Beide bleiben erkennbar, wobei angesichts der ge- ringen Kenntnis, die wir von seinen Entwurfsme- thoden haben, unklar ist, ob sie konstruktiv v6llig zum Einklang gebracht sind oder nicht: Die Adi- kula, der Kapellenwand und ihrer Gliederung glei- chermafien eingebunden wie aus ihr hervortre- tend, zum einen, die zum querovalen Tempietto geweitete Figurennische, die sie gleichsam konvex hervortreibt, zum anderen.

Lavins Uberlegungen zur Genese der Kapelle sind weitgespannt. Die Einsicht in ihren dreiteili-

gen Aufbau und >bildhaften? Charakter - evident in der deutlichen Fixierung des idealen Betrachter-

standpunkts in der Mitte des Kuppelraums - fiihrt ihn zu der These, illusionistische Sakraments- tabernakel mit seitlichen, die Eucharistie vereh- renden Figuren seien die Quelle des Gesamtent- wurfs. Diese These ist zugleich Interpretations- modell. Im genetischen Bezug werde auch ein

Hauptinhalt der Kapelle erkennbar: der euchari- stische. In eindringlicher Argumentation unter- zieht Lavin den Altar, die Altargruppe und die seitlichen Epitaphien einer sakramentalen Ausle-

gung. Es sei betont, dafi die einzelnen Argumente gut konvergieren und einander stiitzen, ohne dafi man sich aber des Eindrucks erwehren k6nnte, hier einer Interpretation gegeniiberzustehen, die eine der Sinnpotentialitaten des Werks benennt, der aber die klare Abgrenzung von dem allzu wei- ten Feld religi6ser >continuata metafora< ebenso

versagt bleiben diirfte wie der Beweis, mit den In- tentionen des Kiinstlers oder des planenden Perso- nenkreises kongruent zu sein. Es wird noch zu er6rtern sein, dafi trotz eines in diese Richtung weisenden Details der Nachweis eines eucharisti- schen Gesamtsinns aus dem anschaulichen Be- stand der Kapelle nicht zu fiihren ist.

Im Sinne seines Interpretationsmodells betont Lavin den allusiven Charakter der Altararchitek- tur als >>Offnung zum Sanctum Sanctorum< und als >Tor zum Himmel<. Voraussetzung ist aller-

dings die Annahme eines festen Bezugs zu dem rie- senhaften Sakramentsaltar Clemens' VIII. in der Lateransbasilika, der analog dem Altar der Cor-

naro-Kapelle eine Position im linken Querschiff einnimmt und mit einem Abendmahlrelief ausge- stattet ist. Ein funktionaler Unterschied ware hier zu bedenken: Sakramentskapelle wie die der La- teransbasilika ist die Cappella Cornaro, deren Al- tar fur die Aufnahme eines Tabernakels kaum Platz b6te, nie gewesen und konnte es auch nicht sein. Allein schon der beschrinkte Rang der Kir- che stand dem entgegen. Er gebot, da es sich um keine Bischofskirche handelte, eine den nachtri- dentinischen Normen entsprechende Verwahrung der Eucharistie iiber dem Hochaltar. So wie heute hatte nachweislich auch im siebzehnten Jahrhun- dert der Sakramentstabernakel von S. Maria della Vittoria dort seinen festen Platz. Insofern bleiben die von Lavin postulierten eucharistischen Impli- kationen der Altararchitektur an die Annahme ge- knupft, sie alludiere mit ihrer Gestalt auf das Mef3- opfer und die in ihm vollzogene Transsubstantia- tion - liturgiegeschichtlich nicht ohne Probleme, da das eucharistische Denken des siebzehnten

Jahrhunderts, keines grofien Jahrhunderts der Li-

turgie, aus den bekannten kontroverstheologi- schen Griinden einseitig um die permanente Real-

prasenz Christi im Altarssakrament, weniger je- doch um den Vollzug der Eucharistiefeier kreiste. Es soil zwar nicht geleugnet werden, dafi an der iiber zangenf6rmigem Grundrifi zum Kirchen- raum hin ge6ffneten Figurennische ein dynami- sches Moment im Sinne eines Sich-Offnens gese- hen werden kann. Dafi dessen ?himmlischer Deu- tung< aber Schwierigkeiten entgegenstehen diirf- ten, zeigt das Fehlen allusiver Details. Gerade der als Argument benutzte Vergleich mit den zw6lf Statuentabernakeln im Langhaus der Lateransba- silika scheint dies zu unterstreichen und f6rdert eher Unterschiede zu Tage. Denn Borrominis ge- niale Kleinarchitekturen enthalten nach lingerer Planungsgeschichte zumindest in ihrer Endgestalt

200

Page 13: Capella Cornaro

mit ihren edelsteingeschmiickten Diademen als

Architrav, mit ihren als Tiir6ffnungen deutbaren Riickwanden und in ihrer zwolffachen Wiederho-

lung so etwas wie die Allusion auf die zwolf Tore des himmlischen Jerusalem, eine Deutungsmog- lichkeit, die nach zunichst wechselhafter Pro-

grammvorstellung in den seit I702 realisierten

Apostelstatuen sichtbar eingel6st wurde. Von die- sen in der Tat allusiv strukturierten Tabernakeln so wie von dem abstrakten architektonischen

Symbolismus Borrominis iiberhaupt scheint Ber- ninis Altararchitektur weiter entfernt zu sein, als es die formalen Anklange vermuten liefien. Ist sie iiberhaupt allusiv? Bedeutet sie mehr und

anderes, als man sieht? Hat Bernini nicht gerade ihren architektonisch-funktionalen Charakter

hervorgekehrt? Der Altar ist der Wandgliederung der Kapelle eingebunden. Wihrend die Adikula sich als deren gesteigerte Fortsetzung verstehen

laigt, setzt die Altarnische in ihrem Inneren das

Gliederungssystem mit seinen Pilastern aus >verde antico< identisch fort. In unmifverstandlicher Weise ist sie damit als Bestandteil der Kapellen- wand definiert. Ja mehr noch: Indem ihr die Ge- stalt eines Tempietto iiber querovalem Grundrifi

gegeben ist, ist ihr Architekturcharakter verstarkt und sprechend gemacht. Was ist der Sinn dieser

Betonung? Sind die Altarnische und der gesamte bauliche Bestand der Kapelle mit Ausnahme des Gewolbes nicht gerade deshalb in ihrem Gattungs- charakter so deutlich akzentuiert, weil sie der Tra-

ger einer freigesetzten und ihnen im Anschein der

Bewegung, der Veranderlichkeit, ja des Momenta- nen entgegengesetzten Figurenwelt in Skulptur und Malerei sind? Ist nicht ein die gesamte Kapelle umfassendes antithetisches Kalkiil der Gestaltung vorauszusetzen, fur das sich der Begriff eines

>contrapposto< zwischen der Architektur und den beiden Bildkiinsten geradezu aufdrangt? Die von Lavin betonte Bedeutsamkeit des Begriffs fiir Ber-

nini, der an ihm den Akzent von der Bedeutung ei- nes Kontrasts, um >varieta? zu erreichen, zu der einer Interaktion der Elemente, um Einheit zu er- reichen, verlagert habe, diirfte sich hier bestitigen, bestatigen auch die Meinung, daf seine historische

Leistung in einer ?rein visuellen Konzeption der

Beziehung zwischen den Gattungen< zu sehen sei und es eine ?neue Art des Sehens? gewesen sei, die es ihm erm6glicht habe, >die Kiinste zu vereinen<. Eine problematische Vereinigung! Denn es bleibt zum einen zu betonen, dafi es Skulptur und Male- rei gemeinsam sind, die hier der Architektur entge- gengesetzt sind, zum anderen aber, dafi die Anti- these quer durch die Gattungen verlauft: Die Stuckreliefs mit der Lebensgeschichte der Heiligen sind so wie das Abendmahlrelief des Antepen- diums von der iibrigen Figurenwelt der Kapelle scharf abgesetzt. Durch Rahmung, Vergoldung und kleines Figurenformat in ihrem funktionalen Charakter als Reliefschmuck an Architektur be- tont, sind sie deren fester Bestandteil. Der zu erschliefiende Sinn der Antithese? Wohl

kein anderer als die Amplifikation der Wirkung. Zu vermuten bleibt ja, Bernini habe die figurale der architektonischen Komponente deshalb so poin- tiert entgegengesetzt, um auf diesem antitheti- schen Wege die Scheinwirklichkeit des in Skulptur und Malerei Dargestellten der konkreten Wirk- lichkeit der Architektur anzunahern. Im Kern geht es wohl einmal mehr um den Versuch, eine astheti- sche Grenze niederzulegen und auf einer neuen Ebene des Fiktiven Skulptur und Malerei ihnlich ?wirklich< erscheinen zu lassen wie die Architek- tur es ist. Nicht allein die Altarnische, die gesamte Kapelle ist der in seiner architektonischen Funk- tionalitat betonte statische Widerpart einer mit neuem Anspruch auftretenden Ereignisdarstel- lung. Das von Guidobaldo Abbatini ausgefiihrte illusionistische Fresko des Himmels >durch- strahlt? das Gewolbe in des Wortes wahrster Be-

deutung. Lavin, der das Phanomen grenziiber- schreitender Malerei bis Parmigianino zuriickver-

folgt und mit gewohnter historischer Sorgfalt be-

legt und diskutiert, hat dafiir den anschaulichen Ausdruck einer >Osmose?. Das antithetische Ver- haltnis verindert beide Komponenten: Indem der Himmel mit gemalten und plastischen Figuren in die Kapelle hereinbricht, riickt diese in dieselbe

Sphare wie das dargestellte Ereignis. Sie nimmt selbst mimetische Ziige an. Am deutlichsten wird dies dort, wo der gemalte Himmel unmittelbar auf sie trifft und sie mit seinen Wolken und Figuren in

201

Page 14: Capella Cornaro

.u. ..- 7K a. Cappella Cornaro, S. Mariat 2.. Cappella Cornaro,S.Mariadella V A

2. Cappella Cornaro, S. Maria della Vittoria, Ausschnitt der oberen WJCanddekoration

scharf pointierter Zufalligkeit teilweise iiberdeckt: an der gleichsam vor dem gemalten Licht stehen-

gebliebenen Fensterverdachung oder an den schon erwahnten Historienreliefs aus vergoldetem Stuck an Wand und Gewolbe (Abb. 2). Gerade sie lassen, indem sie die materielle Wirklichkeit ihrer Gat-

tung, namlich wirklicher Reliefschmuck an wirkli-

cher Architektur zu sein, uberzeugend betonen, auch die nur dargestellte Wirklichkeit des iiber sie hereinbrechenden Himmels umso iiberzeugender erscheinen. In der kunstvoll bewirkten Fiktion, ei- ner einzigen Wirklichkeit anzugeh6ren, lassen sie sie sozusagen am Konkreten der Architektur teil- haben.

