Bulletin Nr. 59 August 2010 BevÖlkerung der ... · 2 Bulletin Nr. 59 August 2010 ist der Fall! Man...

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sich stabilisierende Geburtenrate von et- was über 1,5 Kinder pro Frau und ein An- stieg der Lebenserwartung um etwa sechs Jahre. Möglicherweise sogar mehr als 11 Millionen Rechnet man mit einer stärkeren Einwan- derung, mit mehr Geburten und einer weiter steigenden Lebenserwartung, könnte die Bevölkerungszahl laut einem hohen Szenario bis 2060 sogar auf 11,3 Millionen anwachsen. Geht dagegen die Einwanderung zurück, wird ein Sterbe- überschuss ab 2019 dazu führen, dass die Bevölkerungszahl abnimmt und - ge- mäss tiefem Szenario - bis 2060 auf 6,8 Millionen Einwohner fällt. Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren wird sich laut BFS das Bevölke- rungswachstum verlangsamen. Lag es bisher bei jährlich 0,7 bis 0,8 Prozent, wird es bis in 50 Jahren im Durchschnitt noch bei jährlich 0,3 Prozent liegen. Bevölkerung wird älter... In den nächsten Jahrzehnten rechnet das Das Bundesamt für Statistik schätzt, dass die Einwohnerzahl bis in 50 Jah- ren von heute 7,8 Millionen auf 9 Milli- onen steigen wird. Der Anteil der Be- völkerung ab 65 Jahren wird sich massiv erhöhen von 17 Prozent auf über 28 Prozent im Jahr 2060. Entwicklung der ständigen Wohnbe- völkerung auf 9 Millionen Einwohner Das Wachstum auf 9 Millionen Einwohner im Jahr 2060 in der Schweiz ist das wahr- scheinlichste und damit das Referenzsze- nario, wie das Bundesamt für Statistik (BFS) in seinen «Szenarien der Bevölke- rungsentwicklung der Schweiz 2010- 2060» festhält. Die Entwicklung wird hauptsächlich auf die Zuwanderung zu- rückgeführt. Denn ab 2032 wird die Zahl der Todesfälle in der Schweiz jene der Geburten übersteigen, wie Raymond Kohli von der BFS-Sektion Demografie und Migration erklärte. Das mittlere Referenzszenario geht von einer Zuwanderung in der Grössenord- nung der Durchschnittswerte der letzten fünf Jahrzehnte aus. Hinzu kommen eine VEREINIGUNG UMWELT UND BEVÖLKERUNG ASSOCIATION ECOLOGIE ET POPULATION Bulletin Nr. 59 August 2010 www.ecopop.ch Abdruck mit Quellenangabe erwünscht BEVÖLKERUNG DER SCHWEIZ WÄCHST UND WÄCHST Obige sda-Meldung erschien anfangs Juli in allen Medien – praktisch ohne redaktio- nelle Kommentare. Einzig in den Leserbriefen der Print- und elektronischen Medien erfolgte umgehend eine Flut von Stellungnahmen – weitgehend in dem Sinne, dass es so nicht weiter gehen dürfe. Nachstehende drei Stellungnahmen sprechen für sich: Baufieber grassiert Das grassierende Baufieber ist eine Plage. Baulöwen, Immobilienhaie, Investoren und Spekulanten regieren zur Stunde. «Wer jetzt kein Haus baut, baut sich keines mehr», könnte die Devise nach einem leicht abgewandelten Rilke-Vers lauten. Wohin man schaut, wird gebaut. Noch 15 Jahre soll nach neusten Prognosen der Boom dauern. Und dann? Wer die exzessive Bauerei für volkswirtschaftlich unverzichtbar erklärt und an Bevölkerungswachstum und Zuwanderung koppelt, gerät in einen Teufelskreis. Unser Land ist klein und der Platz knapp. Wachstum bringt nicht nur Vorteile. Wohlstand kann unversehens in Unwohlstand umschlagen. Walter Artho, Schlieren (ZH), Leserbrief in «NZZ am Sonntag», 8. August 2010 Attraktivität der Schweiz für Erwerbstätige unterschätzt Neueste Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung bis 2060 @ Hans Meier. Sie schreiben: «Der freie Personenverkehr ist ein wichtiger Pfeiler einer Marktwirtschaft». Na da frage ich mich doch, warum kein Staat auf der Welt, der nicht einer politischen Union angehört, eine Personenfreizügigkeit kennt! Weder die USA, noch Korea, Japan, Indien, Kanada und alle anderen. Kein souveräner Staat ausserhalb einer Union gibt sein Einwanderungsmonopol auf. Das Gegenteil BFS mit einer markanten Alterung der Bevölkerung. Der Anteil der Personen über 65 Jahre an der Gesamtbevölke- rung wird sich gemäss mittlerem Szena- rio bis 2060 von heute 17 auf 28 Prozent - oder von 1,3 auf 2,5 Millionen - erhö- hen. Die Zahl der Erwerbstätigen wird von 4,5 Millionen Ende 2009 auf 4,7 Millionen im Jahr 2021 ansteigen und danach bis En- de 2060 auf 4,6 Millionen zurückgehen. Kommen heute auf 100 Erwerbstätige im Alter von 20 bis 64 Jahren 32 Personen im Rentenalter, so dürften es in 50 Jahren 61 und damit fast doppelt so viele Rent- ner pro 100 Erwerbstätige sein. Das wird auch Folgen für die Finanzierung der Al- tersvorsorge haben. ...und gebildeter Gleichzeitig wird das Bildungsniveau in der Schweiz deutlich ansteigen. Haben heute 35 Prozent der 25- bis 64-Jährigen einen Hochschulabschluss oder eine hö- here Berufsbildung, so werden es ab 2045 deren 60 Prozent sein. Frühere Prognosen waren viel tiefer 1994 ging man noch davon aus, dass die Bevölkerung der Schweiz (da- mals sieben Millionen) in den nächs- ten 40 Jahren nicht über acht Millio- nen Menschen anwachsen werde. Bis 2020 werde die Bevölkerungs- zahl auf 7,1 bis 7,7 Millionen steigen und danach wieder zurückgehen, lauteten die Schätzungen. Tatsächlich überschritt die Bevölke- rungszahl der Schweiz aber schon 2008 die 7,7 Millionen-Grenze. Grund für die deutlich tieferen Schätzungen war die Zuwanderung, die in den 1990er Jahren noch weit geringer war als heute, wie Raymond Kohli vom BFS festhielt. Die starke Zuwan- derung der letzten zehn Jahre, be- sonders seit der Personenfreizügig- keit ab 2002, führte zu einer grundle- genden Revision der Vorhersagen. (Quelle: sda, BFS)

