Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

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Begabtenförderung im Gymnasium

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Begabtenförderung im Gymnasium

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Kurt A. Heller (Hrsg.)

Begabtenförderung im Gymnasium Ergebnisse einer zehnjährigen Längsschnittstudie

Leske + Budrich, Opladen 2002

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Prof. em. Dr. Kurt A. Heller lehrte an den Universitäten Heidelberg, Bonn, Köln und (ab 1982) MOnchen. Er ist (Co-)Autor bzw. (Co-)Herausgeber von rd. 400 Publikationen, u.a. des 1993 in 1. Auflage bei Pergamon (Oxford) und 2000 in 2. Auflage bei Elsevier (Amsterdam) erschienenen International Handbook 0/ Giftedness and Talent (awarded 'Outstanding Academic Title' by Choice 2001) und des Buches Hochbegabung im Kindes- und Jugendalter, das 1992 in 1. und 2001 in 2. Auflage bei Hogrefe (Göttingen) erschienen ist. Er hat zahlreiche Forschungsprojekte im nationalen und internationalen Kontext durchgefiihrt, so auch das baden-württembergische "Gymnasium mit achtjährigem Bildungsgang" 1992-2001 wissenschaftlich begleitet, wozu in diesem Buch die Ergebnisse berichtet werden.

Die wissenschaftliche Begleitforschung zum G8-Modell erfolgte im Auftrag und mit finanzieller Förderung des Ministeriums fiir Kultus, Jugend und Sport Baden-Würt­temberg in Stuttgart.

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz rur die Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich

ISBN 978-3-8100-3667-4 ISBN 978-3-322-92212-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-92212-0

© 2002 Leske + Budrich, Opladen

Softcover reprint of the hardcover 1st edition 2002

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlieh geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere rur Vervielfiiltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Vorwort

Begabungsforschung und Begabtenförderung haben Tradition im Land Baden­Württemberg, das in diesem Jahr sein Semisäkulum feiert. So wurden bereits in den 60er Jahren auf Anregung und im Auftrag des baden-württembergischen Kultusmi­nisteriums umfangreiche soziodemographische und begabungspsychologische Feld­untersuchungen durchgeführt. Von diesen gingen wichtige Impulse rur die Bildungs­planung des Landes aus, was sich u.a. in neuen gymnasialen Standorten - vorwie­gend in "Regionen geringer Bildungsdichte" - niederschlug. Hauptziel war damals die Aktivierung schulischer Bildungs- oder Begabungsreserven. Die prognostische Validität der in den 60er Jahren sozialwissenschaftlich ermittelten Begabungs- oder Schuleignungsreserven wurde in umfangreichen Längsschnittstudien in den 70er Jahren überprüft, deren Methode und Ergebnisse weit über Baden-Württemberg hin­aus innovativ wirkten (vgl. S. 46ff. in diesem Buch).

Während diese Untersuchungen mehr oder weniger das gesamte Begabungsspek­trum der Nachkriegsjugend im Blick hatten, fokussierten die in den 80er Jahren von Stuttgart initiierten Bildungsstudien vor allem auf die weit überdurchschnittlich oder gut bzw. hoch begabten Schüler·, vorab im Sekundarschulbereich. Auch hier war Baden-Württemberg bundesweit führend, indem es - fast zeitgleich zum Hochbega­bungs-Weltkongreß 1985 in Hamburg - im Schuljahr 1984/85 die ersten Arbeitsge­meinschaften zur Förderung besonders befähigter Sekundarstufenschüler landesweit einführte und diese wiederum von 1985 bis 1990 wissenschaftlich evaluieren ließ; vgl. Hany & Heller (1992) auf Seite 32 unten.

Im Anschluß daran wurden wir mit der wissenschaftlichen Begleitforschung des Schulmodellversuchs "Gymnasium mit besonderen Anforderungen" bzw. (so die spätere Formulierung) "Gymnasium mit achtjährigem Bildungsgang" (G8) beauf­tragt, deren Ertrag über eine insgesamt zehnjährige Untersuchungsperiode (1992-2001) in diesem Buch einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wird. Zuvor waren in jährlichen (insgesamt neun) Zwischenberichten Methoden und Ergebnisse zum je­weiligen Forschungsstand ausfiihrlich dokumentiert worden; vgl. Heller et al. (1993-2000) im Literaturverzeichnis auf S. 133f. in diesem Buch.

Das G8-Modell war praktisch eine Konsequenz der Evaluationsbefunde zu den Begabtenförder-AGs Ende der 80er Jahre. In diesen hatte sich nämlich im Laufe ei­nes fiinfjährigen Evaluationszeitraums der Befund erhärtet, daß für die 10-20% Be­gabtesten unter den Gymnasiasten, die am Enrichmentprogramm der Begabtenför­der-AGs teilnahmen, auch diese (durchaus sehr anspruchsvolle) Förderungsform nur suboptimale - weil noch nicht hinreichend stimulierende bzw. fordernde - Lernum-

• Soweit semantische Eindeutigkeit es gestattet, wird aus Gründen der Lesbarkeit für beide Ge­schlechter nur die männliche Personenform verwendet.

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6 Vorwort

welten bietet. Für die genannte Zielgruppe war das G8-Modell deshalb eine will­kommene Gelegenheit, in einem kombinierten EnrichmentiAkzelerations-Ansatz gymnasiale Hochbegabungen besser zu fördern. Ein besonderer Vorteil dieser G8-Züge am regulären neunjährigen Gymnasium (G9) bestand in zweifacher Hinsicht: Zum einen konnte mit den G8-Zügen besonders befähigten Gymnasiasten eine an­spruchsvollere, das Individuum herausfordernde und stimulierende Lernumwelt ge­boten werden. Zum anderen war die Durchlässigkeit für spätere Aufrücker oder Quereinsteiger vom G9 ins G8 vs. ein Wechsel vom G8 ins G9 ohne Repetition der betr. Klassenstufe innerhalb desselben Schulgebäudes möglich. Schließlich begeg­neten sich die G8- und G9-Schüler regelmäßig außerhalb des Unterrichts (im Pau­senhofund bei gemeinsamen Schulfesten, Sportveranstaltungen usw.) sowie später in der gemeinsamen - nicht nach G8/G9-differenzierten - Kollegstufe im Unterricht. Daß zwischen G8- und G9-Schülern keine nennenswerten sozialen Probleme oder Konflikte in den Evaluationsbefunden zutage traten, dürfte nicht unwesentlich diesen schulischen Kontaktmöglichkeiten und unmittelbaren täglichen Erfahrungen zuzu­schreiben sein.

Das Land Baden-Württemberg übernahm in den 80er und 90er Jahren in der Hochbegabtenförderung somit eine doppelte Vorreiterrolle: erstens (im bundesrepu­blikanischen Ländervergleich frühzeitige) Initiativen zur Erprobung neuer Begabten­förderprogramme und zweitens konsequente Programmevaluationen durch unabhän­gige wissenschaftliche Institutionen. Beides ist auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts keineswegs selbstverständlich und verdient hier anerkennenden Respekt.

Bereits während der Untersuchungsplanung wurde das Evaluationsvorhaben mit den Lehrkräften der vier G8-Pi1otschulen in Stuttgart, Meersburg, Kirchzarten und Rastatt sowie den interessierten Eltern der Zielklientel vor Ort ausführlich diskutiert. Dabei wurden die wichtigsten Ziele und Methoden (Untersuchungsvariablen, Meß­instrumente, Auswertungsdesign usw.) anband der auf S. 49f. wiedergegebenen E­valuationsmodelle vorgestellt. Begrüßt wurde von allen Beteiligten die Intention, die Entwicklung der Schüler im G8 nicht nur unter kognitiven Kompetenz- und Schul­leistungsaspekten zu beobachten, sondern möglichst umfassend auch nichtkognitive (motivationale und emotionale) soziale Bedingungen der Persönlichkeitsentwicklung im Schul alter in die Analyse einzubeziehen; ausführlicher vgl. das (Hoch-)Bega­bungsmodell auf S. 54 und das Schulleistungsbedingungsmodell auf S. 55 in diesem Buch.

Einigkeit bestand schließlich darin, neben der summativen Evaluation (Kontrolle der Fördereffekte des G8 im Vergleich zum G9) Aspekte der formativen Evaluation zur fortlaufenden Optimierung des G8-Modells nicht zu vernachlässigen. Diesem Zweck dienten letztlich auch die später einbezogenen Kontrollgruppen des neunjäh­rigen Regelgymnasiums, von denen wichtige Aufschlüsse über die Begabtenforde­rung im Kontext des G8 vs. G9 zu erwarten waren. Allen an diesen Diskussions­abenden Beteiligten, zu denen jeweils neben den G8-Lehrkräften auch viele Eltern, die Direktoren der G8-Schulstandorte sowie Vertreter des baden-württembergischen

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Vorwort 7

Kultusministeriums und der vier Oberschulämter kamen, schulde ich anerkennenden Dank für die kritische Begleitung und vertrauensvolle Zusammenarbeit über viele Jahre. Ohne ihre konstruktiven Diskussionsbeiträge und einzelne Verbesserungsvor­schläge, insbesondere zu den Erfassungsdimensionen und zur Methodik der Frage­bogeninstrumente, sowie wertvolle Interpretationshinweise bei den jährlichen (ano­nymisierten) Ergebnisrückmeldungen wäre eine Längsschnittstudie dieses Ausmaßes kaum zu verwirklichen gewesen.

An der Realisierung der zehnjährigen Evaluationsstudie zum G8-Modellversuch in Baden-Württemberg waren also viele Personen und Instanzen beteiligt. Zunächst gilt mein Dank allen teilnehmenden Schülern, ihren Eltern und Lehrkräften, von de­nen hier namentlich nur die Damen und Herren Direktoren und G8-Betreuungslehrkräfte der Untersuchungsschulen stellvertretend genannt werden kön­nen: OStD'in Beltermann, StD Homburg / StD Walz (Tulla-Gymnasium Rastatt); OStD Schmidt / OStD Kasper, StD Großblotekamp / StD Fiederlein (Marie-Curie­Gymnasium Kirchzarten); OStD MelIert, StD Endres (Droste-Hülshoff-Gymnasium Meersburg); OStD Schmid, StD'in Dr. Fischer sowie StR Dipl.-Psych. Hoffmeister, der uns - ebenso wie StD Fiederlein oben - bei den jährlichen Testerhebungen unter­stützte (Karls-Gymnasium Stuttgart); OStD Kömpf (Helmholtz-Gymnasium Heidel­berg); OStD Österle (Wilhelmi-Gymnasium Sinsheim). In den Dank eingeschlossen seien auch die zuständigen Oberschulämter.

Weiterhin habe ich zahlreichen - im Laufe des zehnjährigen Untersuchungszeit­raums jeweils kürzer oder länger beschäftigten - Stud. und Wiss. Hilfskräften für ihr unermüdliches Engagement bei der Datenerhebung, Dateneingabe und Datenaus­wertung zu danken. Leider können diese hier nicht namentlich alle aufgefiihrt wer­den. Mein besonderer Dank gilt den (zumeist) über längere Zeiträume "konstanten" Wissenschaftlichen Mitarbeitern, die auch als Autoren an dieser Buchpublikation mitwirkten (vgl. Verzeichnis auf S. 255). Die Qualität dieser Evaluationsstudie ist wesentlich ihrer Fachkompetenz und ihrem persönlichen Einsatz zu verdanken. In der Anfangsphase der G8-Evaluation waren noch die Wissenschaftlichen Mitarbeite­rinnen Dipl.-Psych. Brox und Dipl.-Psych. Bundscherer maßgeblich beteiligt, die aus familiären Gründen dann aus dem Projekt ausschieden (vgl. Kapitel 3 in diesem Buch). Auch Ihnen habe ich vielmals zu danken. Dankbar seien ferner methodologi­sehe Verbesserungsvorschläge aus dem Kollegenkreis, etwa im Rahmen unseres Doktoranden- und Habilitandenkolloquiums an der LMU oder bei Präsentationen der G8-Evaluationsstudie auf nationalen und internationalen Fachkongressen, vermerkt.

Schließlich möchte ich Frau Schul-Psych. Alexandra Übele für die kompetente Gestaltung der Druckvorlagen, den ehemaligen Lehrstuhlsekretärinnen Frau Christi­ne Pöhn, Frau Heidi Röder und Frau Edeltraud Schauer sowie der LMU-Verwaltung für die finanzielle und administrative Projektabwicklung herzlich danken. Mein be­sonderer Dank gilt dem baden-württembergischen Ministerium für Kultus, Jugend und Sport für die jahrelange Förderung und kooperative Begleitung der Evaluations-

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8 Vorwort

studie sowie last but not least dem Leske + Budrich Verlag für die Publikation und Verbreitung dieses Buches.

So bleibt am Ende die Hoffnung aller Beteiligten, daß die hier berichteten Ergeb­nisse zur Förderung besonders befiihigter Gymnasialschüler ein breites Interesse fin­den. Wenn darüber hinaus möglichst viele der von den Buchautoren angeregten För­dermaßnahmen und Empfehlungen bildungspolitisch umgesetzt sowie innerhalb und außerhalb des schulischen Kontextes auch pädagogisch verwertet werden, sähen sich die Autoren dieses Buches in ihrer Intention bestärkt.

München, im April 2002 Kurt A. Heller

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Inhalt

Vorwort ................................................................................................................... 5

Inhaltsverzeichnis

Kapitell Zum Bildungsauftrag des Gymnasiums unter besonderer Berücksichtigung der Begabtenförderung

9

Kurt A. Heller ...... .................................. .............. ........................... ........................ 11

Kapitel 2 Untersuchungsauftrag fiir die wissenschaftliche Begleitforschung

Kurt A. Heller ......................................................................................................... 37

Kapitel 3 Theoretische und methodische Grundlagen der Evaluationsstudie

Kurt A. Heller, Ralph Reimann & Heiner Rindermann ......................................... 53

Kapitel 4 Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung im achtjährigen Gymnasium

Ralph Reimann ............ ............................................ ............ ............... .................... 81

Kapitel 5 Schulische und familiäre Lernumwelten von Gymnasiasten am acht- versus neunjährigen Gymnasium

Heinz Neber & Ralph Reimann

Kapitel 6 Differentielle Fördereffekte des achtjährigen Gymnasiums

137

Ralph Reimann ........................................... ......................................................... 167

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10 Inhalt

Kapitel 7 Modelle und Ergebnisse der Potentialschätzung fUr das achtjährige Gymnasium

Heiner Rindermann ............................................................................................. 179

Kapitel 8 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

Kurt A. Heller, Heinz Neber, Ralph Reimann & Heiner Rindermann ................ 217

Kapitel 9 Bildungsempfehlungen fUr die Förderung besonders befähigter Gymnasialschüler

Kurt A. Heller ...................................................................................................... 235

Verzeichnis der Autoren ... ........ ..... .... ............. ....... ........... ......... ... ....................... 255

Glossar ........ .... ........ ..... ..... ......... ..... ... ........... ...... ... ... ... ... ...... ........ ..... ....... ....... .... 256

Anhang ................................................................................................................ 259

Schülerfragebogen .... ..... ........ ....... .... ... ..... ...... ...... ... ........ ... ............ ............ ......... 260

Elternfragebogen ................................................................................................. 266

Lehrerfragebogen . .... .... ....... ........ .......... ............ ... ........... ... ............ .... ........ ...... ... 273

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KAPITEL 1

Zum Bildungsauftrag des Gymnasiums unter beson­derer Berücksichtigung der Begabtenförderung

Kurt A. Heller

Einleitung

Immer häufiger befürchten Pädagogen, aber auch Psychologen und andere Sozial­wissenschaftler gravierende Veränderungen des Erlebens und Verhaltens durch die zunehmende Technisierung in sogenannten Medien-, Infonnations- oder Wissensge­sellschaften. Digitalisierung, Atomisierung, Kontext- und Werteverlust, Orientie­rungs- und Maßlosigkeit, schwindende Kritikfähigkeit in bezug auf Realität und Fik­tion (Virtualität), aber auch sprachlich-kulturelle und mathematisch-naturwissen­schaftliche Kompetenzeinbußen sind nur einige der aktuellen Zustandsbeschreibun­gen, denen "Vernetzung", "Schlüsselqualifikationen", "emotionale Intelligenz" und andere modische Metaphern als Bildungsempfehlungen gegenübergestellt werden. Ist diese Zustandsbeschreibung realistisch? Wenn ja, welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für das Gymnasium, insbesondere unter dem Postulat der Begabtenför­derung?

Angesichts der skizzierten Veränderungen sowie im Hinblick auf gleichzeitig wachsende individuelle und gesellschaftliche Ansprüche sieht sich das Gymnasium als Bildungsinstitution zunehmend konfligierenden Erwartungen in der öffentlichen Diskussion ausgesetzt. Einerseits wird der Schule immer mehr Verantwortung so­wohl unter der Erziehungs- als auch unter der Lernperspektive (Stoffülle!) aufgebür­det. Andererseits wächst der Freizeitanspruch zu Lasten schulischer Lernaktivitäten unvennindert weiter an, so daß die aktive individuelle Lernzeit für schulische Lern­inhalte gegenüber früher oder auch im internationalen Vergleich (vgl. Deutsches PI­SA-Konsortium, 2001) mehr und mehr reduziert wird. Hinzukommen die anhaltende Debatte um Egalitarismus versus Elitismus, die Bildungskontroverse um den Vor­rang der Vennittlung von Fachkompetenzen versus fachübergreifenden Schlüssel­qualifikationen bzw. die Forderung nach "effektiveren" schulischen Lernumwelten, kontroverse Auffassungen über gymnasiale Bildung als Funktion der Persönlich­keitsförderung versus Qualitätssicherung individueller Ausbildungs- und Berufs­chancen oder die Sicherung gymnasialer Qualitätsstandards im nationalen und inter­nationalen Maßstab. Hierauf wird im zweiten Teil dieses Kapitels vor allem aus be­gabungs- und lernpsychologischer Perspektive näher eingegangen. Damit soll eine Grundlage geschaffen werden, um die empirischen Evaluationsbefunde der zehnjäh-

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rigen Längsschnittstudie zum Schulmodellversuch "Gymnasium mit achtjährigem Bildungsgang" in einem breiteren (schulischen) Bildungskontext zu diskutieren.

Individuelle und gesellschaftliche Veränderungen - Konse­quenzen für die gymnasiale Begabtenförderung

Über die Auswirkungen moderner Informations- und Kommunikationsgesellschaften auf das Wahrnehmen und Denken der heutigen Jugend wird zur Zeit viel und nicht selten kontrovers diskutiert. Einig sind sich die meisten Experten darüber, daß die Technik unseren Lebens- und Erfahrungsraum zunehmend verändert, wovon auch der Bildungsauftrag des Gymnasiums betroffen ist. Die aktuelle Situation sei mit einigen Beispielen kurz skizziert.

Am auffälligsten ist vielleicht die schleichende Veränderung der Wahrnehmungs­fähigkeit vieler Jugendlicher als Folge des Fernsehens und anderer Massenkommuni­kationsmedien. Da Wahrnehmung und Denken reziprok wirken, bleibt die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen davon nicht unbeeinflußt. Digitalisie­rung und Atomisierung sind vielfach zu Grundmetaphern der heutigen Zeit gewor­den. So werden uns in den täglichen Nachrichtensendungen häufig nur "Informati­onshäppchen" - meist noch in rascher Folge und unverbunden - geboten. In Fern­sehdiskussionsrunden werden mehr oder weniger unzusammenhängende Statements ausgetauscht oder subjektive, narzißtische Bedürfnisse gepflegt, so daß der Gegens­tandsbezug oft schon nach wenigen Minuten aus dem Blickfeld gerät. Hinzu kommt die Trivialisierung der Komplexität bei vielen diskutierten Problemgegenständen, die kritisches (d.h. differenziertes) Denken und reflektierte Überlegungen beim Zu­schauer oder Zuhörer kaum zuläßt. Im amerikanischen und zunehmend auch im deutschen Fernsehen werden Spielfilme mit einer Kette von Werbespots durchzogen, daß es nicht nur Jugendlichen oft schwerfällt, bei des - die Filrnhandlung und den Werbespot - auseinanderzuhalten. Nicht nur werden damit die Unterscheidung zwi­schen wichtigen und unwichtigen Inhalten erschwert, sondern zunehmend auch Rea­lität und Fiktion vor allem bei der heranwachsenden Jugend vermengt. Der Soziologe Niklas Luhmann hat dies in seinem Buch "Die Realität der Massenmedien" (1996) folgendermaßen auf den Punkt gebracht: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über unsere Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien." Ob dies als Orientierungswissen taugt, dürfte nicht nur von Gymnasiallehrern - zurecht -bezweifelt werden. Joseph Weizenbaum, weltbekannter Pionier im Computerbereich und bis 1988 Professor für Computerwissenschaften am Massachusetts Institute of Technology (MIT), beruft sich in einer 1996 erschienen Publikation auf eine Statistik der US-Regierung, wonach ein Drittel der Jugendlichen in Amerika zu den Analpha­beten gerechnet wird. Er sieht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem extensiven Fernsehkonsum vieler amerikanischer Kinder und Jugendlicher und dem gleichzeitigen "Verlust der Fähigkeit, kritisch lesen zu können, kritisch zu schreiben

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und schließlich zu denken. Genau das ist das Schicksal unserer Jugendlichen in Ame­rika heute ... Das erste, was uns absolut fehlt und am wichtigsten zählt, ist meiner Meinung nach die Sprache. Ich lehre an einer der elitärsten technischen Universitäten in Amerika, vielleicht in der ganzen Welt - es ist eine private Universität, wo wir uns die Studenten auswählen können, wie wir wollen. Die sind recht gescheit, wenn sie da ankommen. Aber mindestens die Hälfte kann nicht einen einzigen Absatz in gu­tem Englisch schreiben, ohne gravierende Mängel nicht nur in der Schreibrichtigkeit, sondern auch grammatikalisch-semantisch (es kommt ein anderer Sinn heraus, als gewollt war). Wenn man ihnen die Fehler zeigt, erkennen sie sie nicht - und dies bei der allerbesten Auslese in den USA. An der Sprache aber kann man die Fähigkeit kreativen und kritischen Denkens messen; dazu gehört auch kritisch lesen, zuhören, besonders aber sprechen zu können" (1996, S. 22).

Diese Zustandsbeschreibung erschien manchen im Hinblick auf deutsche Verhält­nisse bis vor kurzem noch als übertrieben. Spätestens jedoch TIMSS (vgl. Baumert, Lehmann et al., 1997) und deren Nachfolgerin, die OECD-Studie PISA (Programme for International Student Assessment), haben alle Zweifel beseitigt, indem sie gravie­rende sprachliche und mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzdefizite der deutschen Jugend dokumentierten. Bei den PISA-Erhebungen 2000 (PISA I) lag ein Schwerpunkt auf der sprachlichen Grundbildung (vgl. Dt. PISA-Konsortium, 2001).

Es liegt nahe, die in der PISA-Studie 2000 festgestellten dramatischen Einbrüche im Leseverhalten deutscher Jugendlicher und deren geringe Lesemotivation (die PI­SA-Autoren sprechen von Lese-"Unlust") mit den beobachteten Defiziten in der Le­sekompetenz - und vermutlich auch der (in PISA I nicht gemessenen Schreibkom­petenz) - ursächlich in Verbindung zu bringen. Als indirekter Beleg für diese Inter­pretationshypothese kann das sehr gute Abschneiden Finnlands in der PISA-Studie 2000 herangezogen werden, wo der Lesekultur traditionell ein hoher Stellenwert zu­kommt. Und galt dies nicht auch für das Bildungsideal des humanistischen Gymna­siums in Deutschland noch bis in die frühen 60er Jahre des 20. Jahrhunderts?

Die substantielle Bedeutung sprachlicher Grundkompetenzen für den kritischen Umgang mit der rapide anwachsenden Informationsfülle allein innerhalb der letzten Dekade hat jüngst auch Wolfgang Frühwald (in seinem Feuilleton-Artikel "Dicke große Zeigefinger: Lesen, Schreiben - oder was man von der Schule verlangen darf' in der SZ Nr. 46 v. 23./24. Februar 2002) unterstrichen.

"Das Ideal des Lesens, des intensiven und genauen, des überlegten und für das eigene Schreiben fruchtbar zu machenden Lesens ist mehr als eine Kulturtechnik. Es ist die Basis des Bildungsdiskurses, weltweit, der sich über Lesen und Lesekompetenz, also über verste­hendes und kreatives Lesen, entwickelt... Gegenüber dem Vielwissen und dem Viellernen sind Kernfähigkeiten ... des guten Schreibens, des verstehenden Lesens, der Verfügung über einen umgrenzten, lebensbegleitenden Textbestand, Grundvoraussetzungen für ein Studium nicht nur in den Geisteswissenschaften. Daß die Fähigkeit zur Abstraktion, zusammen mit mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundkenntnissen, dazukommen muß, versteht sich von selbst" (loc. cit., S. 15).

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Nicht nur Altphilologen beklagen in diesem Zusammenhang den Rückgang des Faches Latein als 1. oder 2. Fremdsprache. So betrug beispielsweise im Schuljahr 1994/95 der Anteil von Latein als 1. Fremdsprache an bayerischen Gymnasien (in den Jahrgangsstufen 5-11) nur noch 17%, als 2. Fremdsprache (in den Jahrgangsstu­fen 7-11) immerhin damals noch 47%. Inzwischen sind diese Anteile weiter ge­schrumpft. Die aktuellen Vergleichszahlen (im Schuljahr 2001102) betragen knapp 15% (Latein als 1. Fremdsprache) und knapp 43% (Latein als 2. Fremdsprache); Quelle: Information des KM Bayern v. 15.2.2002. Die entsprechenden baden­württembergischen Vergleichszahlen lauten: Latein als 1. Fremdsprache 6% (1994/95) bzw. 5% (2001102) und als 2. Fremdsprache 26% (1994/95) bzw. 20% (2001102). Ähnliche oder noch dramatischere Tendenzen sind in den anderen Bun­desländern zu beobachten. Trotz der - nicht neuen - Kritik an der formalen Bil­dungstheorie als Grundlage für den gymnasialen Lateinunterricht sind die Argumente für Latein als Fundament für eine erfolgreiche Gymnasiallaufbahn durch neuere Un­tersuchungen zumindest teilweise bestätigt worden. Beispielhaft seien die Studien von Haag (1995, 1998, 2001) angeführt, wo folgende positiven Auswirkungen des Lateinunterrichts untersucht wurden: (1) Transfereffekte auf das wissenschaftliche und logische Denken (von Lateingegnern immer wieder bestritten; dagegen aber z.B. W. Frühwald (loc. cit.): "Ist es nicht eine beachtliche abstrahierende, gedankliche Leistung, wenn ein elfjähriges Kind im Lateinunterricht ein ut finale von einem ut consecutivum zu unterscheiden gelernt hat?"), (2) Förderung muttersprachlieher Kompetenzen und darüber hinaus der Sprachreflexion, (3) Einführung in ein gram­matisches System und damit Erleichterung des Erlernens moderner Fremdsprachen (bei Nichtphilologen mitunter umstritten), (4) Erschließung des internationalen Fachwortschatzes, (5) Förderung wichtiger Arbeitstugenden wie Genauigkeit, Aus­dauer, Konzentration, Anstrengungsbereitschaft, aber auch von Askese, Konsumver­zicht und anderen Sekundärtugenden, (6) Erleichterung des Zugangs zur abendländi­schen Bildungstradition und Kultur sowie zur Geschichte und somit auch zur politi­schen Bildung. Zum klassischen Bildungsbegriff vgl. etwa Böhm (2000).

In seinen empirischen Studien fand Haag eine Reihe von Belegen für die skiz­zierten Haupthypothesen. Während andere Kultursprachen (z.B. Finnisch oder Chi­nesisch) in den betr. Ländern selbstbewußt und häufig auch historisch reflektierter gepflegt werden, unterliegen wir in Deutschland zunehmend der Gefahr, bewährte humanistische Ideale und Traditionen leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Andererseits muß davor gewarnt werden, sprachliche Literalität allein oder ausschließlich mit dem Unterrichtsfach Latein zu verbinden. Mit unzureichenden Fähigkeitsvoraussetzungen dürfte die geringe Lateinnachfrage der derzeitigen Gymnasialschülerschaft jedoch nur teilweise zu erklären sein, eher mit Anstrengungsbereitschaft, Arbeitsbelastung sowie subjektiver Schwierigkeitseinschätzung des Faches Latein. Somit gilt es, das Interesse für Latein pädagogisch zu wecken und zu fOrdern, indem man den vielHilti­gen Nutzen transparent macht und entsprechend leistungsfähige Schüler ermutigt, neben Englisch oder Französisch parallel mit dem Lateinunterricht in den Fremd-

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sprachenerwerb ZU starten. Vor allem fiir sprachlich talentierte Gymnasiasten stellt das Fach Latein eine willkommene Herausforderung dar, was durch das aktuelle "Biberacher Modell" (mit gleichzeitigem Fremdspracheneinstieg in Latein und Eng­lisch in der 5. Jahrgangsstufe) offensichtlich bestätigt wird (Necker, 2002).

Auch Computer sind ein Ergebnis menschlichen Denkens, und nicht wenige ver­sprechen sich hiervon die Potenzierung menschlicher Intelligenz oder gar neue Denkstrukturen. Derrick de Kerckhove von der Universität Toronto wagt die - zuge­geben sehr kühne - Prognose, daß das menschliche Gehirn im Computerzeitalter durchaus zu einem "Parallelprozessor" mutieren könnte und verweist auf die Scree­nager, jene multifunktionalen Jungtalente, die "mit dem Bildschirm (screen) in die Epoche (age) der Bild- und Informations-Invasion hineingeboren worden (sind) und scheinbar schon im Takt der digitalisierten Welt (leben): flexibel, schnell, visuell, multifunktionell" (nach Kuntz-Brunner, 2000, S. 10).

In der modernen Wissensgesellschaft scheint rur manche ein uralter Menschheits­traum Wirklichkeit zu werden, indem der menschliche Geist die Evolution überlistet oder sich zumindest eine Annäherung zwischen menschlichen und maschinellen Denkstrukturen am Horizont abzeichnet. Durch die Vernetzungsmöglichkeiten sieht Kerckhove die Chance einer bisher ungeahnten Beschleunigung der Denkprozesse, so daß individuelle Limits der Informationsverarbeitung und Wissenserwerbsprozes­se eines Tages überwunden werden könnten. Die Hirnforscher Tomaso Poggio vom MIT in Cambridge (USA) und Ernst Pöppel von der LMU in München teilen freilich diesen Optimismus nicht, wenngleich sie eine Veränderung menschlicher Denkpro­zesse und Denkstrukturen innerhalb der Vorgaben der Natur durch digitalisierte Medien-Welterfahrungen nicht ausschließen. Trotz zunehmender Qualität medialer Erfahrungen wird die "Turbointelligenz" der Screenager allerdings immer am "Tropf externaler Informationsspeicher" hängen. Wissenserwerbsprozesse und Expertise­aufbau werden nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ohne individuelle Anstrengung und aktive Lernprozesse auch in der Zukunft nicht möglich sein (vgl. Schneider, 1993/2000; Weinert, 1996, 1999/2000; Sternberg, 2000). Die Umwandlung von In­formation in Wissen mag durch die von der jeweiligen Erfahrungswelt veränderten Lernprozesse bzw. Instruktionsformen beeinflußt werden. Doch dies wird auch künftig eine an der sozialen Umwelt orientierte Sprache sowie Kommunikations­fähigkeit voraussetzen. Diese werden nicht nur im Sinne von Schlüssel­qualifikationen heute weithin geschätzt, sondern sind auch kognitionspsychologisch betrachtet von elementarer Bedeutung fiir die Entwicklung kognitiver Kompetenzen sowie realistischer Selbst- und Umweltkonzepte (vgl. noch Weinert & Perner, 1996; Weinert & Schneider, 1998).

Wahrnehmungs- und Denkfähigkeiten, Sprachkompetenz bzw. Kommunikations­fähigkeit sind grundlegende, wenngleich selten hinreichende Voraussetzungen rur schulische und berufliche Qualifikationsprozesse. Dies gilt auch fiir die Internalisie­rung sozialer Normen und kultureller Bezugssysteme im Sinne individuell verbindli­cher Wert- und Orientierungsmaßstäbe. Neben der (gesprochenen und geschriebe-

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nen) Sprache vermitteln ein ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein und soziale Rollen­modelle wichtige Orientierungshilfen. Zugleich wird damit ein Gegengewicht zur Maßlosigkeit gesetzt, d.h. der zunehmenden Relativierung humanistischer Wertvor­stellungen einerseits und einseitig utilitaristischen (Aus-)Bildungstendenzen anderer­seits gegengesteuert. Vom Jugendlichen akzeptierte Vorbilder werden nicht nur in der Gleichaltrigengruppe gesucht, sondern auch im familiären und schulischen Set­ting benötigt. Die Bereitschaft dazu scheint jedoch bei Erwachsenen - Eltern wie Lehrern - eher abzunehmen, nicht selten begleitet von unfruchtbaren wechselseitigen Schuldzuweisungen. Förderlich wären hier aber offene Gespräche und Kooperati­onsbereitschaft aller Beteiligten sowie vor allem authentische Vorbilder, etwa im Sinne sozialkognitiver Lerntheorien (vgl. auch Montada, 1998).

Neben der sprachlich-kulturellen Literalität avancierte die mathematisch-natur­wissenschaftliche Literalität im 20. Jahrhundert zum gleichwertigen (Aus-)Bildungs­ziel des Gymnasiums. Zusätzlich zum Erlernen der Sprachein gewinnen in unserer Gesellschaft und auch im Gymnasium Computer Literacy (also die Fähigkeit, Com­puter zu verstehen und anzuwenden) bzw. Informatik in den letzten Jahren wachsen­des Interesse (ausfUhrlicher vgl. Richter, Naumann & Groeben, 2001). Hinzukommt seit der Oberstufenreform bzw. Einfiihrung der Kollegstufe in den 70er Jahren der Anspruch, die Studierfähigkeit der Gymnasialabgänger trotz zum Teil drastisch ge­stiegener Schülerzahlen im Gymnasium zu verbessern. Eine noch vor wenigen Jahr­zehnten ungeahnte Wissensprogression in fast allen - vor allem den naturwissen­schaftlichen - Fächern führte zu einer vielfach beklagten Stoffiille, deren Abbau die Setzung von Prioritäten erfordert. Mit diesem Problem stehen die Gymnasien nicht allein da. Ähnliche Probleme stellen sich - oft noch verschärft - bei der Um- oder Neustrukturierung universitärer Studiengänge.

Ein weiterer Problemaspekt betrifft den Zusammenhang von Wissen und Handeln oder Können. Zwar ist es inzwischen eine Binsenweisheit, daß Wissen mehr ist als Information(sfülle), somit "intelligentes Wissen" (Weinert) zur Bewältigung schwie­riger Probleme bzw. anspruchsvoller AufgabensteIlungen erforderlich ist. Aber die Erwartungen an die in diesem Zusammenhang häufig reklamierte "Wissensgesell­schaft" werden solange zu Enttäuschungen fUhren, wie dabei das Können aus dem Blickfeld gerät. "Was wir von der Schule fordern, ist nicht (nur) Wissen, sondern (auch) Können, denn nur Können wird (z.B. im Beruf) honoriert ... Piaget sagte: ,Lernen ist immer Wahrnehmen und Tun'. Ohne Tun gibt es kein Lernen. Insofern ... hat das Gymnasium einen großen Nachholbedarf wegen seiner Art, die Dinge zu abstrahieren, zu reflektieren, aber nie zu machen ... , (weshalb) eine große Aufgabe darin liegt, das Lernen auch dahingehend zu verändern... Schule muß Können und Handlungskompetenz vermitteln" (Kroy, 2000, S. 29f.). Dafür sind Wissenskompe­tenzen zwar eine notwendige, aber häufig keine hinreichende Voraussetzungsbedin­gung. Schule muß also beides - deklaratives Wissen ("gewußt, was") und prozedu­rales oder strategisches Wissen ("gewußt, wie") - vermitteln, um ihrem Bildungs-

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auftrag voll gerecht zu werden. Diesem Postulat ist auch das Gymnasium verpflich­tet.

Im folgenden soll nun der Bildungsauftrag des Gymnasiums detaillierter aus pä­dagogisch-psychologischer Perspektive behandelt werden, wobei fünf Problemberei­che in den Mittelpunkt rücken und "Bildung" hier zusammenfassend als Erwerb in­telligenten Wissens operationalisiert wird.

Begabungs- und Bildungsförderung als individuelle und ge­sellschaftliche Verantwortung

Das in den meisten Länderverfassungen verbriefte individuelle Grundrecht auf Chancengerechtigkeit wird sehr oft falsch interpretiert und von Kritikern eines ge­gliederten Schulsystems gern als Gegenargument zur (gymnasialen) Begabtenförde­rung verwendet. Die in diesem Zusammenhang erhobene Forderung nach Gleichheit der Bildungschancen macht - angesichts unübersehbarer interindividueller Bega­bungsunterschiede - eine zweifache Nuancierung des Gleichheitsbegriffs notwendig. Zunächst bedeutet Gleichheit im Sinne des Art. 3 GG, daß allen jungen Menschen prinzipiell jeder Bildungsweg offenstehen muß. Es gibt keinen in objektiven Gege­benheiten (z. B. Rasse, Religion, sozialer Stand oder Geschlecht) wurzelnden Grund, jemanden von einem Bildungsweg auszuschließen. Zum anderen besagt die Sozial­staatsklausel des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1, in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 3), daß im Begriff der Gleichheit eine dynamische Komponente mitenthalten ist, die die jeweils unterschiedliche Situation des Einzelnen einbezieht. Und genau hier sind die aus unterschiedlichen Eignungsvoraussetzungen erwachsenden individuellen LernbedÜTfnisse schulisch angemessen zu berücksichtigen. "Nichts ist ungerechter als die gleiche Behandlung Ungleicher" (Paul F. Brandwein).

Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA findet die sowohl öffentlich als auch mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit geführte kontroverse Debatte dar­über, ob meritokratische Prinzipien und Zielsetzungen mit demokratischen Gesell­schaftsordnungen zu vereinbaren seien, kein Ende (z.B. J.W. Gardner, 1961; Kirch­hof, 1996). Auf der einen Seite soll Meritokratie Chancengleichheit für alle garantie­ren, indem individuelle Leistungen bzw. Verdienste (Meriten) - nicht Herkunft, Ge­schlecht usw. - "belohnt" werden. Auf der anderen Seite sind individuell unter­schiedliche Leistungserfolge auch in meritokratischen Gesellschaftssystemen nicht zu überwinden, sei es als Folge unterschiedlicher Fähigkeitsvoraussetzungen, An­strengungsbereitschaft und Arbeitseinsätze oder günstiger vs. ungünstiger Sozialisa­tionsbedingungen, auf grund von Behinderungen, Krankheit oder widriger sozio­ökonomischer Lebensbedingungen. Chancengleichheit im Sinne interindividueller Divergenzauflösung oder identischer individueller Leistungsergebnisse wird es somit auch in der Demokratie niemals geben, die jedoch gegenüber alternativen Gesell­schaftsordnungen mehr Chancengerechtigkeit garantiert. Nach Henry (1994) besteht

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aktuell allerdings die Gefahr, daß die Forderung nach Elitebildung bzw. Leistungs­eliten in den westlichen Gesellschaften zunehmend falschen egalitären Tendenzen unterliegt, indem - etwa im Gegensatz zu ostasiatischen Gesellschaftssystemen - die Wertschätzung intellektueller Leistungen, verbindliche Gütemaßstäbe und die Ver­teidigungsbereitschaft eigener kultureller Wertorientierungen mehr und mehr schwinden. Ausfilhrlicher vgl. Henry (1994) und Mönks (1996).

Kerr & Cohn (2001) haben jüngst in diesem Zusammenhang noch auf eine inte­ressante historische Wurzel antiintellektueller Einstellungen in Amerika hingewie­sen: ,,Americans have always been, by and large, antiintellectual. Intellectualism was associated with the decadent Old World. Americans saw themselves as rugged indi­vidualists who were both practical and strong, and they saw the British and other Europeans as effete, weak, and effeminate" (S. 51). Der Abbau - unterschiedlich motivierter - individueller und gesellschaftlicher Vorurteile gegenüber Hochbega­bung bzw. Hochbegabtenförderung kann auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch keineswegs als hinreichend bewältigte Aufgabe betrachtet werden, weder in Amerika noch in Europa bzw. Deutschland.

Dem individuellen Anspruch auf gleiche Bildungschancen steht somit die gesell­schaftliche Verpflichtung gegenüber, ein ausreichendes Spektrum von entwicklungs­stimulierenden - d.h. das Individuum herausfordernden - schulischen Lernumwelten anzubieten. Inwieweit der einzelne Jugendliche von diesem Angebot tatsächlich Gebrauch macht, kann - jenseits der Sicherstellung einer obligatorischen Grundbil­dung für alle - staatlich nicht verordnet werden, sondern hängt von individuellen Interessen, Fähigkeiten und Bildungszielen bzw. persönlichen und natürlich auch familiären Werthaltungen ab. Letztlich aber liegt die Entscheidung, die angebotenen Bildungschancen wahrzunehmen oder zurückzuweisen, beim Sozialisanden selbst.

Dabei darf freilich nicht außer acht gelassen werden, daß es eine Reihe von Fällen gibt, deren Persönlichkeitsentwicklung durch ungünstige Sozialisationsbedingungen, defizitäre Lernumwelten und/oder individuelle Behinderungen beeinträchtigt ist. Eine wichtige Aufgabe der Schule liegt deshalb in der Ermöglichung von maxima­lem Chancenausgleich für diese Jugendlichen, ohne die berechtigten Interessen der anderen zu vernachlässigen. Diese Verpflichtung resultiert aus dem Chancengerech­tigkeitsprinzip, wobei die soziale Komponente der Chancengleichheit thematisiert wäre. Darauf haben alle Jugendlichen (unterschiedlicher Begabungsprofile) ein An­recht. Dem Gymnasium obliegt hierbei die Förderung besonders befähigter Jugendli­cher. Was dies inhaltlich bedeutet, soll im folgenden erläutert werden.

Der scheinbare Widerspruch von Intelligenz und Kreativität

Allgemein wird Begabung als individuelles Leistungspotential verstanden, wobei -vor allem in den sozialpsychologisch orientierten Begabungstheorien - den Bedin-

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gungen der sozialen und kulturellen Lernumwelt eine wichtige Rolle bei der Bega­bungsentwicklung bzw. Umsetzung von Begabung in Leistung zuerkannt wird. Demgegenüber fokussiert die lernpsychologisch fundierte Expertiseforschung auf die individuelle Nutzung von Lerngelegenheiten und sieht in der Lern- und Leistungs­motivation bzw. in persönlichen Neigungen und Interessen den Angelpunkt :für indi­viduelle Leistungserfolge oder Expertise, d.h. Fachleistung auf hohem Niveau.

Entwicklungspsychologisch betrachtet, manifestiert sich Begabung im Sinne in­tellektueller und kreativer Fähigkeiten zunächst als relativ unspezifisches individu­elles Leistungspotential, das von Anfang an mit der sozialen Lernumwelt interagiert. Dieser Wechselwirkungsprozeß ist als gegenseitige Beeinflussung kindlichen Ver­haltens und elterlicher Erziehungsziele bzw. Erziehungspraktiken zu verstehen. Ver­erbte Anlagebedingungen werden hierbei vor allemfür die individuelle Auswahl und Nutzung der durch die soziale Umwelt gebotenen Lernmöglichkeiten wirksam (Scarr & McCartney, 1983; Thompson & Plomin, 1993; Scarr, 1997; Ceci, Rosenblum, de Bruyn & Lee, 1997). So deuten Frühindikatoren der Hochbegabung (im Sinne au­ßergewöhnlicher Leistungsfähigkeit) wie kognitive Neugier oder ein ausgeprägter Explorationsdrang darauf hin, daß diese Kinder bereits in den ersten Lebensjahren die :für ihre Befriedigung kognitiver und sozialemotionaler Grundbedürfnisse erfor­derliche Lernumwelt aktiv zu beeinflussen versuchen (Perleth, Lehwald & Browder, 1993). Die Anlage-Umwelt-Diskussion erhält somit durch die Annahme einer diffe­rentiellen Entwicklungsdynamik eine neue Dimension: Danach entwickelt sich das Individuum durch aktive Mitgestaltung seiner sozialen Umwelt, mit der es ein dyna­misches System bildet. In welche Richtung diese Entwicklung verläuft, hängt freilich entscheidend von den sozio-kulturellen Lernumweltbedingungen, d. h. aber auch von den schulischen Lernangeboten und der dort ermöglichten oder versäumten Bega­bungsf6rderung, ab. Welche Rolle spielen dabei Intelligenz und Kreativität als Kon­stituanten der Begabung?

Mit dem BegabungsbegrifJ werden vor allem kognitive oder intelligente Fähig­keiten angesprochen, die zur Problemlösung allgemein oder spezifisch (z.B. in Ma­thematik, Naturwissenschaften, Sprache, Schach oder Musik, Kunst, Sozialverhalten) einen substantiellen Beitrag leisten. Während unter der intellektuellen Begabung ge­wöhnlich Kompetenzen des sogenannten konvergenten Denkens verstanden werden, sind mit dem Begriff Kreativität zumeist Funktionen des sogenannten divergenten (mehrgleisigen) Denkens assoziiert. Diese Unterscheidung geht auf einen Vorschlag Guilfords (1950) zurück. Mit der inzwischen geläufigen Begriffsdifferenzierung werden jedoch nicht selten kontradiktorische Gegensätze postuliert, obwohl Guilford damit wohl eher komplementäre - also nicht sich ausschließende, sondern sich er­gänzende - intellektuelle Denkkompetenzen intendierte. Charakteristisch fiir konver­gente Denkproduktionen sind die klassischen Intelligenztestaufgaben, die induktives (schlußfolgerndes) Denken erfordern, während offene Problemstellungen mit relativ unstrukturierten Zielvorgaben - wie sie in Kreativitätstests verwendet werden - di­vergente Denkproduktionen provozieren. Die Problemstruktur ist dabei mehr oder

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weniger restriktiv, d.h., sie beinhaltet eher "geschlossene" vs. "offene" Problemty­pen. Wie Facaoaru (1985) jedoch zeigen konnte, gibt es nicht nur diese beiden Pro­totypen. Vor allem flir schwierige, komplexe Probleme, etwa im Bereich von Natur­wissenschaft und Technik, sind Mischtypen kennzeichnend.

Die aufgezeigte Systematik verschiedener Problemtypen impliziert die Annahme qualitativer Unterschiede der entsprechenden Denkprozesse. Diese qualitativ unter­schiedlichen Facetten der Problemlösung repräsentieren sich ergänzende Denk- und Handlungsstrategien. So werden am Anfang eines komplexen Problemlöseprozesses vor allem divergente (kreative) Fähigkeiten - etwa zur Frageformulierung oder Hypothesengenerierung - erforderlich, während anschließend zunehmend divergent­konvergente bzw. konvergente Denkkompetenzen zur Hypothesenentscheidung be­nötigt werden.

In diesem Zusammenhang soll kurz auf die häufig diskutierte Frage nach der Al­tersabhängigkeit kreativer Leistungen und damit zusammenhängende Schuld­zuweisungen an eine fachsystematische Wissensvermittlung eingegangen werden. Diese diene - so der Vorwurf - einseitig der Intelligenzförderung, wobei kreative Schüler zuwenig gefördert werden würden. Zugleich wird damit unterstellt, daß alle Menschen "von Natur aus" kreativ seien und ihre Kreativitätspotentiale erst durch fehlende "kreative Lernumwelten" bzw. durch formale Schulungsprozesse zuneh­mend verkümmerten. Kontrollierte wissenschaftliche Beobachtungen belegen aber ziemlich eindeutig, daß von Anfang an - nicht nur im späteren Jugend- und Erwach­senenalter - erhebliche individuelle Unterschiede kreativer (und intellektueller) Fä­higkeiten bestehen. Der gegenteilige Eindruck wird vor allem durch zwei Phänomene hervorgerufen: Erstens die allgemeine Tendenz des Menschen, neue AufgabensteI­lungen und Probleme bei fehlender Rückgriffsmöglichkeit auf individuelle Erfahrun­gen oder erworbenes Wissen durch verstärkte Aktivierung kreativer Denk­kompetenzen zu bewältigen. Die Notwendigkeit hierflir besteht in den ersten Le­bensjahren sowie zu Beginn der schulischen Laufbahn, d. h. während der häufig zum ersten Mal geforderten systematischen Wissensaneignung, viel stärker als später. Von hier aus betrachtet wäre der in den üblichen Kreativitätstestbefunden beobach­tete Rückgang kreativer Leistungen mit zunehmender Beschulungsdauer einigerma­ßen plausibel erklärbar. Zweitens hängt die Kreativitätseinschätzung aber auch vom Anforderungsmaßstab ab, der sich durch den Bezugsgruppenwechsel bei der Ein­schulung ändert. So wird der im Vorschulalter vorherrschende intraindividuelle (subjektive) Maßstab in der Schule je nach pädagogischem Verwendungszweck durch den interindividuellen (sozialen bzw. lerngruppenbezogenen) Bewertungsmaß­stab oder auch durch kriteriale (lernzielbezogene) Standards abgelöst (vgl. Heller & Hany, 2001, S. 89ff.). Schließlich wäre noch zu bedenken, daß bei fortschreitenden Erfahrungen und einem zunehmenden Wissensrepertoire die (relative) Notwendig­keit zum Einsatz kreativer Problemlösekompetenzen abnimmt, was möglicherweise den beobachteten Kreativitätsrückgang erklärt.

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Zur bekannten Meßproblematik bei der diagnostischen Erfassung von Kreativi­tätsmerkmalen muß auf die einschlägige Literatur verwiesen werden, z.B. Heller & Perleth (2000, S. 109-190). Nur soviel sei hier angemerkt, daß Kreativitätstests all­gemein eine geringere Reliabilität (Testzuverlässigkeit) aufweisen als Intelligenz­tests. Doch dies (allein) kann nicht die häufig beobachteten "Decline"-Effekte von Kreativitätsmessungen im Schulalter erklären.

Diese deskriptiven Befunde und Erklärungsversuche entbinden selbstverständlich nicht vom schulischen Bildungsauftrag, im Rahmen der kognitiven und sozialen Entwicklungsf6rderung auch die Kreativitätsentwicklung Jugendlicher planmäßig zu unterstützen. Effektive Kreativitätsf6rderung im Gymnasialalter setzt jedoch - egal auf welchem Gebiet - intelligentes, flexibel nutzbares Wissen voraus. Ohne ausrei­chende Fachkenntnisse ist letztlich auch nicht das häufig postulierte vernetzte Den­ken möglich (ausführlicher vgl. Heller, 1994, 2000b). Wie der Unterricht im Gymna­sium dazu beitragen kann, soll im nächsten Punkt exemplarisch dargestellt werden.

Individuelle Lernbedürfnisse und effektive Lernumwelten als Ansatzpunkte eines wissenschaftlich orientierten

Unterrichts am Gymnasium

Individuell unterschiedliche Begabungsvoraussetzungen und Lembedürfnisse erfor­dern differenzierte schulische Curricula und Instruktionsstrategien. Dieses Postulat basiert auf der theoretischen Annahme, daß zwischen den kognitiven Lernvorausset­zungen (aptitudes) der Schülerpersönlichkeit einerseits und der sozialen Lemumwelt der Schule bzw. der Unterrichtsmethode (treatment) andererseits spezifische Wech­selwirkungen bestehen (Aptitude-Treatment-Interaction-Modell). Demnach wären nicht alle Unterrichtsmethoden bzw. didaktischen Konzepte gleichermaßen für alle Schüler geeignet. Beispielsweise ist für weniger intelligente Schüler eine stärker strukturierte Unterrichtsform effektiver, während eine offene Unterrichtsform, die Gelegenheit zum selbstgesteuerten entdeckenden Lernen bietet, sich im allgemeinen für intelligentere Schüler als vorteilhaft erweist (Cronbach & Snow, 1977; Corno & Snow, 1986), was mit deren besser entwickelten metakognitiven Kompetenzen zu­sammenhängt. Unabhängig von der Kritik am ATI-Ansatz gilt für die hier themati­sierte Zielgruppe der intellektuell begabten Gymnasialschüler, daß auf deren Lernbe­dürfnisse und Interessen genauso spezifisch einzugehen ist wie beispielsweise auf jene der mehr musisch, praktisch und/oder sozial Begabten. Bei besonders befähigten Schülern führen länger andauernde Unterforderungen - etwa in undifferenzierten, heterogenen Begabungsgruppen - nicht selten zu Entwicklungsbeeinträchtigungen oder gar Verhaltensstörungen als Reaktion auf ungenügende individuelle Leistungs­forderung. Diese Gefahr besteht in besonderer Weise für die ca. 25% Begabtesten unter den Gymnasiasten (vgl. Heller, 1996, 2001b; Heller & Reimann, 1999; Heller, Reimann & Rindermann, 2000). Diese zeichnen sich u.a. durch kognitive Neugier,

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Originalität, unstillbaren Wissensdurst sowie eine (nicht unbedingt schulfachbezoge­ne ) Interessenprofilierung aus. Deren hohes Lerntempo und besonders effektive In­formationsverarbeitungs- und Gedächtnisstrategien, zusammen mit ausgeprägter Aufgabenmotivation gerade bei schwierigen, das Individuum herausfordernden, Leistungssituationen erfordern entsprechend offene und reichhaltige Lernumwelten. Wodurch sind solche ,,kreativen" bzw. "effektiven" schulischen Lernumwelten cha­rakterisiert?

Diese Frage wurde empirisch dadurch zu beantworten versucht, daß man beson­ders erfolgreiche Lehrer mit weniger erfolgreichen verglich. Demnach zeichnen sich erstere durch hohe Flexibilität und stärker akzeptierende Haltung gegenüber ihren Schülern aus. Im Vergleich zu weniger erfolgreichen Kollegen weisen "effektive" Lehrer eine positivere Einstellung zu den besonders befähigten Schülern auf. Daraus resultiert auch ein verändertes Rollenverständnis. "Die Positionen Lehrer-Schüler sind im Vergleich zum üblichen Unterricht oftmals vertauscht. Der Lehrer findet sich in der Rolle des Mitlernenden in einem Kurs, den die Schüler zumindest teilweise selbst gestalten" (Grotz, 1990, S. 17).

Das Ziel, die Selbständigkeit der Schüler im Lernen, Denken und Problemlösen zu fördern, läßt sich sehr gut mit dem Konzept des entdeckenden Lernens verbinden. Entdeckendes Lernen im Unterricht bedeutet, daß dem Schüler der Lernstoff nicht als ein fertiges Produkt dargeboten wird, sondern geeignete Lernumwelten die Wis­senserwerbsprozesse beim Lernenden auslösen. Ziel des entdeckenden Lernens ist somit die Förderung der Selbständigkeit des Lernenden. Die Schüler sollen auf diese Weise flexibel nutzbares Wissen erwerben. Nach Neber (1999,2001) wurde entde­ckendes Lernen bisher in drei Grundformen realisiert:

entdeckendes Lernen durch Beispiele, etwa zum Erwerb von Begriffen und Re­geln; entdeckendes Lernen durch Experimentieren, etwa zum Erwerb von Regelwissen im naturwissenschaftlichen Unterricht; entdeckendes Lernen durch Konfliktlösung.

Auch in den baden-württembergischen Arbeitsgemeinschaften zur Förderung be­sonders befähigter Sekundarstufenschüler (vgl. Grotz, 1990; Hany & Heller, 1992) spielen Prinzipien des entdeckenden Lernens eine wichtige Rolle. "Beim methodi­schen Vorgehen kommt der deduktiven Vorgehensweise eine vergleichsweise gerin­ge Bedeutung zu, vielmehr muß produktives, entdeckendes Lernen ermöglicht wer­den. Dies erfordert geeignetes Lemmaterial, das Probleme stellt, für die es Wege, die zu ihrer Lösung fUhren, erst noch zu ermitteln gilt" (Grotz, 1990, S. 17).

Nach Zimmerman (1989) beinhaltet das Lernverhalten beim selbstgesteuerten Lernen folgende Aspekte:

einen metakognitiven Aspekt: Selbstgesteuert Lernende planen und organisieren ihr Lernen mehr oder weniger autonom, wobei neben der Selbstinstruktion der Selbstevaluation während des Wissenserwerbsprozesses eine wichtige Rolle zu­kommt;

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einen motivationalen Aspekt: Selbstgesteuert Lernende nehmen sich als selbst­wirksam, autonom und intrinsisch motiviert wahr; einen Verhaltensaspekt: Selbstgesteuert Lernende wählen, strukturieren und schaffen sich nach Möglichkeit solche sozialen und physischen Lernumwelten, die Wissenserwerbsprozesse optimieren.

Solche fachübergreifenden Lern- und Denkkompetenzen rechnet man häufig zu den kognitiven Schlüsselqualifikationen. Diese sowie weitere nichtkognitive und soziale Kompetenzen sollen nicht nur eigenverantwortliches Handeln in fachüber­greifenden Zusammenhängen ermöglichen, sondern auch die notwendige Flexibilität angesichts rapider Veränderungen in vielen Berufsfeldern sichern. Vor allem in der Ober- bzw. Kollegstufe des Gymnasiums sind solche auf die Selbsterziehung der Lernenden ausgerichteten Schlüsselqualifikationen ein unerläßliches Sozialisations­ziel im Hinblick auf die Vorbereitung der Studierfähigkeit. Dies setzt eine hohe Ei­genverantwortlichkeit der Schüler voraus, die auch das Verständnis fiir interdiszipli­näre Zusammenhänge weckt. Damit wird die Chance eröffnet, auf Veränderungen in Wissenschaft und Beruf angemessen vorbereitet zu sein.

Darüber hinaus wird es darauf ankommen, die Balance zwischen der fachspezifi­schen Wissens- und Methodenvermittlung einerseits und der Allgemein- bzw. Per­sönlichkeitsbildung andererseits zu wahren - nicht zuletzt um dem Qualifizierungs­paradoxon Rechnung zu tragen (Enders, 1995, S. 216). Bezogen auf die gymnasiale Ausbildung bedeutet dies, daß die dort vorbereitete Studierfähigkeit im Hinblick auf ein späteres Fachstudium an der Universität immer zugleich defizitäre und über­schießende Kompetenzen beinhaltet.

Daß bei der Gestaltung begabungsgerechter Lernumwelten auch geschlechtsspezi­fische Effekte zu berücksichtigen sind, wird in der wiederaufgelebten Koedukations­debatte deutlich. Im Rahmen der DFG-Forschergruppe "Wissen und Handeln" an der LMU wurden dazu in den letzten sechs Jahren zahlreiche Einzelstudien durchgeführt mit dem Ziel, die häufig beobachteten Leistungsunterschiede von Jungen und Mäd­chen im Mathematik-, Physik- und Chemieunterricht zu erklären sowie entsprechen­de Förderansätze im koedukativen Unterricht zu erproben. Ausgangspunkt war u.a. die Überlegung, daß die bisherigen Erklärungsansätze wie die Rollenhypothese (die differierende Lehrer-Schüler-Interaktionsmuster im koedukativen vs. monoedukati­ven Unterricht bzw. unterschiedliche Sozialisationserfahrungen beider Geschlechter unterstellt), die Vorerjahrungshypothese (wonach Mädchen und Jungen unterschied­liche Vorkenntnisse für den Anfangsunterricht, insbesondere in Physik, aufweisen) oder die Konkurrenzhypothese (die eine Dominanz der Jungen im koedukativen Un­terricht unterstellt) keine pädagogisch befriedigenden Antworten liefern. Diese Skep­sis basiert sowohl auf umfangreichen Literaturrecherchen (vgl. Beerman, Heller & Menacher, 1992; Heller & Ziegler, 1996) als auch auf eigenen empirischen Untersu­chungsbefunden (siehe unten). Erklärungsmächtiger erscheint demnach die Erwar­tungshypothese, zu der eine Serie von (Quasi-)Experimenten und Feldstudien in den letzten Jahren durchgeführt wurde (z.B. Dresel, Ziegler, Broome & Heller, 1998;

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Dresel, 2000; Heller & Ziegler, 1997, 1998; Schober, 2001; Ziegler, 1999; Ziegler & Heller, 1997, 1998a1b, 2000a/b/c; Ziegler & Schober, 1998; Ziegler et al., 1996, 1997, 1998, 1999).

Nach den Untersuchungsergebnissen hierzu sollten Interventionsmaßnahmen eher bei der Veränderung ungünstigen selbstbezogenen Wissens als Voraussetzung fUr individuellen Handlungserfolg bzw. im Abbau dysfunktionaler Kognitionen, Moti­vationen und Einstellungen ansetzen als in organisatorischen oder schulstrukturellen Maßnahmen, die natürlich unterstütz.end hinzukommen können.

Als besonders effektive Unterrichtsstrategien zum Abbau von Hilflosigkeitsreak­tionen bzw. zur Verbesserung der Lernleistungen in den genannten Fächern erwiesen sich Reattributionstrainings im Klassenzimmer. Daß von diesem Interventionsansatz nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen mit vergleichbar ungünstigen Einstellungen und Motivationsbarrieren profitieren, ist pädagogisch betrachtet kein Nachteil, wenngleich die Zahl der betroffenen Mädchen jene der Jungen um das zwei- bis drei­fache überwiegt. Jedenfalls besteht vorerst kein Anlaß, das koedukative Schulsystem, das ja auch unbestrittene Vorzüge aufweist (vgl. Heller, 1992), vorschnell zugunsten monoedukativer Ansätze aufzugeben. Vielmehr sollten die in Laborexperimenten und Feldstudien erfolgreich erprobten Methoden der Motivationsförderung ein­schließlich sogenannter Reattributionstrainings in der Lehreraus- und Lehrerfortbil­dung praktisch vermittelt und im koedukativen Unterricht eingesetzt werden. Diese Maßnahmen unterstützen nicht nur eine nachhaltige Leistungsverbesserung im ma­thematisch-naturwissenschaftlichen Bereich, sondern augmentieren auch die allge­meine Persönlichkeitsentwicklung Jugendlicher (vgl. noch Heller & Ziegler, 2001a1b; Rammstedt & Rammsayer, 2001; Schober & Ziegler, 2001).

Gymnasiale Bildung als Funktion der Persönlichkeitsent­wicklung und Qualitätssicherung von Ausbildungs­

und Berufschancen

Der ursprüngliche Charakter des Gymnasiums als "Begabtenschule" ist heute mit Zugangsraten bis zu 40 % eines Altersjahrgangs nur noch bedingt gültig, ohne daß sich gleichzeitig der offizielle Bildungsauftrag dieser Schulform in den letzten De­zennien gravierend veränderte. Diese Situation führte zwangsläufig zu Friktionen, von denen hier nur drei angesprochen werden sollen, die sich als bildungspolitische Dauerbrenner erwiesen: Erstens die Frage, ob Begabtenförderung im Gymnasium überhaupt notwendig sei, und wenn ja, ob sie dann schulintegriert, d. h. innerhalb des regulären Gymnasialunterrichts, oder außerhalb hiervon erfolgen soll. Zweitens die kontrovers diskutierte Frage des richtigen Zeitpunkts der Identifizierung und Förde­rung potentieller Gymnasialschüler, genährt etwa durch Zweifel an der Treffsicher­heit von Schulerfolgsprognosen am Ende der vierjährigen Grundschulzeit. Drittens schließlich die Frage nach dem heutigen Bildungsauftrag des Gymnasiums ange-

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sichts der sich abzeichnenden rapiden Veränderungen einer zunehmend komplexeren Lebensumwelt.

Dem neutralen Betrachter der Bildungsszene im deutschsprachigen Raum drängt sich der Verdacht auf, daß man zu lange die Hoffnung hegte, dem Problem wachsen­der Heterogenität der Gymnasialschülerschaft mit herkömmlichen pädagogischen Mitteln wirksam begegnen zu können. Dies muß rückblickend wohl als Illusion be­wertet werden. Da eine Rückkehr zum traditionellen Gymnasium der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts weder realisierbar noch rur die meisten wünschenswert er­scheint, müssen Überlegungen darüber angestellt werden, wie das Gymnasium der Herausforderung einer umfassenden Begabungs- und Bildungsfdrderung aktuell ge­recht werden kann.

Das - vor allem von Gesamtschulvertretern propagierte - kooperative Lernen (in heterogenen Begabungsgruppen), unterstützt durch mentoring, role modeling, reme­dial learning und andere Formen unterrichtlicher Binnendifferenzierung, mag zwar rur die schwächeren Schüler eine Hilfe bedeuten (und ist insoweit unbestritten), fiir die leistungsstärkeren Schüler jedoch ist der persönliche Gewinn durch Übernahme von "Hilfslehrerfunktionen" zeitlich sehr begrenzt und keineswegs ausreichend, um die eigene kognitive Entwicklung effektiv zu steigern (Kulik & Kulik, 1992, 1997; zum Mentoring- bzw. Role-Modeling-Konzept vgl. Zorman, 1993). In vielen Fällen kann die Mentorentätigkeit durch Schüler andere Formen der Begabtenförderung -wie freiwillige Arbeitsgemeinschaften oder Pluskurse fiir besonders befähigte und interessierte Gymnasiasten, Teilnahme an Schülerwettbewerben (Heller & Lengfel­der, 1999, 2000a/b) oder anspruchsvollen Sommerakademien (Goldstein & Wagner, 1993; Neber & Heller, 1997; Campbell, Wagner & Walberg, 2000) - nicht ersetzen. Nach den baden-württembergischen Erfahrungen der Begabtenförder-AGs (Hany & Heller, 1992) sind rur etwa 20 % der AG-Teilnehmer zusätzliche Fördermaßnahmen erforderlich oder zumindest nützlich. Auch der Besuch von Spezialklassen fiir Hoch­begabte innerhalb des Gymnasiums oder Spezialschulen rur mathematisch­naturwissenschaftlich, sprachlich, musikalisch oder sportlich hochbegabte Gymnasi­asten stellen erwiesenermaßen effektive Förderungsmöglichkeiten dar. Beispielhaft sei hierfiir der 1991/92 in Baden-Württemberg zunächst als Schulmodellversuch ge­startete achtjährige gymnasiale Bildungsgang erwähnt, dessen Curriculum und Un­terricht auf die Lernbedürfnisse besonders befähigter Gymnasiasten hin ausgerichtet und Gegenstand der in diesem Buch dargestellten Evaluationsstudie ist. Das Bega­bungsniveau dieser Schüler übersteigt mit 1-2 Standardabweichungen (15-30 IQ­Punkte) deutlich den Durchschnitt am neunjährigen Regelgymnasium. Im Gegensatz zu sogenannten D-Zug-Klassen oder Expreßkursen, etwa nach dem rheinland­pfälzischen Modell (vgl. Kaiser, 1997; Kaiser & Kaiser, 1998), oder einzelnen Orga­nisationsmaßnahmen wie Überspringen einer Klassenstufe bietet der hier evaluierte achtjährige gymnasiale Bildungsgang in Baden-Württemberg nicht nur ein zeitlich komprimiertes, sondern auch ein inhaltlich anspruchsvolleres Bildungsprograrnm (z.B. mit vier statt der sonst üblichen zwei obligatorischen Leistungskurse in der

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Kollegstufe), das bereits nach der 12. Klasse zum (Zentral-)Abitur fUhrt. Ähnliche Begabtenklassen innerhalb des Gymnasiums wurden inzwischen in Bayern und wei­teren Bundesländern sowie neuerdings auch in Österreich etabliert. Individuelle Entwicklungshilfe basiert hier auf dem Prinzip "Förderung durch Forderung". Prakti­sche Erfahrungen aus solchen Förderprogrammen lassen die Forderung nach ver­stärkter Differenzierung auch innerhalb der Gymnasialschülerschaft als berechtigt erscheinen. Dabei sollte die ganze Palette unterschiedlicher Fördermöglichkeiten ausgeschöpft und diese den individuellen Lernbedürfnissen angepaßt werden. Viel­falt statt monotoner Gleichmacherei ist ein wichtiges Postulat der Gymnasialpädago­gik.

Die Frage nach dem Zeitpunkt schulischer Differenzierungsmaßnahmen ist eng mit der Möglichkeit einigermaßen treffsicherer Schuleignungs- bzw. Schulerfolgs­prognosen verknüpft. Obwohl hierzu aussagekräftige Längsschnittstudien vorliegen (z.B. Heller, Rosemann & Steffens, 1978; Gamsjäger & Sauer, 1996 bzw. Sauer & Gamsjäger, 1996; zum Überblick vgl. Heller, 1997, 2000c; Roeder, 1997), trifft man noch häufig auf die - irrige - Annahme, daß Gymnasialeignungsprognosen am Ende der vierjährigen Grundschule unzuverlässiger seien als zu einem späteren Zeitpunkt. Keine der neueren Studien konnte eine höhere Treffsicherheit späterer Schulerfolgs­prognosen bestätigen. Dies ist angesichts der bereits um das 8.-10. Lebensjahr beob­achtbaren ausgeprägten Stabilität interindividueller Fähigkeitsdifferenzen auch nicht verwunderlich (vgl. Helrnke & Weinert, 1997; Weinert & Helrnke, 1997). Bei ver­spätet einsetzender Förderung auf grund von in das Sekundarstufenalter verlegter Bildungswegentscheidung steigt vielmehr - angesichts kumulativer Lernzuwächse oft mit zunehmend erschwerten Ausgleichsbedingungen - das Risiko einer individu­ell unwirksamen Entwicklungsförderung, was von Kritikern einer Schullaufbahn­entscheidung am Ende der vierten Grundschulklasse gern übersehen wird. Bekannte Schereneffekte oder der sog. Matthäuseffekt (siehe nächsten Abschnitt) sind dann nicht selten die Folgen.

Analoge Argumente gelten rur jene Spitzenschüler im Gymnasium, die permanent dort unterfordert werden. Die Zahl der auffalligen Schüler mit deutlichem Unterfor­derungssyndrom mag zwar absolut betrachtet nicht so sehr ins Auge fallen, da viele der betroffenen Jugendlichen - glücklicherweise - Kompensationsmöglichkeiten in ihren (selbstinitiierten) Freizeitaktivitäten finden. Ob jedoch alle und vor allem jene Schüler, die keine stimulierende Lernumwelt zu Hause vorfinden, ohne schulische Unterstützung eine Chance zur vollen Persönlichkeitsentfaltung erhalten (wie im Art. 3 des GG garantiert), muß bezweifelt werden.

So wichtig ein systematischer, fachspezifischer Wissensaufbau rur Expertise ist, so darf doch nicht die Bedeutung der bereits angesprochenen Schlüsselqualifikatio­nen rur Studium und Beruf unterschätzt werden. Hierbei erweist sich eine breite, flexibel nutzbare Wissensgrundlage zwar als notwendige, aber häufig nicht als hin­reichende Bedingung rur wissenschaftlichen oder berufspraktischen Erfolg. Schließ­lich umfaßt Bildung nicht nur Fachwissen und Können im Sinne berufsbezogener

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Handlungskompetenzen, sondern auch ein an Wertmaßstäben orientiertes Verant­wortungsbewußtsein. Dies impliziert neben Medienkompetenzen Arbeitstugenden wie Selbstdisziplin, Zuverlässigkeit und Gründlichkeit sowie soziale Komponenten wie Kommunikations- und Teamfähigkeit, Hilfsbereitschaft oder andere soziale Tu­genden. Insoweit schließt der Bildungsauftrag des Gymnasiums nach wie vor erzie­herische Funktionen mit ein. Daß höhere Begabung auch höhere soziale Verant­wortung beinhaltet, sollte bei der Reflexion über den Bildungsauftrag des Gymnasi­ums nicht in Vergessenheit geraten.

Sicherung gymnasialer Qualitätsstandards im 21. Jahrhundert

"Bildungssysteme repräsentieren in unserer Kulturgeschichte die höchste Entfaltung des Bemühens zur Gestaltung der Humanentwicklung", die "die Entwicklung der Fähigkeiten und des ,Charakters'" einschließt (Fend & Stöckli, 1997, S. If.). Entge­gen anderslautender Behauptungen (H. Gardner, 1991; vgl. auch Ceci, 1991) ist die formale (schulische) Bildung rur die Entwicklung und Förderung der human resour­ces in modemen Gesellschaften unverzichtbar. Ein effektives Bildungssystem ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts mehr denn je auf ausreichende unterrichtliche und schulische DifJerenzierungsmaßnahmen angewiesen. Differenzierung kann vor allem über die Anpassung des Lemtempos und der Aufgabenschwierigkeit des Lernstoffs an die individuellen Lemvoraussetzungen erreicht werden (ausfiihrlicher vgl. Nickel, Heller & Durnke, 1978, S. 90ff.). Die interindividuellen Begabungsunterschiede sta­bilisieren sich zunehmend gegen Ende der (vierjährigen) Grundschulzeit. Ein Auf­schub schulischer Differenzierungsmaßnahmen über die 4. Jahrgangsstufe hinaus ist in der Mehrzahl der Fälle rur die weitere Schulleistungsentwicklung abträglich, wie Schulleistungsvergleichsstudien bei Gymnasiasten aus vier- vs. sechsjährigen Grund­schulen dokumentierten. Auch fiir die häufig in der öffentlichen Diskussion unter­stellte oder erwartete höhere Treffsicherheit späterer Schuleignungsprognosen gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Hinter solchen utopischen Erwartungen steht die Annahme, daß in begabungs- und leistungsheterogenen Schulklassen eine Diver­genzminderung bei gleichzeitiger Schulleistungsfdrderung möglich sei. Nach den empirischen Befunden von Treiber & Weinert (1982, 1985) bei Hauptschülern sowie jenen von Baumert, Roeder, Sang & Schmitz (1986) bei Gymnasialschülern war in über 90% der untersuchten Klassen diese Annahme nicht zu bestätigen (vgl. noch Helmke, 1988). "Divergenzminderung und Leistungsentwicklung verhalten sich auch im Gymnasium tendenziell gegenläufig; ein Ausgleich von Leistungsunterschieden ist nicht ohne weiteres mit optimaler Qualifikation zu vereinbaren" (Baumert et al., 1986, S. 654). Diese Befunde wurden in jüngeren Untersuchungen erneut bestätigt, z.B. in der BIJU-Studie des MPI für Bildungsforschung (1996).

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Eine theoretische Erklärung hierfür bietet die Lempsychologie: In den meisten Schulfächern bzw. bei komplexeren Lemgegenständen erfolgt der Lernzuwachs bzw. Wissensaufbau kumulativ, d.h. aufbauend auf relevantem Vorwissen. Individuelle Lernleistungsdefizite bei den einen und Lernleistungsgewinne bei den andern tendie­ren in einer Schulklasse bzw. Lemgruppe somit auseinander (wenn nicht rechtzeitig vorhandene Wissenslücken geschlossen werden), was den häufig beobachteten Sche­reneffekt bedingt. Der zunehmenden Leistungsverschlechterung auf der einen Seite steht die Maximierung des Wissenszuwachses auf der anderen Seite gegenüber. Im ersten Fall wird der Anschluß an das Leistungsniveau der Klassengruppe zunehmend schwieriger, im zweiten Fall wird der "Prozeß der Akkumulierung der Chancen" (Merton, 1968, 1973) oder der sog. Matthäus-Effekt ("Wer hat, dem wird gegeben"; Mt. 25,14-28) wirksam. Der Matthäuseffekt bzw. der kumulative Charakter vieler Lernprozesse bietet auch eine plausible Erklärung für die Beobachtung, wonach die "Durchlässigkeit nach oben" (z.B. Klassenüberspringen) seltener als die "Durchläs­sigkeit nach unten" (z.B. Sitzenbleiben) in allen Schulsystemen in Erscheinung tritt.

Das Prinzip der kumulativen Stabilität (Caspi) - vgl. Asendorpf (1996) - konnte bisher nur in wenigen Fällen im Gymnasialbereich (scheinbar) "außer Kraft gesetzt" werden (Baumert et al., 1987, 1989). In der überwiegenden Mehrzahl aller empirisch kontrollierten Befunde zur Kompatibilität unterrichtlicher Leistungsförderung und Divergenzminderung in Schulklassen wurden die skizzierten Kumulierungseffekte bestätigt. Somit läßt sich die Begabtenförderung im schulischen Kontext in der Regel nur über die Homogenisierung von Lerngruppen optimieren. Andernfalls ist mit Leistungsniveaueinbußen im Klassenzimmer zu rechnen. Die Konsequenzen für die gymnasiale Begabtenförderung werden in Kapitel 9 ausfiihrlicher diskutiert.

Die Qualität gymnasialer Bildung hängt vor allem von drei Bedingungskompo­nenten ab: erstens dem Gymnasium mit seinen Bildungsinhalten bzw. Lernanforde­rungen sowie der Unterrichtsqualität und Lehrerkompetenz, zweitens der Schüler­schaft mit ihren Eignungsvoraussetzungen rur diesen Bildungsgang bzw. intelligen­ten Wissenserwerb sowie drittens der Lern-Leistungskontrolle im Gymnasium. Somit erfordert die Qualitätskontrolle eine Treatmentevaluation, eine Inputevaluation und eine Outputevaluation, d.h. eine umfassende Qualitätssicherung muß alle drei Evalu­ationsaspekte berücksichtigen. Im Hinblick auf die abiturnotenabhängige NC­Regelung rur viele Studienfächer muß beispielsweise die Gültigkeit des Abiturzeug­nisses als Bescheinigung der "Hochschulreife" gewährleistet sein. Wenn jedoch ein und dieselbe Note reale Leistungsunterschiede von zwei (und mehr) Notenstufen repräsentiert, wie eine Analyse der Abiturnoten von Gesamtschulen und Gymnasien in Nordrhein-Westfalen in der jüngsten Studie von Köller, Baumert & Schnabel (1999) offenbarte, sind nicht nur Abiturzeugnisse obsolet, sondern auch die häufig reklamierte Chancengerechtigkeit massiv beeinträchtigt. Allen ideologischen Gegen­argumenten zum Trotz (vgl. Behler, 1999) dürfte die Sicherung vergleichbarer Stan­dards - hier im Hinblick auf die "Rettung" des Abiturs als Hochschul­zugangsberechtigung - nur über zentrale (Abitur-)Prüfungen realisierbar sein. An-

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dernfalls werden wir in absehbarer Zeit amerikanische Verhältnisse in Deutschland vorfinden, d.h. Hochschuleingangsprüfungen mit den bekannten - unerwünschten -Nebeneffekten. Und die Gegner zentraler Abiturprüfungen werden dann die ersten Kritiker universitärer Aufnahmeprüfungen sein! Zu den Möglichkeiten und Proble­men subjektiver vs. objektiver oder standardisierter Schulleistungsmessungen vgl. Heller (1984), Tucker & Codding (1998), Heller & Hany (2001).

Resümee

Abschließend seien die wichtigsten Konsequenzen für den Bildungsauftrag des Gymnasiums aus begabungs- und lehr-Iernpsychologischer Sicht in fünf Thesen zusammengefaßt. Dabei wird vor allem auf die aktuelle Situation des Gymnasiums und seine Rolle bei der Begabtenförderung eingegangen (ausftihrlicher vgl. Heller, 1998, 1999a/b, 2000a/b, 2001a).

These 1: Die Begabungsvielfalt erfordert unterschiedliche Formen schulischer Be­gabtenförderung. Dabei kommt dem Gymnasium vor allem die Rolle der Förderung intellektuell begabter Jugendlicher zu. Wissenschaftspropädeutische Veranstaltungen als curricularer Bestandteil der gymnasialen Oberstufe erlangen hier im Hinblick auf die Vorbereitung der (allgemeinen) Studierfähigkeit der Abiturienten eine herausra­gende Bedeutung. Der gymnasiale Unterricht sollte dazu neben der bewährten fach­systematischen Wissensvermittlung stärker als bisher auch "kreative" Lemumwelten bieten, um selbständiges, entdeckendes Lernen und Schlüsselqualifikationen wirk­sam zu unterstützen. Dabei ist auf die Balance zwischen inhaltsspezifischem Wis­senserwerb und dem Training allgemeiner fachübergreifender Lern- und Denkstrate­gien zu achten. Siehe auch These 3!

These 2: Sofern man unter Begabtenförderung individuelle Entwicklungsförderung versteht, sind individualisierte Erziehungs- und Bildungsrnaßnahmen für eine umfas­sende Persönlichkeitsbildung von Kindern und Jugendlichen unerläßlich. Im schuli­schen Setting sind somit Differenzierungsmodelle unter Berücksichtigung unter­schiedlicher kognitiver Fähigkeitsvoraussetzungen, Interessen und Motive notwen­dig, um den Bildungs- und Erziehungsauftrag angemessen zu erftillen. Solche Diffe­renzierungsmaßnahmen betreffen begabungsspezifische Lehr-/Lernkonzepte, etwa Prinzipien des entdeckenden, selbstgesteuerten Lernens und/oder organisatorische Modelle. Dazu zählen Curriculum Compacting und PuB-Out-Programme, Arbeits­gemeinschaften zur Förderung besonders befähigter Gymnasialschüler, Pluskurse u. ä. Enrichmentansätze versus Spezialklassen oder sogenannte D-Zug-Klassen, Über­springen einzelner Klassenstufen oder auch Spezialcurricula bzw. Spezialschulen im Sinne von Akzelerationsmaßnahmen zur Förderung von Spitzenbegabungen in ein­zelnen Domänen. In der Praxis wird nicht selten eine Kombination beider Prototypen (Enrichment und Akzeleration) bevorzugt, wie z.B. im baden-württembergischen

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G8-Modell realisiert. Im folgenden Kapitel 2 wird dieses Modell ausführlicher be­schrieben.

These 3: Die Stabilität der Entwicklung interindividueller Fähigkeitsunterschiede ist im ausgehenden Grundschulalter nach neueren Erkenntnissen der Begabungsfor­schung offensichtlich größer als in den letzten Jahrzehnten vielfach theoretisch und auch bildungspolitisch unterstellt. Dabei erweist sich die Relevanz interindividueller Unterschiede in bezug auf kognitive Fähigkeiten und Denkkompetenzen vor allem in neuen Problemsituationen bzw. erfahrungsunabhängigen Aufgabenstellungen.

"Intuition, Phantasie und Kreativität sind geistige Potentiale, die zwischen Menschen sehr ungleich verteilt sind, zu ihrer individuellen Entfaltung aber stets des intelligenten Wissens bedürfen. Es gilt deshalb, dem Diktum Albert Einsteins zu widersprechen, daß Phantasie wichtiger ist als Wissen. Phantasie ohne Wissen ist zu leichtfiißig; Wissen ohne Phantasie zu schwerfallig. Erst die phantasievolle Nutzung intelligenten Wissens macht das menschliche Denken kreativ" (Weinert, 1996, S. 31).

These 4: Die dritte These muß jedoch bei älteren Schülern im Zusammenhang mit neueren Befunden der Expertiseforschung (vgl. Schneider, 1993, 2000; Perleth, 2001) relativiert werden. Danach sind für die Herausbildung von Expertise - zusätz­lich zur Begabung - kontinuierliche, langfristige und qualitativ anspruchsvolle Lern­bzw. Übungsphasen (Zehnjahresregel bzw. Deliberate Practice-Annahme der Exper­tiseforschung) erforderlich. Die kognitive Entwicklung verläuft somit bereichsspezi­fischer als lange Zeit angenommen. Diese Beobachtungen lassen sich recht gut mit typologischen Begabungstheorien sowie wissenspsychologisch basierten Lern- bzw. Expertisemodellen vereinbaren; vgl. noch Neber & Schommer-Aikins (2002).

"Der Erwerb intelligenten Wissens kann nicht durch passives, mechanisches und unselb­ständiges Lernen erfolgen, sondern erfordert eine aktive, konstruktive und zunehmend selbstverantwortliche Haltung des Lernenden ... Der Aufbau einer intelligenten Wissensbasis erfordert viele Jahre intensiven Lernens. Defizite lassen sich durch kurze Trainings- und Animationsseminare nicht kompensieren. Eine breite, solide Allgemeinbildung und der Er­werb eines flexibel nutzbaren Wissens sind nicht ersetzbar. Diese Aussage ist eine wissen­schaftliche Schlußfolgerung und nicht eine bildungspolitische Forderung" (Weinert, loc.cit.).

These 5: Die selektive Funktion des Gymnasiums (als vorwiegender Lemort für in­tellektuell Begabte) erzeugt angesichts steigender Aufnahmequoten zwangsläufig Leistungs- und Verhaltensprobleme, wie sie etwa in der Beratungsklientel schulpsy­chologischer Dienste transparent werden. So stammt nach einer Statistik von Keller (1992, S. 127) die Hälfte der BeratungsHille im Sekundarstufenalter vom Gymnasi­um. Diese Probleme allein oder vorwiegend dem gymnasialen Unterricht anzulasten, wäre jedoch kaum gerechtfertigt. Eine Hauptursache liegt vielmehr in der weithin inflationären Zugangspraxis. Eine obligatorische Schullaufbahnberatung mit indivi­duellen Begabungs- und Leistungsanalysen am Ende der Grundschulzeit (vgl. Heller, 2000c) würde vielen der (ungeeigneten) Gymnasialbewerber spätere Mißerfolge und

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Verhaltensprobleme ersparen. Gleichzeitig könnten die Gymnasiallehrer sich auch wieder mehr auf die begabteren Schüler im Unterricht einstellen und diese angemes­sener fördern. Der Unterforderung der besseren Schüler und der Überforderung der schwächeren Schüler würde somit wirksamer begegnet. Eine an den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten orientierte Leistungsforderung beeinträchtigt nicht die Persönlichkeitsentwicklung, sondern augmentiert vielmehr die individuellen Ent­wicklungschancen. Zudem bereiten Herausforderungen, die Kinder und Jugendliche meistem können, Zufriedenheit und stärken das Selbstvertrauen. Oder wie Hartmut von Hentig es in einem Interview (in der Zeitschrift Pädagogik, Heft 9/1995, S. 37) treffend formuliert hat: "Wo Kindheit Glück ist, ist sie es durch Anspruch, nicht durch everything goes". Soviel hier zum Bildungsauftrag und zur erzieherischen Verantwortung des Gymnasiums; vgl. auch Kapitel 9 in diesem Buch.

Diesen Verpflichtungen in einer zunehmend komplexeren, sich rasch verändern­den Arbeitswelt und in ihrem Werte-Pluralismus kaum mehr überschaubaren Gesell­schaft nachzukommen, bedeutet vielleicht die größte säkulare Herausforderung die­ser schulischen Einrichtung. Daß das Gymnasium diese Herausforderung annehmen und - unbeirrt von bildungsfremden Erwartungshaltungen oder unberechtigten An­sprüchen einzelner Interessengruppen - auch in der Zukunft erfolgreich bewältigen wird, ist wohl der Wunsch aller an einer optimalen Entwicklungs- und Begabtenför­derung Interessierter in Deutschland und darüber hinaus. Die Bildungslandschaft wäre ohne das Gymnasium auch im 21. Jahrhundert substantiell ärmer, und die be­gabten Jugendlichen würden einer ihrer wichtigsten Förderinstitutionen beraubt. Dies zu verhindern gilt es, die humanistische Bildungstradition als Orientierungsrahmen nicht aus dem Auge zu verlieren (vgl. Böhm, 2000), zugleich sich aber notwendigen Horizonterweiterungen nicht zu verschließen. Zu den prominenten Aufgaben des Gymnasiums gehört zweifellos die Begabtenförderung. Angesichts der Heterogenität der Schülerschaft des Gymnasiums wird dieses Problem zunehmend virulenter. Der in den folgenden Kapiteln dargestellte Modellversuch "Gymnasium mit besonderen Anforderungen" - so die ursprüngliche Bezeichnung - liefert wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse, die für die Praxis gymnasialer Begabtenförderung in vielfältiger Weise von Nutzen sein werden.

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Page 36: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

KAPITEL 2

Untersuchungsauftrag für die wissenschaftliche Begleitforschung

Kurt A. Heller

Im Schuljahr 1991/92 war - mit Zustimmung der Kultusministerkonferenz (KMK)­an vier Schulstandorten in Baden-Württemberg ein Schulmodellversuch "Gymnasi­um mit besonderen Anforderungen" (so die ursprüngliche Bezeichnung) gestartet worden. Dessen wissenschaftliche Begleituntersuchung wurde dem Institut für Päda­gogische Psychologie der Universität München, Abt. Psychologische Diagnostik und Evaluation, unter der Leitung des Autors übertragen. Um wissenschaftlich abgesi­cherte Evaluationsbefunde zu garantieren, wurde in Abstimmung mit dem baden­württembergischen Kultusministerium und den am Schulversuch beteiligten vier Gymnasien vereinbart, die ersten drei Einschulungsjahrgänge am Gymnasium mit achtjährigem Bildungsgang (G8) mit jährlichen Untersuchungs- und Beratungster­minen bis zum Abitur zu begleiten. Später wurden noch zwei neunjährige Regel­gymnasien (G9) in den Untersuchungsplan einbezogen, um entsprechende G8/G9-Vergleichsdaten zu gewinnen; vgl. ausführlicher Kapitel 3.

Testschulen

Zunächst wurde vom Ministerium für Kultus und Sport (MKS) in Stuttgart in jedem der vier baden-württembergischen Regierungsbezirke (RZ) ein Gymnasium ausge­wählt, das sich zur Einführung eines G8-Zuges bereit erklärt hatte. Es sind dies das Karls-Gymnasium in Stuttgart (RZ Nordwürttemberg), das Tulla-Gymnasium in Rastatt (RZ Nordbaden), das damalige Kreisgymnasium und jetzige Marie-Curie­Gymnasium in Kirchzarten (RZ Südbaden) und das Droste-Hülshoff-Gymnasium in Meersburg am Bodensee (RZ Südwürttemberg-Hohenzollem). Für die Teilnahme an der wissenschaftlichen G9-Begleituntersuchung konnten das Heidelberger Helm­holtz-Gymnasium und das Sinsheimer Wilhelmi-Gymnasium (beide im RZ Nordba­den gelegen) gewonnen werden, die zum damaligen Zeitpunkt keine G8-Züge führ­ten. Als einzige der genannten Schulen verfügt das Droste-Hülshoff-Gymnasium über ein angegliedertes Internat (unter staatlicher Trägerschaft). Bis zur Einführung des G8-Modells existierte das Meersburger Gymnasium als Aufbaugymnasium, d.h. vor 1991/92 fehlten dort die Klassenstufen 5 und 6.

Page 37: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

38 Kurt A. Heller

Fächerprofil der an der Evaluation beteiligten Schulen

Die Testschulen weisen in der Sekundarstufe I die in Tabelle 1 dargestellten Fremd­sprachenfolge und Fächerprofile auf.

Tabelle 1: Fächerprofile sowie Reihenfolge der Fremdsprachen (FS) an den Untersuchungs­schulen.

Karls-Gymnasium in Stultgart:

Tulla-Gymnasium in Rastalt:

Marie-Curie-Gymnasium in Kirchzarten:

Droste-HülshofJ-Gymnasium in Meersburg:

Helmholtz-Gymnasium in Heidelberg:

Wilhelmi-Gymnasium in Sinsheim:

I. FS Latein, 2. FS Englisch

(Alt- u. Neusprachl. Profil)

I. FS Französisch, 2. FS Englisch

(Sprachl. u. Naturwiss. Profil)

I. FS Englisch, 2. FS Latein

(Sprachl. u. Naturwiss. Profil)

I. FS Englisch, 2. FS Französisch

(Naturwiss. Profil)

I. FS Englisch, 2. FS Französisch

(Naturwiss. Profil)

I. FS Englisch, 2. FS Latein oder Französisch

(Sprachl. u. Naturwiss. Profil)

Bildungsziele und Aufnahmekriterien für das G8

In der vom MKS Baden-Württemberg im Dezember 1992 vorgelegten Informations­broschüre ,,8-jähriger gymnasialer Bildungsgang" (S. 8) werden die nachstehend zitierten Ziele für das achtjährige Gymnasium aufgeführt:

Der Schulversuch zielt darauf ab, Kindern in einem in sich geschlossenen und einheitli­chen Bildungsgang bereits nach 8 Jahren die allgemeine Hochschulreife zu vermitteln.

Zusätzlich sollen in diesem Schulversuch alle Fähigkeiten, Einstellungen und Arbeits­haltungen, die von jedem Gymnasiasten erwartet werden, verstärkt gefordert und gefördert werden. Dazu gehören vor allem: • Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des einzelnen Schülers bei allen Fragestel­

lungen und Aufgaben im Unterricht und bei der Mitgestaltung des schulischen Lebens außerhalb des Unterrichts.