IV.

Wir wissen nicht, in welcher Form Bernini seine

Aufgabe gestellt war. Zu den vorgegebenen Bedin-

gungen mufi es aber gezahlt haben, ein Marmor- bild der Heiligen in einer Nische iiber dem Altar zu schaffen. Was nun die ingeniose Losung, die- sem durch ein Ausbrechen der Kirchenwand einen indirekt beleuchteten Raum zwischen Innen und Aufien zu schaffen, hervorgetrieben haben diirfte,

zeigt ein Blick auf die Situation, die Bernini vor- fand: das hohe Querschiff mit einer Wand, an der um jeden Preis iiberlebensgrofie Skulptur in neuer und aufiergew6hnlicher Weise zu verwirklichen war, bot wohl jene Schwierigkeit, die er eigener Aussage zufolge fur das wichtigste Stimulans sei- ner Erfindungskraft hielt. Neu und ungew6hnlich: Bekanntlich war die Ka-

202

Page 15: Capella Cornaro

3. Cappella Coraro, S. Maria della Vittoria, Ekstase der Hi. Theresia

nonisationsfeier von 1622 zugleich die Inaugura- tionsfeier der authentischen Bilder der Heiligen gewesen. Die nichstliegende Losung hatte in einer monumentalen Marmorversion ihrer damals be-

statigten >vera effigies< bestanden, in statuarischer Pose und mit ihrem Attribut, dem Engel mit dem Pfeil, vielleicht mit der Andeutung einer Hand-

lung, vergleichbar Alessandro Algardis >Philippus Neri<23. Demgegeniiber ist hier einmal mehr das traditionelle statuarische Medium demonstrativ iiberschritten und die Heilige nach Art der Malerei in der fur sie charakteristischen Historie der

Transverberation dargestellt (Abb. 3). Wie in den Friihwerken eine auf das Erstaunen des Betrach- ters zielende Technik der bildhauerischen Inven- tion durch die gesuchte Schwierigkeit des Gat-

tungswechsels! >Straordinario e nuovo con diffi- cultai< und so die >meraviglia< erregend ist Berni- nis Gruppe, Eigenschaften, die ihre Zugehorigkeit zur >via della gran maniera< erweisen24. Fast

23 J. Montagu, Alessandro Algardi, New Haven-London I985, Nr. 75, Abb. 47.

24 Vincenzo Borghini, in: Barocchi, Scritti I, 670.

203

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scheint es, als hatte er Gr6oie, Schwierigkeit und Wesen der hier im Anschein der ?facilita< vorge- fiihrten bildhauerischen Mimesis gesondert beto- nen wollen, indem er den rohen Steinsockel sicht- bar stehen lieg, ohne ihn, was ein Leichtes gewesen wire, mimetisch zu verwandeln.

Ausgehend von der stark von der Erlebnis- und Bilderwelt des Hohen Liedes geprigten >kiihnen Erotik< der beriihmten Visionsschilderung der

Heiligen und vor dem Hintergrund souverin dar-

gebotener hagiographischer Kenntnisse unterzieht Lavin das Thema der Transverberation und seine kiinstlerische Bewaltigung einer ungemein sorg- faltigen Analyse. Der androgyne Engel, im Text der Heiligen als Cherub, in der spiteren Tradition als Seraph bezeichnet, ist allein schon durch seinen Pfeil der profan-erotischen Bildsprache nahe. Es bleibt bemerkenswert, wie zielsicher Bernini an ihm den Ausdruck himmlischer Grazie sichtbar

gemacht hat: allem Anschein nach ist der K6rper apollinisch, d. h. im Verhaltnis von eins zu neun fa- cies proportioniert und folgt - wahrhafte Verk6r-

perung von >grazia< - dem Schema einer >figura serpentinata<<. Mit der fur ihn charakteristischen

begrifflichen Scharfe, ja Oberschirfe, hat Bernini allem Anschein nach auch seine Handlung auf ein

giiltiges Muster bezogen. Kaum zufillig diirfte der besonders komplexe Kontrapost der Figur mit dem weiten Schritt und dem ausladend zielenden rechten Arm so frappant an Leonardos bekanntes Aktionsmuster der physikalisch richtigen Schleu-

derbewegung mit dem Speer, an den >uomo che

gitta un dado<, erinnern, Bernini sicherlich und

langst bekannt und durch die fur die Drucklegung des Leonardotraktats bestimmten Illustrationen Poussins damals sogar von neuer Aktualitat25. Dagi die Wurzel der gesamten Gruppe und insbe-

sondere der Gestalt der Heiligen keine statuarische ist, zeigt der Blick auf ihre Voraussetzungen, die Lavin breit und mustergiiltig genau darlegt: die noch kurze ikonographische Tradition ihrer Transverberation in Graphik und Malerei. In einer zeichnerisch iiberlieferten Entwurfsphase bleibt Bernini in diesem Vorstellungsbereich: Die Hei-

lige, niedergesunken, jedoch noch mit einer dekla- matorischen Geste der rechten Hand, die Bewugft-

sein und Aktivitit ausdriickt. Das offizielle Trans- verberationsbild, das Lavin in einem winzigen De- tail des Stichs der Kanonisationsfeier entdeckt hat, hatte so ausgesehen. Erst in einem letzten Schritt kommt es zur vollen Klarung. Die Gruppe ist nun in einen v6llig aktiven und einen v6llig pas- siven Teil zerlegt. Die Heilige ist der Ohnmacht nahe, sosehr, dagi Bernini auf der Suche nach einer

expressiven Formel fur Ohnmacht nach dem Bild des Todes, dem toten Christus aus der Pieta des

Michelangelo in St. Peter, greifen konnte. Be- kanntlich hatte er dieses bereits einmal in einem

Jugendwerk, dem ?Heiligen Sebastian< (Abb. 4), zur Darstellung desselben Inhalts benutzt: Auch Sebastian ist von Pfeilen verwundet, ohnmichtig, zwischen Leben und Tod. Es ist diese der zeitge- n6ssischen Malerei entnommene >invenzione< ei- nes ohnmachtigen Sebastian in Marmor, die eine besondere >difficolta<< impliziert. Dem spr6den Stein soll nicht der Ausdruck des Lebens oder des

Todes, sondern der Zustand dazwischen abgerun- gen werden. In einem ekphrastischen Gedicht in Latein und Griechisch, das sich auf die Figur be- ziehen k6nnte, hatte der Besteller Maffeo Barbe- rini dies geruhmt: >Os neque viventis, ne morien- tis habet.. .<<6. Es bleibt zu vermuten, dagi die hier

geleistete bravour6se Bewaltigung des Darstel-

lungsproblems, ganz offenkundig eine >difficulte vaincue? des jungen Bildhauers, in Zusammen-

hang mit einem Topos der italienischen Literatur steht, der als Norm der Beurteilung von Skulptur in die Kunsttheorie eingegangen war, der Skulp- turekphrase Dantes in der G6ttlichen Kom6die, da er ein Relief beschreibend den Anschein des Le- bens und des Todes in einem Stein riihmt: >... morti li morti e i vivi parevan vivi...<<27. Es ist

genau diese Macht des Bildhauers, Leben und Tod in dem einen Stein zu zeigen, in genau dieser dich- terischen Form Dantes, die das Kunsturteil des

25 J. Bialostocki, Poussin et le ?Traite de la Peinture< de Leonard. Notes sur l'6tat de la question, in: Nicolas Poussin (C.N.R.S., Colloques internationaux, Sciences humaines), Ed. A. Chastel, I, Paris 1960, I33ff.

26 Maphaei S.R.E. card. Barberini nunc Urbani P. P. VIII. Poemata, Rom I631, 212. Es handelt sich um die Para-

phrase eines byzantinischen Vorbilds. 27 Purgatorio XII, 67.

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Cinquecento an Michelangelos Pieta in St. Peter riihmt28. In ihr ist in einem Stein Christus das voll- kommene Bild des Todes, die Jungfrau das voll- kommene Bild des Lebens. Bernini, wenig spiter bereits nachweislich als ?Michelangelo del suo se- colo< bezeichnet29 und seinen Werken nach zu schliefien in spannungsreicher eristischer >imita- tio<< zum grofiten neueren Bildhauer stehend, scheint diese topische >difficolta< der Bildhauerei zu steigern, indem er den Anschein von Leben und Tod in einer einzigen Figur in Stein meistert.

Sollte nicht genau dies auch die selbstgestellte Schwierigkeit gewesen sein, als es iiber ein Viertel-

jahrhundert spiter darum ging, die Transverbera- tion der Heiligen Theresia in Marmor darzustel- len? Eine nochmals gesteigerte >difficolta<! Denn im Gegensatz zum Sebastiansmartyrium, im Ge-

gensatz auch zur Stigmatisation des Heiligen Franz ist es nicht der Aspekt korperlichen Lei- dens, der das Darstellungsproblem bildet, sondern

jenes kaum mehr sichtbar zu machende wider-

spriichliche Erleben, das die Heilige selbst als den siifien Schmerz der himmlischen Liebe verbali- siert. Immer wieder sind deshalb die Worte der Braut aus dem Hohen Lied herangezogen worden, um diesen ambivalenten Zustand der ermatteten Seele im mystischen Liebeserleben bildlich auszu- driicken: ,Fulcite me floribus, stipate me malis, quia amore langueo< oder auch: >amore vulnerata

ego sum...<<3?. Deshalb, wie Lavin umfassend auf-

zeigt, das Bild der ermatteten Braut im Garten in der zeitgenossischen Herzemblematik. Deshalb die konstante deutende Ubertragung des Wort- bilds >amore langueo< - >von Liebe bin ich ermat- tet<< in Wort und Bild auf das Thema der Transver- beration der Heiligen, popularisiert in einer gr6ofe- ren Zahl graphischer Andachtsbilder, bis hin zur

Allegorisierung als einer Pfeilverwundung durch Jesus selbst und dem im begleitenden Text explizi- ten Wunsch der Heiligen, im mystischen Erleben zu sterben, was dieser ihr jedoch versagt: ?Quaerit ab hoc necis sortem / Imo putat esse mortem / Dum negat interitum<.