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sich stabilisierende Geburtenrate von et-was über 1,5 Kinder pro Frau und ein An-stieg der Lebenserwartung um etwa sechs Jahre.

Möglicherweise sogar mehr als 11 Millionen Rechnet man mit einer stärkeren Einwan-derung, mit mehr Geburten und einer weiter steigenden Lebenserwartung, könnte die Bevölkerungszahl laut einem hohen Szenario bis 2060 sogar auf 11,3 Millionen anwachsen. Geht dagegen die Einwanderung zurück, wird ein Sterbe-überschuss ab 2019 dazu führen, dass die Bevölkerungszahl abnimmt und - ge-mäss tiefem Szenario - bis 2060 auf 6,8 Millionen Einwohner fällt. Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren wird sich laut BFS das Bevölke-rungswachstum verlangsamen. Lag es bisher bei jährlich 0,7 bis 0,8 Prozent, wird es bis in 50 Jahren im Durchschnitt noch bei jährlich 0,3 Prozent liegen.

Bevölkerung wird älter... In den nächsten Jahrzehnten rechnet das

Das Bundesamt für Statistik schätzt, dass die Einwohnerzahl bis in 50 Jah-ren von heute 7,8 Millionen auf 9 Milli-onen steigen wird. Der Anteil der Be-völkerung ab 65 Jahren wird sich massiv erhöhen von 17 Prozent auf über 28 Prozent im Jahr 2060.

Entwicklung der ständigen Wohnbe-völkerung auf 9 Millionen Einwohner Das Wachstum auf 9 Millionen Einwohner im Jahr 2060 in der Schweiz ist das wahr-scheinlichste und damit das Referenzsze-nario, wie das Bundesamt für Statistik (BFS) in seinen «Szenarien der Bevölke-rungsentwicklung der Schweiz 2010-2060» festhält. Die Entwicklung wird hauptsächlich auf die Zuwanderung zu-rückgeführt. Denn ab 2032 wird die Zahl der Todesfälle in der Schweiz jene der Geburten übersteigen, wie Raymond Kohli von der BFS-Sektion Demografie und Migration erklärte. Das mittlere Referenzszenario geht von einer Zuwanderung in der Grössenord-nung der Durchschnittswerte der letzten fünf Jahrzehnte aus. Hinzu kommen eine