• Bereitschaft zur Teamarbeit bei der Lösung gemeinsamer Aufgaben innerhalb und au-ßerhalb der Schule.

• Bereitschaft zu fächerverbindendem und fächerübergreifendem Denken und Arbeiten. • Methodenbewußtsein und Problemlösefähigkeit. • Merkmale wie Einfallsreichtum, breites Interesse, Begeisterungsfähigkeit, Neugier und

Aufgeschlossenheit, aktiver Gestaltungswille, Umsicht, Verantwortungsbewußtsein und Leistungsbereitschaft.

Page 38: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Untersuchungsauftrag 39

• Belastbarkeit und Durchhaltevermögen bei schwierigen und langwierigen Problemstel­lungen.

Zum Zeitpunkt des G8-Schulmodellversuchs galten folgende Aufnahmebedingun­gen: gute oder sehr gute Noten im Grundschulabgangszeugnis bzw. in der Grund­schulempfehlung für G8 sowie ein Beratungsgespräch mit der aufnehmenden Schule (G8) unter Beteiligung des Kindes und dessen Eltern bzw. Erziehungsberechtigten sowie teilweise auch der betr. Grundschule (Klaßleitung im 4. Schuljahr). Im Zuge der Erweiterung des G8-Modells auf weitere baden-württembergische Gymnasien -zur Zeit beteiligen sich 82 Gymnasien mit (inhaltlich-curricular modifizierten) G8-Zügen, davon 7 Gymnasien ausschließlich achtklassig gefiihrt - wurden allerdings diese Zulassungskriterien zugunsten eines größeren Gewichts der Elternentscheidung gelockert. Auf die Evaluationsbefunde des hier thematisierten G8-Modellversuchs hat dies jedoch keine Auswirkungen, da die später eingefiihrten G8-Klassen nicht in die wissenschaftliche Begleitung einbezogen wurden. Die zwischenzeitlich vorge­nommenen Änderungen müssen aber bei den Schlußfolgerungen aus unseren Evalu­ationsbefunden berücksichtigt werden, weshalb diese hier kurz angesprochen werden sollen.

Nach dem vom MKS in Stuttgart im Schuljahr 1997/98 herausgegebenen Infor­mationsblatt "Gymnasien mit achtjährigem Bildungsgang" wurden für die neue G8-Zielgruppe überdurchschnittliche Ausprägungen in den für jeden Gymnasiasten er­warteten Merkmalen Denkfähigkeit (Auffassungsgabe, geistige Wendigkeit, Abs­traktionsfiihigkeit), Sprachjähigkeit (Wortschatz, Ausdrucksfahigkeit, Erzählfahig­keit), Lern- und Arbeitsverhalten (Selbständigkeit, Sorgfalt, Schnelligkeit, Ausdau­er), Sozialverhalten (Kontaktfahigkeit, Verhalten gegenüber Mitschülern und Leh­rern sowie Kooperationsbereitschaft), Einstellungen und Haltungen (kognitive Neu­gier, Aufgeschlossenheit, Erfolgszuversicht und Verantwortungsbewußtsein) voraus­gesetzt. Das genannte Informationsblatt enthält auch die in Tabelle 2 wiedergegebene Stundentafel.

Inzwischen ist die neue Oberstufenreform des Gymnasiums Baden Württemberg in Kraft getreten. Der folgende Text ist dem Infodienst (spezial) des Ministeriums für Schule, Jugend und Sport (vormals MKS) in Stuttgart entnommen.

Ab dem Schuljahr 200112002 werden für die Kursphase der gymnasialen Oberstufe in Baden-Württemberg neue Bildungspläne und eine neue Rechtsverordnung gelten, durch die eine vertiefte Allgemeinbildung in Kernfächern, aber auch individuelle Profilierungen sowie fächerübergreifendes, selbständiges und projektorientiertes Lernen gestärkt werden sollen. Dazu sind folgende Maßnahmen geplant: (1) Gemeinsamer Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler in den "Kernkompetenzfä­chern" Deutsch, fortgeführter Fremdsprache und Mathematik, und zwar vier Halbjahre lang, jeweils mit vier Wochenstunden. Diese Kurse werden in der Zielsetzung und in der Intensität des Lernens - aber nicht im Stoffumfang - an den bisherigen Leistungskursen orientiert.

Zu diesem Ptlichtbereich für alle vier Halbjahre gehören ferner zwei der naturwissen­schaftlichen Fächer (Biologie, Chemie, Physik), Geschichte, Gemeinschaftskunde (im

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40 Kurt A. Heller

Tabelle 2: Die neue Stundentafel für die modifizierten G8-Züge (Stand: 1997/98). Klasse

Unterrichtsfach 5 6 7 8 9 10

ReligionlEthik I) 2 2 2 1 2 2

Deutsch 5 4 4 3 3 4

Erdkunde 2 2 2

Geschichte 2 2 2 2

Gemeinschaftskunde 2 2

1. Fremdsprache 2) 5 4 4 4 3 3

2. Fremdsprache 4 5 4 4 3

Mathematik 4 3 53) 4 4 4

Naturphänomene 2)

Physik 2 vgl. Profile!

Biologie 2 2 1 vgl. Profile!

Sport 3 3 3 3 2 2

Musik 3 2

Bildende Kunst 2 2

Sprachliches 3. Fremdsprache 5 4 5

Profil Physik 2 1 2

Chemie 2 2 2

Biologie 2

Naturwissen- Physik 2 2 3

schaftliches Chemie 3 2 2

Profil Biologie 2 2

Naturwiss. Praktikum 1

3. Fremdsprache 3 3 3 als Additum 4)

Ausgleichsmaßnahmen 12

Legende: 1) Für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen (ab Klasse 7). 2) Bei Latein als 1. Fremdsprache wird die Stundenzahl in Klasse 5 um eine Woche erhöht, das

Fach "Naturphänomene" ist in diesem Fall nur auffreiwilliger Basis zu belegen. 3) In Klasse 7 wird von den fünf Wochenstunden eine Wochenstunde rur "Informationstechnische

Grundkenntnisse" verwendet. 4) freiwillig Anmerkung: Die Mittlere Reife wird nach Klasse 1 0 vergeben. Die Kursstufe wird gemeinsam von Schülern im (ehemaligen) G8 und G9 besucht.

Wechsel mit Erdkunde - wie bisher: beide Fächer nur für je zwei Halbjahre), Religionsleh­

re/Ethik und Sport, und zwar je zweistündig (falls nicht "Profil-" oder "Neigungsfach", s.u.).

(2) Die Möglichkeiten rur Profilbildung werden dadurch erweitert, daß die Sperren fur be­

stimmte Kombinationen (vor allem mit dem Fach Deutsch) nicht mehr gelten. Ein Profilfach (4-stündig) ist jeweils aus dem betr. Profil des Gymnasiums (Naturwiss., Sprach!., ggf.

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Untersuchungsauftrag 41

Tabelle 3: Stundentafel für das evaluierte G8-Modell (Quelle: MKS-Informationsbroschüre v. Dez. 1992, S. 10).

Klasse

Unterrichtsfach 5 6 7 8 9 10 11 12 Gesamt

Religionslehre 2 2 2 2 2 2 2 2 16

Deutsch 5 4 4 4 4 4 5 5 35

Erdkunde 3 2 2 I 2 I I I 13

Geschichte 2 2 2 2 I 2 2 13

Gemeinschaftskunde 2 2 I I 6

I. Fremdsprache Wahl ab 5 4 4 4 4 3 5 5 24/34

2. Fremdsprache KI.II 5 5 4 3 4 21/31

Mathematik 5 4 4 4 4 4 5 5 35

Naturphänomene (5 u 6) I I 2 vgl. Profile! 4

Physik (ab 7)

Chemie 2 2 2 2 je nach

Wahe

Informatik 2 2

Biologie 2 2 2 2 2 2 2 je nach

Wahe

Sport 2 2 2 2 2 2 2 2 16

Musik Wahl ab 2 2 2 I I I 2 2 9/13

Bildende Kunst KI. 11 2 2 2 I I I 9/13

Ethik I (2) (2) (2) (2) (2) (10)

Sprachliches 3. Fremdsprache 4 4 4 5 5 22

Profil Physik 2 I I 2 2 je nach

Wahe

Naturwissenschaftliches Physik 4 4 4 5 5 22

Profil Naturwissenschaftliche 2 I I 4

Themenkreise

Gesamt 29 32 33 33 34 34 34 34

Legende: I Für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. 2 Für die Belegung der Naturwissenschaften Chemie, Biologie und Physik gilt:

• Schüler mit sprachlichem Profil wählen in Klasse 11 aus 3 Naturwissenschaften 2 aus; in Klasse 12 muß von den gewählten Naturwissenschaften I weitergefUhrt werden.

• Schüler mit naturwissenschaftlichem Profil belegen in Klasse 11 alle 3 Naturwissenschaften; in Klasse 12 muß neben Physik (Kernfach) entweder Biologie oder Chemie weitergefUhrt werden.

Kunst-, Musik- oder Sportprofil) zu wählen. Als Neigungs/ach (ebenfalls 4-stündig) kann

über die bereits belegten Fächer hinaus jedes andere Fach belegt werden. Für den Wahlbe­reich (z.B. Philosophie, Informatik) ergeben sich keine Änderungen.

Als besondere Lernleistungen kann ein Seminar oder die Teilnahme an einem Wettbe­

werb angerechnet werden. Dazu gehört immer "die Dokumentation der angewandten Metho-

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42 Kurt A. Heller

den, des Arbeitsprozesses und der erreichten Ergebnisse sowie ein abschließendes Kolloqu­ium. Hauptziel dieses Angebotes ist die Förderung von Methoden- und Sozialkompetenz, vor allem aber des selbständigen Lernens" (Quelle: Die neue gymnasiale Oberstufe in Baden­Württemberg. Infodienst Schule (spezial) des MKS, Stuttgart, 0.1.).

Demgegenüber war rur die an der wissenschaftlichen Begleitung des Schulmo­dellversuchs "Gymnasium mit achtjährigem Bildungsgang" beteiligten G8-Schüler noch folgende Stundentafel gültig (vgl. Tabelle 3 oben).

Unterrichtskonzept für das G8 und Abschlußqualifikationskriterien

Für das evaluierte G8-Modell wurde nicht nur die in Tabelle 3 wiedergegebene Stundentafel, sondern auch ein neues Lehrplankonzept entwickelt. Dabei sollte ge­währleistet sein, daß außerunterrichtliche (Freizeit-)Aktivitäten der G8-Schüler aus­reichend ermöglicht wurden. Die folgende Beschreibung ist wiederum der 1992er Broschüre des MKS Baden-Württemberg entnommen (S. 7 f.):

Die neuen Lehrpläne berücksichtigen • möglichst viele fächerverbindende Elemente durch eine weitgehende Verzahnung der

Einzelfächer; • daß möglichst viel selbständig und kreativ in allen Fächern gearbeitet wird; • gemeinsames Arbeiten im Team als wichtiges Unterrichtsprinzip; • eine Straffung der Stoffe mit dem Ziel, die allgemeine Hochschulreife nach 8 Jahren zu

erreichen. Um insbesondere das letzte Ziel zu erreichen, beginnt der Unterricht in der 2. Fremdspra­

che und in Geschichte bereits in Klasse 6 (nicht in Klasse 7) und der Unterricht in der 3. Fremdsprache (wenn die Einrichtung möglich ist) bereits in Klasse 8 (nicht in Klasse 9). Im übrigen ist der Unterricht in einen Ptlichtbereich und in einen Wahlptlichtbereich eingeteilt.

Der Pjlichtbereich um faßt die Fächer Deutsch, 1. und 2. Fremdsprache, Mathematik, Naturphänomene und Physik, Chemie, Biologie, Informatik, Musik, Bildende Kunst, Erd­kunde, Geschichte, Gemeinschaftskunde, Sport sowie Religionslehre bzw. Ethik.

Im Wahlpjlichtbereich entscheidet sich der Schüler am Ende von Klasse 7 entweder für • ein sprachliches Profil mit einer dritten Fremdsprache oder für • ein naturwissenschaftliches Profil mit Physik als weiterem Kernfach und fächerverbin­

denden naturwissenschaftlich orientierten Themenkreisen. Für die gymnasiale Oberstufe ist (war) geplant, daß alle Schüler vier Kernfächer als

Leistungsfächer mit jeweils fünf Wochenstunden belegen. Für Schüler mit sprachlichem Profil gelten als Leistungsfächer Deutsch, I. und 2. Fremdsprache (nach Wahl des Schülers), Mathematik und 3. Fremdsprache (Profilfach). Für Schüler mit naturwissenschaftlichem Profil gelten als Leistungsfacher Deutsch, I. und 2. Fremdsprache (nach Wahl des Schülers), Mathematik und Physik (Profil fach).

Abiturprüfung: Vor der schriftlichen Abiturprüfung wählt jeder Schüler aus seinen vier Leistungsfächern

Page 42: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Untersuchungsauftrag 43

• zwei PTÜfungsfächer aus, die als Leistungsfächer in der Gesamtqualifikation abgerech­

netwerden; • ein weiteres PTÜfungsfach, das als Grundkursfach in der Gesamtqualifikation abgerech­

net wird (3. schriftliches PTÜfungsfach). Das mündliche (vierte) PTÜfungsfach ist für jeden Schüler Geschichte oder Religionslehre bzw. Ethik.

Die Themen der schriftlichen Prüfung (d.h. in Baden-Württemberg seit 1952/53 zentrali­sierten Abiturprüjimg; Anm. d. Yerf.) sind identisch mit denen, die zum selben Zeitpunkt am Ende des neun jährigen Gymnasiums gestellt werden.

Gymnasiale Übertrittsquoten im Zeitraum 1991-2001

In Tabelle 4 ist die Entwicklung der gymnasialen Übertrittsquoten seit Einfiihrung des G8-Modells in Baden-Württemberg dargestellt. Zum Vergleich sind die entspre­chenden bayerischen Übertrittsquoten in der letzten Spalte rechts mitaufgeführt. Dar­aus wird ersichtlich, daß die gymnasialen Übertrittsquoten beider Länder in der letz­ten Dekade sich weitgehend synchron entwickelten. Die durchgängig um 1 bis 2 Pro­zentpunkte niedrigeren Übertrittsquoten in Bayern sind insofern bemerkenswert, als dort bis Ende der 90er Jahre die vierstufige Realschule der Regelfall war und man deshalb eher umgekehrte Verhältnisse (in der 5. Jahrgangsstufe) vermutet hätte. Die­se Hypothese wird zwar durch die kombinierten Übertrittsquoten (Übergänge nach dem 4. und 5. Schuljahr) in Bayern gestützt; vgl. rechte Spalte in Tabelle 4. Wie die Entwicklung ansteigender Realschülerquoten seit Einfiihrung der sukzessiven sechs­stufigen Realschule 1999 in Bayern (nach den Berechnungen des Bayerischen Lan­desamts für Statistische Datenerhebung betrug die Realschulübertrittsquotenzunahme in diesem Zeitraum 6-8%) belegt, die nunmehr für realschulinteressierte Schüler den Umweg über die ersten beiden Gymnasialklassen erübrigt, wäre aber ein Rückgang der gymnasialen Übertrittsquoten in Bayern ab 1999 in der gleichen Größenordnung zu erwarten gewesen. Dies war jedoch nicht der Fall, wie Tabelle 4 zu entnehmen ist, was möglicherweise mit Veränderungen in der Bildungsaspiration und/oder dem Anwachsen der betr. Altersjahrgangspopulation zusammenhängt.

Diese Schlußfolgerungen sind natürlich nur dann gerechtfertigt, wenn die Schul­leistungsqualität beider süddeutschen Länder (die seit vielen Jahrzehnten zentrale Abiturprüfungen zum Abschluß der Gymnasiallautbahn praktizieren) äquivalent ist. Ob diese Vermutung realistisch ist, werden die im Sommer 2002 erwarteten PISA­Befunde der zur Zeit laufenden länderspezifischen Datenauswertung bestätigen müs­sen (Deutsches PISA-Konsortium, 2001). An der vorhergehenden internationalen Schulleistungsvergleichsstudie TIMSS (vgl. Baumert, Lehmann et al., 1997), die auf die Mathematik und Naturwissenschaften fokussiert war, hatte sich das Land Baden­Württemberg nicht beteiligt, weshalb hierzu kein Ländervergleich möglich ist. Im Hinblick auf die Behauptung, daß mit der generellen Einfiihrung achtstufiger Gym-

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nasien keine Leistungseinbußen im Abitur einhergingen (was durch Konstanthaltung der gymnasialen Unterrichtszeit von 265 Jahreswochenstunden, davon 60 Jahreswo­chenstunden in der Oberstufe - sowohl im neunklassigen als auch im achtklassigen Gymnasium - erreicht werden soll), können vielleicht die länderspezifischen PISA­Resultate beim G8/G9-Vergleich erste Aufschlüsse vermitteln. Die Frage nach dem Zusammenhang von gymnasialer Lernzeit und Leistungsqualität wird uns in diesem Buch noch mehrfach beschäftigen.

Tabelle 4: Entwicklung der gymnasialen Übertrittsquoten seit 1991 im Ländervergleich Baden-Württemberg und Bayern (Quelle: Kultusministerien beider Länder).

Jahr in % des 4. Schj. in Baden-WUrttemberg und des 4. Schj. bzw. 4. und 5. Schj. in Bayern

1991 32,2% 31,6% bzw. 36,0%

1992 32,3% 31,0% bzw. 35,3%

1993 31,9% 30,8% bzw. 35,0%

1994 31,4% 30,8% bzw. 34,4%

1995 31,5% 31,0% bzw. 34,5%

1996 32,0% 30,6% bzw. 34,7%

1997 32,6% 31,4% bzw. 34,2%

1998 33,0% 31,8% bzw. 34,8%

1999 33,2% 32,0% bzw. 35,0%

2000 33,7% 31,5% bzw. 35,5%*

2001 34,2% 32,1% bzw. 36,0%*

* Vorausschätzung

In TIMSS ergaben sich teilweise erhebliche Schulleistungsunterschiede zwischen Bundesländern mit und ohne Zentralabitur. Ob dieser Befund gleichfalls fiir PISA I (siehe oben), wo Basiskompetenzen im sprachlichen Bereich gegenüber mathemati­scher und naturwissenschaftlicher Grundbildung schwerpunktmäßig erfaßt wurden, und PISA 11 (2003) mit umgekehrter Fokussierung repliziert werden kann, werden die noch ausstehenden Analysebefunde zur PISA I bzw. die späteren Daten zur PISA 11 erweisen.

Entwicklung der Übergänge auf weiterführende Schulen in Baden-Württemberg innerhalb der letzten 15 Jahre

Aus den in Tabelle 4 referierten Übertrittszahlen lassen sich außer dem länderüber­greifenden (leichten) sukzessiven Anstieg keine substantiellen Veränderungen im Übertrittsverhalten der Grundschulabgänger bzw. deren Eltern seit Erprobung des achtjährigen gymnasialen Bildungsgangs in Baden-Württemberg erkennen. Da das "neue" G8-Modell inzwischen von 82 Gymnasien an 60 verschiedenen Standorten (das sind rund 20% aller baden-württembergischen Gymnasien) angeboten wird, ist

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Untersuchungsauftrag 45

diese Entwicklung keineswegs selbstverständlich, zumal Anfang der 90er Jahre das "alte" G8-Modell an den eingangs genannten vier Schul standorten bzw. Testschulen nur sehr zögerlich von der Grundschullehrerschaft und auch seitens vieler Schüler­eltern akzeptiert worden war. Hier hat wohl inzwischen eine breitere Einstellungsän­derung stattgefunden. Ob diese auf die positiven Erfahrungen mit dem evaluierten (alten) G8-Modell oder auf die inzwischen vorgenommenen curricularen Modifikati­onen des "neuen" G8-Modells oder auf beides und möglicherweise noch zusätzliche Faktoren - Z.B. Abbau bestehender Vorurteile gegenüber der (Hoch-)Begabten­förderung - zurückzufiihren ist, kann aufgrund der vorliegenden Datenbasis unserer Evaluationsstudie nicht eindeutig beantwortet werden. Eine erfreuliche Entwicklung ist darin aber allemal zu sehen, insofern der Begabtenförderung offensichtlich heute mehr Beachtung zuteil wird als noch vor zehn Jahren.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung von Grundschul­empfehlungen für die weiterführenden Schulen, der entsprechenden Elternwünsche und der tatsächlich erfolgten Übertritte auf Gymnasium, Realschule und Hauptschule in Baden-Württemberg im Zeitraum der letzten 15 Jahre (vgl. Tabelle 5).

Tabelle 5: Entwicklung der Grundschulempfehlungen1), der Eltemwünsche und der Über­gänge2) auf weiterführende Schulen von 1987 bis 2001 in Baden-Württemberg (Quelle: KM 31 - 7.1.2002).

Hauptschule Realschule Gymnasium

Jahr Grundschul- Eltern- Ubergangs- Grundschul- Eltern- Ubergangs- Grundschul- Eltern- Ubergangs-empfeh- wUnsche quoten empfeh- wUnsche quoten empfeh- wUnsche quoten lungen lungen lungen

1987 40,9% 37,2% 38,8% 23,9% 31,2% 27,9% 35,2% 31,6% 30,0%

1988 40,0% 36,2% 38,2% 23,8% 31,3% 28,0% 36,2% 32,4% 30,5%

1989 39,8% 35,3% 37,3% 24,4% 31,8% 28,3% 35,8% 32,9% 31,1%

1990 38,8% 34,5% 36,6% 23,9% 31,4% 28,0% 37,3% 34,1% 32,2%

1991 39,1% 34,8% 36,7% 24,1% 31,2% 27,8% 36,8% 34,0% 32,2%

1992 37,8% 33,6% 35,8% 24,7% 32,5% 29,0% 37,4% 33,9% 32,3%

1993 38,2% 34,2% 36,3% 24,5% 32,4% 28,8% 37,3% 33,4% 31,9%

1994 38,3% 34,2% 37,1% 24,7% 32,9% 29,5% 37,0% 32,9% 31,4%

1995 38,2% 34,2% 37,0% 24,7% 33,0% 29,8% 37,1% 32,8% 31,5%

1996 37,3% 33,2% 36,0% 25,0% 33,5% 30,2% 37,7% 33,3% 32,0%

1997 36,8% 32,2% 35,5% 24,9% 33,7% 30,1% 38,2% 34,1% 32,6%

1998 36,3% 31,7% 34,8% 25,0% 34,1% 30,5% 38,7% 34,2% 33,0%

1999 35,7% 31,1% 34,3% 25,2% 34,2% 30,8% 39,1% 34,7% 33,2%

2000 35,5% 30,9% 34,2% 24,9% 34,0% 30,6% 39,5% 35,1% 33,7%

2001 34,9% 29,9% 33,4% 25,0% 34,4% 30,8% 40,1% 35,6% 34,2%

I) In % der insgesamt erteilten Grundschulempfehlungen.

2) In % der Schüler in Klassenstufe 4 am Ende des Schuljahres.

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Neben den kontinuierlich in den letzten 15 Jahren um insgesamt 3-4% zunehmen­den Realschul- und gymnasialen Obergangsquoten sowie den komplementär (um insgesamt rund 5%) abnehmenden Hauptschulübergangsquoten sind hier besonders noch die Quotendifferenzen zwischen der Grundschulempfehlung, dem Elternwunsch und den realisierten Übertrittsentscheidungen im Hinblick auf die Bildungsaspirati­on der Schülereltern und die Schuleignungsvoraussetzungen der Kandidaten für Gymnasium, Realschule und Hauptschule aufschlußreich. So liegen die Grundschul­empfehlungsquoten für das Gymnasium innerhalb der letzten Dekade, also seit Ein­führung des G8 im Schuljahr 1991192, im Mittel (Medianwert) um 5,6%, die ent­sprechenden Elternwünsche im gleichen Zeitraum aber nur um 1,5% über den Über­gangsquoten (vgl. die drei rechten Spalten in Tabelle 5). Bezüglich der Realschule liegen die vergleichbaren Grundschulempfehlungsquoten (Medianwerte) im Mittel um 5,1% unter und die entsprechenden Elternwünsche um 3,4% über den realisierten Realschulübertritten (vgl. die drei mittleren Spalten in Tabelle 5). Analog liegen die Grundschulempfehlungsquoten für die Hauptschule mit 1,5% (Median) leicht über und die entsprechenden Elternwünsche um 2,8% unter den tatsächlichen Haupt­schulübertritten (vgl. die drei linken Spalten in Tabelle 5).

Während die genannten Relationen bezüglich Hauptschule und Realschule eini­germaßen plausibel erscheinen, überrascht bei den gymnasialen Übertrittsquoten, daß diese mit einem Medianwert von 5,6% die Grundschuleignungsempfehlungen deut­lich unterschreiten, während erstaunlicherweise die Elternwünsche hier mit 1,5% nur leicht über der Übertrittsquote liegen. Welche Schlußfolgerungen können hieraus gezogen werden? Um diese Frage auf einer breiteren Datenbasis zu beantworten, seien nachstehend einige der bereits vor über 30 Jahren im Auftrag des Kultusminis­teriums in Baden-Württemberg durchgeführten umfangreichen Schuleignungsunter­suchungen angesprochen. Dabei standen Schätzungen der Begabungspotentiale für die drei weiterfiihrenden allgemeinbildenden Schulen (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) im Vordergrund, um entsprechende bildungsplanerische Konzepte em­pirisch abzusichern.

So zielte die von Heller (1 970a/b ) durchgeführte Volksschulstudie in sogenannten Regionen geringer Bildungsdichte - die Soziologen Dahrendorf & Peisert hatten zuvor 11 bzw. später 19 solcher Regionen in Baden-Württemberg identifiziert, in denen die damalige Gymnasial- und Realschulübertrittsquote der 15jährigen Jugend­lichen unter 5% lag - auf die Ermittlung entsprechender "Begabungsreserven" ab. Dabei wurde ein neues statistisches Analyseverfahren (das Computerprogramm AUKL = Automatische Klassifikation) erprobt. Dieses erlaubte unabhängig von der bis dahin üblichen eindimensionalen Cutoff- oder Grenzwertmethode, nach der die Schuleignungsgruppen über die betr. Gruppenmittelwerte bestimmt wurden, genaue­re Schätzungen von Schuleignungsquoten. Das mehrdimensionale Gruppierungsver­fahren AUKL basiert - einfach formuliert - auf der Möglichkeit, heterogene Merk­malsgruppen in relativ homogene Subgruppen aufzuteilen, was de facto zu einer Ma-

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ximierung der Intergruppenvarianz und einer Minimierung der Intragruppenvarianz fUhrt (ausflihrlicher vgl. Allinger & Heller, 1975; Heller, 1976).

Bezogen auf die Grundschulpopulation der 4. Klasse von Baden-Württemberg (Prozentuierungsbasis) betrugen am 1.8.1967 (Schuljahresbeginn) die Übertrittsquo­ten aus dem 4. und 5. Volksschuljahr für das Gymnasium 25,8% und fiir die Real­schule 20,1%, zusammen also 45,9%. Die entsprechenden Übertrittsquoten betrugen zum gleichen Zeitpunkt in den baden-württembergischen "Regionen geringer Bil­dungsdichte" im Mittel 15,2% fiir das Gymnasium und 16,5% für die Realschule, zusammen also 21,7%. Demgegenüber waren Mitte 1965 fiir die kompletten Schul­jahrgänge 6, 7 und 8 in Baden-Württemberg 20-22% Gymnasialeignungen und 24-25% Realschuleignungen mit dem Computerprogramm AUKL errechnet worden (Heller, 1970a, S. 119ff.). Je nach Definition des Erfolgskriteriums (z.B. Mittlere Reife oder Abitur) und Festsetzung der statistischen Irrtumswahrscheinlichkeit er­mittelten wir also vor 30 Jahren noch eine Begabungsreserve für das Gymnasium von 5-10% und eine baden-württembergische Realschuleignungsreserve von 10-15% (Heller, 1970b, S. 229ff.). Überraschenderweise wurden die relativ größten Bega­bungsreservenquoten in Kleinstädten (bis zu 10.000 Einwohnern) und in Großstädten (über 100.000 Einwohner) gefunden. Genauere Ursachenanalysen fiir diese deskrip­tiven Befunde erlaubten die Studien von Aurin et al. (1968) in den baden­württembergischen "Regionen geringer Bildungsdichte" sowie von Heller (1975) in Mannheim und Weiß (1975) in Stuttgart.

Vergleicht man die 1967er Übertrittszahlen mit den in Tabelle 5 dargestellten Pa­rametern, so fällt auf, daß die aktuellen Übergangsquoten um 8,4 % (Gymnasium) bzw. 10,7% (Realschule) über jenen liegen. Umgekehrt ist die Hauptschulübertritts­quote zwischenzeitlich um rund 20% gesunken. Ähnliche oder noch dramatischere Veränderungen der relativen Beteiligung an den drei weiterfiihrenden Sekundarstu­fenschulen sind in den anderen Bundesländern in den letzten Dezennien zu verzeich­nen. Hängt dies mit einer besseren "Aus schöpfung" aktueller Begabungspotentiale versus mit einer Absenkung schulischer Anforderungen bzw. schulischen Leistungs­einbußen (vgl. TIMSS und PISA) oder vielleicht beidem zusammen?

Im Rahmen unserer AUKL-Validierungsstudien (Allinger & Heller, 1975; Heller, 1975, 1976) wurden verschiedene Urteilsinstanzen bzw. Entscheidungsalgorithmen hinsichtlich ihrer prognostischen Gültigkeit an mehreren größeren Datensätzen über­prüft. Dabei erwies sich das Lehrerurteil zur Gymnasialempfehlung im Vergleich zum AUKL-Algorithmus oder zur schulpsychologischen Eignungsdiagnose als groß­zügiger, d.h. weniger streng, während bezüglich der Realschul- und Hauptschuleig­nungsfeststellung umgekehrte Tendenzen zu beobachten waren. Im Hinblick auf die Grundschulempfehlungsquoten für das Gymnasium in Tabelle 5 oben könnte man daraus vorsichtig schlußfolgern, daß diese wahrscheinlich in manchen Fällen zu großzügig - aus Gefälligkeit oder um Rechtfertigungen gegenüber Eltern und Schü­lern zu vermeiden? - formuliert werden. Mit dieser Hypothese lassen sich auch die deutlich niedrigeren tatsächlichen Übergangsquoten und die erstaunlich realistischen

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Elternwünsche einigermaßen plausibel erklären. Eine Kombination von Lebrer- und Testurteil bzw. pädagogischen und schulpsychologischen Schuleignungsprognosen erzielte übrigens in den genannten Validierungsstudien wie auch in vielen anderen einschlägigen Untersuchungen (zusammenfassend vgl. Heller, 1997, 2000b) die besten Schulerfolgsprognosewerte. Dies gilt mutatis mutandis auch für die Identifi­zierung hochbegabter Kinder und Jugendlicher (Heller, 2000a/b, 2001).

Um auf die auf Seite 43f. oben gestellte Fmge bezüglich einer begabungspsycho­logisch realistischen Bewertung heutiger gymnasialer Übergangsquoten zurückzu­kommen, läßt sich nunmehr vorläufig folgendes Resümee ziehen. Die Gymnasial­schülerschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist sicherlich nicht ohne weiteres mit der Gymnasialpopulation der 60er oder auch noch der 70er Jahre hinsichtlich der Eignungsvoraussetzungen für diesen Bildungsgang zu vergleichen. Andererseits ist die Begabungsentwicklung über die Generationen hinweg als dynamischer Prozeß zu begreifen, wofür hier stellvertretend der "Flynn-Effekt" genannt sei. Darunter ver­steht man den inzwischen vielfach nachgewiesenen Anstieg der Intelligenztestwerte im Zeitraum von mehreren Dekaden (Flynn, 1984, 1987, 1994; für eine aktuelle Übersicht vgl. noch Neisser, 1998). Allerdings konnte der Flynn-Effekt von uns nicht oder weniger deutlich bei Hauptschülern einerseits und bei Hochbegabten anderer­seits nachgewiesen werden (vgl. Heller, Kratzmeier & Lengfelder, 1998).

Schließlich sind auch zwischenzeitliche Nivellierungstendenzen in den gymnasi­alen Anforderungsstandards nicht auszuschließen, insbesondere im Vergleich der Bundesländer mit und ohne Zentralabitur. Wegen der bekannten Noteninflation, die mehr oder weniger deutlich in allen Bundesländern zu beobachten ist, treten zusätzli­che Schwierigkeiten bei der objektiven Beurteilung von Schulleistungen auf. Abhilfe könnten hier standardisierte lemfachbezogene Klassenarbeiten leisten, wie sie bis in die 70er Jahre als sogenannte Probearbeiten in Baden-Württemberg und neuerdings auch wieder in Bayern als "Orientierungsarbeiten" eingeführt wurden (ausfiihrlicher vgl. Heller & Hany, 2001).

Im Kontext der in diesem Buch dargestellten G8-Evaluationsstudie interessieren aber nicht nur die Begabungs- und Lemvoraussetzungen der Schüler, sondern vor allem auch die Förderungseffizienz des gymnasialen Bildungsgangs rur besonders befähigte Jugendliche und deren Leistungs- bzw. Gesamtpersönlichkeitsentwicklung. Valide Aussagen hierüber sind wiederum nur von hinreichend objektiven, zuverläs­sigen und gültigen Meß- bzw. Auswertungsverfahren abhängig, die deshalb im nächsten Kapitel ausruhrlieh beschrieben werden. Zuvor seien noch kurz das voll­ständige Evaluationsmodell und seine Entstehungsgeschichte skizziert.

Das Evaluationsmodell

Ausgehend von den Planungsvorgaben und Bildungszielen des G8-Modells wurde zunächst ein Evaluationsmodell entwickelt, das anschließend mit allen Beteiligten

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Untersuchungsauftrag 49

(Kultusministerium, Lehrkräften der vier Testschulen und Eltern der ersten 08-Kohorte im Schuljahr 1991/92) diskutiert und in einzelnen Punkten noch verbessert werden konnte. Dabei wurden sowohl pädagogisch-psychologische Aspekte der För­derung besonders befähigter Oymnasialschüler (vgl. Heller, 1999, 2000a; Heller & Hany, 1996; Heller, Mönks & Passow, 1993; Heller, Mönks, Sternberg & Subotnik, 2000) als auch einschlägige wissenschaftliche Standards der Evaluationsforschung berücksichtigt (vgl. Scriven, 1981; Madaus, Scriven & Stuffiebeam, 1983; Hany, 1988; Sechrest & Figuerdo, 1993; Scheirer, 1994; Callahan, 1993, 2000; Heller, Reimann et al. , 1999,2000. Zur aktuellen Übersicht vgl. noch das Themenheft "Pro­gram Evaluation" des European Journal 0/ Psychological Assessment, Heft 3/2002) .

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Abbildung 1: Das vollständige Evaluationsmodell zum ü8.

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Kennzeichnend rur das in Abbildung 1 dargestellte Evaluationsmodell sind drei Funktionseinheiten: die Inputevaluation zur Erfassung charakteristischer Zielgrup­pen- bzw. Schülermerkmale des 08, die Prozeßevaluation (in der englischsprachigen Literatur auch als impact oder treatment evaluation bezeichnet) zur Erfassung der Lehr-Lernprozesse und relevanter sozialer bzw. organisatorischer Rahmenbedingun­gen des 08, die Outputevaluation zur Effekt- bzw. Ergebniskontrolle im 08/09-Vergleich. Während die Input- und Prozeßevaluation vor allem unter dem Primat der

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formativen Evaluation stehen, d.h. der kontinuierlichen Optimierung - hier des G8-Modells - dienen, soll die summative Evaluation eine abschließende Bewertung im Sinne der Produktevaluation ermöglichen (vgl. die vereinfachten Modelldarstellun­gen in Abbildung 2 und 3).

Treatment­Evaluation

Input­Evaluation

Abbildung 2: Allgemeines Strukturmodell der Programmevaluation.

Planungs­phase

Formative Evaluation

Summative Evaluation

Abbildung 3: Allgemeines Prozeßmodell der Programmevaluation.

Output­Evaluation

Konsequen­zen

Die Unterscheidung von formativer und summativer Evaluation folgt einem Vor­schlag Scriven's (Scriven, 1967), der damit betonen wollte, daß in der Praxis der Bildungsevaluation beide Funktionen unverzichtbar sind, da sie zwar unterschiedli­che, jedoch komplementäre Rollen übernehmen. Daß die summative oder Produkt­Evaluation dabei häufig nicht unabhängig von der formativen Evaluation durchge­fuhrt werden kann, ist allenfalls ein methodisches Handicap, fiir die am evaluierten Schulmodellversuch beteiligten Personen (Lehrer, Schüler, Eltern) jedoch solange vorteilhaft und nützlich, als diese von Anfang an von der fortlaufenden Modellopti­mierung profitieren. Zu den theoretischen und methodischen Grundlagen der hier thematisierten G8-Evaluationsstudie vgl. ausftihrlicher Kapitel 3, zu den Haupter­gebnissen vgl. Kapitel 4 bis 8. Daraus abgeleitete Bildungsempfehlungen fiir die gymnasiale (Hoch-)Begabtenförderung finden sich im Schlußkapitel 9.

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Untersuchungsauftrag 51

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KAPITEL 3

Theoretische und methodische Grundlagen der Evaluationsstudie

Kurt A. Heller, Ralph Reimann & Heiner Rindermann

Referenzrahmen rur die Evaluationsstudie zum G8 in Baden-Württemberg war zum einen das auf Seite 49 wiedergegebene Evaluationsmodell. Entsprechend standen die Lernleistungsvoraussetzungen der G8- versus G9-Schüler sowie relevante familiäre und schulische Lernumweltbedingungen einschließlich Curriculum (hier nur indirekt als Untersuchungsgegenstand) und der Schulerfolg (Zensuren und Abiturleistungen) im Fokus der Untersuchung. Zum anderen basierten die Datenerhebungen auf dem Münchner (Hoch-)Begabungsmodell (Heller, 1986; Heller & Hany, 1986) und des­sen Weiterentwicklung (Heller & Perleth, 1989,2000; Perleth & Heller, 1994) sowie einem allgemeinen Bedingungsmodell von Schulerfolg (Heller, 1997,2000).

Struktur und Bedingungszusammenhänge von Begabung und Leistung

Das in Abbildung 1 dargestellte Modell konzipiert (Hoch-)Begabung als mehrdimen­sionales hypothetisches Konstrukt. Das typologische Begabungskonzept postuliert unterschiedliche Formen möglicher individueller Begabungsschwerpunkte. Demnach läßt sich ,,Hochbegabung" als individuelles Fähigkeitspotential für außergewöhn­liche (exzellente) Leistungen in einem bestimmten Bereich (z.B. Sprache/n, Mathe­matik, Physik, Technik oder auch Sport, Musik, Kunst usw. - sogenannte Spezial­begabung) oder in mehreren Bereichen (z.B. Mathematik und Musik oder Sport und Sprachen usw. - sogenannte Multitalente ) definieren. Im Münchner Hochbegabungs­modell werden nicht nur inhaltlich relativ unabhängige Begabungsformen unter­schieden, sondern auch vermittelnde Prozeßmerkmale (Moderatorvariablen) zwi­schen den Begabungspotentialen und der resultierenden Leistungsexzellenz ange­nommen. Zusammenfassend kann man somit Hochbegabung als mehrdimensionales Fähigkeitskonstrukt in einem Netz von individuellen Begabungsfaktoren, nichtkogni­tiven (vor allem motivationalen) und sozialen Moderatorvariablen sowie einzelnen Leistungsbezugsvariablen definieren. Im Gegensatz zu IQ-basierten Hochbegabungs­konzeptionen, d.h. Definitionen über einen festen Grenz-Wert (z.B. IQ = 130 oder 140 Punkte), werden hierbei fließende Übergänge zwischen Hoch- und Höchstbega­bung unterstellt sowie die einzelnen Begabungskategorien in Abhängigkeit vom Ver­wendungszweck variabel definiert.

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S4 Kurt A. Heller, Ralph Reimann & Heiner Rindermann

StAlSS' bewältlgLl'lg

Leistungs­motIvation

ArbeUs-ILem· strategien

(Prilfungsi KonttOliOber- I Angst I zeugungen

Intellektuelle Fähigkeiten

KAlalive Fäh igkeilen

Soziale Kompetenz

Psycho· motorik

::------ Mathematik

NaturWisse ... schaften

Technik

Informatik, Schach

Sprachen

Sport

Soziale Beziehungen

Familiäre I l Familien· J !liiStruktion". Lemumwelt . klima I qualität

Klassen­klima

Krit Lebens­ereigrisse

Abbildung 1: Das Münchner Hochbegabungsmodell als Beispiel für mehrdimensionale Be­gabungskonzepte.

Legende:

Begabungsfaktoren (Prädiktoren), z.B. - Intelligenz (sprachliche, mathematische,

technisch-konstruktive Fähigkeiten usw.) - Kreativität (sprachliche, mathematische,

technische, gestalterische usw.) - Soziale Kompetenz - Musikalität - Musisch-künstlerische Fähigkeiten - Psychomotorik - Praktische Intelligenz

(Nichtkognitive) Persönlichkeitsmerkmale (Moderatoren), z.B. - Leistungsmotivation, Lern- u.

Aufgabenmotivation u.ä.

Umweltmerkmale (Moderatoren), z.B. - Anregungsgehalt der häuslichen Lernumwelt - Bildungsniveau der Eltern - Erziehungsstil - Häusliche Leistungsforderungen - Soz. Reaktion auf Erfolgs-/Mißerfolgserlebnisse - Geschwisterzahl und -position - Familienklima - Unterrichtsqualität - Lerndifferenzierung - Schulklima - Kritische Lebensereignisse

Leistungsbereiche (Kriteriumsvariablen), z.B. - Mathematik - Informationswissenschaft

- Hoffnung auf Erfolg vs. Mißerfolgsängstlichkeit - Naturwissenschaften - Anstrengungsbereitschaft - Technik, Handwerk usw. - Kontrollüberzeugung, Kausalattribution - Sprachen - Erkenntnisstreben, Interessen - Musik - Streßbewältigungskompetenz - Kunst (musisch-künstlerischer Bereich) - Selbstkonzept (allgemeines, schulisches, - Soziale Führungsfunktionen

Begabungs-Selbstkonzept usw.) - Sportliche Tätigkeiten

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Theoretische und methodische Grundlagen 55

Individuelle Begabungsschwerpunkte oder einzelne Hochbegabungsformen wer­den auf der Bezugsbasis typologischer Modelle über charakteristische (Hoch-)Bega­bungsprojile zu diagnostizieren versucht, was der Realität besser entspricht als über cut-offs definierte Begabungs- bzw. Hochbegabungsgruppen. Die Validität des Mün­chner Begabungs- bzw. Hochbegabungsmodells konnte in zahlreichen nationalen und internationalen (auch kulturvergleichenden) Studien belegt werden, weshalb es auch für die G8-Evaluationsstudie herangezogen wurde (vgl. Heller, 1986a/b, 1987, 1990alb/c, 1991, 1996, 1992/200 I; Heller & Hany, 1986; Hany, 2001; Heller & Perleth, 1989; Perleth, 2001; Perleth & Heller, 1994; Perleth, Heller & Becker, 1996; Perleth, Sierwald & Heller, 1993; Scheblanova, Averina, Heller & Perleth, 1996).

Da die Schulerfolgsprognose bei der summativen Evaluation des G8-Modells eine zentrale Rolle spielt, wurde als Basismodell hierfür ein allgemeines Bedingungsmo­dell von Schulleistung/en verwendet. Nach diesem Modell werden schulische Lei­stungen multikausal erklärt, was sowohl wissenschaftlich in zahlreichen Unter­suchungen bestätigt wurde (vgl. Heller, 1997; Helmke & Weinert, 1997; Baumert & Köller, 1998 u.a.) als auch mit praktisch-pädagogischen Erfahrungen im Unterricht gut übereinstimmt. Bei der Erklärung oder Vorhersage schulischer Leistungen wer­den somit drei Hauptkomponenten oder Variablengruppen unterschieden: Kriteri­umsvariablen, Prädiktorvariablen und Moderatorvariablen (Abbildung 2).

Bisherige SchuIleisIungen (dh. relCVll1lc Kcmm' \tIn,~u.JI.)

ScbJIischc Sozialisaions-faktoren cinsd>l. InsuUaioos-.I-____ .,

I'.rziehurf.';- und sozi Kli~obIcn

Moderatoren: .ehtkopJUtive I'I:r.mlicn.

kcilo;rn.:ric:maJe (z.8. rrotiWlionale u.l:I'I1OOonaIe I.J:mlcist~ ~~ Kau.oiIlIlllrib.lian, Ein­stellqm. ZukunI\spcr. spekti"CrI, v.bthnIl\.W1gCll)

Fml, lSWons­facunn einsehl. FIITIiI ico­kJUmvaiablen; Freizeil,

aktivitalcn und Ptcn:inI1

Kriterium: Schullcist.-.g bz.\\. Schulerfol[p/-mißcrloig

Abbildung 2: Allgemeines Bedingungsmodell der Schulleistung bzw. des Schul­erfolgs im Diagnose-Prognose-Paradigma (n. Heller, 1991, S. 216).

Unter dem Kriterium werden jene Leistungsvariablen zusammengefaßt, die vor­hergesagt werden sollen. In unserem Falle sind dies die im achtjährigen Gymnasium erbrachten Schulleistungen. Als Prädiktoren kommen alle kognitiven Lernvorausset-

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56 Kurt A. Heller, Ralph Reimann & Heiner Rindermann

zungen (Fähigkeitsvariablen) auf Schülerseite in Frage, die in einem kausalen oder zumindest korrelativen Zusammenhang zur Kriteriumsleistung stehen. Als Modera­toren werden in diesem Modell jene nichtkognitiven (z.B. motivationalen) Persön­lichkeitsmerkmale der Schüler sowie manchmal auch soziale (familiäre und schu­lische) Lernumweltbedingungen bezeichnet, die den Zusammenhang zwischen Prä­diktor/en und Kriterium systematisch moderieren, d.h. die Enge dieser Beziehung (Höhe des betr. Korrelationskoeffizienten) verändern können. Dabei kommt proxi­malen Variablen, d.h. den kognitiven Persönlichkeitsmerkmalen, ein größeres Ein­flußgewicht zu als distalen Variablen wie soziodemographischen Merkmalen oder schulorganisatorischen Rahmenbedingungen (vgl. die Befunde der umfangreichen Metaanalysen von Wang, Haertel & Walberg, 1993).

Nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale beeinflussen oft nur mittelbar die Bezie­hung zwischen Prädiktoren und Kriterien. So wird häufig bei Jungen ein geringerer Zusammenhang zwischen Intelligenz und Schulleistung beobachtet als bei Mädchen, z.B. wegen geschlechtsspezifischer Anstrengungsbereitschaft bzw. Motivationsunter­schiede oder wenn hohe Prufungsängstlichkeit auf grund von Nervosität und Konzen­trationsproblemen zu schwächeren versus Pflichteifer über erhöhte Lemzeiten zu besseren Schulleistungen führt. Sie können aber auch direkt auf die Schulleistung einwirken, etwa durch Quantität und Qualität von Lernaktivitäten. Nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale üben somit einen nicht vernachlässigbaren Einfluß auf die schulische Leistung der Kinder und Jugendlichen aus (vgl. Rindermann & Heller, 1996).

In unserer Untersuchung wurden als Kriteriumsvariablen die zu verschiedenen Meßzeitpunkten erfaßten Zeugnisnoten bzw. der Abiturerfolg der Schüler des acht­jährigen Gymnasiums auf der Grundlage früher erzielter Testwerte in verschiedenen kognitiven Fähigkeitstests (Prädiktorvariablen) vorhergesagt. Als Moderatoren dien­ten hierbei nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale (vgl. ausfiihrlicher Heller, 1997, 2000a/b).

Methode

Die methodischen Grundlagen der zehnjährigen Evaluationsstudie zum baden­württembergischen Schulmodellversuch "Gymnasium mit achtjährigem Bildungs­gang" werden nachstehend unter fünf Aspekten behandelt: • Informationsquellen und Stichprobenplan • Untersuchungsansatz der wissenschaftlichen Begleitforschung • Evaluationsfragestellung • Untersuchungsvariablen und deren Operationalisierung (Meßinstrumente) • Methoden der Datenanalyse • Spezialprobleme bei längsschnittlichen Evaluationsstudien

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Theoretische und methodische Grundlagen 57

Informationsquellen und Stichprobenplan

In die Evaluation des G8-Schulmodellversuchs an den in Kapitel 2 (Tabelle 1) ge­nannten Schul standorten wurden jeweils die ersten drei kompletten Einschulungs­jahre durchgehend bis zum Abitur einbezogen. Der erste Einschulungsjahrgang 1991/1992 schloß mit dem Abitur im Jahr 1999 die G8-Karriere ab. Die beiden folgenden Einschulungsjahrgänge 1992/93 und 1993/94 beendeten ihre Schullauf­bahn mit dem Abitur 2000 und 2001 (Tabelle I). Somit ergab sich die in Deutschland einmalige Gelegenheit, durch jährliche Wiederholungsmessungen (Retestungen) in einer insgesamt zehnjährigen Längsschnittanalyse drei komplette G8-Einschulungs­jahrgänge in ihrer Persönlichkeits- und Schullautbahnentwicklung systematisch zu beobachten. Zu Vergleichszwecken wurden zwei neunjährige Kontrollgymnasien im Zeitraum von 1997 bis 1999 in die Untersuchung einbezogen, wobei der Stichpro­benplan hier auf einem kombinierten Querschnitt/Längsschnitt-Design (Sequenz­modell) basierte. Außerdem wurden auf Wunsch der vier G8-Testschulen einzelne spätere Einschulungsjahrgänge in die Evaluationsstudie miteinbezogen, so die Kohorte 4 (4. Einschulungsjahrgang) am Stuttgarter Karls-Gymnasium und die Kohorte 5 (5. Einschulungsjahrgang) in Kirchzarten. Diese konnten allerdings nur bis zum Abschluß dieser Evaluationsstudie Ende 2001, also nicht mehr bis zum Abitur (2002 bzw. 2003) weiter verfolgt werden. Es ist jedoch beabsichtigt, die summativen Evaluationsbefunde hierzu 2004 in einem Zeitschriftenartikel zu publi­zieren.

Tabelle I: Kohorten, Meßzeitpunkte und Klassenstufen (achtjähriges Gymnasium).

Febr. Febr. Febr. Febr. Febr. Febr. Febr. Febr. Febr. Febr. 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001

Meßzeitp. I 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1. Kohorte Kl. S Kl.6 Kl.7 Kl.8 Kl.9 KI.IO KI.11 KI.l2 2. Kohorte KI.S KI.6 KI.7 KI.8 Kl.9 KI.IO Kl. 11 KI.12 3. Kohorte KI.S KI.6 KI.7 KI.8 Kl. 9 KI.IO Kl. 11 KI.l2 4. Kohorte KI.5 KI.6 KI. 7 KI. 8 KI.9 KI. 10 KI. 11 5. Kohorte Kl.5 KI. 6 KI.7 KI. 8 KI. 9 KI.IO

Anmerkung: 4. Kohorte nur in Stuttgart, 5. Kohorte nur in Kirchzarten.

Die erste Datenerhebung fand im Februar 1992 statt. Die folgenden jährlichen Re­testungen wurden ebenfalls im Februar, die Ergebnisrückmeldungen (aus Daten­schutzgründen nur von gruppenstatistischen Befunden) jeweils im April desselben Jahres durchgeführt. Darüber hinaus wurden den beteiligten Schülern und deren Eltern individuelle Beratungen (mit zusätzlichen Dateninformationen der betr. Ein­zelfälle) zum gleichen Zeitpunkt angeboten, wovon insgesamt mehr als zwei Drittel der Schülereltern bzw. älteren Schüler Gebrauch machten. In den ersten Gymnasial­jahren sowie vor Eintritt in die Kollegstufe und in der Abiturklasse fand das Bera­tungsangebot besonders starken Zuspruch. Das Informationsbedürfnis der Eltern und

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58 Kurt A. Heller, Ralph Reimann & Heiner Rindennann

Schüler sowie der Lehrerkollegien wurde zusätzlich durch jährliche (ca. 20-30 Seiten umfassende) Informationsbroschüren unterstützt, in denen die wichtigsten Unter­suchungsergebnisse des betr. Erhebungszeitraums allgemeinverständlich zusammen­gefaßt waren. Die Broschüren wurden jeweils in den (nachmittäglichen) Lehrerkon­ferenzen und Elterninformationsabenden verteilt. Im Anschluß an diese Ergebnis­rückmeldungen fanden dann die Schüler- und Elternberatungen (oft bis in den späten Abend) statt. Das über den gesamten Untersuchungszeitraum beibehaltene Bera­tungsangebot inklusive Ergebnisrückmeldungen wirkte sich zudem positiv auf die jährliche Untersuchungsbeteiligung der Schüler und Eltern aus. Solche Maßnahmen empfehlen sich generell zur "Stichprobenpflege" bei Langzeitstudien.

Schließlich wurden jährlich umfangreiche Zwischenberichte erstellt und dem baden-württembergischen Ministerium für Kultus und Sport (MKS) in Stuttgart je­weils zum Jahresende vorgelegt. Der letzte (9.) Zwischenbericht erschien im Dezem­ber 2000. Siehe Literaturverzeichnis zum Kapitel 4 (Heller et al., 1993-2000). Dort sind die Methoden und empirischen Befunde zu den einzelnen Untersuchungswellen ausfiihrlieh dokumentiert.

Das achtjährige Gymnasium als Schulmodellversuch wurde an vier Schulstand­orten Baden-Württembergs, in Stuttgart, Meersburg, Kirchzarten und Rastatt, ange­boten. An diesen vier Schul standorten kann parallel an der gleichen Schule auch das neunjährige Gymnasium von Schülern besucht werden. Um die Fördereffekte des G8 zu bestimmen, wurde eine Vergleichsstichprobe herangezogen: Gymnasiasten des Regelgymnasiums, die wir an zwei Gymnasien in Heidelberg und Sinsheim unter­suchten. Bei diesen beiden Schulen gab es kein achtjähriges Gymnasium in der Nähe, so daß von einer unausgelesenen Grundgesamtheit des Regelgymnasiums aus­gegangen werden konnte. Zudem ließen die geographischen und soziokulturellen Hintergrundvariablen - eine Schule in einer (Groß-)Stadt mit akademischem Ein­zugsgebiet, eine Schule in einer Kleinstadt - eine Vergleichbarkeit mit unseren vier G8-Gymnasien erwarten; siehe Tabelle 2.

Im Regelgymnasium wurde die Erhebung auf drei Meßzeitpunkte verkürzt (s. Tabelle 3). Um für alle Klassenstufen Vergleichsdaten erhalten und Meßwiederho­lungsgewinnanalysen auf verschiedenen Klassenstufen durchführen zu können, ent­schieden wir uns für einen kombinierten Längsschnitt-Querschnitt-Untersuchungs­plan.

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Theoretische und methodische Grundlagen 59

Tabelle 2: Größe und Merkmale der Gymnasien.

Schü- Leh- ParaI- Züge Art der Züge Einzugsgebiet Sozioökonom. lerzahl rerzahl lel- Merkmale!

ca. ca. klassen Sonstiges Stuttgart 470 45 2-3 2 a) G9: sprachlich Stuttgart und Innenstadt,

b)G8: sprachlich Umgebung lange Tradition, Großstadt

Meersburg 450 40 1-3 3 a) G9: Aufbau- 15-20 km, bis Internat gym. ab Klasse Überlingen, möglich, histor. 7, Realschul- Friedrichs- Gebäude ist aufsetzer, hafen; tourist. naturwiss., Internat bis Alb Attraktion, musisch undAlIgäu Kleinstadt

b)G8: naturwiss. c) Spätaussiedler-

zug Kirchzarten 500 55 3 3 a) G9: naturwiss. Dreisamtal, Schulkomplex

b)G9: sprachlich Freiburg-Ost mit Haupt- und c) G8: naturwiss. und Seitentäler Realschule,

Kleinstadt Rastatt 930 75 3-5 3 a) G9: naturwiss. 15-35 km, bis große Schule

b)G9: sprachlich Ettlingen, c) G8: naturwiss. Gernsbach,

Ottersweier und Elsaß

Heidelberg 870 80 4-5 2 a) G9: naturwiss. ca. 10 km, Bilingual: G9: sprachlich Heidelberg Süd Nebenfächer beides mit z.T. in Englisch Englisch, hoher bilingual Akademikeran-möglich teil

Sinsheim 970 70 4-5 2 a) G9: naturwiss. ca. 10 km in Kleinstadt b)G9: sprachlich und um

Sinsheim

Anmerkung: Anzahl der Parallelklassen im Gymnasium insgesamt je Klassenstufe; in Kirchzarten viele Lehrer-Teilzeitkräfte; Sprachenfolge in Stuttgart: Latein-Englisch-Französisch, Altgriechisch zusätzlich auf Wunsch; Sprachenfolge in Meersburg: Englisch-Französisch, Latein zusätzlich auf Wunsch; Sprachenfolge in Kirchzarten: Englisch-Latein, Französisch zusätzlich auf Wunsch; Sprachenfolge in Rastatt: Französisch-Englisch, selten dann Latein; Sprachenfolge in Heidelberg und Sinsheim: Englisch, dann Französisch oder Latein, zusätzlich auf Wunsch die andere Fremdsprache.

Tabelle 3: Erhebungsschema fiir die Regelgymnasien.

Jahrgang (Kohorte) 1997 1998 1999 I. Jahrgang (0. Kohorte) Klasse l1 Klasse 12 Klasse 13 2. Jahrgang (2. Kohorte) Klasse 9 Klasse 10 Klasse 11 3. Jahrgang (4. Kohorte) Klasse 7 Klasse 8 Klasse 9 4. Jahrgang (6. Kohorte) Klasse 5 Klasse 6 Klasse 7

Anmerkung: Jeweils eine Klasse pro Klassenstufe und Schulstandort, d.h. bei zwei Schulen 2 Klassen je Zelle / 2 Klassen pro Jahrgang. In Klammem die korrespondierenden Kohorten des achtjährigen Gymnasiums.

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60 Kurt A. Heller, Ralph Reimann & Heiner Rindermann

Testwiederholungseffekte, die z.B. auch fUr einen Anstieg der Fähigkeitstestwerte im achtjährigen Gymnasium verantwortlich sein könnten, lassen sich kontrollieren, wenn man Klassenstufe 11 des 1. und 2. Jahrgangs 1997 und 1999, Klassenstufe 9 des 2. und 3. Jahrgangs 1997 und 1999 und Klassenstufe 7 des 3. und 4. Jahrgangs 1997 und 1999 miteinander vergleicht. Wären durchgehend die Fähigkeitstestwerte 1999 höher als die von 1997, spräche dies fiir Testwiederholungsgewinne. Diese müßten dann bei der Interpretation von Veränderungen im achtjährigen Gymnasium berücksichtigt werden.

Auffällig ist bei unserer G8- vs. G9-Stichprobe, daß im achtjährigen Gymnasium ein anderes Geschlechterverhältnis auftritt als im neunjährigen (Tabelle 4). Mädchen überwiegen im G9, Jungen im G8.

Tabelle 4: Geschlechterverteilung am achtjährigen und neun jährigen Gymnasium.

Datenbasis aller Erhebungen (mit Mehrfachmessung) G8 G9 zusammen

Jungen 728 260 988 Mädchen 523 374 897 Zusammen 1251 634 1885

Datenbasis je Schüler (ohne Mehrfachmessung) G8 G9 zusammen

Jungen 148 99 247 Mädchen 116 144 260 zusammen 264 243 507

Mädchen zeigen in der Regel etwas bessere Schulleistungen (Noten) als Jungen, was auf eine bessere schulische Integration verweist - sie sind anstrengungsbereiter, fleißiger, weniger negativ verhaltensauffallig. Allerdings ist aus der Begabungsfor­schung bekannt, daß extreme Ausprägungen (sowohl weit unterdurchschnittliche als auch weit überdurchschnittliche Intelligenz) bei Jungen häufiger auftreten als bei Mädchen. Zudem können geschlechtsspezifische Tendenzen im Anmeldungsver­halten (zu einem achtjährigen Gymnasium) der Eltern und/oder im Vorschlagsver­halten der Grundschullehrer eine Rolle spielen. Einem Jungen traut man häufig mehr zu, ein Mädchen soll sich keinem zusätzlichen Risiko aussetzen usw. Diese sozialen Einstellungen können jedoch die größere Merkmalsheterogenität (z.B. in Intelligenz­testbefunden) der Jungen gegenüber Mädchen nicht plausibel erklären. Wahrschein­lich sind hierbei endogene und exogene Faktoren gemeinsam beteiligt (vgl. Heller, 1976, S. 85ff.).

Zusätzlich unterscheiden sich noch die Klassenumfange zwischen G8 und G9. Im achtjährigen Gymnasium bewegen sie sich zwischen 28 (Stuttgart) und 5 Schülern (Kirchzarten) je Klasse. In der Regel variieren die Klassenfrequenzen zwischen 15 und 20 Schülern, Klassen unterer Jahrgangsstufen sind bedeutend größer als die oberer Stufen. Im neunjährigen Gymnasium liegen sie zwischen 20 und 30 Schülern,

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Theoretische und methodische Grundlagen 61

extrem kleine Klassen kommen hier nicht vor. Die kleineren Klassen im G8 sind vor allem auf Anwerbeprobleme einzelner Schulstandorte zu Beginn des Schulmodell­versuchs zurückzuführen (etwa in Stuttgart als Großstadt gab es keine Probleme, ebenso nicht in Meersburg). Zusätzlich gingen später Schüler aus Leistungsgründen wie auch aus schulexternen Gründen (z.B. Umzug der Eltern) ab, ohne daß aus dem Regelgymnasium oder mobilitätsbedingt die gleiche Anzahl von Schülern nachträg­lich aufgenommen wurde (vgl. auch Kapitel 4 und 7).

Die Teilnahmequote an unserer Evaluationsstudie über alle Klassenstufen und Schulstandorte war bis kurz vor dem Abitur meistens sehr hoch, d.h. 90% aller Schüler des achtjährigen Gymnasiums nahmen an den jährlichen Datenerhebungen teil. Im Regelgymnasium war die Beteiligungsrate etwas geringer (rd. 80%). Aller­dings ging die Testmotivation der Schüler des achtjährigen Gymnasiums mit zuneh­mender Dauer der Studie etwas zurück, ohne daß sich dies auch in den Testergeb­nissen bemerkbar machte (vgl. Kapitel 4). Die meisten Tests waren nun schon be­kannt, der Neuigkeitswert ließ nach.

Untersuchungsansatz der wissenschaftlichen Begleitforschung

Der Schulmodellversuch "Achtjähriges Gymnasium" wandte sich an überdurch­schnittlich begabte Schüler mit Gymnasialeignung. Es sollten diejenigen Schüler ge­fördert werden, die im üblichen neunjährigen Regelgymnasium nicht ausreichend ge­fordert werden, deren Begabungs- und Persönlichkeitsentwicklung von einer Verkür­zung der Schulzeit und einer inhaltlichen Anreicherung des Curriculums sowie einer anspruchsvolleren, stärker selbständiges und entdeckendes Lernen unterstützenden Unterrichtsmethodik profitiert. Der G8-Schulmodellversuch wandte sich explizit an die Begabungs- und Leistungsspitze eines Gymnasialjahrgangs, deren Entwicklungs­potential sich bei herkömmlichem Unterricht - mit für begabtere Schüler zu häufigen Wiederholungen, zu langsamem Fortschreiten im Stoff, inhaltlicher Unterforderung und didaktisch eher am Durchschnitt orientierten Unterrichtsformen - häufig nicht voll entfalten kann. Durch eine anregungsreiche, besonders befähigte Schüler heraus­fordernde Lernumwelt, die vor allem in fähigkeits- und leistungshomogeneren Lern­gruppen realisierbar ist (vgl. Kapitel 1 und 9), sollen deren kognitiven Kompetenzen voll entwickelt und die sozial-emotionale Persönlichkeitsentwicklung gefördert werden. Die Erreichung dieses Ziels läßt sich über die Messung entsprechender Merkmalsveränderungen überprüfen. Zur Analyse von Veränderungen sind Meß­wiederholungen mittels identischer Instrumente notwendig, um über InputJOutput­Vergleiche die erhofften Treatmenteffekte erfassen zu können (vgl. S. 50f. in diesem Buch sowie ausführlicher Hany, 1988). Resultate zum ersten Meßzeitpunkt erlauben auch einen Rückschluß auf die Qualität der Rekrutierung der Schüler (Browne­Miller, 1991): Wurden die "richtigen", d.h. besonders befähigten und lei­stungsstarken Schüler angesprochen bzw. erfaßt?

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Um Entwicklungen im Kindes- und Jugendalter untersuchen zu können, reichen zwei Meßzeitpunkte nicht aus. Entwicklungen verlaufen in diesem Zeitraum schnell, Entwicklungssprünge können vor allem zu Beginn der Gymnasiallautbahn (z.B. durch eine veränderte Lemumwelt) und während der Pubertät (individuelle Entwick­lungsprozesse in Wechselwirkung zur sozialen Umwelt) auftreten. Um diese einiger­maßen eindeutig zu identifizieren, sind zumindest jährliche Messungen (Rete­stungen) erforderlich.

Solche Veränderungen können jedoch auch durch den Besuch besonders Beflihig­ter des Regelgymnasiums und/oder den Testeinsatz hervorgerufen werden. Um Ver­änderungen als Wirkungen im Sinne von Treatmenteffekten interpretieren zu kön­nen, war es deshalb notwendig, neben den Gymnasiasten im G8 auch eine Kontroll­gruppe gleich- vs. andersbefahigter Schüler im G9 zur Überprüfung dieser Effekte heranzuziehen (vgl. VanTassel-Baska, Willis & Meyer, 1989).

Neben quantitativen Indikatoren, die sich auf kognitive und nichtkognitive Schü­lermerkmale beziehen, ließen sich auch qualitative Daten zur Bewertung des Schul­modellversuchs und der Schülerentwicklung berücksichtigen. Freie Einschätzungen zu offenen Fragen auf Schüler-, Eltern- und Lehrerseite erlaubten, auch solche As­pekte anzusprechen, die in den geschlossenen Fragen nicht thematisiert worden waren. Damit lassen sich nicht im voraus vermutete, d.h. hypothetisch erwartete Aus­wirkungen des G8-Förderprogramms einschließlich unerwünschter Nebenwirkungen erfassen (vgl. Lange, 1983; Silky & Readling, 1992).

Neben kognitiven und nichtkognitiven Persönlichkeitsmerkmalen sowie Einstel­lungen und sozialen Verhaltensmerkmalen der Schüler im achtjährigen vs. neun­jährigen Gymnasium wurde auch das Schulmodell selbst mit relevanten organisato­risch-strukturellen Merkmalen als institutionelle Bedingungskomponente in die wis­senschaftliche Begleituntersuchung einbezogen. Beurteilungen des G8 vs. G9 durch Eltern, Lehrer und Schüler in Fragebögen mit offenen und geschlossenen Fragen sowie in Interviews liefern entsprechende Erfahrungswerte aus der Sicht der Betei­ligten, die vor allem Ansatzpunkte für die formative Evaluation bieten. Schulmodell­versuche wie die des G8 für überdurchschnittlich begabte Gymnasiasten dürfen nicht nur hinsichtlich einzelner Evaluationsmaße bewertet werden. Wegen der Komplexi­tät des Evaluationsgegenstands müssen multiple Kriterien sowie multimethodale An­sätze Berücksichtung finden (zum Evaluationsmodell siehe S. 48ff.). Die wichtigste Informationsquelle stellen die Schüler dar, wobei vor allem die proximalen Persön­lichkeitsmerkmale hier bedeutsam werden. Veränderungen können jedoch manchmal besser aus einer externen Beobachterperspektive wahrgenommen werden. Hierzu zogen wir Einschätzungen der Schüler durch Eltern und Lehrer heran, die vor allem relevante Informationen zu den distalen Merkmalen beisteuerten. Bei der G8-Unter­richtseinschätzung sollten die Lehrer ihre Beobachtungen auch im Vergleich zum Regelgymnasium (G9) festhalten.

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Theoretische und methodische Grundlagen 63

Wie bereits angedeutet, können unerwünschte Nebeneffekte eines Schul- oder Förderprogramms auftreten (Hany, 1988; Hübner & Hager, 1998). So war es nicht von vorneherein auszuschließen, daß durch den Besuch des achtjährigen Gymna­siums oder durch den Kontakt mit anderen Hochbegabten die Selbsteinschätzung eigener Fähigkeiten leidet (vgl. Moon et al., 1994; Marsh et al., 1995). Die Messung möglicher nichtintendierter Effekte wurde deshalb bei der Auswahl des Meßinstru­mentariums berücksichtigt.

Einzelne Testskaien oder Fragebogenteile können sich im Laufe der wissenschaft­lichen Begleitung über 10 Jahre, z.B. allein schon aus Altersgründen der Schüler, als unbrauchbar oder unergiebig herausstellen. Durch unerwartete Ergebnisse können neue Fragen auftauchen und den Austausch einzelner Skalen nahelegen. Das einge­setzte Instrumentarium wurde deshalb im Verlauf des Evaluationszeitraumes teil­weise einer Modifikation unterzogen, wobei jedoch auf die inhaltliche Validität der ausgetauschten Skalen geachtet wurde, um inhaltlich äquivalente Meßergebnisse zu erhalten.

Den Eltern wurde wie in anderen Evaluationsprojekten (Rindermann & Heller, 1998) eine Rückmeldung der Ergebnisse in kollektiver Form (Gruppenmittel) und in­dividuell (Einzelberatung) angeboten. In besonderen Fällen wurde auf schulpsycho­logische oder Erziehungs-Beratungsstellen verwiesen.

Tabelle 5: Methodische und organisatorische Aspekte der wissenschaftlichen Begleitung des achtjährigen Gymnasiums im Überblick.

1. Veränderungsmessung und Längsschnittstudie 2. Experimental- und Kontrollgruppendesign 3. Querschnitts- und Längsschnittsvergleiche 4. Erhebung quantitativer und qualitativer Indikatoren 5. Erfassung von Schüler- und Unterrichtsmerkmalen 6. Messung multipler Determinanten und Bestimmung von Effektmaßen (Lernvoraussetzungen,

Lernorganisation, Lernumwelt, Curriculum, Lernergebnisse) 7. Berücksichtigung kognitiver, nichtkognitiver und sozialer Merkmale 8. Fokussierung auf die kognitive und nichtkognitive Schülerentwicklung 9. Schüler, Eltern und Lehrer als Informationsquellen

10. Beachtung intendierter und nichtintendierter (unerwünschter) Effekte 11. Laufende Modifikation und Optimierung des Meßinstrumentariums 12. Kollektive Rückmeldung an Lehrkräfte sowie (ältere) Schüler und Eltern 13. Individuelle Rückmeldung an Eltern und bei älteren Schülern an die Schüler 14. Jährliche (insgesamt 9) Zwischenberichte an das Kultusministerium und kurzgefaßte

BroschUren rur Eltern und Lehrkräfte 15. Abschlußbericht (d.h. der 10. Bericht ist identisch mit dieser Buchpublikation)

Evaluationsfragestellung

Für die wissenschaftliche Begleitung des G8-Schulmodellversuchs waren folgende Fragen von übergreifender Bedeutung (siehe auch Evaluationsmodell aufS. 49):

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• Aufnahmeverfahren: Gelang es durch Information und Auswahlverfahren, die richtigen Schüler fiir das achtjährige Gymnasium zu gewinnen? Welche sind die richtigen Schüler? Die überdurchschnittlich und/oder hochbegabten Schüler, auch wenn sie (in seltenen Fällen) nicht angemessene Schulleistungen erzielen (Minderleister bzw. begabte Underachiever) und im Verhalten schwierig sind, oder die hochleistenden Schüler? Durch welche Merkmale zeichnen sich die G8-Schüler aus? Eine Erwartungshypothese war, daß sich die G8-Schüler im Vergleich zu G9-Schülern durch überdurchschnittliche bzw. (sehr) hohe und in­nerhalb der Klassen durch homogenere Fähigkeiten auszeichnen, durch bega­bungs- und leistungsspezifische nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale (z.B. ausgeprägte Interessen, starke Arbeitsmotivation, geringe Prüfungsängstlichkeit) positiv auffallen, in begabungs- und leistungsunspezifischen Bereichen (Sozial­verhalten, Sport usw.) aber im gymnasialen Durchschnittsbereich liegen.

• Fähigkeitsentwicklung: Schüler im achtjährigen Gymnasium sollten sich durch überdurchschnittliche kognitive/intellektuelle Fähigkeiten auszeichnen. Wird durch das achtjährige Gymnasium lediglich eine begabungshomogenere, über­durchschnittliche Gruppe (ohne spezifische Lernleistungseffekte ) beschult, oder wird deren Fähigkeitsentwicklung durch den Unterricht am achtjährigen Gymna­sium augmentiert? Im Zusammenhang damit steht eine weitere Hypothese, wonach durch die höheren Anforderungen, den schnelleren Unterrichts fortschritt, die homogeneren Lerngruppen und die anspruchsvolleren, auf das individuelle Begabungsniveau zugeschnittenen Unterrichtsformen eine günstigere, d.h. schnellere und im Endniveau höhere Fähigkeitsentwicklung zu erwarten sein sollte.

• Persänlichkeitsentwicklung: Unterscheiden sich begabte Schüler von durch­schnittlichen in ihrer Persönlichkeit? Hierzu gibt es in der Forschung recht unter­schiedliche Annahmen. Ausstrahlungsthese: Diese unterstellt, daß hohe Intelli­genz und damit einhergehend besseres alltägliches Problemlösen sowie positive Schul- und Leistungserfahrungen und bestätigende Rückmeldungen aus der Umwelt bei Begabten zu einer allgemein günstigen Persönlichkeitsentwicklung führen. Licht-und-Schatten-Hypothese: Danach gehen hohe intellektuelle Bega­bungen auf grund asynchroner Entwicklung mit Defiziten im Persönlichkeits­bereich und im Sozialverhalten einher (auch unter der Bezeichnung als Disharmonie- oder Divergenzhypothese bekannt). Soziale DifJerenzhypothese: Aufgrund ihrer (kognitiven) Verschiedenheit sollten Hochbegabte weniger in der Gleichaltrigengruppe und in sozialen Institutionen (Kindergarten, Schule, Hoch­schule, Beruf, Vereine) integriert sein, da Schulanforderungen und individuelle Bedürfnisse, Interessen und Entwicklungsstand Gleichaltriger und Begabter schlechter zusammenpassen. Dies fuhrt aufgrund nachfolgender sozialer Lern­defizite zu einer ungünstigen sozialen und Persönlichkeits-Entwicklung besonders Begabter. Unabhängigkeitsthese: Danach entwickeln sich kognitive Fähigkeiten und nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale unabhängig voneinan-

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Theoretische und methodische Grundlagen 65

der. Begabte würden sich also weder auf grund innerer Entwicklungsprozesse noch auf grund eventuell vorhandener unterschiedlicher Entwicklungserfahrungen in ihrer Persönlichkeit und im Sozialverhalten von anderen Personen unter­scheiden.

Wir gingen davon aus, daß sich überdurchschnittlich und durchschnittlich Be­gabte in fähigkeitsirrelevanten Bereichen (z.B. allgemeiner Ängstlichkeit) nur dann unterscheiden, wenn besondere soziale Bedingungen (etwa Stigmatisierung wegen guter Schulleistungen) vorliegen. Aufgrund des Schulmodellversuchs sollten aber gerade diese minimiert werden. Deshalb wurde bei Schülern des G8 auf grund einer begabungsgerechteren Lernumwelt im Vergleich zum G9 eine eher günstigere Persönlichkeitsentwicklung erwartet.

• Sozialverhalten: Unterscheiden sich begabte Schüler im Sozialverhalten von anderen? Haben Begabung, Leistung und Schulform (G8 vs. G9) einen Einfluß auf das Sozial verhalten innerhalb einer Klasse und zwischen den Klassen der ver­schiedenen Züge am Gymnasium? Kam es zu ausgeprägterem Konkurrenz­verhalten oder zu einem besonders guten Klassenklima auf grund des Bewußt­seins, an einem Schulmodellversuch fiir sehr gut befähigte Gymnasiasten teilzu­nehmen? Unsere Hypothese war, daß sich im Sozialverhalten keine Unterschiede zwischen überdurchschnittlich begabten Schülern im G8 vs. G9 zeigen. Kinder und Jugendliche sind nicht nur Schüler eines Gymnasiums, sie sind auch Kinder, Geschwister, Vereinsmitglieder, Nachbarschaftsjungen und -mädchen, sie sind also in vielerlei sozialen Bezügen verankert; der Einfluß der Schulform ist hier nicht dominant. Allerdings erwarteten wir, daß Stigmatisierungen aufgrund von Begabung und Leistung im G8 deutlich seltener auftreten als im G9 oder gar in der Grundschule (Begründung: fähigkeitshomogenere Klassen, institutionelle und stärkere individuelle Wertschätzung von Begabung und Leistung).

• Unterricht: Unterscheidet sich der Unterricht im achtjährigen Gymnasium von dem des neunjährigen? Verändern Lehrer inhaltlich und methodisch ihren Unter­richt? Werden besondere, begabungsspezifische und innovative Unterrichts­formen eingesetzt? Wie wirken diese auf Schüler und wie nehmen sie die Eltern wahr? Unsere Hypothese lautete hier, daß der Unterricht im achtjährigen Gymna­sium auf grund der höheren Schülerfähigkeiten zügiger voranschreitet, anspruchs­voller gestaltet werden kann und weniger Wiederholungen notwendig sind. Aller­dings bestand hinsichtlich der Umsetzung innovativer Lehr-Lern-Konzepte (z.B. selbständigen Lernens, entdeckenden Lernens, fächerverbindenden Unterrichts) auf grund von Erfahrungen in anderen Förderprogrammen eine gewisse Skepsis, einerseits wegen der fehlenden Ausbildung der Lehrer hierfür, andererseits weil diese in beiden Schulformen (G8 und G9) des Gymnasiums unterrichteten. Schließlich waren auf grund allgemein starker (institutioneller und persönlicher) Beharrungskräfte in Unterrichtsorganisation und Unterrichtshandeln keine sehr deutlichen Effekte hier zu erwarten.

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• Lernumjeldbedingungen: Unterscheiden sich die häuslichen Lernumfeldbedin­gungen zwischen achtstufigen und neunstufigen Gymnasiasten? Welche Unter­schiede bestehen zwischen überdurchschnittlich und durchschnittlich begabten Gymnasialschülern? Wie sehen die Anregungen im Elternhaus, der Bildungssta­tus und die Berufstätigkeit der Eltern, das Freizeitverhalten der Kinder und Ju­gendlichen aus? Wie viele Geschwister haben die Schüler, wie alt sind die Eltern, aus welcher Sozialschicht stammen sie? Die aus anderen Hochbegabungsstudien begründete Hypothese war, daß die G8-Schüler als besonders Beflihigte vorwie­gend aus bildungsnahen Elternhäusern stammen. Begabung und Schulleistung kovariieren mit Bildungsnähe, der Berufstätigkeit und dem Sozialstatus der Eltern, zum einen aufgrund der Interkorrelation von Bildungsnähe, Berufs­tätigkeit und Sozialstatus, zum anderen aufgrund der besonderen Anregungen und Förderung, die solche Eltern außerschulisch bereitstellen, und schließlich aufgrund der genetischen Verwandtschaft zwischen Eltern und Kindern.

• Schulleistungsentwicklung (Schulnoten): Intelligenz - allgemeine und bereichs­spezifische kognitive Begabung - stellt den besten Prädiktor zur Vorhersage von Schulleistung dar. Deshalb sollten die G8-Schüler als besonders Beflihigte auch gute oder sehr gute Schul leistungen erzielen. Allerdings sind bei Schulnoten als Leistungsindikatoren Referenzrahmeneffekte nicht unüblich; gute Schüler haben es in guten Klassen bei gleicher oder sogar noch besserer Schulleistung schwerer, zu guten Schulnoten zu kommen. Doch die Lehrkräfte unterrichteten immer in beiden Zügen des Gymnasiums, an dessen Ende ein Zentralabitur von beiden Schülergruppen zeitgleich (im 12. bzw. 13. Schuljahr) abzulegen war. Referenz­rahmeneffekte sollten deshalb nicht sehr groß sein.

Methodenkritisch wäre noch anzumerken, daß durch die Fokussierung der Evalua­tionsstudie auf Auswirkungen des G8-Modells in bezug auf die Begabungs- und Leistungs- sowie Persönlichkeitsentwicklung der Schüler andere mögliche Frage­stellungen nicht mit gleicher Intensität bearbeitet werden konnten, z.B. (1) Unter­richtsbedingungen im Vergleich G8/G9 und Unterrichtsforschung unter dem Aspekt des optimalen Unterrichts für hochbegabte Schüler; (2) Unterrichtsinhalte und Cur­riculum in ihrem Einfluß auf die Förderung von Begabung und Persönlichkeit hoch­begabter Schüler.

Die Schulleistung wurde hier nur per Schulnoten erhoben, nicht durch objektive Schulleistungstests (vgl. Heller & Hany, 2001). So könnte man alternativ zu Schul­noten den Schulleistungsstand mit Hilfe curricular valider Schulleistungstests messen, die genau diejenigen Leistungsbereiche abdecken, die gemäß Curriculum im achtjährigen (und neunjährigen) Gymnasium unterrichtet werden. Oder man könnte Kemkompetenzen in verschiedenen Inhaltsbereichen erheben, die für Schule und Studium bzw. Beruf und darüber hinaus für das spätere Leben allgemein relevant sind. Ersteres entspräche dem Ansatz der TIMS-Studie (Baumert, Bos & Lehmann, 2000), letzteres der PISA-Studie (Deutsches PISA-Konsortium, 2001). So wäre zu prüfen, ob begabte Gymnasiasten mit vergleichbaren Eingangsvoraussetzungen im

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achtjährigen Gymnasium gleich viel oder sogar mehr in kürzerer Zeit lernen als im neunjährigen Gymnasium. Dies könnte als weiteres wichtiges Erfolgskriterium fiir den Schulmodellversuch definiert werden. Hier ist aber der Verzicht auf Schul­leistungsmessungen (aus Zeitgründen) und stattdessen die Heranziehung der Schul­noten weniger gravierend als etwa bei einem Vergleich von Schulleistungen zwi­schen verschiedenen Bundesländern, z.B. mit und ohne Zentralabitur, oder von Schultypen innerhalb eines Bundeslandes ohne Zentralabitur (vgl. Kapitel 7 sowie Köller, Baumert & Schnabel, 1999): Durch Unterrichtung zweier Züge innerhalb eines Gymnasiums durch die gleichen Lehrkräfte, die überwiegend gemeinsame Be­schulung in der kurs gebundenen Oberstufe (Kollegstufe) und durch das Zentralabitur (gleiche Aufgaben, objektivierte Bewertung) wird ein relativ einheitlicher Noten­maßstab - sowohl für G8- als auch fiir G9-Schüler - in Baden-Württemberg ge­währleistet. Deshalb können hier die Noten als einigermaßen zuverlässiger, ver­gleichskräftiger Indikator für Schulleistungen betrachtet werden; für Vergleiche mit Schülern außerhalb Baden-Württembergs taugen sie aber wegen teilweise erheblicher Maßstabsverzerrungen dort (vgl. Köller, Baumert & Schnabel, 1999) nicht ohne weiteres.

Unterrichtsbedingungen und -methoden wurden aus Schüler-, Lehrer- und Eltern­sicht in allen Klassenstufen des achtjährigen und neunjährigen Gymnasiums beur­teilt. Aussagen über Unterrichtsmethoden, Lehr-Lernkonzepte, Unterrichtsziele und einzelne Unterrichtsmerkmale sind deshalb möglich. 1 Allerdings hätte man durch Unterrichtsbeobachtung und eine differenziertere Analyse einzelner didaktischer Methoden womöglich noch mehr über die Unterrichtsgestaltung erfahren und erfor­derlichenfalls weitere Verbesserungen vorschlagen können. Aus verschiedenen Gründen, nicht zuletzt um Unterrichtsstörungen (etwa durch Unterrichtshospitatio­nen und/oder Unterrichtsaufzeichnungen) zu vermeiden, konnten solche Maßnahmen nicht realisiert werden.

Schließlich waren auch eingehende Analysen des Curriculums, der Inhalte des Lehrplanes und deren zeitliche und fachliche Anordnung in Beziehung zu einzelnen Unterrichtsmethoden sowie den Fähigkeits- und Persönlichkeitsausprägungen der Schüler aus Aufwandsgründen hier nicht möglich gewesen. So ließen sich nicht alle desiderablen Fragestellungen in angemessener Breite und Intensität bearbeiten.

I Aus Lehrersicht: Kooperation und Beziehung zwischen Lehrern und Schülern, Unterrichtsstörungen, Anforderungshöhe, Klassenhomogenität, Klassenklima. Aus Schülersicht: Interesse am Unterrichtsfach, Angemessenheit der Anforderungen, direkte Instruktion als Unterrichtsmethodik, entdeckendes, selbständiges Lernen, Beteiligung am Unterricht, Störungen, kompetitive Motivation, Schul- und Klassenklima, körperliche Auseinandersetzungen, Kooperation. Aus Elternsicht: Klassenklima, Zufriedenheit mit dem Gymnasium, Verbesserungsvorschläge, Inhalte und Formen des Unterrichts sowie Lehrer, Fördermaßnahmen. Ausführlicher vgI. die im Anhang beigefiigten Fragebögen!

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Untersuchungsvariablen und deren Operationalisierung

Zur Erhebung der untersuchungsrelevanten Merkmale wurden größtenteils publi­zierte Verfahren eingesetzt. Darüber hinaus kamen neben selbstentwickelten Instru­menten auch solche zum Einsatz, die sich bereits im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der baden-württembergischen Arbeitsgemeinschaften zur Förderung be­sonders befähigter Sekundarstufenschülerlinnen (Hany & Heller, 1992) sowie in der Münchner Hochbegabungsstudie (Heller, 1992, 22001 ) bewährt hatten. Schulleistun­gen wurden ex post über die Zeugnisnoten erfaßt.

Tabelle 6: Übersicht über die eingesetzten Meßinstrumente, deren Erfassungsdimensionen und Informationsquellen sowie Zeitaufwand und Klassenstufeneinsatz.

Instrument Autoren Erfassungsdimensionen Informa- Zeitbe- Einsatz tionsquelle darf (Klasse)

Kognitiver Heller, - Verbale Denkflihigkeiten Schüler ca. 70 5. -12. KI. Fähigkeitstes Gaedike & - Quantitative Denkflihigkeiten Min. t (KFT 4-13), Weinläder - Nonverbale (z.B. technisch-Kurzform e1985) konstruktive) Denkflihigkeiten

- Allgemeinbegabung, Fähig-keitsniveau

Advanced Kratzmeier - Logisches Denken SchUler ca. 40 9.,10. KI. Progressive & Horn Min. Matrices (1980) (APM) Denksporttest Lienert - Schlußfolgerndes, logisches Schüler ca. 40 8., 11. KI. (DST) (1964) Denken Min. Aufgaben Brox - Allgemeine Problemlöse- Schüler ca. 50 5.,6. KI. zum produk- (1991) leistung Min. tiven Denken - Schlußfolgerndes Problem-(APO) lösen

- Kreatives Problem lösen Zahlenver- Oswald& - Informationsverarbeitungs- Schüler ca. 5 7.,9.,10. bindungstest Roth geschwindigkeit (basale, Min. K\. (ZVT) (1978) kognitive Leistungsge-

schwindigkeit) Kodierungs- Sitzwohl - Informationsverarbeitungs- Schüler ca. 15 9.,10. K\. Test (1995) geschwindigkeit (basale, Min. (KOT) kognitive Leistungsge-

schwindigkeit) Berliner Jäger, Süß - Einfallsreichtum Schüler ca. 35 12. K\. Intelligenz- & Min. struktur-Test Beauducel (BIS) (1997) Verbaler Schoppe - Sprachliche Kreativität Schüler ca. 10 7.,9., 11. Kreativitäts- (1975) Min. K\. test (VKT) Verwen- Facaoaru - Praktische Kreativität Schüler ca. 15 7.,9., 11. dungstest ( 1985) Min. K\. (VWT)

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Theoretische und methodische Grundlagen 69

Angstfrage- Wieczer- - Manifeste Angst Schüler ca. 20 5. -10. bogen rur kowski et - Prüfungsangst Min. K!. Schüler a!. - Schulunlust (AFS) (1979) - Soziale Erwünschtheit (der

Antworten) Fragebogen Gärtner- - Schulangst Schüler ca. 15 11.,12. K!. rur Schüler Harnach et Min. (FS 11-13) a!. (1972) Leistungs- Hermans, - Leistungsstreben Schüler ca. 20 10., 11., 12 motivations- Petermann - Ausdauer und Fleiß Min. K!. test & Zielinski - förderliche Prüfungsangst (LMT) (1978) - hemmende Prüfungsangst

Fragebogen Münchner - Hoffnung auf Erfolg Schüler ca. 15 5.,7., II zum Erfassen Längs- - Furcht vor Mißerfolg Min. K!. von schnitt- - Leistungsstreben Leistungs- studie motivation (Heller, bei Schülern 22001) (LM-S) Fragebogen Lehwald - Erkenntnisstreben Schüler ca. 20 5.,6.,10., zum Erfassen (\981) Min. 12. K!. des Erkennt-nisstrebens (FES) Anstren- Rollett & - Schulbezogene Anstrengungs- Schüler ca. 10 8.,9.K!. gungsver- Bartram vermeidung ("Faulpelzsyn- Min. meidungstest (1977) drom") (AVT) - Leistungsbereitschaft

("Pflichteifer") Fragebogen Widdel - Attributionsmuster eigener Er- Schüler ca. 45 5.,6.,7. zur Attribu- (1977) folge und Mißerfolge Min. K!. ierung von Erfolg und Mißerfolg in der Schule (AEM) Attributions- Stiens- - Attributionsstil (Lokation, Schüler ca. 30 8.K!. stil-Frage- meier- Stabilität, Globalität) Min. bogen rur Pelster et Kinder und a!. Jugendliche (1994) (ASF-KJ) Arbeits- Thiel, - 20 Dimensionen des Lern- und Schüler ca. 40 10., 11., 12 Verhaltens- Keller & Arbeitsverhaltens (u.a. An- Min. K!. Inventar Binder spruchsniveau, Bedürfnisauf-(AVI) (1979) schub, Erfolgsmotivation,

Lernmotiviertheit, Einstellung zur Schule usw.)

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70 Kurt A. Heller, Ralph Reimann & Heiner Rindermann

Fragebogen MUnchner - Allgemeiner Selbstwert Schüler ca. 30 5.,7.,8.,9. zum Arbeits- Längs- - Akademisches (schulisches) Min. Klo verhalten von schnitt- Selbstkonzept Schülern in studie - Kausalattribution derSekun- (Heller, - Prüfungsangst darstufe ~001) - Prüfungssorgen (AV-S) - Allgemeine Angst

- Stabilität der Denkabläufe in Streßsituationen

- Arbeitseinteilung - Aufmerksamkeitssteuerung

Selbstkon- Petersen et - Entwicklungsziele Schüler ca. 30 8.,9. Klo zeptfrage- al. (1984) - Erfolgszuversicht Min. bogen rur - Eltern-Beziehung Jugendliche - Gleichaltrigen-Beziehung (SKFJ) - Impulskontrolle

- Körperbild/ Attraktivität - Emotionale Stimmung

Selbstwirk- Jerusalem - Uberzeugungen subjektiver Schüler ca. 15 8., 10. Klo samkeits- & Kontrollierbarkeit bzw. Kom- Min. fragebogen Schwarzer petenzerwartungen in verschie-(SWIRK.) (1986) denen Anforderungssitua-

tionen (Schule und allgemein) Selbstbe- Hörmann - Verschiedene Dimensionen der Schüler ca. 15 10.,12. Klo schreibungs- (1986) Selbstbeschreibung (u.a. Min. fragebogen Sprachliche Kompetenz, Ma-(SDQ-III-G) thematische Kompetenz, Aka-

demische/schulische Kompe-tenz, emotionales Selbstkon-zept, Selbstwert)

Fragebogen Münchner - Soziale Kompetenz (Führungs- Schüler ca. 10 5.,6.,10., zur Sozialen Längs- eigenschaften, Konfliktlöse- Min. 12. Klo Kompetenz schnitt- flihigkeit, assertiver Selbst-bei Sekun- studie ausdruck) darstufen- (Heller, schülern 22001) (SK-S) 16-Persön- Schnee- - 16 Persönlichkeits faktoren Schüler ca. 30 11. Klo Iichkeitsfak- wind, (Sach- vs. Kontaktorientie- Min. toren-Test Schröder & rung, konkretes vs. abstraktes (16 PF) Cattell Denken, innere Ruhe vs.