Es ist dieser widerspriichliche Zustand eines ?affetto misto<<, den die Zeitgenossen an Berninis

Gruppe verbildlicht fanden und der ihren eigent-

4. Castagnola, Sammlung Thyssen-Boremisza, H1. Sebastian

lichen Ruhm und damit das diesem bis zum heuti-

gen Tag verkniipfte Beurteilungsproblem begriin- dete. Ein >siif3es Ermatten< sei hier in Stein ver-

ewigt, so beginnt Berninis Sohn Pier Filippo sein nicht zufallig dem Stilideal der >argutia< verpflich-

28 Benedetto Varchi, in: Barocchi, Scritti I, 268, Anm. 4. 29 C. D'Onofrio, Roma vista da Roma, Rom 1967, I83. 30 Cant. 2, 5.

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tetes Gedicht auf sie, ?un si dolce languire< - exakt der Begriff des Hohen Liedes!3' Sollte hier nicht

iiberhaupt jenes widerspriichliche, h6chste

Schwierigkeit implizierende argute Wortbild ge- funden sein, unter das Bernini die endgiiltige Ver- sion seines Meisterwerks stellte? Eines widerspriichlichen Meisterwerks, dessen

Inhalt Lavin komplex und doppelsinnig deutet: Einerseits als die mit grofier physischer Wahrhaf-

tigkeit geschilderte Transverberation. In ihrer

Verletzung krumme sich die Heilige medizinisch-

pathologisch exakt im >>Solarplexus-Motiv<< zu- sammen. Zum andern jedoch bedeute in Uberein-

stimmung mit der reichen mystischen Tradition des Liebestodes ihre todesahnliche Pose ihr kiinf-

tiges Sterben: Transverberation und Tod der Hei-

ligen im selben Bild! Die Frage danach, ob dem in Berninis Figur so sei, sieht nach einer methodi- schen Aporie aus. Denn ob man in ihr die meister- hafte Erfiillung eines prazis vorgegebenen theolo-

gischen Programms, der expliziten Absicht also, im Bild der Transverberation zugleich den Tod der

Heiligen darzustellen, oder ob man in der einen so

wirkungsvoll als momentan und verinderlich fin-

gierten Pose den einen Affekt des >dolce languire? in dem einen Erleben der Herzverwundung allein sehen m6chte, diirfte weitgehend von den Vorstel-

lungen abhangen, die man vom Wesen, den M6g- lichkeiten und den inneren Grenzen bildhaueri- scher Mimesis dieses Rangs um 165o hat, von zwei verschiedenen heuristischen Axiomen also.

Der Blick auf die Genese der Gruppe begiinstigt keine der beiden Interpretationen eindeutig. Im- merhin laigt aber eine der Leipziger Zeichnungen erkennen, dag in einer friiheren Version die Hei-

lige noch bei Bewui3tsein dargestellt ist. Erst in der Endversion wird Bernini ihre Ohnmacht im Bild des Todes ausdriicken. Sollte dies mehr und ande- res sein, als eine zielgerichtete expressive Ubertrei-

bung, so daif auch in diesem Entwurfsprozefi Ber- ninis begriffliche Oberschirfe erkennbar wiirde, die sich leicht mit dem zeitgen6ssischen literari- schen Ideal der >argutia? parallelisieren, je identi- fizieren lai3t? Die Pose des Todes nur, um die Ohnmacht im >siiulen Schmerz< der Pfeilverwun-

dung umso wirkungsvoller auszudriicken? Eine

treffsichere rhetorische Amplifikation also, zu der er sehr wohl ohne die theologische Vorformulie-

rung vom >Liebestod? der Heiligen hatte gelangen konnen? Und dies um so mehr, als sein Verfahren an eine geradezu klassische Methode des >verosi- mile< erinnert: Im Bild des Bekannten wird das neu zu Vermittelnde umso wahrscheinlicher und

iiberzeugender. Einmal mehr diirfte sich hier ein Problem der von

Lavin ebenso meisterhaft wie extensiv angewende- ten Deutung aus dem religiosen Kontext zeigen. Die Komplexitit, die Sinnerfiilltheit und der ge- wifi unersch6pfliche Beziehungsreichtum des Themas - und wer wollte sie der theresianischen

Mystik absprechen? - sind nicht ohne weiteres auch fir dessen kiinstlerische Verwirklichung vor- auszusetzen. Ist nicht anstelle der einfachen Glei-

chung zwischen religi6sem und kiinstlerisch ver- mitteltem Tiefsinn das gerade Gegenteil, nimlich

Einengung und Verlust der dem Thema inharenten

Bedeutungsfiille und -vielfalt im Prozefi der an- schaulichen Gestaltung anzunehmen? Wie eine in- direkte Bestatigung dafiir sieht es aus, wenn der von Lavin als Analogiebeweis fir die Vermischung der beiden Inhalte der Transverberation und des Todes in einem Bild herangezogene Stich des Ja- cob Honervogt tatsachlich nur eines darstellt: die Szene des Todes, da die Seele der Heiligen in Ge- stalt einer Taube dem himmlischen Brautigam ent-

gegenfliegt und der >Zeigeengel? mit dem flam- menden Pfeil an die Transverberation nur erinnert, wahrend der der Darstellung beigegebene Hym- nus Urbans VIII. im Medium des Worts eine ganze Reihe von Motiven der theresianischen Mystik ausdriicken kann. Sollte der anschauliche Sinn der

Gruppe Berninis sich nicht in dem einen so wir-

kungssicher ad oculos demonstrierten Begriff ,>Transverberatio<< ersch6pfen? Sollte es mit den Mitgliedern der Familie Cornaro

zu Seiten des Altars prinzipiell anders sein? Ihre Identifikation diirfte keine Probleme mehr bieten.

3I Baldinucci, 143: ?L'acutissimo ingegno del nominato

Monsig. Pier Filippo Bernino... diede fuori i seguenti versi. Un si dolce languire/Esser dovea immortale;/Ma perche duol non sale/Al Cospetto Divino,/In questo sasso lo etern6 il Bernino.<

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Page 19: Capella Cornaro

Aber was tun sie? Betrachten und diskutieren sie die Transverberation iiber dem Altar? Die Messe auf dem Altar? Oder veranstalten sie einen theolo-

gischen Disput iiber das Sakrament des Altares?

Lavin, der in dem expressiven Kontrast der linken und der rechten Gruppe eine Nachwirkung des al- ten von Michelangelo in die Grabskulptur einge- fiihrten Gegensatzpaares kontemplativ-aktiv er-

kennt, hat die Gesten und Posen der einzelnen Fi-

guren einer ungemein sorgfiltigen und scharfsin-

nigen Analyse unterzogen und schligt, kurz ge- sagt, eine eucharistische Interpretation vor. Waren sie aber, wenn sie Nachfolger der typologischen Statuen zuseiten des Sakramentsaltars der Later- ansbasilika wiren, nicht zuseiten eines Taberna- kels angebrachter? Ist angesichts der Entschieden-

heit, mit der hier eine traditionelle Gattung ver- wandelt und im Anschein lebendiger Gegenwart der Figuren aufgehoben ist, ist angesichts der stau- nenswerten >varieta? ihrer Posen und Aktionen nicht der unikonologische Gedanke naheliegend,

sie bedeuteten, was sie zeigten, Devotion, Ge-

sprich, stille Anwesenheit, Wendung an den Be- trachter, und produzierten fir diesen innerhalb der Grenzen ihres religiosen und sozialen Deco- rums ihre eigenen, auch wechselnden Sinnverbin-

dungen? Dem Tagebuch des Herrn von Chantelou

zufolge hat Bernini spater das vergleichbare Pro-

jekt fir die Griber der franz6sischen K6nige in St. Denis ungefihr so geschildert: die Grabfiguren >...de sorte qu'elles regarderaint directement sur l'autel de saint louis,... et qu'ainsi elles seraient en vue des ceremonies et prieres de l'eglise...<<32. Er-

laubt diese Schilderung nicht einen Analogie- schlufi auf die Semantik der Cornarofiguren? Sind nicht auch sie >d'une maniere extraordinaire<, namlich >.... cinq ou six dans une meme reduit, en action de priants, dans de differentes actions, ap- puyes comme sur une espece de balustrade et en

forme d'histoire... , ohne ein prizis vorgegebenes Programm aufer dem ihrer Anwesenheit zu erfiil- len?

V.

Seit jeher ist der Beriihmtheit der Gruppe ein Be-

urteilungsproblem fatal verkniipft: das der religio- sen und sittlichen Angemessenheit; mangelhaftes >Decorum<<: sie sei zu erotisch. Das Urteil ist of- fenbar so alt wie die Gruppe selbst. Schon der an-

onyme Verfasser einer Schmihschrift gegen Ber- nini33 meint, dieser habe hier >die reinste Jungfrau nicht in den dritten, sondern in einen schmutzigen Himmel versetzt<, ja er habe, wie er wenig ge- schmackssicher fortfihrt, >aus ihr eine Venus ge- macht, nicht hingestreckt, sondern hingege- ben...< - >...non prostrata, ma prostituta...<<. Der Vorwurf mangelhaften >Decorums< setzt sich

wenig verindert fort bis hin zu Jacob Burckhardts

emphatischem Urteil, in dem zumindest fur den deutschen Gebildeten der rezeptionsgeschichtli- che Miferfolg der Gruppe vorliufig gipfeln diirfte: ?In hysterischer Ohnmacht, mit gebroche- nem Blick, auf einer Wolkenmasse liegend streckt die Heilige ihre Glieder von sich, wihrend ein lii- sterner Engel mit dem Pfeil (d. h. dem Sinnbild der

gottlichen Liebe) auf sie zielt. Hier vergift man

freilich alle bloien Stilfragen iiber der emporenden Degradation des Ubernatiirlichen<<34. Zwar wird man die beredte Korperhaltung der Heiligen, de- ren Beschreibung die sprachliche Befihigung der

Interpreten - nicht Lavins - gelegentlich etwas

strapaziert, nicht gerade von Danae-Darstellungen herleiten konnen. Genau genommen fehlt ihr da- fur ein Detail, das Nicolas Poussin wenig spiter in seinem Verkiindigungsbild der Londoner Natio- nal Gallery von I65735 in einer deutlich an Bernini

ankniipfenden und bemerkenswert physischen Fassung des Menschwerdungsthemas in der Hal-

tung Mariens in den Bereich des Sichtbaren ziehen

32 P. Freart de Chantelou, Journal du voyage du Cavalier Bernin en France, Ed. L. Lalanne, Paris i885, i86.

33 G. Previtali, II Costantino messo alla berlina 6 bernina su la porta di San Pietro, Paragone I45 (I962), 55ff.; vollst. englische Obersetzung in: G. C. Bauer, Bernini in Perspective, Englewood Cliffs, N.J. 1976, 46ff.