VEREINIGUNG UMWELTUND BEVÖLKERUNG

ASSOCIATION ECOLOGIEET POPULATION

Bulletin Nr. 59 August 2010 www.ecopop.ch Abdruck mit Quellenangabe erwünscht

BevÖlkerung der Schweiz wÄchSt und wÄchSt

Obige sda-Meldung erschien anfangs Juli in allen Medien – praktisch ohne redaktio-nelle Kommentare. Einzig in den Leserbriefen der Print- und elektronischen Medien erfolgte umgehend eine Flut von Stellungnahmen – weitgehend in dem Sinne, dass es so nicht weiter gehen dürfe. Nachstehende drei Stellungnahmen sprechen für sich:

Baufieber grassiertDas grassierende Baufieber ist eine Plage. Baulöwen, Immobilienhaie, Investoren und Spekulanten regieren zur Stunde. «Wer jetzt kein Haus baut, baut sich keines mehr», könnte die Devise nach einem leicht abgewandelten Rilke-Vers lauten. Wohin man schaut, wird gebaut. Noch 15 Jahre soll nach neusten Prognosen der Boom dauern. Und dann? Wer die exzessive Bauerei für volkswirtschaftlich unverzichtbar erklärt und an Bevölkerungswachstum und Zuwanderung koppelt, gerät in einen Teufelskreis. Unser Land ist klein und der Platz knapp. Wachstum bringt nicht nur Vorteile. Wohlstand kann unversehens in Unwohlstand umschlagen. Walter Artho, Schlieren (ZH), Leserbrief in «NZZ am Sonntag», 8. August 2010

Attraktivität der Schweiz für Erwerbstätige unterschätztNeueste Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung bis 2060@ Hans Meier. Sie schreiben: «Der freie Personenverkehr ist ein wichtiger Pfeiler einer Marktwirtschaft». Na da frage ich mich doch, warum kein Staat auf der Welt, der nicht einer politischen Union angehört, eine Personenfreizügigkeit kennt! Weder die USA, noch Korea, Japan, Indien, Kanada und alle anderen. Kein souveräner Staat ausserhalb einer Union gibt sein Einwanderungsmonopol auf. Das Gegenteil ➜

BFS mit einer markanten Alterung der Bevölkerung. Der Anteil der Personen über 65 Jahre an der Gesamtbevölke-rung wird sich gemäss mittlerem Szena-rio bis 2060 von heute 17 auf 28 Prozent - oder von 1,3 auf 2,5 Millionen - erhö-hen. Die Zahl der Erwerbstätigen wird von 4,5 Millionen Ende 2009 auf 4,7 Millionen im Jahr 2021 ansteigen und danach bis En-de 2060 auf 4,6 Millionen zurückgehen. Kommen heute auf 100 Erwerbstätige im Alter von 20 bis 64 Jahren 32 Personen im Rentenalter, so dürften es in 50 Jahren 61 und damit fast doppelt so viele Rent-ner pro 100 Erwerbstätige sein. Das wird auch Folgen für die Finanzierung der Al-tersvorsorge haben.

...und gebildeter Gleichzeitig wird das Bildungsniveau in der Schweiz deutlich ansteigen. Haben heute 35 Prozent der 25- bis 64-Jährigen einen Hochschulabschluss oder eine hö-here Berufsbildung, so werden es ab 2045 deren 60 Prozent sein.

Frühere Prognosen waren viel tiefer 1994 ging man noch davon aus, dass die Bevölkerung der Schweiz (da-mals sieben Millionen) in den nächs-ten 40 Jahren nicht über acht Millio-nen Menschen anwachsen werde. Bis 2020 werde die Bevölkerungs-zahl auf 7,1 bis 7,7 Millionen steigen und danach wieder zurückgehen, lauteten die Schätzungen. Tatsächlich überschritt die Bevölke-rungszahl der Schweiz aber schon 2008 die 7,7 Millionen-Grenze. Grund für die deutlich tieferen Schätzungen war die Zuwanderung, die in den 1990er Jahren noch weit geringer war als heute, wie Raymond Kohli vom BFS festhielt. Die starke Zuwan-derung der letzten zehn Jahre, be-sonders seit der Personenfreizügig-keit ab 2002, führte zu einer grundle-genden Revision der Vorhersagen. (Quelle: sda, BFS)

2 Bulletin Nr. 59 August 2010 www.ecopop.ch

ist der Fall! Man wählt aus, stellt Forderungen an die Einwanderer z.B. an ihre Ausbildung, ihre Finanzen, ihre Gesundheit etc. Und die Schweiz ist nicht einfach ein Einwanderungsland wie Sie es schreiben, sondern das Einwanderungsland Nr. 1 der ganzen Welt. Und nochmals: das BIP pro Kopf hat seit der PFZ abgenommen. Der Einzelne ist also unproduktiver geworden und ärmer. Alle an-deren Elemente: Raumplanung, Integration, Infrastruktur, Überbevölkerung, Verkehr etc. blenden Sie ja sowieso aus.Marc Burkhalter, Leser-Kommentar in «NZZ Online». 02. Juli 2010

