Bericht aus der schuLPraxis · Pädagogik•Leben 2-2013 14 15 Aufgabe: Für den Bau eines Autos...

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Pädagogik•Leben 2-2013 15 Ursula Bicker „Unser eigenes Denken ist eine unzureichende Quelle für Kenntnisse über kindliches Denken.“ (Spiegel 1999, S. 124) Kinder denken und rechnen oftmals anders, als wir es vermuten. Wir können nicht von unseren eigenen Lösungswegen auf die- jenigen der Schülerinnen und Schüler schließen. Es ist notwendig, die schriftlichen Dokumente und die verbalen Äußerungen zu analysieren, um die dahinterliegenden Denkprozesse der Schü- lerinnen und Schüler zu verstehen. Dies ermög- licht es, besondere Vorgehensweisen, aber auch verfestigte Fehlvorstellungen aufzudecken und die Lernenden gemäß ihrer individuellen Vorausset- zungen fördern und fordern zu können. Das diagnostische Gespräch… Beim diagnostischen Gespräch zu Wissen und Strategien im Umgang mit Zahlen können Infor- mationen über momentane Entwicklungsstände und Denkmuster der Lernenden gewonnen wer- den. (Numeracy Project 2011) Dabei stehen den Schülerinnen und Schülern keine Schreibmateri- alien zur Verfügung. Sie müssen ihre Rechenwege im Kopf durchführen und erläutern. Durch Rück- fragen („Wie hast du gerechnet? Kannst du die Aufgabe auch anders lösen?“) werden die Rechen- strategien sichtbar, über die die Schülerinnen und Schüler verfügen. Die Lehrkraft erhält so nicht nur Rückmeldung über die mathematischen Kompe- tenzen und die Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler, sondern auch über deren Arbeitswei- se, Lernverhalten, Konzentrationsfähigkeit und Einstellungen. ... und seine Folgen In allen Fällen äußerten sich die Schülerinnen und Schüler positiv über das Gespräch: „Ich fand es schön, dass ich zeigen konnte, was ich kann“, mel- det eine leistungsschwache Schülerin zurück. Das Gespräch ist so konzipiert, dass es mit sehr ein- fachen Aufgaben beginnt und die Aufgaben dann zunehmend höhere Niveaustufen erreichen. So- bald eine Aufgabe nicht gekonnt wird, bricht das Gespräch ab. Jedes Kind erlebt das Gespräch als Erfolg, egal wie weit es darin gekommen ist. Ge- rade die Schülerinnen und Schüler, die im Mathe- matikunterricht Probleme haben und oft ein sehr negatives Selbstkonzept in Mathematik haben, waren froh, dass sie hier einmal „glänzen“ konn- ten. Dadurch hat das Gespräch auch einen posi- tiven Einfluss auf die Lehrer-Schüler-Beziehung. Durch die im Zentrum stehenden Lösungsstrate- gien wird den Lernenden deutlich, dass nicht nur das Ergebnis wichtig ist, sondern auch die Wege dahin interessant sind. Die Vorstellungen über die Mathematik wandeln sich, sie wird nicht allein ergebnisorientiert gesehen, sondern als Prozess wahrgenommen. Das verändert auch die Einstel- lung zu Fehlern. Als wichtige Elemente im Lern- prozess verlieren sie das traditionelle Negativi- mage; sie werden vielmehr konstruktiv genutzt. Alle Lehrerinnen und Lehrer, die die Gespräche durchgeführt haben, haben auch den Unterricht in diesen Klassen verändert. Sie achten mehr als vor- her auf die verschiedenen Strategien beim Lösen von Aufgaben, und diese werden explizit thema- tisiert und sichtbar gemacht. Das leistet einen wesentlichen Beitrag zur Kompetenzentwicklung. „Für mich selbst fand ich die Gespräche hilfreich, weil ich jetzt viel öfter als früher im regulären Un- terricht vor allem bei Fehlern nachfrage, was die Schülerin bzw. der Schüler sich bei ihrem oder sei- nem Weg gedacht hat, um den tatsächlichen Feh- ler erkennen zu können“, berichtet eine Lehrerin. Verstehen wie Schüler denken

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Aufgabe: Für den Bau eines Autos sind 4 Räder nötig. Wie viele Autos können gebaut werden, wenn 72 Räder zur Verfügung stehen?

Bericht aus der schuLPraxisursula Bicker

„unser eigenes denken ist eine unzureichende Quelle für Kenntnisse über kindliches denken.“ (spiegel 1999, s. 124) Kinder denken und rechnen oftmals anders, als wir es vermuten. Wir können nicht von unseren eigenen Lösungswegen auf die-jenigen der schülerinnen und schüler schließen. es ist notwendig, die schriftlichen dokumente und die verbalen Äußerungen zu analysieren, um die dahinterliegenden denkprozesse der schü-lerinnen und schüler zu verstehen. dies ermög-licht es, besondere Vorgehensweisen, aber auch verfestigte Fehlvorstellungen aufzudecken und die Lernenden gemäß ihrer individuellen Vorausset-zungen fördern und fordern zu können.