34 J. Burckhardt, Der Cicerone, Stuttgart 1964, 67I. 35 A. Blunt, The Paintings of Nicolas Poussin. A Critical

Catalogue, London 1966, Nr. 39; D. Wild, Nicolas Poussin II, Zurich I980, Nr. 192.

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wird. Um die einfache Lbernahme profan-eroti- scher Bildsprache scheint es hier nicht zu gehen. Denn historisch gesehen sind es Formeln der fran- ziskanischen Ikonographie, der Stigmatisation und Engelstr6stung des Heiligen Franz, die durch ihre Ubertragung in den Bereich weiblicher Eksta- sendarstellung, innerhalb dessen die Transverbe- ration der Heiligen Theresia nur ein Fall ist, schon vor Bernini zu Trigern erotischen Ausdrucks ge- worden waren. Es ist ein im Begriff des >sufifen Ermattens< der

Pfeilverwundung literarisch wie bildlich langst vorgeprigter Ausdruck erotischen Affekts der Heiligen, den Bernini nicht allein in K6rperhal- tung, Mimik und Gestik scharf akzentuiert, son- dern dem er durch die Ubertragung in das k6rper- liche Medium meisterhaft modellierter und ge- dimpft beleuchteter Marmorskulptur eine gera- dezu bestiirzende Wirkung gesichert hat. Zurecht spricht Lavin, der sich bereits in den einleitenden Bemerkungen seines Buchs dieses Problem stellt und der im Folgenden der theresianischen Mystik und ihren erotischen Implikationen eine Reihe er- hellender Ausffihrungen widmet, von Berninis >sham-fulness<, die ihm hier Mittel zum religi6s- expressiven Zweck gewesen sei. In der Tat bildet die geradezu aggressive Ent-

schiedenheit, mit der hier erotische >passio< in den Bereich religioser monumentaler Skulptur gezo- gen ist31, den in seinem CEuvre zwar nicht verein- zelten, wohl aber spektakulirsten Fall kalkulier- ter, auf die ?meraviglia< des Betrachters zielender Verletzung des >Decorums<. Gehorcht also ge- mai3 der Formel >Si vis me flere, dolendum est/Pri- mum ipsi tibi...? die pointierte Unangemessenheit der Santa Teresa allein dem einfachen wirkungsis- thetischen Kalkiil, durch ungedampfte, ja die reli- gios-sittliche Norm durchbrechende Starke des Gefiihlsausdrucks das Gefiihl des Betrachters ver- starkt zu erregen? Wird hier ein ausschliefilich funktionales, auf Affektausdruck und -erregung abzielendes Darstellungskonzept sichtbar und mit ihm eine Aporie des religi6sen Bildes, das, um Ek- stase iiberzeugend darzustellen, an deren physi- schen Reflex und damit an die profan-erotische Bildlichkeit als einzige Ausdrucksm6glichkeit fur

das Unsagbare gefesselt bleibt? Ist der erotische Affekt hier allein durch die >eccellens imitatio< des siiuen Ermattens in Marmor sublimiert, die ka- thartische Wirkung also allein durch >delectatio<< erzielt? Eines fillt an der Debatte um das >Decorum< auf:

Den Urteilen, ob negativ oder positiv akzentuiert, ist gemeinsam, dafi ihre mehr oder minder origi- nelle Auslegungsleistung sich allein auf die isoliert

gesehene Marmorgruppe bezieht, dafi sie also das dem Betrachter von der Kapelle insgesamt gestellte Komplexitatsproblem aus welchen Griinden im- mer ignorieren. Der anschauliche Bestand deutet in der Tat auf

Komplexitit. Die Altarnische ist nach oben geoff- net. Durch einen Lichtkanal fillt von aufien das

Tageslicht auf die Gruppe, durch gelbe Scheiben darstellend gemacht und in goldenen Strahlen zum himmlischen Licht verdichtet - Berninis beriihmte

Lichtregie, deren Vorgeschichte Lavin weit zu-

ruckverfolgt und deren religi6s-expressiven Sinn er stark betont. Entscheidend fur das Verstindnis der Gruppe, ja der gesamten Kapelle ist jedoch der Umstand, daif die Herkunft dieses himmlischen Lichts gezeigt ist. Denn verfolgt der Betrachter die

Verjiingung der Strahlen nach oben, so stoilt er

zwangslaufig auf ihren sichtbaren Ausgangs- punkt: die lichtstrahlende Taube des Heiligen Gei- stes inmitten des illusionistischen Gewolbefres- kos. Er erkennt die mit vielerlei Mitteln bewirkte Fiktion, dalf der Himmel in wortlich genommener Metaphorik in die Kapelle ?hereinbricht?, indem der Heilige Geist das Gewolbe buchstablich durchstrahlt und sein Licht fiber die Heilige er-

giefit, die ihm im Ereignis der Transverberation

entgegengehoben ist. Man hat die Kapelle m.E. nicht verstanden, wenn man nicht die Fiktion er-

fafit, daif Unten und Oben, Altargruppe und

Fresko, im Anschein einer einzigen Handlung, die die Kapelle vertikal durchzieht, zusammengeh6- ren.

3sa E. Rotermund, Der Affekt als literarischer Gegenstand: Zur Theorie und Darstellung der Passiones im 17. Jahr- hundert, in: Die nicht mehr schonen Kiinste. Grenz- phinomene des Asthetischen (Poetik und Hermeneutik 3), hrsg. von H. R. Jauf, Miinchen I968, 239ff.

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Einmal mehr und mit paradigmatischer Deutlich- keit diirfte hier einer der fur das Verstandnis der Kunst Berninis zentralen Begriffe fafibar werden: der der >invenzione?. Was ist >invenzione?? In den gern zitierten Worten Nicolas Poussins geh6rt zu ihrem Wesen nicht >der neue und noch nie ge- sehene Gegenstand der Darstellung?, sondern ein anderes: die >neue und gute Disposition und Ex-

pression<, so da3 >>der Darstellungsgegenstand aus einem gew6hnlichen und alten ein einmaliger und neuer wird<<36. In der Cappella Cornaro besteht die >neue gute Disposition und Expression<<, die aus dem alten Gegenstand der Transverberation das

Einmalige und Neue macht, in der Fiktion, dagi es der Heilige Geist ist, der die Herzverwundung der

Heiligen iiber dem Altar fiir den Betrachter sicht- bar werden lai3t, ja bewirkt. Aus der historischen Ferne des nur dargestellten vergangenen Ereignis- ses ist die Transverberation mit neuem Wirklich-

keitsanspruch gegenwartig gesetzt. Eine herbeigezwungene und angestrengte Fik-

tion, die allein dadurch, dafi sie Skulptur und Ma- lerei, Marmor und Farbe zusammenbindet, mit

Leichtigkeit als solche durchschaut werden kann. Blofie Illusion kann hier nicht gemeint sein. Sie wire ja dann mit Absicht mifigliickt. Was gemeint ist, ist eine Fiktion, die durchschaut werden soil und deren fiktional-unwahrer Charakter asthe- tisch genossen werden soll. Langst hatte die zeitge- nossische Theorie das Phinomen unter dem Be-

griff des >inganno? definiert und rezeptionsisthe- tisch begriindet, so Emanuele Tesauro, auf den La- vin verweist, oder schon Piero Accolti, der 1625 in seiner Schrift >Lo inganno degli occhi< meint, je- der Kiinstler der nachahmenden Kiinste sei umso lobenswerter, je mehr er tausche, und zwar so, dafg

jene Tauschung, als solche erkannt, >neue Bewun-

derung<< hervorrufe und der Kiinstler >so die Wahrheit meistere<: >...ogni professore d'arte

imitatrice tanto e piiu lodevole, quanto pii inganna avvengoche quell'inganno stesso poi conosciuto, generando nuova ammirazione, divien maestro di verit . ..<<37

Berninis Kapelle ist voll von >inganni<, die sich allein wegen der geistvoll iiberraschenden Art, in der sie sich selbst zu erkennen geben, ohne

Schwierigkeiten mit dem zeitgen6ssischen literari- schen Konzeptismus in Verbindung bringen las- sen; insbesondere aber mit dem zentralen Begriff der ingeni6sen metaphorischen Redefigur, die durch iiberraschende Signifikanz der Zeichenge- bung den Intellekt erfreut: dem Begriff der >>ar-

gutia<<, >acutezza< oder >argutezza<<, samt dem da- mals weitgehend synonym gebrauchten Begriff des >concetto<<38. Zu wiederholten Malen sind diese und verwandte Begriffe zur Interpretation der Kunst Berninis herangezogen worden. Gerade

angesichts der Cappella Cornaro lai3t sich die gera- dezu uberragende Rolle des Konzeptismus fur ih- ren Aufbau behaupten. Denn nicht nur wird zu

zeigen sein, dafi die in ihr fingierte Handlung eine

ingeni6se Figur oder >argutia? vor Augen stellt. Der gesamte anschauliche Bestand der Kapelle ist im Grofien wie im Kleinen durch semantisch un-

gewohnte Verbindungen gekennzeichnet, die in

standiger Oberlagerung der Inhalte den Intellekt des Betrachters >fordern<, seinen Gedanken her- vorholen, das Entstehen neuer assoziativer Kom-

plexe stimulieren und so seinen >diletto< bewir-

ken; dies alles mit jener Pointiertheit, ja Aggressi- vitat, die bekanntlich ein weiteres Merkmal der

>argutia< ist. So scheint es mir eine der glanzendsten ?argutie<

Berninis zu sein, dafi das gemalte himmlische Licht, das vom Heiligen Geist ausgehend das Ge- wolbe durchstrahlt, dasselbe Licht >ist<<, das von oben in die Altararchitektur einfallend und in gol- denen Strahlen verdichtet die Transverberation der Heiligen sichtbar werden lafit und so gleich- sam bewirkt. Die wahrhaft ingeni6se Art, wie hier im mehrfachen Wechsel des Mediums - vom ge- malten iiber das gelb gefarbte Naturlicht zum pla- stischen Licht der Goldstrahlen - immer dasselbe, namlicht Licht, dargestellt ist, ist theoretisch re-

36 R. W. Lee, Ut pictura poesis: The Humanistic Theory of Painting, New York I967, i6f.

37 Blunt, Illusionism, 71. 38 K. P. Lange, Theoretiker des literarischen Manierismus.

Tesauros und Pellegrinis Lehre der ?acutezza< oder von der Macht der Sprache, Miinchen I968; A. Buck, in: A. Buck, K. Heitmann, W. Mettmann, Dichtungsleh- ren der Romania aus der Zeit der Renaissance und des Barock, Frankfurt 1972, 5off.