(1994) innere Gespanntheit usw.) NEO-Fünf- Borkenau - Neurotizismus Schüler ca. 15 12. Klo Faktoren & - Extraversion Min. Inventar Ostendorf - Offenheit rur Erfahrung (NEO-FFI) (1993) - Gewissenhaftigkeit

- Verträglichkeit Schulklima- Münchner - Verschiedene Dimensionen Schüler ca. 10 9. -12. Kl. Skalen Längs- des Schul- und Klassenklimas Min. (SKL) schnitt- (u.a. Kooperation zwischen

studie Schülern, Konkurrenzverhal-(Heller, ten, Leistungsdruck im Unter-22001) richt)

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Theoretische und methodische Grundlagen 71

Fragebogen Eigen- - Unterrichtsmethode Schüler ca. 60 5.-12. KI. zur Unter- entwick- - Unterrichtsziele Min. richtsein- lung - Bewältigung des Unterrichts-schätzung stoffes

- Klima und Kooperation Fragebogen Eigen- - Intensität von Freizeitaktivi- Schüler ca. 10 9.-12.KI. zum Freizeit- entwick- täten Min. verhalten lung Fragebogen Eigen- - Zukunftspläne Schüler ca. 5 12. Klasse zur Abi- entwick- - Zukunftsprognose Min. turienten- lung - Retrospektive Bewertung der selbstein- eigenen Schullaufbahn schätzung Fragebogen Eigen- - Einschätzung der Unterrichts- EItern ca. 40 generell zum entwick- situation Min. Unterricht lung - Privates Lernumfeld Fragebogen Eigen- - Art der Aktivität Eltern ca. 60 generell zum Freizeit- entwick- - Niveau (Qualität) Min. verhalten der lung - Intensität Schüler - Typische Freizeitaktivitäten Fragebogen Eigen- - Beurteilung positiver wie Eltern ca. 10 generell zumG8 entwick- negativer Effekte des G8 Min. allgemein lung Fragebogen Eigen- - Unterrichtsklima Lehrer ca. 40 generell zur entwick- - Lehrmethode Min. Unterrichts- lung - Lernziele einschätzung - Selbständigkeitsorientierung

- Kommunikation und Koopera-tion im Unterricht

Fragebogen Eigen- - Empfehlung rur weitere Lauf- Lehrer ca. 10 bezogen zur entwick- bahn (Karriere) Min. auf Einschätzung lung - Zukunftsprognose Abiturjahr-jeweils eines - Retrospektive Bewertung der gang Abiturienten Laufbahn eines Abiturienten

Aus Platzgründen können hier nicht alle im Rahmen der zehnjährigen G8-Evalua­tionsstudie zu den einzelnen (insgesamt 10) Meßzeitpunkten eingesetzten Fragebo­genvarianten (Eigenentwicklungen) wiedergegeben werden. Die am häufigsten ver­wendeten Eltem-, Lehrer- und Schüler-Fragebögen sind jedoch im Anhang dieses Buches dokumentiert.

Zu deren Meßqualität wie Testgütekriterien und Erfassungsdimensionen (Fak­torenstruktur) muß auf die einzelnen Zwischenberichte (vgl. Heller et al., 1993ff.) verwiesen werden. Weitere Methodeninformationen - auch zu den publizierten Test­und Fragebogenverfahren - sind den betr. Testrnanualen sowie Heller & Perleth (2000,2002), Perleth (2001a/b) und Reimann (2002) zu entnehmen. Da diese Publi­kationen fur methodisch interessierte Leser über den Buchhandel bzw. in den Fachbibliotheken zugänglich sind und um unnötige Redundanz zu vermeiden, werden in den folgenden Ergebniskapiteln nur gelegentlich (wo es zum Verständnis bzw. zur Interpretation der empirischen Befunde notwendig erscheint)

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Methodendetails mitgeteilt. Dies sollte nicht zuletzt der Lesbarkeit zugute kommen. Wichtige methodisch-statistische Fachtermini sind im Glossar (nach Kapitel 9) erläutert.

Methoden der Datenanalyse

Die herangezogenen Methoden der Datenauswertung werden in den folgenden Ab­schnitten kurz dargestellt. Zur Erläuterung wichtiger statistischer Begriffe sei auf das Glossar am Schluß des Buches verwiesen.

Im folgenden Kapitel 4 basieren die Aussagen auf statistischen Testungen (Va­rianzanalysen, je nachdem mit oder ohne Meßwiederholung), deren üblichen Kenn­werte (Freiheitsgrade, Prüf größe, Signifikanzniveau) innerhalb des Kapitels aus Gründen der Lesefreundlichkeit nicht mitgeteilt werden. Generell werden hier Be­funde bis zu einem Signifikanzniveau von p < .10 als beachtenswert angesehen. Ebenfalls vernachlässigt wird die Wiedergabe der arithmetisch konkreten Mittel­werte sowie Standardabweichungen der Merkmalsausprägungen; hier beschränkt sich die Präsentation auf die visuelle Darstellung der Ergebnisse in Form von Dia­grammen. Soweit in den Kapiteln 4 bis 6 bzw. 7 entsprechende Angaben fehlen, können diese Reimann (2002) entnommen werden, wo sie vollständig dokumentiert sind.

Neben der Testung auf statistische Signifikanz von Gruppenunterschieden (signi­fikante Differenz = kein zufälliger Unterschied) interessiert für die Befundinterpreta­tion noch das praktische Ausmaß von vorhandenen Differenzen. Zur Ermittlung dieser sogenannten Effektstärke wurden je nach Sachlage folgende Kennwerte be­rechnet (zu Spezifika der Effektstärkeberechnung vgl. Reimann, 2002): für direkte Gruppenunterschiede das Effektstärkernaß etcl (vgl. Hager, 2000a; Wolf, 1988, 2001), für die Stärke von Veränderungen innerhalb von Gruppen das Maß d (vgl. Hager, 2000b). Auch diese Werte werden in Kapitel 4 nicht arithmetisch mitgeteilt, sondern nur in verbal-deskriptiver Weise; diese können jedoch ebenfalls Reimann (2002) entnommen werden. Was als kleiner, mittlerer oder großer Effekt gelten kann, orientiert sich an den Ausführungen Cohens (1988).

Generell dürfte offenkundig sein, daß eine Feldstudie dieser Größenordnung mit einem vermutlich nicht unerheblichen "Datenrauschen" zu kämpfen hat und nicht alle methodisch-statistischen Voraussetzungen lückenlos erfüllt - ein Umstand, den man sich bewußt machen, aber auch nicht überbewerten sollte (vgl. Rost, 2000).

Spezialprobleme bei längsschnittlichen Evaluationsstudien

Eine mehrjährige Evaluationsstudie im Schulkontext ist natürlich nicht mit einem psychologischen Laborexperiment, bei dem man es mit umgrenzten und kontrollier-

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Theoretische und methodische Grundlagen 73

baren Bedingungen zu tun hat, zu vergleichen. Bergman & Magnusson (1990, S. 28) weisen zu Recht darauf hin, daß Längsschnittstudien generell ein "steiniger Weg" sind, denn es können verschiedene, auch unvorhersehbare, Schwierigkeiten auftreten. Diese Schwierigkeiten lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen. Zum einen be­stehen reine statistische Probleme (Probleme im Umgang mit den vorhandenen Daten; vgl. Schneider, 1989, 1991), zum anderen zeigen sich eher praktische Pro­bleme. Von praktischen Problemen, die im Rahmen der G8-Studie entstanden sind, sei abschließend noch kurz berichtet. Hierbei gehen wir auf den kumulativen Drop­out-Effekt, die Untersuchung von Drop-outs, die Verfügbarkeit von Vergleichs­gruppen, strukturelle Bedingungen sowie implizite Effekte der jährlichen Ergebnis­rückmeldungen ein.

Der kumulative Drop-out-Effekt beschreibt den Umstand, daß bei einer Unter­suchung über mehrere Meßzeitpunkte nicht immer alle Teilnehmerinnen und Teil­nehmer zu allen Erhebungszeitpunkten anwesend sind. Wenn eine Person an einem Erhebungstermin nicht teilnimmt, spricht man von einem "Drop-out" (siehe auch Ka­pitel 4). Obwohl Schülerpopulationen noch als die unproblematischste Untersu­chungsgruppe bei Längsschnittstudien gelten (Murphy, 1990), bestand auch bei der G8-Gruppe das Problem, daß zu jedem einzelnen Meßzeitpunkt zwar nur moderate Drop-out-Raten zu verzeichnen waren, diese aber sich kumulativ auswirken, d.h. auf summieren. Dieses allgemeine Problem wächst natürlich mit dem Umfang an Erhebungszeitpunkten und mündet unter Umständen in eine nur geringe Anzahl von Teilnehmern, für die lückenlose Angaben - hier über einen Zeitraum von acht Jahren pro Kohorte - existieren (vollständiger Datensatz). Wir gehen für die G8-Studie von 117 Schülerinnen und Schülern aus, die innerhalb der G8-Laufbahn das Abitur erlangt haben (nur 1. bis 3. Kohorte). Von dieser Gruppe nahmen zu jedem einzelnen Meßzeitpunkt jeweils einige wenige nicht an der Erhebung teil - dies waren in den ersten sechs Jahren durchschnittlich 15 Personen; erst in den letzten Jahren erhöhte sich diese Quote, bedingt durch die kollektive Nichtteilnahme einer Klasse. Trotz der jeweils moderaten Nichtteilnahmequote sind nur für 55 Schülerinnen und Schüler Angaben für alle acht Meßzeitpunkte verfügbar. Interessanterweise ist die entspre­chende Quote für Fragebogenverfahren, die außerhalb der Schule (zu Hause) auszu­füllen waren, nur unwesentlich geringer. Dies deutet darauf hin, daß diejenigen, die ausnahmslos an allen Erhebungen teilnahmen, engagiert genug waren, um auch die "privaten" Fragebögen zu beantworten und ihre Mitarbeit nicht auf die Testungen innerhalb der Schulzeit zu beschränken. Nichtsdestotrotz umfaßt diese Gruppe knapp die Hälfte der Ausgangspopulation. Will man diese Gruppe weiterhin aufteilen (z.B. nach Schulstandortzugehörigkeit), dann können die Größen der neu entstehenden Gruppen dramatisch abfallen.

Die Untersuchung der Drop-outs ist des weiteren aus inhaltlicher Perspektive re­levant - allerdings sind hier nun endgültige Drop-outs (also Personen, die ab einem bestimmten Zeitpunkt den G8-Zweig endgültig verlassen haben) gemeint. Diese Schülerinnen und Schüler stellen eine wichtige Informationsquelle dar, indem sie

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Hinweise geben, ob eher person- (z.B. Überforderung) oder eher umfeldspezifische (z.B. Unzufriedenheit mit den Bedingungen des Schulmodells) Ursachen fiir das Verlassen verantwortlich waren. Um ein realistisches Bild der Ausstiegsbedingungen zu erhalten, wäre eine nachträgliche Befragung erforderlich, bei der die entspre­chenden Schülerinnen und Schüler ihre jeweiligen Gründe darlegen könnten. Aller­dings ist die Durchführung solcher Interviews schwierig, denn die Schülerinnen und Schüler sind im nachhinein mitunter kaum mehr zu erreichen. Generell kommt hinzu, daß vermutlich nicht alle Abgänger zu einem retrospektiven Gespräch bereit wären, wodurch sich das Problem der Drop-out-Analyse gewissermaßen auf eine "höhere Ebene" verlagerte: Dann nämlich wäre zu fragen, ob die Angaben der kooperativen Abgänger repräsentativ für die Gesamtgruppe der Ausgestiegenen sind.

Die Verfügbarkeit von Vergleichsgruppen ist ein weiteres nicht zu unterschätzen­des Problem, denn erst mit der Heranziehung von Vergleichsdaten (Daten soge­nannter Kontrollgruppen) sind (programm-)spezifische Aussagen möglich. Bei einer zehn Jahre dauernden Studie ist eine adäquate Kontrollgruppenbildung kein einfach zu lösendes Problem. Im Rahmen der G8-Studie erlaubten organisatorisch-praktische Gründe Erhebungen in Vergleichsgruppen lediglich über drei Meßzeitpunkte hinweg (s. Tabelle 3 auf S. 59 oben), was als suboptimal zu bezeichnen ist. Generell ist bei der Untersuchung und Evaluation eines innovativen Schulmodells die Einsetzung eines aussagekräftigen Kontrollgruppendesigns kein simples Unterfangen, was nicht zuletzt an dem hiermit verbundenen immensen Aufwand oft scheitert (vgl. Heller & Reimann, 2002). Die sich aus wissenschaftlicher Perspektive ergebenden Erfordernisse sind häufig ressourcenbedingt nicht realisierbar - nahezu zwangsläufig kommt es zu einem "Wissenschaftlichkeits-Dilemma" (Patry & Hager, 2000).

Weiterhin problematisch bei der wissenschaftlichen Begleitung eines Schulmo­dellversuchs sind (unterschiedliche) Veränderungen in strukturellen Bedingungen. Im Rahmen der G8-Studie betraf dies in erster Linie die zwischen den Schulen vari­ierende Konzeption der (08-)Kollegstufe. Von der ursprünglichen Planung, einer bis zum Abitur durchgängigen, separaten 08-Laufbahn mit vier anstelle der zwei obliga­torischen Leistungskurse wichen zwei Schulen auf grund zu geringer Schülerzahlen ab. Die bei den anderen Schulen hielten jedoch am höheren Leistungskursvolumen sowie in zwei (bzw. drei) Fächern am getrennten 08-Unterricht fest. Ansonsten er­folgte nach der 10. Klasse umfassend eine Integration der 08-Schüler/innen in die 12. Jahrgangsstufe (Kollegstufe) des neunjährigen Oymnasialsystems. In den "an­spruchsvolleren" Schulen mit vier Leistungskursen (darunter verpflichtend Deutsch und Mathematik) bestand jedoch die Möglichkeit, durch offiziellen Ausstieg aus dem 08-Programm die vermehrten Anforderungen zu umgehen und hierbei dennoch mit der ersten Kollegstufe fortzufahren. D.h. auch diese Schülerinnen und Schüler er­langten das Abitur nach acht Jahren. Wie ist aus wissenschaftlicher Sicht mit dieser Oruppe umzugehen? Sind sie noch als 08-Schüler/innen zu werten, obwohl sie die an ihrer Schule bestehenden 08-Bedingungen umgehen? Durch diese unterschied­lichen Konzeptionen ist der Anspruch des 08-Modells "Förderung durch Forderung"

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Theoretische und methodische Grundlagen 75

in den Schulen unterschiedlich ausgeprägt. Somit sind verschiedene Bedingungsva­riationen entstanden, die letztlich dazu mhrten, daß die vor zehn Jahren gestartete Evaluationsstudie nicht mehr das G8-Modellprogramm untersucht, sondern verschie­dene Varianten desselben. Folglich wären innerhalb der G8-Population neue Sub­gruppen zu definieren, wollte man unterschiedliche Effekte isolieren. Dieses Vor­gehen erschien vor dem Hintergrund eines generell begrenzten Gruppenumfangs nicht unproblematisch, weshalb hier darauf verzichtet wurde.

Abschließend sei kurz über mögliche implizite Effekte der jährlichen Ergebnis­rückmeldungen nachgedacht. Nach jeder Erhebung erfolgte eine Rückmeldung der Zwischenergebnisse an Lehrer, Eltern und Schüler. Insbesondere die individuellen Rückmeldungen an die Schülerinnen und Schüler sind in ihren Auswirkungen nicht zu unterschätzen. Aufgrund der mitgeteilten persönlichen Ergebnisse haben sich die betr. Schülerinnen und Schüler möglicherweise anders verhalten: Vielleicht änderten einige grundlegend ihr Lern- und Arbeitsverhalten, vielleicht konzentrierten einige ihr Engagement auf Fächer, die mit ihren Fähigkeits- und Interessenschwerpunkten besser übereinstimmten und vernachlässigten damr andere Fächer, während wieder andere eventuell versuchten, ihre Mitarbeit nun gleichmäßiger zu verteilen. Eine weitere Gruppe ignorierte dagegen die Möglichkeit des individuellen Beratungs­gesprächs und gelangte somit erst gar nicht in den Besitz verwertbarer persönlicher Informationen. Die hierdurch bestehende Beeinflussung der Schülerschaft des Modellversuchs ist in Art und Umfang wohl kaum abzuschätzen. Hierzu wäre eine Art Meta-Evaluation erforderlich, die eben diese Effekte zu erfassen versucht - was auf seiten der Schülerinnen und Schüler eine hohe Fähigkeit zur Selbstreflexion und einen beachtlichen Willen zur Mitarbeit voraussetzt. Aber jede Teilnahme­bereitschaft stößt irgendwann an ihre Grenzen.

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KAPITEL 4

Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung im achtjährigen Gymnasium

Ralph Reimann

Einleitung

Das vorliegende Kapitel verfolgt die Frage, wie sich Personmerkmale und Lei­stungen der Schülerinnen und Schüler des G8 im Verlauf der Gyrnnasialzeit ent­wickeln. Die Auswahl der zu analysierenden Variablen orientierte sich hierbei an dem leitenden Untersuchungsmodell (s. Evaluationsmodell, S. 49). Es wurden eine Reihe kognitiver (Intelligenz bzw. kognitive Fähigkeiten, Kreativität) und nichtko­gnitiver Merkmale (Motivation, Leistungsemotionen, Selbstkonzept, Attribution, In­teresse, Lem- und Arbeitsverhalten, soziale Kompetenz, Persönlichkeitsvariablen i.e.S.) sowie die Schulleistungen (Zensuren, Abiturleistungen) untersucht. Die Unter­scheidung von motivationalen und anderen nicht-kognitiven Merkmalen ist aus theo­retischer Perspektive sicherlich diskutierbar (oft werden die Bezeichnungen "motiva­tional" und "nicht-kognitiv" synonym verwendet, z.B. von Helmke, 1992; Helmke & Weinert, 1997). Hier wird aus Gründen der Strukturierung die in Tabelle 1 nachste­hend wiedergegebene Einteilung beibehalten. Dort sind zusammenfassend die unter­suchten Merkmale und die zu ihrer Operationalisierung konkret erhobenen Variablen mit den zugehörigen Meßinstrumenten aufgeführt. Zum kompletten Meßinstrumenta­rium der Evaluationsstudie vgl. Tabelle 6 in Kapitel 3 (S. 68ff.).

Größtenteils erfolgte eine längsschnittliehe Analyse über mehrere Meßzeitpunkte hinweg. Bei verschiedenen Variablen waren jedoch aus organisatorischen Gründen nur wenige, bisweilen auch nur einmalige Messungen verfUgbar, so daß die Befunde stellenweise lediglich querschnittlichen Charakter aufweisen.

Untersuchte Schülergruppen

Die ersten drei Einschulungsjahrgänge oder Kohorten an den vier Testschulen reprä­sentieren hier die G8-Population. Bei einer Untersuchung mit acht Meßzeitpunkten pro Kohorte (verteilt über ebenso viele Jahre) kommt es zwangsläufig zu einem mehr oder weniger umfangreichen Datenausfall (drop-out). Dabei ist zwischen endgültigen Drop-outs (Personen nehmen ab einem bestimmten Zeitpunkt aus verschiedenen

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82 Ralph Reimann

Gründen nicht mehr an den Erhebungen teil) und temporären Drop-outs (Personen nehmen - ebenfalls aus verschiedenen Gründen - an einzelnen Erhebungen nicht teil) zu unterscheiden. Endgültige Drop-out-Fälle wurden in den Analysen ungeach­tet des Zeitpunktes ihres Verlassens des G8-Zugs (oder ihrer Entscheidung zur Nicht­teilnahme ) nicht berücksichtigt, d.h. die G8-Gruppe besteht aus Schülerinnen und Schülern, die erfolgreich das G8 einschließlich der Abiturprüfungen durchlaufen haben. Die Definition "erfolgreiche" Schülerinnen und Schüler orientiert sich an den Zeugnisdokumentationen der Schulen: Die hierin als "G8" ausgewiesenen Schüler­innen und Schüler gelten als erfolgreich und bilden die G8-Basisstichprobe.

Tabelle 1: Untersuchte Merkmale, repräsentierende empirische Variablen und Meßinstru­mente.

Merkmal

Intelligenz

Kreativität

Motivation

Leistungsemotion

Selbstkonzept

Attribution

Interesse

Repräsentante (empirisch erfaßte Variable)

~ Allgemeines intellektuelles Fähigkeitsniveau ~ Verbale Fähigkeiten ~ Quantitativ-mathematische Fähigkeiten ~ Nonverbale technisch-konstruktive Fähigkeiten

~ Verbale Kreativität ~ Einfallsreichtum (verbal, numerisch, figural)

~ Hoffnung auf Erfolg ~ Furcht vor Mißerfolg ~ Leistungsstreben ~ Ausdauer und Fleiß ~ Erkenntnisstreben ~ Anstrengungsvermeidung

~ Schulunlust ~ Allgemeine schulbezogene Angst ~ Negative Prüfungsangst ~ Lampenfieber ~ Angst vor dem Abitur

Meßinstrument (s. hierzu Kap. 3)

KFT KFT KFT KFT

VKT BIS

LMS LMS LMS LMT FES AVT

AFS AFS, FS 11-13 AFS,LMT FS 11-13 FS 11-13

~ Schulbezogene Selbstwirksamkeitserwartung SWIRK ~ Fähigkeitsselbstkonzept (akad., sprach!., mathe.) SDQ-III-G

~ Attributionsstil (verschiedene Dimensionen)

~ Interesse an verschiedenen Fächern

AEM

selbstentw . Fragebogen

Lern- und Arbeitsverhalten ~ Insgesamt 20 Dimensionen des Arbeitsverhaltens A VI

Soziale Kompetenz ~ Soziale Kompetenz

Persönlichkeitsprofile ~ Persönlichkeitsfaktoren i.e.S.

Schulleistung ~ Zensuren ~ Abiturleistungen

SKS

16PF, NEO-FFI

Zeugnis Zeugnis

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 83

Wie an anderer Stelle beschrieben (s. Kapitel 3), konnte auf mehrere Klassen aus dem Regelgymnasium (G9) als Vergleichsgruppe zurückgegriffen werden. Da vier verschiedene Kohorten jeweils über drei Meßzeitpunkte hinweg getestet wurden und es hierbei ebenfalls zu zwischenzeitlichen Nichtteilnahmen kam, erscheint auch im Falle der G9-Gruppen die Angabe der grundlegenden Stichproben sinnvoll. Im Ge­gensatz zu G8 beinhalten die Basisstichproben fiir das G9 jene Versuchspersonen, die zumjeweils ersten Meßzeitpunkt anwesend waren. Im Falle der jüngsten G9-Ko­horte (A) war dies die Messung in der 5. Klasse, im Falle der ältesten (D) jene in der 11. Klasse. Tabelle 2 informiert zusammenfassend über die Basisstichproben.

Tabelle 2: Umfang und Geschlechterverhältnis in den Basisstichproben.

Gruppe Gesamt Jungen Mädchen n n 0/0 n %

G8 117 65 55.6 52 44.4

5. KI. (Kohorte A) 64 28 43,8 36 56,3

G9 7, KI. (Kohorte B) 60 21 35,0 39 65,0

9, KI. (Kohorte C) 59 29 49.2 30 50,8

11, KI. (Kohorte D) 59 21 35,6 38 64,4

Die tatsächlich verfügbaren Stichproben wichen mitunter erheblich von den ge­nannten Stichprobenumfangen ab, wofiir verschiedene Faktoren verantwortlich sind. Manche Tests und Fragebogen bearbeiteten die Schülerinnen und Schüler unter Auf­sicht in der Schule, einige Fragebögen jedoch ließen sich privat zu Hause beantwor­ten - fiir letztere Instrumente ist eine geringere Rücklaufquote zu konstatieren, so daß bereits innerhalb eines Meßzeitpunkts die erhältlichen Personenanzahlen je nach Informationsquelle variieren (abgesehen davon sind natürlich die "üblichen" Daten­ausfälle zu konstatieren, d,h, einzelne nicht auswertbare Subtests aufgrund zu vieler vergessener oder absichtlich nicht getätigter Angaben). Darüber hinaus ist zu berück­sichtigen, daß von den Schülerinnen und Schülern der Basisstichproben nicht immer alle zu jedem Meßzeitpunkt anwesend waren. Diese temporären Drop-outs sind nicht komplett aus den Stichproben eliminiert. Denn würde man nur solche Schülerinnen und Schüler in der Auswertung berücksichtigen, die über acht Meßzeitpunkte hinweg keinen fehlenden Wert haben, verringerte sich der Umfang der G8-Gruppe drastisch. Es gingen somit alle zu einem Meßzeitpunkt verfügbaren Probanden in die Analyse ein, um die Gruppen so vollständig wie möglich zu repräsentieren.

Neben den gerade beschriebenen Reduzierungen der Basisstichproben kommt es im Falle der ältesten G9-Kohorte (Kohorte D) allerdings auch zu einer Stichproben­vergrößerung, Die in Tabelle 2 aufgefiihrten 59 Untersuchungsteilnehmerlinnen re­präsentieren zwei Klassenverbände zum Zeitpunkt der 11. Jahrgangsstufe, Ab der 12.

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84 Ralph Reimann

Jahrgangsstufe besuchten diese Schülerinnen und Schüler das Kurssystem, d.h. der Klassenverband als solcher existierte nicht mehr. Dennoch nahmen in der Folgezeit nur die Schülerinnen und Schüler der ehemaligen Untersuchungsklassen an den Testungen teil. Als Datenquelle fiir die Schulleistungen standen Computerausdrucke der Notenlisten zur VerfUgung, auf denen sich neben den Informationen,der Testteil­nehmer/innen noch Angaben zu den übrigen Oberstufenschüler/innen befanden (An­gaben in anonymisierter Form; Identifikation der GS-Personen über Codenummern). Da von einer der beiden G9-Vergleichsschulen nur unvollständige Informationen zu Abiturleistungen vorlagen (z.B. keine Angaben über die Leistungen in den einzelnen Abiturprüfungen), wurde entschieden, bei der Untersuchung der Abiturleistungen je­weils auf alle verfügbaren G9-Daten zurückzugreifen.

Insgesamt liegen also in Abhängigkeit von den untersuchten Variablen stark schwankende Stichprobengrößen vor. Erforderlich wären jeweils erneute genaue An­gaben zu den aktuellen Gruppengrößen bei jedem untersuchten Aspekt. Darauf wurde hier jedoch verzichtet, um einer Überfrachtung mit Detailinformationen entge­genzuwirken. Die Angaben sind jedoch an anderer Stelle verfUgbar (Reimann, 2002).

Hinweise zur Präsentation der Ergebnisse

Um die folgende Darstellung der Ergebnisse soweit als möglich zu vereinheitlichen, werden die Resultate bis auf wenige Ausnahmen in Form von T-Werten (standardi­sierte Normwerte) angegeben. Charakteristisch fiir T-Werte ist, daß sie sich annä­hernd normal in einem Wertebereich zwischen 20 und SO verteilen und einen Mittel­wert von 50 sowie eine Streuung von 10 aufweisen. Deren praktische Bedeutung für die Interpretation individueller und gruppenbezogener Merkmalsausprägungen illu­striert Tabelle 3. Weitere statistische Fachbegriffe sind im Glossar erläutert.

Tabelle 3: T-Wert-Bereiche und ihre Bedeutung.

T-Werte: <30 30-39 40-59 60-69 > 70 Inhaltliche weit unter- unter- über- weit über-Bedeutung: durchschnittlich durchschnittlich durchschnittlich durchschnittlich durchschnittlich

% der Fälle: 2% 14% 68% 14% 2%

Die Ausprägung der untersuchten Variablen ergibt sich somit aus dem Abstand X zum Mittelwert einer bestimmten Bezugsgruppe : Ein T -Wert von X = 40 indiziert beispielsweise, daß 16% (14%+2%) der Bezugsgruppe (Norm- oder Referenzgruppe) ein schwächeres Testergebnis als die aktuelle Untersuchungsgruppe aufweisen, aber 84% ein besseres Ergebnis (also darüber liegen).

Dieses Normierungsverfahren wurde sowohl rur Leistungstests als auch für Frage­bögen angewandt. Während man bei Leistungs- bzw. Fähigkeitstests bei niedrigen

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 85

T-Werten von "schwachen" und bei hohen von "guten" Ergebnissen sprechen kann, hängt die Interpretation einer Fragebogenskala von der jeweiligen Polung des Merk­mals ab. Beispielsweise ist eine hohe Ausprägung in "Schulängstlichkeit" ungünstig, während ein hoher Wert in "Konzentrationsfähigkeit" erwünscht ist. Auch sind Skalen denkbar, in denen sowohl sehr hohe als auch sehr niedrige Ausprägungen als ungünstig zu beurteilen sind (z.B. "Soziale Anpassung").

Ein Großteil der Ergebnisse wird in Abbildungen visualisiert. Die Darstellung von Entwicklungsverläufen bedient sich hierbei einer bestimmten Symbolik, die dem Kontrollgruppendesign Rechnung trägt. Die folgende Beispielgrafik erläutert diese Symbolik.

Durchgezogene Linie zwischen zwei Messungen bedeutet: Zeitpunkt t liegen die gleichen Pbn zugrunde wie Zeitpunkt t-l . es handelt sich somit um echte Langsschnittdaten.

Fehlendes sym~eutet:

--....-A -0- 8

In dieser Gruppe erfolgte zu diesem Zeitpunkt keme Messung.

11 t2

:::: ..... \/ ........ 0

Gestrichelte Linie zwischen zwei Messungen bedeutet: Zeitpunkt t liegen andere Pbn zugrunde als Zeitpunkt t-l. es handelt sich somit um Querschnittdaten.

13

Meßzeitpunkt

14 15

Abbildung 1: Beispielgrafik zur Erläuterung der verwendeten Symbolik.

Im obigen Beispiel gibt es zwei Gruppen bzw. Populationen (A und B) und fünf Meßzeitpunkte (tl bis t5), wobei zum Meßzeitpunkt 4 (4) in Gruppe A keine Testung erfolgte. Für Population B liegen fünf Messungen vor, woran drei unterschiedliche GruppenIKlassen beteiligt sind: Von einer Gruppe existieren Daten über die ersten drei Messungen hinweg (tl - t3), zum Meßzeitpunkt 4 (4) können Daten einer an­deren Gruppe herangezogen werden, fiir Meßzeitpunkt 5 (t5) sind Angaben einer dritten Gruppe verfügbar.

Abschließend noch ein Hinweis zu den verwendeten Bezeichnungen: Die Schüler­innen und Schüler des G8 durchlaufen eine achtjährige Gymnasialausbildung. Sie überspringen die 11. Jahrgangsstufe des neunjährigen Regelgymnasiums und treten nach der 10. Klasse direkt in die Kollegstufe, d.h. die zweijährige, abiturrelevante Schulphase ein, die der 12. und 13. Jahrgangsstufe des neunjährigen Gymnasiums entspricht. Aus Gründen der Vergleichbarkeit mit dem G9 werden diese Bezeich-

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86 Ralph Reimann

nungen im folgenden jedoch beibehalten, auch wenn die G8-Gruppe kein 13. Schul­jahr erlebt. Allgemein wird der Begriff "Jahrgangsstufe" gegenüber "Klasse" bevor­zugt, da in den letzten beiden Gyrnnasialjahren keine Klassenverbände mehr exi­stieren. Dennoch wird bis zur 10. Jahrgangsstufe auch von "Klasse" gesprochen.

Entwicklung kognitiver Merkmale im G8

Zur Messung der kognitiven Merkmale wurde am häufigsten der KFT eingesetzt. Von den insgesamt acht Meßzeitpunkten berücksichtigt die Darstellung hier sechs: die Messungen in der 5., 6. und 7. Klasse, da für diesen Zeitraum auch Längsschnitt­daten für die G9-Gruppe vorliegen, sowie in der 8., 10. und 13. Jahrgangsstufe, für die jeweils Daten aus drei verschiedenen G9-Kohorten verfügbar sind. Der KFT mißt sprachliche, mathematische (quantitative) und nonverbale (technisch-konstruktive) Fähigkeiten. Deren Kombination ergibt den Gesamttestwert, der das Fähigkeitsni­veau repräsentiert.

Entwicklung des kognitiven Fähigkeitsniveaus im G8/G9-Vergleich

Zum Zeitpunkt der 5. Klasse demonstrieren die Schüler/innen von G8 ein deutlich höheres Gesamtniveau kognitiver Fähigkeiten als jene vom G9. Die G8-Gruppe er­reicht hier um mehr als eine halbe Standardabweichung bessere Resultate als die G9-Gruppe (Abbildung 2).

70 l --.- Ga --er- G9

65

60 ~

~ 55 'I I-

50 I I

~

45 ,

5. 6. 7. 8. 10. 13,

Jahrgangsstufe

Abbildung 2: Gesamtleistungen im KFT, getrennt nach Schulart.

Die kognitiven Ausgangsbedingungen der G8-Gruppe sind also günstiger, was an­gesichts der zuvor stattgefundenen Auswahlprozedur nicht verwundert. Es bestehen

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 87

hierbei keine Differenzen zwischen den Geschlechtergruppen, im G8 wie im G9 zeigen Mädchen und Jungen jeweils nahezu gleiche Fähigkeitstestwerte (Abbildung 3). In der Folgezeit, bis hin zur 7. Klasse, sind schulspezifische Entwicklungen des kognitiven Fähigkeitsgesamtniveaus erkennbar, wobei die Effektstärken der Intra­gruppenveränderungen eine deutlich günstigere Fähigkeitsentwicklung im G8 im Vergleich zum G9 belegen. Zu den nachfolgenden Meßzeitpunkten (8. bis 13 . Jahr­gangsstufe ) erzielen die Schüler/innen des G8 durchweg bessere Resultate als jene des G9, ihr Fähigkeitsniveau hat sich zu diesem Zeitpunkt auf hohem Niveau stabili­siert.

Insgesamt ist somit im G8 ein deutlicher Anstieg der Testresultate bis zur 8. Klasse zu konstatieren, danach festigen sich die Werte im oberen Leistungsspektrum (s. Abbildung 2). Hierbei sind keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Ge­schlechtern festzustellen, weder hinsichtlich der absoluten Ausprägungen noch hin­sichtlich des Verlaufs der Entwicklungen (Abbildung 3).

_____ G8 Ju. --.- G8 Mäd. -0- G9 Ju. -0- G9 Mäd. 70

65

~ 60

~ .:. 55

50

45 +-I ____ ~-5. 6. 7. 8. 10. 13.

Jahrgangsstufe

Abbildung 3: Gesamtleistungen im KFT, getrennt nach Schulart und Geschlecht.

Somit läßt sich resümieren, daß von der G8-Sozialisation keines der Geschlechter in der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten bevorzugt profitiert oder gar benachteiligt wird. Die Fähigkeitsdifferenzen zwischen G8 und G9 betragen ab der 7. Klasse durchgehend rund eine Standardabweichung (10 T-Punkte) zu Gunsten von G8. Ab­weichend von diesem generellen Trend präsentieren sich die Testleistungen zum Zeitpunkt der 13 . Stufe. Hier ist der Vorsprung von G8 geringer als zu den vorheri­gen Zeitpunkten, obschon er immer noch nahezu eine halbe Standardabweichung (5 T-Punkte) umfaßt (vgl. Abbildung 2). Es spricht einiges dafur, daß die älteste G9-Kohorte, die die Information zur 13. Jahrgangsstufe lieferte, eine besonders lei­stungsstarke Gruppe darstellt, deren Werte nicht unbedingt repräsentativ für das G9 sind. Denn immerhin zeigt sich eine Leistungsdifferenz zwischen dieser ältesten G9-

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88 Ralph Reimann

und den übrigen G9-Vorgängerkohorten von ebenfalls einer halben Standardab­weichung. Oder aber man interpretiert die Gruppe der 10. Klasse als relativ schlechte Kohorte, da die übrigen Ausprägungen (also bei den Messungen in der 5., 6., 7. und 13 . Jahrgangsstufe) durchaus einen geradlinigen Verlauf beschreiben. Ge­gen diese Interpretation spricht allerdings der exakt parallele Kurvenlauf der Werte von G8 und G9 zwischen der 8. und 10. Klasse - es zeigt sich hier also ein schul­formübergreifender . Rückgang der Testresultate, der die Repräsentativität der Lei­stungen der G9-Kohorte in der 10. Klasse untermauert. Die generelle Abnahme der Werte zur 10. Klasse hin ist kein uninteressantes Phänomen, indes jedoch kaum zu erklären. Welche Mechanismen sollen hier wirken? Sind Unterforderungs- und/oder spätpubertäre Effekte im Spiel? Möchte man motivationale Faktoren in Rechnung stellen (nachlassende Testmotivation aufgrund bereits absolvierter mehrmaliger Te­stungen), erhebt sich die Frage, warum nichtjedwede Veränderung in den Testresul­taten - somit auch der Anstieg der Werte bis zur 8. Klasse - in erster Linie motiva­tionalen Bedingungen unterliegt? Sicherlich ist die Leistung in einem Fähigkeitstest (vor allem mit vielen Retests über einen längeren Zeitraum) motivational mitbedingt (Sauer & Gattringer, 1986). Doch sollte man sich hüten, diesen Einfluß als bedeu­tender als jenen des kognitiven Niveaus einzustufen, da die theoretischen Implika­tionen dieser Annahme enorm sind: Man kann nicht Leistungsabnahmen motiva­tional erklären, Leistungssteigerungen hingegen als Fähigkeitsentwicklungen inter­pretieren! Im Rahmen der vorliegenden Analyse wird der motivationale Faktor als zu gering angesehen, um Werteveränderungen im KFT ausreichend zu erklären. Dies hat zweierlei Konsequenzen. Zum einen muß ein leichter Rückgang des Fähigkeits­niveaus im G8 zwischen der 8. und 10. Klasse konstatiert werden, der kaum plau­sibel erklärbar ist. Zum anderen lassen sich die Testwerte der G9-Kohorte zum Zeit­punkt der 10. Klasse als repräsentative Informationen werten. Zusammenfassend deuten diese Aspekte darauf hin, daß eher die Testwerte der ältesten G9-Stichprobe in der 13. Klasse als Abweichung von der G9-Population nach oben hin zu gelten haben und damit als nicht repräsentativ zu beurteilen sind. Hierbei muß man be­denken, daß die Testung in der 13. Jahrgangsstufe bereits die dritte in jährlicher Ab­folge für die betroffenen Schülerinnen und Schüler darstellte, weshalb ein nicht uner­heblicher Rückgang des Stichprobenumfangs zu verzeichnen war. Man könnte ver­muten, hier habe eine Selbstselektion stattgefunden, so daß an der letzten Testung (eben jener in der 13. Jahrgangsstufe) nur mehr die fahigeren Schülerinnen und Schüler teilnahmen. Allerdings hat die erkennbare Gruppenverringerung kaum einen Effekt auf das durchschnittliche Ergebnis (vgl. Reimann, 2002). Somit bleibt festzu­halten, daß die älteste der G9-Kohorten in der Tat eine außergewöhnlich leistungs­fahige Stichprobe aus der G9-Population darstellt.

Weiterhin gilt für die G9-Leistungen in ihrer Gesamtheit, daß sich diese insgesamt - von der ältesten G9-Kohorte aus den geschilderten Gründen einmal abgesehen -um den Bereich von T = 55 bewegen, also eine halbe Standardabweichung über dem Durchschnittswert der Referenzpopulation. Da die Normwerte des KFT älteren Da-

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 89

tums sind, könnte hierfiir der "Flynn-Effekt", d.h. ein epochal bedingter genereller Anstieg des durchschnittlichen Intelligenzniveaus (Flynn, 1987; siehe auch Hanses, 2000) eine mögliche Erklärung liefern. Dies hieße aber auch, daß an einigen wenigen Stellen die Leistungsdiskrepanz zwischen G8 und G9 eher noch unterschätzt wird. Denn die Verfügbarkeit der G9-Gruppen bewirkt, daß z.B. die entsprechende G9-Ko­horte fünf Jahre nach der ersten G8-Kohorte die 5. Klasse besuchte (1996/1997 ge­genüber 1991/1992). Mit anderen Worten: Die jüngste G9-Kohorte konnte ein halbes Jahrzehnt länger vom Flynn-Effekt profitieren. Allerdings gilt dies lediglich für die Gegenüberstellung mit der ersten G8-Kohorte, die nachfolgenden liegen zeitlich näher an der jüngsten G9-Kohorte. Ferner besuchten G8- und manche G9-Kohorten bestimmte Klassenstufen in der Tat im gleichen Jahr, mitunter absolvierten G8-Gruppen bestimmte Jahrgangsstufen aber auch nach der entsprechenden G9-Kohorte (z.B. besuchte die dritte G8-Kohorte die 13. Stufe im Schuljahr 2000/2001, die älteste G9-Kohorte diese Stufe jedoch 1998/1999), so daß die Gesamteinflüsse des Flynn-Effekts äußerst diffizil "herauszurechnen" wären (zu den zeitlichen Positionen der einzelnen Kohorten siehe Kapitel 3). Insgesamt scheint somit das Verzerrungspo­tential des Flynn-Effekts vernachlässigbar zu sein; vermutet man dennoch einen rele­vanten Einfluß, muß man in der Gesamtheit wohl eher von einer Unterschätzung kognitiver Kompetenzunterschiede zugunsten von G8 gegenüber G9 ausgehen.

Umfassend zeigt sich für das kognitive Gesamtfähigkeitsniveau, daß die G8-Gruppe in den ersten Jahren eine deutlichere Verbesserung der Fähigkeiten aufweist: Von anfanglieh einer halben Standardabweichung Vorsprung für G8 wächst dieser im Laufe der folgenden Schuljahre bis zu einer ganzen Standardabweichung an.

Entwicklung kognitiver Fähigkeitsprojile im G8/G9-Vergleich

Wie sehen die Entwicklungen nun in den einzelnen Fähigkeitsdimensionen aus? Zu Beginn der Gymnasialzeit, also in der 5. Klasse, weist die G8-Gruppe in allen drei Fähigkeitsdimensionen (verbal, quantitativ, nonverbal) bessere Werte auf als G9, wobei die Differenz in der quantitativen Dimension am stärksten ausgeprägt ist (Effektstärke ). Es bestehen hier - wie auch zu den späteren Meßzeitpunkten und in den Entwicklungstendenzen - keinerlei Geschlechtseffekte (also Wechselwirkungen zwischen Schulform und Geschlecht), so daß umfassend keine geschlechtsspezi­fischen Einflüsse der Gymnasialform im weiteren zu diskutieren sind.

Im Zeitraum von der 5. bis zur 7. Klasse sind unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Dimensionen zu beobachten. Die deutlichste Fähigkeitssteigerung er­folgt im quantitativen Bereich, hier zeigen sich signifikant unterschiedliche Zu­wächse in den beiden Schulgruppen (s. Abbildung 4).

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90 Ralph Reimann

75 " -*"""G8 -6-G9

70

t: 65

~ I- 60

55 i 0

50 I 5. 6. 7. 8. 10. 13.

Jahrgangsstufe

Abbildung 4: Leistungen in der quantitativen KFT-Dimension, getrennt nach Schulart.

In der verbalen Kompetenz verbessern beide Gruppen ihre Leistungen, ein signifi­kanter Einfluß der Schulform liegt hier nicht vor, jedoch weisen die divergierenden Intragruppenveränderungen tendenziell auf einen stärkeren Zuwachs in G8 hin (Ab­bildung 5).

65

60

55

50

-*"""G8 -6-G9

~_ ... 0 0--- --u- - - - - -Q. ...... -- ... ...... --0-""

45 +-------~---------r------

5. 6. 7. 8. 10. 13.

Jahrgangsstufe

Abbildung 5: Leistungen in der verbalen KFT-Dimension, getrennt nach Schulart.

In der nonverbalen Fähigkeitsdimension hingegen verändern beide Gruppen ihre Ausprägungen kaum (s. Abbildung 6). Dies bedeutet, daß der Vorsprung von G8 im nonverbalen Kompetenzbereich über die Zeitspanne hinweg relativ stabil bleibt, während er sich in den übrigen (quantitativen und verbalen) Fähigkeitsdimensionen vergrößert. Möglicherweise wächst die Diskrepanz in der nonverbalen (technisch­konstruktiven) Fähigkeitsdimension zu Gunsten von G8 in der späteren Schulphase weiter an (dies deutet der Verlauf der G8-Werte an), was sich aber aufgrund der ge-

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 91

ringen Aussagekraft der ältesten G9-Kohorte nur spekulieren läßt. Nicht völlig aus­zuschließen ist hierbei auch der Einfluß des (erst) zu diesem Zeitpunkt im Gymna­sium einsetzenden Physik- und ein Jähr später auch Chemie-Erstunterrichts. Der ge­nerelle Leistungsvorsprung der G8-Gruppe persistiert über die restlichen Schuljahre hinweg, wenn er sich auch in der 13. Jahrgangsstufe in der verbalen und quantita­tiven Fähigkeitsdimension nicht mehr als statistisch signifikante Differenz mani­festiert. Hierfür dürfte in erster Linie die für G9-Verhältnisse ungewöhnliche Lei­stungsstärke der G9-Kontrollstichprobe in der 13. Stufe verantwortlich sein.

75 -..-GS -o-G9

70

65

,.0 ~ ____ --n,_ .. , .. "

---'--0'" 55

~ +-------~--------~--------~--5. 6. 7. 8. 10. 13.

Jahrgangsstufe

Abbildung 6: Leistungen in der nonverbalen KFT-Dimension, getrennt nach Schulart.

Insgesamt lassen sich somit die Fähigkeitsdifferenzen zwischen G8 und G9 und die sich abzeichnende Entwicklung bereichsspezifischer kognitiver Kompetenzen folgendermaßen zusammenfassen: Ausgehend von einem initialen Vorsprung in allen kognitiven Kompetenzbereichen steigern die Schülerinnen und Schüler des G8 ihre verbalen und quantitativen Fähigkeiten in den Anfangsjahren (bis zur 7. bzw. 8. Klasse), wodurch der Abstand zu G9 zunimmt. In der Folgezeit bleibt dieser Lei­stungsunterschied im großen und ganzen stabil. Bezüglich der nonverbalen Dimen­sion sind dagegen deutlich geringere G8/G9-Unterschiede in der Fähigkeitsentwick­lung zu beobachten; hier bleibt die initiale Differenz zum G9 über die komplette Schullaufbahn weitgehend stabil.

Obschon eine durchgehende und teilweise noch zunehmende Fähigkeitsüberle­genheit der Schüler/innen im G8 gegenüber G9 zu konstatieren ist, zeigen sich doch bestimmte Entwicklungsverläufe innerhalb des G8. Zum anschaulicheren Vergleich der Entwicklungen der verschiedenen Fähigkeitsdimensionen präsentiert die folgen­de Abbildung 7 die Effektstärken der Veränderungen, ausgehend vom Fähigkeitsni­veau in der 5. Klasse.

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92 Ralph Reimann

Die unterschiedliche Entwicklung der einzelnen Fähigkeitsbereiche ist deutlich zu erkennen. Nach einem Zuwachsmaximum bis zur 8. Klasse hin fallen die Werte der verbalen wie quantitativen Dimension wieder ab, im Falle der Sprachfahigkeiten so­gar bis auf das (immer noch überdurchschnittliche) Eingangsniveau. Die Ausprä­gungen in der nonverbalen Dimension zeigen demgegenüber eine konträre Entwick­lung: Sie stagnieren in den Anfangsjahren und verbessern sich erst gegen Ende der Schulzeit. Diese Verläufe werden interessant, wenn man sich die einzelnen Dimen­sionen genauer vor Augen führt. Die nonverbale Dimension repräsentiert deutlicher als die beiden anderen eine allgemeine, relativ bildungsunabhängige Intelligenzlei­stung (Heller & Perleth, 2000), d.h. sowohl verbale als auch quantitative Kompeten­zen sind stärker durch schulische Bildungs- bzw. Unterrichtsfaktoren beeinflußt.

Abbildung 7: Effektstärken der Intra­gruppenveränderungen in den drei KFT-Dimen­sionen im G8.

1,1 1

0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1

d _____ Verbal ~ Quantitativ -x _ Nonverbal

-oS t---ft--=,,--_ -0,2 -0,3

5. 8. 10. 13.

Jahrgangsstufe

Bedeutet die Abnahme der KFT-Werte in diesen beiden Dimensionen nach der 8. Klasse, daß hier das G8-Programm nicht nachhaltig genug wirkt? Möglicherweise führt die curriculare Akzeleration ja dazu, daß zwar in den Anfangsjahren große Mengen an Lernstoff bewältigt werden, diese aber weniger elaboriert enkodiert werden, d.h. nur eine suboptimale Integration in die vorhandenen Wissensstrukturen erfolgt. Dies könnte sich im Rahmen der Bearbeitung späterer Testaufgaben nach­teilig auswirken, wenn die Aktualisierung dieses Wissens erforderlich wird, aber der Abruf der Informationen nicht so einfach gelingt. Eine andere Argumentationsrich­tung könnte behaupten, daß in späteren Entwicklungsphasen bestimmte Lerninhalte nicht reproduziert werden und deshalb nicht als Wissensfundament verfügbar sind -eine Annahme, die dem G8 die Vernachlässigung bestimmter Lerninhalte unterstellt, wofür es aber keine Belege gibt. Vielmehr ist es das erklärtes Ziel des G8, keine Stoffverkürzung vorzunehmen.

Gegenüber den bei den "wissensnäheren" Kompetenzdimensionen erfolgt, wie be­reits angemerkt, in der "intelligenznäheren" Dimension eine Fähigkeitssteigerung auch in den späteren Jahren. Könnte die Konfrontation mit einer umfangreichen Menge Lernstoff, die in kürzerer Zeit als unter Bedingungen des neunjährigen Gym-

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 93

nasiums zu bewältigen ist, dazu führen, daß sich die eher allgemeinen intellektuellen Denkfähigkeiten in der Folge positiv entwickeln? Wenn dem so wäre, müßten die Lernanforderungen im G8 als förderlicher Faktor gelten - was nicht abwegig er­scheint, denn die anspruchsvolle Auseinandersetzung mit vielfältigen Themen stellt durchaus eine Art "Quasi-Intelligenztraining" dar (Hanses, 2000). Insgesamt zeigen diese Verläufe also: In den "wissensnäheren" Dimensionen kann das in der Mitte der Gymnasialzeit erreichte hohe Fähigkeitsniveau nicht ganz gehalten werden, dafür entwickeln sich ab diesem Zeitpunkt die allgemeinen intellektuellen Fähigkeiten deutlicher. Trotz der besprochenen Entwicklungsverläufe sollte man nicht aus den Augen verlieren, daß während der kompletten Schullaufbahn ein deutlicher Lei­stungsvorsprung der G8-Gruppe gegenüber G9 besteht (s.o.) und im G9 die Entwick­lungskurven ähnlich verlaufen (immer abgesehen von der als Ausreißergruppe einge­stuften ältesten G9-Kohorte). Andererseits zeigen die G8-Kurven im verbalen und quantitativen Bereich nach der 8. Klasse gewisse Einbußen. Dies könnte darauf hin­deuten, daß im G8-Programm die Möglichkeiten der intellektuellen Förderung nicht voll ausgeschöpft werden. Diese Interpretation ist generell vor dem Hintergrund der einigermaßen gut gesicherten Beobachtung zu betrachten, wonach die Rolle der Test­intelligenz mit zunehmendem Alter bzw. ansteigendem Bildungsgrad zugunsten mächtiger werdender (Vor-)Wissensprädiktoren für die Erklärung von Schullei­stungen und Schulerfolg relativ in ihrer Bedeutung abnimmt (vgl. Heller, 1997, 2000; Helmke & Weinert, 1997; Weinert, 2001a). Dabei sind allerdings Konfun­dierungseffekte von Intelligenz und Wissensprädiktoren nicht zu unterschätzen (Helmke, 1992) - in diese Richtung weisen auch die durchgängigen Fähigkeitstest­und Schulleistungsdifferenzen (s.u.) zugunsten der Schülerinnen und Schüler des G8.

Wie oben bereits vermerkt, existieren im Rahmen der KFT-Resultate umfassend keine Wechselwirkungen zwischen Geschlecht und besuchter Schulform. Innerhalb des G8 sind zwischen den Verläufen von Jungen und Mädchen keine Unterschiede festzustellen, d.h. die Entwicklungskurven der beiden Geschlechter in Bezug auf kognitive Grundfähigkeiten verlaufen insgesamt betrachtet parallel. Hierbei liegen die Werte der beiden Gruppen in der nonverbalen Fähigkeitsdimension am engsten beieinander, während die deutlichste Diskrepanz in der quantitativen Dimension exi­stiert, in der die Resultate der Jungen durchweg ca. 1/3 Standardabweichung über jenen der Mädchen liegen. In der verbalen Dimension zeigen sich keine gravierenden Unterschiede, und dort, wo geringe Differenzen in den Ausprägungen der T-Werte auftreten, fallen diese ebenfalls zugunsten der Jungen aus - ein Befund, der sich (ent­gegen dem Trend bei nichthochbegabten Schülerinnen und Schülern) bereits in der Münchner Längsschnittstudie zur Hochbegabungsentwicklung abzeichnete (Heller, 2001; Perleth & Heller, 1994). Insgesamt aber bevor- oder benachteiligt das G8 keine der Geschlechtergruppen in ihren Fähigkeitsentwicklungen. Andererseits be­deutet dies aber auch, daß es nicht in der Lage ist, bestehende Disparitäten abzu­bauen (vgl. die stabile Diskrepanz zwischen Jungen und Mädchen in den quantita­tiven Fähigkeiten).

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94 Ralph Reimann

Kreativitätsentwicklung

Die Kreativität der Schülerinnen und Schüler als weiteres kognitives Merkmal wurde nicht annähernd im Umfang der zuvor beschriebenen KFT-Dimensionen erhoben; dazu liegen Informationen aus maximal drei Meßzeitpunkten vor. Die Erfassung er­folgte über Testungen der verbalen Kreativität in den Jahrgangsstufen 7, 9 und 11 (G9) bzw. 12 (G8) sowie des Einfallsreichtums in der 12. (G9) bzw. 13. Jahrgangs­stufe (G8). Allerdings war in den ersten Gymnasialklassen noch ein von Brox (1991) im Rahmen der Evaluation der baden-württembergischen Begabtenforder-AGs ent­wickelter Test ("Aufgaben zum produktiven Denken"; APD) zur Erfassung verschie­dener Faktoren problemlösenden Denkens eingesetzt worden, der wegen des frühzei­tigen Ausscheidens der genannten Mitarbeiterin (die ihrem Mann aus beruflichen Gründen in die USA folgte) nicht mehr für die höheren Klassenstufen weiterent­wickelt werden konnte. Die entsprechenden Testergebnisse wurden ausführlich in den ersten sechs Zwischenberichten dokumentiert (vgl. Heller et al. , 1993-1997). Ebenso wird auf die Wiedergabe des eingesetzten Denksporttests (Lienert, 1964) ver­zichtet. Diese Ergebnisse sind in den betr. Zwischenberichten ab 1998 dargestellt (Heller et al., 1998-1999).

In der direkten Messung der verbalen Kreativität besteht in der 7. Klasse kein Unterschied zwischen G8 und G9, während sich zu den späteren Meßzeitpunkten tendenziell leichte Leistungsvorsprünge des G8 ergeben (Abbildung 8). Die Werte des Verbalen Kreativitätstests sind auf grund der besonderen Normierung nur in den Differenzen zwischen den beiden Schulformen zu interpretieren. Jedoch deuten andere Informationen (jene zum Einfallsreichtum, s.u.) an, daß die Resultate der Schülerinnen und Schüler sich insgesamt im Normalitätsbereich der Gymnasialpopu­lation bewegen. Im G8 ist sogar eine leicht abfallende Kurve in den Befunden zum Verbalen Kreativitätstest zu beobachten, wobei die Querschnittdaten des G9 auf einen ähnlichen Verlauf hinweisen (Abbildung 8).

55

50

Abbildung 8: 1:: Verbale Krea-~ 45 "

tivität, getrennt t-I nach Schulart.

40 I I

35 ,

..

7.

...... ......

~G8 -a-G9

lJ.--_ ---- ---0

9. 11.112.

Jahrgangsstufe

Page 94: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 95

Möglicherweise verläuft die Abnahme im G9 noch drastischer als im G8, denn schließlich bestehen zu den späteren Zeitpunkten tendenziell Differenzen zu Gunsten der G8-Schüler/innen. Wenn auch diese Leistungsdifferenzen zu schwach ausgeprägt sind, um einen deutlichen Vorsprung des G8 zu behaupten, so hat doch die G8-Schulform scheinbar dazu geftihrt, den negativen Trend in der kreativen Fähigkeits­entwicklung im neunjährigen Regelgymnasium abzuschwächen. Methodenkritisch wäre aber anzumerken, daß erfahrungsgemäß Kreativitätstests generell deutlich schlechtere Reliabilitätswerte als Intelligenztests aufweisen, was eine zuverlässige Befundinterpretation hier erschwert. Weitere (alternative) Erklärungen ftir vermeint­liche oder wirkliche "Decline"-Effekte der Kreativitätsentwicklung im (späten) Schulalter wurden bereits in Kapitel 1 diskutiert (vgl. S. 19ff. in diesem Buch).

Ein Einfluß des Geschlechts, d.h. eine bedeutende Wechselwirkung zwischen Ge­schlecht und Schulform, ist auch hier nicht festzustellen. Allerdings zeigen in bei den Schulgruppen die Mädchen tendenziell bessere verbale Kreativitätsleistungen; bei einem parallelen Entwicklungsverlauf erreichen Mädchen jeweils um eine halbe Standardabweichung bessere Resultate als Jungen (Abbildung 9).

55 Ga Ju. ~ Ga Mad. -0- G9 Ju. -0- G9 Mad.

50 Abbildung 9: Verbale Krea- 1:: .. tivität, getrennt ~ 45

..:. nach Schulart und Geschlecht. 40 j

--" - ..... '0

............ G - - - -- - - ---0

35 7. 9. 11 .112.

Jahrgangutuf.

Etwas weniger konsistent zeigt sich dieses Ergebnis im abschließenden Test zum Einfallsreichtum, in dem die G8-Mädchen außer in der numerischen Kreativität etwa um 1/3 Standardabweichung über den Jungen liegen (im G9 ist ein ähnlich ausge­prägter Vorsprung der Mädchen nur in der figuralen Kreativitätsdimension zu er­kennen); vgl. Abbildung 10. Die hier skizzierten Kreativitätsvorsprünge der Mäd­chen wurden auch in der oben genannten Münchner Hochbegabungsstudie sowie in anderen vergleichbaren Untersuchungen bestätigt (Heller, 1992, 1994, 1995, 2001; Hany & Heller, 1996).

Bei diesen Resultaten sollte nicht vergessen werden, daß die hier relevante älteste G9-Kohorte im Rahmen der KFT -Analysen als außergewöhnlich leistungsstark ein­gestuft wurde. Nimmt man nun diese Stärke auch im kreativen Bereich an, dann läßt sich schlußfolgern, daß hier die kreativen Fähigkeiten der G8-Gruppe eher etwas unterschätzt werden. Damit dürfte unter Berücksichtigung des testmethodischen Vor-

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96 Ralph Reimann

behalts gegenüber Kreativitätsskalen folgendes Fazit möglich sein: Der sich im G9 andeutende negative Trend der Kreativitätsentwicklung verläuft im G8 immerhin so abgeschwächt, daß gegen Ende der Schullaufbahn die Schülerinnen und Schüler des G8 in der Gesamtheit (leicht) überlegene kreative Fähigkeiten gegenüber der G9-Schülerschaft demonstrieren. Insgesamt sind dabei den Mädchen die besseren Kreati­vitätstestieistungen zu bescheinigen (vgl. hierzu Perleth & Sierwald, 2001).

Abbildung 10: Einfallsreich­tum gegen Ende der Gymnasial­zeit, getrennt nach Schulart und Geschlecht.

60

55

50

45

40 verbal nurrensch flQural

Dimensionen 8nfallsreichtum

.G8-Ju

.G8-Mild

oG9-Ju

G9-Mild

Die "Bremsung" des negativen Trends der Kreativitäts(test)entwicklung ist dem G8-Programm durchaus positiv anzurechnen, werden doch generell eher keine Ef­fekte einer Leistungshomogenisierung auf kreative Fähigkeiten festgestellt (Comell, Delcourt, Goldberg & Bland, 1992; Goldring, 1990). Allerdings stellt sich grund­sätzliche die bildungspolitische Frage, ob Kreativität ausreichend in der Schule ge­fördert wird. Immerhin waren hier keine negativen Effekte der G8-Schulform auf die kreative Fähigkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler festzustellen.

Abbildung 11: Einfallsreichtum gegen Ende der Gymnasialzeit, getrennt nach Schulart.

60

55

40 verbal nurrerisch

Dimensionen 8nfall.relchtum

figural

. G8 G9

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 97

Allerdings ist der Aspekt der verbalen Kreativität etwas zwiespältig: Obschon sich in ihrer direkten Testung leichte Unterschiede zwischen den beiden Schulgruppen andeuten, ist der verbale Testbereich innerhalb des Einfallsreichtums doch der ein­zige, in dem die G8-Schüler/innen keine besseren Leistungen aufweisen als die G9-Schüler/innen (s. Abbildung 11). Dies korrespondiert in gewisser Weise mit den rela­tiv stärksten Einbußen bei der G8-Gruppe in den verbalen Fähigkeiten (KFT -Verbal­dimension) gegen Ende der Schullaufbahn (s. Abbildung 7 oben). In diesem Zusam­menhang ist nicht uninteressant, daß Kaiser & Kaiser (1998) auf folgenden Punkt aufmerksam machen: Innerhalb ihrer Untersuchung stellten Lehrkräfte bei den akze­lerierten (ehemaligen) Projektklassenangehörigen im Gegensatz zu den nichtakzele­rierten Regelklassenzugehörigen Defizite u.a. bei der Lektüre von Texten fest (was unter Umständen auch auf Schwächen in sprachlichen Fähigkeiten zurückzufiihren ist), die vielleicht rein altersbedingt zu erklären sind. Dieses Ergebnis ist mit der Si­tuation im G8 freilich nicht direkt vergleichbar.

Entwicklung nichtkognitiver Persönlichkeitsmerkmale imG8

Als nichtkognitive Merkmale wurden untersucht: Motivation, Leistungsemotion, Selbstkonzept, Attributionsstil, Interesse, Lern- und Arbeitsverhalten, soziale Kom­petenz sowie Persönlichkeitsvariablen Le.S. Insbesondere die beiden erstgenannten Merkmale sind durch verschiedene Indikatoren repräsentiert. Ebenso umfaßt das Lern- und Arbeitsverhalten eine Reihe unterscheidbarer Dimensionen. Das gilt auch fiir das Persönlichkeitsprofil der Schülerinnen und Schüler, das sich durch charak­teristische Ausprägungen in verschiedenen Persönlichkeitsfaktoren manifestiert.

Motivationale Merkmale

Als motivationale Indikatoren wurden Hoffnung auf Erfolg (Motivation, Erfolg zu erleben; dies entspricht einer aktiven, aufsuchenden Haltung), Furcht vor Mißerfolg (Motivation, Mißerfolge zu umgehen; dies entspricht einer passiven, vermeidenden Haltung), Leistungsstreben, Ausdauer und Fleiß, Erkenntnisstreben sowie Anstren­gungsvermeidung erfaßt.

Die Angaben zur Hoffnung auf Erfolg lassen sich auf grund des Normierungsvor­gehens nur hinsichtlich der Differenz zwischen G8 und G9 betrachten. Eine Einschät­zung der Ausprägungen im Vergleich zu einer übergeordneten Referenzgruppe ist hier nicht möglich. Dies betrifft im folgenden ebenso die Merkmale Furcht vor Miß­erfolg, Leistungs- sowie Erkenntnisstreben. Hoffnung auf Erfolg wurde in der 5. und 7. Klasse sowie gegen Ende der Gyrnnasialzeit erhoben. Während im Anfangszeit­raum kein Unterschied zwischen den beiden Schulgruppen besteht, demonstrieren

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98 Ralph Reimann

die Schülerinnen und Schüler des G8 zum letzten Meßzeitpunkt eine um eine halbe Standardabweichung höher ausgeprägte Erfolgszuversicht (Abbildung 12). Hierbei bleiben die Werte innerhalb des G8 stabil, d.h. die resultierende Differenz basiert auf einer Abnahme in G9.

Die für das G9 kombinierten Längs- und Querschnittdaten legen deskriptiv nahe, daß der Rückgang der Erfolgszuversicht vor allem von der Entwicklung bei den Mädchen herrührt, denn bei ihnen nimmt die Ausprägung am stärksten ab (Abbil­dung 13). Im G8 sind im großen und ganzen keine Geschlechtsunterschiede festzu­stellen.

Abbildung 12: Ausprägung der Hoffnung auf Erfolg, getrennt nach Schulart.

Abbildung 13:

1::

60

55 Ausprägung der Hoffnung auf Erfolg, getrennt nach Schulart und Geschlecht.

~ 50

45

60 .......-Ga -0-00

55

45 ---{]

40 +-__________ ~------____ ~ __________ __

5. 7. 11.112.

Jahrgangsstufe

__ Ga Ju. -+-- Ga Mad. -0- 00 Ju. -<>-- G9 Mad

40 +-______ _

5. 7. 11.112. Jahrgangsstufe

Furcht vor Mißerfolg demonstriert im Anfangszeitraum (5. bis 7. Klasse) die G8-Gruppe in geringerem Ausmaß als die G9-Gruppe. In dieser Zeit zeigen sich weder Geschlechtsunterschiede noch Veränderungen in den Werten (s. Abbildung 14). In der zweiten Hälfte der Schullaufbahn reduziert sich die Mißerfolgsängstlichkeit im G8 relativ deutlich, der Verlauf ist bei beiden Geschlechtergruppen identisch. Diese

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 99

Veränderung ist im G9 lediglich bei den Jungen erkennbar, die Mädchen behalten eine deutlich höhere Mißerfolgsorientierung bei.

Leistungsstreben, das zu den gleichen Meßzeitpunkten erfaßt wurde wie die beiden vorherigen Merkmale, ist in den Anfangsklassen des Gymnasiums in bei den Schulformen (G8 vs. G9) ähnlich ausgeprägt und nimmt hier wie dort eine vergleich­bar negative Entwicklung. Die Geschlechtergruppen unterscheiden sich in dieser Entwicklung nicht eklatant (Abbildung 15).

60 _ G8 Ju. -+- G8 Mild. -0- G9 Ju. --0- G9 Mad.

Abbildung 14: 55 Furcht vor Miß- 8 erfolg, getrennt ~

nach Schulart und ~ 50

Geschlecht. I-

45

40 5. 7. 11.112.

Jahrgangsstufe

_ G8 Ju. -+- G8 Mad. -0- G9 Ju. --0- G9 Mad. 55

Abbildung 15: Leistungsstreben,

50 getrennt nach Schulart und Geschlecht. ~

~ 45 I-

40

35 5. 7. 11 ./12.

Jahrgangsstufe

Gegen Ende der Schullaufbahn herrscht im G8 ein höheres Leistungsstreben, was jedoch einzig auf das Konto der G8-Mädchen geht: Sie zeigen am geringsten Symp­tome des vor allem in der Pubertät nicht unbekannten "Faulpelzsyndroms". Insbeson­dere in den beiden G9-Gruppen (Jungen und Mädchen) geht das Leistungsstreben

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100 Ralph Reimann

drastisch zurück, und auch bei den G8-Jungen zeigt sich eine nicht unerhebliche Re­duktion. Diese drei Gruppen liegen zum Ende der Gymnasiallaufbahn auf annähernd deutlich ausgeprägteres Niveau. Zu diesem Zeitpunkt weisen die G8-Mädchen ein beträchtlich stärkeres Leistungsstreben auf.

65 -.-GB -o-G9

60

Abbildung 16: t: Ausdauer und ~ 55

Fleiß, getrennt nach Schulart.

50

45 10. 11 . 12. 13.

Jahrgangsstufe

Das Merkmal ,,Ausdauer und Fleiß" wurde instrumentenbedingt erst im letzten Drittel der Gymnasialzeit gemessen - im G8 ab der 10., im G9 ab der 11. Klasse. Zu keinem der Meßzeitpunkte bestehen relevante Unterschiede zwischen G8 und G9, besondere geschlechtsspezifische Ausprägungen sind nicht zu verzeichnen. Gravier­ende Veränderungen im Laufe der Zeit erfährt die Ausprägung dieses Merkmals nicht. Auch der Übergang von der 10. (im Falle des G8) bzw. der 11. Klasse (im G9) in die abiturnotenrelevante Oberstufe bewirkt nur eine leichte Zunahme - im G8 wie G9 steigern sich "Ausdauer und Fleiß" in ähnlichem Ausmaß (Abbildung 16).

Abbildung 17: Erkenntnis­streben, ge­trennt nach Schulart.

t: ~ 45

40

35 .1-1---5.

-.-GB -o- G9

6. 10. 13.

Jahrgangsstufe

Die motivationale Variable "Erkenntnisstreben" wurde zu vier Meßzeitpunkten erfaßt: in der 5., 6. und 10. Klasse sowie in der letzten Jahrgangsstufe. In den An­fangsjahren bescheinigen sich die Schülerinnen und Schüler im G8 ein höheres Er-

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 101

kenntnisstreben als jene im G9, besonders die initiale Ausprägung (5. Klasse) ist im G8 eine halbe Standardabweichung höher als im G9 (s. Abbildung 17). In der Folge­zeit sind die Werte im G8 nahezu stabil, während sich im G9 ein Auf und Ab zeigt, was schwer zu interpretieren ist.

Läßt man die älteste G9-Kohorte (und damit die Information zur 13. Jahrgangs­stufe) wegen des Sonderstatus' dieser Kohorte (s.o.) außer Acht, dann legen die Querschnittdaten rur das G9 eine leichte Steigerung des Erkenntnisstrebens in den ersten Gyrnnasialjahren mit einer darauf folgenden Abnahme nahe. Ein besonderer Einfluß des Geschlechts ist weder in den Ausprägungen noch im Verlauf der Werte zu erkennen. Möglicherweise deutet also die Stabilität der G8-Ausprägungen des Er­kenntnisstrebens darauf hin, daß hier einem generellen (unter den Bedingungen des neunjährigen Gymnasiums beobachtbaren) Abwärtstrend entgegengewirkt werden konnte.

Der abschließende Motivationsindikator ist die Anstrengungsvermeidung, die in der 8. und 9. Klasse gemessen wurde. Über beide Meßzeitpunkte hinweg weisen die Schülerinnen und Schüler des G8 eine deutlich geringere Anstrengungsvermeidung auf, eine relevante Veränderung der Werte ist in keiner der beiden Gruppen zu er­kennen. Wenn auch hierbei keine signifikante Wechselwirkung der Schulform mit dem Geschlecht festzustellen ist, so offenbaren die konkreten Ausprägungen doch Unterschiede zwischen den Geschlechtern (Abbildung 18): Im G9 liegen Jungen und Mädchen nah beieinander; beide zeigen insgesamt eine durchschnittliche Ausprä­gung in diesem Merkmal. Etwa eine halbe Standardabweichung darunter liegt die G8-Kurve der Jungen und wiederum eine halbe Standardabweichung unter dieser jene der G8-Mädchen, d.h. die Mädchen im G8 äußern mit Abstand die geringste Anstrengungsvermeidung, was natürlich positiv zu werten ist.

Abbildung 18: Anstrengungsver­meidung, getrennt nach Schulart und Geschlecht.

55

50

1:: CI> 45 ~

40

35

• •

8. Jahrgangsstuf.

• •

9.

_GSJu . ........ GSMad.

-o-G9Ju.

-o-G9Mad.

Die Daten zu den motivationalen Schülermerkmalen legen folgendes Gesamtfazit nahe: Während die Hoffnung auf Erfolg im G8 relativ zeitstabil bleibt, zeigt sich im G9 im Laufe der Zeit eine Abnahme - hiervon sind vor allem die Mädchen im G9

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102 Ralph Reimann

betroffen. Die Furcht vor Mißerfolg reduziert sich im G8, insbesondere in der zweiten Gymnasialhälfte. Im G9 besteht dieser Abwärtstrend nur bei den Jungen, d.h. Mädchen behalten hier ihre Mißerfolgsängstlichkeit bei. Das Leistungsstreben geht im Verlauf der Schulzeit in allen Gruppen zurück, bei den G8-Mädchen noch am geringsten. In der späteren Schulphase zeigen die G8-Mädchen ein deutlich höheres Leistungsstreben als die G8-Jungen und beide G9-Gruppen. Für das Merk­mal ,,Ausdauer und Fleiß" sind keine Differenzen in Ausprägung und Entwicklung festzustellen, in allen Gruppen zeigt sich eine leichte Steigerung mit Eintritt in die Oberstufe. Das Erkenntnisstreben ist im G8 stabil, im G9 deutet einiges auf eine Ab­nahme hin - das G8 scheint somit eine Negativentwicklung aufzufangen. Ein Ge­schlechtseffekt besteht nicht. Die Anstrengungsvermeidung veränderte sich in dem (kurzen) hier gemessenen Intervall nicht. G8-Jungen attestieren sich eine um eine halbe, G8-Mädchen sogar eine um eine ganze Standardabweichung niedrigere An­strengungsvermeidung als beide G9-Gruppen, die ihrerseits auf vergleichbarem Ni­veau liegen. In der Gesamtheit ist somit ein positiver Einfluß der G8-Schulform auf die motivationale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler erkennbar. Dies gilt insbesondere fiir die Mädchen im G8, die eine deutlich bessere motivationale Grund­haltung demonstrieren als die Mädchen im G9. Diese Ergebnisse sind umso beach­tenswerter, als die Auswirkungen der Homogenisierung schulischer Lerngruppen auf motivationale Merkmale bisher selten untersucht wurden; die wenigen Studien fanden entweder keine Effekte (Cornell et al., 1992), oder aber es zeigte sich fiir be­stimmte Aspekte - konform zu den G8-Ergebnissen - eine in homogenen (und akze­lerierten) Klassen weniger stark nachlassende Motivation (Kaiser, 1997). Dies spricht dafiir, daß das G8 eher als das G9 eine motivationsstützende Lernumwelt fiir besonders befähigte Schülerinnen und Schüler schafft. Insbesondere die zu passivem und vermeidendem Verhalten fiihrende Mißerfolgsängstlichkeit ist im G8 geringer ausgeprägt und reduziert sich im Laufe der Schuljahre noch weiter, so daß in der späteren Gymnasialphase vor allem die Mädchen im G8 eine deutlich geringere Miß­erfolgsängstlichkeit aufweisen als die Mädchen im G9. Gerade unter diesem Aspekt scheinen die Bedingungen des G8 den Bedürfnissen der Mädchen stärker zu ent­sprechen als jene des G9.

Leistungsemotionen

Als Indikatoren der Leistungsemotionen wurden Schulunlust, allgemeine schulbezo­gene Angst, leistungsbeeinträchtigende PTÜfungsangst, "Lampenfieber" und Angst vor dem Abitur erhoben.

Für die Schulunlust liegen Werte aus den Klassen 5, 6, 7, 8 und 10 vor. Die ini­tiale Schul unlust zum Zeitpunkt der 5. Klasse ist in allen vier Gruppen (d.h. in beiden Schulformen G8 und G9 mit jeweils Jungen und Mädchen) identisch ausgeprägt (s. Abbildung 19). In der Folge sind divergierende Verläufe erkennbar, die einen Ab-

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 103

stand zwischen G8 und G9 zu Ungunsten von G9 immer weiter anwachsen lassen. Hierbei sind jedoch auch innerhalb der jeweiligen Schulformen unterschiedliche Ent­wicklungen festzustellen: Während bei den G8-Jungen die Schul unlust bis zur 10. Klasse linear leicht ansteigt, sinkt sie bei den G8-Mädchen im gleichen Ausmaß.

60 ___ Ge Ju. ___ Ge Mad. -0- G9 Ju. -0- G9 Mad.

55 _0

-------Q------

't

'" 50 ~

~tJ.----_ ,,' --,;

~

45

40 5. 6. 7. 8. 10.

Jahrgangsstufe

Abbildung 19: Schulunlust, getrennt nach Schulart und Geschlecht.

Ebenfalls divergierende Entwicklungen sind im G9 zu beobachten. Allerdings setzt hier die Abnahme der Schulunlust bei den Mädchen nicht ein, und die Verläufe liegen insgesamt auf einem höheren (also ungünstigeren) Kurvenniveau. Zum Zeit­punkt der 10. Klasse attestieren sich die G8-Mädchen eine um mehr als eine Stan­dardabweichung geringere Schul unlust als die G9-Jungen - dazwischen befinden sich auf identischem Niveau G8-Jungen und G9-Mädchen.

Im Bereich der A'ngstlichkeit sind fur die allgemeine schulbezogene Angst sowie die leistungsbeeinträchtigende Prufungsangst vergleichbare Konstellationen und Ent­wicklungen zu beobachten (s. die folgenden Abbildungen).

60

Abbildung 20: 55

Allgemeine schul- t: bezogene Angst, ~ 50 getrennt nach I-

Schulart. 45

40

5. 6. 7. 8. 10.

Jahrgangsstufe

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104 Ralph Reimann

In den gymna"ialen Anfangsjahren (5. bis 7. Klasse) besteht in beiden Angst­maßen keine Differenz zwischen G8 und G9. Im nachfolgenden Zeitraum sind im G8 relativ deutlich geringere Angstwerte zu beobachten. Allerdings erscheinen die eher unstetigen Verteilungen der G9-Querschnittdaten kaum interpretierbar. Im G8 sinken die Angstwerte im Verlauf der Zeit (hierbei am deutlichsten nach der 7. Klasse) li­near bis zur 10. Klasse auf ein sehr niedriges Niveau, Jungen und Mädchen demon­strieren hierbei nahezu parallele Entwicklungen.

Abbildung 21: Leistungsbeein­trächtigende Prüfungsangst, getrennt nach Schulart.

1:: GI ~ ~

55

50

D--45

40

35

5.

-A-G8 -O--G9

-0-

6. 7. 8. 10.

Jahrgangsstufe

Im G9 ist in der Gesamtheit der Werte ebenfalls ein Absinken der Angstwerte zu verzeichnen, dieser Rückgang erreicht jedoch nicht das Ausmaß wie im G8. Zum Zeitpunkt der 10. Klasse weisen die Schülerinnen und Schüler des G8 um eine halbe Standardabweichung geringere Angstwerte auf als ihre Kolleginnen und Kollegen vom G9. Die beschriebene Konstellation wird durch Messungen in der Oberstufe mit einem anderen Instrument bestätigt: Generell sind im G8 die Angstwerte niedriger, zwischen den G8-Geschlechtsgruppen bestehen keine gravierenden Unterschiede (s. die folgenden Abbildungen). Die Differenz zu G9 ergibt sich vor allem aufgrund der Werte der Mädchen im G9, die die höchsten (Angst-)Merkmalsausprägungen der Gruppen aufweisen.

Abbildung 22: Allgemeine schul be­zogene Angst in der gymnasialen Oberstufe, getrennt nach Schulart und Geschlecht.

50

45

35

___ GSJu.

-+-GS Mäd.

-o-G9Ju.

-o-G9 Mäd.

~ ~-------------,--------------~ 12. 13.

Jahrgangsslufe

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Abbildung 23: Leistungsbeein­trächtigende Prü­fungsangst, ge­trennt nach Schulart und Geschlecht.

Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 105

50 ___ G8 Ju. -+-- G8 Mäd. -0-G9 Ju. --0- G9 Mäd.

45 0----

35

[}-------~

.~ _.------------~.~-------

30+---------~----------~----------~--------~

10. 11. 12. 13.

Jahrgangsstufe

Die letzten untersuchten emotionalen Merkmale sind das "Lampenfieber" (Aufre­gung und Angst beim Auftreten vor Klasse und Lehrkräften) sowie die Angst vor den Abiturprüfungen, die beide lediglich in den Jahrgangsstufen 12 und 13 erhoben wurden. In diesem Zeitraum ist das Lampenfieber bei den Schülerinnen und Schülern des 08 niedriger ausgeprägt, wobei keine gravierenden Oeschlechterdifferenzen fest­stellbar sind. Eine Veränderung der Werte kommt in dieser Phase ebenfalls nicht vor (Abbildung 24).

Abbildung 24: "Lampenfieber" in der Oberstufe, getrennt nach Schulart (Anzahl be­jahter Items; max.: 9).

CI

§ 3 CI

"" ~ 2 ::J «

--*'-G8

-o-G9

,

O~I--------------~--------------~

12. 13. Jahrgangsstufe

Die Angst vor den Abiturabschlußprüfungen ist im 08 insgesamt geringer ausge­prägt, allerdings basiert diese Differenz auf den zum Teil deutlich höheren Angst­werten der 09-Mädchen (s. Abbildung 25). Darüber hinaus entwickeln sich die Angstwerte in den beiden Schulformen unterschiedlich: Während mit näherrücken­dem Abitur die Angst davor im G9 abnimmt, wächst sie im 08 leicht, d.h. beide Schulgruppen nähern sich in ihrem Angstausmaß (auf insgesamt niedrigem Niveau) an. Im Vergleich zur 09-Stichprobe der Mädchen ist jedoch in der letzten Jahrgangs­stufe im 08 keine höhere Angst vor dem Abitur beobachtbar.

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106 Ralph Reimann

Abbildung 25: Angst vor den Abitur­prüfungen, getrennt nach Schulart und Geschlecht (Anzahl bejahter Items; max.: 3).

3 _G8Ju. _._Ga Mäd.

-o-G9Ju. -o-G9Mäd.

o+-------------~--------------~

12. 13.

Jahrgangsstufe

Die Informationen zu den emotionalen Merkmalen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Zu Gymnasialbeginn weisen alle untersuchten Gruppen eine ver­gleichbar ausgeprägte Schulunlust auf. Im weiteren Verlauf steigt diese kontinuier­lich an, bei den G9-Jungen am umfangreichsten und bei G8-Jungen sowie G9-Mäd­chen leicht. Lediglich die G8-Mädchen zeigen eine abnehmende Schulunlust. In der allgemeinen schulbezogenen Angst sowie der leistungsbeeinträchtigenden Prüfungs­angst unterscheiden sich G8 und G9 zu Beginn der Schulzeit nicht. Nach der 7. Klasse sinken dann im G8 diese Werte bis auf ein sehr niedriges Niveau ab, diese günstige Entwicklung ist bei beiden Geschlechtergruppen gleich. Im G9 ist die Ab­nahme der Angstwerte weniger ausgeprägt. In der zweiten Hälfte der Gymnasialzeit weist die G8-Gruppe insgesamt niedrigere Angstwerte auf, was vor allem an den höheren Werten der Mädchen im G9 liegt. "Lampenfieber" und Angst vor den Abi­turprüfungen sind im G8 tendenziell geringer ausgeprägt, dramatische Veränder­ungen in diesem Zeitraum sind nicht festzustellen. Von den vier verglichenen Grup­pen haben die Mädchen im G9 die größte Angst vor dem Abitur. Die allgemein sehr günstig ausgeprägten emotionalen Lernbedingungen (Ängstlichkeitswerte, Schulun­lust) im G8 stimmen mit anderen Untersuchungsbefunden überein, die ebenfalls po­sitive Auswirkungen der Leistungsgruppierung auf verschiedene emotionale Indika­toren beschreiben (Goldring, 1990; Kaiser, 1997; Kaiser & Kaiser, 1998; Kulik & Kulik, 1982). Von daher überraschen die emotionalen Befindlichkeiten der Schüler­innen und Schüler im G8 nicht sonderlich, wenngleich von Kritikern des G8 häufig Gegenteiliges vermutet wird. Auch ist eine Hervorhebung der geringen Prüfungs­angstwerte deshalb gerechtfertigt, weil aus einer theoretisch-pessimistischen Per­spektive ungünstige Effekte der Gruppierung nicht abwegig erscheinen. Die G8-Si­tuation stellt somit für die Mehrzahl dieser Schülergruppe offensichtlich keine angst­erzeugende Anforderung dar. Darüber hinaus sind die generell niedrigen Angstwerte in der Oberstufe besonders interessant, da man bei Integration der G8- in die G9-Gruppe (mit Eintritt in die 12. Jahrgangsstufe) einen Anstieg der Ausprägungen hätte vermuten können. Aber die Ängstlichkeitswerte (allgemeine Angst, Prüfungsangst,

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Persänlichkeits- und Leistungsentwicklung 107

Lampenfieber) der Schülerinnen und Schüler des G8 sind sehr niedrig und fast durchweg geringer als im G9. Die Integration von G8- und G9-Schüler/innen hat demnach keinen negativen Effekt im leistungsbezogenen emotionalen Bereich. Dies gilt für beide Geschlechter.

Verschiedene Selbstkonzeptfacetten der Schülerinnen und Schüler wurden im Vergleich zu den vorher behandelten Merkmalen nur in sehr geringem Umfang er­hoben. Neben der schulischen Selbstwirksamkeitserwartung - erfaßt in der 8. und 10. Klasse - wurden drei Fähigkeitsselbstkonzepte in der 10. Klasse sowie im letzten Gymnasialjahr gemessen. In der schulischen Selbstwirksamkeitserwartung unter­scheiden sich die beiden Schulgruppen zum ersten Meßzeitpunkt nicht, zum Meß­zeitpunkt zwei Jahre später weisen die Schülerinnen und Schüler des G8 eine leicht günstigere Selbstwirksamkeitserwartung auf (Abbildung 26). Grundlage dafür ist eine leichte Steigerung im G8. Bedeutende Geschlechtseffekte bestehen hierbei nicht.

Abbildung 26: Schulische Selbstwirk­samkeitsüberzeugung, getrennt nach Schulart.

60 -+-00

-o-G9

55

~ 0.-----------0

45

40 ~------------~------------~ B. 10.

Jahrgangsstufe

Der Anstieg der schulischen Selbstwirksamkeitserwartung im G8 in diesem Zeit­raum war nicht unbedingt zu erwarten. Für die Ausprägung der eigenen Wirksam­keitserwartung sind soziale Vergleichsprozesse innerhalb des unmittelbaren lei­stungsbezogenen Umfelds (vor allem also die eigene Klasse) von zentraler Bedeu­tung (Köller & Baumert, 200 I). Sobald sich dieses Umfeld, dieser Vergleichs­rahmen, ändert, wird die eigene Wirksamkeitserwartung anhand der neuen Maßstäbe neu bewertet. Für die G8-Schüler/innen jedoch bleibt der Vergleichsrahmen in dem relevanten Zeitraum (8. - 10. Klasse) gleich (es ist nach wie vor der G8-Klassen­verband), so daß man fragen kann , warum zum zweiten Meßzeitpunkt (in der 10. Klasse) die Selbstwirksamkeitserwartung günstiger beurteilt wird. Man könnte spe­kulieren, daß im Zeitraum der 10. Klasse ein vermehrter Kontakt mit Schülerinnen und Schülern des G9 im Kontext gesamtschulischer Aktivitäten (z.B. außerunter­richtliche Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen; Mitarbeit in Gremien der Schü­lermitverwaltung) stattfindet, wodurch sich der thematisch relevante Vergleichs­rahmen vergrößert. Dies könnte einen positiven Effekt auf die eigene schulische Selbstwirksamkeitserwartung ausüben.

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108 Ralph Reimann

Da nicht-akademische bzw. nicht auf schulische Anforderungen bezogene Selbst­konzepte von einer Leistungsgruppierung unbeeinflußt bleiben (Marsh, 1984; Marsh, Chessor, Craven & Roche, 1995), wurden hier nur das allgemein-schulische, das sprachliche und das mathematische Fähigkeitsselbstkonzept untersucht. Im Bereich der drei untersuchten Fähigkeitsselbstkonzepte zeigt sich jedoch eine anderslaufende Entwicklung als oben vermutet, wobei keinerlei Geschlechtsunterschiede bestehen. Während zum Zeitpunkt der 10. Klasse - und dies in gewisser Korrespondenz zu den vorherigen Ergebnissen - die Schülerinnen und Schüler des G8 günstigere Werte im akademischen (schulischen) und sprachlichen Selbstkonzept aufweisen, ist diese Differenz zur zweiten Messung in der letzten Jahrgangsstufe nicht mehr beobachtbar, d.h. die Unterschiede haben sich bis dahin verflüchtigt (Abbildung 27). Hier ist - wie ja meistenteils im Zusammenhang mit den G9-Daten - zu berücksichtigen, daß die Angaben zu den beiden Meßzeitpunkten von zwei verschiedenen G9-Kohorten stam­men, also nur indirekt Entwicklungsaussagen gestatten.

4 . Ga oG9

3 CI c: ;: .. a:

2

aJlg.-akad. sprachl.

10. Klasse

mathem alg.-akad. sprachl.

13. Stufe

mathem

Abbildung 27: Fähigkeitsselbstkonzepte in der 10. und 13. Jahrgangsstufe (vierstufige Ratingskala) .

Der Abbau der Differenzen ist trotzdem überraschend. Nach der 10. Klasse treten die Schülerinnen und Schüler des G8 direkt in die 12. Jahrgangsstufe über und werden in der zweijährigen Kollegstufe gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern aus dem G9 unterrichtet. Aufgrund des veränderten sozialen Vergleichs­rahmens hätte man jetzt eher einen Anstieg der Fähigkeitsselbstkonzepte bei den (ehemaligen) G8-Angehörigen erwartet. Hier ist aber nun zu bedenken, daß die G9-Stichprobe der 13. Jahrgangsstufe als besonders leistungsstark gilt. Allerdings ver­birgt sich hierin im Zusammenhang mit dem Selbstkonzept nur deshalb ein Argu­ment, weil die vorliegende G9-Gruppe (aufgrund ihrer Auswahl zu einem früheren Zeitpunkt unter Klassenbedingungen) eine Subgruppe des gesamten G9-Jahrgangs in der 13. Stufe repräsentiert. Somit läßt sich spekulieren, daß diese leistungsstarke Gruppe, basierend auf den ihr zur Verfügung stehenden sozialen Vergleichsmöglich­keiten innerhalb der gesamten G9-Gruppe, relativ günstige Selbstkonzepte ausge­bildet hat. Dies würde auch bedeuten, daß die obige Analyse die Differenz in den Ausprägungen zwischen G8 und G9 in der 13. Jahrgangsstufe unterschätzt. Hierfür

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Persönlichkcits- und Leistungsentwicklung 109

spricht in Ansätzen, daß sich innerhalb des G8 die Werte des akademischen (schu­lischen) Fähigkeitsselbstkonzepts zwischen der 10. Klasse und der letzten Jahrgangs­stufe leicht positiv entwickeln. Insgesamt läßt sich somit folgendes Fazit ziehen: Zu späteren Zeitpunkten weisen die Schülerinnen und Schüler des G8 eine leicht höhere schulische Selbstwirksamkeitserwartung auf. Hierbei kommt es im G8 zu einer Stei­gerung, möglicherweise bedingt durch einen vermehrten (leistungsrelevanten) Kon­takt zu Angehörigen des G9. Geschlechtseffekte bestehen nicht. Ob zu früheren Zeit­punkten Unterschiede bestanden, ist nicht zu beantworten. Ein gegenüber G9 höher ausgeprägtes Selbstkonzept bei den Schülerinnen und Schülern des G8 ist jedoch kaum zu erwarten, da generell die Gruppierung leistungsstarker Gruppen eher einen ungünstigen Effekt auf Selbstkonzeptfacetten ausübt (Eccles, Wigfield, Midgley, Reuman, Mac Iver & Feldlaufer, 1993; Kulik & Kulik, 1997; Marsh et al., 1995; Wong & Watkins, 2001). Erklärt wird dies damit, daß die sozialen Vergleiche hierbei in einem anspruchsvolleren Rahmen stattfinden. Aus dieser Perspektive ist es bereits als günstig zu beurteilen, wenn die Angehörigen des G8 kein niedrigeres Selbstkon­zept aufweisen. Darüber hinaus bestehen leichte Hinweise für eine positive Entwick­lung des Fähigkeitsselbstkonzepts bei der G8-Gruppe. Dies dürfte durch den neu de­finierten sozialen Vergleichsrahmen (gemeinsame Unterrichtung von G8 und G9 in den letzten beiden Gymnasialjahren) verursacht sein, denn gruppeninterne Ver­gleiche üben einen starken Einfluß auf das Selbstkonzept aus (Fuligni, Eccles & Barber, 1995; Ireson, Hallam & Plewis, 2001; Kulik & Kulik, 1997; Wong & Watkins, 2001). Allerdings könnte dies im Umkehrschluß einen (leicht) negativen Effekt für die Mitschüler/innen des neunjährigen gymnasialen Bildungsgangs bedeu­ten, da diese in dem neuen sozialen Rahmen möglicherweise ihre Selbsteinschät­zungen nach unten regulieren.