Umwelt und BevölkerungGeschätzte ECOPOP-MitarbeiterDie soeben erschienene Pressemitteilung des Bundesamtes für Statistik hat mich recht schockiert. Ich (77) lebe immer noch in der Hoffnung, dass ich eine sinkende Schweizer-Bevölkerung miterleben kann. Es sieht so aus als könnte ich diese Hoffnung begraben. Wann endlich erreichen wir einen Wanderungssaldo Null? Warum arbeiten die Behörden und Politiker nicht auf dieses Ziel hin?Ich arbeite sehr viel in der Natur draussen, kartiere für die Vogelwarte Brutgebiete, erstelle Inventarlisten über die Vögel und beob-achte dabei, dass trotz allen Bemühungen noch keine Besserung der Biodiversität vorzuweisen ist.Eine Vergrösserung der Oekoflächen in der Landwirtschaft könnte wohl einiges bringen. Das heisst dann, zusammen mit der weite-ren Überbauung eine schrumpfende Fläche für die Nahrungsproduktion. Das heisst, irgendwo im Ausland muss noch mehr ange-baut werden, was unweigerlich auch einen Verlust an Biodiversität zur Folge hat.Aber solange jährlich weitere, gegen 80 Millionen Menschen auf unseren Planeten drängen, können wir die gross ausgerufene Bio-diversität vergessen.Recht freundliche Grüsse, Karl Moor (per e-mail bei ECOPOP eingegangen im Juli 2010)

Grundannahmen Szenarien Bevölkerungsentwicklung der Schweiz 2010–2060

Demografische Entwicklungen

2008 bis 2060

Durchschnittliche Anzahl Kinderpro Frau: 1,48 – 1,52 Kinder

Lebenserwartung der Männer: 79,7 – 86 Jahre

Lebenserwartung der Frauen: 84,4 – 90 Jahre

Immigration: 184 297 – 120 000 Personen

Emigration: 86 130 – 97 500 Personen

Quelle: Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz 2010–2060, BFS, Neuenburg 2010http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/publikationen.Document.132799.pdf

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zuwanderung lÄSSt Schweizer wirtSchaft wachSen. ABER: DIE ZAhL DER PERSONEN WäChST STäRKER ALS DAS BIP PRO PERSON

© Hanspeter Guggenbühl, Pressebüro Index

Die Bevölkerung in der Schweiz wächst seit zwei Jahrzehnten schnel-ler als der Konsum und das Bruttoin-landprodukt pro Person. Damit un-terscheidet sich unser Land von den meisten andern Industriestaaten.

Die Wirtschaftsleistung in der Schweiz, gemessen am teuerungsbereinigten Bruttoinlandprodukt (BIP real), schrumpf-te im Jahr 2009 um 1,5 Prozent gegen-über dem Vorjahr. Das zeigen die anfangs März 2010 veröffentlichten Daten des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO). Dieser Rückgang war geringer als in den Nachbarstaaten. Die Wohnbevölkerung in der Schweiz hingegen wuchs 2009 um weitere 1,1 Prozent, ermittelte das Bundesamt für Statistik (BFS). Pro Kopf der inländischen Bevölkerung ist das BIP 2009 gegenüber dem Vorjahr also um 2,6 Prozent gesun-ken. Oder umgekehrt interpretiert: Die Zunahme der Bevölkerung, verursacht durch einen kleinen Geburtenüberschuss und eine starke Zuwanderung, hat den Rückgang der Schweizer Wirtschaft ge-bremst. Soviel zum Rezessionsjahr 2009.

Zuwanderung als Wachstumsstütze Aussagekräftiger ist die langfristige Ent-wicklung: Die monetäre Wirtschaftsleis-

tung eines Landes resultiert aus der Be-völkerungszahl sowie dem BIP pro Kopf. In den meisten Industriestaaten wächst die Wirtschaft pro Kopf und mithin der monetäre Wohlstand seit Jahrzehnten stärker als die Bevölkerung. Das galt bis 1990 auch in der Schweiz. Doch seither hat sich der Trend hierzulande gewendet. Das belegen folgende Daten:

Von 1950 bis 1990 wuchs das reale Schweizer Bruttoinlandprodukt insge-samt um 251 Prozent, also auf das Dreieinhalbfache. Dieser Zuwachs re-sultierte aus einer Zunahme der Bevöl-kerung um 43 Prozent und einem An-stieg des BIP pro Kopf um 145 Prozent.