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Page 22: Capella Cornaro

flektiert, ja spiegelt in arguter Weise etwas wie Berninis Kunsttheorie. Nichts anderes wird hier sichtbar als eine besonders deutliche Variante von >difficolta. In der Tat sieht ja der Einfall, iiber die Grenzen des Materials hinweg und entgegen dem Anschein entfernteste Medien zur Darstellung des einen zusammenzubinden, wie die bewufite Am- plifikation des kunsttheoretischen Gedankens von der iUberwindung des Mediums durch die Mimesis aus. Je entfernter das Mittel vom Gegenstand, umso grofier und bewunderswerter die mimeti- sche Kunstleistung. Kunsttheoretische Aspekte der Lichtregie also?

Es ist natiirlich keine Frage, dafi das Naturlicht, das iiber einen Kanal von oben auf die Gruppe ge- lenkt ist, eine eminent darstellende Funktion hat. Es ist, wie Lavin scharf akzentuiert, himmlisches Licht. Allein, man kann fragen, ob ihm nicht eine zusatzliche Bedeutung zukommt. Wenn hier Skulptur gerahmt und in fixierter Beleuchtung er- scheint, sie also wie die Malerei >ihre Beleuchtung in sich hat<, dann sieht dies so aus, wie wenn hier auf ein beriihmtes Streitmotiv im >Paragone< ge- antwortet, wie wenn eine Schwache der Skulptur gegeniiber der Malerei demonstrativ aufgehoben wire: ihre >visuelle Unbestandigkeit<. Denn auf das traditionelle Argument des Bildhauers, dafi seine Kunst die dauerhaftere sei, entgegnet ihm der Maler, dafg sie zwar physisch bestandiger, jedoch der wechselnden Beleuchtung ausgesetzt, fiber die der Bildhauer keine Kontrolle habe, und deshalb ?visuell unbestindig< sei. Seine Kunst der Malerei hingegen habe ihre Beleuchtung in sich, unabhan- gig und visuell bestindig. Ja mehr als dies: Die Kunst des Bildhauers sei geringer. Da Licht und Schatten seinen Formen ohnehin anhafteten, be- diirfe er anders als der Maler keiner >Kenntnis von Hell und Dunkel<. Ist es zuviel vermutet, dafi Ber- ninis Beleuchtungskunststiicke diesem Mangel der Gattung demonstrativ abhelfen und er hier der >physischen Bestandigkeit< der Skulptur noch die >visuelle Bestandigkeit< der Malerei hinzufiigt? Dafi bei einer Interpretation des Phinomens fi-

xierter Beleuchtung von Skulptur neben dem von Lavin analysierten religi6s-expressiven Aspekt der gattungsgeschichtliche im Sinne theoretisch re-

flektierter bildhauerischer Praxis mitbedacht wer- den kann, beweist ein Blick auf die der Cappella Cornaro vorausgehenden Beispiele, an denen sich das inharente Paragonemotiv mit gr6fierer Deut- lichkeit, nimlich in geringerer mimetischer Ver- wandlung, zeigt. Ist es nicht symptomatisch fur die zu vermutende doppelte Wurzel des Phano- mens, wenn am Hochaltar von S. Bibiana durch eine Gewolbe6ffnung das ungefirbte Tageslicht seitlich von oben auf die Statue der Heiligen fallt, noch getrennt von der gemalten Quelle iiberirdi- scher Erleuchtung, der Erscheinung Gottvaters im Fresko des Gewolbescheitels? Und ist es nicht ge- radezu das Musterbeispiel eines angewandten ?Pa- ragone? - dessen, was Bernini unter dem >accop- piare in un certo modo la scultura alla pittura< ver- standen haben diirfte - wenn an dem Relief der Cappella Raymondi in S. Pietro in Montorio mit der Stigmatisation des Heiligen Franz (Abb. 5) die - natiirlich religios zu deutende - fixierte seitliche Beleuchtung zugleich in demonstrativer Weise ei- nen Mangel der Gattung im >Paragone?, einen >amaro degli scultori<39, in einen Vorteil verwan- delt: die Schatten der hervortretenden plastischen Teile zerstoren hier nicht die vorgetiuschte Raum- lichkeit des Reliefs, sondern gehorchen in einer sorgfiltig geplanten Hell-Dunkel-Komposition wie in einem Gemalde der Kontrolle des Bild- hauers. Eine andere ?argutia<<: In einer bemerkenswerten

mimetischen Umdeutung des Halbfigurenepi- taphs, deren Voraussetzungen, wie Lavin belegt, nicht allein in den skulpierten, sondern vor allem in gemalten Epitaphien zu finden sind, hat Bernini die Mitglieder der Familie Cornaro vor perspekti- visch dargestellte Innenraume gesetzt. Zu Recht lehnt Lavin in einem wohlinformierten theaterge- schichtlichen Exkurs deren Deutung als Theater- logen ab. Die Riume sind dreischiffig - genau ge- nommen ist sogar eine seitliche hintere Erweite- rung angedeutet - in der Mitte tonnengewolbt und in jonischer Ordnung. Da die in ihrem Hinter- grund sichtbar werdenden, von Engeln bekronten Adikulen kaum anders denn als Altare zu identifi-

39 Vincenzo Borghini, in: Barocchi, Scritti I, 658f.

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Page 23: Capella Cornaro

5. Cappella Raymondi, S. Pietro in Montorio, Stigmatisation des HI. Franz

zieren sind, sind sie insgesamt als hoher gelegene, die Kapelle flankierende Privatoratorien zu deu- ten; da ihnen in sprechender Weise die grotien Fa-

milienwappen verkniipft sind, als >Cornaro<- Oratorien. Eine >argutia< Berninis wird hier sicht- bar: Die so eindrucksvoll bewirkte Fiktion, daf die Cornaroherren aus >ihren< Privatoratorien in >ihre< Privatkapelle blicken, suggeriert ja die Be-

hauptung, dag diese, >weil< sie sich in flankieren- den hoher gelegenen Annexriumen >der Cor- naro<< fortsetze, iiberhaupt Bestandteil eines un- sichtbaren Palazzo Cornaro sei, so dafi mit den be-

kannten Mitteln der Bedeutungsverlagerung und des Bedeutungszuwachses auf dem Umweg fiber die Fiktion, sie sei >Palastkapelle<, ihr Charakter als >Cornaro<-Kapelle ingeni6s verstirkt wird. Nichts anderes als eine ,>argutia< zeigt sich in den

nackten Fifien der Heiligen, deren einer, der linke, den Gesamtausdruck des >languire< im Zustand

ohnmichtigen Schwebens ausdrucksvoll unter- streicht. Lavin weist darauf hin, da? hier in inge- ni6ser Weise fiber das tertium comparationis: >barfu?g auf die Lebensleistung der Heiligen an-

gespielt sei, Begriinderin des Reformzweigs der

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Page 24: Capella Cornaro

>>barfii3igen Karmeliter< zu sein, und sieht sogar die Allusion auf eine Reliquie, den - allerdings rechten - Fufi der Heiligen, der in S. Maria della Scala verwahrt wird. Nicht allein die Details, der Aufbau der ganzen

Gruppe, ja der Handlung, deren Bestandteil sie ist, folgen dem Stilideal der >argutia<<. Berninis Hei-

lige ist im mystischen Erlebnis der Herzverwun-

dung auf Wolken erhoben. Historisch, also ?in Wahrheit< gesehen, trifft dies nicht zu: Der Be- richt der Heiligen Theresia spricht von keiner Le- vitation. Darstellungen der Transverberation zei-

gen sie daher - dies macht Lavins ikonographi- scher Uberblick klar - im allgemeinen auf der Erde knieend, zumeist in ihrer Zelle. Bernini hingegen zeigt sie nicht allein losgelost vom historischen Ort des Ereignisses, sondern schwebend. Warum? Lavins Erklarung konvergiert mit seiner euchari-

stischen Interpretation der Kapelle. So wie der Al- tar durch seine Lage und durch Einzelheiten seiner Gestalt auf den Sakramentsaltar der Lateransbasi- lika verweise, so sei auch die Altargruppe euchari- stisch zu deuten. Nichts anderes als die historisch iiberlieferte Levitation der Heiligen beim Emp- fang der Kommunion sei hier gemeint. Indem Ber- nini sie schweben lafit, mache er die Macht der Eu- charistie sichtbar. Den deutlichsten Hinweis auf die eucharistischen Implikationen der Kapelle und

folglich der Altargruppe bilde das Bronzeantepen- dium mit dem Relief des Letzten Abendmahls. Nun ist zwar nicht zu bezweifeln, dafi dessen In- halt sakramental ist. Was aber ist der Sinn der An-

bringung? Auf die permanente Realprasenz Chri- sti im Altarssakrament kann nicht hingewiesen sein, da die Kapelle nicht Sakramentskapelle ist. Doch auch eine Deutung als Hinweis auf die in der Mefifeier vollzogene Transsubstantiation wird li-

turgiegeschichtlich nicht unbedingt nahegelegt. Sollte das Relief einen anderen funktionalen Sinn haben? Bekanntlich sind in der liturgischen Praxis des

siebzehnten Jahrhunderts Mefifeier und Kommu-

nionempfang bereits weitgehend getrennt40. Seit dem Tridentinum war es zur Ausbildung eines dem Gesamtvorgang der Eucharistie entfremdeten Kommunionritus >extra missam< gekommen -

sichtbarer Ausdruck der bekannten Ablosung des Charakters der Messe als Mahl durch die affektive Devotion des sakramentalen Christus, der in der individuellen Kommunion als ?Gast der Seele<

empfangen wird. Der neue Ritus hatte sich in der zweiten Halfte des sechzehnten Jahrhunderts vor allem in den Klosterkirchen gegenreformatorisch tatiger Orden, die durch ein solches Entgegen- kommen die Hiufigkeit des Kommunionemp- fangs f6rdern wollten, weitgehend durchgesetzt, in den Sakularkirchen zogernder und spater. Ver- wendet wurde dafiir nicht der Hochaltar, sondern ein in der Nahe gelegener Seitenaltar. Die Verhilt- nisse in S. Maria della Vittoria konnen nicht viel anders gewesen sein. Es spricht alles dafiir, dafi dem Altar der Cappella Cornaro, dem in unmittel- barer Nahe des Hochaltars auf der Evangelienseite gelegenen prominentesten und bestausgestatteten der damaligen Seitenaltare, genau diese Rolle eines Kommunionaltars >extra missam?< zugedacht war. Die Gestalt des bronzenen Abendmahlreliefs paf3t gut zum Ritus der >Kommunionspende aufierhalb der Mefifeier<<, der nach der Entnahme der konse- krierten Hostien aus dem Hochaltartabernakel und ihrer Ubertragung auf den Kommunionaltar eine kurze Exposition des Speisekelchs auf dessen Mensa mit Adoration, dann die Spendung der Kommunion und danach eine neuerliche Exposi- tion mit Adoration und Segen umfafit. Durch sein Material als Bestandteil des - metallenen - Altarge- rats gekennzeichnet, der Mensa fest verbunden, kleinfigurig, nahsichtig und in Augenh6he des knieenden Kommunikanten angebracht, bildet das