Als nächster nicht-kognitiver Faktor wurde das (Kausal-)Attributionsverhalten der Schülerinnen und Schüler im Zeitraum der 5. bis 7. Klasse untersucht. Das Befund­muster für die ersten drei Gymnasialjahre, das hier detailliert zu dokumentieren wenig sinnvoll erscheint, läßt sich wie folgt zusammenfassen: Als reine Schuleffekte (G8 vs. G9), d.h. ohne weitere Bedeutung des Geschlechts, lassen sich Differenzen bei der Kausalattribution "Aufgabenschwierigkeit bei Mißerfolg" sowie "Zufall bei Erfolg" beobachten. Demnach spielen personexternale Faktoren bei den Schüler­innen und Schülern des G8 eine konstant geringere Rolle als bei jenen des G9. Bei der Erklärung eines Mißerfolgs durch (ungenügende) Anstrengung ragen die Mäd­chen des G9 heraus, indem sie von allen vier Gruppen diesen Faktor als am ge­ringsten verantwortlich einstufen. Hinsichtlich der Entwicklungsverläufe zeigen sich folgende Ergebnisse: Für alle Schülerinnen und Schüler wird der Anstrengungsfaktor bei der Mißerfolgserklärung im Verlauf der ersten drei Jahre relevanter (was eine po­sitive Entwicklung darstellt; vgl. Weiner. 1986), jedoch bleiben die Gruppendiffe­renzen im großen und ganzen hierbei stabil. Die bereits zu Beginn geringe Bedeu­tung des Begabungsfaktors im Mißerfolgsfall - d.h. Erklärung schulischer Mißer­folge durch unzureichende Begabung - schwächt sich zur 7. Klasse hin weiter leicht

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110 Ralph Reimann

ab und zeigt somit ebenfalls eine positive Entwicklung an (Covington & Omelich, 1981). Dies vollzieht sich in allen Gruppen in vergleichbarem Ausmaß. Gleichblei­bend in den ersten Jahren ist die Relevanz des Faktors Anstrengung, den nach wie vor die G8-Mädchen am stärksten und die G8-Jungen am schwächsten von den vier Gruppen für einen Erfolg heranziehen. Einzig für den Faktor Erfolgsattribution auf Begabung ist eine bedeutsame schul- und geschlechtsspezifische Entwicklung fest­stellbar. Erklären die G8-Mädchen in der 5. Klasse noch am wenigsten schulische Erfolge mit eigener Begabung, so sind sie es allerdings auch, die in den folgenden zwei Jahren die subjektive Bedeutsamkeit der eigenen Begabung im Erfolgsfall am meisten steigern (Abbildung 28). In Kombination mit den Entwicklungen in den drei anderen Gruppen führt dies dazu, daß in der 7. Klasse eine teilweise andere Rang­folge der Gruppenmittelwerte entstanden ist.

Abbildung 28: Erklärung eines Erfolgs durch die eigene Begabung.

65

60

1::

~ 55 -tt-GSJu.

50 -.-GSMäd.

-o--G9Ju.

--<>-:- G9 Mäd. 45 +---------------~--------------~

5. KI. 7. KI.

Die durchaus posItIve (weil selbstkonzeptförderliche) Entwicklung der ver­mehrten Erklärung eines Erfolgs durch die eigene Begabung führt bei den G8-Mäd­ehen zu einer Annäherung an die Werte der G8-Jungen. Beide G8-Gruppen indes bleiben unterhalb des Niveaus der G9-Gruppen, was eine günstige Bedingung dar­stellt, da eine zu starke oder ausschließliche Besinnung auf die eigenen Fähigkeiten langfristig motivational ebenso abträglich ist wie eine zu starke Geringschätzung der­selben (Ziegler & Schober, 1997). Aus dieser Perspektive haben insbesondere die Mädchen im G8 eine sinnvolle Korrektur ihres Attributionsstils vorgenommen. Geht man davon aus, daß die relativ geringe Überzeugung von der Relevanz der eigenen Begabung (im Erfolgsfall) bei den G8-Mädchen eine "Altlast" aus der Grundschule darstellt, dann vollziehen die Mädchen im G8 die günstigste Entwicklung. Im Ver­gleich dazu zeigen die Mädchen im G9 die fatale Tendenz, bei einem Mißerfolg weniger als alle anderen Gruppen die (fehlende) Anstrengung als verursachend zu betrachten, was langfristig als nachteilig gelten muß (Hosenfeld, 2001; Ziegler & Schober, 1997). Nach dem motivationalen und leistungsemotionalen Bereich sind es im Bereich der Attributionen wiederholt die Mädchen im G8, die von den in der G8-Lernumwelt gebotenen Bedingungen scheinbar am meisten profitieren. DalÜber hin­aus ist die für die G8-Gruppe geringere Bedeutung externaler Erklärungsfaktoren be-

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Pcrsönlichkeits- und Leistungsentwicklung 111

achtenswert, was günstig ist. Gleiches fanden Kaiser & Kaiser (1998) für die Schüler und Schülerinnen begabungs- bzw. leistungshomogenisierter Schulklassen in Rhein­land-Pfalz und vermuteten einen Effekt der in diesen Klassen höheren Notwendigkeit selbstverantwortlichen Handeins. Wahrscheinlich fördert das G8 bei seinen Teil­nehmer/innen eine Sichtweise, nach der sie generell "aktiver" sind und sich weniger von externen (unbeeinflußbaren) Kräften abhängig erleben.

Als weiterer Aspekt wurde das Interesse der Schülerinnen und Schüler für die Fächer Deutsch, Mathematik, Kunst, Geschichte und Physik in den Klassenstufen 6, 8, 10 und 12 untersucht (Geschichte und Physik nur in den Jahrgangsstufen 10 und 12). Die Gegenüberstellung der Interessenausprägungen im G8 und G9 erbringt kein konsistentes Bild - die einzig "stabilen" Befunde sind jene der umfassend fehlenden Geschlechtseffekte. Dort, wo Unterschiede zwischen den beiden Schulgruppen auf­treten, bestehen diese eher zu Gunsten von G8 . Allerdings scheinen diese Diffe­renzen zusammenhangslos und ohne Systematik zu sein: So demonstriert die G8-Gruppe beispielsweise in der 8. Klasse in Deutsch und Mathematik ein höheres Inter­esse, was zum vorherigen Zeitpunkt nicht vorkam und in der Folge ebenfalls nicht wieder auftritt. Stattdessen bestehen in der 10. Klasse dann aber Differenzen in den Fächern Kunst und Geschichte, was in der 12. Stufe wiederum nicht mehr der Fall ist. Da zudem die Effektstärken eher gering ausfallen, läßt sich von diesem Ergebnis­muster kaum ein plausibles Resümee ziehen. Die Entwicklungsverläufe des Inter­esses innerhalb des G8 zeigen allgemein nur leichte Schwankungen; insgesamt sig­nalisieren die Angaben der Schülerinnen und Schüler eine durchweg positive Inter­essenhaltung (Abbildung 29).

4

3

2

6. 8. 10. Jahrgangsslufe

12.

---.- Deutsch

-0-- tlathe.

~Kunst

-o-Geschi.

_Rlysik

Abbildung 29: Entwicklung des Interesses (nur G8, vierstufige Ratingskala).

Eine Ausnahme hiervon bildet das Interesse für das Fach Deutsch. Liegt das deutschsprachige Interesse zu den ersten bei den Meßzeitpunkten noch auf vergleich­barem, relativ hohem Niveau mit den anderen, so ist zwischen der 8. und 10. Klasse doch ein deutlicher Rückgang festzustellen. Eine derartige Abnahme besteht in

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ll2 Ralph Reimann

keinem anderen Fach zu keinem anderen Zeitpunkt. Dieser Verlauf ist insofern be­deutend, als er mit dem beobachteten Rückgang der verbalen Fähigkeitskompetenzen nach der 8. Klasse korrespondiert (vgl. Abbildung 5 oben). Möglicherweise bedingt hier das eine das andere, wobei über die Kausalrichtung nur spekuliert werden kann. Mitunter ist man in einer schnellen Überlegung geneigt, den Rückgang des Interesses mit einem eventuellen Lehrkraftwechsel zu assoziieren; jedoch wird die Haltlosigkeit einer derartigen Annahme schnell offensichtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die vorliegenden Informationen (Schüler/innen-Aussagen) auf insgesamt zwölf verschiedenen Klassenverbänden (drei Kohorten a vier Klassen) basieren. Als Erklä­rung bieten sich deshalb vermutlich eher curriculare Inhalte an: Wirken die Themen und Inhalte im Zeitraum von der 9. bis zur 10. Klasse generell zu wenig interessen­und motivationsfördernd?

Insgesamt ist also der Vergleich der Interessenausprägungen im G8 und G9 wenig aussagekräftig. Umfassende Differenzen bestehen scheinbar nicht, was sich ansatz­weise mit anderen Ergebnissen deckt (Fuligni et al., 1995). Dort, wo Unterschiede bestehen, bescheinigen sie markante Interessen der Schülerschaft im G8, was mit den Ergebnissen von Kaiser (1997) übereinstimmt. Die Längsschnittdaten belegen durch­gehend eine positive Gesamtinteressenlage innerhalb des G8, so daß vom G8 keines­falls ein nachteiliger Effekt auf die Interessenausprägung ausgehen dürfte - bei zeit­weiligen Verbesserungsmöglichkeiten im Fach Deutsch.

Das Lern- und Arbeitsverhalten der Schülerinnen und Schüler wurde lediglich in der Oberstufe untersucht (12. und 13. Jahrgangsstufe). Zum Zeitpunkt der 12. Jahr­gangs stufe bestehen nur in wenigen der 20 erfaßten Dimensionen Unterschiede zwi­schen G8 und G9 (s. Abbildung 30). So bescheinigt sich die G8-Gruppe einen je­weils stärker ausgeprägten reflexiven Denkstil und substanzorientierten Lernstil, ferner sieht sie sich etwas mißerfolgstoleranter. Dafür attestiert sich die G9-Gruppe eine höhere Erfolgsmotivation. Zum folgenden Meßzeitpunkt (13. Jahrgangsstufe) sind keine dieser Differenzen mehr festzustellen. Die Angleichung der bei den Gruppen ist zurückzuführen auf Veränderungen der Werte im G9, die Werte im G8 bleiben stabil. Eine Ausnahme hiervon stellt die Entwicklung der Mißerfolgstoleranz dar, die im G8 leicht abnimmt und im G9 leicht zunimmt. Unter Berücksichtigung der nicht sehr großen Effektstärken (von Gruppenunterschieden wie von Entwick­lungen) ist in der Gesamtheit eher von keinen bedeutsamen Differenzen im Lern­und Arbeitsverhalten zwischen G8 und G9 auszugehen. Die Gruppierung der Schülerinnen und Schüler (durch das G8) führt hier demnach nicht dazu, daß sich neue Arbeitsnormen etablieren - wie es etwa Hallinan (1987) für den Fall der Homo­genisierung von Lerngruppen vermutete. Die Literatur hierzu weist mitunter posi­ti vere Ausprägungen in homogenen Schulklassen nach (Kaiser & Kaiser, 1998; Kulik & Kulik, 1982); allerdings ist bei der Interpretation solcher Befunde die Ver­schiedenheit der erhobenen Konstrukte in Rechnung zu stellen. In der Untersuchung von Kaiser & Kaiser (1998) etwa bescheinigen sich die Schülerinnen und Schüler der rheinland-pfälzischen "D-Zugklassen" höhere metakognitive Kompetenzen. Zu ähn-

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 113

lichen Befunden kamen Perleth (1992) sowie Perleth & Sierwald (2001) bei hochbe­gabten Kindern und Jugendlichen in Baden-WürUemberg, Bayern und Berlin.

Anspruchsniveau

Bedürfnisaufschub

Erfolgsmotivation

Lemmotivation

Mißerfolgsmotivat.

I

Selbstwertbild

Stoffverarbeitung

Aktualis ierungsphase

Lembedingungen

Denksti

Lemstil

Mißerfolgstoleranz

Rezeptionsphase

Leistungskontrolle

Streßresistenz

Lemfeldunabhäng.

Lemverhalten

Lemtechniken

SchuleinsteIlung Leistungszufriedenh.

30 40

~

""'"" L ' ~

,"" ."-~ --........ , / ~" ./" ',,," ~

" ~ ~

Gruppe

..,."",-\

Ga

~ G9

50 60 70

Abbildung 30: Ausprägungen in den Dimensionen des Arbeitsverhaltensinventars (A VI) in der 12. lahrgangsstufe (T-Werte) .

Festzuhalten bleibt, daß in den hier untersuchten Merkmalen (ohne Berücksichti­gung metakognitiver Kompetenzen) zwischen G8 und G9 eher keine Unterschiede bestehen, so daß daraus keine G8-spezifischen Auswirkungen auf das Arbeitsverhal­ten der Schülerinnen und Schüler abgeleitet werden können. Die Analysen erbrach­ten ebenfalls keine Hinweise auf relevante Geschlechtseffekte. Betrachtet man die konkreten Ausprägungen in den Dimensionen (also losgelöst von statistischen Ana­lysen), fallen zwei Aspekte auf: Von allen Gruppen demonstrieren die Mädchen im G8 die positivste Einstellung zur Schule bei gleichzeitig größter Lernfeldunabhän­gigkeit, d.h. für sie haben Sympathie- und Antipathieempfindungen gegenüber Lehr­kräften (aber auch gegenüber Mitschülerinnen und -schülern) den geringsten (aber keinen störenden) Einfluß auf das eigene Leistungsverhalten .

Das vorletzte untersuchte Merkmal des nicht-kognitiven Bereichs ist die soziale Kompetenz. Diese wurde zu drei Messungen (5 . und 6. Klasse sowie 13. Jahrgangs­stufe) erfaßt. In den gymnasialen Anfangsjahren besteht keine Differenz im Ausmaß der sozialen Kompetenz zwischen G8 und G9, ebenso wenig ist ein Einfluß des Ge-

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114 Ralph Reimann

schlechts festzustellen. In diesem (knappen) Zeitraum erfolgen auch keine schul­formspezifischen Veränderungen der Werte (Abbildung 31). Die gleiche Situation ist zum Ende der Schullaufbahn (13 . Jahrgangsstufe) zu verzeichnen, hier bestehen ebenfalls keine bedeutenden Gruppendifferenzen .

60

55

Abbildung 31: 1: Soziale Kompe-

., 50

tenz, getrennt ~ nach Schulart.

45

-+-08 -o-G9 40

5. 6. 13. Jahrgangsstufe

Innerhalb des G8 ist im kompletten Untersuchungszeitraum eine doch beachtliche Steigerung der sozialen Kompetenz beobachtbar, die bei Jungen und Mädchen gleichermaßen verläuft. Die Querschnittdaten für das G9 deuten auf eine vergleich­bare Entwicklung hin. Insgesamt läßt sich somit festhalten: Es bestehen keine sub­stantiellen Differenzen in der Ausprägung der sozialen Kompetenz, weder zwischen der G8- und G9-Schülerschaft, noch zwischen den Geschlechtergruppen. Eine Stei­gerung der Ausprägung tritt in allen Gruppen ähnlich auf. Das G8 übt also keinen schulspezifischen Einfluß auf die Entwicklung sozialer Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler aus, dementsprechend also auch keinen negativen. Dieses Ergebnis ist nicht selbstverständlich, weisen doch Kaiser & Kaiser (1998) indirekt darauf hin, daß in den von ihnen untersuchten homogenisierten und akzelerierten Projektklassen in Rheinland-Pfalz die sozialen Fertigkeiten weniger günstig ausgebildet wurden. Dieser negative Effekt ist im baden-württembergischen G8 nicht zu beobachten.

Abschließend wurden die Persönlichkeitsprofile der Schülerinnen und Schüler untersucht. Die Erfassung erfolgte über zwei verschiedene Persönlichkeitsfrage­bogen, die beide gegen Ende der Gymnasialzeit (12. bzw. 13. Jahrgangsstufe) zum Einsatz kamen. Der erste Fragebogen ist das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO­FFI). In diesem NEO-FFI, das mit Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Verträg­lichkeit und Gewissenhaftigkeit die "Big Five" der Persönlichkeitsfaktoren erfaßt (zunächst waren es nur die ersten drei genannten Faktoren, daher der Name NEO), sind weder Unterschiede zwischen den Schul formen, noch Geschlechtseinflüsse fest­zustellen. Die Ausprägungen insgesamt bewegen sich nah um den Mittelwert der Re­ferenzstichprobe (Erwachsene). Die noch größte Abweichung von diesem Ver­gleichsmaß betrifft die Werte für Neurotizismus, die in G8 wie G9 ähnlich niedrig gelagert sind.

Page 114: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 115

Der zweite Fragebogen erfaßt insgesamt 16 Persönlichkeitsfaktoren. Besondere geschlechtsspezifische Ausprägungen (d.h . Wechselwirkungen zwischen Schulform und Geschlecht) sind auch hier nicht zu beobachten, indes zeigen sich einige gene­relle Differenzen zwischen G8 und G9 (Abbildung 32).

ach- H Kontaktorienlierung ........ .................... .

Konkretes H Abstraktes Denken .............. ......... .

Emotional Störbarkeit H Widerstandsfähigkeit

oziale Anpassung H elbslbehauplUng .......... .

Besonnenheit H BegeisterungsHihigkeit .......... .

..~

--:7 .. ~ .. ~ L

Flexibilität H Pflichtbewußlsein ...................... .

Zurtlckhaltung HSeib tsicherheit .......... .... .. ..... .

Robustheit H Sensibilität .. ... .......... .. .. .. ............ .

Venrauensbereitschaft H Skeptische Haltung .. .

Pragmati mus H Unkonvenlionaliläl .............. ..

Unbefangenheit H Überlegtheit ....... ...... ......... ..

Selbslvenrauen H Besorgtheil ....... ...... ........... ..

Sicherheitsinteres eH Veränderung bereit. .. ..

-----L j \ ~ ~

"""'" ..

.. ~ Gruppenverbundenheit H Eigensländigkeil ..... . ~

" Ga

pontaneität H Selbslkontrolle ...... .. ................ .

Innere Ruhe H Innere Gespanntheil.. .............. .. L G9

35 40 45 50 55 60 65

Abbildung 32: Ausprägungen der Dimensionen des 16PF in der 11. Jahrgangsstufe. Die Ska­lenbeschreibungen sind als Endpunkte der jeweiligen Dimensionen zu ver­stehen, was beispielsweise für die erste Persönlichkeits variable bedeutet: Je niedriger die T -Werte sind, desto sachorientierter, und je höher, desto kontakt­orientierter ist jemand.

Größtenteils sind diese Differenzen zu Gunsten des G8 geformt, wenn auch bei manchen Dimensionen eine Wertung nach günstig vs. ungünstig nicht einfach er­scheint. So bescheinigt sich die G8-Gruppe ein ausgeprägteres abstraktes Denken, eine stärkere emotionale Widerstandsfähigkeit, ein höheres Selbstvertrauen und eine höhere Veränderungsbereitschaft, eine geringere Spontaneität sowie eine stärkere innere Ruhe. Allerdings sollte man die genannten Aspekte nicht überbewerten. Erstens lagern die Werte beider Gruppen hinsichtlich der grundlegenden Position eher nah beieinander (z.B. attestieren sich beide Gruppen eher ein abstraktes als ein konkretes Denken, ebenso sind beide Gruppen eher emotional widerstandsfähig als emotional störbar), d.h. die gefundenen Diskrepanzen beschreiben keine qualitativen Unterschiede, sondern lediglich graduelle. Zweitens weisen die Effektstärken in der Gesamtheit auf keine allzu großen Abweichungen hin. Die stärksten Unterschiede zeigen sich beim Selbstvertrauen, bei der Veränderungsbereitschaft sowie bei der

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116 Ralph Reimann

inneren Ausgeglichenheit. Ungeachtet der Testungen fallen bei Durchsicht der kon­kreten Ausprägungen die relativ hohen Werte beider Mädchengruppen auf: Sowohl die Mädchen im G8 als auch jene im G9 beschreiben sich als "sensibel", während beide Jungengruppen eher eine "Robustheit" ausdrücken. Am Ende der Gymnasial­laufbahn verlassen somit "normale" Persönlichkeiten das G8. Dennoch beeindrucken das höhere Selbstvertrauen sowie die innere Ausgeglichenheit dieser Schülerinnen und Schüler. Man kann also keinesfalls - wie manchmal behauptet - sagen, das G8 würde einen negativen Einfluß auf diese Persönlichkeitsfacetten ausüben - eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein.

Schulleistungen im G8

Die Schulleistungen der Schülerinnen und Schüler wurden anhand der Zensuren untersucht. Eine sequentielle Gegenüberstellung von G8 und G9 jeweils in der 6., 8., 10. Klasse erbrachte keine Hinweise auf bedeutende Geschlechtsdifferenzen, wes­halb hierauf in der Folge - mit Ausnahme der G8-Abiturleistungen - nicht mehr ein­gegangen wird. Zwischen den Schul gruppen G8 und G9 sind allerdings deutliche Leistungsunterschiede zu konstatieren, die ausnahmslos zu Gunsten von G8 aus­fallen . Diese Differenz vergrößert sich im Verlauf der Schuljahre in dem Sinne, daß zum Zeitpunkt der ersten Gegenüberstellung (6. Klasse) die G8-Gruppe nur in der Hälfte der untersuchten Fächer bessere Leistungen demonstriert (Abbildung 33), während in der 10. Klasse die Diskrepanz in allen herangezogenen Fächern besteht (s. Abbildung 35). Dieser Kumulierungsbefund kann möglicherweise als Matthäus­effekt im Zusammenhang mit der schulischen Differenzierung (G8) interpretiert werden (vgl. hierzu S. 28 in diesem Buch).

3

2,8

2,6

2 ,4

2,2

2

1,8

1,6

1,4

1,2

Abbildung 33: Schulleistungen in der 6. Klasse.

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 117

3,4 -k--Ge ---o-G9

3,2

3

2,8

2,6 CD

Ö 2,4 Z

2,2

2

1,8

1,6

1,4

Deutsch Engl Lat. / Fra. Geschl. Mathe , Physik Biobg. Musik

Abbildung 34: Schulleistungen in der 8. Klasse.

Dabei ist die interessante Entwicklung beobachtbar, daß sich zu Beginn der Gym­nasialzeit die Differenzen auf sprachliche (und kommunikationsorientierte) Fächer beschränken (Deutsch, Englisch, Religion), während sie in den mathematisch-natur­wissenschaftlichen Fächern (Mathematik, Biologie, Physik) erst in den späteren Jahren auftreten.

3,6 ---..- Ge -0-- 09

3,4

3,2

3

2,8

~ 2,6 z 2,4

2,2

2

1,8

1,6

Deutsch Eng!. lllt./Fra. Geschi. Mathe. Physik Biobg. Kunst

Abbildung 35: Schulleistungen in der 10. Klasse.

In der 12. Jahrgangsstufe besuchen die Schülerinnen und Schüler das Kurssystem der gymnasialen Oberstufe, d.h. es existieren keine Klassenverbände mehr. Nach der 10. Klasse sind die Schülerinnen und Schüler des G8-Zweiges direkt in diese 12. Jahrgangsstufe übergetreten, sie haben also die 11. Klasse übersprungen. Aufgrund organisatorischer und struktureller Bedingungen ist die G8-0berstufe an den ver-

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118 Ralph Reimann

schiedenen Standorten jedoch konzeptuell unterschiedlich gestaltet. In zwei der vier G8-Standorte integrieren sich die Schülerinnen und Schüler ausnahmslos in das vor­handene Kursangebot des neunjährigen gymnasialen Bildungsgangs und besuchen fortan gemeinsam mit den G9-Angehörigen ihres Gymnasiums die Unterrichtskurse. Diese G8-Gruppe wird im folgenden als G8-int. bezeichnet. In den anderen beiden G8-Schulstandorten integrieren sich die Schülerinnen und Schüler überwiegend zwar ebenfalls in das G9-Kursangebot, allerdings absolvieren sie vier Fächer auf Lei­stungskursniveau (5 Unterrichtstunden pro Woche), zu denen verpflichtend Deutsch und Mathematik zählen, die als separate G8-Kurse innerhalb des Kurssystems exi­stieren. Diese G8-Gruppe, die also isoliert vom G9-System die Leistungskurse Deutsch und Mathematik besucht, wird als G8-sep. bezeichnet - obschon sie in allen anderen Fächern an den G9-Kursen teilnimmt. Eine weitere Differenzierung inner­halb von G8-sep. besteht darin, daß in einem der beiden G8-sep.-Standorte zusätzlich eine separate G8-Unterrichtung im Kombinationsfach Geschichte/ Erdkunde/ Ge­seIlschaftskunde erfolgt. Da dies nur an einer Schule der Fall ist, wird auf die Bil­dung weiterer Subgruppen verzichtet und die Leistung im genannten Fächerblock nicht näher analysiert.

14 --.- Ga sep. -+- G8 nl -0- G9

13

12

~ 11 c:: ~ 10

9

a

7 +-----~------~------~------~----__ ~----~------~ Deutsch tJa1he.

separater 08-Unterricht in 08-se .

81gl. ReliSh. Biolog. Kunst Sport

an den 08-Schulen gemeinsamer Unterricht 08 und 09

Abbildung 36: Schulleistungen in der 12. Jahrgangsstufe.

Die Leistungsbewertung in der Oberstufe erfolgt im Rahmen des vorgeschrie­benen Punktesystems, bei dem (anders als bei der klassischen Notenskala) höhere Werte bessere Leistungen symbolisieren (Abbildung 36). Die Fächer Englisch bis Sport besitzen ausnahmslos bei allen Schülerinnen und Schülern Grundkursstatus. Die Fächer Deutsch und Mathematik absolviert G8-sep. geschlossen als Leistungs­kurse, G8-int. und G9 z.T. als Leistungskurs, Z.T. als Grundkurs. Diese unterschied­lichen Bedingungen sollten insofern ohne Bedeutung sein, als der relevante Faktor an

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 119

dieser Stelle die gemeinsame vs. getrennte Unterrichtung von G8- und G9-Ange­hörigen ist - gleichgültig, ob dies im Leistungs- oder im Grundkurs der Fall ist.

Interessant an den vorliegenden Notenprofilen ist die erkennbare Notendiskrepanz (wenn auch diese im Fall Deutsch weniger deutlich ist) in Deutsch und Mathematik zwischen G8-sep. und G8-int., da in den weiteren Disziplinen (die die Schülerinnen und Schüler von G8-sep. ebenfalls innerhalb der G9-Kurse absolvieren) G8-sep. und G8-int. annähernd identische Leistungen aufweisen, die größtenteils über jenen von G9 liegen (s. Abbildung 36). Eine Ausnahme hiervon bildet das Fach Sport, was je­doch mit den folgenden Überlegungen kompatibel erscheint.

In jenen Fächern also, die G8 und G9 1 gemeinsam besuchen, erhalten die bei den G8-Gruppen (sep. und int.) vergleichbare, in den getrennt absolvierten Kursen jedoch divergierende Leistungsbeurteilungen. Insgesamt heißt dies möglicherweise, daß die G8-int.-Gruppe vom herrschenden neuen Bewertungsmaßstab (vermutlich mit der durchschnittlichen G9-Leistung als Referenzmaß) profitiert, während die G8-sep.­Gruppe durch den nach wie vor gleichen (selbstreferentiellen) Bewertungsrahmen in Deutsch und Mathematik keine Aufwertung erfährt und somit gegenüber der G8-int.­Gruppe benachteiligt ist. Für diese Sichtweise spricht die beobachtbare Konvergenz der Benotungen von G8-sep. und G8-int. in den Grundkursen. Nach dieser Interpre­tation wären folglich Bezugsrahmeneffekte für die unterschiedlichen Notenprofile der bei den G8-Gruppen verantwortlich zu machen. Wie angedeutet, stellt Sport eine Ausnahme dar. Es ist wohl davon auszugehen, daß Lehrkräfte in Sport mehr als in anderen Fächern eine kriteriale Norm bei der Leistungsbewertung anlegen können, weshalb Bezugsrahmeneffekte hier eine untergeordnete Rolle spielen dürften (zu den verschiedenen Bezugsnormen schulischer Leistungsbeurteilung siehe z.B. Rheinberg, 2001). Aus diesem Grund ist in den Sportleistungen kein Gegenargument zur obigen Annahme über das Zustandekommen der verschiedenen Leistungsprofile bei G8-sep. und G8-int. zu sehen. Unabhängig davon wurde in vielen Schul- und Studienlei­stungsanalysen bei hochbegabten Jugendlichen beobachtet, daß deren Sportnoten relativ am schwächsten ausfallen, was mit anderen individuellen Vorlieben für dieses Fach im Vergleich zu durchschnittlich begabten Jugendlichen zusammenhängen mag (vgl. Heller & Lengfelder, 1999, 2000; Neber & Heller, 1997, 2002; Perleth & Sierwald,2001).

In ihrer Gesamtheit deutet die Befundkonstellation somit an, daß die G8-Gruppen von der Integration in das G9-System (bei Eintritt in die 12. Jahrgangsstufe) noten­mäßig profitieren. Unterstützung erfährt diese Annahme durch die längsschnittliche Entwicklung der Noten im G8, mit der sich der nächste Abschnitt beschäftigt.

1 Zur Verdeutlichung sei darauf hingeWIesen, daß die hier erwähnten G9-Schülerinnen und -Schüler nicht jene G9-Gruppe darstellen, deren Werte in der Abbildung enthalten sind. Es handelt sich um Schülerinnen und Schüler, die den neunjährigen Zug an den G8-Standorten besuchen, während die in der Abbildung aufgeführte G9-Gruppe an einem reinen neunjährigen Gymnasium (ohne G8-Zweig) beheimatet ist.

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120 Ralph Reimann

Leistungsentwicklung im Längsschnitt

Zur Untersuchung der Notenentwicklungen2 wurden unter Beibehaltung der beiden G8-Subgruppen (G8-sep. und G8-int.) die Leistungen der G8-Schüler/innen denen der G9-Gruppe gegenübergestellt. Der Vergleich beschränkt sich auf die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch sowie Physik, für das allerdings erst ab der 7. Klasse Informationen vorliegen.

Die folgenden Abbildungen (37-40) zeigen die Verläufe der Zensuren in den er­wähnten vier Fächern von der 5. Klasse bis einschließlich der 12. Jahrgangsstufe. Die Punktbewertungen der letztgenannten Jahrgangsstufe wurden in die klassische No­tenskala transformiert. In den Abbildungen symbolisieren also niedrigere Werte höhere Leistungen. Die Entwicklung der Noten zwischen der 10. und 12. Jahrgangs­stufe ist hierbei besonders interessant, da mit Einstieg in die 12. Jahrgangsstufe sich die G8-Schüler/innen in das Kursangebot ihrer Schule integrieren und gemeinsam mit der G9-Population am Unterricht teilnehmen. Eine Ausnahme hiervon besteht für G8-sep. in den Fächern Deutsch und Mathematik, weshalb in die vorliegenden Ver­gleiche die Subgruppen G8-sep./G8-int. getrennt eingehen. Zwar absolviert G8-sep. in der 12. Jahrgangsstufe Deutsch und Mathematik als (Pflicht-)Leistungsfacher, während sich G8-int. und G9 in diesen Fächern weiter in Leistungskurs- und Grund­kursangehörige aufteilen, jedoch sollte diese Differenzierung für das aktuelle Unter­suchungsanliegen kaum von Bedeutung sein .

3,1 .......- GB-sep. --+- GB-int. -0-- G9

2,9

2,7

GI 2,5

Ö z 2,3

2,1

1,9

1,7

5. 6. 7 8. 10. 12. Jahrgangsstufe

Abbildung 37: Entwicklung der Zensuren im Fach Deutsch.

Ausgehend von den Hinweisen auf Bezugsrahmeneffekte in der Notengebung (s.o.) lassen sich folgende Hypothesen aufstellen. Hinsichtlich der Benotung profi-

2 Signifikanztestungen wurden zu diesem Aspekt nicht vorgenommen.

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 121

tieren alle G8-Schüler/innen - also ungeachtet der Subgruppenzugehörigkeit - von der Zusammenlegung mit dem G9-Zug ihrer Schule; dieser Profit zeigt sich jedoch für G8-sep. nicht in Deutsch und Mathematik, da hier der Bewertungsrahmen stabil bleibt. In Anbetracht der Relevanz des Bewertungsrahmens scheint es nun unerheb­lich zu sein, ob im Falle von G8-int. sich dieser Rahmen auf Leistungs- oder Grund­kursniveau ändert - wichtig ist vielmehr, daß er sich ändert.

3,1 ~ G8-sep. -+- G8-in!. -0- G9

2,9 ------[].------D , 2.7

GI 2,5

Ö z 2,3

2,1

1,9

1,7

5. 6. 7. 8. 10.

Jahrgangsstufe

Abbildung 38: Entwicklung der Zensuren im Fach Mathematik.

, , , , ,

12.

Bei Betrachtung der Entwicklungsverläufe sollten die Werte der G9-Kohorte in der 12. Jahrgangsstufe nicht überbewertet werden, da sich bereits im Rahmen der KFT-Auswertungen Hinweise auf eine vom allgemeinen G9-Niveau nach oben ab­weichende Leistungsfähigkeit ergaben. Die entsprechenden Angaben sind demnach kaum hilfreich bei der Abschätzung der Notenentwicklung im G9 und bleiben des­halb bei der Betrachtung außen vor. Generell sind die Differenzen zwischen G8 und G9 hier weniger interessant, da diese in vorherigen Abschnitten thematisiert wurden. Vielmehr liegt an dieser Stelle der Fokus auf der Notenentwicklung.

Abgesehen von Physik ist im G9 (wenn auch mit Schwankungen) in der Gesamt­heit eher eine Notenverschlechterung im Laufe der Schuljahre zu erkennen. Im G8 sind Verschlechterungen zwar ebenfalls zu beobachten, diese sind aber mal nur schwach (Deutsch), mal jedoch stärker (Mathematik, Englisch) ausgeprägt. Im Fach Deutsch zeigen die Notenkurven im G8 insgesamt die geringsten Veränderungen (s. Abbildung 37).

Auch die Differenzen zwischen den bei den G8-Gruppen sind nicht einheitlich ausgeprägt. In beiden sprachlichen Fächern (Deutsch, Englisch) liegen die Werte sehr nah zusammen, in Mathematik hingegen bestehen mitunter beträchtliche Unter­schiede. Der Leistungsabstand in Mathematik scheint ohne weitere Analysen mit zu­sätzlichen Informationen kaum erklärbar zu sein. Gleiches gilt für Physik in den

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122 Ralph Reimann

späteren Jahrgangsstufen (Abbildung 40). Insgesamt bestehen in Physik eher un­stetige Verläufe.

"""'*- G8-sep. ___ Ga-in!. -0- G9

3,1

.. JJ .. .. .. .. .... .. .. .. .. ... ... 'D

2,9

2,7

2,5 GI Ö 2,3 z

2,1

1,9

1,7

1,5

5. 6. 7. 8. 10. 12.

Jahrgangsstufe

Abbildung 39: Entwicklung der Zensuren im Fach Englisch.

Wie sehen die Notenveränderungen im G8 zwischen der 10. und 12. Jahrgangs­stufe aus? Hier zeigen sich größtenteils hypothesenkonforme, teilweise jedoch auch schwierig zu interpretierende Verläufe. In Deutsch und Mathematik kommt es erwar­tungsgemäß in G8-int. zu einer Notenverbesserung und in G8-sep. zu einer Notensta­bilität. In Englisch zeigt sich in bei den Gruppen eine Verbesserung, die in G8-int. ausgeprägter verläuft. In G8-sep. geht dieser Verbesserung aber eine Notensteige­rung bereits zwischen der 8. und 10. Klasse voraus, die in diesem Kontext nur schwer zu erklären ist, aber den Effekt der Integration in das G9-Umfeld ab­schwächen dürfte. In Physik ist eine derartige zeitlich vorgelagerte Notenver­besserung diesmal in G8-int. zu erkennen.

Abbildung 40: Entwicklung der Zensuren im Fach Physik.

~ Z

3,1 1 2,9 1 2,71' 2,5

2,3 i I

1,7

-....- G8-sep. --+-- G8-in!. - -0- - G9

.. 0 " , ;;,. '"

,," , 0" "

::: )1

1,5 -----~----

7. 8. 10.

Jahrgangsstufe

" " " , ,

12.

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Persänlichkeits- und Leistungsentwicklung 123

Ob die Notenentwicklungen das postulierte Muster in der Gesamtheit dennoch an­deuten, soll eine Betrachtung der Effektstärken der einzelnen Intragruppenverän­derungen in diesem Zeitraum beantworten, da hierbei die Ausmaße der verschie­denen Notensteigerungen vergleichend untersucht werden können. Abbildung 41 zeigt die Effektgrößen der Notenentwicklungen. Aufgeführt sind die Beträge der Ef­fektstärken, hohe Werte belegen deutliche Verbesserungen der Zensuren gegenüber der 10. Klasse. Erwartungsgemäß ist für G8-int. ein umfassender Notenanstieg zu beobachten. In Einklang mit dieser Erwartung erweisen sich die Zensuren von G8-sep. in Deutsch und Mathematik als nahezu konstant, während sie sich in Englisch in deutlich größerem und in Physik in zumindest erkennbarem Ausmaß verbessern .

Abbildung 41 : Effektstärken der Notenveränderungen zwischen der 10. und 12. Jahrgangsstufe.

GI

0,8

0,7

0,6

i:: 0,5 +-----­~ ~ 0,4 +-------ffi 0,3

0,2

0 ,1 +---1

° Deutsch Mathe.

• G8-sep. 0 G8-lnl

Englisch Phy.;ik

Als weniger hypothesen konform sind einige Ausprägungen in Relation zuein­ander zu bezeichnen. So sollten die beiden Effektstärken in Englisch weniger deut­lich differieren - obschon hier die im Notenverlauf von G8-sep. erkennbare zeitlich vorgelagerte Verbesserung zwischen der 8. und der 10. Klasse in Rechnung zu stellen ist. Zum Zeitpunkt der 12. Jahrgangsstufe schließ! ich weisen beide G8-Gruppen vergleichbare Zensuren in diesem Fach auf (s. Abbildung 39). Ebenso sollte sich bei G8-sep. die Veränderung der Physiknote deutlicher von jener in Mathematik abheben als es der Fall ist. In der allgemeinen Tendenz sind hier die vermuteten Ent­wicklungen allerdings durchaus erkennbar, weshalb folgendes Resümee gerechtfer­tigt erscheint: Im Kontext der Notengehung profitieren die G8-Schüler/innen von der Fusion mit der G9-Gruppe; dieser Profit ist scheinbar weniger das Resultat einer tat­sächlichen Leistungssteigerung als vielmehr das eines neu ausgerichteten Bewer­tungsmaßstabs, also ein Benotungseffekt!

Kritisch ließe sich an dieser Stelle anmerken, daß ja möglicherweise die Schüler­innen und Schüler des G8 vorher (also vor Eintritt in das G9-System) bei der Beno­tung benachteiligt waren (vgl. Reuman, 1989) und die dortigen Noten nicht ihren wahren Leistungsstand repräsentierten . Schließlich legen Lehrkräfte bei der Lei­stungsbeurteilung eher klassen-, bestenfalls schulinterne Bewertungsrahmen an (Köller, Baumert & Schnabel, 1999; Rheinberg, 2001 ; Schrader & Helmke, 2001).

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124 Ralph Reimann

Nun, im direkteren Vergleich mit G9, vermögen die Lehrkräfte das Leistungsniveau der G8-Gruppe besser abzuschätzen und honorieren es dementsprechend in der Notengebung. Gegen diese Vermutung sprechen teilweise allerdings die erkennbaren guten Noten bereits in den Zeiträumen vor der Zusammenlegung mit den Schüler­innen und Schülern des G9. Möglicherweise ist ja die G8-Gruppe innerhalb des­selben Gymnasiums in gewissem Sinne doch "eindrucksvoll", so daß die Lehrkräfte durchaus in der Lage sind, Leistungsdifferenzen zwischen G8- und G9-Angehörigen wahrzunehmen. Vielleicht ist tatsächlich der schulinterne Referenzrahmen bei der Bewertung ausschlaggebend. Insgesamt sollte man somit davon ausgehen, daß trotz bereits besserer Benotungen im Vorfeld die Schülerinnen und Schüler des G8 noch­mals von der Integration in das G9-System notenmäßig profitieren. Ob dies gleich­zeitig auch eine Benachteiligung der G9-Gruppe bedeutet, ist mit dem verfügbaren Datenmaterial nicht zu beantworten.

Unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen und Abbildungen legen die Ent­wicklungsverläufe der Noten bei komprimierender Sichtweise vergleichbare Verän­derungen in G8 und G9 nahe. Für beide Gruppen lassen die Daten eine Verschlech­terung der Zensuren im Laufe der Schuljahre vermuten. Innerhalb des G8 erweisen sich diese Entwicklungen in ihren Ausprägungen jedoch fächerspezifisch, in Deutsch etwa (s . Abbildung 37) ist der Rückgang der Noten weit weniger drastisch als in Ma­thematik (s. Abbildung 38). Gerade in der Verschiedenartigkeit der Notenverläufe ist eine interessante Parallele zu den Entwicklungen der kognitiven Fähigkeiten zu er­kennen. Abbildung 42 vergleicht deshalb die Effektstärken der Werteveränderungen innerhalb des G8 zwischen der 5. und 10. Klasse, und zwar einerseits die Notenver­schlechterungen in den Fächern Deutsch und Mathematik und andererseits die Fähigkeitszuwächse in den verbalen und quantitativen Dimensionen des KFT.

Abbildung 42: Effektstärken der Notenver­schlechterung sowie der KFT­Zuwächse zwischen der 5. und 10. Klasse (nur G8; ES = Effektstärke).

es 0,5

0,45 0,4 ,

0,35 0,3

0,25 l 0,2 j

0, 15 1 0,1

0,05 1 o

Note DeutSCh KFT·Verbal Note ~the . KFT·Cluanl

Es zeigt sich ein frappierendes und auf den ersten Blick vielleicht paradoxes Muster. Bei einer eher geringen Verschlechterung der Deutschnote besteht eine nur leichte Fähigkeitssteigerung in der verbalen KFT -Dimension. Demgegenüber ist bei einem deutlich stärkeren Rückgang der Mathematiknote auch eine ausgeprägtere Steigerung der quantitativen Fähigkeiten im KFT-Ergebnis zu verzeichnen. Mög-

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 125

licherweise - aber dies ist eine vorsichtige Spekulation! - drückt das durchschnitt­liche Notenniveau in gewisser Weise ja den Anspruch aus, den ein Unterricht an die Schülerinnen und Schüler stellt. Je höher der Anspruch, desto schwieriger sind ex­zellente Zensuren zu erreichen. Unter dieser Sichtweise weist die Notenentwicklung in Mathematik auf eine Erhöhung der Unterrichtsanforderungen hin, die von der ge­samten Gruppe nicht problemlos bewältigt wird - denn sonst wären die Noten durch­weg besser. Indes zwingt aber eine Anforderungserhöhung zu vermehrten Lernan­strengungen, die nun die Steigerung der Fähigkeiten bewirken ("fördern durch for­dern"). In der Gegenläufigkeit von Noten und Fähigkeiten spiegelt sich also mög­licherweise jene "dosierte Diskrepanz" zwischen Fähigkeit und Anforderung wider, der ein sehr günstiger Lerneffekt zugesprochen wird (Schrader & Helmke, 2001). So­mit würde die Entwicklung der Deutschnote auf einen zu wenig fordernden Unter­richt hinweisen, der in einen geringeren Fördereffekt mündete. Noch später (zum Zeitpunkt der 13. Jahrgangsstufe) hat sich die Steigerung der verbalen Fähigkeiten sogar vollkommen verflüchtigt, wie Abbildung 7 (s.o.) verdeutlichte. Allerdings zeigte diese Abbildung auch eine Steigerung der Fähigkeiten in den Anfangsjahren, die aber ebenfalls mit der Notenentwicklung korrespondiert, da die Verschlechterung der Deutschnote vor allem in den ersten Jahren stattfindet.

Abiturleistungen

Der letzte zu behandelnde Aspekt sind die Abiturleistungen der Schülerinnen und Schüler. Es wurden drei Indikatoren untersucht, die jedoch teilweise konfundiert sind, so daß manche Teilergebnisse redundante Informationen beinhalten. Die drei Indikatoren waren die Ergebnisse in den vier Abiturprüfungen, ferner die in zwei Oberstufenjahren gesammelten Punkte in relevanten Kursen sowie abschließend die Abiturnote als wichtigster Leistungsnachweis.

15 .G80G9 G9anG8 14 13

Abbildung 43: 12 Erreichte Leistungen GI

3i1 l' in den vier Abitur- e

10 ::I prüfungen (Punkte- t::I.

system 0-15; PF = 9

Prüfungsfach). 8

6 1. PF 2. PF 3. PF 4. PF

(schriftl.) (schrift!.) (schrift!.) (mündl.)

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126 Ralph Reimann

Bei diesen Analysen wurden drei Gruppen verglichen: G8-Stichprobe, G9-Stich­probe (Kontroll gruppe) sowie die Schülerinnen und Schüler des neunjährigen Gym­nasiums an den G8-Standorten (G9anG8). In allen vier Abiturprüfungen erreichen die Schülerinnen und Schüler des G8 deutlich bessere Resultate als beide G9-Grup­pen. Die größten Vorsprünge bestehen hierbei in den drei schriftlichen Prüfungen, was auf die größere Objektivität oder Meßgenauigkeit schriftlicher Prüfungsformen zurückzuführen sein dürfte (vgl. Heller & Hany, 2001). Mit anderen Worten: Die schriftlichen Leistungsresultate verdienen (auch) hier stärkere Beachtung als die mündlichen (s. Abbildung 43).

In gleicher Weise erreicht die G8-Gruppe deutlich höhere Punktesummen, die die gesammelten Leistungen aus zwei Jahren gymnasialer Oberstufe repräsentieren, im Vergleich zu den G9-Gruppen (Abbildung 44).

280 .G8 OG9 .G9anG8

260

Abbildung 44: 240 Erreichte Leistungen 220

GI

(Gesamtpunkt - :so 200 c zahlen) in den

:::I IL

180 verschiedenen Punkteblöcken. 160

140

120

Grundkursblock leistungskursblock Abiturtlock

Entsprechend ist die Differenz der Abiturleistungspunktsumme zu Gunsten von G8 keine Überraschung mehr: Schülerinnen und Schüler des G8 erreichen bessere Abschlußresultate als beide G9-Gruppen, die ihrerseits nicht nur vergleichbare Be­wertungen erhalten, sondern zudem mit ihren Leistungen sehr nah am Landesdurch­schnitt der letzten Jahre liegen (Abbildung 45).

Abbildung 45: Durchschnitt -liche Abitur­noten.

Ga

G9

G9 an Ga

Landesdurchsehn. Ba.-Wü. 2ooo

T

I 1

I

I

1,5

I - -

1.80

I 2.29

I

I 2.39

I

I 2.37

2.5 3

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 127

Dies ist im Falle von G9 kein Widerspruch zu der Annahme, daß die älteste der untersuchten G9-Kohorten (d.h. unserer Kontrollstichproben) eine außergewöhnlich leistungsstarke Gruppe darstellt, da G9-Abiturnoten von einer weitaus größeren Stichprobe zur Verfügung standen.

Bezogen auf das G9-Leistungsspektrum läßt sich resümieren, daß die G8-Gruppe mit ihrer Abiturnote eine 3/4 Standardabweichung positiv vom G9-Durchschnitt ab­weicht. Für das G8 gilt weiterhin, daß sich Jungen und Mädchen in ihren Leistungen nicht unterscheiden: Beide Gruppen beenden das G8 mit vergleichbaren Bewer­tungen (Abbildung 46).

Abbildung 46: Abiturnoten, getrennt nach Geschlecht (nur G8).

GI

Ö t:

~ :ä Cl

2,4

2,2

2

1.8

1,6

1,4

1,2

1.79 1.82 r--

~

-

Jungen Mädchen

Eine Zusatzfrage im Kontext der Abiturnoten betrifft die bereits angesprochene Unterscheidung von G8-int. und G8-sep. Wie berichtet, profitieren die Schülerinnen und Schüler notenmäßig von der Integration in das G9-System mit dem Eintritt in die 12. Jahrgangsstufe, indem der neu definierte Referenzrahmen ihre Leistungsbewer­tungen aufwertet. Von diesem Effekt ausgeschlossen sind jedoch die Benotungen in den Fächern Deutsch und Mathematik in jener Gruppe, die eben diese Fächer weiter­hin als separate G8-Kurse besucht (G8-sep.). Aufgrund der besonderen Bedingungen hat G8-sep. jedoch die Entscheidungsmöglichkeit, welche Kurse in welcher Form in die Berechnung der Abiturleistungen eingehen. So waren folgende Effekte vermutet worden: Jene Untergruppe aus G8-sep., die ein ehemaliges Leistungsfach als drittes Abiturprüfungsfach wählt, erzielt hier bessere Leistungen als die Gruppe, die diese Wahl nicht vornimmt. Eine weitere Hypothese lautete, daß die Einbringung der Deutsch- und Mathematiknoten in (je nachdem) Grund- oder Leistungskurspunkt­summen die entsprechenden Schülerinnen und Schüler in der Endauswertung be­nachteiligt, da sie in den relevanten Benotungen über zwei Jahre zuvor scheinbar schlechter abschnitten als G8-int.

Die Daten widerlegen allerdings beide Annahmen . Es stellte sich heraus, daß der erwartete positive Effekte in der dritten Abiturprüfung nicht eintritt. Die Leistungen in der Abiturprüfung deuten sogar einen leicht negativen Einfluß an: Schülerinnen und Schüler, die ein ehemaliges Leistungsfach als Prüfungsfach wählen (in der fol­genden Abbildung 47: G8-sep. 11), erreichen keine besseren, tendenziell sogar leicht schlechtere Leistungsbewertungen als die anderen Schülerinnen und Schüler.

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128 Ralph Reimann

Möglicherweise erklärt die "Überheblichkeitshypothese" diesen Umstand: Der ehemalige Leistungskursstatus verführt angesichts einer Prüfung auf Grundkursni­veau zu einer Vernachlässigung des Lernaufwands ("lch hatte dieses Fach als Lei­stungskurs! Warum soll ich für eine Prüfung auf Grundkursniveau noch lernen?"). Diesen Schülerinnen und Schülern wäre demnach zu empfehlen, sich nicht über­mütig auf ihre Lerngeschichte als Leistungskursangehörige zu verlassen, sondern den bisherigen Lernaufwand beizubehalten. wenn sie ihre Fachkenntnisse in der Abitur­prüfung angemessen demonstrieren wollen .

Abbildung 47: Erzielte Punkte in der 3. (schrift!.) AbiturpIiifung.

14

13

12

11 .. ~ 10 ~

11. 9

8

7

6 +-~--~~--~~~--~~~--~~----~

Gß.sep. I GB-sep. I Gß.inl. G9 G9anGB

Neben dem ausbleibenden positiven Effekt in der dritten Abiturprüfung zeigten sich ebenfalls nicht die vermuteten negativen Effekte im Kontext der Fächerwahl (Abbildung 48). Insgesamt ist somit festzuhalten, daß die Konzeption der Oberstufe mit separaten G8-Leistungskursen in Deutsch und Mathematik keinen negativen Ef­fekt auf die abschließende Abiturnote hatte. Abgesehen von den vergleichbaren Zen­suren ist darüber hinaus zu bedenken, daß das erhöhte Leistungskursvolumen einen umfangreicheren und breiter gefächerten Wissensaufbau zur Folge hat. Dies stellt prinzipiell eine Enrichment-Komponente dar, deren Effekte sich nicht automatisch in herkömmlichen Leistungsmaßen ausdrücken (Gruber & Mandl, 2000).

Abbildung 48: Abitumote in den verschiedenen Gruppen.

.. Ö E ~ ~ c

3

2.8

2.6

2.4

2.2

2

1.8

1.6

1.4

1.2

r-r-

--

,;.,'

G8-sep. GB-int. G9 G9anGB

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 129

Zusammenfassung zentraler Ergebnisse

Die Untersuchungsergebnisse lassen sich thesenartig folgendermaßen zusammen­fassen:

• Das kognitive Gesamtfähigkeitsniveau verbessert sich bei den Schülerinnen und Schülern des G8 von einem anfänglichen Vorsprung von 1/2 Standardab­weichung gegenüber G9 auf einen Vorsprung von 1 Standardabweichung in der zweiten Hälfte der Gymnasialzeit, was etwa einer ganzen Notenstufe im Leistungsvergleich entspricht. Dieser Zuwachs findet in der Zeitspanne bis zur 8. Klasse statt, danach ist das Gesamtfähigkeitsniveau eher stabil. Ge­schlechtsunterschiede sind hierbei nicht zu erkennen.

• Ausgehend von einem initialen Vorsprung für G8 in allen drei Dimensionen des KFT verbessern sich im G8 in den Anfangsjahren (bis zur 8. Klasse) die verbalen und quantitativen Fähigkeiten deutlich, wodurch der Abstand zu den G9-Werten weiter anwächst. Dieser Abstand bleibt in der Folgezeit bestehen. In der nonverbalen Dimension zeigt sich keine vergleichbare Verbesserung in den frühen Jahren. Der ursprüngliche Vorsprung von G8 gegenüber G9 zieht sich vielmehr durch die gesamte Schullautbahn bzw. vergrößert sich in der späteren Phase, was möglicherweise mit dem erst spät (in der 8. Klasse) ein­setzenden Physikunterricht zusammenhängt.

• Für die KFT-Dimensionen sind differentielle G8-interne Entwicklungen fest­stellbar: Die verbalen und quantitativen Fähigkeiten verbessern sich bis zur 8. Klasse, reduzieren sich jedoch in den folgenden Jahren. Diese "negative" Ent­wicklung besteht vor allem im Bereich der verbalen Fähigkeiten. Zeitgleich mit der Abnahme der Testwerte in den verbalen und quantitativen Kompe­tenzen setzt eine Verbesserung der nonverbalen Fähigkeiten ein.

• Bei der Entwicklung der KFT-Merkmalsdimensionen sind umfassend keine Geschlechtseffekte in Form von Wechselwirkungen zwischen Schulform und Geschlecht erkennbar. Innerhalb des G8 erweisen sich die Entwicklungskur­ven der beiden Geschlechter in allen Fähigkeitsdimensionen als weitgehend parallel. Die ähnlichsten Ausprägungen weisen Jungen und Mädchen hierbei im nonverbalen Bereich auf, die deutlichsten Unterschiede bestehen im quan­titativen Bereich: Hier erreichen die Jungen um 1/3 Standardabweichung bessere Resultate als die Mädchen. Im verbalen Bereich bestehen entgegen weitverbreiteter Erwartungen keine bedeutsamen Differenzen zwischen den Geschlechtern, was sich z.B. auch in der Münchner Hochbegabungsstudie (vgl. Heller, 2001) bestätigte.

• Eine sich im G9 andeutende negative Entwicklung kreativer Fähigkeiten ver­läuft im G8 etwas abgeschwächt, so daß gegen Ende der Schullautbahn die Schülerinnen und Schüler des G8 auch im Vergleich zum G9 eine leicht höher ausgeprägte Kreativität aufweisen. Durchgängig sind dabei den Mäd-

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130 Ralph Reimann

ehen im 08 die besseren Kreativitätsleistungen zu bescheinigen. • Für den motivationalen Bereich sind im 08 gOnstige Entwicklungen festzu­

stellen. Der Einfluß des 08-Programms scheint sich dahin gehend auszuwir­ken, daß die im 09 erkennbaren negativen Entwicklungen in der motivatio­nalen Ausstattung der Schülerinnen und Schüler hier abgefedert werden. Ins­besondere die Mädchen profitieren von den 08-Lernumweltbedingungen.

• Im Rahmen der schul- und leistungsbezogenen Emotionen zeigen sich im 08 sehr günstige Ausprägungen und Entwicklungen. Eine problematische emo­tionale Verfassung der Schülerinnen und Schüler im 08 ist zu keiner Phase der Oymnasialzeit erkennbar, wobei die Angstwerte im Laufe der Jahre z.T. deutlich abnehmen. Die 08-Lernumgebung kommt insbesondere den Mäd­chen offensichtlich sehr entgegen. Auch die Integration in das 09-System bei Eintritt in die Oberstufe hat keinen negativen Effekt auf die Ausprägung ver­schiedener Ängstlichkeitswerte.

• Schwachen Hinweisen zufolge entwickeln sich die leistungsbezogenen Selbstkonzepte der Schülerinnen und Schüler des 08 in der zweiten Hälfte der Oymnasialzeit, die die Fusion mit dem G9-System einschließt, ebenfalls posi­tiv. Es kann angenommen werden, daß in der späteren Phase im Vergleich mit 09 die Schülerinnen und Schüler des 08 eine leicht höhere schulische Selbstwirksamkeit und ein höheres akademisches bzw. schulisches Selbstkon­zept aufweisen. Unterschiede zwischen den Oeschlechtern bestehen nicht.

• Im Attributionsverhalten schätzen die Schülerinnen und Schüler des 08 die Bedeutung externaler Erklärungsfaktoren für schulische Erfolge und Mißer­folge tendenziell geringer ein als Schülerinnen und Schüler des 09. Im Ver­gleich mit den Mädchen im 09 demonstrieren die Mädchen des 08 einen günstigeren Kausalattributionsstil, dessen Facetten sie teilweise bereits im Verlauf der ersten Oymnasialj ahre ausbilden.

• Das Interesse für verschiedene Fächer ist im G8 durchweg positiv ausgeprägt. Eine zwischenzeitliche Ausnahme betrifft das Interesse für das Fach Deutsch, für das zur 10. Klasse hin ein Rückgang erkennbar ist. Ein konsistenter Ver­gleich der Interessenausprägungen im G8 und G9 ist nur schwer möglich. Will man dennoch eine Aussage machen, sprechen die Ergebnisse eher für stärker ausgeprägte Interessenprofilierungen im G8.

• Im Lern- und Arbeitsverhalten bestehen keine bedeutenden Unterschiede zwischen 08 und 09, Geschlechtseffekte sind ebenfalls nicht festzustellen. Die Mädchen des G8 demonstrieren die positivste Haltung gegenüber der In­stitution Schule bei gleichzeitig größter Überwindung der Relevanz von Sym­pathie/Antipathie-Einstellungen (gegenüber Lehrkräften sowie Mitschülerin­nen und Mitschülern), was sich auf das eigene Leistungsverhalten positiv aus­wirkt.

• Es existieren auch keine Differenzen in der Ausprägung der sozialen Kompe­tenz, weder generell zwischen G8 und G9, noch zwischen den Geschlechter-

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung l31

gruppen. Eine Kompetenzsteigerung im Verlauf der Zeit tritt in allen Grup­pen ähnlich auf.

• Gegen Ende der Gyrnnasialzeit demonstrieren G8 und G9 in der Gesamtheit vergleichbare Persönlichkeitsprofile. Dennoch verfUgen Schülerinnen und Schüler des G8 über ein höheres Selbstvertrauen, eine größere Veränderungs­bereitschaft sowie eine stärkere innere Ausgeglichenheit. Bedeutsame Ge­schlechtsunterschiede existieren auch hier nicht.

• Zwischen G8 und G9 sind deutliche Leistungsunterschiede (Zensuren) zu konstatieren, die ausnahmslos zu Gunsten von G8 ausfallen. Diese vergrößern sich im Verlauf der Schuljahre in dem Sinne, daß sie in der Anfangszeit nur in einigen Fächern auftreten, in der späteren Phase jedoch das ganze Fächer­spektrum umfassen. Zu Beginn beschränkt sich der Notenvorsprung fur das G8 auf sprachliche Fächer, Unterschiede im mathematisch-naturwissenschaft­lichen Bereich ergeben sich erst in den Folgejahren.

• Trotz bereits besserer Bewertungen in den unteren und mittleren Klassen­stufen erfahren die Schülerinnen und Schüler des G8 bei der Integration in das G9-System nochmals einen Notenanstieg. Hierfur sind vermutlich Re­ferenzrahmeneffekte bei der Benotung verantwortlich.

• Die Entwicklungsverläufe der Noten legen bei komprimierender Sichtweise vergleichbare Veränderungen in G8 und G9 nahe. Für beide Gruppen lassen die Daten eine relative Verschlechterung der Zensuren im Laufe der Schul­jahre (bis zur 8.-10. Klasse) vermuten. Innerhalb des G8 sind diese Entwick­lungen fächerspezifisch: In Deutsch ist der Rückgang der Noten weniger dra­stisch als in Mathematik.

• Theoretisch denkbare (positive oder negative) Effekte der unterschiedlichen schulortabhängigen Oberstufenbedingungen treten rur die Schülerinnen und Schüler des G8 nicht in Erscheinung.

• Im abschließenden Abiturzeugnis weichen die Schülerinnen und Schüler des G8 mit ihren Bewertungen um eine 3/4 Standardabweichung positiv vom G9-Gesamtdurchschnitt ab. Innerhalb der G8-Gruppe sind keine Geschlechtsun­terschiede feststell bar: Jungen und Mädchen beenden das G8 mit nahezu identischen Abschlußzensuren.

Diese Befunde bescheinigen dem hier evaluierten G8-Modell, seiner Zielpopula­tion offenbar eine adäquate, effektive Lernumwelt zu bieten. Bedeutsame nachteilige Effekte des Besuchs dieses Gyrnnasialzweiges sind nicht zu erkennen. Insbesondere beeindruckt die Balance aus motivational-emotionalen Einstellungen, allgemeiner Persönlichkeitsentwicklung und ansprechenden Schulleistungen inklusive eines sehr guten Abiturs.

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132 Ralph Reimann

Abschließende Bemerkungen

Angesichts des zuvor beschriebenen positiven Gesamteindrucks sollte nicht ver­gessen werden, daß es sich bei der G8-Gruppe um jene Schülerinnen und Schüler handelt, die die G8-Laufbahn erfolgreich absolviert haben. Im Verlauf der Schul­jahre sind einige Schülerinnen und Schüler, die zur 5. Klasse hin in das G8-Pro­gramm eintraten, aus diesem Schulzweig wieder ausgestiegen. Allgemein sind solche sogenannten Drop-outs allerdings oftmals nicht repräsentativ für die Gesamtgruppe (Farrington, Gallagher, Morley, St. Ledger & West, 1990) - was insbesondere im Kontext eines Schulmodellversuchs interessant ist: Warum verlassen gerade diese Schülerinnen und Schüler den neuen Schulzweig? Eine Analyse der Ursachen und Bedingungen wäre sicherlich sinnvoll, zumal ergebnisabhängig eine Modifikation des Schulmodells und/oder der Auswahlprozedur erforderlich sein könnte. Allerdings ist eine solche Untersuchung von Drop-outs methodisch nicht unproblematisch (vgl. Heller & Reimann, 2002).

Ferner ist das der G8-Studie zugrunde liegende Kontrollgruppendesign sicher nur als suboptimal zu bezeichnen. Entlastend sei jedoch angemerkt, daß bei Schulver­suchen "im Feld" (noch dazu bei Untersuchungen mit langer Laufzeit) der wissen­schaftliche Anspruch schnell an die Grenze des Realisierbaren stoßen kann. Dieser Umstand trägt auch zu einer Schwierigkeit im Rahmen von Kausalitätsannahmen bei: So ist es nicht unproblematisch zu sagen, das G8 "bewirke" diese oder jene Ent­wicklungen, so lange man nicht hinsichtlich Personmerkmalen, familiärem Hinter­grund und Peer-Bedingungen (zum Zeitpunkt des Eintritts in den zu untersuchenden Schulzweig) voraussetzungsidentische Gruppen zur Verfiigung hat. Erst bei hin­reichender Konstanthaltung solcher Einflüsse läßt sich eindeutig auf den "Effekt eines Schulprogramms" schließen - und selbst dann ist es unter Umständen noch schwer, die reine "Leistung" eines Programms zu isolieren (Heller & Reimann, 2002; vgl. auch Weinert, 2001b). De facto muß man sich deshalb bei Feldstudien dieser Art nicht so sehr auf Einzelbefunde, sondern vielmehr auf konkordante versus diskor­dante Befundcluster konzentrieren, um verläßliche Aussagen machen zu können. Viele der in diesem Kapitel referierten Untersuchungsergebnisse lassen sich durch­aus in diesem Sinne interpretieren.

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Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung 133

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KAPITEL 5

Schulische und familiäre Lernumwelten von Gymnasiasten am acht- vs. neunjährigen

Gymnasium

Heinz N eber & Ralph Reimann

Schulische Lernumwelten

Welche Anforderungen an Lernumwelten für besonders befähigte oder hochbegabte Schüler werden gestellt und wie wurden sie am achtjährigen Gymnasium überprüft?

Der Unterricht am achtjährigen Gymnasium soll an die besonderen Leistungs­fähigkeiten und Lernbedürfnisse begabter Schülerinnen und Schüler angepaßt (adap­tiert) sein. Zu diesen Leistungsfähigkeiten gehört die höhere Auffassungs- und Lern­geschwindigkeit, die ein schnelleres Durcharbeiten des Curriculums mit entspre­chend weniger expliziten Erklärungen und Wiederholungen des Stoffs im Unterricht ermöglicht (Renzulli, Smith & Reis, 1982). Doch neben solchen rein quantitativen, die Lern- und Lehrzeiten betreffenden, Konsequenzen sind zusätzliche qualitative Anforderungen an den Unterricht zu stellen. So haben hochbegabte Schüler nicht nur das Bedürfnis und die Fähigkeit zu höheren Lerngeschwindigkeiten, sondern be­sitzen auch ausgeprägtere Interessen an kognitiv und affektiv "tieferen" Erkennt­nissen in den jeweiligen Fächern. Zudem sind sie fähig, sich mit solchen Erkenntnis­interessen, entsprechenden Fragen und Lehrinhalten selbständiger und selbstge­steuerter zu beschäftigen als dies bei weniger begabten Schülern der Fall ist (Heller, 1991, 1999; Heller & Hany, 1996; Neber, 2001a, 2002).

Diese besonderen Bedürfnisse, denen entsprechende Potentiale der Schüler zu­grunde liegen, stellen Anforderungen an die im Unterricht bzw. in den Klassen reali­sierten Lernumwelten. Einerseits sollen Lernumwelten diesen Bedürfnissen und Po­tentialen hochbegabter Schüler entsprechen. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß Lernumwelten auch dazu dienen, Potentiale in tatsächliches Verhalten und ent­wickelte Talente umzusetzen. Realisierte Lernumwelten sollen daher nicht nur zum schnelleren Erwerb faktischen Wissens in den Schulfächern und damit zur Akzelera­tion des fachbezogenen Lernens beitragen, sondern auch kognitive, affektive und soziale Weiterentwicklungen hochbegabter Schüler ermöglichen. Dazu gehören Denkfähigkeiten, Initiative, Selbststeuerung und soziale Kompetenzen. Für die Be­gabtenförderung sind also Lernumwelten mit bestimmten Eigenschaften erforderlich.

Unter der Bezeichnung Lernumwelt werden Aspekte und Komponenten zu­sammmengefaßt, die sich auf die Effektivität des Unterrichts, aber auch seine

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138 Heinz Neber & Ralph Reimann

kognitiven und motivationalen Voraussetzungen auswirken. In Untersuchungen standen zunächst vor allem sozial-emotionale Aspekte der Lernumwelt im Vordergrund. Diese Aspekte werden zusammenfassend als Klassen- oder (auf die gesamte Schule bezogen) als Schulklima bezeichnet. Zu den sozial-emotionalen Klimafaktoren gehören die Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehungen und die Beziehungen der Schüler untereinander. So wirkt sich erlebte Unterstützung durch Lehrer positiv, erlebter intensiver Konkurrenzdruck dagegen meist negativ auf die intrinsischen Interessen an Schulfächern, das kognitive Niveau der Lernprozesse und die Emotionen der betroffenen Schüler aus (Fraser, 1994). Das sozial-emotionale Klima als Aspekt von Lernumwelten bezieht sich also nicht auf "objektive" Gegebenheiten (z.B. Zahl der Schüler in der Klasse), sondern darauf, wie objektive Gegebenheiten aus subjektiver Sicht der Beteiligten - meist der Schüler - erlebt werden. Seit Moos & Trickett (1974) sind auch im deutschen Sprachraum zahlreiche "Klima"-Skalen zur Einschätzung sozial-emotionaler Aspekte des Unterrichts durch Schüler entwickelt worden. Eine dieser Skalen wurde in den Schulklassen des achtjährigen Gymnasiums eingesetzt und mit entsprechenden Schülereinschätzungen des Regelgymnasiums verglichen (Bittner, Browder & Hany, 1987). Die Klimaskala erfaßt das Ausmaß unterstützend erlebten Lehrerverhaltens (z.B. die meisten Lehrer versuchen einem weiterzuhelfen) und verschiedene Aspekte der erlebten Schüler­Schüler Kommunikation (z.B. jeder Schüler wird als Konkurrent gesehen).

Sozial-emotionale Aspekte, die vor allem durch die Art und Weise der Interaktion und Kommunikation in der Schulklasse beeinflußt werden, bilden einen allgemeinen Kontext und Hintergrund für das Lernen und Lehren im Unterricht. Der Begriff der Lernumwelt bezieht sich darüber hinaus auch auf Lehr-Lern-Prozesse im engeren Sinn und damit auf Qualitäten des eigentlichen Unterrichtens und der dadurch ausge­richteten und ermöglichten Lernaktivitäten. Turner & Meyer (2000) bezeichnen diese Aspekte als Instruktionskontext der Lernumwelt. Der Instruktionskontext hat ver­schiedene Teilaspekte, die für einen begabtenfärdernden Unterricht von Bedeutung sind. Dazu gehören die im Unterricht gestellten kognitiven Anforderungen, das Ni­veau der Lernziele und die für das Unterrichten verwendeten Lehrmethoden.

Gerade hinsichtlich dieser Teilaspekte soll sich das Unterrichten von besonders befähigten und durchschnittlich begabten Schülern unterscheiden. So müßten nach einer zusammenfassenden Darstellung von Maker & Nielson (1996) Curricula für begabte Schüler vergleichsweise abstrakte und komplexe Inhalte bieten. Die Erarbeitung solcher kognitiv anspruchsvollen Inhalte muß sich weit stärker als bei nicht hochbegabten Schülern auf höhere Denkprozesse stützen, wobei eigenes Entdecken explizit gefordert wird. Zudem sollten mehr Freiheitsgrade beim Lernen, d.h. mehr selbstgesteuertes Lernen, realisiert werden. An die Bedürfnisse begabter bzw. hochbegabter Schüler angepaßter Unterricht zeichnet sich demnach neben einem zügigeren Vorgehen mit weniger Wiederholungen durch anspruchsvollere Lernziele und durch Lehrmethoden aus, die den besonderen Fähigkeiten und der weiter entwickelten Selbständigkeit solcher Schüler entsprechen.

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Schulische und familiäre Lernumwelten 139

Diese Annahmen und Forderungen zu Lernzielen und Lehrmethoden fiir das Unterrichten besonders begabter Schüler wurden fiir das achtjährige Gymnasium überprüft. Dazu wurde ein Fragebogen für Lehrer eingesetzt, der von Lehrern sowohl am achtjährigen Gymnasium (G8) als auch am Regelgymnasium (G9) beant­wortet wurde. Die Resultate lassen einen Vergleich zwischen beiden gymnasialen Formen zu. Der von Neber (1996) entwickelte Fragebogen enthält Aussagen, die jeweils auf einer vierstufigen Skala (1: trifft nicht zu; 4: trifft völlig zu) von Lehrern beantwortet wurden. Auf Lernziele beziehen sich 12 Aussagen, Lehrmethoden werden durch 26 Aussagen und kooperative Organisationsformen durch 11 Aussagen erfaßt. Zudem beziehen sich weitere 26 Aussagen auf das sozial­emotionale Klima aus Lehrersicht.

Lernziele werden in Anlehnung an Blooms Taxonomien kognitiver und affektiver Lernziele überprüft. Diese Lemzielklassifikationen sind zwar bereits um 1960 ent­wickelt worden (Bloom, 1972; Krathwohl, Bloom & Masia, 1966), dennoch sind sie auch heute noch nach Maker & Nielson (1996) rur Zwecke der Begabtenförderung durch Unterricht gut geeignet und gehören zu den aktuell am häufigsten verwendeten praktischen Ansätzen zur Steigerung kognitiver und affektiver Niveaus in Schulklassen mit besonders begabten Schülern (Neber, 2001a). Im verwendeten Lehrerfragebogen beziehen sich die Aussagen zu "höheren" kognitiven Lernzielen auf das Verstehen (z.B. ... den Stoff in eigenen Worten darstellen), Anwenden (z.B . ... das erworbene Wissen auf neue Fragestellungen anwenden) und Bewerten (z.B. ... Wert und Bedeutung eines Sachverhalts beurteilen). Aussagen zu affektiven Lernzielen beziehen sich auf Aufnehmen (z.B. ... im Unterricht aufmerksam zuhören), Reagieren (z.B .... bereit, Fragen zu beantworten), Wert (z.B .... das Fach sehr wichtig und bedeutsam) und Identifikation (z.B. Schüler beschäftigen sich auch nach dem Unterricht aus eigenem Interesse mit dem Fach).

Lehrmethoden lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen und unterscheiden (Neber, 1999). Als Einteilungskriterium fiir den Unterricht mit begab­ten und hochbegabten Schülern hat sich das Ausmaß an Vorgabe, Lenkung und Kon­trolle durch Lehrer als vorteilhaft erwiesen. So unterscheiden Corno & Snow (1985) "direkte Instruktion", die durch intensive Lehrerlenkung und explizite Vorgabe des Stoffs durch Lehrer gekennzeichnet ist, von "entdeckendem Lernen", das weit mehr eigenes Denken und stärkere Selbststeuerung der Lernprozesse durch die Schüler er­forderlich macht. Eine vergleichbare grundsätzliche Einteilung von Lehrmethoden entwickelte Slavin (2000) in einem Standardwerk der Pädagogischen Psychologie. Bei Schülern mit hohen intellektuellen Fähigkeiten sollten danach nicht nur direkte Instruktion als Lehrmethode verwendet werden, sondern selbst gesteuertes und ent­deckendes Lernen im Unterricht vergleichsweise stärker realisiert werden als dies bei intellektuell schwächeren Schülern der Fall ist.

Im Lehrerfragebogen wurde das Ausmaß der Realisierung Direkter Instruktion nach dem von Gunther, Estes & Schwab (1990) zusammengefaßten Modell über­prüft. Einzelne, von den Lehrern beantwortete Aussagen beziehen sich daher auf das

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140 Heinz Neber & Ralph Reimann

Ausmaß an expliziten Lernzielvorgaben (z.B .... Stoff wird erst nach einer genauen Zielangabe eingefiihrt), schrittweise Darbietung (z.B .... Stoff wird Schritt ftir Schritt und mit genauen Erklärungen geboten), gelenktes Üben (z.B .... nachdem der Stoff von fast allen Schülern verstanden worden ist, werden Übungsaufgaben gestellt) und regelmäßiges Wiederholen (z.B .... Stoff wird regelmäßig wiederholt).

Selbstgesteuertes Lernen wird im Lehrerfragebogen nach dem Modell selbstge­steuerten Lernens (Neber, 1978a/b) überprüft. In diesem Modell, das dem später ent­wickelten Modell von Zimmerman, Bonner & Kovach (1996) entspricht, werden vier notwendige Komponenten unterschieden. Die Realisierung dieser Komponenten im Unterricht wird durch entsprechende Aussagen erfaßt, die durch Lehrer an beiden Gymnasialformen im Hinblick auf ihren Unterricht eingeschätzt wurden: Zielset­zungen durch Schüler (z.B .... Schüler finden Fragen und Probleme selbst), Lernstra­tegien (z.B .... Schülern ist bewußt, wie sie lernen und wie sie dabei vorgehen), Kon­trollprozesse (z.B .... Schüler beurteilen, ob sie ihre Lernziele erreicht haben) und durch Schüler manipulierbare Lernumwelt (z.B .... Schüler können sich selbständig in ein Gebiet einarbeiten).

Kooperative Organisationsformen werden auch rur das Unterrichten von begabten Schülern zunehmend gefordert und können, wenn sie optimal gestaltet werden, neben motivationalen und kognitiven Vorteilen auch zur sozial-kommunikativen Weiterentwicklung der Schüler beitragen (Neber, 2001 b; Neber, Finsterwald & Urban, 2001). Im verwendeten Lehrerfragebogen werden kooperative Organisations­formen durch Aussagen zur klasseninternen Kooperation (z.B .... Schüler lassen sich von Mitschülern helfen) und zur externen Kooperation überprüft. Letztere bezieht sich sowohl auf klassenübergreifende Kooperationen der Lehrer (z.B .... Lehrer in dieser Klasse informieren sich gegenseitig über ihren Unterricht) und Kommunika­tionen mit Eltern (z.B. ... Eltern interessieren sich rur den Unterricht in der Klasse).

Die Aussagen zum sozial-emotionalen Klima beziehen sich auch im Lehrerfrage­bogen auf Lehrer-Schüler-Beziehungen (z.B. Lehrer und Schüler können gut zu­sammenarbeiten) und auf die Beziehungen der Schüler untereinander (z.B .... in der Klasse gibt es isolierte Einzelgänger). Darüber hinaus beziehen sich klimarelevante Aussagen des Fragebogens auf das Anforderungsniveau (z.B .... der Unterricht ist rur die Schüler zu schwierig) und auf Schwierigkeiten im Management des Unterrichts (z.B .... die Klasse ist unruhig und laut).

Um weitere Informationen über Besonderheiten des Unterrichts am achtjährigen Gymnasium zu erhalten, wurde ein zweiter Fragebogen ausschließlich durch Lehrer beantwortet, die sowohl am achtjährigen Gymnasium als auch in vergleichbaren Klassen des Regelgymnasiums unterrichten. Dieser zweite Fragebogen enthält 23 Bezeichnungen von und Aussagen über Komponenten und Aspekte des Unterrich­tens (z.B. Ausmaß der Unterrichtsvorbereitung). Für jede Bezeichnung oder Angabe war einerseits zu entscheiden, ob sie eher auf das achtjährige oder auf das neunjährige Gymnasium zutrifft; andererseits war auf einer dreistufigen Antwortskala anzugeben, wie stark (1: etwas, 3: sehr zutreffend) sie zutrifft.

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Schulische und familiäre Lemumwelten 141

Neben Schülern und Lehrern als Informationsquellen über die am achtjährigen Gymnasium realisierten Lernumwelten wurden schließlich auch Eltern der Schüler beider Gymnasialformen gebeten, einige Aspekte des Unterrichts aus ihrer Sicht zu beurteilen. Zu diesen Aspekten gehören das Klassenklima, zu dem eine Reihe von Aussagen jeweils auf einer vierstufigen Skala zu beantworten waren (z.B. zwischen Lehrern und Schülern gibt es gute Beziehungen; zwischen Schülern gibt es viele Freundschaften; im Unterricht herrscht Leistungsdruck). Die Eltern beurteilten darüber hinaus das Ausmaß ihrer Zufriedenheit mit dem Unterricht, ihre Zufrieden­heit mit den Lehrern ihrer Schüler und das Ausmaß der von ihnen erlebten Lernan­forderungen an ihr Kind. Zufriedenheit und Lernanforderungen wurden jeweils auf einer runfstufigen Skala eingeschätzt (l: unzufrieden bzw. zu hoch; 5: zufrieden bzw. zu niedrig). Für Zufriedenheit sind also hohe Werte und fiir Lernanforderungen mittlere Werte als positiv zu werten. Siehe Fragebögen im Anhang dieses Buches.

Wichtige Untersuchungsmerkmale zur Lernumwelt am acht­jährigen Gymnasium

Die Informationen zu den im Unterricht am achtjährigen Gymnasium realisierten Lernumwelten wurden von verschiedenen Quellen gewonnen. Dabei wurden die Per­spektiven von Schülern, Lehrern und Eltern berücksichtigt und jeweils durch Frage­bögen erfaßt. Einige Aspekte wie das Klassenklima wurden dabei konvergent, d.h. durch Befragung aller drei Gruppen gemessen. Andere Aspekte, die besonders den Unterricht einschließlich Lehrmethoden betreffen, wurden vorwiegend durch Lehrer­befragungen überprüft. Ein weiteres, zentrales Merkmal dieser Untersuchungen ist schließlich, daß die meisten dieser Informationen vergleichend, sowohl rur das achtjährige als auch rur das neunjährige Gymnasium erhoben worden sind. Gestützt auf die so gewonnenen Informationen lassen sich folgende Fragen beantworten:

(1) Wird ein positives sozial-emotionales Klassenklima im Unterricht am acht­jährigen Gymnasium erzeugt?

(2) Entspricht das Unterrichten am achtjährigen Gymnasium den Bedürfnissen begabter bzw. hochbegabter Schüler?

Wird ein positives sozial-emotionales Klassenklima im Unterricht am achtjährigen Gymnasium erzeugt?

Ein positives Klassenklima wirkt sich in erster Linie auf das Engagement und die Lernbereitschaft der Schüler aus. Bei begabten Schülern trägt es dazu bei, daß sie ihre vorhandenen Potentiale tatsächlich nutzen und weiterentwickeln. Die Frage ist hier, ob die bei Schülern, Lehrern und Eltern erhobenen Informationen zum Klassen­klima in dieser Hinsicht konvergieren.

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142 Heinz Neber & Ralph Reimann

Schüler bei der Gymnasialformen beantworteten die dargestellte Klimaskala. In der folgenden Abbildung (Abbildung 1) werden die Ergebnisse für beide Schüler­gruppen und getrennt für einzelne Aspekte dieser Klimaskala dargestellt.

T-Wert . G8 ~ ------------------------------------ ---------------~ r- DG9

70

60

50

40

30

20 Ulterstotzendes SchOler-Lehrerverhalten kooperation

SchOler­konkurrenz

Ulterrichts- Ausgrenzungen Anforderungs-störungen druck

Abbildung 1: Beurteilungen des sozial-emotionalen Klassenklimas durch Schüler am acht­und neunjährigen Gymnasium.

Die Ergebnisse zeigen, daß das Klassenklima am achtjährigen Gymnasium aus Sicht der Schüler auf keinen Fall schlechter ist als am Regelgymnasium. Einige Klimafaktoren fallen für das achtjährige Gymnasium sogar positiver aus. So wird der Anforderungsdruck trotz der größeren Stoff menge von den Schülern als schwächer eingeschätzt als am neunjährigen Gymnasium. Die quantitative Akzeleration der Lehr- und Lerngeschwindigkeit hat also keine negativen Konsequenzen für das Klassenklima.

Ein weiterer Unterschied zwischen bei den Gymnasialformen ergibt sich für das subjektiv erlebte unterstützende Lehrerverhalten. Schüler des achtjährigen Gymnasi­ums beurteilen dieses positiver. Anzunehmen ist, daß Lehrer an dieser Gymnasial­form stärker auf die LernbedÜffnisse der Schüler eingehen als am neunjährigen Gym­nasium.

Diese Feststellung wird durch einen zusätzlichen Vergleich der Ergebnisse zu ein­zelnen Aussagen der Klimaskala unterstrichen, die in Tabelle I dargestellt sind. Die ersten fünf Aussagen in der Tabelle auf der nächsten Seite sind jeweils positiv formuliert und beziehen sich auf die Lehrer-Schüler-Kommunikation. Jede dieser Aussagen wird von Schülern des achtjährigen Gymnasiums als zutreffender beurteilt als von Schülern des neunjährigen Gymnasiums.

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Schulische und familiäre Lemumwelten 143

Tabelle I: Unterschiede in der Beurteilung von Aussagen über das Klassenklima durch Schüler am acht- und neunjährigen Gymnasium.

G8 G9 MI MI

Lehrer-Schüler Kommunikation: I. Die Lehrer erkennen und fördern persönliche Stärken. 2.59* 2.33 2. Es gibt Lehrer, die sich um die Schwächsten kümmern. 3.19* 2.81 3. Die meisten Lehrer versuchen, einem weiterzuhelfen. 3.26* 2.82 4. Man kann Fragen besprechen, die nicht zum Unterrichtsstoff

gehören. 3.34* 2.98 5. Wer nicht gut in der Schule ist, wird von den Lehrern nicht

akzeptiert. 1.77* 2.13 Schüler-Schüler Kommunikation:

6. Es kommt vor, daß sich alle Schüler über einen lustig machen. 2.32 2.33 7. Jeder versucht besser zu sein als die anderen. 2.14 2.15 8. Jeder Schüler wird als Konkurrent gesehen. 1.53 1.57 9. Die Besten werden abschätzig als "Streber" bezeichnet. 1.95* 2.20 10. Wir haben eine gute Klassengemeinschaft. 2.97 3.27*

Legende: I Minimalwert I (stimmt nicht); Maximalwert 4 (stimmt genau); * signifikanter Unterschied.

Die weiteren fünf Aussagen beziehen sich dagegen auf die Schüler-Schüler-Kom­munikation. In dieser Hinsicht ergeben sich keine eindeutigen Unterschiede zwischen den beiden Gymnasialformen. Das tendentiell positivere Klassenklima am acht­jährigen Gymnasium ist demnach vor allem auf die dort als positiver erlebten Lehrer-Schüler-Beziehungen zurückzuführen. Dies ist ein Hinweis darauf, daß Lehrer an dieser Gymnasialform tatsächlich intensiver und individueller auf die Schüler eingehen.

Die Beurteilung von Aussagen zum Klassenklima durch Lehrer weicht von jener der Schüler ab. Der für die 26 Aussagen zum Klassenklima erfaßte Mittelwert für das achtjährige Gymnasium von M = 2.8 fällt schwächer aus als der Mittelwert M = 3.1, der sich aus den Beurteilungen der Lehrer am neunjährigen Gymnasium ergibt.

Die Ursachen für diese unterschiedlichen Sichtweisen des Klassenklimas bei Schülern und Lehrern lassen sich hier nicht genau feststellen. Tendentiell ist jedoch daraus zu schließen, daß das Unterrichten am achtjährigen Gymnasium für Lehrer eher mit höherem Streß verbunden ist als am neunjährigen Gymnasium. Anzuregen wäre, eine größere Konvergenz von Schüler- und Lehrersichtweisen zum Klassenklima durch verstärkte Kommunikation zu erreichen. Auf jeden Fall sollten Lehrer am achtjährigen Gymnasium erfahren, daß ihre Schüler den Unterricht insgesamt positiv erleben und sich ihr höherer Aufwand für das Unterrichten in den G8-Klassen offenbar in dieser Hinsicht günstig auswirkt.

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144 Reinz Neber & Ralph Reimann

Auch Eltern von Schülern des acht- und des neun jährigen Gymnasiums beur­teilten Aussagen zum Klassenklima aus ihrer Sicht. Ergebnisse zu Aussagen zur Lehrer-Schüler-Kommunikation und zur Schüler-Schüler-Kommunikation sowie zu Lernanforderungen finden sich in Tabelle 2.

Tabelle 2: Unterschiede in der Beurteilung von Aussagen über das Klassenklima durch Eltern von Schülern am acht- und neunjährigen Gymnasium.

G8 G9 MI MI

Lehrer-Schüler-Kommunikation: I. Zwischen Lehrern und Schülern bestehen gute Beziehungen. 3.02 2.84

2. AufVerständnisschwierigkeiten der Schüler wird im Unterricht besonders eingegangen. 2.36 2.24

3. Lehrer und Schüler können gut zusammenarbeiten. 3.07 2.89 Schüler-Schüler-Kommunikation:

4. Zwischen den Schülern kommt es zu Wetteifer und Wettbewerb. 2.33 2.23

5. Zwischen den Schülern gibt es viele Freundschaften. 2.96 3.32*

6. Die Schüler helfen sich untereinander bei Problemen. 2.88 3.06 Lernanforderungen:

7. Der Unterricht ist für die Schüler zu schwierig. 1.65 1.88 8. Im Unterricht herrscht Leistungsdruck. 2.25 2.50* 9. An die Schüler werden hohe Anforderungen gestellt. 2.64 2.81

Legende: I Minimalwert I (stimmt nicht); Maximalwert 4 (stimmt genau); * signifikanter Unterschied.

Eltern beurteilen das Klassenklima an beiden Gymnasialformen relativ ähnlich. Zwar wird die Lehrer-Schüler-Kommunikation für das achtjährige Gymnasium auch durch Eltern etwas positiver eingeschätzt, doch sind diese Unterschiede statistisch nicht bedeutsam. Dies trifft insgesamt auch auf die Schüler-Schüler-Kommunikation zu, wobei hier die umgekehrte Tendenz zu einer positiveren Einschätzung für das neunjährige Gymnasium zu erkennen ist. Schüler dieser Gymnasialform scheinen stärker informell und auf persönlicher Ebene zu kommunizieren (vgl. besonders die Aussage 15 im Anhang-Fragebogen für Eltern). Erstaunlich ist, daß die Lernanfor­derungen am neunjährigen Gymnasium von den Eltern als eher höher eingeschätzt werden als am achtjährigen Gymnasium. Insgesamt sind die Anforderungen in beiden Gymnasialformen allerdings nach Auffassung der Eltern ziemlich hoch. Die etwas geringeren Schätzwerte tUr Lernanforderungen des achtjährigen Gymnasiums bedeuten demnach nicht, daß die Anforderungen dort weiter gesteigert werden sollten. Sie sind vielmehr als subjektive Einschätzungen in Abhängigkeit von unterschiedlichen Begabungsvoraussetzungen der Schüler im G9 vs. G8 und nicht als objektive G8/G9-Anforderungsdifferenzen zu interpretieren.

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Schulische und familiäre Lemumwelten 145

Welche Schlußfolgerungen ergeben sich aus diesen Resultaten? Das Klassenklima am achtjährigen Gymnasium läßt sich insgesamt als positiv bezeichnen. Offen­sichtliche Bemühungen und Engagements der Lehrer, auf diese Schüler und ihre Lernbedürfnisse einzugehen, werden deutlich positiv in den subjektiven Schülerwahrnehmungen der Lehrer-Schüler-Kommunikation am achtjährigen Gym­nasium reflektiert. Auch Eltern von G8-Schülern tendieren zu einer eher günstigeren Beurteilung als Eltern von Schülern des neunjährigen Gymnasiums.

Unter der Perspektive der Schüler-Schüler-Kommunikation und deren emotio­nalen und affektiven Wirkungen sind dagegen weder aus Schüler- noch aus Eltern­sicht Klimavorteile für das achtjährige Gymnasium zu erkennen. Eher sprechen einige Ergebnisse dafür, daß Schüler des neunjährigen Gymnasiums persönlicher und freundschaftlicher kommunizieren als jene des achtjährigen Gymnasiums. Unklar bleibt allerdings, ob dies im oder außerhalb des Unterrichts der Fall ist. Möglicherweise spielt auch die Wohnsituation eine Rolle, wobei anzunehmen ist, daß auf Schüler des neunjährigen Gymnasiums eine größere räumliche Nähe zutrifft und sich schon daraus mehr Kommunikationsmöglichkeiten und Freundschaftsbe­ziehungen ergeben können.

Im Unterschied zu Schülern und Eltern tendieren die beteiligten Lehrkräfte des achtjährigen Gymnasiums dagegen zu einer vergleichsweise negativeren Ein­schätzung des Klassenklimas. Eine plausible Erklärung dafür wäre, daß diese Einschätzung mit dem größeren Unterrichtsaufwand und den resultierenden höheren Lehrerbelastungen im Umgang mit den G8-Schülern und dem Management des Unterrichts in diesen Klassen zu tun hat. So treten etwa nach Auffassung der Lehrer am achtjährigen Gymnasium zwar weniger Konflikte zwischen Schülern auf, doch wird deren Lösung durch Lehrer als deutlich schwieriger empfunden als dies für die eher häufigeren Konflikte solcher Art am neunjährigen Gymnasium der Fall ist.

