Bruinessen Von Osmanismus Zum Separatism Us

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8/8/2019 Bruinessen Von Osmanismus Zum Separatism Us http://slidepdf.com/reader/full/bruinessen-von-osmanismus-zum-separatism-us 1/45 Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  1 Vom Osmanismus zum Separatismus: Religiöse und ethnische Hintergründe der Rebellion des Scheich Said 1   Martin van Bruinessen   Die kurdische Rebellion, die Anfang 1925 von dem Nak şibendi-Scheich Said angeführt wurde, markiert einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der republikanischen Türkei. Sie bot Mustafa Kemal und Ismet Pascha die Gelegenheit, sich nahezu diktatorische Machtbefugnisse anzueignen. Von diesem Zeitpunkt an wurde das kemalistische Reformprogramm in noch grösserer Eile und ohne Rücksicht auf die Opposition verwirklicht. Durch die Politik des Laizismus wurden die wichtigsten Symbole beseitigt, die bis dahin noch Kurden und Türken sowie andere kleinere muslimische Ethnien geeint hatten. Die deutlichen Versuche, den Islam als staatstragende Ideologie durch einen türkischen Nationalismus zu ersetzen, entfremdeten die nichttürkischen Muslime nur noch mehr von der Regierung. Erstaunlich ist jedoch, dass sich trotzdem noch viele Kurden weiterhin loyal gegenüber dem kemalistischen Regime verhielten. Während der folgenden Jahre gab es viele kurdische Aufstände; erst 1938 wurde die Osttürkei unter hohen Kosten vollständig befriedet. Alle Aufstände blieben aber räumlich begrenzt, und in einigen Fällen waren es gerade Kurden, die aktiv an der Niederschlagung kurdischer Aufstände beteiligt waren. Einige Erhebungen waren ausgesprochen nationalistisch: Sie zielten auf die Gründung eines separaten kurdischen Staates. Auf eine solche Möglichkeit hatte bereits Präsident Wilson in seinen während des Ersten Weltkrieges formulierten "Vierzehn Punkten" angespielt, und auch der Vertrag von Sèvres 1920 hatte sie vorgesehen. Doch damals bedeutete der Separatismus den kurdischen Dorfbewohnern noch wenig. Die meisten von ihnen verhielten sich loyal gegenüber dem Osmanischen Reich, obwohl sie  1 First published in: Jochen Blaschke & Martin van Bruinessen (Hrsg), Islam und Politik in der Türkei. Berlin: EXpress Edition, 1985 (Reprint: Berlin: Parabolis, 1989), pp. 109-165.

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Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  1 

Vom Osmanismus zum Separatismus: Religiöse und ethnische

Hintergründe der Rebellion des Scheich Said1 

 

Martin van Bruinessen

 

 

Die kurdische Rebellion, die Anfang 1925 von dem Nakşibendi-Scheich Said angeführt

wurde, markiert einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der republikanischen

Türkei. Sie bot Mustafa Kemal und Ismet Pascha die Gelegenheit, sich nahezu

diktatorische Machtbefugnisse anzueignen. Von diesem Zeitpunkt an wurde das

kemalistische Reformprogramm in noch grösserer Eile und ohne Rücksicht auf die

Opposition verwirklicht. Durch die Politik des Laizismus wurden die wichtigsten

Symbole beseitigt, die bis dahin noch Kurden und Türken sowie andere kleinere

muslimische Ethnien geeint hatten. Die deutlichen Versuche, den Islam als

staatstragende Ideologie durch einen türkischen Nationalismus zu ersetzen,

entfremdeten die nichttürkischen Muslime nur noch mehr von der Regierung.

Erstaunlich ist jedoch, dass sich trotzdem noch viele Kurden weiterhin loyal gegenüber

dem kemalistischen Regime verhielten. Während der folgenden Jahre gab es viele

kurdische Aufstände; erst 1938 wurde die Osttürkei unter hohen Kosten vollständig

befriedet. Alle Aufstände blieben aber räumlich begrenzt, und in einigen Fällen waren

es gerade Kurden, die aktiv an der Niederschlagung kurdischer Aufstände beteiligt

waren.

Einige Erhebungen waren ausgesprochen nationalistisch: Sie zielten auf die

Gründung eines separaten kurdischen Staates. Auf eine solche Möglichkeit hatte bereits

Präsident Wilson in seinen während des Ersten Weltkrieges formulierten "Vierzehn

Punkten" angespielt, und auch der Vertrag von Sèvres 1920 hatte sie vorgesehen. Dochdamals bedeutete der Separatismus den kurdischen Dorfbewohnern noch wenig. Die

meisten von ihnen verhielten sich loyal gegenüber dem Osmanischen Reich, obwohl sie

  1 First published in: Jochen Blaschke & Martin van Bruinessen (Hrsg), Islam und Politik in der Türkei.Berlin: EXpress Edition, 1985 (Reprint: Berlin: Parabolis, 1989), pp. 109-165.

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sich bisweilen den lokalen Repräsentanten der Bürokratie widersetzten. Während des

Ersten Weltkrieges hatten sich die meisten Kurden dem Aufruf des Sultan-Kalifen zum

Cihad angeschlossen. Auch im Befreiungskrieg waren die Kemalisten bei der

Mobilisierung von Kurden der Osttürkei erfolgreicher gewesen als die Briten mit ihremVersuch, separatistische Tendenzen anzustacheln. Bezeichnenderweise löste gerade die

Abschaffung des Kalifats, das den Brennpunkt der kurdischen Loyalitäten dargestellt

hatte, die Scheich-Said-Rebellion aus. Nicht alle Träger der Revolte waren allerdings

religiös motiviert. Der Aufstand war von einer nationalistischen Organisation geplant

worden, die den Scheich jedoch als Führungsfigur benötigte, da ihr eine populäre

Person fehlte. In den späteren Aufständen ersetzten dann nationalistische Elemente

zunehmend religiöse Loyalitäten in Kurdistan.

In der kemalistischen Historiographie2 werden die kurdischen Aufstände

gewöhnlich als letzter Widerstand einer rückständigen, reaktionären Bevölkerung gegen

die dringend notwendige Modernisierung dargestellt, und ihre Unterdrückung wird als

Bestandteil der zivilisationsbringenden Mission des Regimes betrachtet. Besonders

betonen diese Historiker die Ausbeutung einer armen und unwissenden Bevölkerung

durch die Scheichs und Stammesführer, die die Aufstände anführten. Die Revolten

werden als Versuche dieser traditionalen Autoritäten interpretiert, ihre Privilegien

beizubehalten oder wiederzuerlangen. Zweifellos steckt in diesem Argument ein

Körnchen Wahrheit, doch ich glaube, eben nur ein Körnchen: Die Aufstände

reflektierten die sozialen und ökonomischen Verhältnisse in den kurdischen Provinzen,

aber gleichzeitig konnten sie nur wegen des Wandels, in dem sich die kurdische

Gesellschaft bereits vor der Gründung der Republik befunden hatte, stattfinden.

 

DER NAKŞIBENDI-ORDEN UND DER KURDISCHE NATIONALISMUS

 

Said war nicht der erste Nakşibendi-Scheich, der eine kurdische Rebellion auch mitnationalistischen Parolen anführte. 1880 rief der einflussreiche Scheich Ubaidullah von

Nehri (Hakkari) einen Aufstand aus. Er ersuchte um russischen und britischen Beistand

für einen unabhängigen kurdischen Staat im Grenzgebiet zwischen dem äusserst

  2 Zum Beispiel: Cemal 1955; Toker 1968; Goloğlu 1968-1974.

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geschwächten Osmanischen Reich und Persien. Eine andere Familie von Nakşibendi-

Scheichs, die der Barzan im heutigen Nordirak, ist seit dem Beginn dieses Jahrhunderts

häufig mit Aufständen gegen die jeweiligen Zentralregierungen in Verbindung gebracht

worden. Ein jüngerer Bruder der zwei bedeutenden Scheichs dieser Familie, MullaMustafa Barzani, wurde der bekannteste kurdisch-nationalistische Führer dieses

Jahrhunderts. Auch in Südkurdistan war es ein Scheich — aber kein Nakşibendi,

sondern ein Mitglied des rivalisierenden Kadiri-Ordens —, der zu dieser Zeit die ersten

Schritte zur Gründung eines unabhängigen kurdischen Staates voranging. Scheich

Mahmud Barzanji ernannte sich sogar selbst 1922 zum König von Kurdistan. Er wurde

von den meisten lokalen Stämmen unterstützt, knüpfte aber auch Kontakte zu den

Kemalisten an, die er gegen die Briten auszuspielen versuchte (Bruinessen 1978, 278f.

sowie die darin angegebene Literatur).

Ganz offensichtlich waren die Tarikats (Sufi-Orden) bei den Kurden in den Jahren

vor der Rebellion mehr als rein religiöse Institutionen. Nicht alle Scheichs wurden

politische Führer, doch die einflussreichsten politischen Führer der Kurden waren mit

nur wenigen Ausnahmen Scheichs, und die meisten dieser "politischen" Scheichs

gehörten dem Nakşibendi-Orden an.

Der Nakşibendi-Orden war in Kurdistan mindestens seit dem 17. Jahrhundert

präsent. Bereits 1639 hatte der osmanische Sultan Murad IV. in Diyarbakır einen

kurdischen Scheich hinrichten lassen, weil dieser zu einflussreich geworden war.

Diesem Scheich wurden damals 40 000 Anhänger nachgesagt, und er stand unter dem

Verdacht, eine Rebellion geplant zu haben (Bruinessen 1988). Die politische Rolle, die

dieser Orden bei den Kurden spielte, scheint also eine lange Geschichte zu haben. Es

gilt aber als sicher, dass der politische Einfluss des Ordens erst mit dem Auftreten von

Maulana Khalid in dramatischer Weise zugenommen hat. Khalid war ein Kurde aus

dem Bezirk Şehrezor in Südkurdistan, der in Indien in den Nakşibendi-Orden

eingeführt worden war. Nach seiner Rückkehr in den Irak um 1808 gewann er rascheine grosse Gefolgschaft, zunächst unter den Kurden und später auch unter den Türken

und Arabern. Sogar einige Kadiri-Scheichs baten darum, durch ihn in den Nakşibendi-

Orden eingeführt zu werden. Er belebte den Orden neu, und innerhalb weniger

Jahrzehnte schlossen sich die meisten Nakşibendis im Osmanischen Reich ihm und

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seinen Halifen, Stellvertretern, an.3 Ausserordentlich gross ist die Anzahl der Halifen,

die er ernannte. Es sind nicht weniger als 67 bekannt, davon 33 Kurden (Hakim 1983,

142). Maulana Khalid verbreitete den Orden wie ein dichtes Netz über ganz Kurdistan.

Eine charismatische Persönlichkeit und die Art seiner Reformen innerhalb des Ordenswaren zweifellos entscheidend für Khalids wachsende Popularität. Der Grund dafür,

dass die Nakşibendi-Scheichs seit dem späten 19. Jahrhundert eine wesentliche Rolle in

der Politik zu spielen begannen, muss jedoch ausserhalb seiner Person gesucht werden.

 

DIE OSMANISCHEN REFORMEN UND IHRE AUSWIRKUNG AUF DIE

KURDISCHE GESELLSCHAFT

 

Eine Analyse der verschiedenen Reformbewegungen im Osmanischen Reich ginge über

den Rahmen dieses Aufsatzes hinaus. Ich werde mich deshalb auf einige Aspekte der

Reformen beschränken, die für die Situation in den Ostprovinzen besonders relevant

und von bedeutendem Einfluss auf die späteren Entwicklungen dort waren. Zunächst

war sich die Bevölkerung bewusst, dass die Reformen aus der Schwäche des Reiches

resultierten und ihm von den europäischen Mächten auferlegt worden waren. Sowohl

die zunehmende Zentralisierung, die die jahrhundertealte Autonomie der kurdischen

Bezirke aufhob, als auch die Massnahmen zum Schutz der christlichen Minderheiten

wurden als Versuche von seiten der Christen betrachtet, die traditionale islamische

politische und soziale Ordnung zu zerstören. Der Widerstand gegen die Reformen

besass im allgemeinen eine religiöse Komponente.

Die Verwaltungsorganisation in den kurdischen Provinzen war seit deren

Inkorporation in das Osmanische Reich von der in anderen Teilen des Reiches

verschieden gewesen. Viele Bezirke wurden nicht von zentral ernannten Statthaltern

verwaltet, sondern von kurdischen Herrscherfamilien, denen osmanische Titel verliehen

worden waren und die tatsächlich weiterhin so gut wie unabhängig regierten. Diekurdischen Emirate, kleine Territorialstaaten, wurden so konsolidiert, und die Macht

einiger — solchermassen von der Zentrale anerkannten — Herrscherfamilien über

andere vergrösserte sich. Das Ausmass, in dem diese Emirate autonom waren, variierte

  3 Hourani 1972; Algar 1976; Hakim 1983; Abu-Manneh 1984.

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und hing vielfach von den Beziehungen der kurdischen Herrscher zu den

Provinzstatthaltern, denen die Emire theoretisch untergeordnet waren, und von den

jeweiligen militärischen und ökonomischen Machtverhältnissen ab. Einige Emirate

waren bereits im 17. und 18. Jahrhundert unter die Kontrolle der Zentrale gebrachtworden. Als jedoch die Zentralregierung während des 18. Jahrhunderts an Effektivität

verlor, hatten sich bereits andere kurdische Stammesführer zu faktisch unabhängigen

Potentaten erhoben, in gleicher Weise wie die berühmteren Derebeys in Anatolien. Erst

während der Herrschaft des Reformierenden Sultans Mahmut II. (1808-1839) wurden

die betreffenden Bezirke unter zentrale Kontrolle gebracht und die ehemals autonomen

Herrscher physisch aus ihren Gebieten entfernt.

Die administrative Zentralisierung führte nicht unmittelbar zur Befriedung dieser

Bezirke; in einigen Fällen war vielmehr das Gegenteil der Fall. In den Emiraten konnte

der herrschende Emir gewöhnlich ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen

Stämmen seines Distrikts aufrechterhalten. In Streitfällen wegen der Verteilung von

Land und von Tieren, bei Diebstahl oder der Entführung von Frauen wurde seine

Autorität als Mittler und Richter allgemein anerkannt. Seine Herrschaft war

autokratisch und oft hart, im allgemeinen aber gerecht und bewahrte ein

zufriedenstellendes Mass an Sicherheit. Die Beamten, die anstelle der Emire eingesetzt

wurden, waren Fremde und schafften es häufig nicht, den Frieden und die Sicherheit

aufrechtzuerhalten: Die Stämme erkannten häufig die Autorität der Beamten nicht an;

manchmal kollaborierten die Regierungsvertreter bei Streitigkeiten auch mit einer der

beiden Parteien. Alles in allem scheinen die Stammeskonflikte sowohl in ihrer

Häufigkeit als auch an Ernsthaftigkeit nach der Auflösung der Emirate zugenommen zu

haben.