Antependium fur diesen wie fur den auf der unter- sten Altarstufe knieenden Priester gleichsam den anschaulichen Sockel des zur Adoration vor und nach dem Kommunionempfang ausgesetzten me- tallenen Speisekelchs. Offenbar ist sein funktiona- ler Sinn der eines eucharistischen Andachtsmittels fur den Ritus der >communio extra missam<<. Mit der Beobachtung, dafi der Kardinal Cornaro

einen prachtvoll ausgestatteten Kommunionaltar >extra missam< zur Verfiigung stellt, der seine

40 M. Righetti, Manuale di storia liturgica III, Mailand I956, 5o5ff.

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Page 25: Capella Cornaro

Grab- und Familienkapelle fest in den taglichen li-

turgischen Funktionszusammenhang der Ordens- kirche einbindet und insofern in erh6htem Maf3e der Fiirbitte fur ihn dient, diirfte nicht allein ein

wichtiger pastoraler wie pers6nlicher Aspekt der

Stiftung beriihrt sein. M6glicherweise enthiillt sich hier auch ein zeitgeschichtlicher Bezug:

1643 hatte der >zweite Begriinder des Jansenis- mus<, Antoine Arnauld, in Paris unter dem Titel >De la frequente communion, ou les sentiments des Peres, des Papes et des Conciles, touchant l'u-

sage des sacrements de Penitence et d'Euchari- stie...<< sein erstes gr6oferes Werk ver6ffentlicht, dem eine ungeheure Wirkung beschieden war41. Sein Anliegen war die Bekimpfung der vor allem von den Reformorden propagierten haufigeren Kommunion. Indem Arnauld die spezifisch janse- nistische These vertrat, dafi zum wiirdigen Kom-

munionempfang die v6llige Reinheit der Seele von

jeder Anhinglichkeit auch an lai3liche Siinden - >amor Dei purissimus? - notig sei, traf er einen der

Kernpunkte der nachtridentinischen Sakraments-

praxis. Das Werk, das starken Riickhalt im franzo- sischen Episkopat fand, provozierte sofort eine Reihe von Gegenschriften, auf die Arnauld bereits im Mai 1644 mit einem umfangreichen Werk >De la penitence publique et de la preparation a la com- munion< antwortete. In Rom beschaftigte man sich so wie mit den durch den Jansenismus aufge-

worfenen Problemen auch mit Arnaulds Position zur Kommunion verhiltnismai3ig rasch, vermied

jedoch aus einer Reihe von Riicksichten und Er-

fahrungen die lehramtliche Entscheidung bis zum

Jahr I679. In jedem Fall sind gerade die Entste-

hungsjahre der Cappella Cornaro durch vielfaltige Versuche der jansenistischen Seite, die Kontro- verse in Rom auf verschiedenen Ebenen zu betrei-

ben, gekennzeichnet. Insofern wire es eine Frage wert, ob die von Cornaro, dem Mitglied der Kar-

dinalskongregation >De propaganda fide?, in so

aufwendiger und wirkungsvoller Form ins Werk

gesetzte Ausstattung des Kommunionaltars der Karmeliterkirche in der Nahe der pipstlichen Re- sidenz auf dem Quirinal in nur zufilligem zeitli- chen Zusammenhang mit Arnaulds Angriff auf die

Richtigkeit der kirchlichen Sakramentsverwaltung steht. Fur die Deutung des Altars - er mag nun eine an-

tijansenistische Komponente enthalten oder nicht - diirfte aus alledem zumindest folgen, daf die bei- den Funktionen: Altar fur die grofge Ordensheilige und zugleich Kommunionaltar >extra missam< zu

sein, an ihm getrennt sind. Scharf setzt sich das in seinem Geritcharakter als Antependium betonte

kleinfigurige Bronzerelief von der iibrigen Bilder- welt der Kapelle ab. Nicht alles in der Kapelle hangt mit allem zusammen.

VI.

Wie ist aber dann die Elevation der Heiligen iiber dem Altar zu verstehen? Lavin selbst bietet dafiir die Erklarung. In der Fiille neuer Einsichten, die sein Buch teils bietet, teils eroffnet, scheint mir eine der wichtigsten, wenn nicht iiberhaupt die entscheidende die zu sein, dafi Berninis Kapelle kein Werk der bildenden Kunst allein ist. Uber ihr schwebt deutlich erkennbar, wenn auch durch die

spiter angebrachten Fresken der Pendentifs in sei- ner Wirkung beeintrachtigt, ein Spruchband (Abb. 6) mit der bemerkenswerten Inschrift: ?>Hatte ich den Himmel nicht geschaffen, allein um Deinet- willen wiirde ich ihn erschaffen< - >Nisi coelum creassem, ob te solam crearem.<< Sprachliche Form

wie Anbringungsort weisen den Spruch als Motto aus. Die gesamte von ihm iiberschriebene Kapelle riickt durch ihn in eine andere Rolle. Eine Bild-

Wort-Verbindung also! Dafi jedoch das Verhaltnis der beiden Elemente nicht das einer einfachen Si-

gnifikation ist, sondern dafi zwischen dem Spruch und der Bildlichkeit der Kapelle eine ungleich komplexere und kompliziertere Korrelation ange- nommen werden mui, zeigt Lavins Untersuchung zur Herkunft des ersteren sehr deutlich: Der

41 L. v. Pastor, Geschichte der Pipste XIII, 2, Freiburg I929, 68iff.; XIV, i, Freiburg I929, I7off.; F. X. Sep- pelt, Geschichte der Papste V, Miinchen I959, 3 4ff.

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Page 26: Capella Cornaro

6. Cappella Cornaro, S. Maria della Vittoria, GewS bedekoration 6. Cappella Cornaro, S. Maria della Vittoria, Gewolbedekoration

Spruch ist falsch. Er geh6rt nicht zur Transverbe- ration, sondern entstammt einer ganz anderen Vi- sion der Heiligen, in der Christus ihr erscheint und ihn ausspricht. Eine Bild-Wort-Verbindung be- sonderer Art also! Es scheint, dafi die Cappella Cornaro jener Gattung bildlich-literaren Aus- drucks monumentalen Ausmag3es angehort, die in

Beziehung zur zeitgen6ssischen Impresen- und Emblemkunst steht, ohne dafg eine zutreffende

Gattungsbezeichnung fur sie schon gefunden ware, geschweige denn Aussagen fiber ihren Um-

fang oder ihre Entwicklung gemacht werden konnten. So wenig erfolgversprechend die aus- ufernde Verwendung des Emblembegriffs sein

mag, so diirfte man doch nicht ganz fehlgehen, wenn man die hier sichtbar werdende Technik

spannungsvoller Korrelation von Bild und Wort zu einer neuen synthetisierenden Aussage als

?emblem-< oder ?impresenverwandt< bezeichnet. Denn wie in diesen ist auch hier der Wortbestand- teil ohne sichtbare Angabe seiner Herkunft aus seinem urspriinglichen Erzihlungs- und Sinnzu-

sammenhang, der Christusvision der Heiligen, ge- l6st und eben durch diese Isolierung fir neue Si-

gnifikationen offen. Indem er, wie in Emblem und

Imprese zum Motto geworden, >willkirlich< dem >falschen< Bild der Transverberation hinzugefiigt wird, soil aus der ingeni6sen Verbindung des ur-

spriinglich Getrennten und Entfernten der dritte, neue und uberraschende Sinn herbeigezwungen werden, den Wort und Bild fuir sich genommen nicht haben. Eine heute im allgemeinen wohl kaum mehr iden-

tifizierte Gattung, deren rezeptionsgeschichtliches Schicksal mit dem Ende des literarischen Konzep- tismus, spitestens aber mit dem Ende der >Ut-pic-

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Page 27: Capella Cornaro

tura-poesis<(-Konvention besiegelt gewesen sein diirfte! Bedeutende und ausgedehnte Werkkom-

plexe der r6mischen kirchlichen Kunst wie der

Kuppelraum von St. Peter oder die Engelsbriicke geh6ren ihr an. Ihren rezeptionsgeschichtlichen Mifierfolg teilt die Cappella Cornaro in auffallen- der Weise. Denn Burckhardts Bemerkung, dafl man hier angesichts der >emporenden Degrada- tion des Obernatiirlichen? gleich ?alle blofien Stil-

fragen? vergaile, hat in der Wissenschaft ja eine un- erwartete Erfiillung gefunden. Kritiker wie Be- wunderer, Ikonoklasten wie Ikonodulen, haben sich vor dem Werk in der Annahme, die Aussage ersch6pfe sich im einfachen qui pro quo des Bildes allein, die verhiltnismaifig einfache Beobachtung versagt, dafi dieses einen Wortbestandteil hat, der in einem wie immer gearteten funktionalen Bezug zu seiner Bildlichkeit stehen mui3. Ausgeschlossen blieb damit die naheliegende Vermutung, es konnte die das >Decorum< so nachdriicklich ver- letzende Verbildlichung erotischer ?passio? Be- standteil einer komplexeren, namlich bildlich - li- terdren Aussage und insofern von viel geringerem Eigengewicht sein, als es zunachst - nimmt man den bildlichen Teil fur das Ganze - den Anschein hat. Ausgeschlossen blieb die Vermutung, dafi hier die Auslegungsbediirftigkeit des Bildes selbst the- matisiert und der pointierten Unangemessenheit des visuellen Ausdrucks die deutend verandernde Kraft des Wortes kompensierend entgegengesetzt sein k6nnte. Ausgeschlossen blieb die historisch nicht eben fernliegende Einsicht, dafi hier die Rolle des Bildes eine andere ist als hundertfiinfzig Jahre vorher. Es bleibt insofern eine zwiespaltige Beob-

achtung, dafi man gerade angesichts eines Werkes, das wegen seines vermeintlichen Symptomcharak- ters gerne fur kulturgeschichtliche und andere Konstrukte herangezogen wurde, vielfach in einer - wahrhaft ahistorisch - auf die >reine Anschau-

ung< fixierten Rezeptionshaltung verharrte, die - verwunderlich oder nicht - zumindest im wir-

kungsasthetischen Kalkiil seiner Planer um I65o eigentlich den Latein- und Schriftunkundigen un- ter seinen Betrachtern vorbehalten gewesen ist. Wie nimmt sich Berninis schwieriges Meister-

werk aus, wenn man es als monumentale Bild-

Wort-Synthese betrachtet, was seit der Bestim-

mung seines Wortbestandteils durch Lavin m6g- lich sein sollte? An dem Satz: >Wenn ich den Himmel nicht ge-

schaffen hatte, allein um Deinetwillen wiirde ich ihn schaffen< kann fiir den lateinkundigen Leser kein Zweifel iiber das Subjekt sein: Gott selbst

spricht hier. In der Tat erscheint unmittelbar ne- ben dem Spruchband im Fresko die dritte g6ttliche Person in Gestalt der Taube. Bereits hier wire die Technik synthetisierenden Ausdrucks zu studie- ren: durch die Verschrankung von Wort und Bild wird jener dritte gemeinsame Sinn hervorgebracht, den die beiden Bestandteile fur sich genommen nicht haben, hervorgebracht vom lesenden Be- trachter, der zu eigenen komplementierenden Auslegungsleistungen angeregt wird. Denn die

zweimalige Betonung des Verbs >...creassem... crearem... neben dem Bild der Taube stimuliert ihn dazu, das verbindende Dritte zu suchen. Er findet es in dem ihm gelaufigen Sprachbild vom >>creator spiritus<. Miihelos vollzieht er die Ausle-

gung, dafi es der Heilige Geist sein mufg, der hier vom >Erschaffen des Himmels? spricht. Oder an- ders, von der Seite des Erfinders der Wort-Bild-