Zumindest zwei Konsequenzen lassen sich aus diesen Ergebnissen ziehen. Zum einen könnten Schüler-Schüler-Beziehungen am achtjährigen Gymnasium durch ge­eignete Maßnahmen, etwa begabungsgerechtere Organisationsformen im Unterricht oder gezielte Anregungen außerschulischer Kommunikation zwischen Schülern, wei­ter verbessert werden. Zum anderen sollten die Ursachen für die tendentiell negative­ren Klimaeinschätzungen der Lehrer am achtjährigen Gymnasium differenzierter analysiert werden. Dazu wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen.

Entspricht das Unterrichten am achtjährigen Gymnasium den Bedürfnissen be­gabter und hochbegabter Schüler?

Die aus den Potentialen begabter bzw. hochbegabter Schüler resultierenden Lernbe­dürfnisse und Anforderungen an die Gestaltung von Unterricht betreffen nicht nur das sozial-emotionale Klima, sondern auch das Curriculum. Dazu gehören Lernziele, Lehrmethoden und Organisationsformen. In vereinfachter Weise sind diese bereits dargestellten Zusammenhänge in der folgenden Tabelle 3 zusammengefaßt.

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146 Heinz Neber & Ralph Reimann

Tabelle 3: (Lern-)Bedürfnisse begabter Schüler und Anforderungen an Unterricht.

LernbedürfnisseI Anforderungen an Unterricht

- Höhere Lerngeschwindigkeit. Weniger Wiederholung,

weniger elaborierte Darstellung.

- Tiefere Erkenntnisse und intrinsische Kognitiv höhere Lernziele,

Motivation. Interessen auf Lerninhalte richten.

- Selbstgesteuerte Beschäftigung mit den Entdeckendes Lernen, Inhalten. Selbstgesteuertes Lernen.

- Kommunikation auf gleichem Niveau Kooperative Organisationsformen, und soziale Akzeptanz. (Gruppen, Diskussion).

Legende: I Diese wurden im Einleitungsteil zu diesem Kapitel erläutert.

Auch die Anpassung des Unterrichts an solche Anforderungen ist durch Verglei­che zwischen acht- und neunjährigen Gymnasialklassen überprüft worden.

Schüler beider Gymnasialformen schätzten dazu einige wenige Aussagen ein, die in erster Linie Lehrmethoden betrafen. Die Antwortmittelwerte Geweils auf einer Zu­stimmungsskala von 1-4) sind in Tabelle 4 zusammengefaßt.

Tabelle 4: Qualitäten des Unterrichts aus Schülersicht.

G8 G9 MI MI

Lernziele: - Es werden häufig Beziehungen zu anderen Schulfachern hergestellt. 2.28 2.27

Lehrmethoden: - Der Lehrer erklärt den Stoff genau. 2.97 2.84 - Es wird viel geübt und wiederholt. 2.61 2.60 - Wenn ich etwas nicht verstehe, stelle ich Fragen. 3.19* 2.94

Organisation: - Ich arbeite oft in einer Gruppe mit anderen zusammen. 2.07 1.94

Legende: I Minimalwert 1 (stimmt nicht); Maximalwert 4 (stimmt genau); * signifikanter Unterschied.

Diese Datenbasis läßt zwar keine abschließenden Aussagen zu, doch scheinen sich die Qualitäten des Unterrichts an beiden Gymnasialformen und aus Schülersicht nicht sehr zu unterscheiden. In bei den Formen wird danach relativ stark lehrerzen-

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Schulische und familiäre Lemumwelten 147

triert unterrichtet, wobei Schüler reaktive Initiativen übernehmen und mit dem Lehrer kommunizieren können. Letzteres ist eine Komponente von Selbststeuerung und am achtjährigen Gymnasium etwas ausgeprägter. Kooperative Organisations­formen werden wohl in beiden Fällen im Unterricht relativ selten eingesetzt.

Die Ergebnisse zu Qualitäten des Unterrichts wurden durch die ausführlicheren Erhebungen bei Lehrern beider Schulformen stärker und differenzierter abgesichert. Ist der Unterricht an bei den Gymnasialformen auch aus Lehrersicht weitgehend iden­tisch?

Mittelwert (Beurteilungen)

OG9

4 r-------------------------------------------------------,

3

2

HOhere kognitive AffeklNe Ziele lernziele

lXekte Ins Iruktlon

Entdeckendes Selbslgesleuert Kooperatives Lernen Lernen Lernen

Abbildung 2: Lernziele, Lehnnethoden und Organisationsfonnen des Unterrichts am achtjährigen und am neunjährigen Gymnasium aus Lehrersicht.

Obige Frage kann verneint werden. Unterricht am achtjährigen Gymnasium zeich­net sich im Vergleich zum neunjährigen Gymnasium durch folgende Qualitäten aus:

• stärkere Betonung kognitiv höherer Lernziele; • insgesamt stärkere Akzentuierung affektiver Lernziele und der diesen entspre­

chenden intrinsischen Motivation; • weniger direkte Instruktion; • entsprechend mehr selbstgesteuertes Lernen, das sich stärker auf Initiativen,

Selbstkontrolle und Eigenaktivität der Schüler stützt.

Diese Ergebnisse sind relativ deutliche Belege dafur, daß Lehrer am achtjährigen Gymnasium ihren Unterricht an die dargestellten Bedürfnisse begabter Schüler an­passen. Allerdings lassen die Daten auch erkennen, daß zumindest Kooperationen zwischen Schülern und lernbezogene Kommunikationen stärker gefordert werden

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148 Heinz Neber & Ralph Reimann

könnten. Dies würde nachgewiesenen Bedürfnissen und Auffassungen hochbegabter Schüler weiter entgegenkommen (Thorkildsen, 1991).

Lehrer, die am achtjährigen Gymnasium unterrichten, sind offenbar in der Lage und bereit, ihren Unterricht an die Besonderheiten besonders begabter Schüler anzu­passen. Dafiir spricht auch, daß Lehrer, die an beiden Gymnasialformen unterrichten, deutliche Unterschiede zwischen beiden Schülergruppen erkennen. Resultate des zweiten Lehrerfragebogens zeigen folgende Unterschiede zugunsten der Schüler am achtjährigen Gymnasium:

• höhere Auffassungs-, Gedächtnis- und Denkfahigkeiten sowie • stärkere intrinsische Motivation, die sich u.a. in höherem Interesse, höherer

Aktivität und mehr weiterführenden Fragen im Unterricht äußert.

Die geforderten begabungsadäquaten Modifikationen des Unterrichts durch Lehrer konvenieren mit entsprechenden Erkenntnissen und Beobachtungen über Leistungsvoraussetzungen und Bedürfnisse der G8-Zielgruppe. Der damit (nach Auffassung der Lehrer) verbundene Mehraufwand bei der Unterrichtsvorbereitung und den höheren Anforderungen an das Lehrerwissen wird allerdings auch belohnt. Lehrer sind nämlich der Auffassung, daß der Unterricht am achtjährigen Gymnasium interessanter und anregender sowie herausfordernder sei als am neunjährigen Regelgymnasium und zudem die eigene Freude und Berufszufriedenheit steigere. Dies bedeutet, die Einrichtung des achtjährigen Gymnasiums trägt auch zur affektiven Verbesserung des Arbeitsklimas von Lehrern bei, was mit dem einschlägigen Klimamodell von Moos & Trickett (1974) erklärbar ist. Danach sind subjektiv wahrgenommene Entwicklungsmöglichkeiten eine wesentliche Dimension des Klimas in Organisationen.

Familiäre Lernumwelten

Neben den schulischen Bedingungen und den individuellen Personmerkmalen (vgl. Kapitel 4) gelten die familiären Lernumweltbedingungen als dritte prominente Gruppe schulleistungsrelevanter Einflußfaktoren (Fraser, Walberg, Welch & Hattie, 1987; Heller, 1998, 2000; Helmke & Schrader, 2001; Helmke & Weinert, 1997; Wang, Haertel & Walberg, 1993). Die genannten drei Faktorengruppen sind als übergeordnete Kategorien zu verstehen; bei den verschiedenen Autoren verbergen sich hinter dieser Klassifikation nicht automatisch identische Einzelfaktoren. Übergreifend jedoch wird verschiedenen familiären Bedingungen und dem elterlichen Verhalten eine große Bedeutung fiir das Lernverhalten und damit den Schulerfolg von Schülerinnen und Schülern zugesprochen (vgl. auch Krumm, 1995).

Der Elterneinfluß auf schulrelevantes Lern- und Leistungsverhalten ist sicherlich vielfältiger Natur. In Rahmen eines ressourcentheoretischen Modells geht Amato (1996; zit. nach Rheinberg, Bromme, Minsel, Winteler & Weidenmann, 2001) davon

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Schulische und familiäre Lemumwelten 149

aus, daß Eltern (abgesehen von der genetischen Ausstattung) grundlegend über drei Arten von Ressourcen verfugen, durch sie die Entwicklung ihrer Kindern beeinflussen. Diese sind

• das Sozialkapital (Partnerschaftsqualität, Co-Parenting, Erziehungsstil); • das Humankapital (Bildungsabschlüsse, Bildungsaspirationen) und • das Finanzkapital (Zugang zu Bildungs- und Kulturgütern).

Es konnte gezeigt werden, daß vor allem die Bildungskarrieren der Kinder durch diese Ressourcen vorhergesagt werden können. Weniger gut gelingt beispielsweise die Vorhersage der (späteren) generellen Lebenszufriedenheit der Kinder oder der (späteren) Qualität ihrer sozialen Beziehungen (loc. cit.).

In Anlehnung an dieses Modell werden im folgenden der sozioökonomische Status (unter dem hier das Human- sowie das Finanzkapital sensu Amato verstanden werden) und der Erziehungsstil (Sozialkapital) der G8-Elternschaft untersucht. Es soll hierbei die Frage beantwortet werden, ob in einem G8/G9-Vergleich der fami­liäre Hintergrund der Schülerinnen und Schüler des G8 als außergewöhnlich günstig oder ungünstig zu beurteilen ist. Als zusätzlicher Aspekt wird die Zufriedenheit der Eltern mit den G8-Bedingungen eruiert. Des weiteren ist das Freizeitverhalten der G8-Schüler/innen von Interesse; hierbei steht die Frage im Vordergrund, ob der G8-Besuch Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung der Schüler/innen hat. Vorrangig wurde darauf geachtet, ob es zu negativen Effekten dergestalt kommt, daß die Anforderungen des G8-Programms die Ausübung bestimmter Freizeitaktivitäten nicht zulassen bzw. die Schülerinnen und Schüler in ihren selbstinitiierten Lernaktivitäten einschränken.

Es wurden somit vier Merkmalsbereiche untersucht: der sozioökonomische Status der Eltern, der Erziehungsstil der Eltern, die Zufriedenheit der Eltern mit den G8-Be­dingungen sowie das Freizeitverhalten der Schülerinnen und Schüler. Die Auswer­tungen der Schülerangaben basieren auf der Gruppe der erfolgreichen G8-Schüler der ersten drei Kohorten unter Einschluß der 4. Kohorte sowie den verfügbaren G9-Stichproben (s. Kapitel 4, Tabelle 2 auf S. 83). Im Rahmen der Elternangaben wurden hingegen die Informationen aller G8-Kohorten (s. S. 57 in diesem Buch) herangezogen, da ansonsten die Stichprobengröße mitunter zu gering gewesen wäre.

Sozioökonomischer Status der Familie

Oftmals wird berichtet, daß die sozioökonomische Situation einer Familie bei der Schulleistungsdetermination eine Rolle spiele (Cowan, Cowan, Schulz & Heming, 1994; Helmke & Schrader, 2001; Helmke & Weinert, 1997). In einer Hamburger Untersuchung mit Fünftkläßlern aller Schultypen etwa wurde folgender Zusammenhang zwischen Statusmerkmalen und Schulleistungen gefunden: Je höher

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150 Heinz Neber & Ralph Reimann

der Schulabschluß des Vaters und der Mutter, desto besser ist die Schulleistung, gemessen mit einem Schulleistungstest (Lehmann, Peek & Gänsfuß, 1997).

In der den folgenden Darstellungen wurde die sozioökonomische Situation der Familie über die Variablen Familieneinkommen (als Indikator des Finanzkapitals), Bildungsabschlüsse der Eltern sowie Wertschätzung der Bildung im allgemeinen (als Indikatoren des Humankapitals) operationalisiert.

E .!

Abbildung 3: W ~

Gesamtnettoein-CD '0

kommen der ~ 0

Eltern pro Monat.

60

50

40

30

20

10

0

bis 1500 1500-2500 2500-4000 Ober 4000

Euro

.Ga G9

Aus den erhaltenen Daten wird deutlich, daß im achtjährigen Gymnasium fast ein Viertel der Familien über mehr als 4000 Euro monatlich verfUgt, wohingegen im neunjährigen Gymnasium nur etwas mehr als 10% der Einkommen in dieser Kategorie liegen. 2500-4000 Euro verdienen die meisten Familien in beiden Gruppen. In der Einkommensklasse von 1500-2500 Euro sind mehr Familien aus dem neunjährigen Gymnasium vertreten. Im Durchschnitt erweisen sich die G8-Familien somit als finanzstärker als die G9-Familien.

Für den Vergleich der erlangten Bildungsgrade kann auf Elternangaben zum Schulabschluß sowie zu akademischen Karrieren zurückgegriffen werden.

80 70

60

50

~ 40 0

30

20

10

0

Väter

HauptSChule Mttlere Reife

Abitur

_G8

_G9

Abbildung 4: Bildungsabschlüsse der Eltern.

MUtter

HauptSChule Mttlere Abitur Reife

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Schulische und familiäre Lernumwelten 151

Betrachtet man die Väter- und Mütter-Informationen gemeinsam, kann man sagen, daß gegenüber 55% der G9-Eltern 72% der G8-Eltern Abitur aufweisen (s. Abbildung 4). Über einen Universitätsabschluß verfiigen 42% der G9- und 57% der G8-Eltern (Abbildung 5). Allgemein weisen die Eltern der Schülerinnen und Schüler des achtjährigen Gymnasiums somit durchschnittlich höhere Bildungsabschlüsse auf als jene des neunjährigen Regelgymnasiums.

Die größten Unterschiede sind (geschlechtspezifisch) in der Promotions- und der Hochschulabschlußquote zu beobachten: Wesentlich mehr G8-Väter sind promoviert (bei den Mütter sind es immerhin auch 7% gegenüber 3% der G9-Mütter), und wesentlich mehr G8-Mütter können ein abgeschlossenes Hochschulstudium vor­weisen. Ähnliche Befunde zeigten sich bereits in anderen, thematisch ähnlich gela­gerten Untersuchungen (z.B. Heller & Neber, 1994; Heller & Lengfelder, 2000). Insgesamt sind Geschlechterdifferenzen nicht zu übersehen. So haben in beiden Schularten mehr Männer als Frauen Abitur und einen Universitätsabschluß.

70 _

60

50

40 :.e 0 30

20 ~ 1

10

0 Hochschul-abschluß

Väter

Promotion Habilitation

_Ga _G9

Abbildung 5: Akademische Abschlüsse der Eltern.

Mütter

Hochschul- Promotion Habilitation abschluß

Insgesamt kann an dieser Stelle festgehalten werden, daß die Eltern der G8-Schü­lerschaft im Durchschnitt über höhere Bildungsabschlüsse verfiigen als die Eltern der G9-SchÜlerschaft.

Der letzte Indikator, der in der Kategorie des sozioökonomischen Status' be­trachtet wird, ist die Wertschätzung der Bildung im allgemeinen (hier interpretiert als Bildungsaspiration). Die Eltern waren gebeten worden anzugeben, ob sie im Vergleich zu durchschnittlichen deutschen Familien ihrer Meinung nach eher weniger, vergleichbar oder eher mehr Wert auf Bildung legen. Bildung war in diesem Zusammenhang breit definiert im Sinne von Lesen anspruchsvoller Literatur, Besichtigung von Museen und Denkmälern, Theaterbesuche u.ä.

Beide Elterngruppen attestieren sich im Vergleich zur vorgestellten deutschen Durchschnittsfamilie eine höhere Wertschätzung der Bildung (s. Abbildung 6). Diese Tendenz ist bei Familien mit den oben dargestellten akademischen Laufbahnen nicht allzu überraschend. Beachtenswert ist jedoch, daß die Gruppe der G8-Eltern hier einen noch größeren Wert rur Bildung andeutet als die G9-Gruppe.

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Abbildung 6: Subjektive Wert­schätzung von Bildung in der Familie.

70

60

50

40

'oC 30

20

10

Heinz Neber & Ralph Reimann

___ G8

_G9

O+-__ ~L-__ -, __________ ~ ________ -,

weniger wrgleichbar mehr

Faßt man die drei untersuchten Bereiche (ökonomische Situation, Bildungsab­schlüsse der Eltern, Wert der Bildung) zusammen, dann ist durchaus von einem gün­stigeren familiären Hintergrund der G8-Schülerschaft auf dieser Ebene auszugehen.

Doch welche Schlußfolgerungen sind hieraus für die Bewertung des G8 als schulisches Begabteruörderprogramm zu ziehen? Grundsätzlich ist zu bedenken, daß hier Statusvariablen (d.h. sogenannte distale Merkmale) untersucht wurden. Diese stehen zwar in positivem Zusammenhang mit dem kindlichen Schulerfolg (s.o.), dennoch dürfte dieser Zusammenhang nur indirekter Natur sein, d.h. vermittelt über weitere (proximale) Merkmale. Der Sozialstatus weist zur Schulleistung der Kinder eine kausale Distanz auf (Helmke & Weinert, 1997), in ihm drückt sich allenfalls aus, an welchen bildungsrelevanten Ressourcen ein Kind potentiell partizipieren kann. Von einem bestehenden elterlichen Bildungsniveau und dem Vorhandensein günstiger finanzieller Bedingungen kann noch nicht automatisch geschlossen werden, daß hier tatsächlich bildungsunterstützende Prozesse und Verhaltensweisen stattfinden: Aus dem, was Eltern sind, ist nicht ableitbar, wie sie sich verhalten (vgl. Sauer & Gamsjäger, 1996). Eine größere Bedeutung als reinen Statusmerkmalen kommt erzieherischen Prozeßmerkmalen zu (vgl. Helmke & Schrader, 2001), womit sich der folgende Abschnitt befaßt.

Leistungsbezogenes elterliches Erziehungsverhalten

Mit ihrem Erziehungsverhalten schaffen die Eltern im privaten Bereich bestimmte Bedingungen, die zu einem erheblichen Teil die Lernvoraussetzungen der Kinder determinieren (Booth, 1996; Griffith, 1996). Bereits auf der Ebene von Erziehungs­stilen zeigen sich förderliche und abträgliche Effekte verschiedener Stile auf die Schulleistungen der Kinder (Lamborn, Mounts, Steinberg & Dornbusch, 1991; Steinberg, Mounts, Lamborn & Dornbusch, 1991). Von den Erziehungsstilen als sta­bile elterliche Verhaltenstendenzen unterscheidet man die Erziehungspraktiken, die spezifische Reaktionen der Eltern in konkreten Situationen umfassen (Krohne &

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Schulische und familiäre Lernumwelten 153

Hock, 2001). Viele dieser alltäglichen Eltern-Kind-Interaktionen sind leistungsver­haltenswirksam, je nach Ausprägung also wirken sie leistungssteigernd oder leistungshemmend (Kellaghan, Stoane, Alvarez & Bloom, 1993; Olmsted, Webb & Ware, 1977; Topping, 1986). So beschreiben Sauer & Gamsjäger (1996), daß sich ausgeübter Leistungsdruck sowie die Bestrafung schlechter Leistungen durch die Eltern ungünstig auf die Leistungsentwicklung der Kinder auswirke. Unter Lei­stungsdruck verstehen sie Maßnahmen zur Leistungssteigerung wie auch das inadäquate Kontrollieren der Hausaufgabenbearbeitung. Insbesondere die Haus­aufgaben sind ein heikles Thema; Eltern wie Lehrkräfte bewerten sie als sehr sinn­voll und messen ihnen eine hohe Bedeutung bei (vgl. Nilshon, 2001). Doch kann eine zu intensive Beaufsichtigung und Kontrolle durch Eltern die Leistungsmotiva­tionsentwicklung der Kinder negativ beeinflussen (vgl. Trudewind & Windel, 1991).

Im folgenden wird untersucht, welche lern- und leistungsrelevanten Verhaltens­weisen die Eltern der G8- vs. G9-Schülerschaft demonstrieren, wobei freilich das Hauptaugenmerk auf den G8-Eltern liegt. Gestehen sie ihren Kindern ein Selbstmanagement zu oder neigen sie angesichts des anspruchsvollen G8-Programms doch zu einer verstärkten Kontrolle und Steuerung der Lernaktivitäten der Schüler/innen? Diese Frage wurde anband einer Reihe von Verhaltensindikatoren, die dem Elternfragebogen entnommen sind, untersucht.

Eigenes ArtleitSZIIllITIef

BOchelwrsorgung

Lemzeit frei eInleilbar

Hilfe bei Lemschwierigkeiten

Ober Probleme gut informiert

HausaufgabenkOOlrolle

Gute Noten am wichllgsten

Interessen wichllger 81s Noten

Zustlmmung (% der Eltern)

o 10 20 30 40 50 60 70

b ... Abbildung 7: Indikatoren des leistungsbezogenen Eltemverhaltens.

80 90 100

Es ist ein interessantes Muster der elterlichen Verhaltensweisen erkennbar (Abbil­dung 7). Nahezu gleichförmig geben die Eltern beider Schülergruppen an, daß ihre Kinder über ein eigenes Arbeitszimmer verfugen und alle Bücher erhalten, die sie

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154 Heinz Neber & Ralph Reimann

sich wünschen. Auch die Lernzeit können sich die Schülerinnen und Schüler frei ein­teilen, wobei durchaus erwähnenswert ist, daß dies filr die G8-Gruppe ausnahmslos zutrifft. Die Gleichförmigkeit der Ergebnisse zeigt, daß im Rahmen der hier ange­sprochenen Aspekte die beiden Schülergruppen nahezu identische Bedingungen vor­finden. Indes ist zu beachten, daß hier Handlungen und Einstellungen thematisiert werden, die mit einem passiven oder zumindest neutralen Verhalten zu gewährleisten sind: Das Vorhandensein eigener Arbeitszimmer überrascht bei Familien des oben geschilderten ökonomischen Hintergrunds nicht, die Besorgung von Büchern kann als Konsumhandlung interpretiert werden, und die freie Einteilung der Lernzeit ist sozusagen eine einmalige Festlegung (ohne) permanente Beanspruchung.

In den weiteren Bereichen, die eher dauerhafte Interaktionsmomente ansprechen, bestehen hingegen einige Unterschiede (s. Abbildung 7). Mehr G9- als G8-Eltern helfen bei Lernschwierigkeiten (wobei offen bleiben muß, wie diese Hilfe aussieht) und sehen sich über schulische Probleme gut informiert, ebenso ist im G9 die Haus­aufgabenkontrolle häufiger vertreten. Die Bedeutung der Noten relativieren mehr G8- als G9-Eltern, worin eine stärkere Wertschätzung der außerschulischen Aktivi­täten der Schülerinnen und Schüler zum Ausdruck kommt. Vor allem muß man ver­mutlich die Konstellation einiger Bedingungen beachten: Die frei einteilbare Lernzeit in Kombination mit dem kritischen Aspekt der Hausaufgabenkontrolle sowie der gleichzeitig in vielen Familien bestehenden Informiertbeit über schulische Probleme und gewährleisteten Hilfestellung bei Lernschwierigkeiten spricht möglicherweise ftir eine familiäre Lern-lLeistungsatmosphäre, die dem Individuum genügend Auto­nomie zugesteht, ohne mit Desinteresse an schulischen Angelegenheiten oder Ver­nachlässigung einherzugehen. Hierdurch erleben sich Schülerinnen und Schüler als selbstverantwortlich, was zu einer Stützung der Selbstwirksamkeitsüberzeugung bei­trägt, welche wiederum leistungsförderlich ist. Diese Bedingungen bestehen im G8 wie G9, doch deuten die Konstellationsmuster zaghaft an, daß mehr G8- als G9-Eltern ein solch günstiges Erziehungsverhalten praktizieren. Vor allem beeindruckt das lediglich in einem verschwindend geringen Teil der G8-Familien vorkommende Überwachen der Hausaufgaben, welches als besonders leistungsdruckgenerierend und damit demotivierend gelten muß (Sauer & Gamsjäger, 1996; Trudewind & Windel, 1991). Diese Gefahr scheint im G8 trotz des anspruchsvolleren Unterrichts­programms nicht zu bestehen, was natürlich auch begabungsabhängig zu sehen ist.

Zufriedenheit der Eltern mit den G8-Bedingungen

Wie der vorherige Abschnitt zeigte, sind bestimmte familiäre Bedingungen wichtige Voraussetzungen fiir ein erfolgreiches Leistungshandeln der Kinder. Vorstellbar wäre, daß ein förderliches Elternverhalten durch eine positive Gesamthaltung gegenüber den schulischen Bedingungen zwar nicht determiniert, aber doch unter­stützt wird.

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Schulische und familiäre Lemumwelten 155

Zur Einschätzung der Zufriedenheit der Eltern mit den G8-Bedingungen dient eine bestimmte Sektion des Elternfragebogens. Die Fragen hierin waren ganz gene­rell gehalten (Sind Sie im allgemeinen mit dem achtjährigen Gymnasium zufrieden?) und konnten anhand einer funfstufigen Ratingskala (gar nicht zufrieden bis sehr zu­frieden) beantwortet werden. Die folgende Abbildung zeigt die durchschnittlichen Angaben der G8-Eltern.

Nelnl Jal

Im alig . mit Gym . zufrieden?

Im allg. mit Lehrern zufrieden?

Geht Kind gern auf diese Schule?

FOhlt sich Kind in der Klasse wohl?

Sind die .Anforderungen zu hoch?

Abbildung 8: Indikatoren der elterlichen Zufriedenheit mit den G8-Bedingungen.

In den verschiedenen Angaben offenbaren die Eltern eine generelle Zufriedenheit. Sicherlich sind die Informationen lediglich als grobe Einschätzung zu verstehen, aber dennoch geben sie einen Hinweis auf die Einstellung der Eltern gegenüber der Schule ihrer Töchter und Söhne. Die Aussagen zur Anforderungshöhe im G8 bewe­gen sich im mittleren Bereich zwischen Zustimmung und Ablehnung, d.h. die Eltern sind weder der Meinung, die Anforderungen seien zu hoch, noch geben sie an, die Anforderungen seien zu niedrig. Somit könnte das Anforderungsniveau als "ange­messen" gelten. Nichtsdestotrotz sind einige Eltern der Meinung, neben der G8-Schullaufbahn wären weitere Fördermaßnahmen sinnvoll, was in einer offenen Frage zum Ausdruck kam. Hierin wurden vor allem Sprachreisen (bzw. Möglichkeiten des Schüleraustauschs) und zusätzliche außercurriculare Arbeitsgemeinschaften als sinn­volle Ergänzungen der schulischen Ausbildung genannt. Diese Wünsche deuten darauf hin, daß die G8-Anspruche zumindest für bestimmte Teile der Schülerschaft alles andere als eine Überforderung oder zu große Belastung darstellen.

In einer weiteren offenen Frage waren die Eltern aufgefordert anzugeben, wo sie innerhalb des G8 Verbesserungsmöglichkeiten sehen. Trotz der generellen Zufrie­denheit mit den Bedingungen (Abbildung 8) wurden hierzu folgende Vorschläge ge-

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156 Heinz Neber & Ra1ph Reimann

macht (Tabelle 5). Aufgefiihrt sind nur Kommentare, die mindestens fiinfmal, d.h. von fiinf verschiedenen Eltern(paaren), genannt wurden.

Tabelle 5: Elternkommentare zu der Frage: Was sollte man aus Ihrer Sicht am G8 verbessern?

Kommentar

~ neue Lehr- und Arbeitsmethoden einfUhren

elb tändige Lernen Lern trategien ffirdern

}.>o Oberstufe be er organisieren

~ Erweiterung de tundenangebote , größere Auswahl

}.>o fächerübergreifend unterrichten und organisieren

~ ozial Kompetenzen, chlü selqualifikationen Rlrdern

~ Stoff reduzieren

~ bildung politi che Änderungen, z.B. Lehrplan

~ Angleichung an Regelgymnasium

~ mehr -ngagement von eilen der Lehrer

~ Lehrerfortbildung fCirdern

An ehen des 08 fCirdern Abkehr vom elitären Anspruch

Anmerkung: N = 147

Häufigkeit der Nennung

12

11

9

8

7

7

6

6

6

6

6

5

Die meisten Verbesserungsvorschläge beziehen sich auf didaktische Maßnahmen und neue Unterrichtsangebote (neue Lehr- und Arbeitsmethoden einführen; selb­ständiges Lernen, Lernstrategien fördern; facherübergreifend unterrichten; soziale Kompetenzen, Schlüsselqualifikationen fördern; Stoff reduzieren; genaue Wortlaute z.B .: "etwas mehr Oruppenarbeit", "selbständiges Erarbeiten von Themen wäre nicht schlecht", "selbständiges Erarbeiten von Lehrstoff', "neue Lernmethoden, Medien berücksichtigen"). Daneben werden organisatorische Maßnahmen genannt (Ober­stufe; Erweiterung des Stundenangebotes; größere Auswahl; z.B.: "wirklich flächen­deckendes Angebot an jedem möglichen Standort"). Mehrere Eltern wünschen auch eine Angleichung an das Regelgymnasium ("Lehrpläne des 08 und 09 angleichen"). Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der Lehrer werden ebenfalls genannt (mehr Engagement von seiten der Lehrer; Lehrerfortbildung fördern; z.B. : "alle Lehrer sollten die Probleme Hochbegabter kennen und darauf eingehen können", "beson­dere Ausbildung"). Für ein anderes Image des achtjährigen Gymnasiums sprechen sich fünf Elternpaare aus.

Mit den Lehrerinnen und Lehrern im 08 sind die Eltern im Durchschnitt ebenfalls zufrieden (s. Abbildung 8). Neben dieser generellen Angabe hatten die Eltern zusätz­lich die Möglichkeit, in einer offenen Frage Kommentare zum Lehrpersonal abzuge-

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Schulische und familiäre Lernumwelten 157

ben. Die folgende Tabelle listet die von den Eltern abgegebenen Anmerkungen zu Lehrkräften und Unterricht auf. Es sind nur Kommentare berücksichtigt, die mindest fünfmal vorkamen.

Tabelle 6: Elternkornrnentare zu Lehrkräften und Unterricht.

Kommentar

~ Lehrer/innen besser auswählen und fortbilden

~ angemessene Didaktik, Methodik verwenden

~ gesetzte Ziele für G8 sollten verwirklicht werden

~ guter Klassenlehrer, Lob für einzelne Lehrer/innen

~ Lehrer/innen müssen sich mehr engagieren

~ päd. Konzept sollte überarbeitet, erneuert werden

Anmerkung: N = 147

Häufigkeit der Nennung

24

11

8

7

6

5

In den Kommentaren zu Unterricht und Lehrkräften finden sich Kritik, Anre­gungen und Lob. Einige Eltern meinen, daß man Lehrerinnen und Lehrer fiir das G8 besser auswählen und fortbilden sollte. Zum Teil wird aber auch direkt an den Lehr­kräften Kritik geübt ("Nicht alle Lehrer scheinen hinter dem 8-jährigen Gymnasium zu stehen. Äußerungen wie ,Ihr wollt ja so gescheit sein ... ' oder , ... Über flieger ... ' , halte ich nicht fiir motivierend"). Ebenso werden auf dem Gebiet der Didaktik und Methodik Veränderungen gefordert ("Meist konventioneller Frontalunterricht, wenig wirklich facherverbindendes Arbeiten, kein Fehler der engagierten Lehrer, sondern der Ausbildung und des Konzeptes"). In diesem Zusammenhang steht auch die For­derung, daß die gesetzten Ziele fiir das G8 verwirklicht werden sollten. Mehrere Eltern loben jedoch auch ausdrücklich die Lehrerinnen und Lehrer: "Bis auf wenige Lehrer gehen diese sehr auf die einzelnen Schüler ein und sind an deren Wohl inter­essiert." Insgesamt ist die geringe Nennungszahl zu bedenken, so daß diese Informa­tionen nicht im Widerspruch zum obigen Ergebnis der generellen Zufriedenheit (s. Abbildung 8) stehen.

Neben der Möglichkeit zur kritischen Stellungnahme hatten die Eltern ebenfalls explizit Gelegenheit, positive Aspekte zu betonen. Die nächste Tabelle präsentiert die geäußerten Meinungen; wiederum sind nur Kommentare berücksichtigt, die min­destens fünfmal vorkamen.

Die Eltern erachten die leistungshomogenen Klassen am achtjährigen Gymnasium für besonders positiv ("Etwa gleich veranlagte Lerngruppen", "Ein einheitlicheres Leistungsniveau als in anderen Klassen, keine Diskriminierung wegen Lust an Wissen und Neugier"). Daneben betonen sie den Aspekt der Verkürzung der Schul­zeit. Sehr viele Eltern sehen fiir die Schülerinnen und Schüler ein angemessenes Lerntempo und gutes Lernklima; das hohe Niveau wird ebenso positiv beurteilt wie

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158 Heinz Neber & Ralph Reimann

die Inhalte. Die Förderung durch das hohe Lerntempo, die leistungshomogenen Klassen und die anspruchsvollen Lerninhalte werden gleichfalls hervorgehoben. Einige Eitern loben auch hier engagierte, gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer.

Tabelle 7: Eltemkommentare zur Frage: Was halten Sie am G8.für besonders positiv?

Kommentar

~ leistungshomogene und kleine Klassen

~ Verkürzung der Schulzeit

~ angemessene Inhalte, hohes Niveau

~ angemessenes Lemtempo, gutes Lernklima

~ zusätzliche Förderung

~ einige engagierte, gut ausgebildete Lehrer/innen

~ Lehrer-Schüler-Kontakt

Anmerkung: N = 147

Häufigkeit der Nennung

64

41

32

24

21

15

5

Insgesamt kann somit folgendes Ergebnis festgehalten werden. Die Eltern der Schülerinnen und Schüler des G8 sind mehrheitlich zufrieden mit den gymnasialen Bedingungen. Eine Unter- oder Überforderung der Schülerinnen und Schüler sehen sie nicht, im Durchschnitt werden die Anforderungen als angemessen beurteilt. Dennoch sind Teile der G8-Elternschaft der Meinung, daß weitere Fördermaßnah­men durchaus möglich und angebracht seien. Freie Antworten zu positiven Aspekten überwiegen zahlenmäßig freie Antworten zu negativen Aspekten. Hinsichtlich der Lehrkräfte und des Unterrichts wird vereinzelt Kritik geübt, insgesamt sind die Eltern aber mit den Lehrkräften und dem Unterricht zufrieden. Generell sollte be­dacht werden, daß die kritischen Anmerkungen von einer Minderheit stammen, die maximal 10-15% der Eltern ausmachen. In der Gesamtheit kann somit von einer hohen Akzeptanz der G8-Bedingungen ausgegangen werden.

Freizeitverhalten der Schülerinnen und Schüler

Als letzter Aspekt in diesem Abschnitt wird das Freizeitverhalten der Schülerinnen und Schüler untersucht. Dies erfolgt aus zwei Gründen. Zum einen erscheint im Kon­text eines Schulversuchs mit akzeleriertem und anspruchsvollem Bildungsgang die Frage relevant, ob die bestehenden Bedingungen die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler nötigen, ihre Freizeit in überdurchschnittlichem Ausmaß für schulische Anforderungen aufzuwenden. Einen Hinweis darauf, daß dies vermutlich nicht der Fall ist, findet man bereits in obigen Elternmeinungen, wonach zumindest einige Schülerinnen und Schüler durchaus noch Kapazitäten für weitere Aktivitäten (För-

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Schulische und familiäre Lemumwelten 159

dennaßnahmen) zu haben scheinen. Die kommenden Auswertungen sollen die Frage erhellen, ob diese Vennutung durch die direkten Schülerangaben gruppendeckend unterstützt wird. Vergleichbare Untersuchungen veranlassen jedenfalls nicht zur An­nahme gravierender Unterschiede im Freizeitverhalten (Kaiser & Kaiser, 1998). Des weiteren ist zu bedenken, daß Aktivitäten in der Freizeit in erheblichem Ausmaß von Interessen gesteuert werden. Wieviel Zeit verbringt jemand mit eher unterrichtsnahen oder eher unterrichtsfernen Inhalten? Nach der Interessentheorie von Krapp (1992) ist das Interesse einer Person fiir ein bestimmtes Thema durch zwei Komponenten gekennzeichnet: Es besteht eine herausgehobene Beziehung der Person zu einem Ge­genstand, und die Beschäftigung mit diesem Gegenstand erfolgt ohne äußeren Zwang, ist also intrinsisch motiviert. Interessiert sich eine Person fiir eine bestimmte Thematik, dann erwirbt sie durch die Beschäftigung mit dem Gegenstand ein qualitativ höherwertiges Wissen in der entsprechenden Domäne (Schief eie, 1996; Schiefele & Schreyer, 1994). Generell bestehen Zusammenhänge zwischen den gezeigten Interessen fiir bestimmte ThemenlFächer und der gezeigten Schulleistung (Gottfried, Fleming & Gottfried, 1994; Schief eie, Krapp & Schreyer, 1993). Ausgehend von diesen Zusammenhängen untersuchen die folgenden Ausfiihrungen, ob sich Schülerinnen und Schüler des G8 in ihren Interessen und ihrem Freizeitverhalten gravierend von den Schülerinnen und Schülern des G9 unter­scheiden. Das außerschulische Verhalten kann je nach Gestaltung eher förderlich oder eher kontraproduktiv für das schulische Leistungsverhalten sein. Erweist sich das Freizeitverhalten der G8-Gruppe als eher förderlich (wobei in letzter Konsequenz freilich schwierig zu definieren ist, was noch förderliches Verhalten ist und was nicht mehr), dann wäre hierin möglicherweise ein Faktor zu sehen, der als (notwendige?) unterstützende Bedingung fiir den erfolgreichen Besuch des G8 zu diskutieren ist.

Die folgende Abbildung präsentiert, in welchem Ausmaß sich die Schülergruppen in ihrer Freizeit mit verschiedenen Interessenbereichen beschäftigen. Die Reihen­folge der Themen orientiert sich an den geäußerten Intensitäten der G9-Gruppe. Durch diese Reihung beinhaltet die Abbildung zwei Infonnationen: zum einen die qualitative Dimension der Interessen (mit welchen Themen befassen sich die Gruppen vorrangig?), zum anderen die quantitative Dimension (mit welcher Intensi­tät beschäftigen sich die Gruppen mit den einzelnen Bereichen?).

Es ist zu beobachten, daß sich die Ranglisten der Interessen bei der Gruppen im großen und ganzen nicht unterscheiden (s. Abbildung 9). Allerdings nehmen bei der G8-Gruppe die Beschäftigungen mit gesellschaftlichen und mathematischen Themen geringfiigig höhere Rangplätze ein als bei der G9-Gruppe. In der Gesamtheit sind so­mit keine eklatanten qualitativen Unterschiede erkennbar. In der quantitativen Di­mension bestehen statistisch bedeutsame Gruppendifferenzen, die sich jedoch auf die drei Themen Gesellschaft, Computer und Mathematik beschränken. Da die Effekt­stärken hierbei allerdings keine starken Diskrepanzen ausweisen, liegen auch die In­teressenintensitäten der beiden Gruppen insgesamt eng beieinander.

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Nie Sehr oft

Abbildung 9: Intensität der Beschäftigung mit verschiedenen Themenbereichen (Angaben erfolgten über vierstufige RatingskaIen von sehr selten/nie bis sehr oft).

Neben den Interessenbereichen informierten die Schülerinnen und Schüler zusätz­lich über ihre konkreten Freizeitaktivitäten (s. Abbildung 10). Auch diese Abbildung, in der sich die Reihenfolge der Aktivitäten erneut durch die Ausprägungen der G9-Gruppe ergibt, zeigt kombiniert die qualitative und quantitative Dimension der Akti­vitäten.

Die Ergebnisse zu den Freizeitaktivitäten sind jenen zu den Interessenbereichen ähnlich. Die Rangliste der bevorzugten Aktivitäten unterscheidet sich in beiden Gruppen nicht, in der G8-Gruppe nimmt lediglich das Musizieren eine um eine Stelle höhere Position ein. Dies ändert jedoch den Gesamtbefund nicht. Hinsichtlich der Qualität der Freizeitbeschäftigungen sind somit erneut keine substantiellen Gruppen­differenzen auszumachen. Ebenfalls bestehen keinerlei quantitative Diskrepanzen: In keiner der Variablen existieren statistisch bedeutsame Unterschiede. Umfassend ergibt sich folglich ein Bild, wonach sich die Schülergruppen des G8 und des G9 in den Interessen und im Freizeitverhalten nicht gravierend unterscheiden.

Vor dem Hintergrund eines generell nicht beobachtbaren Unterschieds zwischen den Gruppen wurden im folgenden zwei Detailanalysen vorgenommen, die den qua­litativen Aspekt der Freizeitbeschäftigung bezogen auf zwei Aktivitäten näher unter­suchen. Hierbei handelt es sich um das konkrete Lese- sowie Fernsehverhalten. Als

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Schulische und familiäre Lernumwelten 161

Informationsquellen dienten jeweils einmal die Eltern und einmal die Schüler/innen.

Nie Sehr oft

~oo .................. ~

Musizieren ........... .

Abbildung 10: Intensitäten konkreter Freizeitaktivitäten (Angaben erfolgten über vierstufige RatingskaIen von sehr selten/nie bis sehr oft).

In einer offenen Frage wurden die Eltern aufgefordert anzugeben, welches Buch ihr Sohn oder ihre Tochter zum Zeitpunkt der Befragung gerade liest. Die Angaben der konkreten Lektüre wurden zu Kategorien gruppiert, die in der folgenden Abbil­dung 11 veranschaulicht sind. Die Reihenfolge der Kategorien auf der Abszisse repräsentiert die Rangfolge bei Schülerinnen und Schülern des G9, d.h. von G9-Eltern wurde am häufigsten Unterhaltungsliteratur genannt (s. Abbildung 11). Die Grafik veranschaulicht auf diesem Weg, welche Literaturkategorien von G8-Ange­hörigen weniger gelesen werden als von G9-Schülern Gene, bei denen die G8-Werte unterhalb der G9-Linie liegen) und welche mehr gelesen werden (in diesem Fall liegen die G8-Werte oberhalb der G9-Linie).

Es ist erkennbar, daß die Kategorie der Unterhaltungsliteratur von beiden Gruppen am häufigsten gelesen wird. Ebenfalls gleiche Ausprägungen ergeben sich fiir Belletristik (u.a. Fontane, Dürrenmatt, Walser) sowie Fantasy-Literatur. Aben­teuer- und Horrorbücher werden demgegenüber deutlich häufiger von G9-Schülern gelesen, während Schülerinnen und Schüler des G8 mehr Sachbücher und gesell­schaftskritische Werke lesen. Aber auch Krimis kommen bei den G8-Schülern in größerem Umfang vor. Insgesamt zeigt sich hier in Ansätzen ein Bild, wonach die G9-Gruppe tendentiell eher zu unterhaltender Literatur neigt, während die G8-Gruppe eher informative Literatur präferiert.

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162

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Heinz Neber & Ralph Reimann

Abbildung 11: Momentan gelesene Bücher.

_ G9 ~G8

Nach dem gleichen Prinzip wie Abbildung 11 zur gelesenen Literatur ist auch die folgende Darstellung des Fernsehverhaltens aufgebaut, nur beinhaltet sie darüber hinaus den Intensitätsaspekt. Wie häufig verfolgen die Schülerinnen und Schüler ver­schiedene Fernsehbeiträge? Die Reihenfolge der Genres ist wiederum anband der In­tensitäten der G9-Gruppe gebildet.

Abbildung 12: Häufigkeit des Konsums verschie­dener Fernseh­sendungen.

o ... s::. GI

(/)

GI

Z L

Vergleichbar zu den Differenzen im literarischen Bereich sind auch im Fernseh­verhalten leichte qualitative Unterschiede zwischen den Gruppen feststellbar. Bei den Schülerinnen und Schülern des G8 haben Infonnations- und Wissenschafts-

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sendungen tendentiell einen höheren Stellenwert als bei den Schülerinnen und Schülern des G9. Auf der quantitativen Dimension existieren ebenfalls Differenzen. Statistisch bedeutsame Unterschiede bestehen zwar in mehreren Kategorien, allerdings fallen diese nicht sehr stark aus (Effektstärke ). Mittelgroße Diskrepanzen existieren lediglich in den Sparten Musiksendung und Talkshow, die die G9-Gruppe verstärkt konsumiert. Beachtenswert ist, daß die Schülerinnen und Schüler des G8 für keine der angegebenen Genres einen häufigeren Konsum angeben, der G8-interne Vergleich weist dabei auf eine Bevorzugung der oben genannten Sendebeiträge hin (Information, Wissenschaft). Zusammengefaßt folgt daraus, daß die G8-Gruppe insgesamt einen geringeren TV -Konsum demonstriert; wenn sie Fernsehbeiträge verfolgt, dann halten sich Unterhaltungssendungen (in der Abbildung: Spielfilm, Unterhaltung) und Informationssendungen (Information, Wissenschaft) deutlicher als bei der G9-Gruppe die Waage.

Betrachtet man die Ergebnisse der Detailanalysen zur Literatur und zum TV -Ver­halten gemeinsam, zeigt sich in Ansätzen, daß die Schülerinnen und Schüler des G9 etwas ausgeprägter als die Schülerinnen und Schüler des G8 zu vergnügungsorien­tierten Medien neigen, während für die G8-Gruppe doch eine leichte Tendenz zu intellektuell mehr fordernden Themen erkennbar ist.

Zusammenfassung der Ergebnisse zur familiären Lernumwelt

Die Ergebnisse zur familiären Lernumwelt zeigen, daß die G8-Familien einen hö­heren sozioökonomischen Status aufweisen. Von einem direkten Einfluß dieser Variablen auf Schulleistungen ist jedoch nicht auszugehen (Hanses, 2000; Helmke & Schrader, 2001). Es ist aber anzunehmen, daß Statusmerkmale indirekt wirken, indem sie relevante Fähigkeitsselbstkonzepte von Schülerinnen und Schülern positiv beeinflussen, die dann ihrerseits das Lern- und Leistungsverhalten günstig regulieren (Song & Hattie, 1984). Weitaus bedeutsamer als Statusmerkmale sind Prozeß­merkmale, die das konkrete elterliche Erziehungsverhalten beschreiben (Helmke & Schrader, 2001; Sauer & Gamsjäger, 1996). Das leistungsbezogene Verhalten der Eltern scheint in der G8-Gruppe etwas günstiger gelagert zu sein als in der G9-Gruppe. Dies bedeutet unter anderem, daß in den G8-Familien nichts auf die Existenz eines motivationsabträglichen Leistungsdrucks oder einer überdimensio­nierten Reglementierung des kindlichen Lernverhaltens hinweist. Ferner ist bei den G8-Eltern eine relativ hohe Akzeptanz des G8-Programms und seiner Bedingungen festzustellen, was sich mit den Ergebnissen vergleichbarer Untersuchungen deckt (Kaiser, 1997). Nun kann man die elterliche Zufriedenheit mit den schulischen Bedingungen zwar als Bestandteil des privaten Lernklimas verstehen, allerdings sollte man sich vergegenwärtigen, daß die Zufriedenheit (oder Unzufriedenheit) der Eltern mit der Qualität des schulischen Programmablaufs variiert und somit keine reine familiäre Hintergrundvariable repräsentiert. Des weiteren unterscheiden sich

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die Schülerinnen und Schüler des G8 in ihren Interessenausprägungen und Freizeitaktivitäten nicht gravierend von den Schülerinnen und Schülern des G9, weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht - allenfalls in Nuancen bestehen Differenzen (Literatur- und TV -Präferenz). Auch diese Ergebnisse entsprechen den Befunden vergleichbarer Studien (vgl. Hoberg & Rost, 2000; Kaiser & Kaiser, 1998).

Inwieweit sich hinter den geschilderten Diskrepanzen zwischen der G8- und der G9-Gruppe unterschiedlich verhaltenswirksame Einflüsse verbergen, ist fraglich. In der Gesamtheit sind die bestehenden Unterschiede vermutlich doch zu gering, als daß die Annalune, die erfolgreiche Teilnalune am G8 erfordere außerordentlich gün­stige familiäre Bedingungen, gerechtfertig wäre. Die Befunde zum außerschulischen Verhalten implizieren darüber hinaus, daß die G8-Laufbahn die Schülerinnen und Schüler keineswegs dazu nötigt, ihre Freizeit in überdurchschnittlichem Ausmaß der Schule zu widmen. Insgesamt scheint folglich ein in verschiedener Hinsicht beson­ders begünstigtes familiär-privates Umfeld (orientiert am G9-Vergleichsralunen) keine unabdingbare Voraussetzung fiir die erfolgreiche achtjährige Gymnasial­karriere eines Kindes zu sein.

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KAPITEL 6

Differentielle Fördereffekte des achtjährigen Gymnasiums

Ralph Reimann

Einleitung

Neben der Persönlichkeitsentwicklung in der G8-Gruppe generell (s. Kapitel 4), sind des weiteren differentielle Effekte des G8-Modells nicht nur von Interesse, sondern aus der Perspektive der Begabungsförderung von weitreichender Bedeutung. Differentielle Effekte (von Interventionsmaßnahmen allgemein) beschreiben "Pro­grammwirkungen in Abhängigkeit von Merkmalen der Zielperson" (Mittag & Hager, 2000, S. 122). Die Frage, welche Wirkungen das G8-Schulprogramm auf verschie­dene Schülergruppen hat, ist von evidenter Relevanz. Derartige Effekte ließen sich im Rahmen der G8-Studie hinsichtlich vieler Merkmale untersuchen, beispielsweise in bezug auf geringe vs. höhere Schulunlust, niedrige vs. höhere Prüfungsangst oder hohe vs. geringere Leistungsmotivation. Eine gewissermaßen selbstverständliche Analyse differentieller Wirkungen nehmen empirische (Evaluations-)Studien immer dann vor, wenn sie Geschlechtseffekte berichten. Auch Kapitel 4 berücksichtigte die­sen Aspekt.

In diesem Kapitel werden nun differentielle Programmeffekte, bezogen auf die Analyse kognitiver Fähigkeitsentwicklungen in Abhängigkeit ihrer initialen Ausprä­gung, untersucht. Es geht also um die Frage, ob Schülerinnen und Schüler mit an­fänglich (d.h. beim Eintritt ins G8) unterschiedlichen kognitiven Voraussetzungen gleichermaßen oder verschieden in ihren kognitiven Fähigkeiten gefördert werden.

Definition und Bildung der Untersuchungsgruppen

Die Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten wird auf die Analyse der verbalen und quantitativen Kompetenzen eingegrenzt. Diese beiden Fähigkeitsbereiche wurden mit dem KFT erhoben (vgl. Kapitel 3). Gegenüber der nonverbalen KFT-Dimension sind die bei den ausgewählten Dimensionen bildungsabhängiger und somit durch Unterrichtsfaktoren eher beeinflußbar (Heller & Perleth, 2000), was ihre vorrangige Untersuchung gerechtfertigt erscheinen läßt.

Die Auswertung stützt sich auf jene Schülerinnen und Schüler der ersten drei G8-Kohorten, die erfolgreich das G8 bis zum Abitur durchlaufen haben. Als Kontroll-

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168 Ralph Reimann

gruppe wird die jüngste verrugbare G9-Stichprobe herangezogen (s. Tabelle 1). Da rur die G9-Stichprobe nur von drei Meßzeitpunkten Informationen vorliegen (s. Ka­pitel 3), erfolgt eine direkte Gegenüberstellung der Entwicklungen bei G8- vs. G9-Schülern lediglich rur die ersten drei Gymnasialjahre (5. - 7. Klasse).

Tabelle 1: Untersuchungsstichproben.

Gruppe Gesamt Jungen Mädchen n n % n 0/0

G8 117 65 55.6 52 44.4

G9 64 28 43.8 36 56.3

Ausgehend von dieser Stichprobe wird die Gruppe der zum ersten Meßzeitpunkt (5. Klasse) anwesenden G8-Schüler/innen (n = 116) jeweils in beiden genannten Fähigkeitsbereichen (verbale und quantitative KFT-Dimension) unabhängig vonein­ander anband eines Mediansplits dichotomisiert. Der G8-Median ist also der rele­vante Trennwert und je nachdem, ob eine Schülerin oder ein Schüler mit der eigenen Testleistung ober- oder unterhalb dieses Wertes liegt, gehört sie oder er entsprechend zur leistungsstarken bzw. leistungsschwachen Gruppe (Abbildung 1). Es ist zu be­denken, daß sich die Bezeichnungen "leistungsstark" bzw. "leistungsschwach" an G8-internen Maßstäben bzw. am G8-Fähigkeitsniveau orientieren und nicht auf dem gesamten gymnasialen Leistungsspektrum basieren.

Abbildung 1: Verteilung starker und schwächerer Gruppen an hand des G8-Medians.

G8--.erbal

G8-quant.

G9--.erbal

G9-quant.

schwach

• star1t

n=5O

50% G8-Median 50%

Definitionsgemäß sind jeweils gleichgroße G8-Untergruppen entstanden. Aus Vergleichsgründen liegt der G8-Median ebenfalls der Unterteilung der G9-Gruppen zugrunde. Für die G9-Stichprobe generell ist erkennbar, daß sowohl in der verbalen als auch in der quantitativen Dimension der Anteil jener Schülerinnen und Schüler, die Testresultate oberhalb des G8-Trennungswertes aufweisen, teilweise deutlich geringer ist als der Anteil jener mit Ergebnissen unterhalb dieses Kriteriums. Dies demonstriert den (durchschnittlichen) Leistungsvorsprung der G8-Gesamtgruppe gegenüber der G9-Gesamtgruppe. Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit der Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten in den definierten Gruppen.

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Differentielle Fördereffekte

Kurzfristige differentielle Entwicklungseffekte in den kognitiven Fähigkeiten im G8/G9-Vergleich

169

Im Zeitraum zwischen der 5. und 7. Klasse sind bemerkenswerte Ausprägungen der kognitiven Fähigkeiten in den verschiedenen Gruppen zu beobachten. Prinzipiell fallt auf, daß die jeweils als fahigkeitsgleich definierten Gruppen tatsächlich in der 5. Klasse nahezu identische Testresultate aufweisen (Abbildungen 2 und 3). Denn obschon eine bestimmte Gruppenbildung vorgenommen wurde, sind derart ähnliche Testleistungen nicht zwangsläufig das Ergebnis einer solchen Einteilung.

Nach der 5. Klasse weisen die verschiedenen Gruppen unterschiedliche Entwick­lungsverläufe auf, wobei die Verlaufsmuster in der verbalen Dimension (Abbildung 2) und der quantitativen Dimension (Abbildung 3) strukturell vergleichbar sind.

Abbildung 2: Ent\vicklung der verbalen Fähigkeiten in stärkeren und chwäch r n Gruppen .

......-G8 stark G9 stark

-l:r- G8 schwach -a- G9 schwach 45

Abbildung 3: Entwicklung der qualltitativen Fähigkeiten in tärkeren und chwächeren Gruppen.

G8 stark ____ G9 stark

-l:r- G8 schwach -a- G9 schwach

40

75

65

55

5. K1ass.

7.

. :

0--

5. K1a ••• 7.

In beiden Fähigkeitsdimensionen erweisen sich die Ausprägungen der stärkeren G8-Gruppen als am stabilsten. Demgegenüber sind fur die stärkeren G9-Gruppen negative Entwicklungstendenzen (vorab im KFT-V) erkennbar. Die schwächeren Teilgruppen demonstrieren in beiden Dimensionen Fähigkeitsverbesserungen, im G8

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170 Ralph Reimann

deutlicher als im G9. Abbildung 4 präsentiert die Effektstärken der Veränderungen in den jeweiligen

Gruppen. Diese Art der Darstellung bietet sich vor allem dann an, wenn man Ent­wicklungsverläufe von Gruppen aufzeigen möchte, die sich in ihren Ausgangsbedin­gungen (hier: 5. Klasse) stark unterscheiden, was im vorliegenden Fall zumindest für drei der vier Fähigkeitsdyaden nicht zutrifft. Dennoch veranschaulicht die Abbildung eindrücklich die unterschiedlichen Fähigkeitsveränderungen. Das zuvor besprochene Befundmuster ist hier wiederum erkennbar. Insbesondere stechen die drastischen Fähigkeitsveränderungen in den schwächeren G8-Teilgruppen hervor.

Abbildung 4: Effektstärken der Intragruppenver­änderungen in ver­schiedenen Fähig­keitsgruppen zwi­schen der 5. und 7. Klasse.

1,5

-0,5

-1 verbal stark

verbal schwach

quant. stark

quant. schwach

Die in den stärkeren G8-Gruppen vorliegende Stabilität der Werte als Deckeneffekt zu bewerten (auf eine solche mögliche Ursache fehlender Zuwächse bei besonders befähigten Schülergruppen weist beispielsweise Allan, 1991, hin), scheint hier weniger plausibel, wenngleich meßmethodisch bedingte Deckeneffekte nicht völlig auszuschließen sind. Bei Anfangsresultaten im Wertebereich um T = 65 bestehen durchaus noch gewisse Steigerungsmöglichkeiten. Ein weiterer Anstieg der kognitiven Fähigkeitstestwerte findet in dieser Subgruppe der G8-Population ab diesem Zeitraum demnach nicht mehr statt. Es ist aber zu bedenken, daß die ent­sprechende Fähigkeitsgruppe unter den Bedingungen des neunjährigen Gymnasiums deutlichere "Einbußen" der KFT-Meßwerte aufweist. Geht man davon aus, daß ein angemessen hohes Unterrichtsniveau ein zentraler Faktor fur die Förderung intellektueller Fähigkeiten ist (Baumert, Schmitz, Roeder & Sang, 1989; Schrader & Helmke, 200 I), dann ist die Gruppe der starken Schülerinnen und Schüler am G9 offenbar dort unterfordert. Der G8-Anspruch verhindert dementsprechend zumindest eine Negativentwicklung, ohne jedoch in positiver Richtung wirken zu können. In bei den Schulformen gewinnen die schwächeren Gruppen in ihrer Fähigkeits­entwicklung am deutlichsten. Während hierbei im G9 ein eher moderates Anspruchsniveau immerhin noch einen positiven Fortschritt zur Folge hat, bewirken die G8-Anforderungen einen drastischen Fähigkeitszuwachs in dieser Schülergruppe.

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Differentielle Fördereffekte 171

Doch lassen sich diese Befunde allein auf die schulischen Bedingungen zurück­fuhren? An Prozessen der Fähigkeitsentwicklung sind neben Unterrichtsfaktoren ebenso motivationale Schülermerkmale beteiligt, die letztlich regulieren, in welchem Ausmaß und mit welchem Erfolg ein (auch) optimales schulisches Lernangebot von Schülerinnen und Schülern genutzt wird. Abbildung 5 zeigt die Ausprägungen ver­schiedener motivationaler Indikatoren in den vier Teilgruppen. Für diese Gegenüber­stellung sind die entlang der quantitativen Dimension gebildeten Fähigkeitsgruppen ausgewählt, weil hier die gravierendsten Entwicklungsunterschiede vorliegen (s. Ab­bildung 4). Da die beeindruckendsten Veränderungen innerhalb der quantitativen Fähigkeiten in den schwächeren Teilgruppen auftreten, beschränkt sich (auch aufgrund der geringen Schüleranzahl in der starken G9-Gruppe) die Signifikanz­testung der Gruppenunterschiede auf eben diese Gruppen.

Schulunlust .,-----r-..:-~.----,...-----,---..,

Leistungsstreben

Hoffnung auf Erfolg

Furcht vor Mißerfolg

Erkenntnisstreben Leistungsgruppen

Manifeste Angst G8-schwach

G8-stark

Profungsangst G9-schwach

Schul. Selbstkonzepte-__ --+_L-....L.+-~_~ ___ """' G9-stark

40 45 50 55 60

Abbildung 5: Ausprägungen (T-Werte) motivationaler Merkmale in den verschiedenen Leistungsgruppen bezüglich der quantitativen Fähigkeiten in der 5. Klasse.

Bei Verwendung eines Signifikanzniveaus von 10% (lO%ige Irrtumswahrschein­lichkeit) sind folgende Gruppenunterschiede feststellbar. Die schwächere G8-Untergruppe demonstriert zum Zeitpunkt der 5. Klasse ein ausgeprägteres Leistungsstreben, eine stärkere Hoffnung auf Erfolg, ein stärkeres Erkenntnisstreben, eine geringere Prüfungsangst sowie ein günstigeres schulisches Selbstkonzept als die

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172 Ralph Reimann

schwächere G9-Untergruppe. Somit bestehen in fünf der acht untersuchten Merkmale Unterschiede zugunsten der G8-Gruppe. Da die Differenzen in diesen Variablen jedoch nach den ermittelten Effektstärken eher gering bis moderat ausfallen, ist insgesamt nur von einem leicht günstigeren initialen Motivationsset auf seiten der G8-Gruppe auszugehen. Allerdings ist in diesem Kontext die Kausalrichtung nicht ohne weiteres zu bestimmen. Wurden die Schülerinnen und Schüler der schwächeren G8-Teilgruppe in das G8 aufgenommen, weil sie über eine günstige motivationale Ausstattung verfügen oder verbirgt sich hinter der Differenz zur G9-Teilgruppe bereits ein Einfluß der G8-Schulform? Denn die G8-Schüler besuchten zum Zeitpunkt der ersten Erhebung (5. Klasse) ja bereits seit sechs Monaten das G8. Ein derart rascher Effekt der Schulform auf Merkmale wie das Leistungs- oder Erkenntnisstreben scheint jedoch wenig plausibel. Einzig im Bereich des Selbstkonzepts ist ein (kurzfristiger) positiver Effekt des G8-Bereichs denkbar. Im Verlauf der ersten G8-Jahre kommt es dann allerdings zu einer Abwärts­entwicklung des Selbstkonzeptwertes; dies ist nachvollziehbar, sieht sich die schwächere Teilgruppe im G8 doch nun mit einer intellektuell starken Gruppe "konfrontiert", woraufhin das Selbstkonzept wieder "nach unten" reguliert wird. In der Gesamtheit ist somit vermutlich tatsächlich eher von leicht günstigeren motivationalen Anfangsbedingungen in der schwächeren G8-Teilgruppe auszugehen. Dies heißt zum einen, daß im Rahmen der G8-Aufnahmeprozedur sinnvolle Kriterien angelegt wurden, die eine Auswahl motivierter Schülerinnen und Schüler aus den "unteren" Fähigkeitsbereichen ermöglichten. Andererseits aber erscheint die Diffe­renz im motivationalen Bereich zwischen den schwächeren G8- und G9-Teilgruppen nicht so eklatant, daß hierüber die unterschiedlichen Fähigkeitsentwicklungen allein erklärbar wären.

Unabhängig von Signifikanztestungen fällt bei der stärkeren G9-Teilgruppe das fatale Muster aus Mißerfolgsorientierung bei gleichzeitig eher geringerem Erkenntnisstreben auf (s. Abbildung 5). Generell scheint im schulischen Leistungs­verhalten die Vermeidung von Mißerfolgen das vorrangige motivationale Ziel zu sein (Sauer & Gamsjäger, 1996). Die Mischung aus Vermeidungsorientierung (und damit einhergehender eher passiver Grundhaltung) und geringerem Erkenntnis­streben dürfte dem weiteren Aufbau kognitiver Fähigkeiten entgegenstehen, was vermutlich für den Negativtrend in der stärkeren G9-Teilgruppe verantwortlich ist. Auch dies ist ein Hinweis auf den Erfolg des G8-Aufnahmeverfahrens, denn das angesprochene ungünstige Muster ist in keiner der G8-Teilgruppen erkennbar.

Neben den verschiedenen Fähigkeitsentwicklungen in den beiden schwächeren Teilgruppen sind die differenten Verläufe innerhalb des G8 nicht aus den Augen zu verlieren. Motivationale Unterschiede zwischen den beiden G8-Teilgruppen bestehen umfassend nicht. Lediglich für das Leistungsstreben und die Hoffnung auf Erfolg de­monstriert die schwächere G8-Gruppe günstigere Ausprägungen. Jedoch ist zu fragen, ob diese vereinzelten Differenzen allein die verschiedenartigen Fähigkeitsentwicklungen erklären können (zumal sich der Unterschied im Verlauf

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Differentielle Fördereffekte 173

der ersten Jahre reduziert). In der Gesamtheit muß man vermutlich eher von ver­gleichbaren motivationalen Bedingungen in den beiden G8-Teilgruppen ausgehen, so daß hierin kein Erklärungsfaktor zu sehen ist.

Außerhalb der Schule spielt das häuslich-familiäre Umfeld eine entscheidende Rolle beim Aufbau und der Entwicklung intellektueller Fähigkeiten. Zur Untersu­chung der Frage, ob sich die privaten Bedingungen der verschiedenen Teilgruppen eklatant unterscheiden und sich hierhinter eine Mitdeterminante der Fähigkeits­verläufe verbergen kann, werden einige Indikatoren des familiären Anregungs­niveaus i.w.S. herangezogen. Es sind dies die Elterneinschätzung des TV-Konsums der Schülerinnen und Schüler, der Lesegewohnheiten und des Interesses für mathe­matisch-naturwissenschaftliche Themen. Hinzu kommen die Angaben der Eltern, welchen Wert sie Bildung im allgemeinen beimessen, sowie der Umfang der im Haushalt regelmäßig verfiigbaren und gelesenen Zeitungen (Abbildung 6). Im Hinblick auf den zu erklärenden Sachverhalt (Verbesserungen der kognitiven Fähigkeiten vor allem in der schwächeren G8-Teilgruppe) soll die Aufmerksamkeit hier auf die Bedingungen der schwächeren G8-Teilgruppe gerichtet werden.

4~ ____________________________________ --, -l:r- Ga-schwach

-.-Ga-stark

-0- G9-schwach

___ G9-stark Q 3 ___ ~ ___ , __ nu_: ________ _

~ ~ 2 ------ --------------------- ------- -------

TV-Konsum Lesen Interesse Wert Zeitung Mathe.-Nat. Bildung

Abbildung 6: Elternangaben zum privaten intellektuellen Anregungsniveau bzw. zum Freizeitverhalten der Schülerinnen und Schüler (höhere Werte signali­sieren eine stärkere Ausprägung des Merkmals; Angaben zu den ersten beiden Merkmalen sind nur für das G8 verfügbar).

Es ist auf einen Blick erkennbar, daß die schwächere G8-Teilgruppe im Vergleich zu den anderen Teilgruppen nicht über deutlich günstigere soziale Umfeld­bedingungen verfugt, die den Fähigkeitsanstieg (s. Abbildung 3) zu erklären vermögen. Der elterngeschätzte TV -Konsum der Schülerinnen und Schüler liegt in der schwächeren Teilgruppe sogar höher als in der stärkeren Teilgruppe. Weitere

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174 Ralph Reimann

statistisch relevante Unterschiede existieren im mathematisch-naturwissen­schaftlichen Interesse sowie in der Wertschätzung von Bildung im allgemeinen. In bei den Fällen bestehen Differenzen einzig zwischen der schwächeren G8-Teilgruppe und der stärkeren G9-Teilgruppe. Dies erscheint fiir die aktuelle Fragestellung weniger bedeutsam, denn relevant wären nun gerade Abstände der schwächeren G8-Teilgruppe zu den beiden übrigen Gruppen. Diese existieren nicht, so daß in der Gesamtheit (der hier ausgewählten Indikatoren) nicht von einem bedeutsam günstigeren außerschulischen Umfeld bzw. Verhalten dieser Subgruppe gesprochen werden kann.

Langfristige differentielle Entwicklungseffekte kognitiver Fähigkeiten durch das G8

Über die zuvor thematisierten eher kurzfristigen Entwicklungseffekte im G8/G9-Ver­gleich hinaus stellt sich die Frage, wie sich die kognitiven Fähigkeiten langfristig entwickeln. Dauern die rur den Zeitraum der 5. bis 7. Klasse erkannten Entwick­lungstendenzen weiter an, so daß sich im G8 die beiden Fähigkeitssubgruppen im Verlauf der Zeit in ihren Kompetenzen immer weiter annähern? Oder kommt es zu einer Stagnation oder gar zu einer Rückbildung der Ausprägungen? Diese Aspekte lassen sich nur fiir das G8 untersuchen, da rur die G9-Gruppen keine vergleichbaren Längsschnittdaten vorliegen.

Unter Beibehaltung der zu Beginn dieses Kapitels gebildeten Fähigkeits­subgruppen (s. Abbildung 1) zeigt Abbildung 7 die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten in diesen Gruppen von der 5. Klasse bis zum Abiturjahrgang.

75

70

65

~ 60

~ ~ 55

50

45

____ verbal stark -0-- verbal schwach ______ quant. stark -0- quant. schwach

40 +-________ ~--------~ __

5. 7. 8. 10. 13. Jahrgangsstufe

Abbildung 7: Entwicklung der verbalen und quantitativen Fähigkeiten in den verschie­denen Fähigkeitsgruppen von G8- Schülerinnen und -Schülern.

Page 173: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Differentielle Fördereffekte 175

Die Darstellung präsentiert mehrere interessante Befunde. Zum einen wird deut­lich, daß die obige (kontrollgruppenbedingte) Untersuchung des Zeitraums 5. bis 7. Klasse den stärkeren G8-Teilgruppen vorschnell eine falsche Entwicklung unterstellt. War für diesen Zeitraum lediglich eine Stabilität der Fähigkeitsausprägungen erkennbar (was allerdings im direkten Vergleich mit der entsprechenden G9-Gruppe durchaus als Erfolg zu werten war), so wird nun deutlich, daß die Schülerinnen und Schüler der stärkeren G8-Teilgruppen ihre Fähigkeiten bis zur 8. Klasse ebenfalls verbessern. Auch die schwächeren Teilgruppen verbessern noch nach der 7. Klasse ihre Fähigkeiten, wobei dieser Trend in der verbalen KFT -Dimension gebremst verläuft. Über die gesamte Zeitspanne hinweg sind relativ parallele Entwicklungs­kurven zu beobachten, d.h. die Positionen der Fähigkeitsgruppen zueinander bleiben in den verschiedenen Domänen im großen und ganzen unverändert. Auszunehmen von dieser letzten Globaleinschätzung ist die gymnasiale Anfangsphase (bis zur 7. Klasse), in der sich die beiden Teilgruppen in den verschiedenen Fähigkeitsbereichen merklich angleichen. Im Zeitraum nach der 8. Klasse sind parallelverlaufende Abwärtstrends zu konstatieren, die an anderer Stelle bereits diskutiert wurden (s. Kapitel 4).

Den Fortschritt der kognitiven Fähigkeitsentwicklung in den verschiedenen Teilgruppen stellt Abbildung 8 nochmals pointiert dar. Für zwei zeitliche Distanzen werden die Fähigkeitsveränderungen in den verschiedenen G8-Teilgruppen gegen­übergestellt.

2 0 5.-8. . 5.-13.

1,5 Abbildung 8:

~ Effektstärken der Fähig-keitsentwicklungen in

~ 0.5 den verschiedenen G8-9 ~ Gruppen zwischen der 5.

I! 0 und 8. bzw. zwischen 5. w und 13. Jahrgangsstufe.

-0.5

-1

Wie zuvor bereits angedeutet, entwickeln alle Teilgruppen ihre Fähigkeiten bis zur 8. Klasse hin stetig weiter, wobei diese Steigerung in den schwächeren Teilgruppen ein größeres Ausmaß erreicht. Für die starke G8-Gruppe ist jedoch zumindest für den quantitativen Bereich zu bedenken, daß in der 8. Klasse mit einem durchschnittlichen Testresultat von annähernd T = 75 (s. Abbildung 7) schon in den meßbaren oberen Endbereich der Skala vorgedrungen wird. Für die komplette Gymnasiallaufbahn hingegen ist erkennbar, daß ausschließlich die schwächeren Gruppen ihre kognitiven Fähigkeiten zu steigern in der Lage sind. Zwar fällt der

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176 Ralph Reimann

Zuwachs im Vergleich zum Gewinn bis zur 8. Klasse schwächer aus, bleibt aber dennoch beachtlich. Die stärkeren Teilgruppen tendieren demgegenüber entweder zu ihrem Ausgangsniveau zurück (quantitative Dimension) oder büßen sogar Kompetenzen ein (verbale Dimension). Falls dies allzu pessimistisch klingt, sollte folgender Aspekt bedacht werden: Obige Untersuchungen zeigten, daß fiir die stärkeren G9-Teilgruppen bereits zur 7. Klasse hin ein Fähigkeitsrückgang zu verzeichnen war (s. Abbildung 4). Extrapoliert man diese Tendenz (unter Beachtung der generellen Entwicklungsbefunde in den G8-Gruppen, nämlich Abwärtstrend nach der 8. Klasse), dann ist aus theoretischer Perspektive die Hypothese formulierbar, daß die nach dem Mediansplit stärkeren G9-Teilgruppen im Lauf der Schulzeit einen deutlich gravierenderen Rückgang kognitiver Fähigkeitskompetenzen erleiden als die stärkeren G8-Teilgruppen. Möglicherweise sind aber auch in der stärken G9-Gruppe die motivationalen Bedingungen etwas ungünstiger (s. Abbildung 5).

Die Entwicklungskurven der G8-Gruppen erweisen sich über den kompletten Zeitraum zwar als relativ parallel (s. Abbildung 7), dennoch deuten die Befunde in der Gesamtheit an, daß zwischen Beginn und Ende der G8-Laufbahn eine Verringe­rung der Fähigkeitsdisparitäten zwischen den über Mediansplit definierten Teilgruppen stattfindet. Berechnet man die jeweilige Differenz der Testleistungen zwischen den verschiedenen Gruppen zu den entsprechenden Zeitpunkten, dann ist in der Tat der Abbau des Gruppenabstands erkennbar (Abbildung 9).

Abbildung 9: Differenzen zwischen den verschiedenen Fähigkeitsgruppen in den durchschnittlichen KFT-Leistungen.

20 r-------------, E ~ 15 t:.. ~ f 10 ~ ä

5 L..-..L.-_

Verbal Quantitativ

5. Klasse

• Abitu~ahrgang

Bestehen zu Beginn der G8-Laufbahn in beiden Dimensionen noch Fähigkeits­unterschiede zwischen der schwächeren und der stärkeren Teilgruppe von 15 bis 17 T -Werten (also anderthalb Standardabweichungen), so schrumpft diese Diskrepanz auf einen Abstand von 7 bis 8 T-Werten im Abiturjahr. Hier ist ein massiver Abbau der Fähigkeitsd{fferenzen eingetreten, der darüber hinaus vorwiegend auf Fähigkeitssteigerungen in den schwächeren Teilgruppen basiert und weniger auf Einbußen bei den stärkeren Teilgruppen (s. Abbildung 8). In der quantitativen Dimension behält die stärkere G8-Teilgruppe sogar ihr Ausgangsniveau bei. Dieser Befund korrespondiert mit ähnlichen Ergebnissen der Förderung lemschwacher Schüler außerhalb des Gymnasiums (vgl. Klauer, 2001).

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Differentielle Fördereffekte 177

Zusammenfassung der Ergebnisse

Die vorliegenden Analysebefunde zur differentiellen Förderung kognitiver Fähig­keiten weisen auf beeindruckende Fördereffekte im G8 hin. Im frühen Gymnasial­zeitraum (bis 7 . Klasse) gewinnen die hier als schwächer defInierten G8-Teilgruppen deutlich an Fähigkeitskompetenz in den ausgewählten Domänen (verbalen und quantitativen KFT-Dimensionen) hinzu. Schüler im G9, die zum Zeitpunkt der 5. Klasse über vergleichbare kognitive Voraussetzungen wie die G8-Schüler verfUgen, demonstrieren ebenfalls eine positive Entwicklung ihrer Fähigkeiten, die jedoch nicht das Niveau des Zuwachses in den G8-Gruppen erreicht. In den stärkeren G8-Teilgruppen bleibt in diesen ersten drei Gymnasialjahren das Fähigkeitsniveau kon­stant, während es in den entsprechenden G9-Teilgruppen abnimmt. Die für diesen Zeitraum unterschiedlichen Entwicklungsverläufe bei vergleichbaren initialen Voraussetzungen sind offensichtlich nicht oder nicht primär auf motivationale und/oder familiär-private Bedingungen zurückzufiihren.

In der längerfristigen Betrachtung (über den gesamten Gymnasialzeitraum) wird deutlich, daß die stärkeren G8-Teilgruppen nach der 7. Klasse ebenfalls noch ihre kognitiven Fähigkeiten positiv weiterentwickeln. Dieser Fähigkeitszuwachs erfolgt bis zur 8. Klasse, danach kommt es zu einer Stagnierung oder gar rückläufIgen Entwicklungstendenzen. Für die schwächeren G8-Teilgruppen ist gleichfalls ein "Negativ"-Trend nach der 8. Klasse zu beobachten, im Gegensatz zu den stärkeren Teilgruppen persistiert bei ihnen eine substantielle Fähigkeitssteigerung.

Durch die unterschiedlichen Entwicklungen kommt es innerhalb des G8 zu einer Verringerung der Fähigkeitsdifferenzen zwischen der stärkeren und der schwächeren Klassenhälfte. Diese Angleichung basiert weniger auf Verlusten in den stärkeren Teilgruppen als vielmehr auf Steigerungen in den schwächeren, vor allem in den ersten drei bis vier Gymnasialjahren.

Insgesamt sind somit im G8 günstige kognitive Fähigkeitsentwicklungen zu verzeichnen. Das Verhältnis von Leistungs- bzw. Fähigkeitssteigerung und Disparitätenabbau innerhalb schulischer Lemgruppen wird seit jeher lebhaft diskutiert. Empirische Befunde sprechen dafür, daß die Fähigkeitsegalisierung in (heterogenen) Schulklassen vor allem die Schülergruppe des oberen Fähigkeits­drittels benachteiligt, ohne daß das untere Drittel nennenswert davon profItiert (Baumert, Roeder, Sang & Schmitz, 1986; Treiber, Weinert & Groeben, 1982). Der optimale Fall der simultanen Erreichung beider pädagogischen Ziele ist eher selten, indes unter bestimmten Bedingungen nicht unmöglich (vgl. Helmke, 1988).

Für die stark ausgelesenen Schüler des hier evaluierten G8-Schulmodells ist das immerhin beachtenswerte Ergebnis zu konstatieren, daß die nach dem Mediansplit defInierte schwächere Teilgruppe Fähigkeitsfortschritte erzielt, ohne daß die stärkere Teilgruppe allzu gravierende Einbußen erleidet. Wie kommt es dazu? Entgegen der häufIg vertretenen Auffassung scheint die "Modell-" oder "Zugpferd-Theorie", wo­nach leistungsstärkere Schüler fiir die leistungsschwächeren als Modelle fungieren

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178 Ralph Reimann

und sie "anspornen", nicht zuzutreffen, denn Schüler orientieren sich in ihrem Lern­und Leistungsverhalten bevorzugt an Peers mit vergleichbaren Fähigkeiten (France­Kaatrude & Smith, 1985; Schunk, 1987). Vermutlich ist im Falle des hier evaluierten G8 das Anforderungsniveau die entscheidende Variable. Ein hohes Unterrichts­anspruchsniveau ist generell eine zentrale Determinante günstiger Lernfortschritte (Baumert et al., 1989; Schrader & Helmke, 2001). Doch wird dieses oftmals von Lehrkräften gesenkt, um den Voraussetzungen der Gesamtschülergruppe entgegen­zukommen (Baumert et al. , 1986, 1989). Diese Niveauregulierung steht einem optimalen Lernfortschritt der stärkeren Schüler oftmals im Wege. Das G8 stellt gewissermaßen per definitionem hohe Anforderungen. Die Anforderungshöhe im hier evaluierten G8 scheint ein Level getroffen zu haben, das die schwächeren Schüler dieses Gymnasialzweiges ausreichend beansprucht, ohne die befähigteren Schüler stärker zu unterfordern.

Literatur

Allan, s.o. (1991). Ability-Grouping Research Reviews: What do they say about Grouping and the Gifted. Educational Leadership, 48, 60-65.

Baumert, J., Roeder, P. M., Sang, F. & Schmitz, B. (1986). Leistungsentwicklung und Ausgleich von Leistungsunterschieden in Gymnasialklassen. Zeitschriftfür Pädagogik, 32, 639-660.

Baumert, 1., Schmitz, J., Roeder, P. M. & Sang, F. (1989). Zur Optimierung von Leistungsförderung und Chancenausgleich in Schulklassen. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 21, 201-222.

France-Kaatrude, A.C. & Smith, W.P. (1985). Social Comparison, Task Motivation, and the Oevelopment of Self-Evaluative Standards in Children. Developmental Psychology, 21, 1080-1089.

Heller, K.A. & Perleth, Ch. (2000). Informationsquellen und Meßinstrumente. In K.A. Heller (Hrsg.), Begabungsdiagnostik in der Schul- und Erziehungsberatung (2. Aufl., S. 96-216). Bem: Huber.

Helmke, A. (1988). Leistungssteigerung und Ausgleich von Leistungsunterschieden in Schulklassen: unvereinbare Ziele? Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 20, 45-76.

Klauer, K.1. (Hrsg.). (2001). Handbuch Kognitives Training (2. Aufl.). Bem: Huber. Mittag, W. & Hager, W. (2000). Ein Rahmenkonzept zur Evaluation psychologischer Inter­

ventionsmaßnahmen. In W. Hager, J.-L. Patry & H. Brezing (Hrsg.), Evaluation psychologischer Interventionsmaßnahmen (S. 102-128). Bem: Huber.

Sauer, J. & Gamsjäger, E. (1996). 1st Schulerfolg vorhersagbar? Göttingen: Hogrefe. Schrader, F.-W. & Helmke, A. (2001). Alltägliche Leistungsbeurteilungen. In F.E. Weinert (Hrsg.),

Leistungsmessungen in Schulen (S. 45-58). Weinheim: Beltz. Schunk, O.H. (1987). Peer Models and Children's Behavioral Change. Review of Educational

Research, 57,149-174. Treiber, B., Weinert, F.E. & Groeben, N. (1982). Unterrichtsqualität, Leistungsniveau von

Schulklassen und individueller Lemfortschritt. Zeitschrift für Pädagogik, 28, 563-576.

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KAPITEL 7

Modelle und Ergebnisse der Potentialschätzung für das achtjährige Gymnasium

Reiner Rindermann

Einleitung

Wieviele Schüler des Regelgymnasiums wären für das achtjährige Gymnasium mit besonderen Anforderungen geeignet? Wieviele Schüler der jetzigen neunstufigen Gymnasien könnten ein grundsätzlich auf acht Schuljahre verkürztes Gymnasium erfolgreich besuchen? Was sind die Kriterien für gymnasialen Schulerfolg, wie las­sen sich Eignungsquoten berechnen? Anhand verschiedener Modelle und Kriterien soll in diesem Kapitel das Potential für den achtjährigen gymnasialen Bildungsgang bestimmt werden, wobei hier das von uns evaluierte G8-Modell die Bezugsbasis dar­stellt. Ob und inwieweit diese Schätzquoten auch für die erweiterten G8-Züge bzw. G8-Schulen in Baden-Württemberg (vgl. S. 40ff. in diesem Buch) Geltung beanspru­chen können, wird am Ende dieses Kapitels und ausführlicher in Kapitel 9 diskutiert.

Der Schulmodellversuch "Gymnasium mit achtjährigem Bildungsgang" wandte sich an überdurchschnittlich begabte Schüler mit Gymnasialeignung. Es sollten die­jenigen Schüler gefördert werden, die im üblichen neunjährigen Regelgymnasium nicht ausreichend gefordert werden, deren Begabungs- und Persönlichkeitsentwick­lung von einer Verkürzung der Schulzeit und einer inhaltlichen Anreicherung des Curriculums sowie von einer anspruchsvolleren und stärker das selbständige, entde­ckende Lernen einbeziehenden Unterrichtsmethodik profitieren könnte. Der Schul­modellversuch wandte sich somit an die Begabungs- und Leistungsspitze eines Jahr­ganges, deren individuelles Entwicklungspotential bei herkömmlichem Unterricht -mit den für begabtere Schüler zu häufigen Wiederholungen, dem für sie zu langsa­men Fortschreiten im Stoff, mit inhaltlicher Unterforderung und ihren Fähigkeiten didaktisch nicht immer angemessenen Unterrichtsformen - sich nicht voll zu entfal­ten drohte. Ausführlicher vgl. Kapitell sowie Kapitel 9 in diesem Buch.

Von Berichten der Lehrkräfte und Direktoren der vier Schulstandorte (vgl. Kapitel 2 oben) erfuhren wir, daß auch in neunjährigen Parallelklassen der achtjährigen Züge Schüler saßen, die den hohen Anforderungen des Schulmodellversuchs gewachsen gewesen wären und von dieser besonderen Förderung profitiert hätten. Und wir hör­ten immer wieder, daß an anderen Orten Baden-Württembergs Eltern und Kinder gerne dieses schulische Angebot genutzt hätten. Schließlich war es Ziel gewesen, dieses Förderangebot allen Schülern Baden-Württembergs bei einer noch akzeptab­len Länge des Schulweges zu eröffnen, also nach erfolgreichem Abschluß des

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180 Heiner Rindermann

Schulmodellversuchs das achtjährige Gymnasium mit besonderen Anforderungen flächendeckend anzubieten - nicht als Ersatz für das neunjährige Regelgymnasium, sondern als Ergänzung und zusätzliche Fördermöglichkeit.

Zu diesem Zweck müßte das Potential geeigneter Schüler für das G8 mit seinem höheren Anforderungsniveau, den zusätzlichen Unterrichtsfächern und der zeitlichen Straffimg ermittelt werden. Hierzu ließ sich eine Vergleichsstichprobe heranziehen: Gymnasiasten des Regelgymnasiums, die wir an zwei Gymnasien in Heidelberg und Sinsheim untersuchten. Bei diesen beiden Schulen gab es - zum damaligen Zeitpunkt - kein achtjähriges Gymnasium in der Nähe, so daß von einer unausgelesenen Grundgesamtheit des neunstufigen Regelgymnasiums ausgegangen werden konnte. Zudem ließen die geographischen und soziokulturellen Hintergrundvariablen (die eine Schule in einer Großstadt mit akademischem Einzugsgebiet, die andere Schule in einer Kleinstadt) eine Vergleichbarkeit mit unseren vier G8-Gymnasien erwarten.

Probleme der Potentialschätzung

Wenn das Potential geeigneter Personen für eine bestimmte Schul- oder Ausbil­dungsform, für Spezialschulen oder Hochschulen oder für einzelne Berufe ermittelt werden soll, bedarf es zunächst einer Bestimmung dessen, was die Anforderungen des Bildungsganges und die Ziele der aufnehmenden Institution sind (vgl. Heller, 1991, 1995, 2001; Rindermann & Oubaid, 1999; Schuler, 1996): Was wird in der Ausbildung gefordert? Wie sehen die zu erbringenden und gewünschten Leistungen aus? Erst nach einer solchen Klärung kann Eignung auf Personenseite bestimmt wer­den.

Welches spezifische Anforderungsprofil kennzeichnet das achtjährige Gymnasi­um? Ziel des neunjährigen wie des achtjährigen Gymnasiums ist es, Kinder, später Jugendliche und junge Erwachsene allgemein zu bilden und sie studierfähig mit dem Abitur im Alter von 18 oder 19 Jahren zu entlassen. Es sollen deklaratives Abrufwis­sen und prozedurales Anwendungswissen sowie allgemeine Kompetenzen erworben werden, die entweder tUr sich selbst einen Wert darstellen (Bildung, Tradierung von Kultur und Wissen, Persönlichkeitsbildung, motorische Geschicklichkeit usw.) oder die durch gesellschaftliche, berufliche, ökonomische oder politische Zielsetzungen legitimiert werden, etwa Erwerb von "Schlüsselqualifikationen,,1 oder Erziehung zur Demokratie. Abgesehen vom Abitur als Qualifikation zum Hochschulstudium sind diese Ziele jedoch für das Gymnasium nicht spezifisch, sie gelten prinzipiell auch fiir andere Sekundarschultypen. Allerdings erwartet man von erfolgreichen Gymnasias­ten, daß sie mehr und inhaltlich Schwierigeres lernen, daß sie am Ende der gymna­sialen Schullaufbahn das Abitur erwerben und damit die allgemeine Studierfähigkeit sowie - zumindest aus Sicht der traditionellen Variante des Gymnasiums - über eine

I Schlüsselqualifikationen: Kompetenzen, die nicht an eine bestimmte Tätigkeit gebunden sind, son­dern in verschiedenen Berufen zum Erfolg beitragen wie etwa soziale Kompetenz und Lernfahigkeit.

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durch Kultur und Werte legitimierte überdurchschnittliche Allgemeinbildung verfU­gen (Fuhrmann, 2002). Zum Bildungsauftrag des Gymnasiums vgl. Kapitel 1 in die­sem Buch. Die praktische oder berufliche Ausbildung ist nicht Aufgabe des allge­meinbildenden Gymnasiums.

Die Kultusministerkonferenz hat Leitlinien (Einheitliche Prüfungsanforderungen) erlassen, die Mindeststandards der allgemeinen Hochschulreife hinsichtlich vertiefter Allgemeinbildung, Wissenschaftspropädeutik und Studierfähigkeit sichern sollen, die jedoch nicht an konkreten Leistungsanforderungen festgemacht sind. Zwischen den Bundesländern bestehen jedoch Differenzen in den inhaltlichen Festlegungen und vor allem den de facto geforderten Schülerleistungen. Differenzen bestehen aber auch innerhalb der Bundesländer zwischen unterschiedlichen Schulformen vs. inner­halb dieser Schulformen und womöglich - was bislang nicht untersucht wurde - zwi­schen verschiedenen Schülergenerationen. Hinter nominell und juristisch gleichwer­tigen Abschlußzertifikaten stehen also deutlich unterschiedliche Fähigkeiten und Leistungen der Schülergruppen.

So zeigten z. B. Köller, Baumert & Schnabel (1999) für Mathematikleistungen von Oberstufenschülern in Nordrhein-Westfalen, daß nicht von homogenen Qualifi­kationen bei Studienanfangern ausgegangen werden kann: Abiturienten, auch wenn sie nominell gleiche Noten oder in Gesamtschulen im Schnitt geringfiigig bessere Noten erzielen, unterscheiden sich in getesteten Mathematikleistungen, die mit curri­cular validen Verfahren erhoben wurden, um d=O,8 zwischen Gymnasium und Ge­samtschule, Leistungskursteilnehmer und Grundkursteilnehmer unterscheiden sich um d=0,66. Leistungskursteilnehmer des Gymnasiums und Grundkursteilnehmer der Gesamtschule liegen um d=I,63 auseinander. d=1 entspricht hierbei einer Standard­abweichung. Nach Cohen (1988) gelten Differenzen von d=0,2 als klein, von 0,5 als mittel und von 0,8 als groß. Trotz gleicher oder gar besserer Schulnoten verfUgen also die Abiturienten der Gesamtschulen (z. T. auf grund schlechterer Eingangsvor­aussetzungen) um wesentlich geringere Kompetenzen im Fach Mathematik, hinzu kommen gravierende Unterschiede zwischen Grundkurs und Leistungskurs. Von einem einheitlichen Mindeststandard kann man somit nicht mehr ausgehen. Auch die späteren Studienleistungen und die prognostische Validität des Abiturs zur Vorher­sage von Studienleistungen unterscheiden sich je nach Schulform. Offensichtlich ist es spätestens seit den 90er Jahren nicht mehr möglich, einen gemeinsamen verbindli­chen Maßstab zu sichern.

Die Bestimmung des Anforderungsprofils und davon abgeleitet die Bestimmung einer dazu passenden Merkmalskombination von geeigneten Schülern leidet unter dem Problem, daß inhaltliche Kriterien erfolgreicher Gymnasialausbildung schwierig zu fassen, außergewöhnlich dehnbar und zwischen verschiedenen Varlanten des Gymnasiums kaum ausreichend präzise für spezifische Schülermerkmalsprofile meßbar sind. Was eine erfolgreiche Gymnasialausbildung ist, ist auch eine schulpo­litische Frage, die großen Unterschiede zwischen den Bundesländern und zwischen heutiger und früherer Gymnasialausbildung, ihren Inhalten und den Besuchsquoten

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je Schülerjahrgang, belegen dies eindrücklich. In der Folge wird das Abitur als Hochschulzugangsqualifikation zunehmend entwertet - eine Entwicklung, die nicht nur aus der Sicht der Gymnasialpädagogik und universitärer Anforderungsstandards höchst ärgerlich ist, sondern auch die häufig reklamierte Chancengerechtigkeit im (sekundären und tertiären) Ausbildungsbereich massiv beeinflusst.