Vor diesem Hintergrund müssen das schnelle Anwachsen des Nakşibendi- Ordens

und die zunehmend politische Rolle seiner Scheichs betrachtet werden. Die Scheichs,

die sich in früher von kurdischen Emiren beherrschten Bezirken niederliessen,übernahmen manche Funktionen als Mittler zwischen den Stämmen; einige Scheichs

wurden weltliche Führer aus eigenem Recht. Dies war kein vollkommen neues

Phänomen: Auch in der Vergangenheit waren bereits Scheichs mit politischem Einfluss

auf die Stämme aufgetreten, doch wo es einen Emir gab, übertraf dessen Autorität die

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Macht des Scheichs. Das Verschwinden der Emire stellte eine Ursache für den

wachsenden Einfluss der Scheichs dar.

Es gab aber noch einen weiteren, möglicherweise wichtigeren Grund: die

zunehmenden Spannungen zwischen Muslimen und Christen. Im heutigen Nordirakund in der Osttürkei lebten grosse christliche Minderheiten unter den Kurden:

Armenier, Nestorianer und Syrer ("Jakobiter"). Ihre Beziehungen zu den Kurden waren

im allgemeinen ungleichseitig, aber friedlich. Die Mehrheit dieser Christen bestand aus

Bauern, es gab aber auch christliche Handwerker oder Händler. In manchen Gegenden

waren die christlichen Bauern faktisch Leibeigene der kurdischen Grundbesiter, deren

Ländereien sie bearbeiteten; anderswo wiederum waren sie in mächtigen Stämmen

organisiert und den Kurden völlig ebenbürtig. In der Ebene von Erzurum besassen die

armenischen Dorfbewohner ihr eigenes Land, und im Winter kamen die kurdischen

Nomaden herunter in die Dörfer, wo sie in den armenischen Häusern beherbergt

wurden. Diese Beziehung besass sowohl symbiotische als auch parasitäre Züge. Häufig

geschah es, dass kurdische Nomaden das Eigentum christlicher oder muslimischer

Dorfbewohner stahlen. Dort, wo es einen mächtigen und gerechten Emir gab, blieb ein

solcher Diebstahl nicht unbestraft, und es bestand Anspruch auf eine Entschädigung.

Ein sehr wichtiger Aspekt der osmanischen Reformen waren der bessere Schutz und

die grösseren Rechte, die die europäischen Mächte für die christlichen Minderheiten

forderten. Ausserdem wurden den europäischen und amerikanischen Missionaren

grössere Freiheiten für ihre Arbeit in den christlichen Gemeinschaften eingeräumt.

Sowohl die Kurden als auch die Christen sahen in diesen Missionaren die Vorboten

weiterer politischer und womöglich auch militärischer Interventionen seitens der

christlichen Mächte zugunsten der ansässigen Christen — eine deutliche Bedrohung der

muslimischen Überlegenheit. Einige Konflikte gab es, als sich die christlichen Bauern,

die sich durch die europäische Unterstützung gestärkt fühlten, weigerten, die

traditionale Grundpacht an ihre kurdischen Grundherren zu zahlen. Zudem forcierteneinige Missionare den kurdischen Argwohn, als sie eine Art Festung, die als

Krankenhaus und Kirche dienen sollte, errichteten. Über ihre jeweiligen Botschafter in

Istanbul versuchten die Missionare — manchmal erfolgreich — Massnahmen gegen

jene Stammesführer, die sich ihnen gegenüber aggressiv verhielten, zu veranlassen. Für

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die Kurden bedeuteten die Verwaltungsreformen und die Aktivitäten der Missionare

zwei Seiten derselben Medaille, nämlich einer europäischen Strategie zur Unterjochung

der Muslime.4 

Die Beziehungen zwischen den Kurden und ihren christlichen Nachbarn gestaltetensich allmählich feindseliger. Das Auftauchen des armenischen Nationalismus und

Gerüchte über ein unabhängiges Armenien bildeten am Ende des Jahrhunderts eine

logische Entwicklung und erhöhten die Spannungen zusätzlich. Die Muslime hatten

schon von den zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts an mit

Gewaltausbrüchen gegen die Christen darauf reagiert. Und da die Spannungen und

Konflikte zwischen Gruppen mit verschiedener Religion entstanden waren, erscheint es

ganz natürlich, dass sich die Kurden hinter ihre religiösen Führer scharten. Einige

Scheichs waren über den von ihnen befürchteten Niedergang des Islam tief beunruhigt,

andere nutzten den religiösen Gegensatz in schlauer Weise aus, um politischen Einfluss

und Macht zu erringen. Wiederum andere unterhielten aber freundschaftliche

Beziehungen zu den christlichen Missionaren und schützten die örtlichen Christen vor

der Wut der kurdischen Stammesangehörigen.

Es wäre zu mechanistisch, wollte man die wachsende Bedeutung der Scheichs

vollständig den durch die Missionsarbeit hervorgerufenen christlich-muslimischen

Spannungen zuschreiben, doch kann eine Beziehung zwischen beiden Entwicklungen

nicht abgestritten werden. Mit nur ein oder zwei Ausnahmen finden wir die politisch

einflussreichsten Scheichs in Distrikten, in denen grosse christliche Minderheiten lebten

und Missionen intensiv gearbeitet hatten.

 

DER AUFSTAND DES BEDIR KHAN BEG

 

Als ein Beispiel kurdischer Reaktion auf diese Entwicklungen möchte ich den Aufstand

des kurdischen Emirs Bedir Khan Beg skizzieren, weil einige Mitglieder seiner Familiespäter noch eine Rolle in der Vorphase der Scheich-Said-Rebellion spielen werden.

Bedir Khan war der letzte herrschende Emir von Botan, einem der stärksten und

bedeutendsten kurdischen Emirate, mit der Hauptstadt Cizre am Tigris. In einem der

  4 Über die sich wandelnden Beziehungen zwischen Christen und Muslimen siehe Joseph 1961.

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osmanischen Feldzüge gegen die fast unabhängigen kurdischen Herrscher wurde die

Hauptstadt von einem starken Heer belagert, und der Emir musste sich 1838 ergeben.

Seine Befugnisse wurden zwar stark beschnitten, er wurde aber nicht abgesetzt.

Im folgenden Jahr versetzten die ägyptischen Truppen des Ibrahim Pascha, dieNordsyrien erreicht hatten, der osmanischen Armee einen schweren Stoss. Diesen

Rückschlag in den Zentralisierungsversuchen des Osmanischen Reiches nutzte Bedir

Khan um seine frühere Unabhängigkeit wiederzuerlangen und um weiteres Territoriurn

zu erobern. Innerhalb weniger Jahre beherrschte er das ganze Gebiet zwischen Mardin

und der persischen Grenze, und die meisten kurdischen Stammesführer wurden zu

Vassallen des Emirs. Diese Revolte fiel mit einer rapiden Verschlechterung der

Beziehungen zwischen muslimischen Kurden und den Christen der Region zusammen.

Nach dem armenischen Autor Safrastian (1948, 51) war nach der Belagerung des Bedir

Khan durch die osmanische Armee 1838 ein grosser Trupp von Kurden, Armeniern und

Nestorianern von Hakkari zum Entsatz des Emirs ausgezogen, doch kam diese

Hilfstruppe nicht rechtzeitig an. Offensichtlich hoben regionale Loyalitäten die

religiösen Differenzen noch auf. Doch bald folgte ein Machtkampf zwischen Bedir

Khan und den Missionaren. Der Emir misstraute heftig den Plänen der Missionare, und

diese taten wenig, um ihn zu beschwichtigen. Als sich 1843 die Nestorianer in Tiyari

zum ersten Mal weigerten, ihre jährlichen Abgaben an den Verbündeten des Bedir

Khan, den Grundbesitzer von Hakkari, zu zahlen, wurden Stammestruppen in das

Gebiet entsandt und viele Nestorianer hingerichtet. Das Massaker wurde später in

einem anderen Bezirk wiederholt.

Layard, der berühmte Archäologe und Konsul — der kein grosser Freund des Bedir

Khan war — räumt ein, dass das provozierende Verhalten amerikanischer Missionare

ein Grund für die Gemetzel gewesen sei, er gibt die Schuld dafür aber eindeutig dem

Bedir Khan und indirekt einem fanatisch antichristlichen Scheich, der grossen Einfluss

auf den Ernir ausübte. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um den Nakşibendi-Scheich Sayyid Taha, dessen Sohn Ubaidullah den oben erwähnten Aufstand von 1880

anführte. Von diesem Scheich wird berichtet, er habe die Christen so sehr verachtet,

dass er beim Ausreiten immer einen Schleier getragen habe, aus Angst, von den

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ungläubigen Blicken der Christen verdorben zu werden.5 Ich nehme an, er verabscheute

nicht so sehr die Christen an sich, sondern befürchtete vielmehr eine Bedrohung seiner

Religion. Und die traditionale Ordnung war in der Tat bedroht, wie die folgenden

Entwicklungen dann zeigten. Die Massaker verursachten einen Aufschrei desEntsetzens in Europa, und die Briten und Franzosen zwangen die osmanische

Regierung, Bedir Khan zu bestrafen. Eine starke Armee wurde nach Cizre entsandt und

der Emir 1847 zur Aufgabe gezwungen. Zusammen mit all seinen Verbündeten wurde

er nach Istanbul gebracht und von dort aus ins Exil geschickt. Der letzte Versuch, den

Glanz der alten Emirate wiederaufleben zu lassen, war damit gescheitert.6 

 

DIE KURDISCHEN STÄMME UND DER SULTAN-KALIF: DIE HAMIDIYE-

REGIMENTER

 

Selbst auf dem Höhepunkt dieses Aufstandes erkannte Bedir Khan Beg den Sultan

weiterhin als Souverän an, jedenfalls teilte er dies amerikanischen Besuchern mit. Diese

Haltung war unter den meisten Stammeskurden bis zum Ende des Osmanischen

Reiches vorherrschend. Trotz ihrer ernsthaften Probleme mit der Provinzverwaltung,

trotz der Aufstände, die sie gegen die Regierung führten, stritten sie kaum, wenn

überhaupt jemals, die Legitimität des Sultans ab. Das Kalifat besass für die Kurden eine

grosse Bedeutung, und der zunehmende Gegensatz zwischen Muslimen und Christen

verstärkte wahrscheinlich nur ihr eigenes Loyalitätsgefühl gegenüber dem Sultan-

Kalifen.

Sie identifizierten jedoch nie die Regierung mit dem Sultan. Scheich Ubaidullah

wollte einen unabhängigen Staat gründen, weil die Bestechlichkeit und der

Amtsmissbrauch der Provinzbeamten weithin als Missstand empfunden wurden. Er bat

die Russen und Briten um Unterstützung, teilte aber gleichzeitig dem Sultan mit, dass

er dessen Oberhoheit weiterhin anerkenne. Seine ambivalente Haltung gegenüber demSultan leuchtet auch ein, da er, anstatt einen unabhängigen Staat auf osmanischem

Territorium zu gründen, seine Stammestruppen in das persische Kurdistan eindringen

  5 Layard 1849, Bd I, 178f., 228f.6 Vgl. auch Joseph 1961; Bruinessen 1978, 222ff. sowie die darin angeführten Quellen.

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liess, um es zum Kerngebiet seines Staates zu machen. Es scheint, als ob der Sultan

darin mit Ubaidullah stillschweigend übereingekommen sei — aus dem Wunsch

heraus, den einflussreichen Scheich als Verbündeten gegen die Gefahr eines

armenischen Separatismus einerseits und das geheime Einverständnis zwischen Russenund Armeniern hinsichtlich der schwachen Nordostgrenze des Reiches andererseits zu

behalten. Erst nachdem der Scheich und seine Gefolgsmänner von persischen Truppen

über die Grenze zurückgeworfen worden waren und die Perser Druck in Istanbul

ausübten, wurde der Scheich gefangengenommen und ins Exil geschickt.7 

Derselbe Sultan, Abdülhamit II. (1876-1909), entwickelte später unter Umgehung

der osmanischen Bürokratie engere Verbindungen zu den kurdischen Stämmen,

nämlich durch die Gründung der Hamidiye-Regimenter, irreguläre Kavallerieeinheiten,

die sich aus kurdischen Stämmen unter deren Stammesoberhäuptern zusammensetzten.

Diese Entwicklung lief der Tendenz früherer Reformen zuwider und gefiel weder den

Europäern noch den reformbesessenen Bürokraten, die den Sultan als reaktionären

Despoten betrachteten. Mehr oder weniger wurde dem Sultan diese Strategie

aufgezwungen: Sie stellte einen Versuch fortgesetzter Zentralisierung mit anderen

Mitteln dar. Die Bürokratie in der Provinz war ineffektiv, die Beamten waren entweder

wegen ihrer Bestechlichkeit oder wegen ihrer Reformwütigkeit bei den Kurden

unbeliebt. Den Militärreformern war es nicht gelungen, genug Kurden in die Armee

einzubeziehen. Die russische Bedrohung war ständig präsent; im Krieg von 1877 waren

russische Truppen in die Osttürkei eingedrungen, und als Resultat des Berliner

Kongresses musste das Reich die Provinzen Batum und Kars an die Russen abtreten.

Während der folgenden Jahrzehnte begann sich der armenische Nationalismus im

Osten unter dem Einfluss von Propagandisten aus den russischen Teilen Armeniens

auszubreiten. Sowohl die Russen als auch die Briten übten Druck auf die Regierung in

Istanbul aus, die armenischen Interessen zu protegieren. Der Sultan empfand den

emporkommenden Nationalismus seiner christlichen Untertanen auf dem Balkan undim Osten als imperialistische Machenschaft, um sein Reich noch mehr zu zerstückeln.

Seine stärksten natürlichen Verbündeten waren die Kurden, die seine Besorgnis über

die christlichen Absichten teilten.