Das diagnostische Gespräch… Beim diagnostischen Gespräch zu Wissen und strategien im umgang mit Zahlen können infor-mationen über momentane entwicklungsstände und denkmuster der Lernenden gewonnen wer-den. (Numeracy Project 2011) dabei stehen den schülerinnen und schülern keine schreibmateri-alien zur Verfügung. sie müssen ihre rechenwege im Kopf durchführen und erläutern. durch rück-fragen („Wie hast du gerechnet? Kannst du die aufgabe auch anders lösen?“) werden die rechen-strategien sichtbar, über die die schülerinnen und schüler verfügen. die Lehrkraft erhält so nicht nur rückmeldung über die mathematischen Kompe-tenzen und die Vorstellungen der schülerinnen und schüler, sondern auch über deren arbeitswei-se, Lernverhalten, Konzentrationsfähigkeit und einstellungen.

... und seine Folgen in allen Fällen äußerten sich die schülerinnen und schüler positiv über das Gespräch: „ich fand es schön, dass ich zeigen konnte, was ich kann“, mel-

det eine leistungsschwache schülerin zurück. das Gespräch ist so konzipiert, dass es mit sehr ein-fachen aufgaben beginnt und die aufgaben dann zunehmend höhere Niveaustufen erreichen. so-bald eine aufgabe nicht gekonnt wird, bricht das Gespräch ab. Jedes Kind erlebt das Gespräch als erfolg, egal wie weit es darin gekommen ist. Ge-rade die schülerinnen und schüler, die im Mathe-matikunterricht Probleme haben und oft ein sehr negatives selbstkonzept in Mathematik haben, waren froh, dass sie hier einmal „glänzen“ konn-ten. dadurch hat das Gespräch auch einen posi-tiven einfluss auf die Lehrer-schüler-Beziehung.

durch die im Zentrum stehenden Lösungsstrate-gien wird den Lernenden deutlich, dass nicht nur das ergebnis wichtig ist, sondern auch die Wege dahin interessant sind. die Vorstellungen über die Mathematik wandeln sich, sie wird nicht allein ergebnisorientiert gesehen, sondern als Prozess wahrgenommen. das verändert auch die einstel-lung zu Fehlern. als wichtige elemente im Lern-prozess verlieren sie das traditionelle Negativi-mage; sie werden vielmehr konstruktiv genutzt.alle Lehrerinnen und Lehrer, die die Gespräche durchgeführt haben, haben auch den unterricht in diesen Klassen verändert. sie achten mehr als vor-her auf die verschiedenen strategien beim Lösen von aufgaben, und diese werden explizit thema-tisiert und sichtbar gemacht. das leistet einen wesentlichen Beitrag zur Kompetenzentwicklung. „Für mich selbst fand ich die Gespräche hilfreich, weil ich jetzt viel öfter als früher im regulären un-terricht vor allem bei Fehlern nachfrage, was die schülerin bzw. der schüler sich bei ihrem oder sei-nem Weg gedacht hat, um den tatsächlichen Feh-ler erkennen zu können“, berichtet eine Lehrerin.

Verstehen wie Schüler denken

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Wo stehe ich? Wo will ich hin? – Lernprozessbegleitung im Mathematikunterricht – Teil I 07.11.2013 in Bad Kreuznach, PL-Nr.: 131750703

Anmeldung und weitere Fort- und Weiterbildungen in Rheinland-Pfalz unter:https://fortbildung-online.bildung-rp.de

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Gesprächsauszug Schüler – Lehrer:

Gesprächsanlässe suchenanlässe, mit den schülerinnen und schülern ins Gespräch zu kommen, gibt es im unterricht immer wieder, insbesondere dann, wenn Fehler auftreten: „erkläre, wie du gedacht hast, damit ich verstehen kann, warum du diesen Fehler gemacht hast. Vielleicht steckt ja hinter den falschen re-chenergebnissen eine richtige idee. Über diese können wir dann sprechen.“ das kann bei der hausaufgabenbesprechung erfolgen, aber auch bei Übungssituationen im unterricht.

Zeit und raum für kürzere Gespräche findet man

in allen Phasen, in denen die schülerinnen und schüler eigenverantwortlich oder im team mit an-deren arbeiten. Für ein diagnostisches Gespräch, das erfahrungsgemäß zwischen sechs und zehn Minuten dauert, und für ausführlichere Gespräche sollte eine ruhige und entspannte atmosphäre hergestellt werden. in solchen Fällen empfiehlt es sich, die Betreffenden aus dem unterricht herauszunehmen und in einem getrennten raum zu befragen. es ist nicht immer einfach, in der schulsituation dafür eine geeignete Möglichkeit zu finden, aber es lohnt, sich darum zu bemühen: „Lernen ist ein Prozess, bei dem sich zunächst das Kind dem Lehrer verständlich macht – nicht um-gekehrt.“ (Wielpütz 1998, s. 10)

Ursula Bicker, Referentin für Unterrichtsent-wicklung Mathematik, PLKontakt: [email protected]

Literatur:Katzenbach, Michael: Vom interview zur Förderung - Beispielmaterialien aus dem neuseeländischen Numer-acy Project. in: Mathematik 5 bis 10, heft 17, Friedrich-Verlag, 2011. s. 12-15.Numeracy development Project, New Zealand, unter: http://nzmaths.co.nz/numeracy-projects (stand: 17.04.2013)

spiegel, h.: Lernen, wie Kinder denken. in: hengartner (hg.): Mit Kindern lernen. standorte und denkwege im Mathematikunterricht. Zug: Klett und Balmer, 1999. s. 124-132.