Bei einer weiteren Ausweitung der Gymnasialpopulation unter sonst vergleichba­ren gesellschaftlichen, ökonomischen, kulturellen und schulischen Rahmenbedin­gungen ist eine Leistungsniveausenkung nicht ausschließbar. Aus pädagogischen Gründen wäre bei quantitativer Ausdehnung eine Veränderung von Unterrichtsin­halten, Unterrichtsmethoden und Notenmaßstäben sogar sinnvoll (wie Verlangsa­mung des Unterrichtstempos, Verringerung der Stoffinenge, Abstufung der Aufga­benschwierigkeit, Vermehrung von Wiederholung und Übung), um schwächere Schüler, die aufgenommen werden, nicht zu demotivieren und um eine weitere Leistungsspreizung innerhalb der Klasse zu vermeiden. In der Folge müßte dann allerdings das Abitur (unterschiedlicher Herkunft) differenziert bewertet werden, was übrigens die ZVS (Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen) kraft einer poli­tischen Entscheidung der Bundesländer bei der Vergabe von Studienplätzen auch entsprechend handhabt: Ein Schüler des einen Bundeslandes konkurriert nie mit dem Schüler eines anderen Bundeslandes, es gibt vorher festgelegte Quoten, egal wie gut oder schlecht gebildet die Absolventengruppen je Bundesland sind. Allerdings sind auch innerhalb der Bundesländer heterogene Leistungen bei nominell gleicher Quali­fikation (Abitur, Abiturnote) unübersehbar (Köller et al., 1999). Besteht hier ein po­litisch gewolltes Erkenntnisdefizit? Ob etwa Abiturienten aus Bayern und Baden­Württemberg oder Hamburg und Nordrhein-Westfalen über die gleichen Fähigkeiten und den gleichen Wissensstand verfügen, weiß man nicht. Daten, die hierzu vorlie­gen und nur ausgewertet werden müßten (etwa vom früheren Test für Medizinische Studiengänge, TMS) und die eine vorläufige Einschätzung ermöglichten, werden nicht analysiert.

Man könnte für andere Fragestellungen erstellte Daten unter diesem Aspekt reanalysieren. So erlauben etwa die im Fach Medizin durch das Mainzer Institut rur medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) entwickelten bundeseinheitIichen Prüfungsteile im Physikum Ländervergleiche. Abiturienten wählen meist die ihrem Heimatort nächste Uni­versität (Daniel, 1995). Die ZVS berücksichtigt stärker Regionalität als Studierfähigkeit bei Studienortzuteilungen. Nur wenige Studierende wechseln später die Hochschule. Prüfungs­leistungen hängen aber stark vom Fähigkeits- und Vorwissensniveau ab (Rindermann, 2001).

Für die Ärztliche Vorprüfung (Physikum) liegen studienortbezogene Ergebnisse vor (Robra & Schmitt, 2001). Hier ergab sich, daß von 36 Universitäten vier baden­württembergische Universitäten (3. Freiburg, 4. Heidelberg, 7. Tübingen, 29. U1m) mit Aus­nahme Ulms sehr gute Plätze beim Ranking nach Physikumsnotenmittel ihrer Studenten einnehmen. Im Schnitt beantworten baden-württemberge Medizinstudenten 64% der Physi­kumsfragen richtig, im Bundesschnitt sind es 62% (Streubreite 66-58%) - ein erster grober Indikator dafür, daß baden-württembergische Abiturienten über eine vergleichsweise gute Leistungsfähigkeit verfügen.

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Methodisch viel eindeutiger wäre jedoch eine Erhebung des Abiturortes und der Schulart durch das IMPP bei der Prüfung oder - noch besser - nach den Ergebnissen eines bundes­einheitlichen Wissens-, Fähigkeits- und Leistungstests für Abiturienten, der an inhaltlichen Kriterien orientiert Kernbereiche gymnasialer Bildungsziele abdeckt.

Der Test für Medizinische Studiengänge (TMS) bietet hinsichtlich Fähigkeiten Daten für eine ausgewählte Stichprobe (Interessenten am Medizinstudium der 80er und 90er Jahre) -die Ergebnisse werden aber nicht publiziert: "Leider können wir mit Daten zum Länderver­gleich nicht dienen. Während der Laufzeit des TMS waren wir durch die Kultusministerkon­ferenz ausdrücklich nicht beauftragt, Test- und Abiturleistungen von Medizinbewerbern aus den einzelnen Bundesländern separat auszuwerten und zu vergleichen. Der Hauptgrund war: Man befürchtete stark verkürzte Schlagzeilen in der Presse, etwa dergestalt, daß aus mittle­ren Testergebnissen der Bewerber bestimmter Bundesländer auf ,die' Qualität ,des' Abiturs bzw. der Sekundarschulausbildung in jenen Ländern geschlossen würde." [schriftliche Aus­kunft des Instituts für Test- und Begabungsforschung 1998] Cui bono? Auf jeden Fall scha­det es kommenden Schülergenerationen, weil so Informationen zurückgehalten werden, die der Verbesserung der Schulen, des Unterrichts und des Bildungssystems dienen könnten.

Ein nationaler Schulleistungstest analog zum "Students Aptitude Test" (SAT) der USA fehlt bislang. Immerhin könnten die neuesten internationalen Schulstudien, z.B. TIMSS und PISA, insbesondere in den länderspezifischen Erweiterungsstudien, zu mehr Aufklärung beitragen. Schließlich ist es nicht fair, ausschließlich von Schülern und Lehrern Engagement und Leistung einzufordern, wenn Bildungsqualität auf der Ebene des Schulsystems im Sinne der Produktevaluation (vgl. Abbildung 3 auf S. 50 in diesem Buch) nicht geprüft und bestimmt werden darf.

Aufgrund eines fehlenden allgemeinverbindlichen Maßstabs für die Abschluß­qualifikation gymnasialer Bildung ist es nicht einfach, ein präzise bestimmbares Merkmalsprofil der Schüler aufzustellen. Ohne ein klares Kriterium ist aber eine Potentialschätzung nur bedingt möglich. Zudem ist die menschliche Entwicklung gerade im Alter zwischen 10 und 19 Jahren sehr offen. Interindividuelle Unterschie­de bleiben zwar weitgehend stabil, aber die absolute Höhe dessen, was erlernt und erreicht werden kann, ist in großem Ausmaß von der sozialen Lernumwelt abhängig, d.h. von Unterrichts- und Schulmerkmalen (z.B. Unterrichtsqualität und Lernzeit vs. Unterrichtsausfall) sowie Anregungen und Erziehungsklima im Elternhaus (vgl. Gamsjäger & Sauer, 1996; Heller, 2001).

Möglichkeiten der Potentialschätzung

Potentialschätzungen können je nach theoretischem Ansatz oder disziplinärer Orien­tierung unterschiedlich vorgenommen werden. Tabelle 1 gibt einen kurzen Überblick über unterschiedliche Ansätze.

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Tabelle 1: Möglichkeiten der Potentialschätzung.

Ansatz Charakterisierung Bewertung

Begabungs- Analyse des Begabungsspektrums und zuverillssige Meßbarkeit; Begabung

psychologie Bestimmung angemessener Unter- abhängig von Erbe und Umwelt, Zu-

richtsfonnen ordnungsregeln zu Schultypen bei

Selektionsentscheidungen problema-

tisch

Schulstruktur (existierende) Schulfonnen benötigen einfach zu handhaben; relativ unab-

angemessene Auslastung hängig von Bildungsinhalten, von

Schulleistung und Begabung

Sozialstruktur in Abhängigkeit von Schichtzugehö- deutsche Gesellschaft nicht klar verti-

rigkeit oder Stratifizierung der Gesell- kai oder funktional differenziert; poli-

schaft entsprechende Schulfonn tisch und ethisch bedenkliches Modell

Gesellschaftli- Bestimmung des Bedarfs ftlr be- gute Passung zwischen Bildungsbe-

cher Bedarf stimmte Ausbildungen und Tätigkeiten reich und Arbeitsmarkt; Bedarfunklar

und volatil

Bildungsinhalte Bestimmung von Bildungsinhalten und Korrespondenz von Inhalt und Schü-

der jeweils daftlr geeigneten Schüler- lennerkmalen; Inhalte höchst variabel;

schaft unklare Beziehung Inhalt-Schülerprofil

G8-Schülerschaft Bestimmung der Merkmale von (er- methodisch vergleichsweise einfaches

folgreichen) G8-Schülem und Ver- Verfahren, nahe an schulischer Wirk-

gleich dieser mit unausgelesener G9- lichkeit; abhängig von ZuflUligkeit der

Schülerschaft Zusammensetzung der G8-

SchUlerschaft

Anmerkung: Beschreibungen nur stichwortartig.

Keiner der erwähnten Ansätze ist allein ausreichend für die Bestimmung von Po­tentialen eines Schülerjahrganges für die verschiedenen Schultypen. So sind etwa rein begabungspsychologische Ansätze nicht hinreichend, weil die Begabung als Istzustand und als relative Position eines Schülers im Vergleich zu anderen zwar präzise meßbar, jedoch durch Umweltveränderungen wie etwa Verbesserung oder Vermehrung von Unterricht oder Förderung im Kindergarten und Elternhaus verän­derbar ist. Begabungsmodelle, die davon abstrahieren und überwiegend genetisch argumentieren (vgl. Weiss, 2000), sind höchst umstritten und rur Potentialschätzun­gen ungeeignet. Allerdings darf keine Potentialschätzung von gegebenen Bega­bungsverteilungen abstrahieren, dürfen Übertrittsentscheidungen keinesfalls unab­hängig von Fähigkeitsausprägungen gefällt werden, um Kinder nicht in pädagogisch unverantwortbarer Weise zu unter- vs. zu überfordern und um institutionelle Leis­tungsstandards nicht zu gefährden.

Daß Schulen und Schulformen auch in Abhängigkeit von bestehender Auslastung versuchen, Schüler "angemessen" zu verteilen, ist naheliegend. Ein Gymnasium in einem bildungsfernen Umfeld wird deshalb ähnlich viele Schüler haben wie ein

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Gymnasium in einem bildungsnahen Umfeld. Allerdings sind dann Abschlußqualifi­kationen inhaltlich nicht mehr vergleichbar, fallen bei Schulwechsel Wissensunter­schiede bis zu mehreren Schuljahren auf (vgl. Köller et al., 1999; R. Lehmann, Peek & Gänsfuß, 1997). Für wissenschaftlich begründete Potentialschätzungen ist die Schulstruktur kein Kriterium, nur ein einzukalkulierendes Faktum.

Dem Bildungssystem, insbesondere dem dreigliedrigen deutschen Sekundarschul­system, wird immer wieder vorgehalten, daß es die vertikale Stratifizierung der Ge­sellschaft widerspiegele und eine entsprechende Sozialstruktur perpetuiere (Bour­dieu, 1982, S. 255ff.; vgl. auch Bourdieu, Boltanski, Saint Martin & Maldidier, 1981; 1 Dt. PISA-Konsortium, 2001): Akademikerkinder auf das Gymnasium, Handwer­kerkinder auf die Realschule und Arbeiter- sowie Ausländer- oder Migrantenkinder auf die Hauptschule mit den entsprechenden späteren Ausbildungs- und Berufschan­cen. Hierbei wird jedoch übersehen, daß mit Berufs- und Ausbildungsstand der El­tern (nicht oder kaum mit Nationalität und Herkunft, wenn Bildungsnähe herauspar­tialisiert ist, aber mit Einreisealter; Taschinski, 1985; Friedrich & Müller, 1987) schulrelevante Begabungs- und Persönlichkeitsmerkmale der Kinder (Intelligenz, Interessen, Fleiß usw.) und schulrelevante Merkmale der elterlichen Lernumwelt (Anregungen, Unterstützung, Erziehungsziele, Bildungsaspirationen, Einstellung zur Schule) kovariieren, die längsschnittlich konstant bleiben. Für wissenschaftlich be­gründete Potentialschätzungen ist die Sozialstruktur ähnlich wie die Schulstruktur kein legitimes und faires Kriterium, aber ein zu beachtendes Faktum.

Der gesellschaftliche Bedarfist eine wichtige Determinante fiir Struktur und Qua­lität eines Schulsystems. Der Rückgang von Industriebeschäftigung bzw. manuellen Tätigkeiten und die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft wird eine Zunahme der Nachfrage nach höherwertiger Qualifikation mit sich bringen. Erfolgreiche Be­rufstätigkeit setzt wachsend mittlere und höhere kognitive Fähigkeiten voraus; le­benslanges Lernen und das Umgehen mit komplexen Anforderungssituationen gehö­ren zum zukünftigen Berufsalltag. Die allgemeine Tendenz wird deshalb in Richtung längerer Schulausbildung, größere Anteile an höheren Schulabschlüssen innerhalb eines Jahrganges und vermehrter Inanspruchnahme des tertiären Bildungssektors (Hochschule) gehen. Die Grenzen finden sich hier in den Leistungsstandards einer Qualifikation, in den Begabungsvoraussetzungen und ausbildungsrelevanten Merk­malen der Schüler und in der Qualität von Unterricht und Schule. Acht- sowie neun­stufiges Gymnasium bieten prinzipiell gleichwertige Abschlüsse. Allerdings sollte der achtjährige Bildungsgang neben einer Verkürzung der Schulzeit auch eine Ver­tiefung der Bildung beinhalten, Schüler mit überdurchschnittlichen Potentialen soll­ten fiir eine hochqualifizierte (akademische) Tätigkeit vorbereitet werden. Diese wird in Zukunft von Gesellschaft und Arbeitsmarkt vermehrt nachgefragt. Der gesell­schaftliche Bedarf ist also auch bei Potentialschätzungen zu beachten.

Definierte Bildungsinhalte müßten den besten Maßstab zur Bestimmung von Schülerpotentialen darstellen. Allerdings sind sie höchst variabel (wie oben erwähnt: zwischen Bundesländern, zwischen formal gleichwertigen Schulformen, Schul stand-

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orten und Zeitpunkten), und der Bezug zu einem spezifischen Begabungsspektrum ist schwierig herzustellen.

Wir haben uns aufgrund dieser Probleme und Vagheiten fUr eine pragmatische, jedoch empirisch gut bestimmbare Lösung des Kriterienproblems entschlossen: Wir ziehen fUr die Potentialschätzung die im achtjährigen Gymnasium erfolgreichen Schüler sowie an zuverlässigen Testnormen orientierte Mindestwerte in solchen Merkmalen heran, die als aussagekräftige und legitime Prädiktoren von Schulerfolg gelten. Voraussetzung fUr diese Potentialschätzung ist ein empirisch abgesichertes Kausalmodell, das Schulleistungen erklären und vorhersagen kann (vgl. Abbildung 2 in Kapitel 3 dieses Buches). Der beste personenbezogene Prädiktor zur Vorhersage schulischer Leistungen ist zweifelsohne die bereichsspezifische oder allgemeine In­telligenz (Gamsjäger & Sauer, 1996; Heller, 2000alb; Süß, 2001). Daneben spielen jedoch auch schulleistungsbezogene Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen wie Interessen und Arbeitsmotivation eine Rolle (Schiefeie, Krapp & Schreyer, 1993). Und - dies wird bei der Vorhersage von Schulleistungen aus konzeptionellen Grün­den häufig vernachlässigt - das in unterschiedlichen Lernumwelten zuvor erworbene Vorwissen (Renkl, 1996; Sauer, 2001), fUr das die frühere Schulleistung ein guter Indikator ist. Allerdings wäre es auch denkbar, schulische Leistungen durch soziale Hintergrundvariablen vorherzusagen: So könnte man auf die kognitiven und motiva­tionalen Merkmale einzelner Schüler auf übergreifender Ebene auch den Beruf oder die Ausbildung der Eltern als prognostisch valide Prädiktoren heranziehen, die Anre­gungsgehalt, Leistungsorientierung, Bildungsaspirationen etc. im Elternhaus deter­minieren - Variablen, die bei Unkenntnis von individuellen Schülerfähigkeitsmerk­malen die zuverlässigsten Prädiktoren wären. Soziale Determinanten wären als Aus­wahlkriterien jedoch nicht legitim und fair, weil sie von der individuellen Leistungs­fähigkeit eines Kindes abstrahieren (vgl. Friedrich & Müller, 1987). Frühere Schul­noten allein würden auch einen sehr guten Prädiktor fUr zukünftige Schulleistungen darstellen. Allerdings gehen in Schulnoten spezifische Schul- und Klassenmerkmale (Leistungsniveau) ein, außerdem sind Schulnoten weniger fair und stärker abhängig von Umweltbedingungen als Ergebnisse in Schulleistungs- und vor allem in Intelli­genztests. Zudem könnte man Minderleister (d.h. Underachiever auf grund ungünsti­ger Umwelt- oder Persönlichkeitsbedingungen) nicht entdecken.

Tabelle 2: Kategorisierung von Prädiktoren zur Vorhersage der Schulleistung.

Aussagekräftig Nicht aussagekräftig

legitim/fair z.B. Intelligenz, Motivation (Vor- z.B. Zählen können, Gedichte aus-

wissen) wendig lernen können, Alter

nicht legitim/unfair z.B. Beruf der Eltern, Sozialstatus, z.B. Körpergewicht, Aussehen

Selbstkonzept

Anmerkung: Wir haben Vorwissen in Klammer gesetzt, weil Vorwissen in weit stärkerem Ausmaß als Intelligenz von spezifischen, variablen Lemumweltbedingungen abhängig ist.

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Die Bestimmung aussagekräftiger und legitimer Prädiktoren reicht jedoch für Po­tentialschätzungen nicht aus. Hinzukommen müssen präzise Entscheidungskriterien, ab welcher Ausprägung eines Prognosemerkmales man von "Eignung" sprechen kann. Konkret: Wie hoch müßte die Intelligenz oder wie gut die Schulleistung oder wie ausgeprägt die Motivation eines Kindes sein? Hierzu ziehen wir pragmatisch in verschiedenen Modellen die Ausprägungen der untersuchten erfolgreichen G8-Schüler heran: G9-Schüler, die Fähigkeiten und schulleistungsbezogene Persönlich­keitsmerkmale aufweisen, die denjenigen der Schüler des achtjährigen Gymnasiums mit besonderen Anforderungen gleichen, wären für das achtjährige Gymnasium ge­eignet. Würde man aber die Anforderungen oder Maßstäbe im G8 erhöhen oder sen­ken, wären selbstverständlich weniger oder mehr Schüler geeignet. Allerdings darf man in diesem Fall nicht mehr von einer Äquivalenz der Schulformen vor und nach Maßstabsänderung ausgehen. Unsere Vorhersage gilt bei vergleichbaren Unterrichts­bedingungen und vergleichbaren Schülerfahigkeiten eines Jahrganges ("ceteris­paribus-Bedingung"; Westermann, 2000). "Erfolgreich" machen wir in einem ersten Modell fest am erfolgreichen Besuch der einzelnen Klassenstufen von 5 bis 10. Hier­zu lassen sich Schulnoten heranziehen. Zusätzlich berücksichtigen wir die für den Schulerfolg zentralen kognitiven Fähigkeiten und wichtige motivationale Ausprä­gungen. In einem zweiten Modell ist das erfolgreiche Abitur am achtjährigen Gym­nasium das zentrale Kriterium.

Nach Berechung dieser quantitativen Schätzungen, die auf begabungs- und lei­stungspsychologischen Überlegungen beruht und die jetzige G8-Schülerschaft als Maßstab heranzieht, werden wir das ermittelte Potential hinsichtlich des gesell­schaftlichen Bedarfs, der durch das Gymnasium zu vermittelnden Bildungsinhalte und praktischen Umsetzbarkeit überprüfen.

Modelle der Potentialschätzung

Zur Bestimmung dieser G8-Reserve wurden in Modell 1 und 2 die Ausprägungen in vier Schülermerkmalen berücksichtigt, wobei die Schüler in diesen Merkmalen Min­destwerte erreichen sollten: • Kognitive Fähigkeiten (sprachliche, rechnerische (quantitative) und nichtsprachli­

che (technisch-konstruktive) Denkfahigkeiten zusammengefaßt): Überdurch­schnittliche Intelligenz stellt eine zentrale Bedingung für den erfolgreichen Be­such einer Schulform mit besonderen Anforderungen dar. Intelligenz ist der wichtigste Prädiktor für Schulleistungen.

• Schulunlust und Prüfungsängstlichkeit: Schüler, die sehr ungern die Schule besu­chen oder starke Angst vor Klassenarbeiten und Prüfungssituationen haben, wür­den sich in einer Schule mit erhöhter Unterrichtsstundenzahl bzw. intensiviertem Unterricht und höheren Lernanforderungen schwer tun. Ihnen sollte man vom Be­such des achtjährigen Gymnasiums abraten. Prüfungsängstlichkeit folgt häufig

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früheren schlechten Schulleistungen und geringeren Fähigkeiten, sie stellt hier ei­ne realistische Mißerfolgserwartung dar (Pekrun, 1991). Sie kann aber auch Folge zu hoher Leistungserwartungen seitens der Eltern sein. Gleichzeitig stört starke Prüfungsängstlichkeit jedoch aufgrund aufgabenirrelevanter Kognitionen Auf­merksamkeit und somit Performanz in Prufungssituationen und verbindet Schule mit negativen emotionalen Valenzen (Unlusterfahrungen; Schnabel, 1998). Bei geringer Ausprägung kann sie jedoch funktional durch bessere und ausgedehntere Prüfungsvorbereitung kompensiert werden.

• Schulleistungen (Durchschnittsjahresendnote in den Fächern Deutsch, Englisch, Französisch, Latein, Mathematik, Physik, Biologie, Chemie, Gesellschaftskunde, Erdkunde, Geschichte): Bereits erbrachte Schulleistungen sind eine zuverlässige Grundlage für die Vorhersage künftiger Schulleistungen (Schwarzer, 1979). Schulnoten können nicht nur als Indikator von Wissen und kognitiven Fähigkeiten aufgefaßt werden, sie lassen auch Rückschlüsse auf motivationale Einstellungen und die Bewältigung von Leistungssituationen (Umgang mit Streß, Zeiteinteilung etc.) zu. Zudem stellen Schulnoten das zentrale schulische Erfolgskriterium dar.

Modell 1: Schülermerkmale im G8 und absolute Mindeststandards als Richtgröße

Die Ausprägungen der Schüler in Intelligenz, Schulunlust, Prufungsängstlichkeit und Schulleistungen in den Klassenstufen 5 bis 10 und absolute Mindeststandards werden hier als Richtgröße herangezogen.

Konjunktive Verknüpfung

Die Schülermerkmale werden zunächst nach einer konjunktiven oder kombinatori­schen Verknüpfung (Variante 1) mit relativ niedrigen Grenzwerten kombiniert. Konjunktiv, nicht kompensatorisch, bedeutet, daß in verschiedenen Merkmalen ein Mindestmaß erreicht werden muß ("und" bzw. "sowohl als auch"). Wird dieses in einem Kriterium nicht erzielt, geht man hierbei nicht von einer Eignung für das achtjährige Gymnasium aus. So kann etwa hohe Intelligenz nicht schlechte Schul­leistungen kompensieren. Oder ausgeprägte Motivationen gehen nicht als Ersatz für unzureichende kognitive Fähigkeiten in die Modellrechnung ein. Allerdings haben wir keine strengen Grenzwerte bestimmt, sondern nur relative oder absolute Min­destvoraussetzungen. Die Grenzwerte wurden in einem ersten Schritt empirisch­relativ durch Heranziehung von Sigmawerten (Mittelwert ± 1 Standardabweichung) aus dem achtjährigen Gymnasium und in einem zweiten Schritt durch Festlegung absoluter Ober- bzw. Untergrenzen festgelegt: Schüler, die einen KFT -Gesamtwert erreichen, der oberhalb des -1 Sigmawertes im achtjährigen Gymnasium liegt, wer-

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den hinsichtlich ihrer kognitiven Fähigkeiten als geeignet betrachtet (s. Grenzwerte in den Tabellen 6ff.).

Tabelle 3: Bivariate Korrelationen zwischen Prädiktoren und Notenschnitt.

Prädiktoren Stich- KFT- APM Kreativität IVG Schulunlust PrUfungs-

probe Gesamt (VKTNWT) (ZVT/KDT) (AFS) angst

(AFS)

Notenschnitt roh .43 .37 .22 .32 -.25 -.26

Notenschnitt Mittel .59 .39 .24 .37 -.32 -.43

Notenschnitt 2-Jahre .42 .35 .21 .30 -.17 -.20

Anmerkung: Korrelationen auf Gesamtdatenbasis G8/G9, Rohwerte (Klassen 5-10), Schülermittel (Klassen 5-10 zusammen als Mittel je Schüler), 2-Jahres-Prognose (Klassen 5-11), Nroh=458-1579 je nach Test, Nmittel=280-449, N2.Jahre=269-405, alle Jahre (1992-2001); 2-Jahres-Prognose fiir die Klas­sen 5-7, 6-8, 7-9, 8-10 und 9-11, je Schüler gemittelte Korrelationen; KFT= Kognitiver Fähigkeitstest, APM=Advanced Progressive Matrices, VKT=Verbaler Kreativitätstest, VWT=Verwendungstest; IVG= Informations-Verarbeitungs-Geschwindigkeit, ZVT=Zahlenverbindungstest, KDT=Kodierungs­test, AFS=Angstfragebogen fiir Schüler; Notenschnitt in Sprachen, Mathematik-Physik, Naturwissen­schaften, Geisteswissenschaften (nicht Sport, nicht Kunst und Musik, nicht Verhalten und Mitarbeit), Notenschnitt positive Werte, je numerisch höher der Schnitt, desto besser die Schulleistung; aufgrund der Stichprobengröße werden alle Korrelationen signifikant. Zu den Testverfahren vgl. Tabelle I in Kapitel 3 dieses Buches.

Der Kognitive Fähigkeitstest weist gute Prognosekraft für den Schulerfolg auf. Er stellt ein zuverlässiges und aufgrund seiner schulnahen Aufgaben, die im verbalen und vor allem im quantitativen Teil im Schulunterricht behandelte Themen aufgrei­fen, auch ein sehr valides Instrument ftir die Vorhersage von Schulleistungen dar. Unter den in der Studie verwendeten Fähigkeitsmaßen ist er der hierfür beste Test (s. Tabelle 3). Der KFT korreliert bei individuellen Rohdaten zu r=.43 mit dem Schul­erfolg, bei den meßfehler- und schwankungsreduzierten Schülerrnittelwerten sogar zu r=.59. Auch in der 2-Jahres-Prognose des Schulerfolges stellt er mit Abstand das beste prognostische Maß dar (r=.42).

Korrelationskoeffizienten (r) variieren zwischen -1,0 und + 1.0 bedeutet keinerlei Zusammenhang (wie z.B. zwischen Haarlänge und Körpergröße), +1 exakter positi­ver Zusammenhang (wie zwischen Körpergröße in Meter oder Fuß ausgedrückt),-l exakter negativer Zusammenhang (wie zwischen Noten in einer Skala von 1 bis 6 und Leistungspunkten in der Skala 1 bis 15). In der Regel werden jedoch Zusam­menhänge zwischen ±O.lO und ±0.90 beobachtet: z.B. r=.70 zwischen Körpergröße und -gewicht Ge größer, desto schwerer und umgekehrt) oder r=-.40 zwischen Intel­ligenz und Fehlerzahl in einer Klassenarbeit Ge höher die Intelligenz, desto weniger Fehler). Bei r=±.l 0 spricht man von einem schwachen, bei r=±.30 von einem mittle­ren und ab r=±.50 von einem starken Zusammenhang (Cohen, 1988). Korrelationen können in ihrer Höhe durch eingeschränkte Variabilität der Merkmale (hier nur Gymnasiasten) oder durch Drittvariablen (z.B. Schultyp ) beeinflußt werden. Die Hö­he einer Korrelation erlaubt noch keine Aussage hinsichtlich der Richtung eines

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möglichen Zusammenhangs. Hierfiir wären entsprechende Kausalmodelle und artifi­zielle Bedingungsvariationen nötig. Intelligenz und Schulleistung korrelieren in ver­schiedenen Metaanalysen im Schnitt zu r=.44 (Süß, 2001).

Der beste Prädiktor für zukünftige Schulleistung in der 2-Jahres-Prognose ist aber zweifelsohne die frühere Schulleistung (r=.63). Dies ist nicht weiter verwunderlich, weil hierbei die Stabilität, nicht die prognostische Validität eines Prädiktors für ein Kriterium gemessen wird. Die 2-Jahres-Stabilität des KFT beträgt r=.64, für den APM und die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit liegen keine Werte vor (nur in 9. und 10. Klasse ZVT und KDT), Kreativität .47, Schulunlust .39 und Prüfungs­ängstlichkeit .50. Prüfungsängstlichkeit korreliert zu r=-.20 bis -.40 mit Schulleis­tungen, was etwas oberhalb von den in Metaanalysen gefundenen Werten liegt (r=­.21; Schnabel, 1998, S. 39).

KFT-Gesamt \100 T=20 (gering) bis T=80

&r------------------------,

'" 5 '" 5 .. 1> Il S ~ . s::

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·L ~ 1! eS 1

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Schulunlust von T-20 (gering) bis T=80 Prüfung sangst von T=20 (gering) bis T=80

Abbildung 1: Streudiagramme mit Schulleistung (Daten 1992-2001, G8 und G9, Schüler­mittel, Klassen 5-10 zusammen als Mittel je Schüler, NMinel~40, nicht umge­polte Noten).

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Anband der Streudiagramme (Abbildung 1) lassen sich die bivariaten Zusammen­hänge zwischen den ausgewählten Schülerprädiktoren und der Schulleistung veran­schaulichen. Am engsten ist der Zusammenhang zwischen allgemeiner Intelligenz (KFT-Gesamtwert; Gymnasialnormierung) und der Durchschnittsnote (r=-.59). Mit höherem kognitiven Fähigkeitsniveau gehen bessere Schulleistungen einher. Schul­unlust und Prüfungsängstlichkeit kovariieren weniger eng mit der Durchschnittsnote (r=.32, .43). Hohe Schulunlust und Prüfungsängstlichkeit sind Anzeichen schwacher schulischer Leistungen.

Zum Vergleich der erhobenen Meßwerte untereinander bzw. mit den einzelnen Tests erfolgte eine Umrechnung von Testrohwerten in Normwerte (T-Werte). Cha­rakteristisch fiir T-Werte ist, daß sie sich annähernd normal in einem Wertebereich zwischen 20 und 80 verteilen und einen Mittelwert von M=50 sowie eine Streuung von S=10 aufweisen. Dies bedeutet fiir die Interpretation individueller Merkmalsaus­prägungen:

T-Werte unter 30 (ca. 2%)

T-Werte zwischen 30-39 (ca. 14%)

T-Werte zwischen 40-59 (ca. 68%)

T-Werte zwischen 60-69 (ca. 14%)

T-Werte über 69 (ca. 2%)

liegen in einem weit unterdurchschnittlichen Bereich.

liegen in einem unterdurchschnittlichen Bereich.

liegen in einem durchschnittlichen Bereich.

liegen in einem überdurchschnittlichen Bereich.

liegen in einem weit überdurchschnittlichen Bereich.

Für den KFT wurden (strenge) klassenstufenspezifische Gymnasialnormen aus dem KFT-Manual verwendet (Heller, Gaedike & Weinläder, 1985). Für den AFS liegen fiir alle Schultypen und Altersstufen einheitliche Normen fiir die 5. bis 10. Klasse vor (Wieczerkowski, Nickel, Janowski, Fittkau & Rauer, 1986).

Weiterhin wurde überprüft, wie die vier von uns berücksichtigten Prädiktoren untereinander zusammenhängen (Tabelle 4).

Tabelle 4: Zusammenhang zwischen ausgewählten Prädiktoren.

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust PrOfungsangst Notenschnitt

KFT-Gesamt 1 -.07 -.29 .43

Schulunlust 1 .30 -.25

PrOfungsangst 1 -.26

Notenschnitt 1

Anmerkung: Klassenstufen 5-10, G8 und G9, alle Schüler, Nmax=1579, Notenschnitt positive Werte; je numerisch höher der Schnitt, desto besser; alle Korrelationen sind auf dem 1 %-Niveau signifikant (wegen des großen Stichprobenumfangs).

Die Prädiktoren korrelieren nicht hoch miteinander. Sowohl KFT (Intelligenz) als auch Schulunlust und Prüfungsangst stellen aber bedeutsame prognostische Merk­male fiir den Schulerfolg (Notenschnitt als Kriterium) dar, die multiple Korrelation

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192 Heiner Rindennann

für die abhängige Variable Notenschnitt beträgt R=.49. Es ist deshalb angemessen, alle vier Merkmale für die Potentialschätzung heranzuziehen.

Die multiple Korrelation für G8 separat berechnet beträgt R=.47, im G9 R=.54. Im achtjährigen Gymnasium ergibt sich ein nach unten eingeschränktes Fähigkeits­und Leistungsspektrum, eingeschränkte Varianz beeinflußt die Höhe von Korrelatio­nen negativ (Cohen, 1994). Mit Kodierung der Schulform als Prädiktorvariable steigt die multiple Korrelation auf R=.50, ein geringer Zuwachs tritt auf (von R=.490 auf R=.496). Die Hinzunahme des Gymnasialtyps nach Berücksichtigung von Intelli­genz, Schulunlust und Prüfungsängstlichkeit bringt kaum weitere Varianzaufklärung. Dies bedeutet praktisch für die Berechnungen, daß die Auswirkung unterschiedlicher Referenzrahmen bei der Notengebung durch die Lehrkräfte für unsere Potential­schätzung als recht gering einzuschätzen ist. Die Lehrer unterrichteten an einem Schulstandort sowohl im achtjährigen als auch im neunjährigen Zug, was einen ein­heitlichen Notenmaßstab erleichterte. Siehe aber Kapitel 4 in diesem Buch!

Wir haben mit unseren Prädiktoren keine Diskriminanzanalyse gerechnet: Könn­ten wir mit Intelligenz, Schulunlust, Prüfungsängstlichkeit und Zeugnisnoten die gegenwärtige Zuordnung auf Gymnasialschultypen prognostizieren? Dies wäre keine sinnvolle Fragestellung, da die Verteilung auf die beiden Gymnasialschulformen in Baden-Württemberg zur Zeit unserer Untersuchung und in unserer Stichprobe nur bedingt von Intelligenz, Schul unlust, Prüfungsängstlichkeit und Zeugnisnoten im Gymnasium abhing, sondern vielmehr vom zufalligen Schulstandort der Gymnasien. Eine Diskriminanzanalyse wäre nur dann sinnvoll, wenn man an den G8-Standorten innerhalb der Schulen zwischen G8- und G9-Schülern unterscheiden wollte.

Neben hohen kognitiven Fähigkeiten sollten die Schüler keine überdurchschnittli­che Schulunlust und Prüfungsängstlichkeit zeigen (nicht oberhalb des + 1 Sigmawer­tes im achtjährigen Gymnasium) und nicht unterdurchschnittliche Noten erzielen (Mittel im achtjährigen Gymnasium plus eine Standardabweichung). Noten als sol­che sind als Prädiktor nicht unproblematisch, da die Notenvergabe durch Lehrer be­zugsgruppenabhängig ist. D.h. es ist nicht prinzipiell auszuschließen, daß im achtjäh­rigen Gymnasium strengere Noten vergeben werden und im neunjährigen Gymnasi­um für vergleichbare Leistungen bessere Noten erzielbar sind. Zudem wären Min­derleister (begabte Underachiever) auf diese Weise nicht oder nur sehr schwer er­kennbar. Doch auch für Noten gilt, daß keine strengen Grenzwerte festgelegt wur­den. Schul unlust und Prüfungsängstlichkeit als individuelle Merkmale stellen einen negativen Prädiktor für Schulleistungen dar, sie sind aber auch Indikator für womög­lich bestehende Überforderung. In den Testverfahren wird als Streuung T=lO be­rücksichtigt, in den Schulleistungen die Streuung im achtjährigen Gymnasium.

Für alle vier Merkmale wurden absolute Mindeststandards herangezogen. Für den KFT legten wir als Minimum T=50 fest (Gymnasialmittel gemäß Testnorm), für Schul unlust und Prüfungsängstlichkeit das Maximum T=60 und für den Notenschnitt 3,0. Die absoluten Grenzwerte in den nichtkognitiven Persönlichkeitsmerkmalen und im Notenschnitt wurden relativ liberal definiert, besonders begabte Schüler können

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Modelle und Ergebnisse der Potentialschätzung 193

auch bei moderat ausgeprägter Schulunlust und Prüfungsängstlichkeit noch erfolg­reich das achtjährige Gymnasium besuchen. Der Notenschnitt wurde nicht strenger festgelegt, da Underachiever (besonders begabte Schüler mit nicht zufriedenstellen­den Schulleistungen, z.B. aufgrund von Problemen im Elternhaus oder Unterforde­rung), sonst aus der Gruppe der potentiell geeigneten ausgeschlossen worden wären. Allerdings sind bei schwächeren Schulleistungen (Notenschnitt schlechter als 3,0) Defizite in schulischen Grundlagenkenntnissen zu vermuten, die den Besuch eines Gymnasiums mit besonderen Anforderungen als nicht ratsam erscheinen lassen. Zentrales Kriterium für die Potentialschätzung ist die intellektuelle Fähigkeit der Schüler. Hier wurde mit T=50 als Mindestkriterium der Gymnasialmittelwert (G9) festgelegt. Aufgrund des KFT -Gesamtwertes lassen sich schulische Leistungen am besten vorhersagen (s. Tabelle 3). Diese Mindeststandards werden nur dann berück­sichtigt, wenn die empirisch per Mittelwert und Streuung errechneten Grenzwerte über bzw. unter den Mindeststandards liegen (KFT-Grenzwert 5. Klasse, Noten­schnitt 6. bis 10. Klasse; s. Tabellen 6-12).

Als Mittelwerte werden die klassenspezifischen Mittel aller 5. bis 10. Klassen im achtjährigen Gymnasium herangezogen. Die Potentialschätzungen werden getrennt für die 5. bis 10. Klasse vorgenommen?

Kompensatorische Verknüpfung

Allerdings sollte man die gegenseitige Kompensationsmöglichkeit verschiedener Prädiktoren für die G8-Gymnasialeignung nicht ganz ausschließen. So ist es denkbar, daß bei sehr hoher Intelligenz trotz schlechter motivationaler Bedingungen noch ein guter oder befriedigender Schulabschluß möglich ist. Alternativ können sehr hoher Fleiß und günstige soziale Anregungsbedingungen gute Schulnoten bei nur durch­schnittlicher Intelligenz bewirken. In einer zweiten, etwas liberalisierten Variante (kompensatorische oder disjunktive Verknüpjimg; "oder" bzw. "entweder oder") ha­ben wir deshalb solchen Schülern, die deutlich überdurchschnittliche Intelligenz zei­gen (KFT>65) oder unbestreitbar gute Schulleistungen erzielen (Notenschnitt besser als 2) unabhängig von den Ausprägungen in anderen Merkmalen (bei KFT>65 unab­hängig von Schulunlust, Prüfungsängstlichkeit und Notenschnitt; bei Notenschnitt<2 unabhängig von Intelligenz, Schulunlust und Prüfungsängstlichkeit) noch als "geeig­net" akzeptiert. Sie werden in Variante 2 somit zusätzlich zu den bisher schon identi­fizierten Schülern in das G8-Potential aufgenommen.

2 Schüler aus Parallelklassen der beiden Regelgymnasien, die die G9-Stichprobe um besonders befli­higte Schüler ergänzen sollten, wurden hier nicht hinzugezogen.

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194 Heiner Rindennann

Modell 2: Abitur als Kriterium

Im Gegensatz zu Modell 1 (G8-Schüler aus Klassen 5 bis 10 und Mindeststandards konjunktiv oder disjunktiv verrechnet als Richtgröße) wird in Modell 2 das erfolgrei­che Abschneiden im achtjährigen Abitur als Orientierung herangezogen. Hierbei berücksichtigen wir alle Möglichkeiten von Oberstufe und Abitur an den vier unter­suchten G8-Standorten: herkömmliches baden-württembergisches Abitur (am G9) und angereichertes Abitur mit mehreren Leistungsfachern, das in verschiedenen Formen an den achtjährigen Gymnasien angeboten wurde. Für alle Schulen gibt es aber landesweit einheitliche und anband schulübergreifender Maßstäbe beurteilte Prüfungsaufgaben (Zentralabitur), die der Sicherung eines gemeinsamen Standards und Lehrern wie Schülern bei der Abiturvorbereitung als Orientierung dienen. Wei­chen etwa Halbjahresnoten deutlich von den Noten in der zentralen Prüfung ab, be­steht für die Lehrer Rechfertigungsbedarf, und die Schüler müssen zusätzlich ins mündliche Abitur. Wir ziehen erfolgreiche G8-Abiturienten als Normgruppe heran und bestimmen für diese ihre Ausprägungen in den Klassen 5 bis 10 im KFT­Gesamtwert, in der Schulunlust und Prüfungsängstlichkeit sowie in den Schulleis­tungen. Als Grenzwert wurde der Mittelwert in diesen jahrgangsbezogenen Merk­malen definiert und analog zu oben maximal eine Streuung vom Mittel nach unten eingeräumt (Mittelwert ± 1 Standardabweichung). Auf Mindeststandards wurde hier­bei verzichtet. Die Prädiktoren werden konjunktiv ("und"), nicht kompensatorisch verknüpft.

Tabelle 5: Bivariate Korrelationen zwischen Prädiktoren und Abiturnote.

Prädiktoren Stichprobe KFT- APM Kreativität IVG Schulunlust Prüfungs-

Gesamt (VKTIVWT) (ZVT/KDT) (AFS) angst

(AFS)

Abitumote Unterstufe .54 - .10 - -.25 -.21

Abitumote Mittelstufe .67 .48 .21 .21 -.14 -.25

Abitumote Oberstufe .60 - .24 - - -

Anmerkung: Korrelationen auf Gesamtdatenbasis G8/G9, Klassen 5-13, Schülermittel je Schulstufe (Unterstufe: Klassen 5-7, N=105-11O nur G8; Mittelstufe: Klassen 8-10, N=108-114 nur G8; Oberstu­fe: Klassen 11-13/12, N=137-147 G8 und G9); nimmt man Klassenstufendaten, liegen die Korrelatio­nen etwa .05-.10 niedriger; KFT= Kognitiver Fähigkeitstest, APM=Advanced Progressive Matrices (nur Mittelstufe), VKT=Verbaler Kreativitätstest, VWT=Verwendungstest; IVG=Infonnations­Verarbeitungs-Geschwindigkeit (nur Mittelstufe), ZVT=Zahlenverbindungstest, KDT=Kodierungs­test, AFS=Angstfragebogen für Schüler (nur Unter- und Mittelstufe); Abitumote: Gesamtschnitt, Abitumote positive Werte; je numerisch höher die Note, desto besser.

In Tabelle 5 wurden die bivariaten Zusammenhänge zwischen unseren Prädikto­ren und dem Kriterium Abiturschnitt berechnet. Der mittlere KFT -Wert eines Schü­lers in der Unterstufe (Klassen 5-7; durch Mittelung Schwankungsbereinigung und Fehlerreduktion) korreliert mit dem runf bis sieben Jahre später erreichten Abiturno­tenschnitt zu r=1.541! In der Mittelstufe sind es r=I.671 und in der Oberstufe r=1.601.

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Modelle und Ergebnisse der Potentialschätzung 195

Auch die APM, sprachfreie, schulferne Testaufgaben zur Erfassung logisch­schlußfolgernden Denkens, erweisen sich als prognostisch valide. Die Prädikti­onskraft der anderen Maße (Kreativität, Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, AFS) fällt dahinter zurück. 3 Berücksichtigt man noch die Schulleistung in der Unter­stufe und Mittelstufe, stellt die frühere Schulleistung den besten Prädiktor dar (r=.75 bzw .. 86).4

Die Potentialschätzung wurde auf die Unter- und Mittelstufe beschränkt. Die O­berstufe wies je nach Standort kein spezifisch achtjähriges Profil mehr auf. Unter den Schülern der beiden Regelgymnasien wurden nur die regulär in den Klassen sich befindenden Schüler berücksichtigt.

Wir möchten hier den Lesern die verschiedenen Ergebnisse unterschiedlicher Modelle und Varianten der Potentialschätzung darstellen, damit deutlich und nach­vollziehbar wird, daß je nach Vorannahmen der Schätzung unterschiedliche Schüler­quoten resultieren. Am Ende berechnen wir als Grundlage fiir unsere Schlußfolge­rungen einen Gesamtwert aus diesen Einzelergebnissen. 5

Ergebnisse der Potentialschätzung

Modell 1: G8-Schülermerkmale

In der 5. Klasse erreichen die Schüler im achtjährigen Gymnasium im Schnitt einen KFT-Wert von T=56,61 (s. Tabelle 6). Sie liegen damit im oberen Durchschnittsbe­reich des Regelgymnasiums (Gymnasialnormwerte des KFT der 5. Klasse). Der Grenzwert fiir die G8-Eignung wurde auf T=50 festgelegt. D.h. Schüler sollten min­destens ein fiir das Gymnasium durchschnittliches Fähigkeitsniveau aufweisen; dar­unter ist es sehr schwierig, den erhöhten Anforderungen des achtjährigen Zuges ge­recht zu werden. Schwächere Schüler wären überfordert, sie wären im Regelgymna­sium besser aufgehoben. 75% aller Schüler im G8 lagen in der 5. Klasse über dieser Schwelle, 59% der Schüler in unseren beiden G9-Schulen. Der Mittelwert in der Schulunlust im G8 (5. Klasse) betrug T=47,95, als Maximalwert fiir G8-Eignung

3 Die Korrelation zwischen Kreativität (VKT und VWT, 11. Klasse) und Abitur beträgt r=.24. Zieht man die in der 12. Klasse verwendeten Einfallsreichtumsskalen des BIS heran (Berliner Intelligenz­struktur-Test; Jäger, Süß & Beauducei, 1997), sinkt der Zusammenhang zwischen Kreativität und Abitur auf r=.16. Im Regelgymnasium ist der Zusammenhang jeweils etwas höher.

4 Oberstufenschulleistungen haben wir nicht mit der Abiturnote korreliert, da diese schon in die Abi­turnote einfließen. Eine Vorabitur-11.-Klasse im Klassenverband gibt es nicht im G8.

S Alternative Methoden wären z.B. die der gewichteten Regression (Gewichtung von Prädiktoren), der automatischen Klassifikation (Heller, 1970, 1976; Allinger & Heller, 1975; Heller, Rosemann & Stef­fens, 1978) oder der typologischen Prädiktion (Rosemann, 1975, 1978; Rosemann & Allhoff, 1982; Sauer & Gamsjäger, 1996). Neben einer geringeren Anschaulichkeit und Nachvollziehbarkeit der Verfahren leiden sie aber unter den gleichen Problemen wie die hier verwendete Methodik: Zuord­nung von Prädiktoren (Schülermerkmale) zu Kriterien (Schultyp, Schulerfolg) und Bestimmung von Grenzwerten.

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196 Heiner Rindennann

wurde ein Wert von einer Testnorm-Standardabweichung darüber festgelegt. 86% der G8-Schüler haben geringere Schulunlust, 90% im Regelgymnasium. In der Prü­fungsängstlichkeit liegen die Quoten bei 85% (G8) und 79% (G9), in den Schulleis­tungen (Notenschnitt besser als 2,77, d.h. eine empirische Streuung über dem Schnitt von 2,17 im G8) erreichen 86% bzw. 81 % bessere Ergebnisse. Bei konjunktiver Ver­knüpfung unserer Kriterien ("und") erweisen sich 49% aller G8-Schüler und 42% aller G9-Schüler für das achtjährige Gymnasium als geeignet.

Tabelle 6: Grenzwerte und Potential schätzung für die 5. Klasse (Nmax=248).

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust Prüfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel 56,61 47,95 44,36 2,17 -

Grenzwert (+/- I s) >50,00 <57,95 <54,36 <2,77 -

%-Satzim G8 75% 86% 85% 86% 49%

%-Satz im G9 59% 90% 79% 81% 42%

Anmerkung: "konj." bedeutet die Berücksichtigung aller vier Kriterien in einem konjunktiv­kombinatorischen Modell. Tests: T-Werte (M=50, S=IO), Notenschnitt Schulnotenskala von 1, sehr gut, bis 6, ungenügend; KFT: klassenstufenspezifische Gymnasialnonnen; Schulunlust und Prüfungs­angst: Normen fIlr Klassen 5-10 gleichbleibend.

Schulstandortunterschiede innerhalb des achtjährigen Gymnasiums sind bei nähe­rer Analyse unübersehbar: So sind an Schulstandorten, an denen eine große Nachfra­ge nach dem G8 bestand und an denen es alternativ auch 5. Klassen-Schulplätze im G9 gab, deutlich höhere Eignungsquoten erkennbar. Das heißt, wenn die Schule ein sinnvolles Aufnahmeverfahren durchführen konnte, vor allem wenn es möglich war, ungeeignete Schüler abzulehnen ohne Gefahr zu laufen, daß die Klassengrößen unter einen kritischen Wert fallen, und wenn den Eltern die Möglichkeit offen stand, ihre Kinder als Alternative auf ein Regelgymnasium (G9) zu schicken, dann ergab sich eine höhere Eignungsquote.

Tabelle 7: Grenzwerte und Potentialschätzung für die 6. Klasse (Nmax=228).

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust Prüfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel 61,11 48,50 43,47 2,37 -

Grenzwert (+/- I s) >51,11 <58,50 <53,47 <3,00 -

%-Satz im G8 82% 85% 85% 81% 53%

%-Satz im G9 55% 84% 84% 80% 37%

In der 6. Klassenstufe sind schon deutlichere Unterschiede zwischen den Schülern im achtjährigen vs. neunjährigen Gymnasium erkennbar: So sind zwar nach unseren Berechnungen 53% der G8-Sechstkläßler fur das achtjährige geeignet, aber nur 37% der G9-Sechstkläßler. Dies ist vor allem auf Unterschiede in den kognitiven Fähig­keiten (82% vs. 55%) zurückzufuhren. Im achtjährigen Gymnasium gab es nach der 5. Klasse die ersten Abgänger, vor allem sind aber auch durch die günstigeren, stär-

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Modelle und Ergebnisse der Potentialschätzung 197

ker fördernden und höher anfordernden Unterrichtsbedingungen (z.B. zweite Fremd­sprache ab Klassenstufe 6) deutlichere Fördereffekte des G8 erkennbar. Unter­schiedliche Meßwiederholungsgewinne durch wiederholte Testung mit dem KFT (allgemeine und spezifische Testkenntnis, Training kognitiver Fähigkeiten durch Testung) sind als Erklärung ftir den Schereneffekt auszuschließen, da in beiden Stichproben die Schüler in der 6. Klasse den Test zum zweiten Mal bearbeiteten. Plausibler läßt sich dieser Befund als "Matthäuseffekt" interpretieren (vgl. Kapitell, S.26ff.).

Tabelle 8: Grenzwerte und Potentialschätzung für die 7. Klasse (Nmax=200).

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust Prüfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel 64,42 48,29 43,38 2,39 -Grenzwert (+/- 1 s) >54,42 <58,29 <53,38 <3,00 -

%-Satz im G8 87% 82% 84% 80% 57%

%-Satz im G9 56% 78% 71% 78% 34%

In der 7. Klasse setzt sich der zuvor beobachtbare Prozeß fort: Durch Förderef­fekte und Abgang schwächerer Schüler zeigt sich ein verstärkter Schereneffekt. Je älter die Schüler werden - oder präziser, je länger sie das Regelgymnasium besuchen - desto weniger Schüler unter ihnen sind auf grund des zunehmenden Wissens-, Kenntnis- und Fähigkeitsfortschrittes im G8 ftir das achtstufige Gymnasium geeig­net. Der Erfolg zeigt sich auch in geringerer Schulunlust und geringerer Prüfungs­ängstlichkeit. Der nicht geringe Anteil des Zugewinns, der auf selektiven Abgang zurückzufiihren ist, legt nahe, Verbesserungen am Aufnahmeverfahren vorzuschla­gen.6 Der Anteil jedoch, der auf den zusätzlichen Fördereffekt zurückzufiihren ist (s.u.), belegt nachdrücklich, daß der Besuch eines achtstufigen Gymnasiums allen überdurchschnittlich begabten Schülern ermöglicht werden sollte. Ihr Potential wird in einem konventionellen neunstufigen Gymnasium nicht ausgeschöpft.

Untersucht man nur diejenigen Schüler, die zu drei Meßzeitpunkten identisch sind - nimmt man also von Klasse 5 bis 7, 7 bis 9, 9 bis 11 und 11 bis 13 nur Längs­schnittanalysen über zu den drei Meßzeitpunkten identische Stichproben vor (gleiche Personen, gleicher Stichprobenumfang, keine Änderung durch selektiven Abgang) -, so zeigt sich bei der Gesamtgruppe aller Schüler (keine Voraus wahl hinsichtlich des

6 Im Aufnahmeverfahren wurden berücksichtigt: Gymnasialempfehlung der Grundschule (abhängig von Grundschulleistungen bzw. -noten; Standards variieren jedoch beträchtlich von Schule zu Schule; vgl. R. Lehmann, Peek & Gänsfuß, 1997), ein schriftliches Extragutachten der Grundschule, Gespräch des aufnehmenden G8-Gymnasiums mit Kind und Eltern. Es fehlte eine andernorts bei Spezialschulen rur besonders Begabte übliche, nachweislich prognostisch aussagekräftige, das Grundschulurteil ob­jektivierende, schriftliche Fähigkeits- und Leistungsprüfung (s. W. Lehmann & Jüling, 1999; Rinder­mann & W. Lehmann, 2000).

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198 Heiner Rindennann

Fähigkeitsniveaus) von Klasse 5 bis 7 ein Zugewinn (s. Abbildung 2), der im acht­jährigen Gymnasium größer ausfällt.7

Entwicklung von KFT -Gesamt

nach Gymnasialtyp (Gesamtgruppe)

60 G6

70

60 GI 1:: GI 50

~ 40 ---r-----

I

30

20 5 6 r 6 10 11 12 13

Abbildung 2: Entwicklung des allgemeinen Fähigkeitsniveaus (Daten 1992-2001, im G8 rur Klasse 11-12 Kohorten 1-3, obere Linie G8, untere Linie G9).

Bei ausschließlicher Berücksichtigung überdurchschnittlich begabter Schüler (im KFT-T>60, also einer Standardabweichung über dem gymnasialen Mittel) zeigt sich in den Anfangsklassen ein ähnlicher Effekt (s. Abbildung 3). D. h. neben einem Se­lektionseffekt (selbstselektiver Zugang zum achtjährigen Gymnasium sowie späterer selektiver Abgang vom achtjährigen Gymnasium) gibt es auch einen auf grund der besseren Förderung beobachtbaren Schereneffekt bei leicht und deutlich überdurch­schnittlich begabten G8-Schülern. Dieser Fördereffekt ist pädagogisch gewollt und ein stichhaltiges Argument zugunsten des achtjährigen Gymnasiums, fiir die Potenti­alschätzung ist er aber statistisch unerwünscht, da er keine direkte Vergleichbarkeit der Fähigkeiten zwischen Schülern vom G8 VS. G9 mehr ermöglicht: Wären die bes­seren Schüler im G9 ähnlich wie im G8 gefordert worden, wäre das Potential unter den Regelgymnasialschülern der oberen Klassen größer.

7 Die Untersuchung am Regelgymnasium umfaßte von 1996 bis 1999 vier Jahrgänge: einen von der 5. bis zur 7. Klasse, einen von der 7. bis zur 9. Klasse, einen von der 9. bis zur 11. Klasse und schließlich einen von der 11. bis zur 13. Klasse (Abitur).

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Modelle und Ergebnisse der Potentialschätzung 199

Tabelle 9: Grenzwerte und Potentialschätzung für die 5. Klasse (Nmax=170, nur 5-7 dabei).

Prädiktoren KFT -Gesamt Schulunlust Prüfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel 58,15 46,86 43,68 2,03 -

Grenzwert (+/- 1 s) >50,00 <56,86 <53,68 <2,55 -

%-Satz im G8 75% 83% 84% 74% 42%

%-Satz im G9 59% 89% 79% 60% 34%

Anmerkung: Hier wurden nur die Schüler des G8 für die Grenzwerte herangezogen, die das G8 bis mindestens zur 7. Klasse besucht haben, ohne Abgänger in 5 bis 7.

In Tabelle 9 ist die Potential schätzung anband derjenigen 5. Klassen-Grenzwerte vorgenommen worden, die mittels der Schüler, die das achtjährige Gymnasium zu­mindest bis zur 7. Klasse konstant besucht haben, bestimmt wurden. Die G8/G9-Schülergruppen lassen sich nun besser in der 5. Klasse differenzieren, hierzu tragen vor allem Unterschiede in den Schulleistungen bei. Zieht man also für die 5. Klasse nur die zumindest mittelfristig nicht abgehenden G8-Schüler als Referenzmaßstab heran, können aussagekräftigere Potentialschätzungen vorgenommen werden. Aller­dings zeigen diese Daten auch, daß das praktizierte Auswahlverfahren nicht optimal war.

Doch auch bei einem verbesserten Aufnahmeverfahren mit einem objektiven Leistungs- und Fähigkeitstest dürfte es Abgänger geben. Zunächst gibt es den Ab­gang vom G8 wegen Umzugs der Eltern und fehlendem achtjährigen Bildungsange­bot am neuen Wohnort. Darüber hinaus ist die Schülerentwicklung nie perfekt vor­hersagbar, da kritische Lebensereignisse (etwa Scheidung), spezifische Lehrer­Schüler-Interaktionen, individuell unterschiedliche Passungen zwischen Unter­richtsthemen-Methoden, oder Krankheit, Pubertätskrisen und neu auftauchende Inte­ressen die Persönlichkeit und Entwicklung (Schuleinstellung, Unterrichtsverhalten, Lernverhalten etc.) beeinflussen (Sauer & Gattringer, 1986; Schwarzer, 1979). Schulleistung und Bildungsgangentscheidungen sind prinzipiell nicht ausschließlich von schülerbezogenen Fähigkeiten abhängig, aber sie sind bei Zuhilfenahme von Testergebnissen besser vorhersagbar. Unter- oder Überforderung, die beide die Per­sönlichkeitsentwicklung beeinträchtigen, ließen sich so eher vermeiden!

Bedeutende Testwiederholungseffekte können bei der Bestimmung unserer Grenzwerte und der Potentialschätzung ausgeschlossen werden. Ab Klassenstufe 8 stabilisiert sich der Unterschied zwischen G8 und G9.

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200

80

70

60 CI) t:: CI) 50 3: t-!

40

30

20

Heiner Rindennann

Entwicklung von KFT -Gesamt

nach Gymnasialtyp (nur T>60, Oberd. Begabte)

Ga

- <> " ~ ~~~----~--~- -----~

5 6

- , , G9

10 11

-

12 13

Abbildung 3: Entwicklung des allgemeinen Fähigkeitsniveaus bei überdurchschnittlich be­gabten Schülern im G8 und G9 (Daten 1992-2001, in G8 für Klasse 11-12 Kohorten 1-3, obere Linie G8, untere Linie G9).

In den oberen Klassenstufen sind die Fördereffekte hinsichtlich der kognitiven Fähigkeiten nicht so eindeutig (s. Abbildungen 2 und 3). Aber Hauptaufgabe der Schule ist es, Wissen und schulische Kompetenzen zu fordern, im weitesten Sinne schulische Leistungen. Und hier sind weitere kumulative Wissenszuwächse in Ab­hängigkeit von der Schulform zu erwarten (Schereneffekt).

Tabelle JO: Grenzwerte und Potential schätzung für die 8. Klasse (Nmax=179).

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust Prufungsangst Notenschnitt konj .

Mittel 66,35 49,91 40,14 2,48 -Grenzwert (+/- 1 s) >56,35 <59,91 <50,14 <3,00 -

%-Satz im G8 88% 78% 88% 77% 50%

%-Satz im G9 43% 71% 50% 65% 23%

Gemäß unserem Verfahren sind in der 8. Klasse 50% der G8-Schüler fur das achtjährige Gymnasium geeignet, aber nur 23% der Regelschüler. Der deutlichste Unterschied ist in den kognitiven Fähigkeiten beobachtbar (88% vs. 43%).

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Modelle und Ergebnisse der Potentialschätzung 201

Tabelle 11: Grenzwerte und Potentialschätzung für die 9. Klasse (Nmax=194).

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust PrUfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel 65,09 49,06 38,25 2,45 -

Grenzwert (+/- 1 s) >55,09 <59,06 <48,25 <3,00 -%-SatzimG8 91% 81% 91% 79% 56%

%-Satzim G9 46% 65% 51% 55% 15%

In der 9. Klasse vergrößert sich noch der Unterschied zwischen der achtjährigen (56%) und neunjährigen Schülerschaft (15%) hinsichtlich des Potentials, das für das G8 geeignet ist. In allen vier Prädiktorvariablen sind deutliche Unterschiede erkenn­bar.

Tabelle 12: Grenzwerte und Potentialschätzung für die 10. Klasse (Nmax=184).

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust Prüfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel (T-Werte) 63,45 49,55 36,05 2,47 -

Grenzwert (+/- 1 s) >53,45 <59,55 <46,05 <3,00 -

%-Satzim G8 90% 79% 93% 76% 52%

%-Satz im G9 44% 77% 49% 56% 21%

In Klasse 10 sind die Potentialschätzungen ähnlich, etwas mehr als die Hälfte der G8-Schüler erhält von uns auf grund der gewählten Kriterien eine positive Einschät­zung hinsichtlich der Eignung, aber nur ungefähr ein Fünftel der G9-Schüler.

Auffällig an unseren Schätzungen ist der relativ geringe Anteil von G8-Schülern, der auf grund der gewählten Annahmen für das achtjährige Gymnasium geeignet ist. Von den Schülern, die das achtjährige Gymnasium besuchen, werden in der Unter­und Mittelstufe nur zwischen 50% und 60% als dafür geeignet angesehen. Dies wi­derspricht der Beobachtung, daß mehr als diese 50-60% das achtjährige Gymnasium erfolgreich besuchen. Diese Diskrepanz läßt sich durch verschiedene Bedingungen erklären: (1) Wir gingen in unserem konjunktiven Modell von gegenseitiger Nichtkompen­

sierbarkeit aus. Allerdings ist nicht auszuschließen, daß bei sehr hoher Intelligenz auch bei schlechteren motivationalen Bedingungen noch ein erfolgreicher Abschluß möglich ist. Oder andauernder Fleiß und günstige Anregungsbedin­gungen können auch bei nur durchschnittlicher Intelligenz gute Schulnoten im G9-Maßstab bewirken.

(2) Unser Erfolgskriterium ist strenger als das des Gymnasiums. Nur Schüler mit einem Notenschnitt von besser als 3 und zumindest durchschnittlicher Intelli­genz, dazu die Sigmagrenzen in vier Variablen, wurde bei dieser Modellrechnung

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202 Heiner Rindennann

als geeignet eingeschätzt ein. Die konjunktive Verknüpfung läßt keine anderen Werte erwarten. 8

(3) Das Auswahlverfahren war nicht optimal. Es gab keine das Grundschulzeugnis objektivierende einheitliche Schulaufnahmeprüfung. Die Bewerbungszahlen wa­ren für konsequente Auswahl nach Fähigkeiten und Vorleistung zu gering. An einem Schul standort fehlte für Klassenstufe 5 und 6 ein Regelgymnasium. So wurden auch Schüler in ein Gymnasium mit besonderen Anforderungen aufge­nommen, die dafür gemäß der ursprünglichen Konzeption nicht vorgesehen und geeignet waren.

(4) Im Laufe des Schulmodellversuchs kam es zu einer curricularen Niveauabsen­kung. Die ursprünglich geplante Oberstufenkonzeption (vier Fächer auf Leis­tungskursniveau) wurde von mindestens zwei (50%) Schul standorten und vielen G8-Schülern verworfen (zu hohe Arbeitsbelastung, keine Honorierung der um­fangreicheren und besseren Leistungen im Abiturzeugnis oder bei der Vergabe von Studienplätzen).

(5) Von den in der 5. Klasse insgesamt 223 Schülern im G8 (1.-3. Kohorte, 4. Ko­horte legte erst 2002 das Abitur ab) machten nur 116 laut unseren Daten am achtjährigen Gymnasium Abitur (52%). Viele haben aufgrund leistungsunabhän­giger Gründe das G8 verlassen (Umzug der Eltern etc.), wenige sind in der Un­tersuchung "verloren" gegangen, etwa ein Drittel (von 223) dürfte aber zu den Abgängern aus Leistungs- und Interessengründen zählen.

Insofern ist unsere auf den ersten Blick skeptische Potentialschätzung nicht unre­alistisch! Im Schnitt über die Klassenstufen sind es im G8 53% und unter den G9-Schülern 29%. Allerdings sollte man die Kompensationsmöglichkeiten nicht außer acht lassen. In einer etwas abgeschwächten Variante haben wir deshalb solche Schüler, die deutlich überdurchschnittliche Intelligenz zeigen (KFT>65) oder nach­weislich gute Schulleistungen erzielen (Notenschnitt besser als 2) unabhängig von den Ausprägungen in anderen Merkmalen (bei KFT>65 unabhängig von Schulunlust, Prüfungsängstlichkeit und Notenschnitt; bei Notenschnitt<2 unabhängig von Intelli­genz, Schulunlust und Prüfungsängstlichkeit) als geeignet kategorisiert. Sie werden somit zusätzlich zu den bisher schon geeigneten Schülern in das G8-Potential aufge­nommen. Die Ergebnisse sehen dann günstiger aus (s. Zusammenfassung in Tabelle 13).

8 Die mittlere Prozentzahl von 53% für das achtjährige Gymnasium bei konjunktiver Verknüpfung liegt etwas oberhalb des bei Multiplikation der Selektionsraten von 84% (Mittelwert und eine Streu­ung in einer Richtung) erwartbaren Ergebnisses. Bei Multiplikation (.84x.84x.84x.84) erhielte man 50%. Der Wert ist nicht identisch, da die vier Prädiktoren untereinander korreliert sind (höhere Quote) und da wir zusätzlich absolute Mindeststandards hatten (niedrigere Quote). Zudem sind die Prädikto­ren nicht genau nonnalverteilt.

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Modelle und Ergebnisse der Potentialschätzung 203

Tabelle 13: Grenzwerte und Potentialschätzung für die Klassenstufen 5 bis 10.

Potentialschätzung G8-konj. G8-komp. G9-konj. G9-komp.

Klasse 5 49% 66% 42% 49%

Klasse 6 53% 68% 37% 43%

Klasse 7 57% 78% 34% 39%

Klasse 8 50% 74% 23% 33%

Klasse 9 56% 78% 15% 22%

Klasse 10 52% 73% 21% 30%

im Schnitt 53% 73% 29% 36%

Anmerkung: konjunktiv= "und"- bzw. "sowohl als auch"-Verknüpfung unserer Prädiktoren; kompen­satorisch= "oder" bzw. "entweder oder" in Intelligenz und Schulleistung.

Bei liberalerer Potentialschätzung steigt die Eignungsquote im hier evaluierten G8 auf 73%, im G9 verbleibt sie aber auf deutlich niedrigerem Niveau (36%). Drei Viertel der G8-Schüler wären somit für das achtjährige Gymnasium geeignet, aber nur etwas mehr als ein Drittel der G9-Schüler.

Modell 2: Erfolgreiche Abiturienten

Zunächst wurde der Abiturschnitt der G8-Abiturienten überprüft (Jahre 1999-2001, 1. bis 3. Kohorte). Von 116 Schülern im G8 liegen die Abiturendnoten vor, der Schnitt liegt bei 1,87 (Streuung SD=0,66, Streubreite zwischen 1,0 und 3,6). Das Abitur von fünf Schülern liegt unter 2,9 (3%), unter 2,4 liegen 24 (21 %), die Note 2 und schlechter haben 36 Schüler (31 %).

Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Bestimmung dessen, was ein erfolgrei­ches Abitur am achtjährigen Gymnasium ist. In einer sehr weiten Fassung könnte man all diejenigen Schüler als "erfolgreich" bezeichnen, die das Abitur im achtjähri­gen Gymnasium bestanden haben. Das Gymnasium mit achtjährigem Bildungsgang vertritt jedoch den Anspruch, überdurchschnittlich begabte Gymnasialschüler zu för­dern, was auch in der ursprünglichen Bezeichnung "Gymnasium mit besonderen An­forderungen" zum Ausdruck kam. Von den Schülern wurde erwartet, daß sie auch besonders gute schulische Leistungen erzielen können. Abiturnote und kognitives Fähigkeitsniveau korrelieren zu r=1.541 (G8- und G9-Schüler, bei G8 Schüler der Kohorten 1-3).

Im achtjährigen Gymnasium haben nur 21% (18 von 85) der Schüler bei über­durchschnittlicher Intelligenz (KFT-Gesamt-T-Wert~60) ein Abitur schlechter als 2,0 geschafft, alle Einserabiturienten bis auf eine Ausnahme zeigen ein kognitives Fähigkeitsniveau von T~60 (s. Tabelle 14). Von Schülern im achtjährigen Gymnasi­um würde man somit zurecht ein überdurchschnittliches Abitur erwarten. Im Regel­gymnasium haben wir in unserer Stichprobe einen Abiturschnitt von 2,2 (34 Schüler, SD=0,7). Die Abiturschnitte der Gymnasien in Baden-Württemberg liegen in den

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204 Heiner Rindennann

letzten Jahren um 2,3 bis 2,4. Ein gutes Abitur sollte in jedem Fall besser als der Schnitt im Regelgymnasium sein. Für G8-Gymnasiasten ist ein Abitur mit der Durchschnittsnote besser als 2 nicht unrealistisch.

Ein Abiturschnitt besser als 2 wäre von überdurchschnittlich begabten Schülern unschwer zu erreichen. Schulleistung hängt zwar nicht nur von Begabung, sondern auch von nichtkognitiven Persönlichkeitsmerkmalen sowie sozialen und schulischen Lernumfeldbedingungen ab, aber die substantielle Korrelation zwischen kognitivem Fähigkeitsniveau und Abiturnote sowie der im Vergleich zu anderen Prädiktorvari­ablen aussagekräftige Zusammenhang zwischen Abiturnote und Studienleistungen (r=.39; Rindermann & Oubaid, 1999) rechtfertigen es, die Abiturnote als Kriterium für die Potentialschätzung heranzuziehen. Für den Grenzwert "Einserabitur" (Abitur besser als 2,0) spricht die Überdurchschnittlichkeit im Vergleich zum Landesschnitt und das inhaltliche Kriterium "sehr gut". Und eine Abiturnote von besser als 2 (ein nicht unangemessen strenger Grenzwert, angesichts der Tatsache, daß für eine Reihe von Studiengängen im Numerus Clausus bessere Noten erwartet werden) ist für ei­nen ausreichend hohen Prozentsatz von Abiturienten erreichbar (hier im G8 sind es 69% aller Abiturienten, im G9 immerhin noch 38%).

Tabelle 14: Beziehung zwischen Abitumote und kognitivem Fähigkeitsniveau (absolute Häufigkeiten, bivariate Häufigkeitsmatrix).

KFT -Gesamtwert

70-80 65-69 60-64 50-59 20-49

1,0-1,9 49 14 4 I

Abitur- 2,0-2,4 4 I I 2 note 2,5-2,9 3 3 3 4 3

3,0-4,0 I 2 2

Anmerkung: nur Schüler des G8 mit Daten im KFT und Abitur, 1.-3. Kohorte Daten 1999-2001, KFT: Mittel aus Klassenstufen 1l und 12, N=97, leere Zellen=keine Schüler, r=-.60.

Im folgenden wurden nun für die Potentialschätzung die Werte der 80 erfolgrei­chen G8-Abiturienten (69% aller G8-Abiturienten der 1. bis 3. Kohorte) berücksich­tigt. Als Grenzwerte wurden die Mittelwerte der Einser-Abiturienten im G8 in den Klassen 5 bis 10 in KFT -Gesamtleistung, Schulunlust, Prüfungsängstlichkeit und im Notenschnitt herangezogen. Der Grenzwert wurde eine Standardabweichung "leich­ter" unter ihrem Mittelwert (T=IO, bzw. im Notenschnitt eine empirische Standard­abweichung) festgelegt. Die einzelnen Grenzwerte wurden nach der konjunktiven Verknüpfimg (Variante 1, "und") mit relativ strengen Grenzwerten kombiniert. Das Verfahren ist identisch mit Variante 1 (s.o.), nur die Grenzwerte wurden hier über die Abiturienten ermittelt, die Grenzwerte sind deshalb strenger. Mindeststandards wa­ren nicht nötig.

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Modelle und Ergebnisse der Potentialschätzung 205

Tabelle 15: Grenzwerte und Potentialschätzung für die 5. Klasse (Abiturkriterium).

Prädilctoren KFT -Gesamt Schulunlust Prüfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel 61,51 46,40 42,22 1,71 -

Grenzwert (+/- 1 s) >51,51 <56,40 <52,22 <2,22 -

%-Satz im G8 73% 83% 80% 52% 26%

%-Satz im G9 59% 89% 73% 34% 23%

Die Durchschnittswerte im kognitiven Fähigkeitsniveau und im Notenschnitt sind hier deutlich strenger oder höher als bei Heranziehung der G8-Schüler in Klasse 5 (s. Tabelle 6). Der Grenzwert ist jedoch nur beim Notenschnitt bedeutend strenger (in KFT-Gesamt griff zuvor, in Tabelle 6, der von uns inhaltlich festgelegte absolute Mindeststandard von T=50). Der höhere Notenschnittgrenzwert fuhrt aber bei der Eignungsquote zu recht geringen Prozentzahlen (26% im G8 und 23% im G9).

Tabelle 16: Grenzwerte und Potentialschätzung für die 6. Klasse (Abiturkriterium).

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust Prüfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel 66,34 47,73 41,35 1,89 -

Grenzwert (+/- I s) >56,34 <57,73 <51,35 <2,33 -

%-Satz im G8 72% 85% 81% 52% 33%

%-Satz im G9 47% 84% 77% 50% 24%

In der 6. Klasse sind die Grenzwerte in KFT -Gesamt und im Notenschnitt im Vergleich zu Tabelle 7 deutlich strenger. Ein Drittel bzw. ein Viertel der Schüler im G8 bzw. G9 wären nach diesen Berechnungen fur das achtjährige Gymnasium ge­eignet (Tabelle 16).

Während sich die Werte im G8 in den Klassenstufen 7 bis 9 jeweils bei einem Drittel stabilisieren, nehmen die Eignungsquoten im G9 stetig ab (Tabellen 17 bis 20).

Tabelle 17: Grenzwerte und Potentialschätzung für die 7. Klasse (Abiturkriterium).

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust PTÜfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel 68,75 46,64 41,41 1,87 -

Grenzwert (+/- 1 s) >58,75 <56,64 <51,41 <2,34 -

%-Satz im G8 75% 75% 79% 49% 31%

%-Satz im G9 32% 64% 66% 33% 14%

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206 Heiner Rindennann

Tabelle 18: Grenzwerte und Potentialschätzung fllr die 8. Klasse (Abiturkriterium).

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust Prüfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel 69,86 48,17 39,26 2,01 -Grenzwert (+/- 1 s) >59,86 <58,17 <49,26 <2,49 -

%-Satz im G8 77% 78% 88% 51% 33%

o/o-Satz im G9 24% 71% 50% 33% 16%

In der achten Klasse ist nach unseren Berechnungen ein überdurchschnittliches Fähigkeitsniveau erforderlich. 77% der GS-Gymnasiasten erreichen dies, aber nur 24% der G9-Gymnasiasten. Aufgrund der konjunktiven Verknüpfung resultieren bei der Gesamtverrechung relativ niedrige Eignungsquoten.

Tabelle 19: Grenzwerte und Potentialschätzung flir die 9. Klasse (Abiturkriterium).

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust Prüfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel 67,69 47,41 37,42 2,00 -

Grenzwert (+/- I s) >57,69 <57,41 <47,42 <2,49 -

%-Satzim G8 88% 81% 91 % 52% 37%

%-Satzim G9 39% 65% 51% 34% 11%

Tabelle 20: Grenzwerte und Potentialschätzung fur die 10. Klasse (Abiturkriterium).

Prädiktoren KFT-Gesamt Schulunlust PrUfungsangst Notenschnitt konj.

Mittel (T-Werte) 66,92 47,41 35,49 1,94 -Grenzwert (+/- 1 s) >56,92 <57,41 <45,49 <2,40 -%-Satzim 08 80% 79% 93% 47% 29%

%-Satzim 09 30% 77% 49% 23% 8%

In der 10. Jahrgangsstufe schwanken die Schätzquoten bei etwa einem Drittel im achtjährigen Gymnasium und etwa einem Zehntel im neunjährigen Gymnasium. Vor allem die strengen Notenniveaus drücken hier auf die Eignungsquoten.

Tabelle 21: Grenzwerte und Potentialschätzung fur die Klassen 5 bis 10 (Abiturkriterium).

Potentialermittlung G8-konj. G9-konj.

Klasse 5 26% 23%

Klasse 6 33% 24%

Klasse 7 31% 14%

Klasse 8 33% 16%

Klasse 9 37% 11%

Klasse 10 29% 8%

im Schnitt 32% 16%

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Modelle und Ergebnisse der Potentia)schätzung 207

Bei konjunktiver Verknüpfung (das heißt, es müssen in allen 4 Prädiktorvariablen gute Werte erzielt werden, "und") bewegen sich die Eignungsquoten im G8 bei 32% und im G9 bei 16%. Das Kriterium Mittelwerte (± einer Streuung) in Klassen 5-10 später erfolgreicher Abiturienten erweist sich somit als deutlich strenger als das des Durchschnittswerts in gegebenen G8-Klassen plus jeweils einer Standardabweichung und die Verwendung absoluter Mindeststandards. Sind diese Werte zu streng? Wie oben schon diskutiert ist die Annahme der Nichtkompensierbarkeit wenig realistisch. Gute Schulleistungen und ein gutes Abitur sind bei mittlerem Fähigkeitsniveau auch durch besonderes Engagement erzielbar. Hohe oder sehr hohe Intelligenz kann weit­gehend motivationale Defizite ausgleichen. Zudem sind unsere Verfahren nicht ab­solut meßgenau und valide. Und Schüler können sich durch den Besuch des Gymna­siums und den Einfluß dieser Lernumwelt - egal ob G8 oder G9 - positiv entwi­ckeln. Die Prädiktionskraft ist hoch, der Zusammenhang aber nicht perfekt. Außer­dem darf nicht übersehen werden, daß das Auswahlverfahren nicht optimal war und so im achtjährigen Gymnasium einige Schüler waren, die aufgrund von Überforde­rung oder fehlendem Engagement den achtjährigen Zug wieder verließen und in die parallele Klasse des neunjährigen Regelgymnasiums wechselten, was somit ohne Klassenwiederholung möglich war.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Je nach Klassenstufe und methodischem Zugang bzw. Modellberechnung ergeben sich unterschiedliche Potential schätzungen für das achtjährige Gymnasium. Zwi­schen 16%,29% und 36% (im Mittel 27%) der Schüler des Regelgymnasiums wären demnach für das G8 geeignet. Zum Vergleich: Nach den gleichen Kriterien und Be­rechnungsmethoden erwiesen sich 32%,53% oder 73% (im Mittel 53%) der Schüler des untersuchten achtjährigen Gymnasiums als für diese Schulform tauglich. Die Zahlen der Geeigneten aus dem Regelgymnasium schwanken weniger und bewegen sich bei knapp einem Drittel der G9-SchÜlerschaft. Eine Eignungsquote von etwas mehr als der Hälfte der Schüler im achtjährigen Gymnasium entspricht ungefahr dem Anteil der G8-Schüler, der an diesen Schulen Abitur gemacht hat.

Die Einteilung auf grund des KFT -Gesamtniveaus ist etwas trennschärfer in dem Sinne, daß Unterschiede zwischen den verschiedenen Schülergruppen stärker ak­zentuiert werden: Anhand des KFT -Gesamtwertes beurteilt, wären 85% oder 78% (Abitur) der G8-Schüler und 51 % oder 38% (Abitur) der G9-Schüler für den Besuch des achtjährigen Gymnasiums geeignet (Mittel über die Klassenstufen 5 bis 10). In Klasse 5 spiegelt sich hier ein gewisser Erfolg des Auswahlverfahrens wider, in hö­heren Klassenstufen auch der selektive Abgang von Schülern mit geringeren kogniti­ven Fähigkeiten (Überforderung) und ein erwünschter Fördereffekt: nämlich die För­derung begabter Gymnasiasten.

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208 Heiner Rindennann

Unabhängig von der Frage, wieviel Prozent eines üblichen Gymnasialjahrganges filr das achtjährige Gymnasium geeignet wären (ca. 27% als Mittelwert aller drei Potentialschätzungsmethoden), interessiert aber aus praktischen Überlegungen die Frage, wieviel und welchen Schülern man zu Beginn der gymnasialen Karriere einen Übertritt ins G8 empfehlen könnte. Sofern man dabei ein breites Notenspektrum von 1 bis 4 in Kauf nimmt und der Übergang ins G8 direkt nach der vierjährigen Grund­schule bei sorgfältiger Schülerauswahl (Schuleignungsfeststellung) erfolgt, wäre maximal die Hälfte der jetzigen G9-Schülerschaft in Baden-Württemberg filr die hier evaluierte G8-Modellversion als geeignet einzustufen. Auch die liberale Potential­schätzung verzeichnet jedoch in den Folgejahren kontinuierlich zurückgehende G8-Eignungsquoten (vgl. Tabelle 13 oben), was mit überwiegend kumulativen Wissens­zuwächsen lempsychologisch zu erklären ist (ausfiihrlicher vgl. S. 27ff. in diesem Buch). Insofern empfiehlt sich filr G8-geeignete Schüler fast immer ein frühzeitiger Übertritt in diese Schulform.

Der damit verbundene Wechsel in eine anspruchsvollere Lemumgebung würde die betr. Schüler in ihrer kognitiven Entwicklung nachhaltig f6rdern und im fähig­keitshomogeneren Lemverband rur ihre Persönlichkeitsentwicklung wichtige Sozia­lisationserfahrungen ermöglichen.

Schlußfolgerungen für das achtjährige Gymnasium

Die Frage nach dem Umfang des filr das achtjährige Gymnasium geeigneten Schü­lerpotentials wurde anhand verschiedener Modellberechnungen empirisch zu beant­worten versucht. Für die Schülermerkmale in kognitiven Fähigkeiten, emotionalen bzw. motivationalen Lembedingungen und Schulleistungen wurden Grenzwerte ori­entiert an Mittelwerten im achtjährigen Gymnasium und erfolgreichen Abiturienten mit entsprechenden Konfidenzintervallen und Mindeststandards in verschiedenen Verknüpfungsvarianten festgelegt. Danach könnte ein Viertel des derzeitigen gymna­sialen Schülerjahrgangs in Baden-Württemberg erfolgreich das achtjährige Gymna­sium in der hier evaluierten Modellkonzeption besuchen. Unter Berücksichtigung der neuen Rahmenbedingungen in der gymnasialen Oberstufe (Kriteriumsmodifikation) sowie einer liberalen Potentialschätzung (s. Tabelle 13 oben) kann ein G8-Erfolg bei bis zu 50% der Regelgymnasiasten nicht ausgeschlossen werden, sofern der Übertritt sofort nach der Grundschule ins G8 erfolgt und ein höheres Erfolgsrisiko in Kauf genommen wird, d.h. eine Variation des Erfolgskriteriums über das gesamte Noten­spektrum toleriert wird. Mit zunehmender Schulbesuchsdauer im G9 reduzieren sich jedoch die Eignungsquoten filr das G8, was mit dem bekannten Schereneffekt bzw. kumulativen Lemfortschritten - vor allem in heterogenen Lemgruppen - zusammen­hängt.

Bei Heranziehung erfolgreicher Abiturienten des achtjährigen Gymnasiums (s. Tabelle 15) als Maßstabsorientierung bzw. strengeren Anforderungskriterien redu-

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Modelle und Ergebnisse der Potentialschätzung 209

ziert sich erwartungsgemäß die Potentialschätzquote für das G8 auf 23%. Erklärbar wird dies dadurch, daß die zu Beginn der G8-Karriere gemessenen Fähigkeitsprofile in den ersten drei bis vier Schulbesuchsjahren dieser Gymnasialform (insbesondere im sprachlichen Fähigkeitsbereich) dank der größeren Herausforderung im G8 noch eine deutliche Niveausteigerung erfahren, wodurch der Vergleichsmaßstab des G8 ab der 7. oder 8. Jahrgangsstufe deutlich strenger ausfällt. Für schwächere Schüler wür­de diese Art der Förderung jedoch eher eine Überforderung darstellen.

Die eingangs des Kapitels gestellte Frage kann nunmehr dahingehend zusammen­fassend beantwortet werden, daß zu Beginn der gymnasialen Karriere (d.h. nach der vierjährigen Grundschule) rund ein Viertel der jetzigen G9-Population mit guten Erfolgsaussichten bzw. maximal die Hälfte der G9-Schülerschaft mit höherem Er­folgsrisiko die Lernanforderungen im hier untersuchten G8-Modell bewältigen könnte. Bei einem späteren Wechsel vom G9 ins G8 verringern sich jedoch die Eig­nungsquoten zunehmend, was vor allem lernpsychologisch mit kumulativen Wis­senszuwächsen bei ansteigendem Komplexitätsgrad der Bildungsinhalte auf höherem Anforderungs- bzw. Qualifikationsniveau zu erklären ist (ausführlicher vgl. Heller, 2001; Renkl, 1996). Unter diesem Gesichtspunkt wäre ein frühzeitiger Übertritt (di­rekt nach der Grundschule) ins achtjährige Gymnasium empfehlenswert, ohne daß bei entsprechender Entwicklungsakzeleration den betreffenden Schülern des Regel­gymnasiums ein späterer Wechsel verwehrt werden sollte.

Alle hier dargestellten Ergebnisse der Potentialschätzung unterstellen, daß die im Zeitraum der Untersuchung (1992-2001) für das G8 gültigen Ziel- und Anforde­rungskriterien keinen substantiellen Veränderungen in absehbarer Zeit unterliegen. Bei einer Niveausenkung bisheriger Abituransprüche wären trivialerweise höhere Eignungsquoten zu erwarten.

Konsequenzen für Bildung, Ausbildung und Schulforschung

Wir haben versucht darzustellen, daß unter Eignung für ein achtjähriges Gymnasium Unterschiedliches verstanden werden kann und die Antwort auf die Frage nach dem Potential für einen achtjährigen Bildungsgang von dem gewählten theoretischen, methodischen oder pragmatischen Zugang abhängt. Wir haben uns bei den Potential­schätzungen vor allem an den Merkmalen der Schülerschaft an den ersten vier G8-Pilotschulen unter Einbezug begabungspsychologischer Überlegungen orientiert. Innerhalb dieses Rahmens bestimmten wir Eignungsquoten mittels unterschiedlicher Methoden, deren Ergebnisse bei ca. einem Viertel der gymnasialen Schülerschaft (nicht der Gesamtschülerschaft eines Jahrgangs!) konvergieren. Diese Zahl (Wert 27%) liegt nur geringfügig über der von Kaiser (1997; Kaiser & Kaiser, 1998) in Rheinland-Pfalz für eine "Begabtenförderung mit Schulzeitverkürzung" geschätzten Eignungsquote von 20-25% eines Gymnasialjahrgangs. Der tatsächliche Übertritts­anteil nach der Grundschule kann aber durchaus etwas höher sein, da von größerer

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210 Heiner Rindennann

Abwärts- als Aufwärtsmobilität im Laufe der Schulzeit ausgegangen werden muß. Zudem sind Entscheidungen aufgrund der Meßungenauigkeit von Schulnoten und der prinzipiellen Begrenztheit von Entwicklungsvorhersagen nie fehlerfrei. Wählt man eine etwas über 25% liegende Quote, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, alle Geeigneten aufgenommen zu haben bei noch eingrenzbarem Risiko, Nichtgeeignete mitaufzunehmen. Ein etwas zu großer Übertrittsanteil von einem Drittel unter den Gymnasiasten ist weniger problematisch als etwa Übertrittsfehlentscheidungen zwi­schen Hauptschule, Realschule und Gymnasium: Schüler im G8 wissen, daß sie an einem Bildungsgang mit besonderen Anforderungen teilnehmen. Dies unterstützt ein positives Selbstkonzept, was sich auch an den Evaluationsergebnissen ablesen läßt (vgl. Kapitel 4 in diesem Buch). Ein Verlassen des G8 braucht nicht als Schulversa­gen aufgefaßt zu werden, da überforderte Schüler ohne späteren Qualifikationsnach­teil ins neunstufige Regelgymnasium an der gleichen Schule wechseln können. G8 und G9 bieten den gleichen Schulabschluß: das Abitur als allgemeine Hochschulzu­gangsberechtigung.

Nach welchem Aufnahmeverfahren sollten die Schüler fiir ein achtjähriges Gym­nasium ausgewählt werden? Grundschulleistungen stellen einen guten Prädiktor fiir den Schulerfolg in der Sekundarschule dar (Sauer & Gamsjäger, 1996). Grundschul­noten allein reichen aber nicht aus: Lehrer vergeben Noten relativ zum Klassen­bzw. Schulniveau. Zwischen einzelnen Klassen und Schulen bestehen jedoch bedeu­tende Leistungsunterschiede. Für Hamburger Grundschulen stellten z.B. R. Leh­mann, Peek & Gänsfuß (1997, S. 57) mittels objektiver Schulleistungstests fest: "Zwischen den schwächsten Schülerinnen und Schülern in den leistungsstärksten Klassen und den besten Schülerinnen und Schülern in den leistungs schwächsten Klassen bestehen kaum noch Überschneidungen." Je stärker das Leistungsniveau einer Klasse ist, um so eher erreicht ein Kind zwar objektiv, in einem Test feststell­bare, bessere Schulleistungen, um so schwieriger ist es aber fiir das gleiche Kind, eine gute Schulnote zu erzielen. Ein durchschnittlich leistungsstarkes Kind bekäme somit in einer schwachen Grundschulklasse eine Gymnasialempfehlung, in einer starken Grundschulklasse jedoch nur eine Hauptschulempfehlung (R. Lehmann et al., 1997, S. 81ff.). Das Leistungsniveau von Grundschulen wiederum ist abhängig von der Bildungsnähe der Eltern im Einzugsgebiet. Zudem gibt es weitere spezifische Benachteiligungen oder Bevorteilungen bei der Vergabe von Grundschulnoten und Übertrittsempfehlungen (R. Lehmann et al., 1997): Kinder mit Eltern ohne Abitur müssen objektiv höhere Grundschulleistungen rur eine Gymnasialempfehlung erbringen, der fur Ausländerkinder geltende Standard ist deutlich niedriger, Kinder alleinerziehender Mütter müssen besonders hohe Hürden nehmen usw. Standardi­sierte Schulleistungstests (vgl. Heller & Hany, 2001) oder auch Intelligenztests (zur Identifizierung begabter Underachiever) sind zur Verbesserung der Übertrittsent­scheidung und Erfolgsprognose sowie oft auch aus ethischen Gründen indiziert. So­wohl Unterforderung als auch Überforderung kann rur das Kind eine ungünstige Per­sönlichkeitsentwicklung zur Folge haben (Holler & Hurrelmann, 1991).

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Modelle und Ergebnisse der Potentia)schätzung 211

Zusätzlich können nichtkognitive Persönlichkeitsmerlanale wie Schulunlust oder Prüfungsängstlichkeit in einem Aufnahmeverfahren diagnostiziert werden. Sie soll­ten aber weniger der Auswahl, als vielmehr Lernstandsanalysen bei einzelnen Schü­lern und der anschließenden Beratung von Kindern und Eltern (durch Beratungsleh­rer oder Schulpsychologen) dienen. Wären problematische Diagnosebefunde Folge schlechter Schulleistungen, hätte man diese Schüler in den meisten Fällen schon zu­vor identifiziert. Wären sie jedoch auf ungünstige und (ohne Beratung) stabile elter­liche Erziehungsstile zurückzuführen, ist durch rechtzeitige Intervention und geeig­nete Fördermaßnahmen eine positive Veränderung erzielbar mit günstigen Auswir­kungen auf spätere Schulleistungen und die Befindlichkeit der Kinder!