  7 Halfin 1976, 95ff.; Jwaideh: 1960, 212ff.

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Die ersten Hamidiye-Regimenter wurden 1890 oder 1891 organisiert. Sie waren als

irreguläre Streitkräfte gedacht, die bei Bedarf mobilisiert werden sollten. Die

militärische Ausbildung fand in den Jahreszeiten statt, wenn die Feldarbeit

abgeschlossen war. Die Grösse der Regimenter reichte von 500 bis zu über 1 000Männern, die jeweils von einem Stamm rekrutiert wurden. Manche grosse Stämme

bildeten mehr als ein Regiment. Im Austausch für ihre militärischen Dienste waren

diese Stämme von verschiedenen Steuern ausgenommen. 1895 gab es 56 solcher

Regimenter, wobei die meisten direkt dem Befehlshaber des vierten Armeekorps in

Erzincan, dem Zeki Pascha, untergeordnet waren (nur fünf Regimenter fielen unter den

Befehlsbereich in Syrien). Jedes Regiment wurde von dem jeweiligen Stammesführer

kommandiert, der nur dem Zeki Pascha rechenschaftspflichtig war. Die

Provinzverwaltung und Justizgewalt besassen keine Befugnis über sie.

Die Gründung dieser Kavallerie änderte das Machtgleichgewicht zwischen den

verschiedenen sozialen Gruppen im Osten entscheidend: zwischen den Kurden und

Armeniern, wie beabsichtigt, aber auch zwischen den Kurden und der

Provinzbürokratie sowie unter den Kurden selbst. Die Stammesführer, die mit ihren

Stämmen zur Bildung der Hamidiye-Regimenter ausgewählt wurden, konnten sicher

sein, Macht auf Kosten ihrer weniger begünstigten Nachbarn zu erwerben. Sie bekamen

nicht nur bessere Waffen und eine militärische Ausbildung, sondern konnten praktisch

auch ihre Nachbarn ungestraft überfallen. Nachdem die ersten Regimenter gebildet

worden waren, ersuchten viele Stammesführer darum, ebenfalls zur Aufstellung

herangezogen zu werden.

Opfer waren deutlich die Armenier. Die britischen Konsuln in Erzurum und

Diyarbakır meldeten häufig armenische Beschwerden über Gewaltmissbrauch und

Raubzüge der Regimenter. Als 1894 die armenische Bevölkerung von Sasun rebellierte,

sandte der Sultan Hamidiye-Regimenter zur Niederschlagung des Aufstandes aus. Die

Folge davon war ein blutiges Massaker, und ähnliche Zwischenfälle sollten auchanderswo folgen. Allerdings waren die Armenier nicht lediglich die passiven und

unschuldigen Opfer des kurdischen oder muslimischen Fanatismus, wie sie in

westlichen Publikationen häufig dargestellt werden. Die revolutionären armenischen

Parteien Hunchak und besonders Dashnaksutiun, die in den achtziger Jahren des

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neunzehnten Jahrhunderts gegründet worden waren, wurden im Osten zunehmend

aktiv, wo viele örtliche Revolutionskomitees gebildet wurden. Als Konsequenz davon

spannten sich die Beziehungen zwischen den Kurden und Armeniern äusserst an. Die

Kurden betrachteten diese Unternehmungen als armenische Vorbereitungen zumUmsturz der bestehenden Ordnung und zur Errichtung der christlichen Vorherrschaft.

Die Hamidiye-Regimenter veränderten jedoch nicht nur das Machtgleichgewicht

zwischen Muslimen und Christen. Die Konsularberichte erwähnen auch eine Zunahme

an Konflikten zwischen den kurdischen Stämmen. Die Kommandeure der Hamidiye

waren durch Zeki Pascha und den Sultan selbst abgesichert. Im Falle schwerwiegender

Oberschreitungen konnte man sie nicht vor ein Zivil-, sondern nur vor ein

Militärgericht bringen, wo die Beschuldigungen dann meistens einfach fallengelassen

wurden. Natürlich unternahmen die anderen Stammesführer alles, um ihre Position

gegenüber den Stammesführern in den Regimentern zu verteidigen, was häufig zu

Kämpfen führte.

Ein Aspekt, der kaum beachtet worden ist, später aber politische Folgen hatte, war

die Rekrutierung aller Hamidiye-Regimenter aus lauter sunnitischen Stämmen. Dieser

Umstand schwächte die Position der alevitischen Kurden insgesamt und scheint zu

Feindseligkeiten zwischen Aleviten und Sunniten geführt zu haben. Diesen

Gesichtspunkt betont besonders Fırat (1945), der selbst einem dieser kleinen

alevitischen Stämme, den Hormek, angehörte, die in Feindschaft mit den sunnitischen

Cibran lebten. Letztere bildeten ein Hamidiye-Regiment und nahmen später aktiv an

der Scheich-Said-Rebellion teil. Die kleinen alevitischen Stämme, die sich durch die

Regimenter unterdrückt fühlten, neigten eher dazu, die Jungtürkische Revolution gegen

Abdülhamit zu billigen und damit die spätere Säkularisierung zu unterstützen. Keiner

von ihnen schloss sich dem Scheich-Said-Aufstand an; einige kämpften sogar gegen

ihn, in Verteidigung der Republik, wie sie behaupteten.

Gleichzeitig mit der Bildung der Hamidiye-Regimenter wurden die Kinderführender Familien der beteiligten Stämme nach Istanbul zum Studium an der

Militärakademie eingeladen. Sie sollten später die Befehlsgewalt über die

Stammeseinheiten übernehmen. Auf diese Weise hoffte man, diese Regimenter ohne

allzu viele Eingriffe in Stammesangelegenheiten zu modernisieren und langfristig ihre

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Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  13 

Loyalität gegenüber dem stehenden Heer zu sichern. Als Nebeneffekt dieser

Massnahme entstand eine Schicht gebildeter Männer aus dem Stammesmilieu, in der

der kurdische Nationalismus Fuss fassen sollte. Die meisten der ursprünglichen Planer

des Scheich-Said-Aufstandes gehörten dieser Schicht an.Nach der Jungtürkischen Revolution wurden die Hamidiye-Regimenter

reorganisiert. Ihre Bezeichnung, die zu direkt mit Abdülhamit verbunden war, wurde in

"Regimenter der Stämme" (aşiret alayları) umgeändert, und bis zu einem gewissen

Grad wurden sie in die Militärhierarchie der osmanischen Armee eingegliedert. Die

Stammesregimenter sollten dann aktiv am Ersten Weltkrieg und im

Unabhängigkeitskrieg teilnehmen.8 

 

ISLAM ODER NATIONALISMUS?

 

Die Zerstörung der Beziehungen zwischen Muslimen und Christen in Nordkurdistan ist

— wie angeführt — in erster Linie als Auswirkung zunehmender europäischer

Intervention in regionale Angelegenheiten zu verstehen. Für die gesamte kurdische

Bevölkerung hatte dies ein wachsendes islamisches Bewusstsein zur Folge, dem

mindestens einige prominente Scheichs ihren eigenen politischen Einfluss verdanken.

Das ganze neunzehnte Jahrhundert war eine Periode der politischen und ökonomischen

Unsicherheit, und das mag die religiöse Haltung der Bevölkerung verstärkt und den

Scheichs eine wichtige Rolle als Vermittler in allen Arten von Konflikten zugewiesen

haben.

Insgesamt war die Provinzbürokratie unbeliebt: in einigen Fällen, weil sie sich als

korrupt erwies, in anderen, weil sie reformbesessen war und versuchte, die traditionale

Ordnung einzureissen. Trotzdem genoss der Sultan zumindest nominell noch Loyalität:

Als Kalif war er das Symbol der muslimischen Einheit. Vor allem Sultan Abdülhamit

II., der sich selbst dem konservativen Islam der Sufi-Orden anschloss und der in seinenspäten Jahren aktiv den Panislamismus propagierte, besass die Sympathien vieler, die

den Islam bedroht sahen. Ober die Hamidiye-Regimenter etablierte er ausserdem ein

paternalistisches Verhältnis zu den wichtigsten kurdischen Stämmen; häufig wurde er

  8 Zu den Hamidiye siehe auch: Duguid 1973; Kodaman 1979.

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als "Vater der Kurden" bezeichnet. Nach der Jungtürkischen Revolution revoltierte

einer der grössten Stämme, die Milli, zur Unterstützung des Sultans und lehnte die neue

Obrigkeit ab (Bruinessen 1978, 237f.). Dies war ein Aufstand, der oberflächlich dem

des Scheich Said ähnelt, obwohl er weder religiöse noch nationalistische Züge trug.Obwohl die überblicksartige Darstellung einen anderen Eindruck vermitteln kann,

war Kurdistan alles andere als eine monolithische Region. Es gab viele lokale

Ausnahmen von den hier beschriebenen Mustern. So lässt sich feststellen, dass die

Scheichs und Stammesführer im allgemeinen antireformistisch und Russland und

Grossbritannien gegenüber feindlich eingestellt waren, einige jedoch aus

opportunistischen Gründen dazu neigten, gute Beziehungen mit den Vertretern dieser

Mächte zu unterhalten. Scheich Ubaidullahs ambivalente Haltung ist bereits erwähnt

worden: Als muslimischer Führer verkündete er seine Loyalität gegenüber dem Sultan-

Kalifen, gleichzeitig ersuchte er aber die Russen und Briten um Unterstützung für

seinen unabhängigen Staat.

Trotz Scheich Ubaidullahs Aufstand gab es keine Hinweise darauf, dass der

Nationalismus die Kurden mobilisieren konnte. Sie reagierten auf den armenischen

Nationalismus eher als Muslime denn als Kurden, und dies blieb auch während des

Ersten Weltkrieges und des Unabhängigkeitskrieges so. Man war Scheich Ubaidullah

als religiösem Führer mit grossem Einfluss auf die lokalen Stämme und nicht als

nationalem Führer gefolgt. Erst viel später wurde er zu einem Symbol der kurdischen

nationalen Bestrebungen. In der liberalen Atmosphäre nach der Jungtürkischen

Revolution gründeten kurdische Intellektuelle — die meisten von ihnen waren

aristokratischer Abstammung — in Istanbul die ersten kurdischen Organisationen.

Sowohl kemalistische Geschichtsschreiber als auch später die kurdischen

Nationalisten stellen diese Organisationen (die unten ausführlicher behandelt werden)

als separatistische dar, doch handelt es sich dabei um einen Anachronismus. Sie waren

ursprünglich Wohlfahrtsorganisationen, die als ihre Ziele die Bildung und gegenseitigeHilfe der Kurden in der Hauptstadt ausgaben. Erst nach dem Ersten Weltkrieg

formulierten sie Forderungen nach Autonomie und Unabhängigkeit. Bis zu diesem

Zeitpunkt waren die Kurden mehr mit ihren Beziehungen zu den Armeniern und

anderen Christen als zu den Türken beschäftigt. Im Ersten Weltkrieg entluden sich die

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bereits geschilderten Spannungen in gewaltsamen Massakern an den Armeniern, an

denen nicht nur die türkische Armee, sonder auch viele Kurden teilnahmen — aber es

gab auch kurdische Stammesführer, die die Armenier beschützten. Der Befreiungskrieg

bedeutete im Osten in erster Linie einen Krieg gegen die Armenier, die einenunabhängigen Staat gründen wollten. Es war nur natürlich, dass viele Kurden an diesem

Krieg teilnahmen, da er auch das Land betraf, das sie als das ihre betrachteten.

 

DER WELTKRIEG UND DER BEFREIUNGSKRIEG

 

In unserem Rahmen können hier nur die gröbsten Umrisse der internationalen

Entwicklungen, insofern sie die Ostprovinzen des Osmanischen Reiches berührten,

skizziert werden. Das Reich trat auf deutsch-österreichischer Seite in den Krieg ein und

erklärte Russland und Grossbritannien, die lange Zeit miteinander um den Einfluss im

Osten konkurriert hatten, den Krieg. Der Sultan erklärte diesen Kampf formal zum

Cihad , und die meisten Kurden schlossen sich dem islamischen Banner an. Ein junger

kurdischer Offizier, der im Ausland gelebt und dort Nationalist geworden war, bemerkt

in seinen Erinnerungen, dass keiner der Kurden an der Ostfront seiner Rede von der

kurdischen Unabhängigkeit Gehör schenkte; sie dachten lediglich an den Islam und an

die Loyalität gegenüber dem Kalifen (Silopi 1969, 38f.).

1915 ordnete die jungtürkische Regierung die Deportation aller Armenier in den

Ostprovinzen nach Syrien, weg von der russischen Grenze, an. Dieser Befehl eröffnete

eine der dramatischsten Episoden in der Geschichte dieser Region. Viele Armenier

wurden niedergemetzelt, entweder von türkischen Truppen oder von der ansässigen

kurdischen Bevölkerung, und noch mehr kamen auf dem Weg nach oder in Syrien

durch Hunger oder Krankheiten um. Siebzig Jahre propagandistische

Geschichtsschreibung durch Armenier und ihre Freunde oder durch Türken haben viel

zur Verdunkelung der tatsächlichen Ereignisse beigetragen.9

Es gibt keineüberzeugenden Beweise für eine tatsächliche Planung der Massaker durch die

  9 Zur Übersicht und Auswertung der konkurrierenden Behauptungen vgl. Dyer 1976; diewissenschaftlichste Darstellung vom armenischen Standpunkt aus gibt Hovanissian 1969; Shaw & Shaw1977 geben eine gemässigte Version der türkischen Sicht, wobei sie Volkszählungsdaten zur Schwächungder armenischen Behauptungen anführen.

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Regierung, doch es steht fest, dass viele Armenier von türkischen Truppen ermordet

wurden. Die Gesamtzahl der hingerichteten Armenier muss sich auf mehrere

Hunderttausend belaufen. Es lässt sich unmöglich herausfinden, wie bedeutsam die

Rolle der Kurden dabei gewesen ist. In vielen Orten wurden armenisches Eigentumgeplündert und Armenier hingerichtet, anderswo wurden sie von ihren kurdischen

Nachbarn beschützt.

Bevor alle Armenier deportiert waren, drangen russische Truppen in Ostanatolien

ein und zwangen viele Kurden, in den Westen oder Süden zu fliehen. Die Anzahl der

vertriebenen kurdischen Familien war enorm, und der soziale und ökonomische Bruch,

den diese Evakuierung verursachte, sollte noch Jahre später in der Region spürbar sein.

Zur selben Zeit rückte die britische Indien-Armee aus dem Südirak gegen Norden in

Richtung auf die Ölfelder von Kerkuk vor. Nach der russischen Revolution hatten sich

die russischen Truppen zurückgezogen und Nordostanatolien der Kontrolle der

verbliebenen Armenier überlassen. 1918 eroberten osmanische Truppen, unterstützt von

kurdischen Landwehren, erneut das Gebiet, konnten jedoch den britischen Vormarsch

nicht aufhalten. Als am 19. Oktober 1918 der Waffenstillstand unterzeichnet wurde,

hatte das Reich seine arabischen Provinzen an die Alliierten verloren. Die Briten

kontrollierten damit Südkurdistan. Die Sieger schienen überdies dazu entschlossen, die

noch verbliebenen Ostprovinzen ebenfalls von der Türkei abzutrennen und sie in einen

armenischen, einen griechischen (an der Schwarzmeerküste) und möglicherweise einen

kurdischen Staat aufzuteilen.