Verbindung her gesprochen: Nur weil der Heilige Geist der >creator spiritus< ist, konnte ihm das

zweimalige >creare< und konnte ihm der gesamte Spruch iiberzeugend in den Mund gelegt werden; konnte es iiberhaupt zu der bildlich-literaren Fik- tion kommen, dafi er jene Worte zur Transverbe- ration spricht, die in Wahrheit die Worte Christi aus einer anderen Vision, ?falsche Worte< also, sind. Auch iiber den Adressaten, das Objekt des Sat-

zes, kann kein Zweifel sein. Mit dem emphatischen >Ob te solam...< - >Um Deinetwillen allein...< spricht der Geist Gottes die Heilige an, die ihm im Bild ihrer Herzverwundung entgegenzuschweben scheint. Seine Anrede ist also der sprachlich-kon- zeptuelle Kern einer anschaulichen Beziehung. Mit bildlichen wie mit literaren Mitteln sind Dek- kenfresko und Altarskulptur zur Fiktion einer ein- zigen Handlung zusammengebunden. Literarisch gesehen ist der Satz: >Wenn ich den

Himmel nicht geschaffen hatte, allein um Deinet-

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willen wiirde ich ihn schaffen? nichts anderes als eine >agudeza< der Heiligen Theresia selbst. In provozierend alogischer, in kaum iiberbietbarer, das Absurde streifender Form driickt er ihre Er- wahltheit durch Gott aus. Auch derjenige Leser, dem die prazise Herkunft aus einer der Brautmy- stik zuzuzahlenden Vision nicht bekannt ist, er- kennt allein an seiner emphatischen Gestalt etwas wie die Liebeserklarung Gottes an sein Gesch6pf. Das Bild der Taube bestatigt ihm seine Auslegung. Denn gerade bei ihrem Anblick zu Haupten der mit den Notationen und Konnotationen der Liebe beladenen Gruppe der Herzverwundung durch- schaut er plotzlich aus seinem religiosen Grund- wissen, dafi die hier gezeigte dritte gottliche Per- son ja der >Geist der Liebe? ist. Kurzum, er unter- liegt einer umfassenden Rezeptionslenkung, die ihn dahin fiihrt, in der fur Wort-Bild-Synthesen charakteristischen Technik der Bedeutungsverla- gerung und des Bedeutungszuwachses Wortbilder wie >Liebe des Heiligen Geistes<, folglich: >gei- stige Liebe? zu assoziieren. In des Wortes wahr- ster Bedeutung, d.h. im Wortlichnehmen einer Metapher ist fur ihn die vielberufene >kiihne Ero- tik< der Marmorgruppe >vergeistigt?. Dies umso leichter, als ja allein schon der anschauliche Be- stand der Liebesszene unter dem so deutlich mar- kierten Fresko des Himmels seine Auslegungslei- stung unausweichlich in einen der Gemeinplatze der italienischen Bildung und Halbbildung der friihen Neuzeit miinden lai3t, dessen literarische Manifestationen allein Legion sind: den der himm- lischen und irdischen Liebe! Kaum diirfte dem Be- trachter dabei bewufit werden, dafi die so beredt suggerierte Deutung der Heiligen als >Braut des Heiligen Geistes? eine Fiktion und von dem ge- schichtlichen Ereignis der Transverberation, wie es in der beriihmten Schilderung Theresias iiberlie- fert ist, nicht eigentlich gedeckt ist. Dort ist vom Heiligen Geist nicht die Rede. Kaum auch diirfte ihm bewuft werden, wie explizit hier die dem Thema nicht selten verkniipfte Braut-Christus- Relation mit Christus als dem sichtbaren Veranlas- ser der Herzverwundung ausgeschlossen ist. Man hat jedoch den Sinn der Kapelle nicht ver-

standen, hat man nicht das in ihr begrifflich-bild-

lich entfaltete Wortspiel vom >zweifachen Him- mel< verstanden. Der Satz >Nisi coelum creassem... ist ein irrea-

ler Bedingungssatz. D. h.: Der Sprechende nimmt die Bedingung und die Folgerung als nicht wirk- lich an. Ja mehr noch: die emphatische Aussage vom Himmel, der, ware er nicht schon geschaffen, fur die Heilige allein geschaffen wiirde, ist beson- ders irreal. Sie laRit zwischen Annahme und Wirk- lichkeit einen bewufit hervorgekehrten pointierten Widerspruch erkennen, der nach Auflosung, wenn nicht nach einer gewissen Einlosung in der Realitit

verlangt. Angesichts des im Deckenbild ?schon

geschaffenen< Himmels wird der Leser durch den auf Einlosung drangenden Irrealis des Satzes dazu stimuliert, den >allein fur Theresia? geschaffenen Himmel zu suchen. Er findet ihn, wenn er im- stande und bereit ist, das verheifiene >coelum< des

Spruchs nicht allein wortlich, sondern auch im

iibertragenen Sinn zu verstehen. Erst bei metapho- rischem Lesen des Begriffs enthiillt sich ihm im Blick auf die Marmorgruppe plotzlich der iiberra- schend neue und alles erklarende Sinn, dafi ja die sichtbare mystische Herzverwundung der Heili-

gen gleichsam der ?Himmel< sei, den Gott >allein fur sie geschaffen< habe. Ein einziges grofes Wortspiel also ist es, das die Kapelle durchzieht und den Kern ihrer gesamten bildlich-literiren

Aussage bildet: der Doppelsinn vom ?Himmel?, der einmal w6rtlich und einmal metaphorisch, ein- mal als der sichtbare und einmal als der iibertra-

gene Himmel der Herzverwundung erscheint. Unter den Begriffen ?anima< und >corpus< hat

die zeitgen6ssische Impresentheorie das funktio- nale Verhaltnis von Wort und Bild in der gemisch- ten Gattung zu fassen gesucht. Ihr war bewufit, daif beim Vorgang des Synthetisierens beide Be- standteile, Wort wie Bild, ihre urspriingliche se- mantische Qualitat verandern und erst im Zusam- menwirken jenen neuen dritten Sinn produzieren, den sie fur sich genommen nicht haben. So auch hier: Der Spruch ist nicht mehr der urspriingliche Spruch - das Bild nicht mehr das urspriingliche Bild. Denn die Wirklichkeit des Spruchs ist zur

Metapher verfremdet. Die Metapher jedoch ist im Bild zur Wirklichkeit konkretisiert. Weil die

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Herzverwundung gleichsam ihr >Himmel<< ist, ist Theresia auch >wirklich< zum Himmel erhoben. Ihr Schweben auf Wolken ist eine real gesetzte Me-

tapher. Die Marmorgruppe ist also nicht histo- risch-narrativ, sondern metaphorisch. Die durch-

dringende spiritualisierende Kraft und wahrhaft bestimmende Rolle des Wortes wird hier erkenn- bar. Es deutet nicht nur, sondern es verandert das Bild.

Spatestens hier enthiillt sich der wahrhaft synthe- tisierende Charakter des Werks und damit der fir das Verstandnis der Kunst Berninis bedeutsame Umstand: Nicht als nachtragliche Sinngebung ist die Inschrift dem fertigen Bild hinzugefiigt wor- den, sondern sie mufi Bestandteil seiner Entste-

hung gewesen sein, auch wenn nicht erkennbar ist, wann Bernini sie seiner Entwurfsarbeit integrierte. Auf ihren Inhalt hin betrachtet ist die Metaphorik

vom >Himmel der Transverberation? nicht origi- nell. Daf der Zustand visionarer Erhebung gleich- sam eine temporare Aufnahme in den Himmel sei, ist ein Gedanke von hoher Konventionalitat. Leicht konnten, wie Lavin zeigt, Prototypen wie die ekstatische Erhebung Pauli zum dritten Him- mel aus dem religi6sen Vorwissen des Betrachters assoziiert werden. Dafg die Heilige Theresia in der Transverberation bereits den Himmel genossen habe, ist ein zur Entstehungszeit der Kapelle be- reits ausgeformter literarischer Topos. Dies zeigt das theresianische Emblem des Aresi. Unter dem Bild des vom Pfeil getroffenen bitter-siifien Man- delbaums mit dem Lemma >De forti dulcedo< be- nennt die Subscriptio den siifen Schmerz der

Herzverwundung als Himmel auf Erden: >... E se pur sente duol', al suo dolore Una dolcezza inusitata e mista: E tal Teresa, gia nel cor ferita, Quasi godeva un Paradiso in vita"42. Dafg jedoch die Planung der Capella Cornaro un-

mittelbar mit der theresianischen Emblematik zu-

sammenhangt, zeigt eine weitere Entdeckung La- vins. Als 1647, dem Jahr, in dem die Kapelle be-

gonnen wurde, aus der Feder des unbeschuhten Karmeliters Alessio Maria della Passione in Rom die grofe Lebensbeschreibung der Heiligen unter dem Titel >Compendio della vita et atti heroici

della serafica Vergine Santa Teresa...?< erscheint, wird iiber das Titelblatt, ein wahres Kompendium theresianischer Emblematik, das Lavin entschliis- selt, gleichsam als Motto ihres Lebens der Spruch >Caelum nisi creassem...< geschrieben und dem Bild des pfeildurchbohrten Herzens verbunden. Was liegt niher als Lavins Annahme, dafi es dieses Emblem gewesen ist, das vom Kardinal selbst oder einem anderen Mitglied des planenden und bera- tenden Personenkreises - Lavin denkt an den Au- tor selbst - eingebracht und zu einem uns unbe- kannten Zeitpunkt von Bernini in seine Entwurfs- arbeit eingefiigt wurde, sosehr, kann man hinzufii-

gen, dafi es schliefilich zu deren innerem Bestand- teil, ja zum sprachlich-konzeptuellen Kern der ge- samten so glanzend entfalteten bildlich-literaren

Aussage der Kapelle wurde. Nicht die literarische

Metapher fir sich genommen ist originell. Origi- nell ist ihre wahrhaft spektakulare Umsetzung in ein die Gattungen in souveriner Willkiir ingeni6s verflechtendes Kunstwerk.