Grundschulnoten und Intelligenz- oder Schulleistungstestergebnisse sollten bei positiven Extremwerten disjunktiv ("entweder oder", kompensatorisch), im Normal­bereich konjunktiv ("sowohl als auch") verknüpft werden. Bei Vorliegen zuverlässi­ger Informationen lassen sie sich gewichten. Die Entscheidung, ob eine Aufnahme in das achtjährige Gymnasium möglich ist, muß durch das aufnehmende Gymnasium getroffen werden. Hinsichtlich der zu verwendenden Tests und V erfahren sollten verbindliche Richtlinien vorliegen.

Bei einem Viertel bis einem Drittel eines Gymnasialjahrgangs wäre es möglich, an den meisten Gymnasien einen achtjährigen Zug (A-Zug) neben den üblichen neunjährigen Parallelklassen einzurichten. Überforderte Schüler aus G8 könnten ins G9 wechseln, "Sitzenbleiben" sollte prinzipiell in einem Zug der Begabtenforderung und Schulzeitverkürzung ausgeschlossen sein. Voraussetzung hierfür ist leichte Wechselmöglichkeit ins G9. Die Durchlässigkeit sollte genauso "nach oben" beste­hen, d.h. Schülern mit sehr guten Schulleistungen und/oder hohen kognitiven Fähig­keiten sollte automatisch der G8-Zug empfohlen werden. Das Abitur und die Bil­dungs inhalte des achtjährigen Gymnasiums müssen - bei möglicher und notwendiger Vertiefung und weitergehender wissenschaftlicher Propädeutik - jedoch notenmäßig äquivalent zu dem des neunjährigen sein, oder präziser, notenmäßig gleichwertig: Höhere Performanz sollte mit besseren Noten einhergehen, gleicher Leistungsstand mit gleichen Noten. Ein zusätzlicher G8-Vermerk im Zeugnis wäre sinnvoll. Hoch­schulen und Arbeitgeber setzen zunehmend auf hochqualifizierte junge Absolventen. G8-Abiturienten dürften deshalb in ihrem weiteren Studium und beruflichen Werde­gang besondere Chancen haben. Dies müßte auch öffentlich über den G8-Zug kom­muniziert werden, wobei die Frage der Begabtenforderung hierbei der Expertisierung bzw. dem Leistungskriterium unterzuordnen wären.

Die Wahl einer Schulform hängt von persönlichen Fähigkeiten und Interessen, den Anregungen und Orientierungen im Elternhaus, aber auch von praktischen Randbedingungen wie Nähe zum Wohnort, Ruf einer Schule, Entscheidung der Freunde etc. ab. Das Angebot eines achtjährigen Gymnasiums mit besonderen An­forderungen aus institutioneller Sicht wird aber auch von der Nachfrage bestimmt. Aufgrund unserer Schätzungen könnte jeder vierte bis dritte Schüler eines Gymnasi­ums diesen Zug besuchen. Bei drei oder vier Parallelklassen einer Schule wäre somit

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ein G8-Zug möglich. Ein G8-Zug neben einem G9-Zug wäre aufgrund der Schul­zeitverkürzung sicherlich für viele attraktiv. Die Erfahrungen zeigen aber, daß unter­schiedliche Anforderungen im Abitur ohne Bonuspunkte schulpraktisch nicht um­setzbar sind: Die Schüler wählen lieber die Variante, unter der sie mehr Punkte bzw. einen besseren Abiturschnitt erhalten können. Eine einheitliche Oberstufe, gegebe­nenfalls mit dem Angebot, ein oder zwei Kurse zusätzlich auf Leistungskursniveau zu besuchen bei späterer Wahlmöglichkeit der als Leistungskurs anrechenbaren Kur­se, ist wohl die einzig realisierbare Lösung bei Konkurrenz zwischen G9 und G8 bzw. gleicher Wertigkeit des Abschlusses. Ein G8-Zug mit besonderen Anforderun­gen neben einem normalen G8-Zug dürfte sich wohl nur bei institutioneller Trennung in verschiedenen Schulen (unterschiedliche Reputation) oder bei Vereinigung unter jeweils einem Dach bei entsprechender Honorierung der Teilnahme und Attraktivität des besonderen Angebotes praktisch bewähren. Zur Attraktivität könnten spezifische Angebote wie Schüleraustausch mit renommierten Partnerschulen im Ausland, mehr künstlerische oder musische Anteile, Fächer mit Experimenten und Feldstudien, im Hochschulstudium anrechenbare Kursmodule etc. zählen. Sollten höhere Leistungen verlangt werden, müssen sich diese in entsprechenden Jahresendnoten widerspiegeln.

Wird ein achtjähriges Gymnasium über die von uns fiir geeignet eingeschätzten 25 bis maximal 33% eines derzeitigen Gymnasialjahrganges ausgedehnt, müßten zur Vermeidung von negativen Begleiterscheinungen wie Überforderung oder Dauerler­nen Veränderungen vorgenommen werden.

Wie lassen sich Eignungsquoten oder Schülerpotentiale für einzelne Bildungsgän­ge - unabhängig vom Spezialfall eines achtjährigen Gymnasiums - verändern?

Die G8-Eignungsquote ließe sich etwa durch Unterrichtsvermehrung erhöhen. Mehr Unterricht erbringt in der Regel ein höheres Leistungsniveau. Dazu zählen auch Extrastunden fiir schwache Schüler und Nachhilfe, die, da Lernzeitunterschiede ähnlich stabil wie Begabungsunterschiede sind (Baumert et al., 1986), konstant an­geboten werden müßten. Schulinterne und schulexterne Unterrichtsvermehrung re­duzieren jedoch die freie Zeit, können zu dem zu vermeidenden Dauerlernen fiihren und wären fiir leistungsstarke Schüler überflüssig. Zudem steigt die Leistungsfähig­keit nicht proportional zum Umfang investierter Zeit (sinkender Grenznutzen). Schulexterne Unterrichtsvermehrung kann ein Begleitphänomen individueller Über­forderung, institutioneller Defizite oder überzogener Leistungsorientierung sein. Er­scheinungen wie Jurarepetitorien an Universitäten oder die in Japan üblichen Nach­mittagsprivatschulen ("Juku") belegen dies nachdrücklich.

Fähigkeiten der Schüler - die zentral für die Potential schätzung sind - ließen sich aber auch durch verbesserten Unterricht oder Frühfärderung, etwa im Kindergarten und natürlich im Grundschulbereich, erhöhen.

Auch epochale Veränderungen in der Gesellschaft wie zunehmende Verstädte­rung mit damit einhergehendem höheren Anregungsgrad, Änderungen familialer Strukturen (Familiengröße, Alleinerziehende, Scheidungen), Zunahme an Medien­konsum, leichtere Zugänglichkeit von Information (etwa Internet), säkulares Intelli-

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Modelle und Ergebnisse der Potentialschätzung 213

genzwachstum (Flynn, 1987), Verbreitung von Computern oder ein verbessertes Bil­dungsklima sowie Änderungen in der sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung (Altersverteilung, Einwanderung) haben positiven oder negativen Einfluß auf Eig­nungsquoten für unterschiedliche Schulfonnen.

Eignungsquoten werden aber auch durch Niveausenkung oder -erhöhung verän­dert. Taktiken der Leistungsverschleierung, wie etwa ein Verzicht auf Zentralabitur oder jährliche Schulleistungstests beeinträchtigen klare inhaltliche Orientierungen. Die Intransparenz der Qualität im deutschen Bildungswesen schadet auf Dauer aber Schülern und Gesellschaft.

Wie sieht das Potential rur die beiden anderen Varianten des achtjährigen Gymna­siums aus? Für Variante 2, wie sie jetzt in Baden-Württemberg im erweiterten Rah­men praktiziert wird, und rur die geplante Variante 3, ein achtjähriges Gymnasium als Regelgymnasium? In Abhängigkeit von der Wahl der Bildungsinhalte und des Ausbildungsniveaus sowie bei positiver Beeinflussung von Unterrichtsqualität und Unterrichtsquantität liegen die Eignungsquoten höher oder niedriger. Bleiben Fähig­keitseingangsniveau der Schüler, objektiver Abiturleistungsstand und Bildungsziele konstant, sind bei Gesamtstundenzahlverkürzung negative Verdichtungseffekte nicht auszuschließen: Mehr Schüler werden überfordert, notwendige Zeit für nicht­curriculare Tätigkeiten im Unterricht (wie Interaktion, Diskussion, Bewältigung so­zialer Probleme) geht verloren.

Systemvergleichende Studien zwischen Bundesländern mit (regulären) achtjähri­gen vs. neunjährigen gymnasialen Bildungsgängen, die Aussagen über die Äquiva­lenz im Leistungsniveau der Schüler beider Gymnasialfonnen gestatten, fehlen bis­lang. Entweder wurde der Leistungsaspekt ausgeklammert - so in der GEW -Studie von Thüringen (2000) - oder es werden indirekte Schlüsse von nationalen bzw. in­ternationalen Schulleistungsstudien (z.B. TIMSS oder PISA) auf diese ursprünglich nicht intendierte Fragestellung gezogen. Zudem sind Unterschiede zwischen den einzelnen Fächern unübersehbar (Baumert & Watennann, 2000): Im Fach Mathema­tik wird etwa in der 13. Klassenstufe kaum noch dazu gelernt, die Lernprozesse stag­nieren; im Fach Physik hingegen wurde in Klasse 13 noch ein Lernzuwachs regi­striert. In den neuen Bundesländern wird weniger streng benotet usw. Viele öffentli­che Äußerungen dazu bewegen sich im Bereich der bloßen Spekulation. Systemati­sche, umfassende Studien, die die Qualität von Schulausbildung über die unter­schiedlichen Bundesländer, Fächer, Selektivitäten eines Jahrganges zum Abitur, Ab­wählbarkeiten von Fächern, Belegungsvarianten von Grundkurs oder Leistungskurs eines Faches, über die einzelnen Schulen, Abiturorganisationsfonnen (zentrale vs. dezentrale Abiturprüfungen) etc. untersuchen, fehlen. Nur ausschnitthaft rur einzelne Fächer oder Bundesländer liegen Infonnationen vor. Verbindliche Aussagen hin­sichtlich der Qualitätssicherung gymnasialer Bildungsansprüche und der Sicherung der Studierfahigkeit durch das Abitur sind so kaum möglich. Das einzig mehr oder weniger Sichere ist im mehrjährigen Abstand ein Erschrecken bei Ergebnispräsenta­tionen internationaler Vergleichsstudien wie nach TIMSS und PISA.

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214 Heiner Rindermann

Es müßte aus diesem Grunde ein politisch unabhängiges Schulforschungszentrum etabliert werden, das unter Einbezug der Schülerausgangsbedingungen die Qualität unterschiedlicher Bildungsgänge und verschiedener Varianten innerhalb dieser wis­senschaftlich untersucht, Ergebnisse der Forschung den Kultusministerien, den Schulen, Eltern und der Öffentlichkeit frei zugänglich macht und aus Resultaten die­ser Studien Vorschläge für die Schulentwicklung formuliert. Dies müßte auf ver­schiedenen Klassenstufen und für verschiedene Bildungsabschlüsse durchgeführt werden. Im Hinblick auf die Qualitätssicherung des Abiturs - um sowohl Leistungs­gerechtigkeit als auch Unterrichtsbedingungen und Bildungsniveau zu verbessern -wären unter Wahrung von notwendigen Handlungsspielräumen und Profilbildungen bundesweit und landesweit einheitliche Prüfungselemente zu berücksichtigen, wel­che den Kernbereich gymnasialen Wissens und gymnasialer Kompetenzen abdecken. Nicht zuletzt müßte (mit Ausnahme der Einschulung) überlegt werden, ob zukünftig die aufnehmende Institution nicht einen stärkeren Einfluß auf die Auswahl geeigne­ter Schüler nehmen sollte, so daß nicht mehr die abgebende Institution oder - wie in manchen Bundesländern - die Eltern allein über die Eignung aufzunehmender Schüler entscheiden.

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KAPITEL 8

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

Kurt A. Heller, Heinz Neber, Ralph Reimann & Heiner Rindermann

Begabtenförderung als Komponente gymnasialer Bildung

Die in diesem Buch berichteten Forschungsergebnisse basieren auf einer zehnjähri­gen Längsschnittstudie, die im Zeitraum von 1992 bis 2001 durchgefiihrt wurde. Zu­nächst werden im ersten Kapitel Perspektiven gymnasialer Begabtenforderung auf­gezeigt. Ausgehend von gesellschaftlichen und individuellen Veränderungen (z.B. im Erleben und Verhalten) in modernen Informations- bzw. Kommunikationsgesell­schaften werden Konsequenzen fiir den Bildungsauftrag des Gymnasiums diskutiert. Aus dem im Art. 3 GG verbrieften individuellen Anspruch auf Chancengleichheit oder - präziser - Chancengerechtigkeit in der schulischen (und familiären) Soziali­sation erwächst eine gesellschaftliche Verantwortung jedem einzelnen gegenüber, die die Förderung aller Begabungspotentiale einschließt. Angesichts unleugbarer Fähig­keits- und Interessenunterschiede entsteht hierbei zwangsläufig ein gewisses Span­nungsverhältnis zum Bildungspostulat interindividueller Divergenzauflösung bzw. Gleichheitsgedanken im modernen Demokratieverständnis. Das Recht auf Chancen­gerechtigkeit im Bildungswesen muß somit differenzierter betrachtet werden als es in öffentlichen Diskussionen vielfach geschieht.

Ausführlicher werden dann im ersten Kapitel scheinbare Widersprüche zwischen der Intelligenz- und Kreativitätsforderung im schulischen Kontext aufgezeigt sowie Argumente fiir eine "Passung" zwischen den sozialen Lernumwelten und den unter­schiedlichen individuellen Lernbedürfnissen von (Gymnasial-)Schülern wissen­schaftlich begründet. Unter der Prämisse, den gymnasialen Bildungsauftrag als Funktion der Persönlichkeitsentwicklung und der Qualitätssicherung individueller Ausbildungs- und Berufschancen zu legitimieren, werden schließlich fünf Thesen zum Bildungsauftrag des Gymnasiums aus begabungs- und lernpsychologischer Per­spektive diskutiert. Diese gipfeln in der bildungspolitischen Forderung, trotz not­wendiger aktueller Reform- und Innovationsmaßnahmen - nicht zuletzt auf grund der aktuellen internationalen Schulleistungsvergleichsstudien (z.B. TIMSS und PISA) -die humanistische Bildungstradition des Gymnasiums als Orientierungsrahmen nicht aus dem Auge zu verlieren, was mit der jüngst wieder häufiger geforderten Verstär­kung der Allgemeinbildung konveniert (vgl. etwa Fuhrmann, 2000, 2002). Dieses

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218 Kurt A. Heller, Heinz Neber, Ralph Reimann & Heiner Rindermann

Postulat gilt generell fiir die schulische Begabtenförderung, speziell aber fiir die För­derung der intellektuell besonders befähigten Gymnasiasten.

Die Evaluationsstudie bezieht sich auf die im Schuljahr 1991/1992 in Baden­Württemberg an vier Pilotschulen eingerichteten G8-Klassen, d.h. das achtstufige (damals sogenannte) "Gymnasium mit besonderen Anforderungen" (G8) für beson­ders oder hoch begabte Gymnasialschüler. Der Untersuchungsauftrag fiir die wissen­schaftliche Begleitforschung hierzu wird im zweiten Kapitel dieses Buches erläutert. Neben der Beschreibung der vier G8-Pilotschulen und zweier Kontrollgymnasien im neunjährigen Bildungsgang (G9) des baden-württembergischen Regelgymnasiums werden das G8-Unterrichtskonzept und die Abschlußqualifikationskriterien skizziert. Von besonderem Interesse dürften in diesem Zusammenhang die Entwicklung der gymnasialen Übertrittsquoten seit Einführung des G8-Schulmodellversuchs sowie die Vergleichsdaten fiir die Real- und Hauptschüler in Baden-Württemberg im Zeit­raum von 1987 bis 2001 sein. Dabei interessiert vor allem die Frage nach möglichen Auswirkungen des G8-Modells auf die Übertrittsentscheidungen bezüglich der wei­terführenden Schulen Baden-Württembergs und - zum Vergleich - des Nachbarlan­des Bayern, das erst seit wenigen Jahren einzelne achtstufige Gymnasialklassen an­bietet. Schließlich wird in Kapitel 2 das vollständige Evaluationsmodell dargestellt. Dieses beinhaltet drei Hauptfunktionen: a) die Input-Evaluation (input evaluation) zur Erfassung relevanter Ausgangsmerkmale der Zielgruppe des G8, b) die Prozeß­Evaluation (impact oder treatment evaluation) zur Erfassung der Lehr-/Lernprozesse sowie sozialer und organisatorischer Rahmenbedingungen des G8 vs. G9 und c) die Output-Evaluation (product evaluation) zur Effekt- bzw. Ergebniskontrolle im G8/G9-Vergleich. Während die ersten beiden Evaluationsformen vor allem der kon­tinuierlichen Programmoptimierung (hier des G8-Modells) im Sinne der formativen Evaluation dienen, zielt die summative Evaluation auf eine abschließende Bewertung des (Förder-)Programms, hier des G8-Modells. Eine wissenschaftliche Evaluation von Förder- oder Schulprogrammen muß beide Evaluationsformen berücksichtigen. Darüber hinaus wurde folgenden Evaluationskriterien Rechnung getragen: der Nütz­lichkeit (utility), Machbarkeit (feasibility), Korrektheit (propriety) und Genauigkeit (accuracy), die 1994 von einem Joint Committe on Standards for Educational Eva­luation unter dem Vorsitz von Dr. James Sanders (Western Michigan University) und Repräsentanten der American Psychological Association (APA), der American Educational Research Association (AERA), des National Council on Measurement in Education (NCME) und der International Association of Applied Psychology (I­AAP) formuliert worden waren (vgl. die deutsche Übersetzung von Sanders, 1999). Die aus den Evaluationskriterien postulierten 30 (Einzel-)Standards sind inzwischen obligatorischer Bestandteil wissenschaftlich fundierter Programmevaluationen (vgl. Heller, 1995; Callahan, 2000; Weinert, 2001; Heller & Reimann, 2002).

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 219

Konzeptuelle und methodische Anmerkungen

Eine detaillierte Darstellung der theoretischen und methodischen Grundlagen der G8-Evaluations-Längsschnittstudie erfolgt im dritten Kapitel. Bereits während der Vor­bereitungsphase wurden möglichst viele der am G8-Modell beteiligten Personen­gruppen und Instanzen (Schüler-Eltern, Lehrkräfte, Vertreter der Schulaufsichtsbe­hörden auf Regierungsbezirksebene und des Kultusministeriums in Stuttgart) in die Planung der Evaluationsstudie einbezogen. Im Zentrum der Diskussion verschiede­ner Fragen und Evaluationsdesiderata standen der Evaluationszweck (wozu soll eva­luiert werden?), der Evaluationsgegenstand (was soll evaluiert werden?) und die Untersuchungsmethode (wie sollen die Evaluationsinhalte erfaßt und welche Infor­mationsquellen herangezogen werden?). Zur Beantwortung dieser (insbesondere der 2. und 3.) Fragen ist pädagogisch-psychologisches Bedingungs- und Veränderungs­wissen erforderlich, das in die Konzeption des Evaluationsmodells einging (s. S. 48ff. in diesem Buch). Die erste Fragestellung (Zielkomponente ) beinhaltet ebenfalls mehrere Aspekte, wobei nicht nur pädagogische Sollvorstellungen wie Programm­ziele u.ä., sondern auch Valenz- und Kompatibilitätsprobleme zu beachten sind. So manifestiert sich die Valenzproblematik in wert- und zielbezogenen Fragestellungen, wie z.B. "Stimmen die Fördermaßnahmen mit allgemein anerkannten Werten über­ein?", was auf grund der Vorurteile gegenüber Hochbegabten und deren Förderung­in der Gesellschaft wie in manchen Kreisen sozialwissenschaftlicher Provenienz - im Hinblick auf die Evaluation des G8-Modells mitzubedenken war. Damit verknüpft sind Fragen der logischen Stimmigkeit, z.B. "Inwieweit sind die anvisierten Ziel­gruppen und/oder die intendierten unterrichtlichen, curricularen und schulorganisato­rischen Maßnahmen zur Realisierung der Förderziele (hier des G8 im Vergleich zum G9) geeignet?" Die Kompatibilitätsproblematik äußert sich etwa in der Frage "Ent­spricht die Programmplanung ausschließlich gymnasialen Bildungszielen oder ist mit unerwünschten Nebeneffekten (hier vor allem bei Schülern im G8, aber auch bei G9-Schülern am gleichen Schulstandort) zu rechnen?" Die Soll-Ist-Annäherung war also sowohl auf der Konzeptualisierungsebene (potentielle G8-Zielgruppe, G8-Curriculum, theoretisch begründete Erwartungseffekte usw.) als auch auf der Reali­sierungsebene (Auswahl- und Zulassungskriterien für die G8-Züge, Vermittlungs­bzw. Unterrichts- und Lernmethoden am G8, Fördereffekte in bezug auf die Bega­bungs-, Leistungs- und Gesamtpersönlichkeitsentwicklung) zu reflektieren; ausfiihr­licher vgl. Hany (1988).

Forschungsstrategisch liegt den meisten Programmevaluationen, so auch der G8-Evaluationsstudie, ein Vortest-Treatment-Nachtest-Design zugrunde. So wurden auf der in Kapitel 3 erörterten theoretischen Bezugsbasis die Untersuchungsvariablen und deren Operationalisierung (Meßinstrumente) bestimmt und ein zeitlicher Ab­lauf plan erstellt. Dieser sah (einmalige) Prä- und Gährliche) Retestungen - jeweils in der Mitte des Schuljahrs - bei den ersten drei Einschulungsjahrgängen (G8-Kohorten der vier Pilotschulen) sowie an zwei Gymnasialstandorten (Stuttgart und Kirchzar-

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220 Kurt A. Heller, Heinz Neber, Ralph Reimann & Heiner Rindermann

ten) darüber hinaus auch bei der vierten bzw. fiinften Kohorte vor. Die Abschluß­testungen erfolgten jeweils in der Abiturklasse, d.h. bei den G8-Schülern im 12. Schuljahr, an den beiden G9-Kontrollschulen im 13. Schuljahr.

Die Stichprobenplanung, die Untersuchungsvariablen und die im Laufe von 10 Jahren eingesetzten Meßinstrumente sowie die Methoden der Datenanalyse werden ausfiihrIich im dritten Buchkapitel behandelt. Dort wird auch auf Spezialprobleme bei längsschnittlichen Evaluationsstudien eingegangen. Aussagen über Langzeitef­fekte von Förder- oder Schulprogrammen sowie die Erfassung von Treatment- bzw. Fördereffekten sind nur im Experimental-Kontrollgruppen-Design auf der Basis echter Längsschnittanalysen möglich. Deshalb wurden altersparallele G9-Klassen zweier Gymnasien der Jahrgangsstufen 5 bis 13 als Kontrollgruppen in die Evaluati­onsstudie einbezogen. Ergänzende Methodeninformation finden sich in den einzel­nen Ergebniskapiteln (Kapitel 4 bis 7) sowie im Glossar am Ende des Buches. Be­sonderer Wert wurde bei der Ergebnisdarstellung auf die Inhalte gelegt, weshalb in diesem Buch auf die Wiedergabe methodisch-statistischer Details weitgehend ver­zichtet wird. Interessenten für forschungsmethodische Detailinformationen, einzelne statistische Kennwerte etc. seien auf Reimann (2002) sowie ergänzend auf Heller & Reimann (2002) verwiesen.

Deskriptive Befunde der Persönlichkeits- und Leistungs­entwicklung besonders befähigter Gymnasialschüler im

G8/G9-Vergleich

Bei der Evaluation des G8-Schulmodellversuchs war natürlich die Persönlichkeits­entwicklung der Schüler von ganz besonderem Interesse. Trotz des nicht zu leugnen­den Einflusses von schulischen wie familiären Lernumweltfaktoren ist letztlich das Individuum mit seinen Fähigkeiten, Emotionen, Motivationen, Interessen und Ein­stellungen für die Leistung und den Erfolg in der Schule verantwortlich. Nehmen Schüler an einem Schulversuch teil, dann wird die Überlegung relevant, was dieses Schulmodell mit seinen Angehörigen "macht", also welche Auswirkungen es auf die genannten Persönlichkeitsmerkmale hat. Die Untersuchungsbefunde dazu werden im vierten Kapitel ausfiihrlich dargestellt.

In der grundlegenden Ausrichtung verstand sich das G8 als Förderprogramm für besonders befähigte Gymnasiasten, weshalb untersucht werden sollte, wie sich die intellektuellen Fähigkeiten der teilnehmenden Schüler entwickeln. Organisatorisch gesehen war die Verkürzung der Gymnasialzeit ohne Lernstoffreduzierung eine wichtige Komponente des Programms. Hierdurch wurde die gymnasiale Laufbahn anspruchsvoller und arbeitsintensiver, woraufhin sich die Frage ergibt, welche Aus­wirkungen dies auf die motivational-emotionalen Haltungen und Einstellungen der Schüler hat. Dazu wurde eine Vielzahl von Schülermerkmalen in regelmäßigen Ab­ständen untersucht (vgl. Kapitel 3). Diese betrafen sogenannte kognitive Merkmale, also intellektuelle und kreative (Denk-)Fähigkeiten, die soziale Kompetenz usw. e-

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 221

benso wie sogenannte nichtkognitive Merkmale, zu denen neben den motivationalen und emotionalen Variablen i.e.S. auch Interessen, das Attributionsverhalten, das Selbstkonzept oder das Lern- und Arbeitsverhalten gerechnet werden (vgl. Tabelle 6 in Kapitel 3, S. 68-71).

Bereits zu Beginn der G8-Laufbahn weisen deren Schüler deutlich bessere intel­lektuelle Fähigkeiten (gemessen mit dem Kognitiven Fähigkeits-Test) auf als die herangezogene G9-Kontrollgruppe. Der Vorsprung beträgt eine halbe Standardab­weichung, was übersetzt in die bekannte Intelligenzquotientskala einem Abstand von 7-8 IQ-Punkten entspricht. Dies ist ein Hinweis dafür, daß in das G8-Programm "be­sonders befähigte" Schüler aufgenommen wurden. Hierbei ist freilich zu bedenken, daß es sich um einen Gruppenmittelwert handelt, d.h. es sind einige Schüler in der G8-Gruppe, die kein höheres Fähigkeitsniveau aufweisen als die G9-Schüler. Im Gruppendurchschnitt jedoch verfUgt die G8-Gruppe bereits zu Anfang der Gymnasi­alkarriere über ein höheres intellektuelles Fähigkeitsniveau. Diese Differenz wächst mit zunehmender Beschulungsdauer, so daß sich nach drei Schuljahren der Vor­sprung der G8-Gruppe auf eine ganze Standardabweichung (15 IQ-Punkte) beläuft. Dieser Vorsprung im intellektuellen Gesamtfähigkeitsniveau erweist sich über die restliche Gymnasialdauer als relativ stabil, das G8 hat demnach zu einer Verbesse­rung der intellektuellen Fähigkeiten gefUhrt und den schon zu Beginn existierenden Kompetenzvorsprung der G8-Schüler weiter befördert.

Der anfängliche Vorsprung der G8-Schüler besteht in allen erfaßten Dimensionen: den sprachlichen, mathematischen und nonverbalen (technisch-konstruktiven) Kom­petenzbereichen. Obwohl über die gesamte Gymnasialzeit deutliche (und in be­stimmten Phasen sich vergrößernde) Differenzen zu den G9-Schülern existieren, sind dennoch unterschiedliche Entwicklungen festzustellen. Im sprachlichen und mathe­matischen Bereich verbessern die Schüler des G8 ihre Fähigkeiten bis zur 8. Klasse (dies ist in der G9-Gruppe in diesem Ausmaß nicht der Fall). Danach ist eine Abfla­chung oder sogar eine rückläufige Kurvenentwicklung zu verzeichnen. Es gibt Hin­weise, daß diese Entwicklung im G9 ähnlich verläuft, da hier aber der Aufschwung in den ersten Jahren ausbleibt, bleibt ein durchgehender intellektueller Vorsprung der G8-Gruppe bestehen. Weder im sprachlichen noch im mathematischen Bereich kann der Zugewinn während der ersten Gymnasialhälfte in diesem Ausmaß konserviert werden, besonders nicht im sprachlichen Bereich. Da im nonverbalen Bereich in den höheren Jahrgangsstufen die Fähigkeitsentwicklung unvermindert anhält, was mögli­cherweise mit dem dort einsetzenden naturwissenschaftlichen Unterricht (besonders Physik) zusammenhängt, kann somit folgendes Fazit gezogen werden: In den ma­thematischen und nonverbalen Kompetenzbereichen gelingt den G8-Schülern eine beeindruckende Steigerung ihrer Fähigkeiten, wenn diese auch noch optimierbar erscheinen. Die Entwicklung der sprachlichen Kompetenzen verläuft dagegen aus der Perspektive der Begabtenförderung weniger zufriedenstellend. Allerdings ist hier zu bedenken, daß es im G9 allem Anschein nach zu substantiellen Einbußen kommt, d.h. gegen Ende der Schullaufbahn erreichen die Schüler ein niedrigeres Kompe­tenzniveau als zu Beginn (was mit den verfUgbaren Daten jedoch nicht eindeutig zu bestimmen ist), so daß die Beibehaltung des Niveaus im G8 bereits als Erfolg ge­wertet werden kann. Dennoch sollte der Förderung sprachlicher Fähigkeiten auch im G8 vermehrte Aufmerksamkeit gewidmet werden.

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Übrigens bestehen keine bedeutsamen Geschlechtseffekte in dem Sinne, daß das G8 im Vergleich zum G9 besonders Jungen oder Mädchen bevorzugt oder benach­teiligt. Innerhalb des G8 entwickeln die beiden Geschlechtergruppen ihre Fähigkei­ten nahezu parallel; abgesehen vom mathematischen Bereich sind keine Differenzen zwischen Jungen und Mädchen erkennbar. In der mathematischen Dimension de­monstrieren die Jungen bessere Fähigkeiten als die Mädchen - dieser Unterschied ist zeitstabil, d.h. der G8-Besuch führt weder zum Abbau noch zur Vergrößerung dieser Differenz. Das G8 fördert somit nicht einseitig eine der bei den Geschlechtergruppen.

Ergebnisse zu kreativen Fähigkeiten sind auf grund der teilweise schwierig einzu­schätzenden G9-Werte nicht leicht zu interpretieren. In der frühen Phase besteht of­fenbar keine Differenz zwischen den G8- und den G9-Gruppen in der sprachlichen Kreativität. Für den weiteren Verlauf lassen die vorhandenen Informationen eine Verschlechterung kreativer Fähigkeiten im G9 vermuten, die zwar im G8 tendentiell ebenfalls erkennbar ist, jedoch weniger drastisch verläuft. Die ungünstige Entwick­lung wird hier, wenn auch nicht gänzlich gestoppt, so doch gebremst. Gegen Ende der Gymnasialzeit deuten sich bessere kreative Fähigkeiten bei den G8-Schülern an. Insgesamt wird im Vergleich zum G9 die Kreativitätsentwicklung im G8 positiv beeinflußt, ohne aber mit einer ebenso deutlichen Verbesserung wie bei den intel­lektuellen Fähigkeiten einherzugehen. Die Förderung kreativer Fähigkeiten muß so­mit weiterhin Ziel schulischer Bildungsbemühungen sein. In der Kreativitätsent­wicklung tendieren die Mädchen gegenüber den Jungen fast durchweg zu besseren Testergebnissen, was auch schon in anderen Untersuchungen, z.B. der Münchner Hochbegabtenstudie (Heller, 1992,22001), bestätigt wurde.

Bezüglich der nichtkognitiven Schülermerkmale ist ein günstiges Gesamtergebnis festzuhalten. Zwar existieren nicht überall herausragend positive Effekte und Ent­wicklungen, aber zumindest sind keine negativen Auswirkungen des G8 zu ver­zeichnen. (In diesem Zusammenhang ist natürlich zu bedenken, daß die hier be­sprochenen Ergebnisse auf den G8-Karrieren der erfolgreichen Schülerinnen und Schüler basieren.) Weiterhin ist erkennbar, daß vor allem die Mädchen von den G8-Förderbedingungen profitieren. Zu Beginn der Gymnasialzeit sind bei den G8-Schülern im Vergleich zu den G9-Schülern teilweise günstigere motivationale Hal­tungen erkennbar (niedrigere Furcht vor Mißerfolg, niedrigere Anstrengungs­vermeidung, höheres Erkenntnisstreben), teilweise bestehen auch keine Differenzen (z.B. bei Hoffnung auf Erfolg, Leistungsstreben, Ausdauer und Fleiß). Ohne hier alle Detailergebnisse wiederzugeben, ist insgesamt festzuhalten, daß im G9 im Laufe der Zeit Ansätze eines Demotivierungsprozesses erkennbar sind. Diese werden im G8 offenbar aufgefangen, so daß dieses besser als das G9 eine motivationsförderliche Lernumwelt zu bieten imstande ist.

Auch im emotionalen Bereich bestehen zu Beginn keine Differenzen zwischen den G8- und G9-Schülern, weder in der Schulunlust, noch in der allgemeinen schul­bezogenen Angst oder der Prüfungsangst. In der Folge entwickeln sich die emotio­nalen Befindlichkeiten der G8-Schüler sehr günstig, vor allem die verschiedenen Ängstlichkeitswerte reduzieren sich zunehmend. In dieser Entwicklung unterschei­den sich die beiden Geschlechter nicht. Selbst in den letzten beiden Gymnasialjahren, die größtenteils gemeinsam mit den G9-Schülem absolviert werden, tritt keine Stei­gerung der Angstwerte ein, auch nicht im sozialen Bereich: Die Angst bzw. Aufre-

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gung beim Sprechen vor der Klasse und den Lehrkräften ist bei den GS-Schülern geringer ausgeprägt als bei den G9-Schülem. Sogar die Integration der GS-Schüler in die ältere G9-Gruppe auf der Kollegstufe hat keinen negativen Effekt auf die emoti­onalen Befindlichkeiten. Auch die Angst vor den Abiturprüfungen ist bei den GS­Schülern geringer als bei den G9-Schülern. Die oft vermutete Befürchtung einer zu starken emotionalen Belastung durch den GS-Bereich scheint sich bei den hier unter­suchten Schülern nicht zu bewahrheiten, das GS stellt für geeignete Schüler keine angstgenerierende Situation dar. Im Gegenteil deutet vieles auf ein unproblemati­scheres emotionales Befinden der begabteren GS-Schüler im Vergleich zur derzeiti­gen G9-Schülerschaft hin.

Auch bei den restlichen nichtkognitiven Merkmalen bestehen in der Gesamtheit keine eklatanten Unterschiede zwischen GS- und G9-Schülern, die Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen. Das leistungs bezogene Selbstkonzept der bei den Schülergruppen unterscheidet sich in der ersten Gymnasialphase nicht. Dies ist plausibel, denn das Selbstkonzept orientiert sich vor allem am direkten Vergleich mit den Mitschülern der eigenen Klasse. Wenn besonders leistungsstarke Schüler in einem Förderprogramm "unter sich" sind, dann ist der interne Maßstab ausschlagge­bend. Es verwundert also nicht, daß die GS-Schüler in der frühen Gymnasialphase kein besseres Selbstkonzept aufweisen als die G9-Schüler. In der späteren Phase steigen die Werte des schulischen Selbstkonzepts bei den GS-Schülern, möglicher­weise bedingt durch einen nun vermehrt stattfindenden leistungsrelevanten Kontakt zu G9-Schülern (beispielsweise in außerunterrichtlichen Arbeitsgemeinschaften, in der Schülermitverwaltung, bei gemeinsamen Freizeitaktivitäten). Nach der Fusion mit der G9-Gruppe (im Anschluß an die 10. Klasse) sind Auswirkungen des sich hierdurch neu ergebenden direkten Vergleichs- oder Referenzrahmens denkbar, die zu einer Erhöhung des Begabungsselbstkonzepts von GS-Schülern beitragen. Ob in diesem Zeitraum gleichermaßen negative Effekte für die G9-Schüler auftreten, ist leider nicht eruierbar.

Im Zusammenhang mit dem Selbstkonzept steht das Attributionsverhalten, denn wie sich jemand einen eigenen Erfolg erklärt, hat Auswirkungen auf die eigene Fä­higkeitseinschätzung. Sieht jemand z.B. bei einem erlebten Erfolg eher glückliche Umstände und Zufälle (externale Ursache) als verantwortlich an, dann hat dies bes­tenfalls keine Auswirkungen auf das Selbstkonzept, schlechtestenfalls jedoch massiv negative; denn eventuell entsteht hier die Meinung, daß man eine derartige Leistung nur schafft, wenn man Glück hat. Erklärt man sich einen Erfolg hingegen eher durch internale Faktoren (also durch vorhandene eigene Fähigkeiten oder die geleistete eigene Anstrengung), dann wirkt sich dies günstig auf das Selbstkonzept aus. Gene­rell werden von den GS-Schülern externale Ursachenfaktoren zur Erklärung eigener Erfolge vs. Mißerfolge seltener herangezogen als von G9-Schülern. Dies ist günstig, da die GS-Schüler hiermit anzeigen, daß sie sich als selbstwirksam empfinden, sich also weniger abhängig von äußeren Einflüssen erleben. Insbesondere die GS­Mädchen sehen im Verlauf der ersten Gymnasialjahre die eigene Fähigkeit als immer wichtiger bei einem erlebten Erfolg an, sie haben somit eine sehr günstige Verände­rung ihrer Selbsteinschätzung vorgenommen. Vor allem im direkten Vergleich mit den Mädchen des G9 erklären sich die GS-Mädchen schulische Erfolge und Mißer­folge selbstwertdienlicher und damit einhergehend leistungsförderlicher.

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Die Schülerangaben zum Interesse sind im Rahmen eines G8/G9-Vergleichs in der Gesamtheit nur schwer zu beurteilen. Die Ergebnisse deuten etwas stärker ausge­prägte (Fach-)Interessen der G8-Schüler an; generell ist im G8 das Interesse positiver ausgeprägt. Zwischenzeitig (zur 10. Klasse hin) ist ein Rückgang des Deutsch­interesses bemerkenswert, der aber später wieder kompensiert wird. Es wäre denkbar (aber mit den verfiigbaren Daten nicht zu verifizieren), daß curriculare Inhalte für den Rückgang des Deutschinteresses in diesem Zeitraum verantwortlich sind.

In den hier untersuchten Aspekten des Lern- und Arbeitsverhaltens sind umfas­send keine Unterschiede zwischen G8- und G9-Schülern festzustellen. Positiv her­vorzuheben ist, daß sich die G8-Mädchen mehr als die anderen Gruppen vom Einfluß zwischenmenschlicher Bedingungen auf das eigene Leistungshandeln befreit haben: Ob man eine (konkrete) Lehrkraft als "gut" oder "weniger gut" findet oder mit je­mandem "besser zurechtkommt" als mit einem anderen, spielt für die Mädchen des G8 eine geringere Rolle als für die anderen Untersuchungsgruppen (G8-Jungen so­wie Mädchen und Jungen im G9).

Keine Unterschiede bestehen des weiteren in der sozialen Kompetenz, der G8-Besuch hat somit keinen negativen Einfluß auf die sozialen Fähigkeiten der Schüler. Die mitunter geäußerte Befürchtung, Begabtenförderprogramme wie das G8 be­wirkten eine Verkümmerung sozialer Fertigkeiten, scheint demnach unbegründet zu sein.

Gleiches gilt für andere Persönlichkeitsfaktoren, hier sind ebenfalls keine nachteiligen Effekte der besuchten Schulform auf die Ausprägung unterschiedlicher Persönlichkeitsfacetten festzustellen. Ganz im Gegenteil: Im Rahmen des 16PF­Modells der Persönlichkeitsbeschreibung demonstrieren die G8-Schüler ein höheres Selbstvertrauen (stärkeres Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten; Kritik von anderen beeindruckt weniger), eine höhere Veränderungsbereitschaft (Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen und Veränderungen; Konventionen werden überprüft und gegebenenfalls verändert) und eine größere innere Ausgeglichenheit (Zufriedenheit; Belastungen bewirken keine Leistungseinbußen) als die G9-Schüler.

Insgesamt ist somit von einer allgemein günstigen Persönlichkeits- und Lei­stungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler im G8 auszugehen, nachteilige oder gar besorgniserregende Effekte oder Entwicklungen sind in der Gesamtheit nicht festzustellen. Neben der positiven, in einzelnen Aspekten noch optimierbaren Aus­bildung der kognitiven Fähigkeits- bzw. Leistungskompetenzen treten keine drama­tisch negativen Entwicklungen in anderen (motivationalen, emotionalen und sozia­len) Bereichen auf. Freilich ist hierbei zu bedenken, daß sich diese Aussagen a) auf Gruppenwerte und b) auf die untersuchten erfolgreichen Schülerinnen und Schüler beziehen.

In das positive Gesamtbild der skizzierten Entwicklung passen auch die Untersu­chungsergebnisse zu den Schulleistungen der G8-Schüler. In den unteren Klassenstu­fen erhalten diese teilweise bessere Zensuren als die G9-Schüler, die Differenzen beschränken sich hierbei auf sprachliche, kommunikationsfokussierte Fächer. In mittleren und oberen Klassenstufen treten Unterschiede zugunsten von G8 in allen untersuchten Fächern auf. Wahrscheinlich ist diese Entwicklung das Ergebnis ku­mulativer Lerneffekte: In der homogenisierten Klasse ist ein schnelleres Fortschrei­ten im Lernstoff möglich, was einen größeren Wissensfundus entstehen läßt, in den

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wiederum neues Wissen leichter zu integrieren ist. So kommt es zu einer rascheren Verbesserung leistungsrelevanter Kompetenzen ("Matthäuseffekt"). Damit dieser Kompetenzautbau jedoch seinen Niederschlag in Benotungen findet, benötigen Lehrkräfte den Vergleich mit anderen Lerngruppen, den sie durch die parallele Un­terrichtung in G9-Klassen haben - ob in "reinen" G8-Schulen die Noten auch besser wären, ist fraglich, da hier der Bewertungsmaßstab ein anderer ist (ausschließlicher G8-Referenzrahmen). Die direkte Gegenüberstellung von G8- und G9-Schülern in der Oberstufe führt scheinbar dazu, daß die Leistungen der G8-Schüler nochmals aufgewertet werden, was jedoch nicht auf einer "echten" Leistungssteigerung basiert, sondern einen "Kontrasteffekt" in der Leistungsbewertung durch Lehrkräfte be­schreiben dürfte. Der hierdurch denkbare Effekt einer notenmäßigen Benachteiligung der Schüler in den als separate G8-Kurse geführten Leistungskursen Deutsch und Mathematik (gegenüber jenen Schülern, die auch diese Kurse gemeinsam mit G9-Schülern absolvieren) ist in der abschließenden Beurteilung (Abiturnoten) nicht fest­zustellen. Die unterschiedlichen Konzeptionen führen also nicht zu verschiedenen Abiturbewertungen. Da in den separaten Leistungskursen jedoch ein umfangreicherer Wissensautbau erfolgen dürfte und zudem an den betreffenden Schulen vier Leis­tungskurse von den G8-Schülern absolviert werden, sind quantitativ und qualitativ höherwertige Bildungsprozesse zu erwarten, ohne daß entsprechende Bildungsef­fekte in Form besserer Noten in Erscheinung treten müssen.

Teilweise deuten sich allerdings auch negative Effekte des Pensums von vier Lei­stungskursen an: Diese Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit, die 3. und 4. Abiturprüfung in Fächern abzulegen, die vormals als Leistungskurse belegt wor­den waren. Hierdurch würde man zunächst einen größeren Vorteil für diese Gruppe erwarten, denn normalerweise werden diese Fächer im Vorfeld ,,nur" als Grundkurse belegt. Die Analyse der Leistung in der 3. Abiturprufung erbrachte jedoch den über­raschenden Befund, daß jene Schüler mit früheren Leistungskursen keine besseren Resultate erzielen als Schüler mit vorherigen Grundkursen. Als Erklärung dafür wur­de die "Überheblichkeitshypothese" formuliert: Ehemalige Leistungskursteilnehmer vernachlässigen im Vorfeld der Abiturprüfungen möglicherweise ihren Lernauf­wand, da sie wegen des früheren Leistungskurspensums genug zu können glauben. Diesen Schülern wäre demnach zu empfehlen, der Abiturprüfung mit dem erforderli­chen Ernst zu begegnen, d.h. einen adäquaten Lemaufwand zu betreiben und sich nicht aufzuruckliegenden Erfolgen bzw. Lorbeeren "auszuruhen".

Insgesamt erzielen die G8-Schüler jedoch ausgezeichnete Abiturnoten, sie liegen hierbei mehr als eine halbe Notenstufe über dem allgemeinen G9-Durchschnitt. Die Noten sind auf grund des Zentralabiturs direkt zu vergleichen. Die Komprimierung der Gymnasialzeit hat demnach nicht zur Vernachlässigung von Inhalten geführt. Ganz im Gegenteil: Trotz der Einsparung eines Schuljahres demonstriert die G8-Schülergruppe zum Ende der Gymnasialzeit in den entscheidenden Prufungsanforde­rungen deutlich bessere Leistungen als die anderen untersuchten Gruppen. Die Mäd­chen und Jungen des G8 unterscheiden sich hierbei nicht, sie erhalten im Durch­schnitt identische Abschlußzertifikate. Diese Befunde können natürlich nicht ohne weiteres auf die Situation bzw. (später) zu erwartenden Abiturerfolge eines landes­weit eingeführten achtstufigen Gymnasiums generalisiert werden.

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Soziale Lernumfeldbedingungen der Begabtenförderung

Schulleistungen sind nicht nur das Resultat der Schüler, sondern auch von Unter­richts- und Erziehungseinflüssen mitbedingt. Untersuchungsziele und Evaluationsbe­funde hierzu werden im fiinften Kapitel behandelt. Entspricht der Unterricht am achtjährigen Gymnasium den Bedürfnissen besonders befähigter Schüler? Zu dieser Frage wurden Informationen von verschiedenen Quellen eingeholt. Erstens sind Schüler, Lehrer und betroffene Eltern dazu befragt worden. Zweitens wurden Beur­teilungen des achtjährigen mit solchen des regulären neun jährigen Gymnasiums ver­glichen. Folgende Aspekte wurden überprüft:

a) Das sozial-emotionale Klima in den Schulklassen, das sich in erster Linie auf die Qualität der Lehrer-Schülerbeziehungen und der Beziehungen der Schüler unter­einander erstreckt. Ein positives Klassenklima f6rdert die Bereitschaft begabter Schüler, ihr hohes Leistungspotential voll einzusetzen und zu entwickeln.

b) Das Niveau der Anforderungen und Lernziele im Unterricht. Abstrakte, komplexe und anspruchsvolle Lernziele, die selbständiges Denken erfordern, sind für einen begabungsf6rdernden Unterricht unverziehtbar. Zudem sollten Themen und In­halte im Unterricht so behandelt werden, daß Interessen gef6rdert werden.

c) Methoden des entdeckenden und selbstgesteuerten Lernens. Sie sollen selbstän­dige Erkenntnisaktivitäten ermöglichen sowie mechanisches Üben und Wieder­holen reduzieren, was von Experten als wesentliche Voraussetzungen für einen begabungsf6rdernden Unterricht eingeschätzt wird.

Die Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Schüler und Eltern beurteilen den Unterricht am achtjährigen Gymnasium posi­tiv. Die Lernanforderungen werden - trotz Akzeleration - als nicht zu hoch oder gar überbelastend eingeschätzt. Das sozial-emotionale Klima in den Schulklassen des achtjährigen Gymnasiums wird durch Schüler und Eltern als f6rderlich beurteilt. Dies triffi besonders auf die Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehungen zu, die als sehr unterstützend wahr­genommen werden. Die Beziehungen der Schüler untereinander könnten aller­dings noch stärker intensiviert und personalisiert werden. Bemerkenswert ist, daß Lehrer das Klassenklima am achtjährigen Gymnasium nicht ganz so gut beurteilen. Es sollte aber registriert werden, daß der nach Auf­fassung der Lehrer höhere Aufwand rur das Unterrichten von Schülern und Eltern durchaus positiv wahrgenommen wird. Insgesamt läuft der Unterricht sowohl am achtjährigen als auch am neunjährigen Gymnasium ziemlich lehrerzentriert ab. Doch sind aus Sicht der Lehrer höhere kognitive Ziele, interessenf6rdernder Unterricht und selbstgesteuertes Lernen der Schüler am achtjährigen Gymnasium stärker ausgeprägt als am neunjährigen Gymnasium.

Insgesamt zeigt sich, daß am achtjährigen Gymnasium wichtige Voraussetzungen rur einen begabungsförderlichen Unterricht realisiert werden. Dies ist nach Auffas­sung der Lehrer mit höheren Anforderungen an die Unterrichtsvorbereitung und das

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benötigte Fachwissen verbunden. Zugleich steigert jedoch das Unterrichten am achtjährigen Gymnasium die Berufszufriedenheit und die Berufsmotivation der Leh­rer (nach Lehrereinschätzung).

Neben der schulischen Lernumwelt wurden noch familiäre Merkmale sowie das Freizeitverhalten der Schüler untersucht. Die Fragen zu den familiären Merkmalen lauteten: Ist der familiäre Hintergrund der G8-Schüler besonders günstig? Ist er e­ventuell sogar so günstig, daß in ihm eine Hauptvoraussetzung fur den erfolgreichen Besuch der G8-Laufbahn gesehen werden muß? Zur Erhellung dieser Aspekte wur­den der sozioökonomische Familienstatus sowie das elterliche Erziehungsverhalten untersucht.

Der sozioökonomische Status der G8-Schülereltern ist im Vergleich mit den un­tersuchten G9-Schülerfamilien durchaus als günstiger zu bezeichnen. Finanziell sind die G8-Familien im Durchschnitt etwas besser gestellt, die durchschnittlichen Bil­dungsabschlüsse der betr. Eltern sind höher, und Bildung an sich wird mehr wertge­schätzt. Dies zeigt einerseits: Es handelt sich bei den G8-Familien um eine sehr "bil­dungsnahe" Gruppe, die Schulversuchen wie dem G8 aufgeschlossener gegenüber­steht und ihre Kinder eher anmeldet als andere Gruppen. Andererseits jedoch wirken Statusmerkmale nur indirekt auf die Schulleistungen der Kinder, etwa über Erzie­hungseinstellungen und Werthaltungen.

Das elterliche Erziehungsverhalten ist bei G8- wie G9-Familien günstig ausge­prägt. Tendentiell sind aber Einstellungen und Haltungen der G8-Eltern noch etwas günstiger, zumal vor dem Hintergrund einer anspruchsvolleren Schullaufbahn: Nichts deutet hier auf das Bestehen eines motivationsschädlichen Leistungsdrucks oder einer starken Reglementierung des kindlichen Lernverhaltens hin. Eine Kon­trolle der Hausaufgaben in Familien von G8-Schülern wird so gut wie nicht berichtet. Insgesamt weisen die Informationen auf eine familiäre Atmosphäre hin, die dem (lernenden) Schüler genügend Autonomie zugesteht, ohne daß dies mit Desinteresse an schulischen Angelegenheiten oder gar Vernachlässigung verwechselt werden darf. Die skizzierte Atmosphäre fördert das Gefuhl der Selbstverantwortlichkeit und wirkt sich positiv auf das Selbstvertrauen der Schüler aus.

Die genannten Differenzen sind insgesamt aber doch zu gering, als daß daraus die Folgerung ableitbar wäre, der erfolgreiche G8-Besuch erfordere auf grund höherer Belastungen ein außergewöhnlich unterstützendes familiäres Umfeld. Dies scheint nicht der Fall zu sein. Sicherlich erfordert die G8-Teilnahme ein bestimmtes Enga­gement der Schüler, das durch die elterliche Wertschätzung des Guts "Bildung" so­wie ein adäquates Erziehungsverhalten unterstützt werden sollte. Diese Vorausset­zungen müssen jedoch das Ausmaß elterlicher Unterstützungsbemühungen der "normalen" G9-Gruppe nicht übersteigen. Das G8 als Förderprogramm fur besonders befahigte Gymnasialschüler besteht somit (relativ) unabhängig von familiären Merkmalen, so daß es nicht als eine auf besondere gesellschaftliche Gruppierungen zugeschnittene Schulform diffamiert werden kann. Individuelle Begabungs- und An­strengungsvariablen erscheinen gegenüber sozioökonomischen Bedingungskompo­nenten bei dieser Zielgruppe von vorrangiger Bedeutung für den Schulerfolg, was mit den Metaanalysebefunden bezüglich nordamerikanischer Schulerfolgsstudien von Wang, Haertel & Walberg (1993) oder auch mit neueren deutschen Studien (z.B. MARKUS-Projekt; vgl. Helmke, Jäger et al., 2002) übereinstimmt.

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Darüber hinaus trägt das G8 selbst zur Gestaltung der familiären schulbezogenen Atmosphäre bei, indem Eltern mit den Bedingungen eher zufrieden oder eher un­zufrieden sein können. Ob eine Zufriedenheit oder Unzufriedenheit vorherrscht, dürfte die alltägliche familiäre schulbezogene Kommunikation emotional-beurteilend färben, was sich auf die kindlichen (leistungsrelevanten) Einstellungen und Hal­tungen auswirkt. Die Bedeutung der Schul- bzw. Unterrichtsbeurteilung durch die Eltern sollte daher nicht unterschätzt werden. Abgesehen davon ist generell die In­formation interessant, wie die Eltern das G8 hinsichtlich verschiedener Aspekte be­urteilen.

Es zeigte sich, daß die betr. Eltern mit den G8-Bedingungen grundlegend zufrie­den sind. Dies betrifft das Gymnasium allgemein wie auch die Arbeit der Lehrkräfte. Die Möglichkeit offener Kommentare zu bestimmten Themen nahmen die Eltern in unterschiedlichem Ausmaß in Anspruch: Die Anzahl der positiven Anmerkungen übertraf deutlich jene der negativen Anmerkungen. Ohne die einzelnen Inhalte hier erneut wiederzugeben (vgl. Kapitel 5), erschienen den Eltern folgende Aspekte zent­ral. Positiv hoben sie vor allem die Leistungshomogenität in den Klassen, die Ver­kürzung der Schulzeit, das hohe Lernniveau sowie das gute Lernklima hervor. Der am häufigsten mitgeteilte Kommentar (Leistungshomogenität) wurde von annähernd 50% der Eltern genannt. Die negativen Anmerkungen konzentrierten sich auf die vorherrschenden Unterrichtsmethoden, bestehende organisatorisch-strukturelle As­pekte sowie die Qualifizierung der Lehrkräfte für das Unterrichten besonders befä­higter Gymnasialschüler. Im Gegensatz zu den positiven Kommentaren wurden die Spitzenreiter der negativen Anmerkungen von nicht mehr als 10-15% der Eltern ge­äußert. Insgesamt kann somit von einer hohen Akzeptanz des hier evaluierten G8-Modells bei den Eltern ausgegangen werden. Dies gilt übrigens auch für die Ein­schätzung des schulischen Anforderungsniveaus im G8, das die Eltern als angemes­sen bewerteten. Teile der G8-Elternschaft sahen bei ihren Kindern sogar freie Kapa­zitäten für zusätzliche Fördermaßnahmen, wobei vor allem Sprachreisen und auße­runterrichtliche Arbeitsgemeinschaften angeregt wurden.

Neben den skizzierten schulischen und familiären Sozialisationsbedingungen ist auch das Freizeitverhalten der Schüler von Bedeutung. Wie verbringen die G8-Schüler ihre Freizeit im Vergleich zu G9-Schülern? Müssen G8-Schüler große Teile ihrer Freizeit opfern, um schulische Anforderungen zu meistern? Oder erweist sich das Freizeitverhalten als so massiv schulleistungsförderlich, daß hierin eine notwen­dige (flankierende) Förderbedingung zu sehen ist, die für den erfolgreichen G8-Besuch unabdingbar erscheint?

Die Schüleraussagen ergaben, daß sich G8- und G9-Schüler in ihrem Freizeitver­halten nicht gravierend voneinander unterscheiden. Dies betrifft den qualitativen Aspekt (wofür interessieren sich bzw. was unternehmen die Schülerinnen und Schü­ler bevorzugt?) genauso wie den quantitativen Aspekt (wie intensiv setzen sie sich mit den Interessen und Beschäftigungen auseinander?). Die vorrangigen Interessen­gebiete sind bei G9- wie bei G8-Schülern in der gleichen Reihenfolge Sport, künstle­risch-musische (Kunst, Theater, Film, Musik) und sprachliche Themenbereiche (Li­teratur, Fremdsprachen). Unterschiede bestehen darin, daß bei G8-Schülern mathe­matische (z.B. mathematische Rätselaufgaben, auch Informatikprobleme), gesell­schaftliche (Politik, Umwelt) und geschichtliche Themen (teilweise nur geringfügig)

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höhere Stellenwerte genießen. Abgesehen von geschichtlichen Themen sind dies auch jene Bereiche, in denen leicht unterschiedliche Interessenintensitäten vorliegen. In der Gesamtheit jedoch sind die Interessenprofile vergleichbar.

Als vorrangige Freizeitaktivitäten nennen beide Gruppen Beschäftigungen wie Musikhören, Sport und Lesen. Bei den G8-Schülern genießt das aktive Musizieren eine leicht höhere Position in der Beschäftigungshierarchie. Weitergehende Untersu­chungen zu Literatur- und Fernsehpräferenzen zeigten, daß auf dieser Mikroebene Differenzen zwischen den G8- und G9-Schülern insoweit bestehen, als die G9-Schüler etwas verstärkt zu vergnügungsorientierten Inhalten und Themen neigen, während G8-Angehörige informative, intellektuell anspruchsvollere Medien bevor­zugen, was mit den Befunden vergleichbarer Studien übereinstimmt (z.B. Heller, 1992 bzw. 22001 ; Neber & Heller, 1997).

Differentielle Fördereffekte

Schulprogramme, insbesondere Begabtenförderprogramme, bewirken nicht bei allen teilnehmenden Schülern vergleichbare Effekte. Deshalb wurden auch differentielle Effekte im sechsten Kapitel berichtet. Die zentrale Frage lautete hier, welche Schüler bzw. Schülergruppen vom G8-Besuch in ihrer kognitiven Entwicklung (besonders sprachlicher und mathematischer Kompetenzen) mehr profitieren, welche weniger.

Zur Untersuchung dieser Frage wurde die G8-Schülerschaft in zwei gleichgroße Gruppen unterteilt: eine mit höheren und eine mit niedrigeren Fähigkeitsausprägun­gen zum Zeitpunkt der 5. Klasse. Der angelegte G8-Grenzwert (Mediansplit) wurde ebenfalls verwendet, um die G9-Vergleichsgruppe aufzuteilen. Bei dieser fiihrte das durchschnittlich niedrigere Fähigkeitsniveau freilich dazu, daß hier keine genaue Halbierung der Gruppe stattfand - die stärkere Gruppe war prozentual geringer be­setzt als bei der G8-Schülerschaft.

Die anfänglichen Fähigkeitsausprägungen waren in den verschiedenen Unter­gruppen paarweise annähernd gleich, d.h. die jeweiligen Fähigkeitsmittelwerte der stärkeren Untergruppen aus G8 und G9 waren ähnlich, ebenso jene der schwächeren Untergruppen. Trotz dieser vergleichbaren Ausgangsbedingungen vollzogen die Teilgruppen z.T. deutlich unterschiedliche Entwicklungen in den ersten Gymnasial­jahren. Zwischen der 5. und 7. Klasse sank das Fähigkeitsniveau der stärkeren G9-Gruppe, während es in der stärkeren G8-Gruppe zumindest stabil blieb. Beide Grup­pen des unteren Fähigkeitsspektrums gewannen hingegen deutlich an Kompetenz hinzu, wobei dieser Anstieg in der G8-Teilgruppe weitaus umfangreicher ausfiel. Diese Entwicklungen, die sowohl im sprachlichen wie im mathematischen Bereich beobachtet wurden, sind nicht primär auf motivationale und/oder besondere familiäre bzw. außerschulische Bedingungen zurückzufuhren, d.h. sie können als Effekt der besuchten Schulform und/oder als statistischer Effekt (Regression zur Mitte) inter­pretiert werden. Während im G8 die eher schwächeren Schüler substantiell in ihren Fähigkeitsentwicklungen unterstützt und gefördert wurden, gelang bei den stärkeren immerhin eine Konservierung ihres hohen Kompetenzniveaus - ein Verlauf, der (wie das Beispiel der G9-Kontrollgruppe zeigt) scheinbar nicht selbstverständlich ist.

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Die längerfristige Fähigkeitsentwicklung, die vergleichsgruppenbedingt nur für die G8-Gruppe vorgenommen werden konnte, offenbart, daß zunächst schwächere G8-Schüler ihre kognitiven Fähigkeiten kontinuierlich bis zur 8. Klasse ausbauen konnten, in deren Folge es hier wie bei den von Anfang an stärkeren G8-Schülern zu Stagnierungen auf hohem Niveau oder auch zu gewissen Fähigkeits-"Rückbil­dungen" kam. Im Gegensatz zur stärkeren G8-Teilgruppe war in der schwächeren G8-Teilgruppe der Fähigkeitsanstieg bis zur 8. Klasse so massiv, daß selbst nach dem Abwärtstrend in der zweiten Hälfte der G8-Karriere gegen Ende der Schulzeit ein substantieller Fähigkeitsausbau im Vergleich zur 5. Klasse erfolgt ist. Für die stärkeren G8-Schüler fällt die Gesamtbilanz nicht ganz so positiv aus: Sie wiesen am Ende der Schullaufbahn Ausprägungen auf, die ihren - sehr hohen - Anfangswerten vergleichbar waren (mathematischer Bereich) oder sogar leicht darunter lagen (sprachlicher Bereich). Nicht auszuschließen sind für diese unerwarteten Ergebnisse in bezug auf die Fähigkeitsmeßwerte sogenannte Deckeneffekte des (inzwischen revidierten) KFT, zumal die Kennwerte (Noten) für die Schulleistungsentwicklung eine gegenläufige Tendenz, d.h. eine durchgehend positive Entwicklung, zeigen. Darüber hinaus ist zu bedenken, daß durch den Mediansplit zwangsläufig "gute" und "schlechte" Teilgruppen resultieren, wobei das über den Median bestimmte - im Vergleich zur G9-Gruppe hohe - Gesamtgruppenniveau als Orientierungsmaßstab für "gut" vs. "schlecht" zu beachten ist.

Insgesamt kam es durch die verschiedenen Verläufe in den beiden G8-Gruppenhälften zu einer Reduzierung der Fähigkeitsdifferenzen zwischen der "star­ken" und "schwachen" Teilgruppe, die nahezu ausschließlich auf Verbesserungen in der schwächeren Teilgruppe und kaum auf Einbußen in der stärkeren Teilgruppe basiert. Dieses Ergebnis ist in Lerngruppen nicht selbstverständlich, so daß in der Gesamtheit dem G8 günstige Auswirkungen auf die Fähigkeitsentwicklung seiner Zielgruppe testiert werden kann.

Voraussetzungen und Ergebnisse der Potentialschätzung

Wieviele Schüler des derzeitigen (neunjährigen) Regelgymnasiums wären für das achtjährige Gymnasium mit besonderen Anforderungen geeignet? Wieviele Schüler der neunstufigen Gymnasien könnten ein grundsätzlich auf acht Schuljahre verkürz­tes Gymnasium erfolgreich besuchen? Welches spezifische Anforderungsprofil kennzeichnet das G8-Modell? Hierzu wird im siebten Kapitel Stellung genommen.

Die Bestimmung des G8-Anforderungsprofils und davon abgeleitet die Bestim­mung einer dazu passenden Merkmalskombination von geeigneten Schülern leidet unter dem methodischen Problem, daß inhaltliche Kriterien erfolgreicher Gymnasial­ausbildung schwierig zu fassen und zwischen verschiedenen Varianten des Gymna­siums kaum ausreichend präzise ftir spezifische Schülermerkmalsprofile meßbar sind. Unterschiede in den Anforderungsprofilen zwischen einzelnen Bundesländern, zwischen heutiger und früherer Gymnasialausbildung, ihren Inhalten und den Be­suchsquoten je Schülerjahrgang erschweren eine objektive Definition gymnasialer

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Erfolgskriterien. Ohne ein klares Kriterium ist aber eine Potentialschätzung nur be­dingt möglich. Zudem ist die menschliche Entwicklung gerade im Alter zwischen 10 und 19 Jahren sehr offen. Interindividuelle Unterschiede bleiben zwar weitgehend stabil, aber die absolute Höhe dessen, was erlernt und erreicht werden kann, ist in großem Ausmaß von der sozialen Lernumwelt abhängig, d.h. von Unterrichts- und Schulmerkmalen (z.B. Unterrichtsqualität und Lernzeit) sowie Anregungen und vom Erziehungsklima bzw. Anregungsmilieu im Elternhaus.

Dem Bildungssystem wird immer wieder vorgehalten, daß es die vertikale Strati­fizierung der Gesellschaft widerspiegele und eine entsprechende Sozialstruktur per­petuiere: Akademikerkinder auf das Gymnasium, Handwerkerkinder auf die Real­schule und Arbeiter- sowie Ausländer- oder Migrantenkinder auf die Hauptschule mit den entsprechenden späteren Ausbildungs- und Berufschancen. Hierbei wird jedoch übersehen, daß mit dem Berufs- und Ausbildungsstand der Eltern schulrele­vante Begabungs- und Persönlichkeitsmerkmale der Kinder (z.B. Intelligenz, Interes­sen und Motive, Arbeits- und Lernverhalten) und schulrelevante Merkmale der elter­lichen Lernumwelt (Anregungen, Unterstützung, Erziehungsziele und -praktiken, Bildungsaspirationen, Einstellung zur Schule usw.) kovariieren, die längsschnittlieh relativ konstant bleiben. Für wissenschaftlich begründete Potentialschätzungen ist die Sozialstruktur ähnlich wie die Schulstruktur vielleicht kein sehr faires Kriterium, aber ein zu beachtendes Faktum.

Definierte Bildungsinhalte müßten den besten Maßstab zur Bestimmung von Schülerpotentialen darstellen. Allerdings sind sie höchst variabel (zwischen Bundes­ländern, zwischen formal gleichwertigen Schulformen, Schulstandorten und Meß­zeitpunkten), und der Bezug zu einem spezifischen Begabungsspektrum ist schwierig herzustellen.

Aufgrund dieser Probleme haben wir uns fur eine pragmatische, jedoch empirisch gut bestimmbare Lösung des Kriterienproblems entschlossen: Für die Potentialschät­zung werden die im achtjährigen Gymnasium erfolgreichen Schüler sowie an zuver­lässigen Testnormen orientierten Mindestwerte in solchen Merkmalen herangezogen, die als aussagekäftige und legitime Prädiktoren von Schulerfolg gelten (vgl. Abbil­dung 2 auf S. 55): • Kognitive Fähigkeiten (sprachliche, rechnerische (quantitative) und nichtsprachli­

che (technisch-konstruktive) Denkfähigkeiten zusammengefaßt). Intelligenz ist der wichtigste Einzelprädiktor fur Schulleistungen.

• Schulunlust und Prüfungsängstlichkeit. Prüfungsängstlichkeit folgt häufig frühe­ren schlechten Schulleistungen und geringeren Fähigkeiten, sie stellt hier eine re­alistische Mißerfolgserwartung dar. Sie kann auch Folge zu hoher Leistungser­wartungen seitens der Eltern und/oder des betr. Schülers sein. Gleichzeitig stört starke Prüfungsängstlichkeit auf grund aufgabenirrelevanter Kognitionen die Auf­merksamkeit und verbindet Schule mit negativen emotionalen Valenzen.

• Schulleistungen als Indikatorenfür Vorwissen (Durchschnittsjahresendnote in den Fächern Deutsch, Englisch, Französisch, Latein, Mathematik, Physik, Biologie,

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Chemie, Oesellschaftskunde, Erdkunde, Geschichte). Bereits erbrachte Schullei­stungen sind eine zuverlässige Grundlage fiir die Vorhersage künftiger Schullei­stungen. Schulnoten können nicht nur als Indikator von Wissen und kognitiven Fähigkeiten aufgefaßt werden, sie lassen auch Rückschlüsse auf motivationale Einstellungen und die Bewältigung von Leistungssituationen zu. Die Bestimmung tauglicher Prädiktoren reicht jedoch fiir Potentialschätzungen

nicht aus. Hinzukommen müssen Entscheidungskriterien, ab welcher Ausprägung eines Prognosemerkmals man von ,,Eignung" sprechen kann. Hierzu wurden prag­matisch in verschiedenen Modellen die Ausprägungen der erfolgreichen 08-Schüler konjunktiv vs. kompensatorisch/disjunktiv verknüpft, um die fiir das 08 geeigneten Regelgymnasiasten (der Klassenstufen 5 bis 10) zu identifizieren. In einem zweiten Modell war das erfolgreiche Abitur am achtjährigen Oymnasium das zentrale Krite­rium. Würde man aber die Anforderungen bzw. Maßstäbe im achtjährigen Bildungs­gang erhöhen oder senken, würden sich selbstverständlich die Potentialschätzquoten nach oben oder unten verändern. Allerdings darf man in diesem Fall nicht mehr von einer Äquivalenz gymnasialer Schulformen vor und nach solchen Maßstabsänderun­gen ausgehen.

Je nach Modellgrundlage und Jahrgangsstufe errechneten wir G8-Eignungsschätz­quoten zwischen 42% und 15%, im Durchschnitt 25-30% fiir die G9-SchÜlerschaft. Die mit zunehmender Beschulungsdauer (im G9) sinkenden G8-Eignungsquoten erklären sich mit dem sogenannten Matthäuseffekt, d.h. Kumulierungsgewinnen bei den im G8 geforderten Begabten; vgl. S. 28 in diesem Buch. Die fiir die G8-Schülerschaft ermittelten Eignungsquoten liegen natürlich deutlich höher (vgl. Ta­bellen 6 bis 13 aufS. 194ff.).

Wie ließen sich Eignungsquoten oder Schülerpotentiale fiir einzelne Bildungsgän­ge verändern? Die G8-Eignungsquote ließe sich etwa durch Unterrichtsvermehrung und somit die Chance fiir individuell akkumulierte Wissenserwerbsgewinne erhöhen. Mehr Unterricht erbringt in der Regel ein höheres Leistungsniveau. Dazu zählen auch Extrastunden rur schwache Schüler und Nachhilfe, die (da Lernzeitunterschiede ähnlich stabil wie Begabungsunterschiede sind) konstant angeboten werden müßten. Mehr schulinterne und schulexterne Unterrichtsstunden reduzieren jedoch die freie Zeit, können zu dem zu vermeidenden Dauerlernen fUhren und wären fiir leistungs­starke Schüler überflüssig. Zudem steigt die Leistungsfähigkeit nicht proportional zum Umfang investierter Zeit (sinkender Grenznutzen).

Fähigkeiten der Schüler - die zentral für die Potential schätzung sind - ließen sich aber auch durch verbesserten Unterricht oder Frühförderung, etwa im Kindergarten und natürlich im Grundschulbereich, erhöhen.

Auch epochale Veränderungen in der Gesellschaft wie zunehmende Verstädte­rung mit damit einhergehendem höheren Anregungsgrad, Änderungen familialer Strukturen (Familiengröße, Alleinerziehende, Scheidungen), Zunahme an Medien­konsum, leichtere Zugänglichkeit von Information (etwa im Internet), säkulares In­telligenzwachstum, Verbreitung von Computern oder ein verbessertes Bildungsklima

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 233

sowie Änderungen in der sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung (Altersvertei­lung, Einwanderung) haben positiven oder negativen Einfluß aufEignungsquoten rur unterschiedliche Schulformen.

Eignungsquoten werden aber auch durch schulische Niveausenkung oder -erhö­hung verändert. Umstände möglicher Leistungsverschleierung, wie etwa ein Verzicht auf Zentralabitur oder auf jährliche objektive Schulleistungsmessungen, beeinträch­tigen klare inhaltliche Orientierungen.

Wie sieht das Potential rur die beiden anderen Varianten des achtjährigen Gymna­siums aus? Für Variante 2, wie sie jetzt in Baden-Württemberg im erweiterten Rah­men praktiziert wird, und für die geplante Variante 3, ein achtjähriges Gymnasium als Regelgymnasium? Für die neuen Varianten des G8 (vgl. Kapitel 2, S. 39ff. in diesem Buch) wären nach unseren Schätzungen auf einer allerdings sehr einge­schränkten Datenbasis (KFT -Werte) maximal 50% eines bisherigen gymnasialen Jahrgangs geeignet. In Abhängigkeit von der Wahl der Bildungsinhalte und des Aus­bildungsniveaus sowie bei positiver Beeinflussung von Unterrichtsqualität und Stei­gcrU\lg des Unterrichtsvolumens wären die ermittelten Eignungsquoten jedoch höher oder niedriger. In Kapitel sieben wurden dazu verschiedene Alternativen diskutiert. Ohne eine ausreichende empirische Datenbasis zu den veränderten schulischen Rah­menbedingungen des G8 können (vorerst) keine wissenschaftlich gesicherten Poten­tialschätzungen hierzu durchgeftihrt werden.

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KAPITEL 9

Bildungsempfehlungen für die Förderung besonders befahigter Gymnasialschüler

Kurt A. Heller

Unser Wissen über die individuellen Bedürfnisse und Effekte der Förderung beson­ders befahigter Kinder und Jugendlicher sowie junger Erwachsener wird aus unter­schiedlichen Informationsquellen gespeist. Prospektive und retrospektive Studien zur Erfassung individueller und sozialer Bedingungsfaktoren von Leistungsexzellenz in der Schule, im Studium und im Beruf sind dafür besonders aufschlußreich. Die nun­mehr abgeschlossene (prospektive) G8-Evaluationsstudie vermittelt neben theoreti­schen Erträgen wertvolle Informationen für die Förderungspraxis. Auch wenn das hier evaluierte G8-Ausgangsmodell inzwischen modifiziert wurde und bildungspoli­tische Entscheidungen zugunsten der generellen Einführung des achtjährigen Gym­nasiums in Baden-Württemberg ab 2004 manche Schlußfolgerungen aus den empiri­schen Befunden dieser Evaluationsstudie relativieren, bietet die zehnjährige Längs­schnittuntersuchung mit jährlichen Wiederholungsmessungen die in Deutschland zur Zeit einmalige Chance, die Persönlichkeits- und Schulleistungsentwicklung beson­ders befahigter Gymnasiasten dreier Jahrgangskohorten über eine volle Dekade - auf der Basis identischer Meßdaten - systematisch zu beobachten. Die Analysebefunde sind somit für die Hochbegabtenförderung im Sekundarstufenalter von unschätzba­rem Wert. Im Hinblick auf die Mitte der 90er Jahre eingeleitete sukzessive Erweite­rung der G8-Züge mit einhergehenden curricularen Modifikationen (vgl. Kapitel 2 in diesem Buch) sowie insbesondere die generelle Einführung des achtjährigen Gymna­siums in Baden-Württemberg ab 2004 ist jedoch mit Veränderungen schulischer Kontextbedingungen zu rechnen. Somit stellt sich erneut die Frage, wie besonders befahigte bzw. hochbegabte Gymnasiasten auch künftig optimal schulisch gefördert werden können. Die im Schlußkapitel dieses Buches erörterten Konsequenzen aus den vorliegenden Befunden werden als Empfehlungen zur Begabtenförderung im Hinblick auf fünf Problembereiche diskutiert, ohne hiermit Anspruch auf V ollstän­digkeit zu erheben. Darüber hinaus lassen sich Bezüge zu anderen Begabungs- bzw. Evaluationsstudien von verschiedenen Förderprogrammen auf nationaler und inter­nationaler Ebene herstellen, die zumindest bei übereinstimmenden Befunden die Aussagekraft der Evaluationsergebnisse zum G8-Modell verstärken. Der Um­kehrschluß bei Befunddiskrepanzen ist natürlich nicht ohne weiteres zulässig. Zu­nächst sollen zentrale Ergebnisse der G8-Evaluationsstudie im Lichte der aktuellen PISA-Studie betrachtet werden.

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236 Kurt A. Heller

Die OE CD-Studie PISA und ihre Folgen für die Begabtenförderung

Angesichts begrenzter Natural Resources gewinnen die Human Resources weltweit zunehmend an Bedeutung. Diese Feststellung gilt verstärkt für rohstoffanne Länder wie die Bundesrepublik Deutschland. Bei der Aktivierung der Human Resources oder Bildungsreserven (Heller, 1970) kommt den individuellen Begabungspotentialen sowie der in einer Gesellschaft gef6rderten Expertise und Leistungsexzellenz eine Schlüsselrolle zu. Nach internationaler Expertenmeinung betrifft dies in modemen, entwickelten Gesellschaften vor allem die Kommunikations- und Wissenskompeten­zen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. "Es ist keine Frage, daß in modemen Gesellschaften die Natur- und Technikwissenschaften eine dominante Rolle bei der Erschließung und Rekonstruktion der Welt repräsentieren. Diese Grundform der Welterschließung, die theoretische Modellbildung mit dem experi­mentellen Zugriff auf die Realität verbindet, ist auch nicht durch andere Formen des Weltzuganges, etwa ästhetischer, gesellschaftlich-historischer oder religiöser Art ersetzbar" (Baumert & Lehmann, 1997, S. 61) - deren Bedeutung für die schulische Sozialisation damit nicht geschmälert wird (vg1. S. 13ff. in diesem Buch).

Mit der Realisierung daraus abgeleiteter Bildungsanspruche sind jedoch nicht nur fachwissenschaftliche Probleme Le.S. verbunden, sondern auch eine Reihe psycho­logischer und pädagogischer bzw. fachdidaktischer Barrieren involviert. Beispielhaft sei hier auf die Befunde der Third International Math and Science Study (TIMSS) verwiesen, wozu inzwischen auch mehrere deutschsprachige Publikationen vorliegen (z.B. Baumert, Lehmann, et al., 1997; Baumert, Bos & Watermann, 1998, 21999; Baumert, Bos & Lehmann, 2000). Ende 2001 wurden darüber hinaus die ersten Be­funde der OECD-Schulleistungsvergleichsstudie Programme for International Stu­dent Assessment (PISA) publiziert; vgl. Baumert et al. (2001), Deutsches PISA­Konsortium (2001), OECD (2001).

Bevor entsprechende Konsequenzen für die Begabtenf6rderung im Gymnasium zur Diskussion gestellt werden, seien die wichtigsten deskriptiven Befunde von PISA 2000 in fünf Thesen zusammengefaßt und einige methodenkritische Bemerkungen hinzugefügt: (1) An der OECD-Studie PISA 2000 beteiligten sich weltweit 180.000 bzw. (ein­

schließlich PISA-E) 265.000 Schüler aus 32 Nationen, darunter 28 Mitglieds­staaten der OE CD (Organization for Economic Co-operation and Development). Die deutsche Stichprobe für den internationalen Schulleistungsvergleich bestand in PISA 2000 aus rund 5000 Schülern von insgesamt 219 zufaIlig ausgewählten Schulen. Um innerhalb Deutschlands auch Bundesländer- und Schultypverglei­che zu ermöglichen, wurden zusammen mit der nationalen Erweiterungsstudie PISA-E insgesamt 50.000 deutsche Schüler aus 1.466 Schulen in der Hauptun­tersuchung getestet.

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Bildungsempfehlungen fiir die Förderung besonders befahigter Gymnasialschüler 237

Der (erste) Bericht des Deutschen PISA-Konsortiums hierzu wurde im De­zember 2001 vorgelegt. Weitere Berichte, vor allem auch zur länderspezifischen Ergänzungsstudie PISA-E (mit Schultyp- und Bundesländervergleichen), folgen 2002f.

(2) PISA I erfaßte schwerpunktmäßig die Lesekompetenz und begleitend auch ma­thematische sowie naturwissenschaftliche Grundbildung bei 15jährigen Schü­lern, die in der Mehrzahl der an PISA beteiligten Länder die Altersgruppe mit dem obligatorischen Schulabschluß repräsentieren. PISA I (2000) wird - mit va­riierter Akzentuierung der erfaßten Inhalte und Altersstufen - durch PISA 11 (2003) und PISA III (2006) sowie DESI (Deutsch-Englisch-Sprachen­International) und andere assoziierte Projekte in den kommenden Jahren fortge­führt und ergänzt, z.B. um kognitive und nichtkognitive domainübergreifende Bedingungsvariablen schulischer Lernleistungen.

(3) Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland, ähnlich wie schon in TIMSS, relativ schlecht ab. Mit Ausnahme der Schulfonn "Gymnasium" rangie­ren deutsche 15jährige Schüler im unteren Leistungsdrittel, Gymnasiasten über­wiegend im oberen Mittelbereich. Sofern man allerdings die (wegen des relativ späten Einschulungstennins) um etwa 1 Jahr verkürzte Unterrichtszeit deutscher Jugendlicher im Alter von 15 Jahren berücksichtigt, lägen diese nach den Rea­nalysen der PISA-Daten von Fend (vgl. Meidinger, 2002, S. 3) statt auf dem 21. immerhin auf dem 9. Platz im PISA-Nationenvergleich.

In PISA wurden die Schulleistungstestergebnisse auf fünf Kompetenzstufen (mit I als unterster und V als oberster Anforderungsstufe) abgebildet. Diese Fest­stellung gilt sowohl für die sprachliche als auch die mathematisch­naturwissenschaftliche Grundbildung.

(4) Neben dem mit 23% relativ hohen Anteil sehr schwacher Leser sowie der auf­fällig schwach besetzten Spitzengruppe bezüglich der in PISA I fokussierten Le­sekompetenz, was mit einer im Ländervergleich ennittelten "Spitzengruppe" (42%) deutscher Schüler in der Leseunlust korrespondiert, fällt die starke Sprei­zung der Sozialstruktur und des Schulerfolgs bzw. schulischen Bildungsniveaus auf. Analoge Relationen bestehen zwischen Kompetenzerwerb und Migration der Bildungsbeteiligung von Jugendlichen aus Migrationsfamilien.

(5) Obwohl- mit wenigen Ausnahmen - auf der Basis der bisher vorgelegten PISA­Daten (weitere Analysebefunde sind im Juli und Dezember 2002 zu erwarten) noch keine eindeutigen Ursachen für das schlechte Abschneiden der deutschen PISA-Teilnehmer festzumachen sind, ist doch eine Reihe auffälliger Unterschie­de zwischen der PISA-Spitzengruppe und der deutschen PISA-Stichprobe er­kennbar, die zumindest vorläufige Erklärungsversuche erlauben. Vorweg sei bemerkt, daß bisher kein einheitliches Bedingungsmuster identifizierbar ist, das eindeutige Aussagen bezüglich optimaler struktureller oder schulsystemischer Art erlaubt. Immerhin unterscheiden sich die meisten Länder der Spitzengruppe von den anderen u.a. in folgenden Merkmalen. Die Unterscheidungsmerkmale

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238 Kurt A. Heller

sind hier, entsprechend ihrem Einflußgewicht nach proximalen und distalen Merkmalen geordnet, in zwölf Punkten zusammengefaßt: • Individuell genutzte Lerngelegenheiten (in und außerhalb der Schule), was

häufig - jedoch nicht immer - mit dem Unterrichtsvolumen korreliert. Im­merhin lassen sich nach Fends Regressionsanalysen (loc. cit.) 40% der PI­SA-Leistungsunterschiede zwischen den 32 Ländern mit dem akkumulierten Unterrichtsvolumen erklären. Neben der Quantität ist vor allem auch die Qualität der Lernaktivitäten von entscheidender Bedeutung für den Bil­dungserfolg.

• Unterrichtsqualität und unterrichtliche bzw. schulische Differenzierungs­maßnahmen, die sich zu einem erheblichen Teil wechselseitig bedingen.

• Muttersprachliche Kompetenz als Basis für Allgemeinbildung bzw. Voraus­setzung für nahezu alle Wissenskernbereiche.

• "Sekundärtugenden" und Subroutinen als unverzichtbare Elemente von Ba­siskompetenzen und Expertiseerwerb in unterschiedlichen Domänen.

• Lernmotivation und Anstrengungsbereitschaft der (Sekundarstufen-)Schüler. • Hochbegabtenf6rderung: Einstellungen gegenüber Hochbegabten, deren

Identifikation und Einsatz wirksamer Fördermaßnahmen. • Förderung begabter Underachiever und anderer Risikogruppen. • Diagnosekompetenz von Lehrkräften als Voraussetzung für gezielte Förder­

maßnahmen. • Schulische Lern- und Leistungskontrollen im Sinne formativer und summa­

tiver Evaluationen: Optimierungsfunktion standardisierter Orientierungsar­beiten oder Schulleistungstests und (externe) Qualitätskontrolle einschließ­lich zentralisierter Abschlußprüfungen.

• Kombination unterschiedlicher Instruktionsmethoden, z.B. von schülerzent­riertem lehrergesteuertem Unterricht und schülergesteuertem entdeckendem Lernen zur Entwicklung und Förderung metakognitiver Kompetenzen, krea­tiver Problemlösungskompetenzen bzw. zum Erwerb "intelligenten" Wis­sens, zur Unterstützung von Transferleistungen usw.

• Kooperation von Schule und Elternhaus, insbesondere auch bei erforderli­chen schulischen Förderungs- und flankierenden familiären Unterstützungs­maßnahmen.

• Wertschätzung schulischer Bildung in der Gesellschaft bzw. bei ihren Reprä­sentanten (Bildungs- und Finanzpolitik, Massenmedien, Eltern, Schüler, Lehrkräfte), sowohl im Hinblick auf eine optimale Persönlichkeitsentwick­lung als auch unter dem Aspekt der Studien- und Berufsqualifikation.

Unabhängig davon, daß die Gymnasiasten im Schultypenvergleich - erwartungs­gemäß - noch relativ am besten in PISA 2000 abschneiden und die in den bisherigen OECD-Berichten dargestellte Position deutscher Schüler im internationalen Länder­vergleich möglicherweise zu schlecht bewertet wurde, läßt sich das Fehlen einer deutlicheren Spitzengruppe (auch in der deutschen Gymnasialschülerschaft) nicht leugnen. Hieraus kann ohne allzu großes Fehlerrisiko geschlossen werden, daß die Förderung besonders oder hoch begabter Schüler im derzeitigen Gymnasium weithin

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Bildungsempfehlungen für die Förderung besonders befähigter Gymnasialschüler 239

nicht optimal erfolgt. Wie die im Kapitel 7 dieses Buches dargestellten Befunde zur Potentialschätzung im neunstufigen Gymnasium erhärten, könnten mindestens 25% der G9-Schülerschaft durch begabungsspezifischere Lernanforderungen und Unter­richtsformen, wie sie im hier evaluierten G8-Modell erprobt worden sind, effektiver gefördert werden. Zu nachweisbaren differentiellen Fördereffekten des G8 vgl. noch Kapitel 6, zu begabungsgerechten schulischen (und familiären) Lernumweltbedin­gungen auch Kapitel 5.

Die Förderung nicht nur spezieller Talente im mathematisch-naturwissen­schaftlichen Bereich, sondern auch im sprachlichen Bereich ist ein Gebot der Stunde, wenn man die PISA-Befunde ernst nimmt. Vor allem in den Anfangsklassen des Gymnasiums und in der gymnasialen Oberstufe verdient die Begabtenförderung im sprachlichen Bereich nach unseren G8-Evaluationsergebnissen stärkere Beachtung: in den Anfangsklassen, um sprachliche Unterforderungen und entsprechendes Under­achievement bei besonders befähigten Grundschulkindern rasch zu kompensieren -in den Oberstufenklassen, um individuelle Schwerpunkte im Sprachunterricht zu vertiefen und das Schülerinteresse durch individuell abgestimmte Aufgabenschwie­rigkeiten im Sinne der Testing the Limits-Strategie kontinuierlich zu sichern. Im Ge­gensatz zum Klassendurchschnitt oder gar zu den schwächeren Gymnasialschülern ist bei den gut oder sehr gut begabten Gymnasiasten die Gefahr der Unterforderung wesentlich größer als jene einer Überforderung. Beides ist kontraproduktiv für eine optimale Schulleistungsförderung und - wie die in Kapitel 4 dargestellten Befunde zum G8 vs. G9 erneut bestätigen - letztlich für die gesamte Persönlichkeitsentwick­lung junger Talente. Neben der speziellen Förderung schwächerer Schüler und ein­zelner Risikogruppen ist die spezielle Förderung besonders begabter und leistungs­williger Schüler - vorab im Gymnasium als Lernort für intellektuell Begabte - ein zeitgemäßes Bildungspostulat, das hierzulande viel zu lange vernachlässigt wurde. Gymnasiale Schulzweige "mit besonderen Anforderungen" sind für die Begabten­förderung unerläßlich, nicht zuletzt auch, um im internationalen Maßstab in der Spit­zengruppe hinreichend stark repräsentiert zu sein.

Unter dem Gesichtspunkt individueller Chancengerechtigkeit in der schulischen und beruflichen Sozialisation ist die Talentförderung in erster Linie ein pädagogi­sches Anliegen, das die damit häufig verknüpfte gesellschaftliche Erwartung an die Begabtenförderung als Funktion der Sicherung sozio-ökonomischer Grundlagen nicht ausschließt, ja sogar als "Bringschuld" des Individuums gegenüber der Gesell­schaft gefordert werden kann. Dieser Gedanke kommt bereits in der NT -Parabel von den anvertrauten Talenten (Mtt 25, 14-30) zum Ausdruck, ist also eine alte - immer noch gültige - Erfahrungsweisheit. Insofern besteht eine wechselseitige Verpflich­tung zur Entwicklung und Förderung besonderer Begabungen: als individuelle "Ent­wicklungsaufgabe " (Havighurst, 1952) jedes Jugendlichen, für die das Individuum bis zu einem gewissen Grad also selbst Verantwortung trägt, und als gesellschaftli­che Verpflichtung, alle Talente - also auch Hochbegabte - optimal zu fördern.

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240 Kurt A. Heller

Begabtenrdrderung am neun- VS. achtstufigen Gymnasium

Welche Alternative - das traditionelle neunstufige oder das in einigen neuen Bun­desländern beibehaltene und nunmehr vereinzelt auch in einigen alten Bundesländern favorisierte achtstufige Gymnasium - ist die bessere, d.h. im Hinblick auf die Be­gabtenförderung effizientere Schulform? Bei der Beantwortung dieser Frage müssen mindestens folgende Teilfragestellungen beachtet werden: zum einen die Qualitätssi­cherung gymnasialer Bildungsansprüche und zum andern die Sicherung der Studier­fiihigkeit durch das Abitur. Beide Aspekte sind natürlich nicht unabhängig voneinan­der zu sehen. Desweiteren ist der Zusammenhang von individueller Lernzeit und Bildungsqualität zu klären.

1. Frage: Sind acht- und neunjiihrige Gymnasialformen für die gleiche Schüler­gruppe geeignet? Wie sieht die empirische Befundlage dazu aus?

Solange es in Deutschland keine jüngeren empirischen Studien zur systematischen Erfassung der Schülerentwicklung im acht- vs. neunjährigen Gymnasium gibt, ist diese Frage nur schrittweise zu beantworten. So konnte die Drei-Länderstudie der GEW in Thüringen (2000) insgesamt keine nachteiligen Effekte des achtjährigen gymnasialen Schulbesuchs in Thüringen im Vergleich zum neunjährigen Gymnasial­besuch in Bayern und Brandenburg in bezug auf nichtkognitive (motivationale und soziale) Entwicklungsbedingungen der Schüler sowie Belastungssituationen der Schüler und Lehrkräfte aufzeigen, die auf die unterschiedliche Schulbesuchsdauer zurückzuführen wären. Dieser Befund kann mit gewissen Vorbehalten durch die Schulmodellversuche zum achtjährigen Gymnasium in Rheinland-Pfalz (Kaiser, 1997, 1998) und Baden-Württemberg (Heller & Rindermann, 1999; Heller & Rei­mann, 1999, 2000; Heller, Reimann & Rindermann, 2000) bestätigt werden - einge­schränkt u.a. deswegen, weil die G8-Stichproben (in Rheinland-Pfalz und Baden­Württemberg) ausgewählte Gymnasialschüler repräsentieren im Vergleich zur Ge­samtpopulation des achtjährigen Gymnasiums in Thüringen.