Besonders der Plan, die sogenannten "Sechs Provinzen" (Vilayet-i Sitte: Erzurum,

Van, Bitlis Diyarbakır, Elazığ und Sivas) in einen armenischen Staat umzuwandeln,

führte zu heftigen kurdischen Reaktionen. Selbst vor ihrer Deportation hatten die

Armenier weniger als zwanzig Prozent der Einwohner dieser Provinzen ausgemacht; in

allen Provinzen ausser Erzurum und Sivas, die teilweise türkisch waren, bildeten die

Kurden die überwiegende Mehrheit. Viele kurdische Stammesführer schlossen sichdeshalb schnell dem Kampf zur Beibehaltung dieser Provinzen unter muslimischer

Kontrolle an.

Einige einflussreiche Kurden wurden 1919 zu den Kongressen in Erzurum und

Sivas eingeladen, wo sich die kemalistische Bewegung zum ersten Mal organisierte.

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Die Kemalisten rivalisierten jedoch mit den Briten um die kurdische Loyalität: Letztere

wollten den Kampf um die kurdischen Stammesführer mit Versprechungen zur

Unabhängigkeit unter britischer Protektion gewinnen. Die Briten suchten Kontakte mit

Stammesführern in Nordkurdistan; die Kemalisten standen wiederum in Verbindungmit Kurden im britisch beherrschten Irak, denen sie im Gegenzug Versprechungen

machten. Beide propagierten besonders heftig in der ölreichen Provinz Mosul, zu der

Kerkuk gehörte, wobei der Status dieser Provinz bis 1926 unentschieden blieb.

Die Kurden, die nach Erzurum und Sivas kamen, sowie diejenigen, die später der

Nationalversammlung angehörten, stammten alle aus Teilen, die zur gegenwärtigen

Türkei gehören; es gab keinen Vertreter aus Mosul, obwohl der Nationale Pakt diese

Provinz stillschweigend zu denjenigen rechnete, die als Teil der neuen Türkei verteidigt

werden mussten. In den nordkurdischen Provinzen wirkte sich die britische Agitation,

die von kurdischen Nationalisten getragen wurde, kaum auf Dauer aus. Als während der

Friedenskonferenz in Paris ein Kurde auf der Forderung nach einem unabhängigen

Kurdistan bestand, erhielten die Konferenzteilnehmer von vielen einflussreichen

kurdischen Stammesführern Telegramme, in denen diese ihre Loyalität gegenüber der

neuen Türkei ausdrückten.10 

 

DIE KURDISCHEN ORGANISATIONEN UND IHRE TÄTIGKEIT

 

Die erste kurdische Organisation, "Kürt Teavün ve Terakki Cemiyeti" (Kurdische

Gesellschaft für gegenseitige Hilfe und Fortschritt), wurde 1908 gleich nach der

Jungtürkischen Revolution in Istanbul gegründet. Unter den Gründungsmitgliedern

finden wir Scheich Ubaidullahs Sohn Sayyid Abdulkadir und Emin Ali Bedirkhan, das

Oberhaupt des grossen Clans der Nachfahren von Bedir Khan. Said Nursi, oder Said

Kurdi wie er sich damals noch selbst nannte, der bereits einen Ruf als muslimischer

Denker besass, hatte sich ebenfalls dieser Gesellschaft angeschlossen und schriebreligiöse Artikel für ihre Zeitschrift (Gürsel 1977, 188). Er stand auch in engem

  10 Goloğlu (1968-1974, Bd. III, 85ff.) zitiert solche Telegramme, die von kurdischen Notabeln ausErzincan, Diyarbakır, Siverek, Mardin, Adıyaman, Silvan, Hakkari, Van und Hasankale unterzeichnetwurden. Die Namen der  kurdischen Delegierten zu den Kongressen in Erzurum und Sivas sind angeführtin Selek 1982, Bd. I, 432ff., 443f., 628ff.; Goloğlu 1968-1974, Bd. III, 321 ff.

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Kontakt mit einer kurdischen Schule, die andere Mitglieder der Gesellschaft in Istanbul

gegründet hatten.

Die Organisation war nicht separatistisch, ihr Ziel bestand vielmehr in der

kulturellen Förderung der Kurden innerhalb der osmanischen Gesellschaft. Trotzdemwurde sie 1912 verboten. Ihre Mitglieder blieben jedoch in ständigem Kontakt

untereinander und veröffentlichten gelegentlich Artikel in anderen Zeitschriften. Der

Kreis dieser Mitglieder wurde ausserdem durch den bedeutenden Denker und

Publizisten Abdullah Cevdet wiederbelebt, der 1911 aus dem Exil in Kairo

zurückkehrte.11 In seiner Zeitschrift " çtihad " wurden mehrere Artikel zur kurdischen

Frage veröffentlicht. Abdullah Cevdet hatte ursprünglich der jungtürkischen Bewegung

angehört, doch seine nonkonformistischen Vorstellungen entfremdeten ihn ihrer

Hauptströmung. Er war, zusammen mit Prinz Sabahettin, ein ausgesprochener

Befürworter des sogenannten "Dezentralistischen (adem-i merkeziyet ) Flügels" der

Bewegung. Bereits vor der Jungtürkischen Revolution hatte er die Ansicht verteidigt,

die verschiedenen ethnischen Kulturen sollten alle gleichermassen protegiert und

entwickelt werden, ausdrücklich eingeschlossen die christlichen Kulturen. Er war gegen

politische Autonomie für die muslimischen Minderheiten, scheint aber eine Art

föderalen Staat favorisiert zu haben (Hanioğlu 1981, 202, 278).

Möglicherweisen waren es diese Ideen, die ihn in Verbindung mit Said Nursi

brachten, der ähnliche Vorstellungen hegte. 1908 veröffentlichte " çtihad " einen Artikel

von Said Nursi, in dem er sich für die Hebung des kulturellen Niveaus der Kurden

aussprach, aber darauf bestand, dass Kurden und Türken aufeinander angewiesen seien

und sich nicht voneinander trennen sollten. Bei Abdullah Cevdets Ruf als weitgehend

antimuslimischem Freidenker erscheint die Verbindung mit Said Nursi —sie arbeiteten

noch einmal 1919 zusammen — auf den ersten Blick erstaunlich. Sie müssen einander

in ihrem Engagement für den Osmanismus und den wissenschaftlichen Fortschritt

sowie in ihrem Wunsch, ihre kurdischen Gefährten weiterzubilden, gefunden haben.Lediglich als Reaktion auf den zunehmenden Chauvinismus der türkischen

Nationalisten nahmen sie später einen gemässigten separatistischen Standpunkt ein.

  11 Zu Cevdet siehe K. Süssheims Artikel in der Enzyklopädie des Islams, Ergänzungsband, S. 55-60;Hanioğlu 1981; zu seinen kurdischen Aktivitäten Hanioğlu 1981, 315ff.; Silopi 1969, 26ff.

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Die kurdische Studentenvereinigung Hêvî (Hoffnung), die 1912 gegründet wurde,

besass jüngere und radikalere Mitglieder. Die meisten von ihnen stammten aus

städtischen Notabelnfamilien und waren der kurdischen Dorfbevölkerung ziemlich

entfremdet. Ihnen fehlte der Einfluss solcher Leute wie der der Bedirkhane, des SayyidAbdulkadir oder des Said Nursi. Als sie sich als Reaktion auf den zunehmenden

türkischen Nationalismus einem ausdrücklich kurdischen Nationalismus mit

separatistischen Forderungen zuwandten, blieb dies ohne Auswirkung auf die kurdische

Gesellschaft insgesamt. Als der Krieg ausbrach und die meisten Hêvî-Mitglieder der

Armee beitreten mussten, brach die Organisation auseinander.

Bald nach dem Waffenstillstand wurde eine neue kurdische Organisation in Istanbul

gegründet, die Kürt Teali Cemiyeti (Gesellschaft zur Förderung der Kurden). Einer

ihrer Gründer war Said Nursi, ihr Vorsitzender wiederum Sayyid Abdulkadir, der

einflussreichste kurdische Führer, ihr erster stellvertretender Vorsitzender Emin Ali

Bedirkhan; die anderen Mitglieder des Ausschusses repräsentierten eine breitere soziale

Schicht als in der früheren Organisation, und sie kamen aus Süd- und Nordkurdistan.

Darunter befanden sich gebildete Mitglieder der städtischen und tribalen Familien, der

Ulema und ein Mitglied der Familie berühmter Nakşibendi-Scheichs Arvasi.12 

Für Mitte 1919 gab die Kürt Teali Cemiyeti eine Mitgliederzahl von 10 000 allein

in Istanbul an. Als ihre Ziele nannte sie "die Wahrnehmung der allgemeinen Interessen

der Kurden und die Förderung der nationalen Sache..", und die beabsichtigten Mittel zu

diesem Zweck bestanden in der Veröffentlichung von Zeitschriften und Büchern, der

Einrichtung von Schulen und verschiedenen Formen der Erwachsenenbildung.13 Die

Erwähnung von Unabhängigkeit oder Autonomie wurde sorgfältig vermieden. Die

Gesellschaft verfolgte scheinbar nur soziale und kulturelle Ziele, sie erklärte sich selbst

nie öffentlich zugunsten einer kurdischen Unabhängigkeit, doch viele ihrer Mitglieder

hegten zweifellos diese Vorstellung.

Sayyid Abdulkadir, der auch Mitglied des osmanischen Senats war, bliebstandhafter Osmane und dem Kalifen in strikter Loyalität verbunden. Und Sayyid

  12 Silopi 1969, 52ff.; Yamülki 1946, 67f.; Komal 1975, 27ff. Eine wichtige Quelle für diesen  Zeitraumbilden die Akten des Britischen Auswärtigen Amtes im Public Records Office (PRO) in London. Dieweiter unten aufgeführten Dokumente stammen alle aus der Serie FO 371.13 Public Records Office, London (PRO), file FO 371, 1919, ME 44/91082/3050.

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Abdulkadir war die Person mit der grössten persönlichen Autorität: Die Kurden aus der

Unterschicht betrachteten ihn als ihren Vertreter, und auch von den Stämmen im Osten

wurde er allgemein anerkannt. Radikalere Mitglieder der Gesellschaft, die spürten, dass

die internationale Situation günstig für die Gründung eines kurdischen Staates war,versuchten inzwischen, in den Ostprovinzen Unterstützung für ihre Idee zu gewinnen.

Die "Vierzehn Punkte", die der amerikanische Präsident Wilson während des Krieges

formuliert hatte, versprachen allen vom Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Völkern

das Recht auf Selbstbestimmung, und die Briten waren an einem kurdischen Pufferstaat

zwischen den besetzten Teilen des Irak und den Türken interessiert.

Die Gesellschaft bildete Ortsgruppen in einigen Mittel- und Grossstädten des

Ostens, nämlich in Elazığ, Malatya, Muş und Diyarbakır (Gürsel 1977, 44). Die aktivste

Gruppe befand sich in Diyarbakır, einer Stadt mit gemischter türkischer und kurdischer

— früher auch armenischer — Bevölkerung, die schon immer ein lebendiges

intellektuelles Klima besessen hatte. Einige frühere Hêvî-Mitglieder beherrschten hier

die kurdische Szene, doch auch die Sympathisanten der Jungtürken waren stark. Der

einflussreiche Ziya Gökalp, ein Kurde, der einer der Chefideologen des türkischen

Nationalismus geworden war, stammte aus Diyarbakır, wie auch einige der ersten

Organisatoren des kemalistischen Widerstandes. Der Kurdische Klub in Diyarbakır

äusserte sich freimütiger nationalistisch zur Forderung der Kurden als die Gesellschaft

in Istanbul, erwies sich aber als weniger einflussreich auf die Stämme im umliegenden

Land. Insgesamt waren die Kurden im Osten mehr mit der Bedrohung, ein armenischer

Staat könne auf ihrem Land gegründet werden, beschäftigt. Die Appelle der Kemalisten

an eine türkisch-kurdische Bruderschaft unter der Ägide des Kalifats zeitigten grösseren

Erfolg als irgendwelche nationalistische Appelle der Kurden.

Im Herbst 1919 wurde der britische Major Noel von Bagdad abgesandt, um sich

einen Überblick über die Situation in Kurdistan zu verschaffen und um die kurdische

Stimmungslage im Hinblick auf eine nationale Unabhängigkeit zu erkunden. Er warstreng auf die Idee eines kurdischen Staates fixiert und versuchte Leute mit ausreichend

Popularität oder Einfluss ausfindig zu machen, die einen solchen Staat — unter

britischer Protektion — führen konnten. Seine Berichte verdeutlichen, dass die Kurden

für die Durchführung eines solchen Vorhabens zu gespalten waren. Um der

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kemalistischen Bewegung entgegenzuwirken, deren Organisierung im Osten damals

begann, schlug er vor, die Istanbuler Regierung solle kurdische Nationalisten zu

Provinzgouverneuren ernennen. Noels Anwesenheit in Malatya in Begleitung von

jungen Mitgliedern der Kürt Teali Cemiyeti in Istanbul, die zeitlich mit dem Kongressvon Sivas zusammenfiel, erweckte den Eindruck, er wolle die lokalen Stämme zum

Angriff auf den Kongress und auf Mustafa Kemal hetzen. Es wurden Truppen nach ihm

ausgesandt und Kurden von kemalistischen Beamten festgenommen und ins Gefängnis

geworfen. Ein Aufstand der Stämme kam niemals zustande.

Dieser Vorfall brachte die Briten in grosse Verlegenheit; die Franzosen, die durch

die Kemalisten davon hörten, verübelten ihnen dies als zu aktive Intervention. Mustafa

Kemal selbst bezieht sich auf diesen Vorfall in seiner grossen Rede von 1927.14 

Tatsächlich hat danach der antikemalistische Gouverneur von Elazığ, Ali Galip Bey,

vom Sultan die Order erhalten, Mustafa Kemal mit Hilfe der kurdischen Stämme zu

verhaften, und er brachte zu diesem Zweck tatsächlich bewaffnete Stammesangehörige

zusammen. Anstatt geradewegs nach Sivas zu marschieren, gingen diese

Stammesmitglieder zuerst nach Malatya, wo ein Mitglied der Familie Bedirkhans

Gouverneur war. Den Kemalisten loyal ergebene Truppen schlugen diesen sogenannten

Aufstand, in dem sie die Gefahr einer kurdischen nationalistischen Erhebung unter

britischen Auspizien witterten, mit Leichtigkeit nieder (Erdeha 1975, 125ff.).