Von 1990 bis 2009 nahm die Einwoh-nerzahl um weitere 15 Prozent zu. Das reale BIP aber wuchs pro Kopf nur noch um 10 Prozent. Der Konsum pro Kopf, die Hauptstütze des BIP, stieg ebenfalls um 10 Prozent. Sowohl in den 1990er-Jahren als auch in der Periode von 2000 bis 2009 überwog das Wachstum der Bevölkerung also die Zunahme des BIP sowie des Konsums pro Kopf. Eine mögliche Erklärung dafür: Der Konsum in der reichen Schweiz war schon 1990 sehr hoch und dürfte sich allmählich der Sättigungsgrenze nähern.

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Bevölkerung als Umweltfaktor Die Schweizer Wirtschaft verdankt ihr Wachstum seit zwei Jahrzehnten also pri-mär der Zuwanderung, während Konsum und BIP pro Kopf seit 1990 weniger stark steigen. Diese Entwicklung ist auch öko-logisch von Belang. Denn der Verbrauch von natürlichen Ressourcen sowie die Umweltbelastung in Form von Landver-brauch, Landschaftsbeeinträchtigung und Treibhausgasen ist eng verknüpft mit dem Wachstum des BIP und des Kon-sums von Gütern und Dienstleistungen. Die meisten Umweltverbände trachten danach, den Ressourcenverbrauch pro Kopf zu vermindern. Dabei lassen sie die Zunahme der Köpfe ausser Acht. Einzig die kleine Organisation ECOPOP thema-tisiert seit Jahren das Bevölkerungs-wachstum als wichtigen Faktor der Um-weltbelastung. Deshalb engagiert sie sich primär für eine Stabilisierung oder Schrumpfung der globalen und nationa-len Bevölkerung. Allerdings unterscheidet sich die Schweiz von der Entwicklung in den meisten an-dern Industrieländern: In den – weniger wohlhabenden – Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien sowie in den USA wuchs das BIP pro Kopf auch nach dem Jahr 1990 stär-ker als die Bevölkerung.

Produktivität stieg trotzdem Der Zuwachs der Bevölkerung ist in der Schweiz seit 1990 die wichtigste Stütze für das Wachstum des BIP insgesamt sowie des Konsums, der rund 70 Prozent zum BIP beiträgt (siehe Hauptartikel). Anders verhält es sich in der Produktion. Das bele-gen folgende Vergleichszahlen: Die Zahl aller Arbeitsstunden stieg in der Schweiz zwischen 1991 (dem Beginn dieser Erhebung) und 2008 um 6,7 Prozent, während das reale BIP im gleichen Zeitraum um insgesamt 29,2 Prozent zunahm. Die Produktivi-tät pro Arbeitsstunde, begünstigt durch Automation, erhöhte sich da-mit um 21,1 Prozent, also stärker als die Bevölkerung und viel stärker als das BIP und der Konsum pro Person. Mit andern Worten: Wir arbeiten heu-te pro Kopf der Bevölkerung zwar weniger lang als 1991, aber produkti-ver und fleissiger, als wir konsumie-ren. hpg.

1950 1960 1970 1980 1990 2000 2009

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Entwicklung der Bevölkerung und des realen Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf in der Schweiz von 1950 bis 2009, alles indexiert: 1990 =100%

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der Wirtschaftskrise verzeichnete die Schweiz im Jahr 2009 aber erneut mehr Einwanderungen als Auswanderungen. Der Geburtenüberschuss hat zum Ge-samtwachstum der ständigen Wohnbe-völkerung in der Schweiz nur zu 21% bei-getragen. Die oben abgebildete Grafik zeigt die mo-natlichen Veränderungen des Wande-rungssaldos im Jahr 2010 auf. Offenbar hat die wieder anziehende Konjunktur in der Schweiz in den Monaten Februar bis Mai wiederum zu einem Ansteigen des Wanderungssaldos geführt. Die nachfolgende Grafik zeigt die Ent-wicklung des Wanderungssaldos der Schweiz zwischen 1991 und 2009 auf, aufgeschlüsselt nach den Herkunftsregi-onen:

Demografisches Wachstum ist auch 2009 hauptsächlich auf Migrationen zurückzuführen Der Zuwachs der ständigen Wohnbevöl-kerung von 81‘200 Personen im Jahr 2009 ist das Resultat von 78‘200 (2008: 76‘700) Geburten und 62‘600 (2008: 61‘200) Todesfällen sowie von einem Wanderungssaldo von +40‘800 Perso-nen bzw. 24‘800 Statusänderungen von Kurz- auf Daueraufenthaltern. Der Wan-derungssaldo beträgt damit insgesamt +65‘500 (2008: +98‘200) Personen, der Geburtenüberschuss 15‘600 (2008: 15‘500) Personen. Das Bevölkerungs-wachstum war somit auch 2009 überwie-gend durch den Wanderungssaldo be-dingt, der zwar wegen der Wirtschaftskri-se um rund einen Drittel zurückging. Trotz