Da jedoch in der genannten Dreiländerstudie (GEW, 2000) keine Fähigkeits- oder gar Schulleistungsmessungen durchgeruhrt worden sind, sind die genannten Befunde nicht auf die kognitive Leistungsentwicklung im acht- vs. neunjährigen Gymnasium übertragbar. Immerhin stimmen die Befunde zum achtjährigen Gymnasium in Ba­den-Württemberg und in Rheinland-Pfalz, die unabhängig voneinander gewonnen wurden, in ihrer Einschätzung der Eignungsquote rur ein achtjähriges Gymnasium (G8) überein: Diese wird insgesamt auf ca. 25% geschätzt. D.h. bei vergleichbarem schulischen Anforderungsniveau im G8 und G9 (neunjährigem Regelgymnasium in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz) beträgt die derzeitige Eignungsquote (im G9) rur ein verkürztes Gymnasium (G8) durchschnittlich 25%, ohne Leistungsein­bußen zu riskieren. Diese oder höhere Eignungsquoten gelten nach den Evaluations­daten zum baden-württembergischen G8 allerdings nur zu Beginn der gymnasialen Laufbahn (hier: in der 5. Jahrgangsstufe). Bei einem eventuellen späteren Übertritt

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Bildungsempfehlungen tur die Förderung besonders beflihigter Gymnasialschüler 241

ins G8 - was prinzipiell in Baden-Württemberg möglich ist - verringert sich die G8-Eignungsquote (d.h. die Begabungsreserve fiir das G8) je nach Modellberechnung von maximal 42% zu Beginn der Gymnasiallaufbahn (5. Schuljahr) auf ca. 19-20% in der 9. und 10. Klasse (vgl. Kapitel 7 in diesem Buch). Die Abnahme der Eig­nungsquoten mit zunehmender Beschulungsdauer dürfte im wesentlichen auf die unterschiedlich anspruchsvollen Lernumwelten im G9 vs. G8 und damit zusammen­hängende Kumulierungseffekte zurückzuftihren sein. Sie kann als weiterer Beleg fiir notwendige Differenzierungsmaßnahmen zur optimalen Begabungs- und Schullei­stungsentwicklung betrachtet werden.

Sofern die Evaluationsbefunde zum achtjährigen Bildungsgang in Baden­Württemberg und Rheinland-Pfalz für andere Bundesländer übertragbar erscheinen, müßten zu Beginn der Sekundarstufe I maximal etwa 40% der jetzigen Gymnasial­schülerschaft den Eignungsanforderungen des achtjährigen Gymnasiums mindestens befriedigend oder ausreichend genügen können. Dabei wären allerdings eine breitere Streuung der zu erwartenden Abiturnoten sowie eine Senkung des Notenschnitts (Leistungsniveau) am Ende der Gymnasialkarriere nicht auszuschließen.

Bei einem späteren Einstieg in die gymnasiale Schullautbahn - z.B. im 7. Schul­jahr (nach der Einheitsförderstufe) - reduziert sich die Eignungsprognose fiir einen erfolgreichen Besuch des achtjährigen Gymnasiums nach unseren Modellberechnun­gen auf der Grundlage der baden-württembergischen Daten zum G8 und G9 auf durchschnittlich rund 20% der jetzigen Gymnasialschülerschaft im G9. Somit sollte zumindest den begabteren Gymnasialanwärtern der Besuch des achtjährigen Gymna­siums bereits zu Beginn des 5. Schuljahres ermöglicht werden, um individuelle Ent­wicklungschancen der Schülerpersönlichkeit zu optimieren.

2. Frage: Kann das Abitur nach acht Gymnasialbesuchsjahren ohne Qualitäts­einbußen (im Vergleich zum Abitur nach neun Gymnasialbesuchsjahren) die Studierf"ähigkeit sichern?

Hierzu liegen keine umfassenden empirischen Untersuchungsbefunde vor, sofern man a) von den Kurzschuljahren in den alten Bundesländern vor rund 55 Jahren und b) der nach der Wiedervereinigung entstandenen Koexistenz von acht- und neunjäh­rigen Gymnasialabschlüssen in manchen neuen Bundesländern absieht. Doch sind hieraus keine wissenschaftlich schlüssigen Antworten auf die thematisierte Frage­stellung ableitbar. Zum einen sind die Gymnasialpopulationen um die Mitte des letzten Jahrhunderts mit der heutigen Schulsituation - in allen Bundesländern - aus bekannten Gründen nicht vergleichbar. Zum andern wären aktuelle Vergleiche auf Abiturnotenbasis als Nachweis der Studierfähigkeit nur bei hinreichender Standardi­sierung der Abiturprüfungsleistungen über alle Bundesländer hinweg aussagekräftig. Wie die jüngsten Analysebefunde von Köller, Baumert & Schnabel (1999) jedoch belegen, ist diese Voraussetzung offensichtlich nicht gegeben. Sonst könnten nicht identische Abiturnoten (hier von Gymnasial- vs. Gesamtschulabgängern) Leistungs­unterschiede (in den sogenannten Hauptfächern) von zwei Schuljahrpensen und mehr

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repräsentieren, was zumindest im Hinblick auf die geltenden Ne-Regelungen beim Hochschulzugang individuelle Ausbildungs- und somit oft auch Lebenschancen mas­siv beeinträchtigt. Auch sind zentrale Abiturprüfungen in einzelnen Ländern noch keine hinreichende Garantie fiir ländereinheitliche Abiturstandards, wenngleich sie diesem Ideal wesentlich näher kommen als dezentrale Abiturprüfungen. Letztlich kann die 2. Frage nur über systematische Längsschnittstudien zu G9- vs. G8-Abiturienten in ihrem weiteren Ausbildungsgang (Studium, Beruf) zuverlässig be­antwortet werden. Sollte nicht rasch eine länderübergreifende Einigung über einheit­liche Abitur-Standards erreicht werden, dürften Hochschulzugangsprüfungen das Abitur als Studienberechtigung in Deutschland über kurz oder lang ablösen.

So schätzten nach einer HIS-Umfrage im WS 2000/01 nicht weniger als 32% der Studienanfanger die an der Schule erfahrene Vorbereitung auf ein Hochschulstudium als "völlig unzureichend" ein; lediglich 35% fiihlten sich gut vorbereitet (Pressemit­teilung vom 14.1.2002 zur Veröffentlichung von HIS-Hochschulplanung Nr. 155). Von im gleichen Jahr durch das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft befragten 1435 Professoren hielten sogar nur 10% das Abiturzeugnis als zuverlässigen Indika­tor fiir die Studieneignung (vgl. iwd 23/2001). Sicherlich müssen diese Ergebnisse (auch) im Zusammenhang mit der zunehmenden Liberalisierung gymnasialer Auf­nahmebedingungen und inflationären Abitumoten interpretiert werden.

Die ersten drei Abiturjahrgänge des baden-württembergischen G8 erzielten im Vergleich zu den G9-Abiturienten im Zentralabitur fast durchweg bessere Notener­gebnisse, vor allem in den Leistungskursfachern (vgl. Kapitel 4 in diesem Buch). Aus den oben genannten methodischen Gründen kann jedoch hiervon nicht ohne weiteres auf die Abiturqualität im G8 vs. G9 in anderen Bundesländern generalisiert werden. Immerhin bestätigt sich mit diesen Befunden erneut der Nutzen begabungs­gerechter Förder- und Bildungsmaßnahmen.

Sofern also (Grund-)Schüler die notwendigen Lemfähigkeiten rur die Leistungs­anforderungen des achtjährigen Gymnasiums aufweisen, können sie ohne erkennbare Qualitätseinbußen in der Abiturleistung diese Schulform erfolgreich besuchen. Diese Einschätzung ist a) am baden-württembergischen Zentralabitur orientiert und basiert b) auf den Fähigkeits- bzw. Eignungsanforderungen rur das hier evaluierte achtjähri­ge Gymnasium "mit besonderen Anforderungen". Sofern die Anforderungsmaßstäbe für die Kriteriumsleistung "Abiturprüfung" gesenkt und/oder die Zugangsvorausset­zungen (Fähigkeitsprädiktoren) rur den gymnasialen (achtstufigen) Bildungsgang verändert bzw. das Unterrichtsvolumen und die Unterrichtsqualität deutlich im (neu­en) G8 gesteigert werden, sind natürlich andere als die hier ermittelten Potential­schätzungen denkbar.

Bezüglich der Treatmentvariablen sind erfahrungsgemäß die individuell genutzten Lernzeiten für den Schulerfolg wirksamer als das angebotene - von einzelnen Schü­lern in unterschiedlichem Ausmaß tatsächlich genutzte - Unterrichtsvolumen (vgl. Bedingungsmodell der Schulleistung auf S. 55). Darüber hinaus sind stets auch in­terindividuelle Unterschiede der Fähigkeitspotentiale sowie sogenannter Moderator-

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variablen in die Prognosegleichung bei der Vorhersage des Schulerfolgs einzubezie­hen (vgl. ausfiihrlicher Heller, 1997, 2000). Hieraus ergeben sich folgende Konse­quenzen für die Begabtenförderung im Gymnasium.

Versteht man allgemein die Begabtenförderung als pädagogische Unterstützung einer optimalen Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit besonders befähigter Ju­gendlicher, ist angesichts zunehmender Heterogenität der Gymnasialschülerschaft zunächst eine verstärkte Unterrichtsdifferenzierung erforderlich. Diese zielt vor al­lem auf eine bessere "Passung" von individuellen Lernkompetenzen und schulischen Lernforderungen, wobei unterschiedliche Lern- und Übungszeiten bei den einzelnen Schülern zu berücksichtigen sind.

Besonders "befähigte", leistungstüchtige Gymnasialschüler profitieren darüber hinaus von das Individuum herausfordernden Lernurnwelten, wie sie etwa an­spruchsvolle Pluskurse oder Begabtenförder-AGs, Schülerwettbewerbe, spezielle Wochenendkurse oder Ferienakademien bieten. Durch Curriculum Compacting (des Pflichtstoffes) gewinnen besonders befähigte Schüler Zeit, die sie dann individuell für spezielle Interessen und extracurriculare (Freizeit-)Aktivitäten sinnvoll nutzen können. Manche Gymnasiasten, vor allem jene aus stimulierenden Familienmilieus, schätzen diese Freiheitsgrade und sind deshalb gegenüber Ganztagsschulangeboten eher zurückhaltend eingestellt. Ihre Skepsis bezieht sich auf die Gefahr einer mögli­chen Zeitbudgetbegrenzung rur selbstinitiierte Freizeitaktivitäten bzw. Spezial­interessen. Diese sind für Hochbegabte oft entwicklungsstimulierender als schulisch geforderte Lernleistungen, insbesondere in bezug auf die Kreativitätsförderung.

Freilich finden nicht alle Gymnasialschüler entwicklungsförderliche familiäre Lernumwelten und Freundesgruppen für sinnvolle Freizeitbeschäftigungen in ihrer Umgebung vor. Zudem reichen unterrichtsdifferenzierende Maßnahmen und Frei­zeitangebote (bei dem oberen Leistungsviertel oder -drittel) häufig nicht aus, um eine optimale Begabungsförderung zu garantieren. Für diese empfehlen sich deshalb spe­zielle Klassenzüge, etwa nach dem baden-württembergischen oder rheinland­pfälzischen G8-Modell oder auch Spezialgymnasien, wie sie in den neuen Bundes­ländern seit längerem existieren oder jüngstens reaktiviert wurden (z.B. St. Afra in Meißen). Die Effektivität solcher Einrichtungen hängt vor allem von folgenden Be­dingungen ab: • der Gymnasialeignung der betr. Anwärter (s. S. 242), • der individuell in unterschiedlichem Ausmaß erforderlichen und tatsächlich auch

genutzten Lernzeit, • den für unterschiedliche Begabungs-(Sub-)Gruppen im Gymnasium variabel

angebotenen Unterrichts- und Lernzeiten in einzelnen Fächern, • der Qualität des gymnasialen Unterrichts und begabungsspezifischen Lernanfor­

derungen bzw. Lernstrategien, z.B. Betonung selbstgesteuerten entdeckenden Lernens im Projektunterricht (was auf grund besser entwickelter metakognitiver Kompetenzen dieser Schülergruppe weniger Risiken beinhaltet als bei durch­schnittlich oder gar schwächer Begabten).

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In der Konsequenz erfordert dies eine flexible Unterrichtsorganisation, sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in bezug auf das Anspruchsniveau, um den unterschiedli­chen Lernleistungsvoraussetzungen der heutigen Gymnasialschülerschaft individuell besser gerecht zu werden.

Nach den baden-württembergischen Evaluationsbefunden zum GS-Modellversuch sind bei den Schülern dieser GS-Klassenzüge keine nachteiligen kognitiven, motiva­tionalen, emotionalen oder sozialen Entwicklungen zu erwarten (vgl. Kapitel 4). Eher trifft das Gegenteil (z.B. Etikettierungseffekte) bei hochbegabten Gymnasialschülem in G9-Klassen zu (vgl. Heller & Reimann & Rindermann, 2000).

Im Hinblick auf eine optimale Persönlichkeitsentwicklung aller Gymnasialschüler - insbesondere der besseren wie der schlechteren 25-30% - ist eine stärkere Binnen­differenzierung (mit homogeneren Lerngruppen) unerläßlich. Für das obere Lei­stungsviertel oder Leistungsdrittel der derzeitigen Gymnasialschülerschaft bieten die in Baden-Württemberg seit 1991/92 erprobten GS-Züge eine ideale Ergänzung zum neunstufigen Regelgymnasium. Ihr aktueller Beitrag zur Begabtenförderung bei Gymnasiasten ist nicht hoch genug einzuschätzen. Zur Förderung von Spitzenbega­bungen werden jedoch auch GS-Schulen - insbesondere in der erweiterten Form -nur in seltenen Fällen optimale Entwicklungsbedingungen bieten können. Vorausset­zungen und Möglichkeiten hierzu sollen im folgenden Abschnitt diskutiert werden. Dabei wird auch auf geschlechtsspezifische Probleme der Begabtenförderung einge­gangen.

Förderung von Spitzenbegabungen in und außerhalb der Schule

Die in diesem Abschnitt angesprochene Zielgruppe der Gymnasialschüler bezieht sich auf "Hochbegabte" Le.S., d.h. die ca. (±) 5% Begabtesten im Gymnasium. Die Definition dieser Zielgruppe variiert in der Praxis (und Forschung) und hängt im konkreten Fall meist von der Anzahl verfiigbarer Plätze in einem speziellen Schul­oder Förderprogramm ab. In dem 2001 im nordbadischen Raum zunächst als Mo­dellversuch gestarteten MINT-Projekt zur Förderung hochbegabter Gymnasiasten im Bereich von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) wer­den beispielsweise Spitzenbegabungen aus den gymnasialen Eingangsklassen aus­gewählt, die dann während der gesamten Schulzeit in wöchentlichen Spezialkursen außerhalb der regulären Unterrichtszeit im MINT -Bereich sehr anspruchsvoll gefor­dert, d.h. im Sinne der präferentiellen Förderstrategie in ihrer Spezialbegabung ge­fördert werden. Diese Strategie zielt darauf ab, die Entwicklung außergewöhnlicher Fähigkeitspotentiale und deren Transformation in domänspezifische Expertise, d.h. hier Leistungsexzellenz auf sehr hohem Niveau im MINT -Bereich, effektiv zu unter­stützen. Die von der Hector-Stiftung finanzierten Förderkurse (Hector-Seminare) werden in der Pilotierungsphase wissenschaftlich begleitet; von den Evaluationser-

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Bildungsempfehlungen rur die Förderung besonders befähigter Gymnasialschüler 245

gebnissen zur "Halbzeit" (2005) hängt die überregionale Implementierung dieses zunächst für acht Jahre geplanten Förderrnodells ab (vgl. Heller, 2001). Weitere Bei­spiele der Förderung von Spitzenbegabungen repräsentieren die oben erwähnten Spezialgymnasien (größtenteils mit Internat), die Deutsche Schülerakadernie (und ähnliche Akademien) oder die verschiedenen nationalen und internationalen Schü­lerolympiaden, z.B. in Mathematik, Physik und Chemie (vgl. Campbell, Wagner & Walberg, 2000).

In den entsprechenden Evaluationsstudien (Campbell, 1988, 1992; Neber & Hel­ler, 1997; Campbell, Feng & Verna, 1999; Campbell, Wagner & Walberg, 2000; Heller & Lengfelder, 2000) konnten u.a. folgende Einflußfaktoren solcher Förder­maßnahmen auf die Hochbegabungsentwicklung bei Jugendlichen und jungen Er­wachsenen nachgewiesen werden: • Wechselwirkungen zwischen "effektiven" oder "kreativen" sozialen Lernum­

welten und individuellen Begabungs- bzw. Persönlichkeitsmerkmalen (Boe­kaerts, 1995, 1996). Nach amerikanischen Untersuchungen zeichnen sich "ef­fektive" Lehrkräfte gegenüber weniger erfolgreichen durch positive, vorurteils­freie Einstellungen gegenüber ihren hochbegabten Schülern sowie ihre Rolle als "kreative" Modelle aus. Neben stimulierenden sozialen Lern- und Arbeitsum­welten waren aber auch materielle und institutionelle Bedingungen wie Experi­mentierrnöglichkeiten, verfügbare Inforrnationsquellen und Arbeitsmaterialien in der Schule sowie Familie, Ressourcen für selbst initiierte, interessengeleitete Freizeitaktivitäten auf qualitativ hohem Niveau u.ä. für die Entwicklung von Hochbegabung zur Expertise (vgl. Sternberg, 2000) einflußreich. Darüber hinaus wird von den Teilnehmern solcher anspruchsvollen Förderprogramme der Erfah­rungsaustausch mit gleichbegabten Alterspeers betont, der für soziale Ver­gleichsprozesse Hochbegabter und die Herausbildung eigener Gütestandards als sehr nützlich eingeschätzt wird. Nicht zuletzt unterstützt die Begegnung hochbe­gabter Jugendlicher mit gleichaltrigen Hochbegabten über gemeinsame Interes­sen und Beschäftigungen die Entwicklung eines realistischen Begabungsselbst­konzeptes und ist für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung oft ein Leben lang prägend (vgl. Subotnik & Steiner, 1993; Milgram & Hong, 1994; Heller & Viek, 2000; Subotnik & Arnold, 2000).

• Für den Expertisierungsprozeß sind neben ausgeprägten individuellen Fähigkei­ten und Interessen, kognitiver Neugier und Aufgabenmotivation, Beharrlichkeit und Ausdauer beim Verfolgen anspruchsvoller Ziele ("Zehnjahresregel" der Ex­pertiseforschung; vgl. Schneider, 1993, 2000) ausreichende soziale Unterstüt­zungssysteme wie anregende Lehrkräfte bzw. Mentoren im Sinne "kreativer" Modelle (Zorrnan, 1993) zunehmend wichtiger. Während am Anfang der Exper­tiseentwicklung vor allem individuelle Lern- und Leistungsvoraussetzungen wie außergewöhnliche Denkfähigkeiten, gut entwickelte metakognitive Kompeten­zen, Kontrollüberzeugungen, ein stabiles Begabungsselbstkonzept, Streßbewälti­gungsstrategien und Motivationen als "Einstiegsbedingungen" in die betr. Do-

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mäne bedeutsam sind, werden im weiteren Verlauf einer intensiven, andauernden Beschäftigung mit bestimmten Inhalten und Methoden volitionale Merkmale und Persistenzeigenschaften zunehmend wichtiger. Dazu werden u.a. auch soge­nannte Schlüsselqualifikationen wie Medienkompetenz und Teamfähigkeit ge­rechnet.

• Daß bei der Gestaltung begabungsgerechter Lernumwelten auch geschlechtsspe­zifische Probleme zu berücksichtigen sind, wird an der wiederaufgelebten Ko­edukationsdebatte deutlich. Das Hauptärgernis liegt hierbei in den vielfach auf­gezeigten Geschlechterdisproportionen im MINT -Bereich. So sind etwa Schüle­rinnen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Leistungskursen unterreprä­sentiert. Dieses Phänomen ist nicht, zumindest nicht primär, mit unterschiedli­chen (geschlechtsspezifischen) Begabungsvoraussetzungen zu erklären. Das Problem verschärft sich noch dadurch, daß die Geschlechterdisproportion mit zunehmendem Expertisierungsgrad ansteigt. So fanden wir in einem internatio­nalen Kooperationsprojekt, in dem die Vorrunden- und Endrundenteilneh­mer/innen der Internationalen Schülerolympiaden in Mathematik, Physik und Chemie im Zeitraum von 20 Jahren (1977-1997) untersucht worden sind, folgen­de weibliche Teilnehmerraten: Deutschland 4,2%; Finnland 4,5%; USA 9,2%; Korea und Taiwan je 9,4%. In der Endrunde fand sich in 20 Jahren nur 1 deut­sche Schülerin (in Chemie). Ausführlicher hierzu vg!. Heller & Lengfelder (1999, 2000) sowie noch Heller & Viek (2000). Daß damit auch Berufs- und Le­benschancen tangiert sind, sei hier nur am Rande erwähnt. Zugleich offenbart sich an diesen Beispielen ein dringender Nachholbedarf für die Förderung weib­licher MINT-Talente, insbesondere in Deutschland. Im Rahmen der DFG­Forschergruppe "Wissen und Handeln" an der LMU haben wir dazu in den letz­ten sechs Jahren zahlreiche Einzelstudien durchgeführt mit dem Ziel, die häufig beobachteten Leistungsunterschiede von Jungen und Mädchen im Mathematik-, Physik- und Chemieunterricht theoretisch zu erklären und entsprechende Förder­ansätze im koedukativen Unterricht praktisch zu erproben. Dabei waren wir von dem Gedanken geleitet, daß die bisherigen Erklärungsansätze wie die Rollen­hypothese (die z.B. differierende Lehrer-Schüler-Interaktionsmuster im koedu­kativen vs. monoedukativen Unterricht bzw. unterschiedliche Sozialisationser­fahrungen beider Geschlechter unterstellt), die Vorerfahrungshypothese (wonach Mädchen und Jungen unterschiedliche Vorkenntnisse für den Anfangsunterricht, insbesondere in Physik, aufweisen) oder die Konkurrenzhypothese (die eine Do­minanz der Jungen im koedukativen Unterricht unterstellt) keine pädagogisch befriedigenden Antworten liefern. Diese Skepsis basiert sowohl auf umfangrei­chen Literaturrecherchen als auch auf eigenen empirischen Untersuchungsbefun­den. Erklärungsmächtiger erscheint vielleicht die Erwartungshypothese, zu der wir eine Serie von (Quasi-)Experimenten und Feldstudien in den letzten Jahren durchführten. Siehe dazu u.a. Heller & Ziegler (1996, 1997, 1998a/b), Ziegler & Heller (1997). Nach diesen Untersuchungsergebnissen ist der Schlüssel zur Re-

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Bildungsempfehlungen für die Förderung besonders befähigter Gymnasialschüler 247

duzierung unerwünschter Geschlechtsunterschiede im MINT -Bereich eher in der Veränderung ungünstigen selbstbezogenen Wissens als Voraussetzung für indi­viduellen Handlungserfolg bzw. im Abbau dysfunktionaler Kognitionen, Moti­vationen und Einstellungen als in organisatorischen oder schulstrukturellen Maßnahmen zu suchen (vgl. noch Dresel, 2000).

Zur Reduzierung unerwünschter Geschlechtsunterschiede empfehlen sich kogniti­onspsychologische Förderansätze wie das sogenannte Reattributionstraining. Dieses zielt auf die Veränderung ungünstiger Kausalattributionsmuster im Klassenverband. Mündliche und schriftliche Reattributionstrainings tragen erwiesenermaßen mehr und dauerhafter zur Beseitigung von Geschlechtsunterschieden im mathematisch­naturwissenschaftlichen Gymnasialunterricht bei als die Rückkehr zum monoeduka­tiven Unterricht. Während dieser die Benachteiligung der Mädchen im MINT­Bereich nur ansatzweise und vorübergehend positiv beeinflußt, verspricht das päda­gogisch-psychologische Konzept des Reattributionstrainings dauerhafte Verbesse­rung. Inzwischen wurde das Reattributionstraining noch im Tertiärbereich (z.B. im Rahmen der in der Diplom-Psychologinnen-Ausbildung obligatorischen Statistikkur­se) erfolgreich erprobt. Sein Einsatz ist ebenfalls im Kontext der oben erwähnten Hector-Seminare vorgesehen. Eine breitere Implementierung des Reattributionstrai­nings als flankierende Maßnahme zur Begabtenforderung wäre zu empfehlen, zumal der Arbeitszeitaufwand für die betr. Fachlehrkräfte im mathematisch-naturwissen­schaftlichen Unterricht vergleichsweise gering ist. Zur Schulung der Lehrkräfte wer­den erfahrungsgemäß etwa drei Halbtage (mit Intervallen) in der ersten Schuljahres­hälfte und eine Abschlußevaluation zum Schuljahresende benötigt. Ausführlicher vgl. Ziegler & Heller (1998), Ziegler & Schober, (1997,22001).

Konsequenzen für die Lehreraus- und Lehrerfortbildung

"Viele Lehrer sind für die Durchschnittsschüler geeignet, wenige für die ungewöhn­lich Begabten" (Dessoir, 1946). Ist diese Mitte des letzten Jahrhunderts formulierte Feststellung auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch gültig? Fast scheint es so, wenn man die Ergebnisse jüngerer Befragungen von Lehrkräften zum Thema Hoch­begabung in Deutschland, Österreich und der Schweiz als Informationsbelege heran­zieht. Trotz einer Reihe von Lehrerfortbildungsveranstaltungen und Kongressen zum Thema "Erkennen und Fördern hochbegabter Kinder und Jugendlicher" (z.B. Wiec­zerkowski & Prado, 1990; Wagner, 1990, 1995,22000, 2002; Lippert et al., 1994; BMW AGIKM Bayern, 1998; Fitzner, Stark, Kagelmacher & Müller, 1999) und in­zwischen leicht zugänglicher Ratgeberliteratur (z.B. BMBF, 52001; MKS Baden­Württemberg, 1998; Mönks & Ypenburg, 21998; Müller, 22002) sind nur bescheidene Basiskenntnisse zum Thema "Hochbegabung" in den relevanten Zielgruppen vor­handen. So sind beispielsweise nach unserer aktuellen Befragungsstudie bei Grund­schullehrkräften von 80-90% der Befragten weder in der Lehrerausbildung noch in

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Lehrerfortbildungsveranstaltungen Wissens- oder Handlungskompetenzen zum Er­kennen und Fördern hochbegabter Schüler erworben worden. Die Situation dürfte in anderen Schularten einschließlich Gymnasium kaum besser sein. Solange das Thema ,,Hochbegabung" nicht obligatorischer Bestandteil von Aus- und Fortbildungscurri­cula ist, dürfte sich an dem desolaten Zustand trotz vielfältiger Angebote nur wenig ändern. Beispielhaft fiir ein solches Angebot seien nachstehend Curriculumbausteine zur Lehrer- und Beraterqualifizierung fiir Aufgaben der Identifizierung und Förde­rung hochbegabter Kinder und Jugendlicher aufgelistet, die sich in der Praxis seit über 10 Jahren bewährt haben. Je nach Vorwissen und Qualifizierungsziele können einzelne Curriculumelemente ausgewählt bzw. unterschiedlich gewichtet werden, ohne eine gewisse Systematik zu vernachlässigen. Ergänzend vgl. Heller (1992, 22001 ,1995,22000), Heller & Hany (1996), Heller et al. (1993,22000).

Curriculumbausteine für die Lehreraus- und -fortbildung zum Thema "Begab­tenf"drderung"

Themenblock 1: Theoretische Modelle und empirische Befunde zur aktuellen (Hoch-) Begabungsforschung

Konzeptualisierungsprobleme in bezug auf Begabung und verwandte Begriffe (Intelli­genz, Kreativität, Denken, Expertise, Exzellenz usw.). Implizite vs. explizite Begabungstheorien. Psychometrische vs. kognitionspsychologische Ansätze und Befunde der Hochbega­bungsforschung. Erkenntnisse der Expertise-Forschung und deren Nutzen für die Begabtenförderung. Geschlechtsspezifische Befunde der Begabungs- und Lernforschung vor dem Hinter­grund der aktuellen Koedukationsdebatte. Entwicklungspsychologische, sozialisationstheoretische und kulturvergleichende Er­gebnisse der Begabungsforschung. Genetische und neurowissenschaftliche Aspekte von Begabung und Lernen. Bildungspolitische und ethische Grundlagen der Hochbegabungsforschung.

Themenblock 2: Methodenprobleme der Identifikation Indikatoren (Lernbedürfnisse, Interessen, Motivations- und Fähigkeitsmerkmale) sowie Formen der Hochbegabung im Kindes- und Jugendalter. Informationsquellen und Meßinstrumente unter besonderer Berücksichtigung von Leh­rerurteilen zur Identifizierung besonders befähigter Schüler. Entscheidungsstrategien und Fehlerrisiken bei Begabungs- und Leistungsdiagnosen. Testtheoretische Grundlagen der Begabungs- und Leistungsdiagnostik sowie Evaluati­onsprobleme im Zusammenhang mit der Identifikation und Förderung besonders befä­higter Schüler/innen (Programmevaluation).

Themenblock 3: Förderungsstrategien und pädagogische Modelle im Hinblick auf Un­terrichts- und Erziehungsmaßnahmen bei besonders befähigten Schülern und Schüle­rinnnen

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Bildungsempfehlungen rur die Förderung besonders befiihigter Gymnasialschüler 249

Notwendigkeit der Begabtenförderung aus begabungs-, lem- und instruktionspsycholo­gischer Sicht sowie im Hinblick auf entwicklungs- und erziehungspsychologische Pos­tulate. Allgemeines Denktraining vs. bereichsspezifische Wissensvermittlung bei der Hochbe­gabtenförderung. Begabtenförderliche Lem- und Unterrichtsformen bzw. Lehrmethoden. Enrichment, Akzeleration und andere Förderstrategien. Organisatorische Akzelerationsmaßnahmen (vorzeitige Einschulung, Klassen-Über­springen u.ä.). Innere (unterrichtliche) Differenzierungsmaßnahmen vs. äußere Differenzierung bzw. Fördermodelle (Förder-AGs, Schülerakademien, Schülerolympiaden und andere Wett­bewerbe, Spezialklassen oder Spezialschulen). Synopse in- und ausländischer Förderprogramme für verschiedene Altersstufen und Domänen. Evaluationsprobleme in bezug auf Fördermaßnahmen, Förderprogramme und schuli­sche Pilotprojekte. Pädagogisch-psychologische Beratungsanlässe und Kooperationsmöglichkeiten mit Beratungslehrkräften, Schulpsychologen und Erziehungsberatern im Zusammenhang mit Fragen und Problemen bei (vermuteter oder bestätigter) Hochbegabung. Elternberatung durch (Beratungs-)Lehrkräfte und Schul psychologen.

Einstellungsänderungen gegenüber Hochbegabten und ihrer Förderung als Human Resources

moderner Kommunikations- und Wissensgesellschaften

Zum Schluß sei noch ein Problem der Begabtenförderung angesprochen, das häufig sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der öffentlichen Diskussion stiefmütter­lich behandelt wird: nämlich Einstellungen bzw. Vorurteile und Werthaltungen. Nicht erst TIMSS und PISA 2000 offenbarten massive Einstellungsdifferenzen der beteiligten Länder gegenüber dem Wert schulischer Bildungsbemühungen allgemein und speziell gegenüber dem Nutzen sowie der Erfordernis der (Hoch-)Begabten­förderung, aber auch gegenüber dem familiären Erziehungsauftrag bzw. der häusli­chen Verantwortung tUr die außerschulische (insbesondere familiäre) Sozialisation aller - also auch besonders talentierter - Kinder und Jugendlicher. Daß die öffentli­chen Medien hierbei nicht ganz unbeteiligt sind, sei an zwei Beispielen illustriert.

Einer der erfolgreichsten Erfinder der Nachkriegszeit, Artur Fischer (der u.a. den "Fischerdübel" erfand und vielen durch die "Fischer-Technik"-Baukästen weit über Baden-Württemberg hinaus bekannt sein dürfte), wurde in einer STERN-Reportage (Oktober-Heft 1972) als "Der Mann mit den 4000 Patenten" präsentiert (inzwischen wuchs die Zahl der Patente auf über 6000 an!). Die Reaktion Henri Nannens darauf: "Eine solche Verherrlichung eines kapitalistischen Unternehmers will ich nicht wie-

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der sehen." Abgesehen von der in diesem Fall völlig deplacierten Attribuierung der Lebensleistung eines herausragenden Erfinders und seiner innovativen Ideen und Produkte als ,,kapitalistisch", zeugt diese veröffentlichte Meinung von einer kaum mehr zu überbietenden Ignoranz sowie von Geist- oder zumindest Technikfeindlich­keit. Letztere zu äußern ist ja in den drei zurückliegenden Dekaden in weiten Kreisen der Bevölkerung (in den alten Bundesländern) modisch geworden, ohne daß diese auf die viel geschmähten Technikprodukte verzichtet hätten. Insofern sind also die durch die Massenmedien kolportierten Vorurteile nicht ohne Einfluß auf die Abwer­tung naturwissenschaftlicher und technischer Leistungen und deren Urheber in Deutschland geblieben. Daß die gleichen Medien nunmehr fehlende Spitzenleistun­gen in den genannten Bereichen mit einseitigen Schuldzuweisungen an die schuli­schen sowie tertiären Bildungseinrichtungen kritisieren, paßt in das verzerrte Bild, das wir tagtäglich öffentlich oder privat vermittelt bekommen. Wie sollen sich talen­tierte Jugendliche fiir mathematische, naturwissenschaftliche und technische Ausbil­dungsgänge und Berufskarrieren begeistern können, wenn ihnen diese jahrelang als gesellschaftlich unerwünscht oder gar als Teufelswerk suggeriert wurden?

Das zweite Beispiel ist der BZ vom 25.3.1995 entnommen. Dort wurde über drei Freiburger Informatik- und Physikstudenten berichtet, die "beim Programmierwett­bewerb der weltweit größten Informatiker-Vereinigung, der ,Association for Com­puting Machinery' (ACM) ... in der Endausscheidung im amerikanischen Nashvil­leITennessee in einem fiinfstündigen Programmiermarathon als Sieger hervorgingen. Teilgenommen hatten 38 Teams aus insgesamt zwölf Ländern ... Die Trophäe, ein silberner Pokal, auf dem alle bisherigen Gewinnerteams eingraviert sind, ging damit zum ersten Mal an eine europäische Universität. Wie fiihlt man sich nach einer der­artigen Auszeichnung? ,Es ist schon eine tolle Bestätigung, aber deshalb sind wir noch nicht die Besten' ... Es habe auf jeden Fall Spaß gemacht, den Wettbewerb zu gewinnen." Enttäuscht jedoch waren die drei Preisgewinner über die "spärlichen Re­aktionen" in den Tageszeitungen bzw. der Öffentlichkeit in Deutschland.

Diese Beispiele veranschaulichen ein Dilemma unserer aktuellen Situation. Auf der einen Seite gehen immer mehr Arbeitsplätze im traditionellen - auch industriel­len - Beschäftigungsbereich verloren, und die Zahl der Arbeitslosen nimmt zu oder stagniert (im günstigsten Fall). Auf der anderen Seite fehlen hochqualifizierte Ar­beitskräfte und Experten, die in den zurückliegenden Jahren offensichtlich nicht in ausreichender Zahl hierzulande ausgebildet wurden. Die Vernachlässigung der Ta­lentforderung - vor allem im MINT-Bereich - ist eine der Ursachen dafiir. Weitere Ursachen dürften in veränderten Einstellungen und Werthaltungen gegenüber MINT zu suchen sein, nicht selten konfundiert mit geringerer Anstrengungsbereitschaft (die beim Studium der MINT-Fächer zweifellos erforderlich wäre).

Um jedoch dieses Thema nicht mit einer retrospektiven Betrachtung über indivi­duelle und gesellschaftliche Versäumnisse der Begabungs- und Bildungsforderung abzuschließen, folgt ein kurzer Ausblick mit einigen prospektiven Überlegungen zu den Erfordernissen einer künftigen Wissens- bzw. Bildungsgesellschaft. Dazu kön-

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Bildungsempfehlungen tur die Förderung besonders befllhigter Gymnasialschüler 251

nen die Ergebnisse der im Auftrag des BMBF in Bonn durchgeführten "Delphi­Befragung" (1996-1998) von rund 500 Experten aus den verschiedensten Wissens­gebieten wichtige Aufschlüsse vermitteln. Diese von der Prognos-AG durchgeführte "Wissens-Delphi"-Studie wurde durch eine parallele Befragung (bei ebenfalls 500 Experten), nämlich "Bildungs-Delphi", ergänzt. An dieser waren u.a. das Fraunho­fer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (lAO) und das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) beteiligt.

Hauptfragestellungen von Wissens-De/phi waren: 1) Was ist jeweils bis 2005 bzw. 2020 erwünscht? 2) Was wird wahrscheinlich bis 2005 bzw. 2020 eintreten?

Hauptfragestellungen von Bildungs-De/phi waren: 1) Was soll das Bildungssy­stem (aus Expertensicht) leisten? Wie soll es sich innerhalb der nächsten Jahre - bis 2005 bzw. 2020 - entwickeln, und was ist erwünscht? 2) Was wird das Bildungssy­stem voraussichtlich im genannten Zeitraum leisten? Wie wird es sich wahrschein­lich bis 2005 bzw. 2020 entwickeln?

Die Ergebnisse dieser breiten Experteneinschätzungen sind in drei Bänden (mit einem Gesamtumfang von 532 Seiten) dokumentiert; vgl. Bundesministerium :fiir Bildung und Forschung (1999). Betont wird von den Experten, daß zwar Wissen zur Hauptressource künftig werden wird, aber Faktenwissen allein nicht ausreicht. Viel­mehr setzten individuelle Leistungen, insbesondere Leistungsexzellenz, neben aus­reichenden Fachkenntnissen und kreativen Ideen ("intelligentes Wissen" nach Wei­nert) persönliche Eigenleistungen wie Informationsbewertungen und Gewichtungen sowie wissensbasierte Interpretationen voraus. Dabei müssen Methoden des Zugangs zum und der kompetente Umgang mit Wissen beherrscht werden. Für das Allge­meinwissen werden vier Komponenten benannt: instrumentelle, personale, soziale und inhaltliche Kompetenzen. Zwischen Allgemeinwissen, Fachwissen, Bildungs­wissen und "Lebenswissen" besteht nach Expertenmeinung eine Interdependenz. Neben einem fundierten Allgemeinwissen wird die Persönlichkeitsentwicklung und deren Förderung als vordringliches Bildungsziel betrachtet, denn nur individuell und sozial kompetentes Handeln ermögliche das in modemen Wissensgesellschaften er­forderliche Orientierungswissen. Dieses schließe in hohem Maße Eigenverantwor­tung für Lemarrangements sowie die Nutzung schulischer und außerschulischer Res­sourcen ein. Damit wären wir wieder bei dem im Eingangskapitel behandelten Bil­dungsauftrag des Gymnasiums und seiner Rolle in der Begabungs- und Persönlich­keitsfärderung junger Talente angelangt.

Um das Ideal einer Wissens- oder Bildungsgesellschaft wenigstens approximativ zu erreichen, wird keine Gesellschaft auf eine optimale, nachhaltige Förderung ihrer (verschiedenen) Talente und Begabungsformen verzichten können. Dazu gehören auch spezielle Fördermaßnahmen für hoch oder außergewöhnlich begabte Gymnasi­asten, sowohl im achtjährigen wie im neunjährigen Bildungsgang dieser Schulform. Die in diesem Buch präsentierten Untersuchungsergebnisse zur Entwicklung beson­ders befähigter Gymnasialschüler/innen bieten viele Informationen und Anregungen

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zur Begabtenf6rderung, die es nun bildungspolitisch und in die pädagogische Praxis umzusetzen gilt.

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Page 253: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Autoren

Verzeichnis der Autoren

Dipl.-Psych. Dr. Kurt A. Heller, Prof. em. Universität (LMU) München Department Psychologie, Abt. Psychologische Diagnostik und Evaluation Leopoldstr. 13, D-80802 München TeL 089-2180-6289 - Fax: 089-2180-5250 E-Mail: [email protected]

Dipl.-Psych. Dr. Heinz Neber, Gastprof. Universität (LMU) München Department Psychologie, International MA Study Program "Psychology ofExcellence" Leopoldstr. 13, D-80802 München TeL 089-2180-9791 - Fax: 089-2180-5250 E-Mail: [email protected]

Dipl.-Psych. Dr. Ralph Reimann, Projektmitarbeiter Universität Wien Institut für Psychologie, Arbeitsbereich Bildungspsychologie & Evaluation Universitätsstr. 7, A-1010 Wien Tel. 0043-1-4277-47877 -Fax: 0043-1-4277-47879 E-Mail: [email protected]

Dipl.-Psych. Dr. Heiner Rindermann, Wiss. Ass. Universität Magdeburg Institut für Psychologie, Abt. Psychologische Methodenlehre, Psychodiagnostik und Evaluationsforschung Postfach 4120, D-39016 Magdeburg Tel. 0391-671-1919 - Fax: 0391-671-1914 E-Mail: [email protected]

255

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Glossar

Alpha: "Cronbachs Alpha" ( ) ist ein Maß für die interne Konsistenz einer Skala, z.B. einer Test- oder Fragebogen- bzw. Rating- oder Einschätzskala. Der maxi­male Alpha-Wert beträgt 1. Ab = 0.75 ist die Skalenqualität befriedigend, ab = 0.85 gut oder sehr gut.

Arithmetischer Mittelwert: Durchschnittswert bzw. Mittelwert (s.u.).

Beta bzw. Beta-Gewicht: Maß für eigenständige Beiträge einzelner Prädiktoren zur Kriteriumsvarianz (s.u. Regressionsanalyse).

d: Standardisiertes Maß für die sogenannte Effektstärke (s.u.).

Effektstärke: "Praktisch bedeutsame" Größe eines Effekts, d.h. im allgemeinen eines Unterschieds zwischen zwei Gruppen. Da sich bei großen Stichproben auch kleine (für die Praxis unbedeutende) Effekte als statistisch signifikant erweisen können, ist die Effektstärke d als Maß rur die praktische Relevanz eine notwen­dige Information rur die angemessene Interpretation empirischer Befunde. M-Dif­ferenz der Gruppen dividiert durch die gemeinsame Standardabweichung = d.

Eta2 ( 2): Maßzahl für die erklärte Varianz (s.u. Varianzanalyse), z.B. für Fähig­keits- oder Schulleistungsunterschiede zwischen G8/G9-Schülern, usw.

Freiheitsgrade: Anzahl der bei der Berechnung eines statistischen Kennwertes frei variierbaren Werte.

Intervallskala: Skala, auf der die Punkt-Abstände (Intervalle) konstante Merkmals­unterschiede repräsentieren (z.B. T-Skala oder Abweichungs-IQ-Skala). Dagegen erreichen die üblichen Zensuren als Maß rur Schulleistungen bzw. Schulleistungs­unterschiede in der Regel keine Intervallkonstanz, d.h. können nur als ordinal­skalierte Werte betrachtet werden. Hierbei indizieren die Notenstufen nur eine Rangfolge (keine Intervallkonstanz) des erfaßten Merkmals, z.B. Schulleistung.

Item: Begriffrur Aufgabe (in einem Test) oder Frage (in einem Fragebogen).

Kohorte: Durch gemeinsames Geburts- oder Schuleintrittsjahr definierte Gruppe (Jahrgang). Nicht mit "Generation" gleichzusetzen!

Korrelation(skoeffIzient): Statistische Berechnungsmethode bzw. Maß rur die Zusammenhänge (Kovariation) zweier (bivariate Korrelationen) oder mehrerer (multiple Korrelationen) Merkmalsreihen. Beispielsweise korreliert das Merkmal "Körpergewicht" nicht mit dem Merkmal "Haarlänge" , dagegen aber vermutlich mit dem Merkmal "Leistung im 100m-Lauf'.

Kovarianzanalyse: Mischform aus Regressionsanalyse (s.u.) und Varianzanalyse (s.u.), wobei die abhängigen Variablen (z.B. Schulleistungen) durch unabhängige Variablen (z.B. Intelligenz und/oder Motivation) erklärt werden. Maßzahl für die insgesamt erklärte Varianz ist R2, für den Faktor allein wird Eta2 bestimmt.

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Glossar 257

Kriterium bzw. Kriteriumsvariable: Damit wird die sogenannte abhängige Variable bezeichnet, z.B. Schulleistung.

Median: Derjenige Wert einer Werteverteilung, der die Gesamtzahl der Fälle (Unter­suchungspersonen) in zwei Hälften teilt, so daß 50% aller Werte unter und 50% aller Werte über dem Median liegen.

Metaanalyse: Zusammenfassende Analyse einer Vielzahl von empirischen Einzel­studien mit dem Ziel, die Vielfalt der Befunde zu bündeln und zu einer integra­tiven Aussage zu gelangen.

Mittelwert (M): Derjenige Wert, der sich ergibt, wenn die Summe aller Werte einer Verteilung durch die Gesamtanzahl der Werte (meistens Anzahl der Untersu­chungspersonen) geteilt wird.

Moderator bzw. Moderatorvariable: Damit werden jene Variablen bezeichnet, die den Zusammenhang (die Korrelation) zwischen den Prädiktorvariablen (s.u.) und den Kriteriumsvariablen (s.o.) systematisch moderieren, d.h. verändern.

Operationalisierung: Umsetzung eines eher abstrakten Merkmals bzw. eines hypo­thetischen Konstrukts in eine konkret meßbare Variable. Z.B. wird "Intelligenz" durch die "Anzahl richtig gelöster Aufgaben in einem Intelligenztest" operationa­lisiert.

Prädiktor bzw. Prädiktorvariable: Unabhängige Variable, auf die sich die Vorher­sage stützt, z.B. kognitive Fähigkeiten als Prädiktoren für das Leistungskriterium als abhängige Variable (s.u. Regressionsanalyse).

r: Korrelationskoeffizient, ermittelt nach Pearson Produkt-Moment-Korrelation u.ä.

Ratingskala: Eine Form der Beantwortung von Fragebogenitems (Item: s.o.). Be­fragte Personen können hierbei zwischen mehreren Antwortalternativen wählen, die z.B. zwischen "völliger Ablehnung" und "völliger Zustimmung" variieren. Sehr häufig werden vier- oder fünf stufige RatingskaIen (also vier oder fünf abge­stufte Antwortalternativen) verwendet.

Regressionsanalyse: Analyseverfahren zur Aufdeckung des Zusammenhangs einer intervallskalierten abhängigen Variablen (z.B. Schulleistung im PISA-Test oder in TIMSS) und intervallskalierten unabhängigen Prädiktoren (z.B. Intelligenzvaria­bIen). Der eigenständige Beitrag eines einzelnen Prädiktors zur Kriteriumsaufklä­rung wird mit den sogenannten Beta-Gewichten (s.o.) ausgedrückt.

Reliabilität: S.U. Testgütekriterien!

Signifikanzniveau: Beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit der ein ermittelter Unter­schied zwischen z.B. zwei Gruppen zufällig versus nicht-zufällig aufgetreten ist. Bei nicht-zufälliger Differenz (= signifikantem Unterschied) ist davon auszuge­hen, daß diese Differenz in vergleichbaren Stichproben ebenfalls wieder erkenn­bar ist. Die Wahrscheinlichkeit hierbei ist als Irrtumswahrscheinlichkeit konzipiert, d.h. ab einer genügend geringen Wahrscheinlichkeit gilt ein Ergebnis als signifikant. In der statistischen Terminologie wird das Signifikanzniveau als

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258 Glossar

Kennwert p (Abk. für probabilitas = Irrtumswahrscheinlichkeit) mitgeteilt. Damit wird überprüft, ob die Daten mit der Nullhypothese vereinbar sind.

Skala: Bezeichnung für Merkmalsausprägungen, die via Ratings (Einschätzungen z.B. in Fragebögen) oder Tests (durch Aufsummierung der Einzelitems oder Mittelwertbildung) ermittelt wurden.

Standardabweichung: Durchschnittliche Streuung der Meßwerte (mathematisch die Wurzel aus der Varianz, s.u.). Mithilfe dieses Wertes ist die Beurteilung möglich, ob ein konkreter Meßwert überdurchschnittlich vom Gruppenmittelwert abweicht.

Streuung: s.o. Standardabweichung.

Testgütekriterien: Meßinstrumente (Tests, Fragebögen) sollen den Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität genügen. Ein Instrument ist objektiv, wenn es hinsichtlich der Durchführung, der Auswertung und der Interpretation unab­hängig vom jeweiligen Testanwender ist, d.h. wenn andere Personen auf der Basis des eingesetzten Verfahrens zu derselben Aussage kommen würden. Ein Instru­ment gilt als reliabel, wenn es das, was es mißt, möglichst fehlerfrei mißt. Ein Instrument ist valide, wenn es das, was es messen soll, tatsächlich auch (und nicht etwas anderes) mißt.

Treatment: Allgemeiner Begriff fiir "Interventionsmaßnahme" oder "Behandlung"; in der medizinischen Forschung ist dies beispielsweise ein neuartiges Medika­ment, in der psychotherapeutischen Forschung beispielsweise ein bestimmtes Training, in der pädagogisch-psychologischen Forschung beispielsweise eine in­novative Unterrichts- oder Schulform.

T-Wert: Beschreibt die Merkmalsausprägung eines Individuums oder einer Gruppe innerhalb der T -Norm-Skala. Diese stellt eine standardisierte Meßwerteskala zur ökonomischen Vergleichbarkeit von Testwerten dar. Einfach ausgedrückt sind T­Werte in spezieller Weise umgerechnete Rohwerte (z.B. Anzahl gelöster Aufga­ben in einem Fähigkeitstest). Die T-Skala ist eine sogenannte Intervallskala, definiert durch den arithm. Mittelwert MT = 50 und die Standardabweichung ST =

10. Zwischen T = 40 und T = 60 liegen somit (unter der Gaußschen Glocken­kurve) rd. 68% aller Fälle, jeweils rd. 16% liegen unter dem T -Wert 40 bzw. über dem T-Wert 60.

Validität: s.o. Testgütekriterien!

Variable: Empirisch erfaßte Merkmalsausprägungen werden zusammenfassend als Variable bezeichnet.

Varianz: Summe der quadrierten Abweichungen aller Meßwerte einer Verteilung vom Mittelwert, dividiert durch die Anzahl aller Meßwerte (meistens Anzahl der Untersuchungspersonen). Stellt ein Maß fur die Unterschiedlichkeit der einzelnen Werte dar.

Varianzanalyse: Allgemeine Bezeichnung fur eine bestimmte Gruppe vielfältiger statistischer Auswertungsverfahren zur Ermittlung von Gruppenunterschieden.

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Anhang

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260 Anhang: SchOlerfragebogen

Im Anhang sind die eingesetzten Schüler-, Eltern- und Lehrerjragebögen dokumen­tiert. Im Laufe der Untersuchung kamen unterschiedliche Varianten der Fragebögen zum Einsatz, die hier aus Platzgründen nicht alle aufgelistet werden. Insbesondere die Inhalte der Schüler- und Elternfragebögen variierten in Abhängigkeit vom Alter der Schüler. Die hier dokumentierten Fragebögen beinhalten die Kembestandteile der verwendeten Fragebögen und repräsentieren Versionen, die eingesetzt wurden, wenn die Schüler Klasse 9 und höher besuchten.

Die Fragebögen werden hier darüber hinaus in einer Art ,,komprimiertem Layout" wiedergegeben, d.h. in der tatsächlichen Einsatzform war das Erscheinungsbild der Fragebögen großzügiger gestaltet. Ebenfalls befand sich jeweils am Ende der Bögen - verbunden mit einem expliziten Hinweis hierauf - Raum für weitere Anmer­kungen, Kommentare etc.

Schülerfragebogen

Codenummer: 1..1_--'-_--'-_--'-_--'-_ ...... 1 (bitte gut lesbar)

Datum:

Geschlecht: (Zutreffendes bitte ankreuzen)

Junge Mädchen

o o

Auf denfolgenden Seitenfindest Du einige Aussagen zum Unterricht.

Zunächst sollst Du jede Aussage danach beurteilen, wie weit sie auf einzelne Schulfächer zutrifft. Deine Angaben werden in anonymisierter Form ausgewertet.

Beispiel:

Für jedes Fach muß eine Antwort eingetragen werden. Die jeweils 8 Antworten be­stehen aus Buchstaben mit folgender Bedeutung:

A: stimmt genaultrifft (fast) immer zu B: stimmt ungefähr/trifft häufiger zu C: stimmt weniger/trifft selten zu D: stimmt nicht/trifft nie zu

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Anhang: Schülerfragebogen 261

Überlege Dir die jeweils 8 Eintragungen zu jeder Aussage gut! Dabei kommt es nur auf Deine eigene Erfahrung mit dem Unterricht an. Wenn Du bei einer Beurteilung nicht ganz sicher bist, so trage den Buchstaben ein, der am ehesten zutrifft!

1. In diesem Fach kann ich mich im Unterricht gut konzentrieren:

2. Mein Interesse in diesem Fach ist gestiegen:

3. In diesem Fach erklärt der Lehrer den Stoff genau:

4. Auf Klassenarbeiten wird in diesem Fach gut vorbereitet:

5. Der Unterricht wird in diesem Fach oft gestört:

6. In diesem Fach kann ich gut mit dem Schulbuch lernen:

7. In diesem Fach wird viel geübt und wiederholt:

8. Beim Unterricht in diesem Fach muß ich viel nachdenken:

9. In diesem Fach kann ich mich oft mit dem beschäftigen, was mich wirklich in­teressiert:

10. Die Aufgaben in diesem Fach sind leicht:

Page 260: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

262 Anhang: Schülerfragebogen

11. In diesem Fach diskutiere ich viel:

12. In diesem Fach beschäftige ich mich mit bestimmten Stoffen oft ganz selbstän­dig:

13. Beim Unterricht in diesem Fach wird zu schnell vorgegangen:

14. Wenn ich in diesem Fach etwas nicht verstehe, stelle ich Fragen:

15. Hausaufgaben in diesem Fach kontrolliert der Lehrer genau:

16. In diesem Fach arbeite ich oft in einer Gruppe mit anderen zusammen:

17. In diesem Fach habe ich Angst, vor der Klasse zu sprechen:

18. Beim Unterricht in diesem Fach lerne ich viel:

19. Die Noten, die ich in diesem Fach erhalte, kann ich mir gut erklären:

20. In diesem Fach traue ich mir gute Leistungen zu:

21. In diesem Fach werden häufig Beziehungen zu anderen Schulfächern hergestellt:

I. Fremdspr.

Page 261: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Anhang: Schülerfragebogen 263

22. In diesem Fach will ich unbedingt besser sein als andere:

23. Im Unterricht in diesem Fach wird gezeigt, wie man selbständig lernen kann:

24. Wenn meine Schulleistungen einmal schlechter sind, dann erklärt mir der Lehrer/ die Lehrerin, was ich machen soll, damit sie wieder besser werden:

25. Der Stoff in diesem Fach ist schwer zu verstehen:

26. Auch nach dem Unterricht beschäftige ich mich mit diesem Fach:

27. Geschlecht des Lehrers oder der Lehrerin (M=Mann; F=Frau):

28. In diesem Fach sollen wir im Unterricht selbständig Problemstellungen bearbei­ten und Lösungen finden.

29. Aufgrund von Unterforderung (Stoffleicht, Wiederholungen usw.) ist mir im Un­terricht manchmal langweilig.

30. Im Unterricht kommen wir in diesem Bereich gut voran.

Jetzt geht es nicht mehr um einzelne Fächer, sondern um Deine Einstellung zur Klas­se, zu Lehrern usw. Du brauchst hier nur noch einen Buchstaben pro Frage anzu­kreuzen.

31. Ich habe von meinen Klassenkameraden schon viel gelernt.

32. In der Klasse fUhle ich mich oft einsam und allein.

A--B--C--D

A--B--C--D

Page 262: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

264 Anhang: SchUlerfragebogen

33. In der Klasse habe ich FreundelFreundinnen gewonnen.

34. Ich will besser sein als andere Schüler.

A--B--C--D

A--B--C--D

35. Ich möchte gerne Schüler aus anderen Klassen kennenlernen. A - - B - - C - - D

36. Am besten lerne ich ganz für mich allein. A - - B - - C - - D

37. Wenn ein anderer Schüler eine Frage hat, dann helfe ich.

38. Ich möchte häufiger als bisher mit anderen in einer Gruppe lernen.

39. Von Schülern anderer Klassen meiner Schule fiihle ich mich abgelehnt.

40. Mit den Lehrern nehme ich keinen Kontakt auf.

41. Ich möchte auf jeden Fall in dieser Klasse bleiben.

42. Vor der ganzen Klasse spreche ich nicht gerne.

43. Ich möchte lieber eine der anderen Klassen am 9jährigen Gymnasium besuchen.

44. Unser Verhältnis zu den Schülern der Parallelklassen ist gut.

45. Die Schüler der Parallelklassen kommen mit uns gut aus.

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Zum Schluß möchten wir noch etwas über Deine Hobbies und Dein Freizeitverhalten erfahren. Für welche Bereiche interessierst Du Dich zur Zeit außerhalb der Schule? Gib bitte für jeden der folgenden Interessenbereiche an, wie intensiv Du Dich damit (theoretisch oder praktisch) beschäftigst!

(l) = sehr oft (2) = oft

Geschichte

(3) = selten (4) = sehr selten bis nie

1--2--3--4 (z.B. Archäologie, geschichtliche Darstellungen)

Gesellschaft (z.B. Umwelt, Politik, Ökonomie) 1 - - 2 - - 3 - - 4

KunstlMusik 1 - - 2 - - 3 - - 4 (z.B. Gestaltende Kunst, Architektur, Theater, Film, Instrumente)

Mathematik 1 - - 2 - - 3 - - 4 (z.B. Zahlenrätsel, Informatik)

Naturwissenschaften 1 - - 2 - - 3 - - 4 (z.B. Astronomie, Mineralogie, Pflanzenkunde)

Philosophie/Religion 1 - - 2 - - 3 - - 4

Soziales 1 - - 2 - - 3 - - 4 (z.B. Pädagogik, Medizin, soziale Dienstleistungen)

Page 263: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Anhang: Schülerfragebogen

Sport (auch passiv, z.B. als Zuschauer von Veranstaltungen)

Sprachen (z.B. Literatur, Zeitungswesen, zusätzliche Fremdsprachen)

Technik (z.B. Materialien produzieren, Objekte reparieren)

Computer (z.B. Programme, Internet etc.)

Zu guter Letzt noch ein paar konkrete Beschäftigungen:

Fernsehen (allgemein) Nachrichten, Politik, Informationen Natur oder Wissenschaft Unterhaltung Talkshows Spielfilme, Krimis usw. Spielshows, Shows Musiksendungen

Ins Kino gehen

Ausgehen (z.B. Disco, Partys)

Bücher lesen

Sport

Musikinstrumente, Singen u.ä.

Musik hören

Verein (Sport, Pfadfinder, Naturschutz u.ä.)

Natur und Tiere (z.B. Reiten, Naturschutz)

Basteln, malen, künstlerisch tätig

Vielen Dank für Deine Mitarbeit!

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Page 264: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

266 Anhang: Eltemfragebogen

Elternfragebogen

Codenummer Ihrer TochterIIhres Sohnes: ... '--'_ .... 1_ .... 1---11...... ... ' (bitte gut lesbar)

Datum:

Geschlecht des Jugendlichen (Zutreffendes bitte ankreuzen)

Junge Mädchen

o o

Bitte beantworten Sie die folgenden Fragen, indem Sie 'Ja' oder 'Nein' anstreichen! (Bei der Beantwortung der einzelnen Fragen sollte man nicht lange überlegen, sondern zügig den Fragebogen bearbeiten.)

1. Im Unterricht wird von meinem Kind viel Selbständigkeit verlangt. Ja----Nein

2. Meine Tochter/mein Sohn kann dem Unterricht gut folgen. Ja----Nein

3. Im Unterricht sollte mehr geübt werden.

4. Der Unterricht zeigt, daß die Entscheidung fiir das 8jährige Gymnasium richtig war.

5. Meine Tochter/mein Sohn besucht den Unterricht gerne.

6. Von den Lehrern erhalte ich Informationen über

Ja----Nein

Ja----Nein

Ja----Nein

meine Tochter/meinen Sohn. Ja----Nein

7. Der Stoff wird zu schnell durchgenommen. Ja----Nein

8. Der Unterricht regt die Interessen meiner Tochter/meines Sohnes an. Ja----Nein

9. In der Klasse werden Kontakte zu den Mitschülern gefördert. Ja----Nein

10. Der Wissensstand meines Kindes sollte häufiger überprüft werden. Ja----Nein

11. Klassenarbeiten sind flir meine Tochter/meinen Sohn kein Problem. Ja----Nein

12. Meine Tochter/mein Sohn hat gute Kontakte zum Lehrer.

13. Meine Tochter/mein Sohn erfährt im Unterricht, wie man selbständig lernt.

14. Mitschülern gegenüber kann sich meine Tochter/mein Sohn durchsetzen.

15. Meine Tochter/mein Sohn ist in der Klasse anerkannt.

16. Meine Tochter/mein Sohn hilft anderen beim Lernen.

17. Meine Tochter/mein Sohn hat Freunde in der Klasse.

Ja----Nein

Ja----Nein

Ja----Nein

Ja----Nein

Ja----Nein

Ja----Nein

18. Bei Lernproblemen helfen Mitschüler meiner Tochter/meinem Sohn. Ja----Nein

19. Meine Tochter/mein Sohn lehnt manche Lehrer ab. Ja----Nein

Page 265: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Anhang: Eltemfragebogen

20. Meine Tochter/mein Sohn will gute Noten erreichen.

21. Meine Tochter/mein Sohn hat viele Interessen, die sich nur außerhalb der Schule verwirklichen lassen.

22. Meine Tochter/mein Sohn hat Interesse an Kontakten zu anderen.

23. Für seine Interessen setzt sich meine Tochter/mein Sohn ein.

24. Mein Kind berichtet regelmäßig, wie es ihm im Unterricht geht.

25. Hausaufgaben macht meine Tochter/mein Sohn regelmäßig.

267

Ja----Nein

Ja----Nein

Ja----Nein

Ja----Nein

Ja----Nein

Ja----Nein

26. Meine Tochter/mein Sohn trifft sich oft nach der Schule mit anderen. Ja----Nein

27. Der Unterricht läßt meiner Tochter/meinem Sohn genügend Freizeit. Ja----Nein

28. Über Probleme in der Schule bin ich immer gut informiert. Ja----Nein

29. Die Lernzeit zuhause kann sich meine Tochter/mein Sohn selbst einteilen. Ja----Nein

30. Bei Lernschwierigkeiten helfe ich meiner Tochter/meinem Sohn. Ja----Nein

31. Auch schwierige Lernaufgaben will mein Kind völlig selbständig lösen. Ja----Nein

32. Mit den Hausaufgaben beschäftigt sich meine Tochter/ mein Sohn gerne. Ja----Nein

33. Für mich ist es am wichtigsten, daß mein Kind gute Noten erreicht. Ja----Nein

34. Beim Lernen zuhause wird meine Tochter/mein Sohn nicht unterbrochen. Ja----Nein

35. Meine Tochter/mein Sohn hat ein eigenes Arbeitszimmer. Ja----Nein

36. Auf Klassenarbeiten bereitet sich meine Tochter/mein Sohn gut vor. Ja----Nein

37. Meine Tochter/mein Sohn erhält alle Bücher, für die sie/er sich interessiert. Ja----Nein

38. Meine Tochter/mein Sohn beschäftigt sich mit Computern. Ja----Nein

39. Die Interessen meiner Tochter/meines Sohnes sind meiner Meinung nach wichtiger als gute Noten.

40. Hausaufgaben kontrolliere ich regelmäßig.

41. In letzter Zeit hatte meine Tochter/mein Sohn besonders belastende Ereignisse zu verarbeiten (Krankheit, Verlust von Personen, usw.). Falls ja, welche?

Ja----Nein

Ja----Nein

Ja----Nein

Page 266: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

268 Anhang: Elternfragebogen

42. Halten Sie neben dem Unterricht weitere Fördermaßnahmen für notwendig? Ja----Nein Falls ja, listen Sie bitte kurz einige Fördermaßnahmen auf, die Sie für sinnvoll halten!

43. Meiner Meinung nach sind die Lehrer für den Unterricht im achtjährigen Gymnasium gut ausgebildet. Ja----Nein

44. Die Anforderungen im achtjährigen Gymnasium sind allgemein ... zu hoch eher zu hoch genau richtig eher zu niedrig zu niedrig

o o 0 0 0

45. MeinIe Sohn/Tochter ist im Vergleich zu den anderen Schülern in der Klasse ... weniger fleißiger

o

etwas weniger fleißig

o

durchschnittlich fleißig

o 46. Meine Tochter/mein Sohn arbeitet konzentriert

(Hausaufgaben, Arbeiten).

Fragen zum Klassenklima

etwas fleißiger

o

viel fleißiger

o

Ja----Nein

Zur Einschätzung des Klassenklimas stehen Ihnen 4 Antwortalternativen zur Verfü­gung:

(A) = (B)= stimmt nicht! stimmt weniger/ me selten

(C) =

stimmt ungefähr/ oft

1. Mein Kind möchte lieber eine der anderen Klassen am Gymnasium besuchen.

2. Zwischen Lehrer und Schülern bestehen gute Beziehungen.

(D) =

stimmt genaul sehr oft/immer

3. Zwischen den Schülern kommt es zu Wetteifer/Wettbewerb.

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A--B--C--D 4. Der Unterricht ist für die Schüler zu schwierig.

5. AufVerständnisschwierigkeiten der Schüler wird im Unterricht besonders stark eingegangen.

6. Der Konkurrenzdruck in der Klasse ist gering.

7. Zwischen den Schülern gibt es viele Freundschaften.

8. In dieser Klasse unterrichten Lehrer gerne.

9. In der Klasse gibt es isolierte Einzelgänger.

10. In der Klasse treten Aggressionen und Disziplinkonflikte auf.

11. Lehrer und Schüler können gut zusammenarbeiten.

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Page 267: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Anhang: Elternfragebogen

12. Die Schüler helfen untereinander bei Problemen.

13. Die Schüler engagieren sich im Unterricht.

14. Für den Stoff kann bei den Schülern Interesse geweckt werden.

15. Im Unterricht herrscht Leistungsdruck.

16. Schüler stören öfters den Unterricht.

17. Es gibt eine gute Klassengemeinschaft.

18. Die Schüler kommen gut miteinander aus.

19. Die Klasse ist unruhig und laut.

20. Kraft und/oder Zeit geht durch Disziplinprobleme verloren.

21. Im Unterricht wird der Schwerpunkt auf die Bewältigung des Stoffes gelegt.

22. Soziale Probleme zwischen den Schülern werden

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öfters im Unterricht besprochen. A - - B - - C - - D

23. An die Schüler werden hohe Anforderungen gestellt. A - - B - - C - - D

24. In der Klasse kommen körperliche Auseinandersetzungen vor. A - - B - - C - - D

25. Das Verhältnis zu den Schülern der Parallelklassen ist gut. A - - B - - C - - D

26. Die Schüler der Parallelklassen kommen gut mit den Schülern aus der Klasse meines Kindes aus.

27. In der Klasse herrscht ein gutes Klima.

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Fragen zum achtjährigen Gymnasium allgemein

1. Sind Sie im allgemeinen mit dem achtjährigen Gymnasium zufrieden? unzufrieden 0 eher unzufrieden 0 mittel 0 eher zufrieden 0 zufrieden 0

2. Sind Sie im allgemeinen mit den Lehrern zufrieden? unzufrieden 0 eher unzufrieden 0 mittel 0 eher zufrieden 0 zufrieden 0

3. Sind Sie im allgemeinen mit dem Unterricht zufrieden? unzufrieden 0 eher unzufrieden 0 mittel 0 eher zufrieden 0 zufrieden 0

4. Sind Sie im allgemeinen mit dem KlassenklimalMitschülern zufrieden? unzufrieden 0 eher unzufrieden 0 mittel 0 eher zufrieden 0 zufrieden 0

5. Geht Ihr Sohn / Ihre Tochter gern auf diese Schule? ungern 0 eher ungern 0 mittel 0 eher gern 0 gern 0

6. Was halten Sie am achtjährigen Gymnasium für besonders positiv?

Page 268: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

270 Anhang: Eltemfragebogen

7. Sehen Sie auch kritische Aspekte?

8. Was sollte man aus Ihrer Sicht am achtjährigen Gymnasium (im allgemeinen u. besonderen) verbessern?

9. Möchten Sie etwas zum Unterricht und zu den Lehrern sagen?

10. Sind die Anforderungen (für Ihr eigenes Kind) zu hoch oder zu niedrig? zu niedrig 0 etwas zu niedrig 0 genau richtig 0 etwas zu hoch 0 zu hoch 0

11. Fühlt sich Ihr Kind in der Klasse wohl? unwohl 0 eher unwohl 0 mittel 0 eher wohl 0 sehr wohl 0

Fragen zu Interessen und Freizeitaktivitäten Ihrer TochterlIhres Sohnes

Für welche Bereiche interessiert sich Ihre Tochter/Ihr Sohn zur Zeit außerhalb der Schule? Geben Sie bitte für jeden der folgenden Interessenbereiche an, wie intensiv sich Ihre Tochter/Ihr Sohn damit (theoretisch oder praktisch) beschäftigt!

(1) = sehr oft (2) = oft

Geschichte

(3) = selten (4) = sehr selten bis nie

1--2--3--4 (z.B. Archäologie, geschichtliche Darstellungen)

Gesellschaft (z.B. Umwelt, Politik, Ökonomie)

Kunst/Musik (z.B. Gestaltende Kunst, Architektur, Theater, Film, Instrumente)

Mathematik (z.B. Zahlenrätsel, Informatik)

Naturwissenschaften (z.B. Astronomie, Mineralogie, Pflanzenkunde)

Philosophie/Religion

Soziales (z.B. Pädagogik, Medizin, soziale Dienstleistungen)

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Page 269: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Anhang: Elternfragebogen 271

Sport 1--2--3--4 (auch passiv, z.B. als Zuschauer von Veranstaltungen)

Sprachen 1--2--3--4 (z.B. Literatur, Zeitungswesen, zusätzliche Fremdsprachen)

Technik 1--2--3--4 (z.B. Materialien produzieren, Objekte reparieren)

Computer 1--2--3--4 (z.B. Programme, Internet etc.)

Welche konkreten Beschäftigungen übt Ihre Tochter/Ihr Sohn in der Freizeit gern aus?

Fernsehen (allgemein) Nachrichten, Politik, Informationen Natur oder Wissenschaft Unterhaltung Talkshows Spielfilme, Krimis usw. Spielshows, Shows Musiksendungen

Ins Kino gehen

Ausgehen (z.B. Disco, Partys)

Bücher lesen

Sport

Musikinstrumente, Singen u.ä.

Musik hören

Verein (Sport, Pfadfinder, Naturschutz u.ä.)

Natur und Tiere (z.B. Reiten, Naturschutz)

Basteln, malen, künstlerisch tätig

Liest Ihre TochterlIhr Sohn derzeit ein Buch in der Freizeit? Falls ja, was genau wird gelesen (Autor, Titel)?

Fragen zum familiären Hintergrund

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Ja----Nein

Die Beantwortung dieser Fragen ist selbstverständlich freigestellt!

1. Welchen formalen Schulabschluß haben Sie erworben? (bitte nur Angabe des höchsten Abschlusses)

Page 270: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

272 Anhang: Elternfragebogen

keinen Abschluß Volks-lHauptschulabschluß Mittlere ReifelRealschulabschluß AbiturIFachhochschulreife

Mutter o o o o

Vater o o o o

2. Welchen Berufsausbildungsabschluß haben Sie erworben? (mehrere Angaben möglich)

keinen Abschluß Gewerbliche oder landw. Lehre, Facharbeiter Kaufmännische Lehre, Berufsausbildung, Berufsfachschule, Beamtenausbildung Meister-IT echniker-IF achschulabschluß Universitätsabschluß (Uni, PH, FH) Promotion Habilitation

Mutter o o

o o o o D

3. Ungefahres monatliches Familiennettoeinkommen in DM:

Vater o o

o o o o D

Obis 3000 0 3000 bis 5000 D 5000 bis 8000 0 über 8000

4. Glauben Sie, daß in Ihrer Familie im Vergleich zum Bundesdurchschnitt ... D eher weniger Wert auf Bildung gelegt wird? D eher vergleichbar viel Wert auf Bildung gelegt wird? D eher mehr Wert auf Bildung gelegt wird?

(Bildung im Sinne von Lesen anspruchsvoller Literatur, Besichtigung von Museen und Baudenkmälern, Opern- und Theaterbesuch)

5. Welche Zeitung oder Zeitschrift haben Sie zu Hause abonniert oder kaufen/lesen Sie häufig? (Mehrfachnennungen möglich)

D keine D Fernsehzeitschrift D Autozeitschrift D Frauenzeitschrift D regionale Tageszeitung D überregionale Tageszeitung D Naturzeitschriften D berufliche Fachzeitschriften D Die Zeit D Die Welt D Frankfurter Allgemeine D Frankfurter Rundschau D Süddeutsche Zeitung D Der Spiegel D Focus D Stern D Zeitschriften bestimmter Interessenbereiche (z.B. Sport, Reisen) D Naturwissenschaft/Technik (z.B. Geo oder PM)

Vielen Dank f"tir Ihre Teilnahme!

Page 271: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Anhang: Lehrerfragebogen 273

Lehrerfragebogen

Ort (bitte ankreuzen): Stuttgart 0

G8-Unterrichtung in Klasse ..• 50 100

Meersburg 0 Kirchzarten 0

60 70 80

RastattO

90 11 0 120

Ihr Geschlecht: männlich 0 weiblich 0

Ihre Altersgruppe: 20-29 0 30-39 0 40-49 0 50-59 0 60-69 0

Fachrichtung: 1: Mathematik 2: Physik 3: Deutsch 4: Fremdsprachen 5: naturwissenschaftliche Nebenfächer (z.B. Biologie, Chemie, etc.) 6: geisteswissenschaftliche Nebenfacher (z.B. Religion, Geschichte, Politik) 7: Musik/Kunst 8: Sport

Dieser Fragebogen dient der Einschätzung des Unterrichts, des Schülerverhaltens und der Schülerfähigkeiten in den von uns untersuchten G8-Klassen. Wenige Fragen (3-10) thematisieren allgemein gymnasialen Unterricht. Die folgenden Aussagen be­ziehen sich deshalb nur auf den Unterricht in den von uns untersuchten Klassen. Jede Aussage soll danach eingeschätzt werden, wie weit sie für diesen Unterricht insge­samt zutrifft / realisiert worden ist.

Sie haben stets die Wahl zwischen den folgenden 4 Antwortalternativen:

1: trifft nicht (nie) zu 2: trifft selten (manchmal) zu 3: trifft oft (meistens) zu 4: trifft völlig (immer) zu

Für Aussagen, die auf Ihren Unterricht nicht zutreffen, ist 1 die adäquate Antwort.

Beispiel: "Der Unterricht istjür die Schüler zu schwierig." x- 2 - 3 - 4

(Der Unterricht ist Ihrer Meinung nach für die Schüler nicht zu schwierig.)

1. Schüler dieser Klasse unterscheiden sich im Lernverhalten weniger stark voneinander als Schüler in anderen Gymnasialklassen. 1 - 2 - 3 - 4

2. Im Unterricht wird zwischen verschiedenen Lernformen, wie dem Lehrervortrag und dem selbständigen Arbeiten mit Texten gewechselt. 1 - 2 - 3 - 4

3. Ich bin mit der Konzeption des Gymnasiums (als Schulform) zufrieden. 1 - 2 - 3 - 4

Page 272: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

274 Anhang: Lehrerfragebogen

4. Ich bin mit der Realisation des Gymn. (als Schulform) zufrieden. 1-2-3-4

5. Ich bin mit dem Aufnahmeverfahren fiir das Gymnasium zufrieden. I - 2 - 3 - 4

6. Ich bin mit dem Unterricht am Gymnasium zufrieden. 1 - 2 - 3 - 4

7. Ich bin mit dem Lernfortschritt der Schüler zufrieden.

8. Ich bin mit dem Fähigkeitspotential der Schüler zufrieden.

9. Ich bin mit dem Sozialverhalten der Schüler zufrieden.

10. Ich bin mit den polit. Rahmenbedingungen des Gymn. zufrieden.

KlassenkIima:

11. Zwischen Lehrer und Schülern bestehen gute Beziehungen.

12. Zwischen den Schülern kommt es zu Wetteifer und Wettbewerb.

13. Der Unterricht ist für die Schüler zu schwierig.

14. Auf Verständnis schwierigkeiten der Schüler wird im Unterricht besonders stark eingegangen.

15. Der Konkurrenzdruck in der Klasse ist gering.

16. Zwischen den Schülern gibt es viele Freundschaften.

17. In dieser Klasse unterrichte ich gerne.

18. In der Klasse gibt es isolierte Einzelgänger.

19. In der Klasse treten Aggressionen und Disziplinkonflikte auf.

20. Lehrer und Schüler können gut zusammenarbeiten.

21. Die Schüler helfen untereinander bei Problemen.

22. Die Schüler engagieren sich im Unterricht.

23. Für den Stoff kann bei den Schülern Interesse geweckt werden.

24. Im Unterricht herrscht Leistungsdruck.

25. Schüler stören öfters den Unterricht.

26. Es gibt eine gute Klassengemeinschaft.

27. Die Schüler kommen gut miteinander aus.

28. Die Klasse ist unruhig und laut.

29. Kraft und/oder Zeit geht durch Disziplinprobleme verloren.

30. Im Unterricht muß der Schwerpunkt auf die Bewältigung des Stoffes gelegt werden.

31. Soziale Probleme zwischen den Schülern werden öfters im Unterricht besprochen.

32. An die Schüler werden hohe Anforderungen gestellt.

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Page 273: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Anhang: Lehrerfragebogen

33. In der Klasse kommen körperliche Auseinandersetzungen vor.

34. Das Verhältnis zu den Schülern der Parallelklassen ist gut.

35. Die Schüler der Parallelklassen kommen gut mit den Schülern aus den untersuchten Klassen aus.

36. In der Klasse herrscht ein gutes Klima.

Direkte Instruktion:

37. Die Schüler beschäftigen sich nur nach Anweisung mit dem Lemmaterial.

38. Neuer Stoff wird erst nach einer genauen Zielangabe eingeführt.

39. Der Stoff wird Schritt fiir Schritt und mit genauen Erklärungen dargeboten.

40. Konkrete Beispiele werden detailliert erläutert.

41. Erst nachdem der Stoff von fast allen Schülern verstanden worden ist, werden Übungsaufgaben zum selbständigen Durcharbeiten gestellt.

42. Auch wenn fast alle Schüler den Stoff völlig beherrschen, wird er regelmäßig wiederholt.

43. Die Schüler können ihr Wissen schnell wiedergeben, ohne vorher lang nachzudenken.

44. Hausaufgaben werden regelmäßig gestellt und überprüft.

Entdeckendes Lernen:

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45. Die Schüler können Lemmaterialien im Unterricht frei erkunden. 1 - 2 - 3 - 4

46. Im Unterricht formulieren die Schüler Annahmen und Hypothesen. 1 - 2 - 3 - 4

47. Schülerbeiträge werden nicht sofort nach "richtig" und "falsch" beurteilt. 1 - 2 - 3 - 4

48. Das eigene FragensteIlen von Schülern wird besonders unterstützt. 1 - 2 - 3 - 4

49. Es wird mit Impulsen statt mit direkten Anweisungen gearbeitet. 1 - 2 - 3 - 4

50. Die Schüler setzen sich mit Widersprüchen im Stoff kritisch auseinander. 1 - 2 - 3 - 4

51. Der Stoff wird den Schülern in Form von Problemen und Fragestellungen geboten.

52. Die vorhandenen Schulbücher reichen als Grundlage fiir die Schüler aus.

Selbstgesteuertes Lernen:

53. Die Schüler sind in der Lage, ihre eigenen Interessen am Stoff des Faches festzustellen.

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Page 274: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

276 Anhang: Lehrerfragebogen

54. Die Schüler sind in der Lage, ihre Lerninteressen in klare Lernziele umzusetzen.

55. Die Schüler finden Fragen und Probleme selbst.

56. Die Schüler denken selbständig über den Stoff nach.

57. Die Schüler setzen ihr bereits vorhandenes Wissen ein.

58. Den Schülern ist bewußt, wie sie lernen und wie sie dabei vorgehen.

59. Die Schüler können beurteilen, ob sie ihre Lernziele erreicht haben.

60. Die Schüler können ihre Lemleistung selbst bewerten.

61. Techniken selbständigen Lernens werden im Unterricht vermittelt.

62. Die Schüler können sich selbständig in ein Gebiet einarbeiten.

Kognitive Lernziele:

63. Die Schüler können den Stoff genau wiedergeben.

64. Die Schüler können den Stoff mit eigenen Worten darstellen.

65. Die Schüler wenden das erworbene Wissen auf neue Fragestellungen, Aufgaben und Probleme an.

66. Die Schüler integrieren verschiedene Wissensquellen, auch aus anderen Fächern.

67. Die Schüler können Wert und Bedeutung eines Sachverhalts (z.B. Erfindung, Entdeckung, Text, mathem. Lösung) beurteilen.

68. Die Schüler können ihre Fähigkeiten für das Fach selbst einschätzen.

Affektive Lernziele:

69. Die Schüler können im Unterricht aufmerksam zuhören.

70. Die Schüler sind jederzeit bereit, Fragen zu beantworten.

71. Die Schüler interessieren sich aktiv für den Stoff und liefern dazu eigene Beiträge.

n. Für die Schüler ist das Fach sehr wichtig und bedeutsam.

73. Die Schüler beschäftigen sich auch nach dem Unterricht aus eigenem Interesse mit dem Fach.

74. Die Schüler dieser Klasse haben an mehreren Fächern gleichzeitig ein sehr starkes Interesse.

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Page 275: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Anhang: Lehrerfragebogen

Kommunikation und Kooperation:

75. In dieser Klasse ist es einfach, die Schüler zu Lemgruppen zusammenzustellen.

76. Die Schüler in dieser Klasse lernen allein und für sich selbst am besten.

77. Die Schüler lassen sich von Mitschülern helfen.

78. Die Schüler können für das Lernen notwendige Kontakte zum Lehrer herstellen.

79. Die Schüler helfen anderen bei Lemproblemen.

80. Die Schüler haben Kontakte zu Schülern aus anderen Klassen.

81. Die Lehrer in dieser Klasse informieren sich gegenseitig über ihren Unterricht.

82. Auch andere Lehrer interessieren sich rur den Unterricht in dieser Klasse.

83. Die Eltern der Schüler interessieren sich rur den Unterricht in der Klasse.

84. Die Eltern machen Vorschläge zur Gestaltung des Unterrichts.

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85. Im Unterricht werden Komrnunikationsfertigkeiten gezielt gefördert. 1 - 2 - 3 - 4

Die nun folgenden Aussagen zu Lehr- bzw. Lerntätigkeiten am Gymnasium sollen nach 2 Gesichtspunkten eingeschätzt werden:

1. In welchem Ausmaß sind sie realisiert worden?

2. In welchem Maß traten dabei Schwierigkeiten auf?

Die Antwortalternativen sind:

1: nichtlkeine - 2: manchmal/selten - 3: öfterlhäufiger - 4: vorwiegend/sehr häufig

REALISIERT SCHWIERIGKEITEN

1. Planung der ThemenlInhalte. 1-2-3-4 1-2-3-4 2. Vorbereitung von Materialien

und Methoden (Vorgehen). 1-2-3-4 1-2-3-4

3. FrontalunterrichtlLehrervortrag. 1-2-3-4 1-2-3-4

4. Diskussion mit der Klasse. 1-2-3-4 1-2-3-4

5. Einzelarbeit der Schüler. 1-2-3-4 1-2-3-4

6. Partnerarbeit. 1-2-3-4 1-2-3-4

7. Arbeit in Kleingruppen. 1-2-3-4 1-2-3-4

Page 276: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

278 Anhang: Lehrerfragebogen

8. Motivieren der Schüler. 1-2-3-4 1-2-3-4

9. Einfiihrung neuer Stoffe. 1-2-3-4 1-2-3-4

10. Wiederholung und Übung. 1-2-3-4 1-2-3-4

11. Anwendung des gelernten Stoffs auf neue Aufgaben. 1-2-3-4 1-2-3-4

12. Überprüfen des Wissensstands. 1-2-3-4 1-2-3-4

13. Überprüfen von Hausaufgaben. 1-2-3-4 1-2-3-4

14. Auswertung bereits durchgefiihrter Stunden. 1-2-3-4 1-2-3-4

15. Revisionen des geplanten V orgehens/ geplanter Inhalte. 1-2-3-4 1-2-3-4

16. Lösen von Konflikten zwischen Schülern. 1-2-3-4 1-2-3-4

17. Beschäftigung mit Disziplinproblemen. 1-2-3-4 1-2-3-4

18. Besprechung von Lernproblemen. 1-2-3-4 1-2-3-4

19. Förderung von Lerntechniken im Unterricht. 1-2-3-4 1-2-3-4

20. Förderung von Kommunikations-fertigkeiten der Schüler. 1-2-3-4 1-2-3-4

21. Vermittlung neuer schwieriger Inhalte. 1-2-3-4 1-2-3-4

22. Zügiger Unterricht, schnelles Vorankommen. 1-2-3-4 1-2-3-4

23. Unterrichtstechniken der direkten Instruktion. 1-2-3-4 1-2-3-4

24. Unterrichtstechniken des entdeckenden Lernens. 1-2-3-4 1-2-3-4

25. Selbstgesteuertes Lernen. 1-2-3-4 1-2-3-4

Abschließend noch einige vergleichende Einschätzungen zwischen den von uns un­tersuchten und anderen Klassen an Ihrem Gymnasium. Um dies zu vereinfachen, sind nun nicht zwei Antworten zu jeder Aussage erforderlich, sondern nur jeweils eine Vergleichsantwort. Dies nach folgendem Muster:

-3 -2 -1 0 +1 +2 +3

Jeweils eine dieser Zahlen ist durchzustreichen. Sie bedeuten folgendes:

-3: In den untersuchten G8-Klassen sehr viel schwächer ausgeprägt. -2: In den untersuchten G8-Klassen wesentlich schwächer ausgeprägt. -1: In den untersuchten G8-Klassen etwas schwächer ausgeprägt. 0: Kein Unterschied zwischen 8- und 9jährigem Gymnasium.

+1: In den untersuchten G8-Klassen etwas stärker ausgeprägt. +2: In den untersuchten G8-Klassen wesentlich stärker ausgeprägt. +3: In den untersuchten G8-Klassen sehr viel stärker ausgeprägt.

Page 277: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

Anhang: Lehrerfragebogen 279

Beispiele:

A) Der Unterricht ist interessant und anregend. -3 -2 -1 )( + 1 +2 +3 (0: Der Unterricht ist in allen Klassen gleich interessant und anregend.)

B) Unterscheiden sich die Lebrmethoden? -3 -2 -1 0 +1 +2 1.( (Die Antwort +3 bedeutet, daß sich die Lehnnethoden in beiden

Gymnasialfonnen sehr stark unterscheiden; 0 heißt, daß sie sich nicht unterscheiden; neg. Antworten sind bei derart fonnulierten Fragen nicht vorgesehen)

Die zu beurteilenden Aussagen beziehen sich auf den gesamten Unterricht, nicht auf einzelne Stunden oder bestimmte Stoffe. Ihre Antworten sollen also nur durch­schnittliche Ausprägungen aus Ihrer persönlichen Sicht wiedergeben. Bitte kreuzen Sie entsprechend jeweils eine Zahl an!

l. Der Unterricht ist interessant und anregend. -3 -2 -I o +1 +2 +3

2. Schwierigkeitsgrad des Unterrichtens. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

3. Für den Unterricht benötigtes Fachwissen. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

4. Notwendige Kenntnisse über Techniken und Verfahren der Klassenfiihrung. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

5. Erforderliches Ausmaß der notwendigen Vorbereitung des Unterrichts. -3 -2 -1 0 +1 +2 +3

6. Unterscheiden sich die Lebrmethoden? -3 -2 -1 o +1 +2 +3

7. Ausmaß, in dem Schüler zur Mitarbeit motiviert werden müssen. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

8. Ausmaß des notwendigen Wiederholens und Übens. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

9. Ausmaß der Individualisierung (Binnendifferenzierung) im Unterricht. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

10. Sind für den Unterricht zusätzliche und ergänzende Lehrmaterialien erforderlich? -3 -2 -1 o +1 +2 +3

11. Wie weit sind pädagogisch-didaktische Fortbildungen erforderlich? -3 -2 -1 o +1 +2 +3

12. Interesse der Schüler am Schulfach. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

13. Motiviertheit der Schüler im Unterricht. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

14. Aktivitätsgrad der Schüler im Unterricht. -3 -2 -1 0 +1 +2 +3

15. Auffassungsgeschwindigkeit der Schüler. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

16. Merkfahigkeit und Gedächtnisleistung der Schüler. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

17. Fähigkeiten zum selbständigen Denken der Schüler. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

18. Ausmaß von Anregungen im Unt. durch die Schüler. -3 -2 -I o +1 +2 +3

19. Ausmaß weiterführender Fragen der Schüler. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

Page 278: Begabtenf¶rderung im Gymnasium: Ergebnisse einer zehnj¤hrigen L¤ngsschnittstudie

280 ~ang:Lehrerfragebogen

20. Ausmaß selbständigen Arbeitens der Schüler. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

21. Ausmaß der Kommunikation und Kooperation der Schüler untereinander. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

22. Grad der (geäußerten) Zufriedenheit der Schüler mit dem Unterricht. -3 -2 -I o +1 +2 +3

23. Kooperation zwischen Lehrern und Schülern. -3 -2 -I o +1 +2 +3

24. Zusammenarbeit der Schüler (gegenseitiges Helfen). -3 -2 -1 o +1 +2 +3

25. Konkurrenz und Wettbewerbsdruck zwischen Schülern. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

26. Interesse und Engagement der Schüler. -3 -2 -1 0+1 +2 +3

27. Leistungsdruck im Unterricht (durch Stoff, Lehrer). -3 -2 -1 o +1 +2 +3

28. Schülerverursachte Störungen des Unterrichts. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

29. Freundschaftsbeziehungen in der Klasse. -3 -2 ~I o +1 +2 +3

30. Klassengemeinschaft und Klassenklima. -3 -2 -1 0+1 +2 +3

31. Streit und (körperliche) Auseinandersetzungen zwischen den Schülern. -3 -2 -I o +1 +2 +3

32. Anforderungshöhe und Stofforientierung im Unterricht. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

33. Notwendige DisziplinarmaßnahmeniOrdnungsdruck. -3 -2 -1 0+1 +2 +3

34. Intellektuelle Entwicklung der Schüler. -3 -2 -I 0+1 +2 +3

35. Soziale Entwicklung der Schüler. -3 -2 -1 0+1 +2 +3

36. Emotionale Entwicklung der Schüler. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

37. Disziplinprobleme im Unterricht. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

38. Beziehung zwischen Lehrern und Schülern. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

39. Beziehung zwischen Schülern. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

40. Anzahl überforderter Schüler im Unterricht. -3 -2 -1 0+1 +2 +3

41. Klassenhomogenität (Fähigkeiten). -3 -2 -1 0+1 +2 +3

42. Klassenhomogenität (Interessen). -3 -2 -1 o +1 +2 +3

43. Klassenhomogenität (Persönlichkeit). -3 -2 -1 o +1 +2 +3

44. Einsatz der direkten Instruktion. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

45. Einsatz entdeckenden Lernens. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

46. Einsatz selbständigen Lernens. -3 -2 -I o +1 +2 +3

47. Eigene Freude und Zufriedenheit am Unterricht. -3 -2 -I o +1 +2 +3

48. Besprechung soz. Probleme zwi. Schülern im Unterr. -3 -2 -1 o +1 +2 +3

Vielen Dank für Ihre Mitarbeit!