Da ihnen genügend Einfluss auf die kurdische Bevölkerung fehlte, waren die

Nationalisten gezwungen, ihre Sache über diplomatische Bemühungen voranzutreiben.

Vertreter der Kürt Teali Cemiyeti statteten einigen Botschaften Besuche ab, um die

kurdischen Interessen zu verteidigen, und — was noch wichtiger war — man entsandte

einen Vertreter, Şerif Pascha, zur Friedenskonferenz. Şerif, ein Kurde aus

aristokratischer Familie, war ein osmanischer Diplomat gewesen und lebte im Exil in

Frankreich. Auf der Konferenz erzielte er eine Übereinkunft mit dem armenischen

Unterhändler, Boghos Nubar Pascha, über die Teilung der Ostprovinzen in einarmenisches und ein kurdisches Territorium. Daraus resultierend sollte der Vertrag von

Sèvres eine Klausel enthalten, die die Gründung eines kurdischen Staates offenhielt.

  14 Vergleiche Goloğlu 1968-1974, Bd. II, 123f.; Noels eigener Bericht ist zu finden in PRO, FO 371,1919: 44 A / 129887; und 134740/3050; die Version der Brüder Kamran und Celadet Bedirkhan, dieNoel begleiteten, in Chirguh 1930, 29.

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Als im Februar 1920 Şerif Paschas Übereinkunft mit den Armeniern bekannt wurde,

rief dies ernsthafte Meinungsverschiedenheiten in der Kürt Teali Cemiyeti hervor, die

bis dahin noch niemals offen die Unabhängigkeit gefordert hatte. Sayyid Abdulkadir

gab eine Stellungnahme ab, in der er die Funktion Şerif Paschas als Vertreter der KürtTeali Cemiyeti bestätigte, die Bedeutung der Übereinkunft jedoch herunterspielte: Es

gebe keine kurdisch-türkische Uneinigkeit, erklärte er, und man fordere nicht mehr als

Autonomie. Diese Erklärung führte zu einem Bruch in der Gesellschaft. Einige

Mitglieder verliessen sie; die Bedirkhans blieben zunächst und versuchten Sayyid

Abdulkadir abzusetzen. Die kurdischen Gilden, die die überwiegende Mehrheit der

Kurden in Istanbul repräsentierten, erklärten Abdulkadir ihre bedingungslose

Unterstützung. Die Mitglieder, die das Kalifat ablehnten oder nationalistischer

eingestellt waren, fielen danach ebenfalls von der Gesellschaft ab und gründeten ihre

eigenen Organisationen.15 

Das Britische Hochkommissariat in Istanbul merkte an, dass viele kurdische

intellektuelle protürkischer als sogar Abdulkadir selbst waren. Es wertete den Bruch in

der Organisation als Ergebnis der türkischen Bemühungen, eine Spaltung zwischen den

Mitgliedern der Gesellschaft und Şerif Pascha zu forcieren. Die kurdischen

Nationalisten schrieben später den Bruch in erster Linie Sayyid Abdulkadirs

Konservatismus und seiner blinden Loyalität gegenüber dem Kalifat zu. Die wichtigste

der neuen Organisationen wurde die Teşkilat-i çtimaiyye (Kurdische Soziale Liga), die

die Briten im Mai 1920 von ihrer Gründung informierte. Unter ihren

Gründungsmitgliedern befanden sich Abdullah Cevdet und Celadet Bedirkhan.16 

Die unterschiedlichen Ansichten über die kurdischen Interessen lähmten die

kurdischen Organisationen. Der Vertreter der Istanbuler Regierung bei der

Friedenskonferenz war gewillt, der Forderung nach einem unabhängigen Kurdistan

zuzustimmen und schloss eine informelle Vereinbarung mit Şerif Pascha über die

Grenzen eines solchen Staates. Dieser sollte aus den Provinzen Van, Bitlis, Malatya,Dersim und Teilen Diyarbakırs und Elazığs bestehen.17 Es fällt auf, dass die von den

  15 FO 371, 1920: E 5063/11/44.

16 FO 371, 1920: E 6148/11/4417 FO 371, 1920: E 6437/11/44.

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Briten weitgehend besetzte Provinz Mosul nicht erwähnt wird. Einige Wochen später

schrieb Sayyid Abdulkadir einen Protestbrief an das Britische Hochkommissariat, in

dem er ein grösseres Gebiet für den kurdischen Staat beanspruchte.18 Dies zeigt erneut,

dass sich Abdulkadir zwar den armenischen Ansprüchen widersetzte, aber nichtunbedingt zugunsten eines unabhängigen kurdischen Staates.

Zu diesem Zeitpunkt konnte die Istanbuler Regierung jedoch nicht mehr als

Vertretung der Türkei angesehen werden. Die Kemalisten hatten bereits mit

beträchtlicher kurdischer Unterstützung ihre erfolgreiche Gegenregierung in Ankara

gebildet. Sie erkannten den Vertrag von Sèvres niemals an. Die Briten und Amerikaner

verloren ebenfalls bald ihr Interesse an einem kurdischen Staat, da sie andere Wege

gefunden hatten, um ihre Ansprüche auf die Ölfelder Mosuls wahrzunehmen. Als mit

der Zeit mehr Kurden tatsächlich einen eigenen Staat wünschten, war die internationale

Situation für einen solchen nicht mehr günstig.

Nach 1920 hört man nicht mehr viel von den in Istanbul gegründeten kurdischen

Organisationen. Einige von ihnen sollten später mit der kurdischen Liga Hoybun

verschmelzen, die im syrischen Exil operierte. Ihre Rolle im Scheich-Said-Aufstand

war äusserst marginal. Hoybun spielte eine Rolle in der Organisierung eines späteren

kurdischen Aufstandes, der von 1928 bis 1930 in den Bezirken um den Ararat stattfand.

Zu dieser Zeit hatte Hoybun eine Zusammenarbeit mit der armenischen Organisation

Dashnak begonnen, die ihr logistische Hilfe gewährte. Die Organisation betätigte sich

aktiv auch im kulturellen Bereich; ihre Mitglieder gaben eine Zeitschrift mit dem Titel

"Hawar " heraus, die einen entscheidenden Part in der Entwicklung des Kurdischen als

Schriftsprache spielte.

1923 wurde jedoch eine neue kurdische Organisation gebildet, die von einem

anderen Typ von Menschen, nämlich Offizieren, angeführt wurde. Diese Organisation,

die "Azadi" ("Freiheit") genannt wurde, war im ländlichen Osten und nicht in den

grossen Städten verankert. Sie spielte in der Scheich-Said-Rebellion eine entscheidendeRolle.

 

  18 FO 371, 1920: E 8555/11/44.

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Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  24 

DIE INTERNATIONALEN ENTWICKLUNGEN

 

Nach dem Waffenstillstand war Transkaukasien von den türkischen Truppen geräumt

und von den Briten besetzt worden, die es 1919 den drei bürgerlichen RepublikenArmenien, Georgien und Aserbeidschan, die damals gegründet wurden, vermachten.

Die armenische Regierung versuchte ihr Territorium bis nach Anatolien hinein

auszuweiten, wurde aber mit heftigem muslimischen Widerstand konfrontiert. Eine

kemalistische Offensive im September 1920 warf die armenischen Truppen in den

Kaukasus zurück, und im Dezember 1920 unterzeichnete die stark verkleinerte

armenische Republik einen Friedensvertrag mit der Regierung in Ankara. Im April

1921 eroberten die Bolschewisten Armenien, und einige Monate später unterzeichnete

Ankara eine neue Vereinbarung mit den bolschewistischen Regierungen der

transkaukasischen Republiken, wonach Kars und Ardahan an die Türkei abgetreten

wurden. Die Möglichkeit der Zuordnung von kurdischem Territorium an Armenien

wurde damit endgültig ausgeschlossen, und einer der wichtigsten Faktoren, die Kurden

und Türken geeint hatten, bestand nicht mehr.19 

Offen blieb die Frage nach dem Status der Provinz Mosul, die den grössten Teil

Südkurdistans umfasste. Gemäss den Bedingungen des Waffenstillstandes mussten die

türkischen Truppen diese Provinz ebenfalls räumen, doch die Kemalisten

beanspruchten sie von Anfang an als einen integralen Teil der Türkei, die sie im

"Nationalen Pakt" (Misak-i Milli) als all dasjenige Territorium definierten, das von

einer nichtarabischen muslimischen Mehrheit bewohnt wird.

Das Hauptinteresse aller beteiligten Parteien galt wohl den reichen Ölvorkommen in

dieser Provinz. Die Turkish Petroleum Company, die vollständig in die Hände der

Briten geraten war, nachdem diese den deutschen Anteil von 25 Prozent als Kriegsbeute

konfisziert hatten, besass den grössten Anspruch auf die Ölquellen. Es bestand jedoch

auch noch ein älterer, konkurrierender amerikanischer Anspruch, die Chester-Konzession. Die Briten waren natürlich nicht gewillt, die Ölfelder an die Türken

abzutreten, und dies war wohl der Hauptgrund dafür, dass sie den kurdischen

  19 Einen ausführlichen Überblick über die Entwicklungen in Transkaukasien bietet Walker 1980, 243ff.

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Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  25 

Nationalismus umwarben. Ein kurdischer Staat unter britischer Protektion erschien

ihnen zunächst als beste Sicherung ihrer Ölinteressen.

Als sie herausfanden, dass die meisten einflussreichen kurdischen Nationalisten

wenig Loyalität gegenüber Grossbritannien zeigten und sich statt dessen denmuslimischen Brüdern in der Türkei enger verbunden fühlten, wurde die Idee, Mosul

endgültig dem Irak anzugliedern, zunehmend gebilligt. Auf der Konferenz in San Remo

im April 1920 erhielt Frankreich eine Beteiligung von 25 Prozent an der Turkish

Petroleum Company, wodurch von nun an seine Unterstützung der britischen Mosul-

Politik gewährleistet war. Die Amerikaner protestierten jedoch heftig gegen diese

Vereinbarung, die sie vollkommen überging. Sie unterstützten die Regierung in Ankara,

die die Genehmigung der Turkish Petroleum Company als ungültig ansah. Einige Jahre

lang unterstützten die Amerikaner deshalb die kemalistischen Ansprüche auf Mosul,

und mit Sicherheit waren sie an der Gründung eines kurdischen Staates nicht

interessiert. Nach umfangreichem diplomatischen Austausch erhielten sie 1922

schliesslich eine Beteiligung von zwanzig Prozent an der Turkish Petroleum

Company.20 

Von nun an kam die einzige ausländische Unterstützung, die die Kemalisten für ihre

Ansprüche auf Mosul erhielten, von der Sowjetunion. Die Regierung in Ankara

weigerte sich jedoch, die Provinz herzugeben, und im Vertrag von Lausanne, der 1923

zwischen der neuen Türkei und den Alliierten abgeschlossen wurde, blieb der Status

Mosuls unentschieden. Man einigte sich, dass der Völkerbund die Sache in die Hand

nehmen und über den endgültigen Status in Übereinstimmung mit den Wünschen der

Bevölkerung entscheiden sollte. Sowohl die Briten als auch die Türken intensivierten

daraufhin ihre Propaganda in der Provinz. Die Briten versprachen weiterhin eine halbe

Unabhängigkeit. Scheich Mahmud Barzanji, der früher gegen die Briten rebelliert hatte,

bekam, um den türkischen Einfluss zu konterkarieren, erneut eine offizielle Funktion

als Gouverneur über einen grossen Teil Kurdistans.Der Scheich verstand sich aber nicht nur als Gouverneur: Er bildete seine eigene,

von den Briten unabhängige Regierung und knüpfte Kontakte zu den Türken. Die

  20 Zur Strategie der Briten, Franzosen und Amerikaner gegen die Kurden und hinsichtlich der Ölquellenin Mosul vergleiche Shaw 1976.

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Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  26 

Briten bombardierten daraufhin seine Hauptstadt Sulaimania und schlügen die Truppen

des Scheichs über die persische Grenze zurück. All dies kann in der Bevölkerung

Mosuls keinen grossen Wunsch nach einem Anschluss an den Irak geweckt haben, und

die türkische Propaganda nutzte die Unzufriedenheit mit der britischen Herrschaft aus;die Regierung in Ankara versprach eine bessere Behandlung für den Fall, dass sich die

Kurden für einen Anschluss an die Türkei entschieden.

Zum Zeitpunkt, als der Scheich-Said-Aufstand ausbrach, war der Status der Provinz

noch immer unentschieden, und eine internationale Kommission des Völkerbundes

besuchte gerade Mosul, um die Wünsche der Bevölkerung zu sondieren. Der Aufstand

und seine harte Niederschlagung müssen den Briten deshalb äusserst willkommen

gewesen sein. Es ist verständlich, dass die Türken die Briten als Drahtzieher des

Aufstandes verdächtigten und dass die Sowjetunion ähnliche Anklagen vorbrachte. In

den britischen Archiven gibt es jedoch keinen Hinweis darauf, dass die Briten

tatsächlich eine Rolle bei der Anzettelung spielten, obwohl sie darüber informiert

waren, dass irgendein kurdischer Aufstand bevorstand.

Die Kommission des Völkerbundes zog beiläufig den Schluss, dass sowohl die

Wünsche der Bevölkerungsmehrheit als auch wirtschaftliche Erwägungen eher für

einen Anschluss an den Irak als für eine Eingliederung in die Türkei sprechen würden.

Die Kommission fügte aber hinzu, dass eine Massnahme in Richtung Autonomie

höchst wünschenswert wäre. Der Völkerbund nahm den Befund der Kommission an,

und die Türkei war gezwungen, ihre Ansprüche aufzugeben. Im Juni 1926

unterzeichnete Ankara ein entsprechendes Übereinkommen mit dem Irak und

Grossbritannien und erhielt als Gegenleistung eine Zusage über zehn Prozent der

Ölgewinne, die der Irak in den nächsten 25 Jahren erzielen sollte.21 

 

DIE ANFÄNGE DER ENTFREMDUNG ZWISCHEN KURDEN UND TÜRKEN

 Im Osmanischen Reich waren und verstanden sich Kurden und Türken immer als

Mitglieder derselben sunnitisch-muslimischen Millet, im Gegensatz zu den anderen,

christlichen und jüdischen Millets. Der ethnische Nationalismus hatte im frühen

  21 Longrigg: 1953, 144ff.; Melek: 1983.

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Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  27 

zwanzigsten Jahrhundert innerhalb der Bildungseliten beider Gruppen Fuss gefasst,

liess die Massen jedoch so gut wie unberührt. Im Befreiungskrieg blieben die Türken

und Kurden vor allem durch ihren gemeinsamen Widerstand gegen die drohende

christliche Vorherrschaft und die gemeinsame Loyalität gegenüber dem Sultan-Kalifengeeint. Die Tatsache, dass der Sultan die kemalistische Bewegung zunächst bekämpfte,

zählte nicht wirklich, da allgemein angenommen wurde, dass die siegreichen Alliierten

ihn dazu zwangen.