Die Bevölkerungsentwicklung in der Schweiz unterscheidet sich, über ei-nen längeren Zeitraum betrachtet, kaum vom exponentiellen Bevölke-rungswachstum auf der Erde. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die Bevölkerung der Schweiz weit mehr als verdoppelt (+ 133%): von 3,3 Millionen (1900) auf 7,8 Millionen (2009). Seit den 80er Jahren übertrifft der Wanderungszuwachs den Gebur-tenüberschuss deutlich.

Die Bevölkerungsdichte in der Schweiz, berechnet aus Einwohnerzahl (Ende 2009: 7,783 Mio.) und Fläche (41‘000 km²), ergibt jetzt fast 190 Einwohner pro km². Diejenige von Österreich - ein ver-gleichbares Gebirgsland - beträgt 99 Ein-wohner pro km², ist also nur etwas mehr als halb so hoch wie diejenige der Schweiz. Betrachtet man nur das schwei-zerische Mittelland, so ergibt sich nun ei-ne Dichte von 477 Einwohner pro km². Die Schweiz ist damit eines der dichtest bevölkerten Länder nicht nur Europas, sondern der ganzen Welt.Nachstehend finden sich die aktuellen Zahlen vom Bundesamt für Statistik zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz (Geburtenüberschuss, Wanderungssaldo und Bevölkerungswachstum) für das ge-samte Jahr 2009 und zusätzlich die neus-ten Zahlen bis Mai 2010. Wir publizieren regelmässig die neusten offiziellen Daten (Zahlen, Grafiken, Kommentare).

Die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz umfasste am 31.12.2009 7,783 Mio. Menschen. Gegenüber dem Vorjahr entspricht dies einem Bevölkerungszuwachs von rund 81‘200 Personen (+1,1 %; 2008: +1,4 % bzw. 108‘400 Personen). Damit flachte das Bevölkerungswachstum gegenüber dem Rekordjahr 2008 wieder leicht ab, bewegt sich aber weiter auf hohem Ni-veau - in etwa gleich stark wie 2007. Zu-sätzlich leben in der Schweiz rund 48‘000 Menschen mit einer Kurzaufenthaltsbe-willigung von weniger als einem Jahr und rund 40‘300 Personen im Asylprozess. Eine ähnlich hohes Bevölkerungswachs-tum wie 2008 verzeichnete die Schweiz letztmals in den 1960er Jahren: es war nach 1961 das höchste in der demografi-schen Geschichte der Schweiz. In Europa ist die Schweiz somit eines der Länder mit der höchsten Bevölkerungszunahme. Die ständige Wohnbevölkerung nahm zwischen 1991 und 2009 um ziemlich ge-nau 1 Mio. Menschen zu (1991: 6,8 Mio.).

BevÖlkerungSwachStum in der Schweiz

Quelle: Bundesamt für Statistik, Neuchâtel, 28.07.2010: Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung Mai 2010, Monatsbilanz und internationale Wanderungen der ständigen Wohnbevölkerung, S. 11

5 Bulletin Nr. 59 August 2010 www.ecopop.ch

sönliche Freiheit, die er anscheinend nicht antasten will. Man spürt, das The-ma, auf die Schweiz bezogen, bleibt für ihn ein Dilemma, ein Dilemma, dass sich weniger gut erklären lässt als z.B. dasje-nige des Flugverkehrs.Liebe Leserinnen, liebe Leser: kaufen Sie Green Change, diskutieren Sie darüber mit allen, die Ihnen über den Weg laufen, denn: Change happens.Nun muss die Schreibende raus, der Re-gen hat aufgehört und, wie Bastien Girod so schön formuliert: «Im Garten zu arbei-ten ist eine der nachhaltigsten Tätigkei-ten, da damit viel zur eigenen Zufrieden-heit beigetragen wird, ohne künftige Ge-nerationen zu gefährden».