Wielpütz, h.: erst verstehen, dann verstanden werden. in: Grundschule. h. 3, 1998. s. 9-11.

FoRTBILDUNGSANGeBoTe

Aufgabe: Für den Bau eines Autos sind 4 Räder nötig. Wie viele Autos können gebaut werden, wenn 72 Räder zur Verfügung stehen?

christian hennicke

sehr viele schulen begleiten deutschlandweit streitschlichter-Projekte, die die Möglichkeit ge-ben, innerhalb einer Peergroup Konflikte interven-tiv zu lösen und gleichzeitig auch mit der Medi-ation einen präventiven, nachhaltigen effekt zu

erzeugen. der folgende artikel legt sein augen-merk auf die Kommuni-kationsstrukturen, die

die Jugendlichen bei der Mediation erlernen.

die eigene sprache, der Wortschatz, das ak-tive Zuhören, die sinnvolle Wiedergabe und das Verstehen der aussagen der streitenden sind wesentliche Bestandteile der ausbildung. um das Gegenüber zu verstehen, ist das Wahrnehmen der in einem streit mitschwingenden Gefühle eine wichtige Voraussetzung. deshalb legen wir zu Be-ginn der Mediationsausbildung großen Wert auf eine entsprechende Wortschatzerweiterung, z. B. durch das Bilden von synonymen oder das Finden von Vergleichen und Metaphern. denn vor allem das erkennen und Beschreiben von Gefühlen ist für die schülerinnen und schüler zunächst eine ungewohnte erste hürde. der flexible Gebrauch sprachlicher Wendungen erleichtert später das Mediationsgespräch erheblich.

Nicht zwingend notwendig, aber sinnvoll ist das erlernen einer Form der gewaltfreien Kommuni-kation. Grundlage hierfür ist unter anderem das Kommunikationsmodell von Prof. schulz von thun (s. s. 9). hier sollen die schülerinnen und schü-ler zwischen appell, sachinhalt, selbstkundgabe und Beziehungshinweis unterscheiden können. Botschaften werden analysiert und entsprechend zugeordnet. dies ist auch wichtig, um später die Botschaften der streitenden besser verstehen zu können. aus diesem Kontext heraus ergibt sich die gewaltfreie Kommunikation mit der einübung von „ich-Botschaften“, vom „du“

zum „ich“. Geben wir die „hausaufgabe“ auf, eine Woche zu „ich´zen“, ist die rückmeldung stets, dass es sehr schwerfällt, aus alten Kommu-nikationsmustern auszubrechen.

Für das eigentliche Mediationsgespräch sind zwei techniken sehr entscheidend: das so genannte „spiegeln“ und „Pendeln“. diese beiden Metho-den gehören unweigerlich zusammen und müs-sen zwingend gelernt und sehr gut geübt werden. Beim „spiegeln“ ist es entscheidend, das Gesagte der streitenden aufzunehmen, zu verstehen und in eigenen Worten wiederzugeben. das aktive und bewusste Zuhören ist hier auch ein entschei-dender Faktor, der ebenfalls eingeübt werden muss. durch das spiegeln ist das Pendeln zur an-deren Konfliktpartei möglich und soll somit zum besseren Verständnis des streits beitragen. so ist dies zunächst eine Wiederholung des aktiven Zuhörens, spiegelns und Pendelns, bis der Konflikt von allen Personen auf sachlicher und empha-tischer ebene verstanden worden ist. dies ist die beste Grundlage für eine angestrebte „Win-Win-Lösung“.

Kommunikation ist der schlüssel zur Konflikt-lösung eines streitgesprächs. schülerinnen und schüler geben immer wieder die rückmeldung, dass dies oft die höchste hürde in der Mediati-onsausbildung ist. rückblickend war es für viele schülerinnen und schüler aber auch persönlich hilfreich, mit ihrem gesamten umfeld mit ande-ren kommunikativen Formen in interaktion zu treten, was letztendlich zu einem gewaltfreieren umgang führte.

Christian Hennicke, Realschullehrer an der Justus-von-Liebig-Realschule plus Maxdorf Lambsheim und regionaler Koordinator für Medienkompetenz, PLKontakt: [email protected]

Weitere Informationen unter: http://gewaltpraevention.bildung-rp.de/gewaltprae-vention/mediation.html

Mediation – Streitschlichtung

Eine Woche zu „ich’zen“ fällt den meisten schwer.

Spiegeln und Pendeln – Chancen für die Kommunikation

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