In seinen zahlreichen Briefen und Telegrammen an kurdische Stammes- und

religiöse Führer betonte Mustafa Kemal immer wieder die Brüderlichkeit zwischen

Kurden und Türken und beteuerte, dass der Krieg zur Verteidigung des Kalifats geführt

werde. Die Kemalisten kooptierten sogar viele kurdische Intellektuelle, die von

nationalistischen Ideen beeinflusst worden waren, mit Versprechungen einer

administrativen Dezentralisierung und kulturellen Autonomie. So berichtete ein

britischer Beamter nach einer Unterredung mit kurdischen Nationalisten, dass diese von

den Alliierten enttäuscht seien, die, wie sie fühlten, die Teilung des kurdischen

Territoriums beabsichtigten.

"Sie haben sich deshalb den Jungtürken zugewandt, die ihnen ein autonomes Kurdistan

anboten, das der allgemeinen Autorität des Sultans und des türkischen Parlaments, in

dem die Kurden vertreten sein würden, unterworfen sein sollte. Die

Gouverneursposten, die Gendarmerie und die Verwaltungsstellen sollten von Kurden

besetzt werden. Der Hauptteil der Einnahmen würde in Kurdistan selber ausgegeben

werden, ein gewisser Teil sollte an die Staatskasse gehen. Den Kurden sollte es

freigestellt sein, ausländische Berater in solchen Departments, in denen sie es für

wünschenswert hielten, hinzuzuziehen, aber der Staat würde endgültig ein integraler

Staat des türkischen Reiches bleiben".22 

 

Mit der Konsolidierung der kemalistischen Herrschaft fiel die armenische Bedrohung

weg, und die zweite bindende Institution, das Kalifat, erlitt mit der Gründung der

Republik 1923 den ersten Schlag. Die Abschaffung des Kalifats im folgenden Jahr

erlebten viele Kurden als Schock. Das alte Misstrauen gegen die Reformer, die zu stark

in die lokalen Angelegenheiten eingriffen, war wieder genauso stark wie seinerzeit

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unter Sultan Abdülhamit. Nachdem jetzt die Reformer die volle Kontrolle über den

Staat übernommen hatten, beraubten sie ihn in den Augen vieler Kurden (und Türken)

seiner Legitimität. Die Schliessung der traditionellen islamischen Schulen (Medresen)

und besonders die Verwaltungs- und Steuerreformen, die die Regierung vornahm,trugen zu wachsenden Ressentiments gegen das neue Regime bei.

Spezifisch kurdische Beschwerden wurden lauter, und das Gefühl, diskriminiert zu

werden, machte sich breit. Manche Vorfälle wurden nun in einem anderen Licht

gesehen. Nach dem Krieg war die Behandlung der kurdischen Flüchtlinge, die nach

dem Rückzug der türkischen Armee gezwungen waren, die Ostprovinzen zu verlassen,

ziemlich unfreundlich gewesen. 1919 war — offensichtlich von der Istanbuler

Regierung — angeordnet worden, dass sie sich in Gruppen von nicht mehr als 300

Personen, getrennt von ihren Stammes- und Religionsführern, aufteilen und über die

Provinzen im Westen verstreut weniger als fünf Prozent der jeweiligen örtlichen

Bevölkerung bilden sollten.23 Einem Stammesführer, der um Erlaubnis gebeten hatte,

seine Leute zu sammeln und mit ihnen in den Osten zurückzukehren, war dies offenbar

verboten worden (Yamülki: 1946, 70f.).

Rückblickend interpretierten manche dies als einen Versuch, die Kurden zu

zerstreuen und zu assimilieren. Nach 1922 sprachen die Kemalisten nicht mehr von der

kurdisch-türkischen Bruderschaft, sondern allein von den Wünschen und Rechten der

Türken. Die Bürokratie erfasste nun offensichtlich ein ansteckender türkischer

Nationalismus. Kurden sowie andere Minderheiten werden im Wortlaut der Verfassung

von 1924 nicht erwähnt: Sie wurde als "Verfassung der Türken" bezeichnet, sprach von

den "Rechten jedes Türken", der "türkischen Nation" usw. (weitere Beispiele in Beşikçi

1969, 299).

Die reformfreudige, zentralistische Regierung war ausserdem jeder Form von

administrativer Autonomie abgeneigt. Dies war bereits im Winter 1920/21 deutlich

geworden, als die Stammesführer von West-Dersim in Telegrammen an dieNationalversammlung zunächst die Unabhängigkeit und später eine beschränkte

Autonomie forderten. Sofort waren Truppen ausgeschickt worden, um diese Rebellion

 22 FO 371, 1919: 44 A/175160/3050.23 FO 371, 1919: 44 A/112202/3050.

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zu ersticken, und die Anführer wurden schwer bestraft. Diese Stammesführer gaben an,

mit Sayyid Abdulkadir in Istanbul in Verbindung zu stehen. Sie verlangten zuerst die

Gewährung der Unabhängigkeit gemäss den Bedingungen des Vertrages von Sèvres;

einige Monate später, im März 1921, waren sie moderater geworden und forderten dieUmwandlung des kurdischen Teils West-Dersims in eine separate Provinz unter einem

kurdischen Gouverneur und mit kurdischen Verwaltungsbeamten. Die Stämme waren

bewaffnet und erklärten ihren Willen, für dieses Recht zu kämpfen, was der

Hauptgrund für die Strafaktion gewesen sein muss. Es gab keine Versuche, ernsthafte

Verhandlungen aufzunehmen (Dersimi 1952, 120ff.; Komal 1975).

Dem General des Feldzuges, Nurettin Pascha, wird eine Bemerkung zugeschrieben,

die oft zitiert wurde: “Wir haben die Leute, die 'Zo' sagen (d.h. die Armenier) zum

Schweigen gebracht, jetzt kommen die dran, die 'Lo' sagen (d.h. die Kurden)”

(Yamülki: 1946, 73). Zu diesem Zeitpunkt erfuhr die Rebellion von anderen Kurden,

die sich in der Nationalversammlung vertreten fühlten, wenig Sympathien. Doch in den

folgenden Jahren begann man in ihrer Unterstützung einen Beweis dafür zu sehen, dass

die Kurden nicht als Gleiche in der Türkei behandelt werden sollten.

1923 gründeten kurdische Militäroffiziere, Scheichs, Stammesführer und städtische

Notabeln, die alle im Osten lebten, eine neue kurdische Organisation, die Azadi. Die

meisten von ihnen hatten die kemalistische Bewegung unterstützt und waren von ihr

enttäuscht worden. Ihr Ziel war die Gründung eines kurdischen Staates, und sie

begannen mit Vorbereitungen für einen allgemeinen kurdischen Aufstand. Einige

Offiziere erweckten den Argwohn ihrer Vorgesetzten und mussten fliehen. In der

Hoffnung auf britische Unterstützung gingen sie in den Irak, wo sie den sie befragenden

Geheimdienstoffizieren eine lange Liste kurdischer Beschwerden vorlegten. Da diese

deutlich die Vorstellungen zumindest eines beträchtlichen Teils der kurdischen Elite zu

dieser Zeit, im Herbst 1924, aufzeigt, lohnt es sich, sie zu untersuchen:

  —  Ein neues Minderheitengesetz erregte den Verdacht, die Regierung wolledie Kurden über Westanatolien zerstreuen und an ihrer Stelle Türken ansiedeln;

—  mit der Abschaffung des Kalifats war eine der letzten Verbindungen zwischen den

Kurden und Türken zerbrochen;

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—  der Gebrauch der kurdischen Sprache in den Schulen und Gerichten war äusserst

eingeschränkt worden; die Ächtung des Unterrichts in Kurdisch hatte zur Folge, dass

ein kurdisches Schulwesen faktisch nicht existierte;,

—  das Wort "Kurdistan" war aus allen Geographiebüchern eliminiert worden;

—  fast alle ranghöheren Regierungsbeamten in den kurdischen Provinzen waren

Türken; für die niedrigeren Dienste wurden Kurden eingesetzt, doch wurden diese

sorgfältig ausgewählt;

—  für die gezahlten Steuern bot die Regierung keine Wohlfahrts!eistungen;

—  in den kurdischen Provinzen mischte sich die Regierung in die Wahlen zur

Nationalversammlung 1923 ein;

—  die türkische Regierung verfolgte die Taktik, einen Stamm ständig gegen den

anderen auszuspielen;

—  kurdische Dörfer wurden von der Armee geplündert, Tiere wurden weggenommen,

und im Zusammenhang mit Einnahmen und Zahlungen für requiriertes

Versorgungsmaterial gab es reichlich Korruption;

—  in der Armee wurde die Masse der Kurden übermässig beansprucht und schlecht

behandelt; sie wurden gewöhnlich für die härtesten und unangenehmsten Aufgaben

ausgewählt;

—  die Regierung versuchte, den kurdischen Reichtum an Mineralien mit Hilfe

deutschen Kapitals auszubeuten.24 

Manche Beschwerden mögen übertrieben gewesen sein; die Flüchtlinge wollten denEindruck vermitteln, dass alle Kurden die türkische Herrschaft ablehnten. Es ist jedoch

nicht völlig klar, wie weit die Ablehnung der türkischen Politik ging. Sicher war sie

nicht heftig genug, um alle Kurden zur Teilnahme am Aufstand zu bewegen, als er

schliesslich ausbrach: Er blieb auf ein begrenztes Gebiet nördlich von Diyarbakır

beschränkt.

Der persische Offizier Hassan Arfa, der kurz vor dem Aufstand durch Kurdistan

gereist war, nannte einige andere Gründe für die Revolte: Neben den verletzten

religiösen Gefühlen und der Assimilierungspolitik der Regierung nannte er die

allgemein schlechte ökonomische Situation in den Ostprovinzen, die Unzufriedenheit

der Stammesführer, die daran gehindert worden waren, sich für die

  24 FO 371, 1924: E 11093/11093/65.

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Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  31 

Nationalversammlung wiederwählen zu lassen sowie die Ängste der Landbesitzer vor

einer Beschneidung ihrer Privilegien (Arfa 1966, 37).

 

DIE SOZIALEN UND ÖKONOMISCHEN BEDINGUNGEN IMAUFSTÄNDISCHEN GEBIET

 

Die Rebellion fand nach ihrem Ausbruch die stärkste Unterstützung im Gebirgsland

nördlich von Diyarbakır, zu beiden Seiten des Murad-Flusses, dem östlichen Seitenarm

des Euphrat. Die Mehrheit der dortigen Bevölkerung spricht entweder Zaza, eine

iranische Sprache, die sehr vom eigentlichen Kurdisch abweicht, oder Kurmanci. Zu

den Sprachunterschieden kommen noch einige andere, geringfügige kulturelle

Differenzen, doch die Zaza-Sprechenden betrachten sich im allgemeinen selbst als

Kurden, und es existieren keine Barrieren im sozialen Umgang der beiden sprachlichen

Untergruppen miteinander. Der Aufstand beschränkte sich auf die sunnitischen Zazas.

Die Bevölkerung von Dersim, im Westen dieses Gebietes, ist weitgehend alevitisch und

spricht teilweise Zaza, teilweise Kurmanci. Obwohl einige der Dersim-Stämme in der

Vergangenheit Anzeichen von kurdischem Nationalismus gezeigt hatten, unterstützten

sie den Aufstand nicht.

Zum Zeitpunkt der Revolte bestand in den sunnitischen Zaza-Dörfern eine noch fast

geschlossene Ökonomie. Zwar wurden einige Produkte zum Verkauf angebaut, Tabak

vor allem, doch im übrigen produzierten die Dorfbewohner für ihre eigenen

Bedürfnisse und erwarben das, was sie nicht selbst herstellen konnten, eher durch

Tausch als durch Kauf. Der Landbesitz war nicht sehr konzentriert, die meisten

Familien besassen etwas Land und einige Tiere, was aber für ein sorgenfreies Leben

nicht ausreichte. Hunger war keine ungewöhnliche Erscheinung, und die Jahre nach

dem Krieg waren allgemein schlecht gewesen. Der Bevölkerungsdruck und der Krieg

hatten viele junge Leute dazu veranlasst, in den Städten der Region und sogar in denGrossstädten des Westens nach einem Arbeitsplatz zu suchen. In Diyarbakır, Elazığ und

Istanbul lebte eine beträchtliche Anzahl von Migranten aus diesen Zaza-Dörfern.

Die Zazas waren in kleinen Stämmen organisiert, von denen jeder nur eines oder

wenige Dörfer umfasste. Die Führer waren kaum reicher als ihre Untertanen und

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Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  32 

besassen nicht die weitreichende Macht der Führer grösserer Stämme. Wichtige

Angelegenheiten, die den ganzen Stamm betrafen, wie etwa Fehden, interne Konflikte,

die Beziehungen zu anderen Stämmen und auch die augenblickliche Revolte, wurden

im Ältestenrat erörtert, der aus dem Führer (Ağ a), den Dorfvorstehern (Muhtar ) undgeachteten älteren Männern (rî spî , Graubärte) bestand. Die Entscheidungen des

Ältestenrats wurden im allgemeinen von den Stammesangehörigen ohne Zögern

ausgeführt. Im Fall von Konflikten zwischen den verschiedenen Stämmen waren es

häufig die Scheichs, an die man sich wandte oder die eingriffen. In diesen Bezirken

waren einige Familien von Nakşibendi-Scheichs ansässig, und alle waren sie mehr als

nur religiöse Führer: Sie übten grossen Einfluss auf die Stämme aus.

Im Hochgebirge weiter nördlich, den Bingöl-Bergen, bildeten grosse, früher

nomadische Stämme, die Sunniten waren und Kurmanci sprachen, das wichtigste

Segment der Bevölkerung. Die Cibran und ihre Nachbarn im Osten, die Haydaran und

die Hasanan, hatten früher Hamidiye-Regimenter gebildet und ihre Führer militärische

Ehren erlangt. Mitglieder ihrer führenden Familien waren in Istanbul ausgebildet

worden, wo sie mit kurdischen Nationalisten Kontakt gehabt hatten. Einige von ihnen

waren Offiziere in der regulären Armee geworden. Die Angehörigen dieser Stämme

verbanden in äusserst bescheidenem Rahmen einfachen Ackerbau mit etwas

Nutztierhaltung, doch die Führer waren reich und besassen grosse Herden. Mitten unter

den Cibran lebten einige kleine Aleviten-Stämme, die häufig in Streit mit ihren

mächtigen Nachbarn gerieten. Zur Zeit der Hamidiye-Regimenter waren sie von den

Cibran oft schikaniert worden und hegten daher noch grosse Ressentiments gegen sie.