04.08.10 swt

macht» hat Robert Kennedy als Präsi-dentschaftskandidat 1968 gesagt. Auf dieser Haltung baut auch Girod’s Buch auf. Sein Massstab Glück (auf Englisch Happiness = glücklich sein, nicht zu ver-wechseln mit luck = Glück haben, die englische Sprache ist da wie so oft diffe-renzierter) misst das Wohlbefi nden der Menschen. Dass dieses Wohlbefi nden ab einer gewissen Deckung der Grundbe-dürfnisse nicht mehr proportional zum Einkommen resp. materiellen Wohlstand steigt, ist durch Studien bewiesen. Die BewohnerInnen der Schweiz sind in materieller Hinsicht relativ gesättigt, es ist also der «weiche» Teil des Faktors Glück anzustreben. Girod fordert dazu Politiker, Wissenschafter und besonders auch Ökonomen, schlussendlich aber uns alle als Gesellschaft, heraus. Auf der Bil-dungsseite möchte er ein Schulfach «Glück»; seine Parteikollegen im Aargau sind mit einem diesbezüglichen Vorstoss beim Regierungsrat allerdings schon im Januar dieses Jahres abgeblitzt.Bastien Girod, der Praktiker, belässt es nicht bei idealistischen Aufrufen. Er zeigt anhand von Beispielen aus der Geschich-te, wie wir es nicht machen sollten. Und er bringt Vorschläge zur Nachhaltigkeit: auf dem Gebiet der Landwirtschaft, dem Konsum allgemein, dem Bauen und Woh-nen, der Mobilität, der Technik, der zwi-schenmenschlichen Beziehungen. Nichts lässt er aus, auch nicht die Migration. Doch diesmal lehnt er sich nicht mehr ganz so weit aus dem Fenster, die partei-interne Schelte muss noch nachwirken. Er spricht von einer drohenden «Mona-coisierung», fi ndet aber andrerseits die Personenfreizügigkeit eine wichtige per-

Green Change. Strategien zur Glücksmaximierung.Bastien Girod (Nationalrat Grüne), 240 S., Fr. 29.−, Zytglogge-Verlag 2010ISBN 978-3-7296-0804-7

Mit diesem auf die Schweiz zugeschnitte-nen Buch reiht sich Bastien Girod ein in die Reihe illustrer Autoren von Al Gore bis Ja-red Diamond. Autoren, denen es ein ge-meinsames Anliegen ist, dass der Blaue Planet auch für künftige Generationen grün bleibt. Man ist erstaunt und freut sich: Erstaunt, dass er sich die Zeit genommen hat, dieses Buch zu schreiben − zarte 30 Jahre alt, ETH Umweltwissenschafter mit Doktortitel, Nationalrat, Hälfte eines gern gesehenen Prominentenpaars – der Mann dürfte doch eigentlich ausgelastet sein. Chapeau!Erfreut, dass da eine junge Generation ans Ruder kommt, Stellung nimmt und last but not least, Vorschläge auf den Tisch legt, pragmatisch, rational, innova-tiv und dennoch leidenschaftlich und ja, konservativ. Konservativ, was unsere Na-tur anbelangt.Als Einstieg gibt uns Bastien Girod Einbli-cke in seinen rasanten Werdegang als Politiker der Grünen. Es liest sich leicht und unterhaltsam, wie aus einem natur-verbundenen, sensiblen Jungen ein re-bellischer, nicht immer erfolgreicher Greenpeace-Aktivist und schliesslich ein gut vernetzter Nationalrat wird. Happy go lucky! Doch darauf kommen wir zurück.«Das Bruttoinlandprodukt misst alles, nur nicht das, was das Leben lebenswert

BuchBeSPrechung

Persönliche Erklärung von Bastien GirodUm eine lebenswerte, gesunde Um-welt zu sichern, muss die globale Umweltbelastung massiv gesenkt werden. Auch wenn jedem Umwelt-wissenschaftler klar ist, dass die Um-weltbelastung wie auch die Verletz-barkeit unserer Gesellschaft mit stei-gender Bevölkerungsgrösse zu-nimmt, wird dieser Zusammenhang oft ausgeblendet. Deshalb bin ich froh, dass es mit EcoPop eine Orga-nisation gibt, welche darauf aufmerk-sam macht und aber auch bei den Massnahmen zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums das Wohl-befi nden der Menschen in den Vor-dergrund stellt.

WAS SChLäGT ECOPOP VOR? (Unsere folgenden Thesen sind nicht neu, aber hochaktuell.)