Wer hat dies alles verstanden? Der Spruch ist la- teinisch. Historisch nicht eben iiberraschend, aber doch iiberlegenswert, dafi allein daraus die Tatsa- che einer sozial differenzierten Wahrnehmungs- lenkung durch die Schrift folgt, wir also dem be- kannten Phanomen bedingter Hermetik, d. h. be- wuft ins Werk gesetzter gestufter Enthiillung oder

Verhiillung der Aussage gegenuberstehen. In der Tat lassen sich, sehr grob gesprochen, mindestens drei Arten verstehender Rezeption und mit ihnen drei - natiirlich nicht empirisch, sondern nur ide-

altypisch - zu unterscheidende Gruppen von Adressaten erschliefien: Zum einen die grofie und

mangels empirischer Daten kaum zu differenzie- rende Gruppe der Latein- und Schriftunkundigen, die - auf welchem Niveau allgemeiner wie religio- ser Bildung und in welcher pastoralen Vermittlung immer - allein auf die bildliche Aussage der Ka-

pelle verwiesen sind. Ihnen steht - in idealtypisch scharfer Trennung - jene Gruppe Lateinkundiger gegeniiber, die nicht allein den Satz lesend verste-

42 Paolo Aresi, Imprese Sacre V, Venedig I629, 542: Man- dorlo, Impresa XXXXVIII. Per la S. Madre Teresa di Giesu.

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Page 30: Capella Cornaro

hen, sondern die auf Grund ihrer Bildung und Re-

zeptionsgewohnheiten auch im Bild den Begriff, ja den mehrfachen Sinn erwarten, deren Erwartung von der Erfahrung der Wort-Bild-Kombination in Emblematik und Impresenkunst gepragt ist, und die deshalb den im Werk angelegten Rezeptions- lenkungen folgen k6nnen. Es sind dies jene >spiriti mediocri?, die schon Sforza Pallavicino als das Pu- blikum der Embleme, der >arguzie< und >con- cetti< seiner Epoche benennt. Eine dritte Gruppe schlief3lich, gleichbedeutend

mit dem gebildeten Kleriker, ist mit der Tradition und Geschichte des Karmeliterordens und seiner durch die Heilige Theresia bewirkten Spaltung vertraut. Ihr nur erschlieftt sich ein zusatzlicher verschliisselter Sinn. Denn ihr nur ist bekannt, dafi die die Erwihltheit der Heiligen ausdriickenden Worte eine unverkennbare textologische Anspie- lung enthalten. Nur der geistlich Gebildete weii - und wir wissen es durch Lavins souverine Kennt- nisse - dafg sie jenem Vorbild des Alten Bundes

nachgebildet sind, das in allerengster Beziehung zu den Karmelitern steht, dem Propheten Elias, dem >Fiihrer und Vater<, ja legendaren Griinder des >Ordo Elianus<. Als Gott ihn, >weil er fiir das Ge-

setz eiferte<, vor dem Tod bewahrt und lebend im

Feuerwagen in den Himmel emporgehoben hatte, beklagt in der jiidischen Haggadah Satan sich und erhalt von Gott die Antwort, er habe den Himmel dazu geschaffen, um Elias dorthin emporsteigen zu lassen. Wer die Assonanz der beiden Sitze er- kennt, so kann man fortfahren, erkennt im Spruch wie im Bild pl6tzlich den iiberraschenden und kiihnen allusiven >concetto<: Wie der >erste Or-

densgriinder< Elias zum Himmel entriickt wurde, so ist die >zweite Ordensgriinderin< im Bild zum Himmel entriickt. Er nur ist imstande, die begriff- lich-anschauliche Analogie zwischen dem unter Feuer zum Himmel erhobenen Propheten und der im Bild der Kapelle feurig im Erlebnis g6ttlicher Liebe temporir zum Himmel erhobenen Theresia zu vollziehen und die beiden >wegen ihres Geset- zeseifers< entriickten Griinder des Ordens als ein Paar zu begreifen und zu akzeptieren. Zu akzeptieren: Die bemerkenswerte Pritention

einer Analogie zwischen jenem unter den Prophe-

ten des Alten Bundes, der der lebenden Aufnahme in den Himmel gewiirdigt worden war, und der eben erst kanonisierten Begrunderin des Reform-

zweigs der Karmeliter, einer Frau, macht es ver- standlich, dafi diese Analogie nicht direkt, sondern nur allusiv behauptet wird. Immerhin mui sie aber nicht allein den Ordensangeh6rigen, sondern dem

geistlich Gebildeten uberhaupt verstandlich gewe- sen sein, jenem Gebildeten, der im Rom des Sei- cento einer verhiltnismai3ig grofgen fiihrenden Schicht angehort und den man als den eigentlichen Adressaten der Kapelle und der in ihr gezeigten Argumente ansehen kann.

Spatestens auf dieser Ebene der Rezeption, in der das Wort des Spruchbands allein gegen den gesam- ten anschaulichen Bestand der Kapelle steht, wird diese selbst als Ganze zur Metapher. Denn im Bild der feurig zum Himmel erhobenen Heiligen kann der verstehende Betrachter gleichsam ein Bild des

feurig zum Himmel entriickten Elias sehen. Es

liegt nahe, hier an die Worte Emanuele Tesauros, des zeitgen6ssischen Theoretikers der Metapher, zu denken: >Wie in einem Fernrohr... und gleich- sam auf wunderbare Weise laigt dich die Metapher das eine im anderen sehen... <. Rasch bezeichne sie ein Objekt vermittels eines anderen. Und umso

gr6fier sei das asthetische Vergniigen, je mehr es der Metapher gelinge, das m6glichst weit Ent- fernte zusammenzubringen43. Was hier sichtbar werden diirfte, ist der Zusammenhang mit einem

gr6oferen Prozefi, den die zeitgen6ssischen Theo- retiker bei ihren Versuchen der Neubestimmung der Metapher nach der Kontroverse iiber Giam- battista Marino bereits rechtfertigend beschrei- ben: die gesteigerte Tendenz der Metapher zur

Verselbstandigung bis hin zur Konstituierung ei- ner autonomen Ebene metaphorischer Wahrheit, die nur mehr in lockerem Zusammenhang mit der Realitat steht. Die Cappella Cornaro hat an diesem Prozefi teil. Denn nicht nur ist in ihr der realen Transverberation der Heiligen Theresia die Meta-

pher vom >Himmel< der Herzverwundung aufer-

legt; eindrucksvollstes Indiz der verselbstandigten

43 S. o. Anm. 38, sowie E. Donato, Tesauro's Poetics: Through the Looking Glass, Modern Language Notes 78 (I963), I5ff.

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Page 31: Capella Cornaro

Rolle der Metapher und der in ihr manifesten

Emanzipation des ingeniosen Verm6gens des Kiinstlers ist es wohl, wenn durch die Verkniip- fung mit dem Eliasthema die neue nur mehr meta-

phorische Wahrheit suggeriert wird, das Darge- stellte sei gleichsam die Entruckung des Elias, The- resia selbst sei gleichsam Elias, das gesamte The- resenthema und mit ihm die gesamte Kapelle sei die Metapher eines anderen. In einem Epilog >Ber- nini und das Theater?, einem der erhellendsten Abschnitte seines Buchs, deutet Lavin die gesamte Kapelle als Metapher der gottlichen Schopfung und schlagt die Briicke zur Auffassung vom Kiinstler als >alter Deus<, eine Berninis Selbstver- stindnis beriihrende Interpretation, der von dem eben angedeuteten Prozef einer neuen Betonung des Ingeniums sowie sich steigernder Emanzipa- tion des ingeniosen Verm6gens her historische Be-

stitigung zuwachsen konnte. Was folgt aus alledem fur die Beurteilung des La-

vinschen Buches und der in ihm manifesten gewal- tigen wissenschaftlichen Leistung, die hier nur ge- streift werden konnte? Die These von der >unity of the visual arts?, die in so konsequenter und ein- drucksvoller Weise der Deutung der Cappella Cornaro und der auf sie zufiihrenden Entwicklung zugrundegelegt ist, la3ft sich erweitern: Berninis

Hauptwerk ist nicht zuletzt eine Bild-Wort-Syn- these, und Lavins Betonung seiner >overall unity<, die nicht allein eine visuelle, sondern eine konzep- tuelle sei, gewinnt noch an historischem Kontur, wenn man es als ein Hauptwerk des >concettismo<< zu bestimmen versucht. Mit dieser Identifikation konnte Wesentlicheres beruhrt sein: die Frage nach dem kiinstlerischen Rang. Lavin stellt sie - es ist seine Hauptfrage - bereits am Eingang seines Buches: Was ist es, das einen z6gern liait oder - nach seinem glinzenden Pladoyer - zumindest zo-

gern lieg, Berninis allzu beredtes Meisterwerk in einer Reihe mit der Arenakapelle, der Brancacci-

kapelle oder gar der sixtinischen Kapelle zu sehen? Sollte es, so k6nnte man fragen, mehr und anderes sein als der innere Vorbehalt gegeniiber einer stili- stischen Besonderheit: seinem die Identitit von >res< und >verba< so offensichtlich aufhebenden

ingeni6s-arguten Ausdruck? Unbehagen ange- sichts seiner pointierten Scheinhaftigkeit? Ver-

birgt sich also in der in Kritik wie Zustimmung so

problematischen Beurteilungsgeschichte zugleich auch das Problem einer Wahrheitsisthetik, die ei- nem besonders deutlichen und besonders glanzen- den Fall kiinstlerischer Fiktionalitit konstant das Falsche abfordert? Eine in der Tat ?vergessene bloi3e Stilfrage??

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