Es ist nicht erstaunlich, dass sie sich gegen den Aufstand wandten, als die Cibran sich

ihm anschlossen.

Südlich und südöstlich vom Zaza-Hügelland zogen sich die fruchtbaren Ebenen von

Diyarbakır, Miyafarkin (Silvan) und Muş hin. Hier herrschten Grossgrundbesitzer, und

die meisten Dorfbewohner waren arme Teilpächter oder Pächter. Sie verstanden sich alsKurden, sprachen Kurmanci, waren aber nicht in Stämmen organisiert wie ihre

Nachbarn im Norden. Sie waren von auswärts lebenden Landbesitzern abhängig und

hielten sich offenbar aus der Rebellion heraus.

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Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  33 

Die Bezirke südwestlich des aufständischen Gebietes bestanden aus einem Mosaik

kleiner Stämme und nichttribaler Gruppen, die von Grundbesitzer-Familien beherrscht

wurden, Zaza und Kurmanci sprachen und hauptsächlich Sunniten, jedoch mit

alevitischen Einsprengseln, waren. An einigen Orten wurde die Rebellion spontanunterstützt, anderswo konnte die Regierung die Bevölkerung mobilisieren, gegen die

Aufständischen zu kämpfen.

 

DIE SCHEICHS

 

In diesem Gebiet gab es einige einflussreiche Scheich-Familien. Alle Scheichs dieser

Region hatten sich hier im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts niedergelassen und

führten ihre geistige Abstammung auf Maulana Khalid zurück. Die mächtigsten von

ihnen waren Scheich Said, ursprünglich aus Palu, und Scheich Ziyaettin aus Nurşin in

der Nähe von Muş (siehe Karte). Scheich Saids Grossvater war von Khalids Halifen

Ahmed von Erbil in den Nakşibendi-Orden eingeführt worden, Ziyaettins Vater vom

grossen Scheich Sibghatullah aus Hizan nahe Bitlis, der seinerseits wiederum von

Scheich Ubaidullahs Vater Sayyid Taha, einem weiteren Halifen Maulana Khalids,

eingeweiht worden war. Diese Verbindungen waren wichtig, da die Abkömmlinge eines

Scheichs und seiner Halifen ihre Meister-Jünger-Beziehungen gewöhnlich weiterhin

pflegten. Obwohl sie sich häufig selbst als Scheichs betrachteten, erwiesen die

Nachkommen der Halifen weiterhin der Scheich-Familie ihre Achtung, und in ihrer

Jugend wurden sie oft zum gemeinsamen Studium zu dem Nachfolger des Scheichs

geschickt.

Das Scheichtum war bald zu einer erblichen Institution geworden; ein Scheich

mochte zwar anderweitig Halifen ernennen, sein Nachfolger wurde aber gewöhnlich

einer seiner Söhne. Das einfache Volk neigte dazu, alle Söhne eines Scheichs als solche

anzuerkennen und sie mit demselben Respekt zu behandeln, selbst wenn sie nicht derTarikat folgten. Da die Scheichs räumlich nicht weit voneinander residierten, befanden

sie sich in einer Konkurrenzsituation um die Loyalität derselben Leute. Konflikte

zwischen den Scheich-Familien waren deshalb nichts Ungewöhnliches, doch durch

Heiraten untereinander pflegten sie ihre Beziehungen wieder zu verbessern. Scheich-

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Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  34 

Halifen-Beziehungen, Abstammung voneinander und gegenseitige Heirat verbanden

diese Familien zu einem Netz, das das gesamte Gebiet überzog.

Ausser den beiden bereits erwähnten Scheichs und ihren engsten Verwandten

sollten die folgenden Scheichs eine Rolle im Aufstand spielen: Scheich Şerif vonGökdere, östlich von Palu, die Scheichs Ibrahim und Mustafa von Çan, weiter nördlich,

Scheich Abdullah aus dem Bezirk Solhan, ein angeheirateter Verwandter des Scheich

Said, sowie die Brüder Scheich Şemseddin und Scheich Saifullah aus dem Bezirk

Silvan. Ein Blick auf die Karte zeigt die Bedeutung der geographischen Verteilung

dieser Scheich-Familien. Hinzufügen sollte man noch, dass Scheich Said im Bezirk

Hınıs einen zweiten Wohnsitz und viele Anhänger besass und dass Scheich Ziyaettin

aus Nurşin sich dem Aufstand fernhielt. Das aufständische Gebiet (auf der Karte

schraffiert) bestand fast vollständig aus den Bezirken, in denen die teilnehmenden

Scheichs ihren grössten Einfluss ausübten.

Der grosse Einfluss dieser Scheichs bedeutet nicht, dass sich die lokale

Bevölkerung tatsächlich der Nakşibendi-Tarikat anschloss. Die Murid e (Schüler) im

strengen Sinn bildeten nur eine kleine Minderheit, obwohl ihre Funktion, den Ruf von

der Heiligkeit des Scheichs zu verbreiten, nicht unterschätzt werden darf. Bei den

Kurden werden die Scheichs häufig als lebende Heilige mit der Fähigkeit, alle Arten

von Wundern auszuführen, betrachtet.

Ihre Beziehung zur Orthodoxie ist häufig paradox oder unklar. Einerseits gilt der

Nakşibendi-Orden vor allem seit Maulana Khalids Reformen als die orthodoxeste aller

Tarikats, der die kanonischen Verpflichtungen mehr als jede andere betont. Seine

Beziehungen zur orthodoxen Ulema sind deshalb in der Regel ausgezeichnet. Dies trifft

im allgemeinen auch auf die kurdischen Nakşibendi- Scheichs zu. Einige der in der

Türkei am meisten geachteten Ulema waren tatsächlich kurdische Nakşibendi.

Andererseits beobachten wir aber oft, wie ein ganzer Komplex heterodoxer,

volkstümlicher Religionspraktiken im Umfeld der kurdischen Nakşibendi-Scheichsauftaucht. Häufig wurde angenommen, sie besässen magische Kräfte und stünden in

direkter Verbindung zu Gott. Ihre Verehrung durch die Anhänger ufert manchmal in

Extreme aus, denen man anderswo kaum begegnet. Scheich Abdussalam von Barzan

wurde zum Beispiel von seinen Anhängern zum Mahdi ausgerufen, und sein Enkel

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Vom Osmanismus zum Separatismus: Scheich Said  35 

Ahmad wurde einmal in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts sogar als die

Inkarnation Gottes bezeichnet.25 

Auch in den Zaza-Bezirken genossen die Scheichs eine grosse Verehrung des

Volkes. Weithin glaubte man, der Verdammnis geweiht zu sein, wenn man sich nichteinem Scheich angeschlossen habe. Von den Scheichs nahm man an, sie besässen die

Macht, ihre treuen Anhänger mit ins Paradies zu nehmen.26 Die Bindung an einen

Scheich hiess praktisch, dass man ihn wenigstens ein- oder zweimal im Jahr besuchte,

ihm Geschenke brachte und dass man ihn um seine Zustimmung in wichtigen

Entscheidungen ersuchte. Im Falle von Krankheit oder Unfruchtbarkeit bat man um den

Segen des Scheichs; man glaubte, dass vom Scheich beschriebene Amulette vor allen

Arten von Gefahr schützten. Noch wichtiger war jedoch die Funktion, die die Scheichs

bei der Lösung von Konflikten innehatten.

Eine Blutfehde zwischen verschiedenen Stämmen konnte endlos andauern, wenn

nicht ein von beiden Seiten respektierter Scheich verhandelte oder eine Schlichtung

festlegte. Auch andere Streitfälle wurden vor die Scheichs gebracht; sie stellten die

einzigen Autoritäten dar, deren Einfluss die Stammesgrenzen überschritt. Auf diese

Weise erlangten sie eine beträchtliche politische Stärke; die meisten Scheichs waren

mächtiger als irgendein Zaza-Stammesführer. Einige Scheichs stärkten ihre Macht

durch bewaffnete Gefolgschaften und glichen dadurch eher feudalen Grundherren als

jenseitig orientierten Mystikern.

Ihre Fertigkeiten im Umgang mit Feuerwaffen und in der Reitkunst entsprachen

denen von Stammesangehörigen. Scheich Şerif von Gökdere hatte im Ersten Weltkrieg

eine starke Truppe irregulärer Streitkräfte, die professionellen Soldaten durchaus

gleichkam, gegen die Russen angeführt. Die meisten Scheichs hatten auch einen

beträchtlichen Reichtum an Land und Tieren erworben, der entweder Geschenk ihrer

Anhänger oder der Erfolg gelungener Unternehmungen war. Scheich Said etwa hatte in

die führende Familie des Cibran-Stammes eingeheiratet, die riesige Herden besass.Seinen Brüdern hatte dies dazu verholfen, sich als Schafgrosshändler zu etablieren, die

  25 Zu Abdussalam vergleiche Nikitine 1925; zu Scheich Ahmad vergleiche Report by H.B.M.'s

Government to the Council of the League of Nations on the Administration of Iraq (1927), S. 23.

26 Bozarslan: 1964; der Autor stammt selbst aus diesem Gebiet und war eine Weile Mufti in Kulpgewesen.

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jedes Jahr immense Herden vom Bingöl-Gebirge hinunter zum Markt in Aleppo

trieben. Ihr beträchtlicher Reichtum bot dem Aufstand die notwendige finanzielle Basis.

 

DIE PLANER DES AUFSTANDES 

Die Gründer der Organisation Azadi unterhielten, wie bereits erwähnt, engere Kontakte

zur kurdischen Bevölkerung als die Intellektuellen früherer nationalistischer Vereine.

Einige der Gründungsmitglieder waren in Erzurum stationierte Armeeoffiziere. Khalid

Beg besass wahrscheinlich den grössten persönlichen Einfluss; er gehörte zur führenden

Familie des Cibran-Stammes. Ihsan Nuri, ein weiterer Offizier, sollte später als

militärischer Anführer des Ararat-Aufstandes berühmt werden; er war einer derjenigen,

die 1924 nach Irak fliehen mussten. Neben Offizieren gehörten auch mehrere städtische

Notabeln zu den Gründern der Azadi; der bekannteste davon war Yusuf  Ziya aus Bitlis,

ein Abkömmling des früheren Emirs dieses Ortes und von grossem lokalen Einfluss. In

der ersten Nationalversammlung war er Abgeordneter von Bitlis, und er versuchte seine

politischen Kontakte im Westen zu Partisanen des Kalifen spielen zu lassen, um dort

Hilfsmassnahmen zu organisieren.

Die Azadi-Mitglieder waren sich bewusst, dass sie über zu wenig persönliche

Autorität verfügten, um zum Generalaufstand aufrufen zu können, und  wandten sich

deshalb an viele Stammesführer und Scheichs, von denen bekannt war, dass sie grosse

persönliche Gefolgschaften besassen. Einer der ersten, mit denen  sie Verbindung

aufnahmen, war Scheich Said, der in Khalid Begs Familie eingeheiratet hatte. 1924

wurde auf einem ersten "Kongress" die Lage besprochen und eine Strategie entworfen.

Bereits bei diesem Kongress übernahm Scheich Said eine führende Rolle.

Nach dem Bericht eines überlebenden Teilnehmers sprach der Scheich als

leidenschaftlicher Nationalist und bezog sich in seiner Rede kaum auf das Kalifat.27 Es

wurde beschlossen, mit dem Generalaufstand noch ein Jahr zu warten, da diese Zeitnotwendig war, um Kontakte zu anderen wichtigen Stammesführern aufzunehmen und

um verbindliche Zusagen zur Teilnahme zu erhalten. Auch zur türkischen Opposition,

dort vor allem zur Gruppe der Kalifatsanhänger, sollten Kontakte aufgenommen

  27 Interview mit Hesen Hişyar, Qamischli, Syrien, April 1976.

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werden. Internationale Unterstützung wurde ebenfalls als wichtig erachtet: Gesandte

wurden in das sowjetische Georgien und in den Irak geschickt. Weder die Sowjets noch

die Briten gaben eine verbindliche Zusage. Unklar ist, in welchem Ausmass die

Kommunikation zur türkischen Opposition hergestellt wurde; die RepublikanischeFortschrittspartei  wurde zwar später unter Anklage gestellt, die Rebellion unterstützt

zu haben, doch  waren die Beweise dafür äusserst schwach.

Während der Monate nach dem Kongress wurden überall in den kurdischen

Provinzen die Stammesführer angesprochen. Wegen der vielen Konflikte und

Rivalitäten zwischen den Stämmen war dies eine heikle Angelegenheit. Jeder

Stammesführer war sich bewusst, dass sich seine Gegner, sobald er sich einem

Aufstand anschloss, wahrscheinlich auf die Seite der Regierung schlagen und ihn

angreifen würden. Die Stammesführer brauchten deshalb entsprechende Garantien;

niemand willigte in die Unterzeichnung eines solchen Abkommens ein, solange dies

seine Rivalen nicht zuerst taten. Die Scheichs übernahmen hierbei eine wichtige Rolle;

sie waren die einzigen, die als Mittelsmänner zwischen den rivalisierenden

Stammesführern auftreten konnten, und diese vertrauten sich nur dann gegenseitig,

wenn das Kooperationsversprechen vor einem Scheich gegeben wurde.

Die Vorbereitungen blieben nicht unbemerkt. Im Herbst 1924 wusste die

Regierung, was vorging, und veranlasste die ersten Verhaftungen. Khalid Beg und

Yusuf Ziya wurden gefangengenommen, einige andere Offiziere flohen in den Irak.

Manche, die sich der Revolte zunächst verpflichtet hatten, setzten sich jetzt ab. Die

geflüchteten Offiziere legten eine beeindruckende Liste solcher Anführer vor, von

denen sie behaupteten, sie hätten sich dem Aufstand verschrieben. Sie umfasst

Stammeshäuptlinge, Scheichs und kurdische Armeeoffiziere aus fast allen von Kurden

bewohnten Bezirken der Türkei.28  

Anfang 1925 berief die Azadi im verhältnismässig sicheren Bezirk Çan, wo die

Regierung bislang noch wenig Einfluss besass, einen zweiten Kongress ein, um dieveränderte Situation zu erörtern. Die Teilnehmer bestanden fast ausschliesslich aus

Stammesführern und Scheichs aus den Zaza-Bezirken und vom Bingöl-Gebirge. Viele

waren beunruhigt und schlugen vor, die Rebellion abzublasen. Scheich Said setzte sich

  28 FO 371, 1924: E 11093/11093/65.

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über ihre Unschlüssigkeit hinweg: Die Würfel seien gefallen, sagte er, es bliebe keine

Zeit mehr, um über die Risiken nachzudenken, und der Aufstand solle seinen geplanten

Verlauf nehmen. Er setzte den Termin der Rebellion auf den Mai fest. Der Scheich

selbst überwachte zusammen mit erfahrenen Militärbefehlshabern die weiterenVorbereitungen. Fünf Fronten sollten gebildet werden, und an jeder sollten die dort

ansässigen Stammestruppen unter ihren eigenen Führern kämpfen, um die

nahegelegenen Städte unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Koordination an den

einzelnen Fronten lag jeweils in den Händen eines Scheichs, um Streit zwischen den

Stämmen zu vermeiden. Scheich Said selber sollte in der Zentrale bleiben und die

Aktionen der verschiedenen Fronten untereinander koordinieren.