Es muss nun endlich zur Kenntnis genommen werden, dass die lokal und weltweit ansteigende Menschenzahl («Bevölkerungs-explosion») ein wesentlicher Faktor beim Klimawandel, dem Ressourcenverschleiss und somit bei der Umweltzerstörung darstellt. Die mittelfristige Stabilisierung der Bevölkerungszahl weltweit - aber auch in der Schweiz - muss deshalb ein erstrangiges Ziel sein. Was ist konkret zu tun?Global gesehen muss in der Entwicklungszusammenarbeit viel mehr Nachdruck auf die Familienplanung und die bessere Aus-bildung der Frauen als entscheidende Massnahme gelegt werden, um in der Dritten Welt das Bevölkerungswachstum zu reduzie-ren und so den Wohlstand nachhaltig zu fördern. Und in der Schweiz: Auch in unserem Land hat allein seit 1985 bis Ende 2009 die Wohnbevölkerung um fast 1,3 Millionen Menschen, von 6‘484‘800 auf 7‘783‘000, d.h. um 20%, zugenommen, und hier vor allem verursacht durch Einwanderung. Zwecks Erhaltung einer künftig noch lebenswerten Umwelt muss deshalb die Einwanderungspolitik sachlich und objektiv überdacht werden, beispielsweise mit dem Ziel, einen wesentlich reduzierten Wanderungssaldo zu erreichen. Dies wäre konkret durch eine Reduktion der Einwanderung aus Nicht-EU-Ländern zu erreichen, die bisher allein fast die Hälfte des Bevölkerungszuwachses ausmachte. Da neuerdings - trotz Wirtschaftskrise - auch im Jahr 2009 kaum eine erhöhte Rückwanderung erfolgte, wird auch dieses Ziel zu über-denken sein. Unsere Wirtschaft wird sich so auf dem Standort Schweiz auf vorwiegend qualitatives Wachstum, mit kapitalintensiven Produkten und Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung (u.a. mit Automation) und effi zientem Ressourcenverbrauch («Grüne Technologien») konzentrieren. Dies auch entsprechend dem demographischen Wandel mit abnehmendem Potenzial an einheimi-schen Arbeitskräften. Auf diese Weise kann sich die schweizerische Wirtschaft hochkompetitiv behaupten, und zwar sowohl in Europa als auch in den wachsenden Volkswirtschaften der aufstrebenden Länder der Dritten Welt.

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Einsenden an Sekretariat ECOPOP, Postfach 1746, CH-8401 Winterthuroder elektronisch auf unserer Homepage www.ecopop.ch

TALONq Ich interessiere mich für die ECOPOP, bitte senden Sie mir Unterlagen.

q Ich möchte die Ziele der ECOPOP unterstützen und werde Mitglied (Beitrag Fr. 40.– / Nichtverdienende Fr. 20.– / Familien Fr. 50.–).

q Senden Sie mir «Bevölkerungsreduktion – Warum eine Bevölkerungsreduktion mehr Wohlstand ermöglicht» (gegen Fr. 3.– in Marken).

Absender/in:

Name/Vorname:

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Datum: Unterschrift:59

PräsidiumDr. Patrick Felder, 9472 Grabs

RedaktionAlbert Fritschi, lic. oec. publ.Postfach 1746, CH-8401 [email protected]

SekretariatPostfach 1746, CH-8401 WinterthurTelefon 052 301 33 14, Fax 052 301 33 [email protected], Postkonto 30-35461-7IBAN CH17 0900 0000 3003 5461 7www.ecopop.ch

Unterstützungskomitee für ECOPOP:Margrit ANNEN-RUF, Luzern – Prof. Hans Christoph BINSWANGER, St. Gallen – Sonja CRESPO, Zürich – Dr. iur. Bernhard GELZER, Basel – Prof. Jürg A. HAUSER, Weggis – Prof. Otto HEGG, Bern – Dr. med. Remo ITIN, Chur – Prof. Hans Jörg LEISI, Nussbaumen – Dr. med. Roland MATTER, Basel – Dir. Walter PALMERS, Sursee – Prof. Hans W. POPP, Liebefeld – Prof. Manfred REHBINDER, Zürich – Prof. Peter SCHIESS, Basel – Prof. Pierre-André TSCHUMI, Bern

Unsere neue Broschüre «Wie viele Menschen erträgt die Erde?» (Titelblatt nebenstehend) kann gratis bei unserem Sekretariat be-zogen werden. Darin werden unsere Ziele, vorgeschlagene Mass-nahmen und unsere Aktivitäten vorgestellt. Auf unserer Home-page www.ecopop.ch finden Sie diese Broschüre auch als pdf.

Bitte geben Sie diese Broschüre in Ihrem Bekanntenkreis weiter.

The 8 Millennium Development Goals (MDG) Die 8 Millennium Entwicklungsziele der UNO

Die 8 Millennium Entwicklungsziele der UNO (Millennium Development Goals - MDG), welche auch die Schweiz ratifiziert hat, wollen eine Halbierung der weltweiten Armut bis 2015 erreichen.

Die 8 Millennium Entwicklungsziele der UNO (Millennium Development Goals – MDG), welche auch die Schweiz ratifiziert hat, wollen eine Halbierung der weltweiten Armut bis 2015 erreichen.