Zur Vorbereitung der breiten Bevölkerung begab sich Scheich Said — entsprechend

seinen früheren Gewohnheiten — auf eine Rundreise durch Lice, Hani, Piran und Palu,

wo er viele Anhänger besass. Auf all seinen Stationen hielt er leidenschaftliche Reden

gegen die Regierung, wobei er besonders deren antiislamische Massnahmen anklagte.

Später gab er während seines Gerichtsverfahrens die folgende Zusammenfassung von

einer dieser Reden:

"Die Medressen sind geschlossen, das Ministerium für Religiöse Angelegenheiten und

Fromme Stiftungen ist abgeschafft, und die religiösen Schulen sind unter die Kontrolle

des Ministeriums für Nationale Erziehung gebracht worden. Eine Bande ungläubiger

Schreiber besitzt den Mut, in ihren Zeitungen die Religion zu beschimpfen und den

Namen des Propheten zu besudeln. Was mich angeht, ich bin bereit, für den Schutz

unserer Religion, wenn nötig auch heute, zu kämpfen" (Cemal 1955, 24).

  Ein kleinerer Zwischenfall im Verlauf dieser Rundreise löste die Rebellion

frühzeitig aus. Die örtliche Gendarmerie in Piran wollte zwei Männer aus Scheich Saids

Gefolgschaft verhaften, worauf ein Schusswechsel folgte, bei dem einer der Gendarmen

getötet wurde. Es war nicht möglich, diesen Vorfall zu vertuschen, und der Scheich

beschloss, die Rebellion zu starten.

 

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DER AUFSTAND UND SEINE NIEDERSCHLAGUNG

 

Es ist nicht die Absicht dieses Aufsatzes, einen detaillierten  Verlaufsbericht des

Aufstandes zu geben, da dies bereits an anderer Stelle getan worden ist.

29

Die  Zaza-Stämme schlossen sich der Rebellion in grosser Einmütigkeit an, wie die meisten

Teilstämme der Cibran und einige Teile der Haydaran und Hasanan. Zur Unterstützung

der Rebellion fanden spontane Erhebungen in Çemişkezek, Pötürge und Siverek statt,

ziemlich weit westlich vom Zentrum der Revolte entfernt. Die Zaza- Truppen, die nach

dem Westen marschierten, um die Städte Elazığ, Maden und Çermik zu erobern,

erhielten von den ansässigen Kurden zumindest passiven Beistand. Einige Versuche,

die Hilfe der Anhänger von Scheich Ziyaettin in Muş sowie des starken Milli-Stammes

in Viranşehir, südlich von Diyarbakır, zu gewinnen, schlugen jedoch fehl. Die

bedeutendste Stadt der Region, Diyarbakır, wurde von Aufständischen belagert, wobei

die Zaza-Einwohner der Stadt  einer Schar von Rebellen eines Nachts geholfen hatten,

durch ein Loch in den Stadtmauern einzurücken. Sie wurden bald entdeckt und von den

Garnisonstrupppen in der Stadt vernichtet.

Die Scheichs fungierten in ihrer militärischen Rolle recht wirkungsvoll  und führten

tatsächlich fast überall die Militäroperationen an. Diese  Tatsache mag zur

Unterstützung der Rebellen ausserhalb des Zaza-Gebietes beigetragen und den

Eindruck verdichtet haben, es handele sich um einen religiösen  Aufstand.

Sobald die Regierung in Ankara des Ausmasses der Revolte und der ersten

militärischen Erfolge der Aufständischen gewahr wurde, verhängte sie das Kriegsrecht

über die Provinzen im Osten. Innerhalb weniger Tage wurde Ministerpräsident Fethi

Bey (Okyar) durch den härteren Ismet Pascha (nönü) ersetzt sowie ein Gesetz erlassen,

das der Regierung ausserordentliche Vollmachten einräumte. Zehntausende von

Soldaten wurden in den Osten gesandt, und die Luftwaffe bombardierte die

Aufständischen. In den ersten Gefechten mit der regulären Armee wurden die Rebellen-Kräfte schwer geschlagen. Darauf reorganisierten sie sich in Guerillagruppen.

Gegenüber der weitaus grösseren Anzahl der Regierungstruppen, die die Zaza-Bezirke

vollständig umzingelt hatten und das Gebirge durchkämmten, besassen sie aber kaum

  29 Bruinessen 1984; 1978, 383ff.; Cemal 1955; Toker 1968.

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eine Chance. Viele Rebellen wurden getötet, verwundet oder gefangengenommen;

andere Gruppen schafften es, in den Osten zu fliehen, wo sie ihre Guerillatätigkeit

fortsetzten und einige lokale Erhebungen unterstützten. Scheich Said und einige enge

Verbündete wurden gefangengenommen, nachdem sie bereits durch die Truppenliniengeschlüpft und auf dem Weg zum Rebellenführer Simko an der türkisch-persischen

Grenze waren. Dies geschah am 14. April, fast genau zwei Monate nach Beginn der

Revolte.

Der Scheich und viele andere Führer wurden vor das Unabhängigkeits-Gericht, das

eigens für die Aufständischen eingerichtet worden war, gebracht und 48 von ihnen zum

Tode verurteilt. Die Befriedung der ländlichen Gebiete ging mit mehr Gewalt als

Umsicht vonstatten, wodurch Regionen, die sich ursprünglich dem Aufstand

ferngehalten hatten, nachträglich in ihn hineingezogen wurden. Mehr als ein Jahrzehnt

lang gab es überall in Kurdistan Erhebungen, von denen manche lokal beschränkt

blieben und von Stammesführern geleitet wurden, die gegen Regierungseingriffe

aufgebracht waren, und andere wiederum ein grösseres Ausmass erreichten und von

Nationalisten angeführt wurden. Keiner der Aufstände besass jedoch religiösen

Charakter.

 

DIE AUSWIRKUNGEN DER REBELLION AUF DIE REGIERUNGSPOLITIK

 

Die Kemalisten waren sich sowohl des religiösen als auch des nationalistischen Aspekts

der Rebellion bewusst. Sie betrachteten beide als Ideologien, die eine feudale Klasse —

bestehend aus Scheichs, Stammesführern und Grundbesitzern — benutzte, um ihre von

den kemalistischen Reformen bedrohten Interessen zu verteidigen und um die

Ausbeutung der rückständigen Massen im Osten fortsetzen zu können. Die Rede des

Vorsitzenden des Unabhängigkeits-Gerichts nach der Verurteilung Scheich Saids zum

Tod lässt dies deutlich erkennen:"Gewisse Ihrer Leute rotteten sich zusammen, um Ihre persönlichen Interessen

voranzutreibene während andere von ausländischer Propaganda und persönlichem

Ehrgeiz dazu angestiftet wurden. Sie alle arbeiteten auf dasselbe Ziel hin, nämlich die

Gründung eines unabhängigen Kurdistan. Als Sie den Generalaufstand, den Sie seit

Jahren planten, zustandegebracht hatten, liessen Sie dieses Gebiet unter Feuer zurück.

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(-) Das erbärmliche Volk dieser Gegenden, das jahrelang unter der Tyrannei von

Scheichs, Agas und Beys ausgezehrt worden war und dessen Eigentum und Leben den

Launen dieser Personen ausgeliefert war, wurde schliesslich von Ihrer bösen Macht

erlöst und wird jetzt auf dem Weg des Wohlstandes und Fortschritts unserer Republik

in Frieden und Glück voranschreiten, während Sie am Galgen der Gerechtigkeit für das

Blut, das Sie vergossen, und die Häuser, die Sie zerstört haben, bezahlen werden .."30 

Die naheliegende Folgerung daraus war, dass die religiöse Reaktion, der kurdische

Nationalismus und der "Feudalismus" ausgerottet werden mussten, um den erhofften

Wohlstand und Fortschritt der Republik zu erreichen. Auf die religiöse Reaktion bezog

sich zum einen ein Gesetz, das die mystischen Orden (Tarikat s) ächtete, die

Republikanische Fortschrittspartei, die des geheimen Einverständnisses mit dem

Aufstand bezichtigt wurde, auflöste und schliesslich die Urteilssprechung desambulanten Unabhängigkeits-Gerichts, das viele turbantragende "Fanatiker", die sich

weigerten, dem Gesetz, das das Tragen von Hüten vorschrieb, nachzukommen, an den

Galgen lieferte. Die Kurden wurden dabei härter behandelt: Die verhafteten

nationalistischen Führer wurden hingerichtet und die Bevölkerung aufständischer

Gebiete in den Westen des Landes deportiert. Für 1927 schätzt man die Zahl der

deportierten Kurden auf 20 000.31 Ein Angehöriger der britischen Botschaft merkte

dazu an: "Die Regierung hat bereits damit begonnen, die gegenüber der armenischen

Minderheit 1915 erfolgreich angewandte Politik auf die kurdischen Staatsbürger, gegen

die sie Krieg führt, zu übertragen." Nach einer Amnestie konnten jedoch viele Kurden

1928 wieder in ihre Dörfer zurückkehren. Später sollten dann neue Deportationswellen

folgen.

Die verstärkte Assimilierung der Kurden wurde zur offiziellen Regierungspolitiik.

Aussenminister Tevfik Rüştü legte dem britischen Botschafter seine Ansichten zur

Kurdenfrage dar. In der gegenwärtigen Zeit, so meinte er, sei die unabhängige Existenz

kleiner Nationen nicht mehr möglich. Besonders die Kurden mit ihrem "furchtbar

rückständigen" kulturellen Niveau könnten unmöglich im allgemeinen "body politic"

der Türkei aufgehen. Wie die amerikanischen Indianer seien sie zum Aussterben

  30 PRO, FO 371, 1925: E 3974/1091/44; ins Englische übersetzt von Angehörigen der britischenBotschaft aus einer offiziellen Verlautbarung.31 FO 371, 1927: E 2835; 3532/74/65.

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bestimmt, da sie ökonomisch untauglich für den Lebenskampf in Konkurrenz mit den

fortgeschritteneren und kultivierteren Türken seien, die in den kurdischen Bezirken

angesiedelt werden würden.32 Die Praxis erwies sich dann als etwas wohlwollender:

Die Kurden, die gewillt waren, sich den Türken anzugleichen, fanden faktisch sehrwohl im politischen Leben der Türkei ihren Platz; Beschränkungen rührten vom

ökonomischen und kulturellen Rückstand der Region her.

Die beabsichtigte Abschaffung des "Feudalismus" blieb dagegen lediglich eine

hohle Phrase. Keiner der Scheichs und Stammesoberhäupter, die die Revolte angeführt

hatten, war tatsächlich ein Grossgrundbesitzer. Dagegen hatte ein Grundbesitzer aus der

Ebene von Diyarbakır aus Angst vor der Regierung den Versuch unternommen, die

Bauern seiner Dörfer gegen die Rebellen anzuführen. Es handelte sich dabei um

Mehmet Bey, der aus der reichen Cemilpaşazade-Familie in Diyarbakır stammte, von

der andere Mitglieder wiederum in nationalistische Aktivitäten verwickelt waren.33 

Häufig waren es gerade die meist "feudalen" Stammesführer und Grundbesitzer, die

freiwillig mit der Regierung kooperierten. Die Regierung bemerkte auch, dass das

Gebiet nur über diese "feudalen" Elemente wirksam zu kontrollieren war. Diejenigen,

die sie der Disloyalität verdächtigte, schickte sie ins Exil, andere dagegen wurden

kooptiert, und erneut entwickelte sich eine Symbiose zwischen Provinzbeamtentum und

"feudalen" Führern.

Viele Jahre lang stützten sich die Ortsgruppen der Republikanischen Volkspartei im

Osten stark auf die traditionale Elite. Dieser Umstand erklärt auch, weshalb in den

freien Wahlen von 1950 die Partei nur hier ihre Stärke gegenüber der Demokratischen

Partei verteidigen konnte, die überall sonst auf dem Land die Wählerstimmen an sich

riss.

 

ZUSAMMENFASSUNG

 Der Scheich-Said-Aufstand kann eindeutig weder als religiös noch als nationalistisch

bezeichnen werden. Er vereinte beide Aspekte und darüber hinaus noch einige weitere,

  32 FO 371, 1927: E 256/74/65.33 Berichtet wird dieser Vorfall von einem Einwohner Diyarbakırs (FO 371, 1925: E 3340/1091/44).

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wie etwa den traditionalistischen Widerstand gegen jegliche Eingriffe der Regierung.

Die Planer der Rebellion scheinen in erster Linie nationalistisch und möglicherweise

auch durch persönliche Ambitionen motiviert gewesen zu sein. Der breiten

Bevölkerung bedeutete die Idee einer kurdischen Nation offenbar noch wenig, und dieFührer mussten deshalb an religiöse Gefühle appellieren. Die Einwohner der Dörfer

waren über die spürbare Bedrohung des Islam ernsthaft beunruhigt, sie schlossen sich

aber dem Aufstand hauptsächlich aus Loyalität und Gehorsam gegenüber ihren

Stammesführern und Scheichs an. In den späteren Aufständen tauchten dann religiöse

Empfindungen niemals mehr als motivierende Faktoren auf, was aber nicht bedeutete,

dass sie an Wichtigkeit verloren hätten. Die Gläubigen neigten weniger zur offenen

Revolte als zum versteckten, innerlichen Widerstand. Wie mir ein nationalistisch

gesinnter Scheich erklärte, erzielte die Assimilierungspolitik der Regierung in

Bezirken, in denen die Religion den stärksten Einfluss hatte, die geringste Wirkung.

Die Religiösen verspürten wenig Neigung, in eine Gesellschaft integriert zu werden, die

sie als ungläubig ansahen. Sie hielten deshalb an ihren alten Eigenarten fest, wobei sie

damit mehr von der kurdischen Kultur als viele andere bewahrten. Sie waren stolz auf 

ihre kurdische Identität, doch blieben ihre Verbindungen zur kurdischen

Nationalbewegung auch nach deren Wiederbelebung in den späten sechziger Jahren

marginal.

 

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